Die Urpferde der Morgenröte. Von Jens L. Franzen

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BUCHBESPRECHUNGEN | PALÄONTOLOGIE Pferde: komplexer Stammbusch statt Stammbaum Jens Lorenz Franzen ist seit vielen Jahren Wissen- schaftler am renommier- ten Senckenberg-Institut und als Kenner der Pferde und ihrer Entwicklung durch viele Veröffent- lichungen bestens ausge- wiesen. Nun ist ihm et- was gelungen, was Fach- wissenschaftler selten schaffen: Ein rund 200 Seiten starkes Buch zu schreiben, das auch für den Nicht-Zoologen be- ziehungsweise Nicht-Paläontologen gut verständlich und spannend zu lesen ist und das dabei nicht auf ein solides wissenschaftliches Funda- ment verzichtet. Noch etwas hebt dieses Buch hervor, es beschäftigt sich nicht nur mit dem Thema im engeren Sinne, also Entstehung und Entwicklung der Pferde, sondern es geht auch auf die ökologischen Bedingungen zum Zeitpunkt der Ent- stehung der Pferde ein, also auf Klima, Vegetation, Gebirgsbildungen und andere Umweltbedingungen des Eozäns. Auch alle nachfolgenden Entwicklungslinien der Pferde wer- den im Kontext mit den sich ständig wandelnden ökologischen und klimatischen Verhältnissen lebendig dargestellt. Die Entwicklung der Pferde ist seit Jahrzehnten ein Paradebeispiel für evolutionären Wandel und evolu- tionäre Höherentwicklungen. Es ist spannend zu sehen, wie sich auch hier unsere Vorstellungen gewandelt haben. In Deutschland befinden sich die zur Zeit besten Fundstätten eozäner Pferde: die Grube Messel bei Darm- stadt, die Fundstätten im Geiseltal bei Halle an der Saale und das Eck- felder Maar unweit von Trier. Der Autor kennt sich dort aus - und infor- miert den Leser nicht nur über Pferde, sondern auch über Pflanzen, Käfer, Vögel, Fledermäuse und vieles mehr. Das Buch ist geschickt in elf Ka- pitel gegliedert, in allen bilden die Pferde den roten Faden, sie stehen aber in den Kernkapiteln 5 bis 8 so- wie 10 und 11 deutlich im Vorder- grund. Es zeigt sich, dass das ja seit langem liebgewonnene Bild der Pfer- deevolution in zahllosen Details auf- grund der vielen neuen Erkenntnisse der Paläontologie verändert werden muss. Aus einem recht einfach zu überschauenden Stammbaum ist ein sehr komplexer Stammbusch gewor- den. Der weite Horizont des Autors zeigt sich auch in den Kapiteln über die Verwandten der Pferde, bei- spielsweise Tapire und Nashörner, die Entwicklung der Pferde in der Eiszeit und die Anfänge der Domesti- kation. Auch auf die Bedeutung der Pferde im Rahmen der kulturellen Entwicklung des Menschen wird sehr informativ eingegangen. Eine der besonders starken Sei- ten des Buchs ist die sorgfältige Ana- lyse der frühesten Pferde, an deren Erforschung der Autor intensiv mit- gewirkt hat. Er kann plausibel ma- chen, dass die Formen mit den ur- sprünglichsten Merkmalen (Hyraco- therium, Hallensia) aus Europa stammen und daher wohl auch hier entstanden sind. Weiterhin schildert er die vielen eozänen Radiationen ursprünglicher Pferde in Europa, wo die Urpferde am Ende des Eozäns ausstarben. Europa besaß danach für circa 15 Millionen Jahre keine Pferde, sie tauchen hier erst wieder im Miozän mit Anchitherium auf. Urpferde kamen schon früh im Eo- zän in Nordamerika vor, wohin sie über Landbrücken gelangt sind. Die ältesten in Amerika gefundenen For- men weisen aber schon einige abge- leitete Merkmale auf. Die komplizier- ten Entwicklungslinien im Oligozän, Miozän, Plio- und Pleistozän lassen sich dann überwiegend in Nordame- rika nachweisen. Hier erfolgte auch der Wandel von der ursprünglichen Laub- zur Grasnahrung. Von Amerika aus wurde wiederholt die Alte Welt besiedelt, einzelne Formen drangen auch nach Mittel- und Südamerika vor. Da uns bisher die Vorfahren der eozänen Urpferde fehlen, die im Paleozän gelebt haben müssen, sind die Überlegungen des Autors zu sol- chen Formen besonders interessant und aufschlussreich. Das Gleiche trifft auf seine Überlegungen zu offe- nen Fragen und zu problematischen Interpretationen des vorliegenden Fundmaterials zu, hier zeigt sich der echte Wissenschaftler. Abschließend sei hervorgeho- ben, dass das Werk informativ und farbig bebildert ist. Im Anhang fin- den sich Angaben zu Museen mit Ausstellungen zu Pferden. Insgesamt ein sehr empfehlens- wertes Buch für alle Freunde der Pferde, Schüler, Studenten, Biologie- lehrer, Zoologen sowie an allgemein- und evolutionsbiologischen Fragen interessierten aufgeschlossenen Mit- menschen. Die Urpferde der Morgenröte Ursprung und Evolution der Pferde. Jens L. Franzen, Spektrum Akademi- scher Verlag, Heidelberg, 2006. 221 S., R 42,–. ISBN 978-3827416803. Ulrich Welsch, Universität München 60 | Biol. Unserer Zeit | 1/2007 (37) www.biuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ÖKOLOGIE Von der Küste bis zur Tiefsee Hier ist ein großer Wurf gelungen! Über 70 Autoren haben ihre Arbeits- gebiete kompetent und interessant präsentiert. 332 farbige und 51 schwarzweiße Abbildungen ergän- zen den Text. Das Ziel der Herausge- ber besteht darin, die Meeresfor- schung für einen breiten Leserkreis so darzustellen, dass die Wichtigkeit dieser Disziplin offenbar wird. Etwa 70 % der Erdoberfläche wird von

