Die Verschriftlichung des Nahuatl als Wegbereiter zum Status der Lingua Franca

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Hausarbeit zur Verschriftlichung des Nahuatl als Wegbereiter zum Status der Lingua Franca Mesoamerikas. Wissenschaftliche Verwendung nur unter korrekter Zitierung, Link auf das Dokument oder http://derjesko.de

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Jesko Habert, Spanische Sprachwissenschaft.

Hausarbeit:

Die Verschriftlichung des Nahuatlals Wegbereiter zum Status der

Lingua Franca Mesoamerikas

-Gliederung-

1 Einleitung........................................................................................................................................2

2 Einordnung des Nahuatl...............................................................................................................2

3 Prä-Hispanische Verschri!lichung durch Piktogramme.........................................................3

4 Erweiterte Expansion unter den spanischen Conquistadores................................................4 4.1 Verbreitung durch Allianzen mit den spanischen Eroberern..........................................4

4.1.1 Religion als Träger der Sprache......................................................................................5 4.2 Verschri!lichung im lateinischen Alphabet.......................................................................6 4.3 Beein"ussung der Verbreitung durch spanische Gesetzgebung.....................................9

5 Zusammenfassung und Schluss.................................................................................................10

Literaturverzeichnis....................................................................................................................11

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1. Einleitung

Von der ehemaligen Sprachvielfalt in Mi#elamerika ist heute nicht mehr viel zu sehen. Neben der meist-

gesprochenen Sprache Spanisch existieren einige wenige Indiosprachen, deren Sprecher von Jahr zu Jahr

einen geringeren Prozentsatz der Gesellscha! ausmachen – die meisten dieser Sprachen sind außerhalb des

Landes meist nicht einmal vom Namen her bekannt. Lediglich das Nahuatl tut sich als vergleichsweise be-

deutendste Indiosprache hervor, obgleich auch diese Sprache stetig an Bedeutung verliert. Lange Zeit

jedoch war das Nahuatl nicht weniger als die Lingua Franca des von Paul Kirchhoff als „Mesoamerika“1 be-

zeichneten Hochkultur-Gebietes im heutigen Mexiko. Die Expansion der unter anderem von den Azteken

gesprochenen Sprache ist mehreren Faktoren zu verdanken. Ein wichtiger Aspekt, der selbstverständlich mit

den anderen Ein"üssen verbunden ist, war die Tatsache, dass das Nahuatl auch in verschri!lichter Form

existierte: selbiges lässt sich, was die Piktogramm-Schri! vor Ankun! der Spanier betri%, sonst fast nur von

den Maya-Sprachen auf der Halbinsel Yucatan sagen. Dies allein ha#e das Nahuatl bereits zu einer

verbreiteten Handelssprache werden lassen, als die Spanier unter Cortés das mi#elamerikanische Festland

erreichten – gestärkt wurde dieser Status jedoch noch in den folgenden zwei Jahrhunderten, da die Spanier

das Nahuatl auch in lateinischen Buchstaben verschri!lichten – ein Privileg, dass das Nahuatl zu einer der

bestdokumentierten Eingeborenensprachen Amerikas macht. Ich möchte nun darlegen, wie es zu dieser

Bedeutungssteigerung des Nahuatl kam und welche Rolle die lateinische Verschri!lichung dabei spielte.

2. Einordnung des Nahuatl

Das Nahuatl als Sprache gehört zur Sprachfamilie der uto-aztekischen Sprachfamilie, die in Nord- und

Mi#elamerika vertreten ist. Die zwei Hauptzweige des Uto-Aztekischen sind das Pochutec und das

Aztekische (im Englischen differenzierter als „General Aztec“), zu letzterem zählt auch das Nahuatl in

seinen zentralen und peripheren Ausprägungen2.

Das Nahuatl ist eine agglutinierende und polysynthetische Sprache und ist aufgrund dessen für Europäer

o! schwer aussprechbar. Heute wird die Sprache in ihren verschiedenen Dialekten von ca. 1,5 Millionen

meist bilingualen Sprechern genutzt, die zum größten Teil in Zentralmexiko leben. Bis etwa zwei Jahrhun-

derte nach Ankun! der Spanier umfasste die geographische Verbreitung jedoch ein Gebiet von Nordmexi-

1 vgl. Kirchhoff, P. 1960:92-1072 vgl. Suárez, J.A., 1983:149

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kos bis Honduras. Man geht davon aus, dass Nahuatl seit dem 7. Jahrhundert n.Chr. gesprochen wurde3.

