Die unverzichtbare Generation 50plus

3

Click here to load reader

Transcript of Die unverzichtbare Generation 50plus

Page 1: Die unverzichtbare Generation 50plus

AUSGABE 03/2012 · JUNI/JULI · 3,90 EUROZKZ 80194

www.w

issen-ka

rriere.com

4 198019 403908

03

Wer für Geld kommt,der geht auch wiederfür GeldDirk Kreuter: Die besten Verkäufer finden und halten

Vermarktungvon Trainings-ContentAndré Brühlmann:So vermarktet mansein Wissen

Organspendekann LebenrettenProf. Dr. Elisabeth Pott: Das Alter ist keinAusschlusskriterium

Identifikation und Wertschätzung= MenschMarco Kerber: Bedarf an qualifiziertenMitarbeitern wächst

„Ohne Networkkeine Karriere“Carsten Maschmeyer: Unternehmer, Bestsellerautor und begnadeter Redner

Page 2: Die unverzichtbare Generation 50plus

30

50PLUS

Die unverzichtbare Generation 50plus

Alexander Wild: Alter ist relativ. Für die Wirtschaft zählen Erfahrung und Konsumfreude

Von Vorkriegskindern über Alt-68er bis zu

Babyboomern. Wissen Sie noch? Als Sie in die

Schule kamen, fanden Sie Ihre Lehrerin ziem-

lich alt. Dabei war sie wahrscheinlich keine 30.

Als Sie pubertierten, betrachteten Sie Ihre

Eltern vermutlich als hoffnungslos von vorges -

tern. Und in Ihrem ersten Job begegneten Sie

dem 40-jähri gen Abteilungsleiter mit dem

angemessenen Respekt vor dem Alter. – Alter

ist relativ.

Bei uns leben heute 34 Millionen Menschen,

die 50 Jahre und älter sind; im Jahr 2020

werden es etwa 38 Millionen sein. Lange igno-

riert, sind die Älteren heute ein Top-Thema: Dabei

kennen wir die vor Spiegelaffäre und Rolling

Stones Gebore nen nicht wirklich gut. Schon bei

der Bezeich nung herrscht Verwirrung: 50plus?

Best Ager? Senioren? Kann man Senioren

„Senioren“ nennen? Die letzte Antwort ist ein-

fach: NEIN! Höchs tens, wenn sie über 70 sind.

Neu ist heute das Thema „Ältere Arbeitnehmer“

(von älteren Arbeitgebern ist nicht die Rede). Um

das Jahr 2000 lag das tatsächliche Rentenein -

tritt salter bei etwa 60 Jahren. Und obwohl viele

dieser Menschen um die Welt reisen, Marathon

laufen, Fremdsprachen lernen oder ehrenamtlich

Jungunternehmer fördern, haben wir sie im Geis -

te zum Alteisen geworfen. Selbsternannte Senio -

renschützer erklären, dass weitere Arbeitsjahre

für 65-Jährige unzumutbar seien und verübeln

das prompte Angebot eines Rollators für den Weg

vom Schreibtisch zur Kantine.

Tatsächlich erreichen im Jahr 2015 täglich mehr

als 2.700 Menschen den 65. Geburtstag und

werden spätestens dann Rentner – Tendenz stark

steigend. Gleichzeitig feiern täglich nur etwa

2.200 junge Menschen den 21. Geburtstag – Ten -

denz fallend. Damit die „Graue Revolution“ ge -

lingt, müssen wir die erfahrenen 50- bis 65-

Jährigen als unverzichtbare Titanen im Arbeits -

leben halten.

Auch als lohnende Kunden wurden die Älteren

spät entdeckt. Immerhin setzen in den letzten

Jahren Unternehmen verstärkt auf die Zielgruppe

50plus: Die umfasst heute schon etwa so viele

Menschen wie die so genannte werberelevante

Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Und doch

herrscht viel Unsicherheit über das, was die älte-

ren Kunden wollen: Laufschuh oder Krückstock?

Barolo oder Brei? Roller oder Rollator? Couture

oder Kittelschürze?

Ü50 ist nicht gleich U100

Viele Schwierigkeiten beim Umgang mit älteren

Page 3: Die unverzichtbare Generation 50plus

50PLUS

Zielgruppen liegen in dem Versuch, alle Men -

schen zwischen 50 und 100 Jahren unter einen

Hut zu zwingen. Kein Marketer würde 15- und

35-Jährige in eine gemeinsame Zielgruppe pres-

sen – dabei sind die Unterschiede im höheren

Alter erheblich größer: Diese Menschen hatten

50, 60 oder 70 Jahre Zeit, sich auseinanderzuent-

wickeln! So wachsen auch unter Gleichaltrigen

erhebliche Unterschiede in der körperlichen und

geistigen Fitness, in Interessen und Lebensstil,

Beruf und Einkommen, Schicht und Bildung, im

sozialen und im Familienleben. Dennoch beginnt

das Verständnis dafür, wie die Älteren „ticken“,

beim Alter und der Zeit, in der sie aufwuchsen.