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B U C H B E S PR EC H U N G E N |

PA L Ä O N TO LO G I E

Pferde: komplexerStammbusch statt Stammbaum

Jens Lorenz Franzen istseit vielen Jahren Wissen-schaftler am renommier-ten Senckenberg-Institutund als Kenner der Pferdeund ihrer Entwicklungdurch viele Veröffent-lichungen bestens ausge-wiesen. Nun ist ihm et-was gelungen, was Fach-wissenschaftler seltenschaffen: Ein rund 200

Seiten starkes Buch zu schreiben,das auch für den Nicht-Zoologen be-ziehungsweise Nicht-Paläontologengut verständlich und spannend zu lesen ist und das dabei nicht auf einsolides wissenschaftliches Funda-ment verzichtet. Noch etwas hebtdieses Buch hervor, es beschäftigtsich nicht nur mit dem Thema imengeren Sinne, also Entstehung undEntwicklung der Pferde, sondern esgeht auch auf die ökologischen Bedingungen zum Zeitpunkt der Ent-stehung der Pferde ein, also aufKlima, Vegetation, Gebirgsbildungenund andere Umweltbedingungen desEozäns. Auch alle nachfolgendenEntwicklungslinien der Pferde wer-den im Kontext mit den sich ständigwandelnden ökologischen und klimatischen Verhältnissen lebendigdargestellt.

Die Entwicklung der Pferde istseit Jahrzehnten ein Paradebeispielfür evolutionären Wandel und evolu-tionäre Höherentwicklungen. Es istspannend zu sehen, wie sich auchhier unsere Vorstellungen gewandelthaben.

In Deutschland befinden sich diezur Zeit besten Fundstätten eozänerPferde: die Grube Messel bei Darm-stadt, die Fundstätten im Geiseltalbei Halle an der Saale und das Eck-felder Maar unweit von Trier. DerAutor kennt sich dort aus - und infor-

miert den Leser nicht nur überPferde, sondern auch über Pflanzen,Käfer, Vögel, Fledermäuse und vielesmehr.