3. Prähispanische Verschri!lichung durch Piktogramme

Zwar werde ich mich in der vorliegenden Arbeit hauptsächlich der lateinischen Verschri!lichung des

Nahuatl widmen, eine Betrachtung der prähispanischen Schri! ist allerdings Voraussetzung für ein

Verständnis der Situation, die die Spanier beim ihrer Ankun! in Mexiko vorfanden. Denn die neue

Verschri!lichung der spanischen Missionare trug zwar zu beträchtlichem Teil zur weiteren Verbreitung des

Nahuatl bei (s.u.), der Grundstein für diese Entwicklung war jedoch bereits durch die Piktogrammschri!

und die Expansionen der Azteken gelegt worden.

Der Ursprung der Schri!, die auf Piktogrammen, Ideogrammen und Logogrammen basiert (wobei

letztere weitaus weniger "exibel waren als die der Maya-Schri!en), ist genauso schwer nachzuweisen wie die

Herkun! des Nahuatl an sich. Viele Linguisten stimmen darin überein, dass das Uto-Aztekische (und damit

auch zumindest teilweise der Ursprung der Schri!) aus dem Südwesten der heutigen USA stammt4

(vermutlich 500 n.Chr., also lange vor Ankun! der Azteken5). Die Art der hieroglyphalen Verschri!lichung

an sich scheint von den Zapoteken übernommen worden zu sein, was sich vor allem aufgrund der

Suffixposition von numerischen Zeichen.6

Die Nahuatl-Schri! an sich war nahezu unabhängig von dem gesprochenen Nahuatl, da die Icons7 i.d.R.

keine Phone bzw. Phoneme darstellen. Sta#dessen bestand sie aus direkten Verbildlichungen (wie z.B. Dar-

stellungen von Gö#ern oder Karten), Logo- oder Ideogrammen (die als konventionalisierte Zeichen ganze

Wörter darstellten)8 und nur in begrenztem Umfang aus phonetischen Piktogrammen (die abgeleitet von

einem Logogramm einen Laut repräsentierten und v.a. für Namen benutzt wurden9).10 Die Hieroglyphen-

Schri! war also mehr als mnemotechnische Erzählhilfe konzipiert, denn als tatsächlich lesbare Schri!.

Durch diese (relative) Unabhängigkeit zwischen Sprache und Schri! konnte sich die Piktogrammschri!

relativ leicht in dem von den Azteken eroberten Gebiet verbreiten, da auch anderssprachige Indios die

Schri! dem Sinn nach verstehen konnten, ohne ein Wort Nahuatl sprechen können zu müssen11. Das

3 vgl. ebd.4 vgl. Kaufman, T., 2001:3f5 vgl. ebd.:56 vgl. Justeson, J. 1986:4497 Einteilung in Index, Icon und Symbol nach Peirce, vgl. Peirce, C., 19988 vgl. Lockhart, J., 1992:327f9 z.B. Symbol für atl = Wasser zur Darstellung des Lautes A. (siehe Abb. 1, ebd.:329)10 vgl. ebd.:327f11 vgl. Carmack, R. et al. 2007:426

3Abb. 1: Nahuatl-Logogramm "atl" (Wasser)

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Erlernen der Schri! förderte dann in Folge auch das Sprechen des Nahuatl als Verkehrs- und

Handelssprache im aztekischen Imperium, so dass in gewisser Weise schon vor Ankun! der Spanier von

e i n er lingua !anca ausgegangen werden kann – getragen durch die erste Verschri!lichungs- und

Expansionswelle, initiiert vom sich ausbreitenden aztekischen Imperium.