Vier Hauptgruppen zeichnen sich so ab:

1. Die „Babyboomer“ (geboren ca. 1958 – 1966)

Die so genannten „geburtenstarken Jahrgänge“

feiern in diesen Jahren ihren 50. Geburtstag und

haben dann noch etwa 16 bis 17 Jahre im Be -

rufsleben vor sich. Ihre Kindheit reichte vom

Wirtschaftswunder bis zur Ölkrise. Prägend war

das Gefühl, „zu viele“ zu sein: In der Schule, an

der Uni, bei der Jobsuche.

Die Babyboomer waren die ersten Nutznießer des

großen Wandels in den 60ern und 70ern. Trotz

hoher moralischer Ansprüche pflegten viele ein

ausgeprägtes Laissez-faire. Heute besetzen sie,

im Verhältnis zu ihrer großen Zahl, erstaunlich

wenige Schlüsselpositionen. Umso höher sind die

Ansprüche an die eigenen Kinder. Leider – oder

glücklicherweise, ich bin mir da nicht ganz sicher

– haben die Babyboomer noch nicht entdeckt,

welche Macht sie als größte Wählergruppe

haben. Zurzeit verursachen und wecken sie Angst

vor Altersarmut und Pflegenotstand.

Doch die Stärke der Babyboomer ist der Schlüs -

sel für unseren künftigen Wohlstand. Jetzt näm-

lich wird ihre Arbeitskraft wirklich gebraucht, um

die Lücke zwischen steigenden Rentnerzahlen

und der Pillenknick-Generation zu schließen. Und

obwohl die Babyboomer keine so ungebrochene

Erwerbsbiografie haben wie die Generationen vor

ihnen, werden eine hohe Frauenerwerbs tätig keit

und eine spätere Rente diese große Gruppe zu

einer höchst attraktiven Zielgruppe machen.

2. Die „68er“ und die „Willi-Brandt-Fans“

(geboren ca. 1943 – 1957).

Rein altersmäßig betrachtet, zählt die jüngere

Hälfte dieser Gruppe zu den noch Berufstätigen

und die ältere zu den Nachkriegs kindern, den

aktiven Rentnern. Letztere gehören zu den best-

situierten, unternehmungslustigsten und an -

spruchsvollen Zielgruppen für Handel und Dienst -

leister. Viele Mitglieder dieser so interessanten

wie schwie rigen Gruppe verbindet jedoch die

Erfah rung, den großen Umbruch der bundesrepu-

blikanischen Gesellschaft bewirkt zu haben –

oder zu mindest dabei gewesen zu sein. Diese

identitätsstiftende Gemeinsamkeit überwindet

sogar die Kluft zwischen den Schon-Rentnern

und den Noch-Berufstätigen.

3. Die Kriegs- und Nachkriegskinder:

(geboren ca. 1932 – 1942/1952)

Noch vor zehn Jahren wurden die Jahre zwischen

60 und 80 als „drittes Lebensalter“ (nach Jugend

und Erwachsenendasein) bezeichnet. Diese Grup -

pe hadert wohl mit zunehmenden körperlichen

Beschwerden, doch die meisten sind noch aktiv

genug, um das Leben zu genießen. Mit steigen-

dem Renteneintrittsalter wird diese Zielgruppe

am unteren Ende schrumpfen. Mit wachsender

Ge sundheit der Älteren wird sie am oberen Ende

zunehmen.

Die Kriegs- und Nachkriegskinder wuchsen auf

mit Angst und Entbehrung – und riesigen Chan -

cen auf einem großen Abenteuerspielplatz. Dann

wurde es ernst: In der piefigen Adenauerzeit er -

setzten sie früh die in zwei Weltkriegen ausge-

dünnte Vätergeneration. Und im Gegensatz zu den

meistern anderen Generationen wurde für die

Kriegs- und Nachkriegskinder das Leben umso

einfacher, je älter sie wurden.

4. Die „Generation Aufbau“: (geboren vor 1930)

Das so genannte „vierte Lebensalter“ bezeichne-

te früher die Jahre, in denen das Alter zu Last

Alexander Wild gründete 1998 Feierabend.de, das

erste deutschsprachige soziale Netzwerk „für

Menschen in den besten Jahren“. Er ist Vor stands -

vorsitzender der Feierabend Online-Diens te für

Senioren AG.

Alexander Wild

ZUR PERSON

wird. In denen schon die Körperpflege eine riesi-

ge Anstrengung ist, in denen immer mehr Hilfen

nötig werden und den Lebensgenuss reduzieren.

Wissenschaftliche Untersuchungen lassen darauf

schließen, dass diese Phase schrumpft: Wir wer-

den länger aktiv bleiben und kürzere Lei dens -

zeiten haben.

Die sparsame Generation Aufbau hat ihren Titel in

der Nachkriegszeit hart erarbeitet – dafür erzielte

sie die höchste Rendite, die die staatliche Rente

jemals erreichte.

Auf diese GENERATIONEN 50plus müssen sich

Unternehmen einstellen – als Arbeitgeber ebenso

wie als Anbieter von Produkten und Dienstleistun -

gen. Aber Achtung: In fünf bis zehn Jahren wird

diese Einteilung wieder überholt sein.

Alexander Wild gründete 1998 Feierabend.de, das

erste deutschsprachige soziale Netzwerk „für

Menschen in den besten Jahren“. Er ist Vor -

stands vorsitzender der Feierabend Online-Diens -

te für Senioren AG. n

© Elite Magazinverlags GmbH