Das Buch ist geschickt in elf Ka-pitel gegliedert, in allen bilden diePferde den roten Faden, sie stehenaber in den Kernkapiteln 5 bis 8 so-wie 10 und 11 deutlich im Vorder-grund. Es zeigt sich, dass das ja seitlangem liebgewonnene Bild der Pfer-deevolution in zahllosen Details auf-grund der vielen neuen Erkenntnisseder Paläontologie verändert werdenmuss. Aus einem recht einfach zuüberschauenden Stammbaum ist einsehr komplexer Stammbusch gewor-den.

Der weite Horizont des Autorszeigt sich auch in den Kapiteln überdie Verwandten der Pferde, bei-spielsweise Tapire und Nashörner,die Entwicklung der Pferde in derEiszeit und die Anfänge der Domesti-kation. Auch auf die Bedeutung derPferde im Rahmen der kulturellenEntwicklung des Menschen wirdsehr informativ eingegangen.

Eine der besonders starken Sei-ten des Buchs ist die sorgfältige Ana-lyse der frühesten Pferde, an derenErforschung der Autor intensiv mit-gewirkt hat. Er kann plausibel ma-chen, dass die Formen mit den ur-sprünglichsten Merkmalen (Hyraco-therium, Hallensia) aus Europastammen und daher wohl auch hierentstanden sind. Weiterhin schilderter die vielen eozänen Radiationenursprünglicher Pferde in Europa, wodie Urpferde am Ende des Eozänsausstarben. Europa besaß danach fürcirca 15 Millionen Jahre keinePferde, sie tauchen hier erst wiederim Miozän mit Anchitherium auf.Urpferde kamen schon früh im Eo-zän in Nordamerika vor, wohin sieüber Landbrücken gelangt sind. Dieältesten in Amerika gefundenen For-men weisen aber schon einige abge-leitete Merkmale auf. Die komplizier-ten Entwicklungslinien im Oligozän,Miozän, Plio- und Pleistozän lassensich dann überwiegend in Nordame-rika nachweisen. Hier erfolgte auchder Wandel von der ursprünglichen

Laub- zur Grasnahrung. Von Amerikaaus wurde wiederholt die Alte Weltbesiedelt, einzelne Formen drangenauch nach Mittel- und Südamerikavor. Da uns bisher die Vorfahren dereozänen Urpferde fehlen, die im Paleozän gelebt haben müssen, sinddie Überlegungen des Autors zu sol-chen Formen besonders interessantund aufschlussreich. Das Gleichetrifft auf seine Überlegungen zu offe-nen Fragen und zu problematischenInterpretationen des vorliegendenFundmaterials zu, hier zeigt sich derechte Wissenschaftler.

Abschließend sei hervorgeho-ben, dass das Werk informativ undfarbig bebildert ist. Im Anhang fin-den sich Angaben zu Museen mitAusstellungen zu Pferden.

Insgesamt ein sehr empfehlens-wertes Buch für alle Freunde derPferde, Schüler, Studenten, Biologie-lehrer, Zoologen sowie an allgemein-und evolutionsbiologischen Frageninteressierten aufgeschlossenen Mit-menschen.

DDiiee UUrrppffeerrddee ddeerr MMoorrggeennrrööttee Ursprung und Evolution der Pferde. Jens L. Franzen, Spektrum Akademi-scher Verlag, Heidelberg, 2006. 221 S., RR 4422,,––. ISBN 978-3827416803.

Ulrich Welsch, Universität München

60 | Biol. Unserer Zeit | 1/2007 (37) www.biuz.de © 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Ö KO LO G I E

Von der Küstebis zur Tiefsee Hier ist ein großer Wurf gelungen!Über 70 Autoren haben ihre Arbeits-gebiete kompetent und interessantpräsentiert. 332 farbige und 51schwarzweiße Abbildungen ergän-zen den Text. Das Ziel der Herausge-ber besteht darin, die Meeresfor-schung für einen breiten Leserkreisso darzustellen, dass die Wichtigkeitdieser Disziplin offenbar wird. Etwa70 % der Erdoberfläche wird von