4. Erweiterte Expansion unter den spanischen Conquistadores

Als die spanischen Conquistadores das mesoamerikanische Festland erreichten, fanden sie eine große

Menge an Sprachen und Dialekten der Indios vor. Eine tatsächliche Zählung der Sprachen ist nicht möglich,

da die Sprachbezeichnungen der Indios selbst häu'g widersprüchlich waren. So fanden sich in

benachbarten Dörfern unterschiedliche Bezeichnungen für die gleiche Sprache, oder die gleichen Namen

für eine vollkommen andere Sprache. Schätzungen zufolge kann es jedoch im mesoamerikanischen Raum

über 120 unterschiedliche Sprachen bzw. Dialekte12 gegeben haben. Eine Sprache fand jedoch besondere

Beachtung bei den Spaniern – das Nahuatl. Dies ha#e zwei Gründe: Erstens zählte sie mit zu den ersten

Sprachen, die die Spanier überhaupt auf dem Festland antrafen, zweitens war der Nahuatl-Dialekt von

Tenochtitlán zu diesem Zeitpunkt bereits über einen größeren Raum als Handelssprache verbreitet (s.o.).

So kam es, dass das Nahuatl in der frühen Phase der Kolonialisierung eine erweiterte Expansion erfuhr,

und sich aufgrund mehrerer Faktoren über ein großes Gebiet in Mi#elamerika ausbreitete.

4.1. Verbreitung durch Allianzen mit den spanischen Eroberern

Einer der Faktoren, die trotz, oder gerade wegen der Spanier zu einer erweiterten Verbreitung des

Nahuatl führte, war die Bildung von Allianzen zwischen Indios und Spaniern. Zwar ist unbestreitbar, dass

vor allem langfristig ab der Ankun! der Spanier im Jahr 1519 das Nahuatl als dominante Regionalsprache

abgelöst wurde, nichtsdestoweniger konnten erst die Eroberungszüge der Spanier zu einer Verbreitung des

Nahuatl bis nach Honduras und El Salvador beitragen. Die ersten Bündnisse wurden zwischen den Spaniern

und dem Nahua-Staat Tlaxcala eingegangen. Tlaxcala war ein Stadtstaat, der sich bereits über längere Zeit

mit dem aztekischen Imperium im Krieg befand, als es zum ersten feindlichen Aufeinandertreffen mit den

Spaniern kam. Dem Conquistador Bernal Diaz del Castillo zufolge war der Indiostaat den Neuankömm-

lingen nahezu überlegen13 – entschied sich dann jedoch, sta# einer weiteren kriegerischen Auseinander-

12 vgl. Bonilla Sanchez, J.L., o.J.:213 vgl. Hassig, R., 2001: 1ff

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setzung ein Bündnis gegen die Azteken zu schmieden.14 Die Allianz aus Spanien und Tlaxcala hielt über

einen langen Zeitraum hinweg und sicherte dem Stadtstaat einen privilegierten Status im eroberten Mexiko.

Zusammen mit einigen anderen (kleineren) Völkern wie den Totonacs waren die Tlaxcala maßgeblich für

die Eroberung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlán am 13. August 1521 verantwortlich – im spa-

nischen Heer befanden sich schätzungsweise rund 200.000 mexikanische Verbündete, während der

spanische Anteil unter Cortés nur knapp über tausend Mann betrug.

Nach der Eroberung Tenochtitláns und der folgenden Niederlage des aztekischen Imperiums waren die

Spanier die neue dominante Macht Mesoamerikas, und einige weitere Nahua-Völker (darunter auch

Azteken) schlossen sich dem Eroberungszug an. Auch wenn demnach verschiedene Dialekte unter den

spanischen Verbündeten gesprochen wurden, war das mexikanische Nahuatl, später auch als Klassisches

Nahuatl bezeichnet, aufgrund seiner früheren Verbreitung durch die Azteken allgemeine Verkehrssprache

(siehe auch 4.3). So verbreitete sich das Nahuatl mit den tausenden Nahua-Soldaten (v.a. Tlaxcala) in den

spanischen Truppen in den nächsten Jahrzehnten im Norden und Süden Mesoamerikas, wobei sie ein Ge-

biet vom Süden der heutigen USA bis nach Guatemala abdeckten. In Nordmexiko und im Süden der USA

bildeten sich o! Stad#eile mit Tlaxcala-Soldaten nahe bestehender Orte, um die spanische Vorherrscha!

auch nach deren Weiterziehen zu garantieren und die Missionierung der Jesuiten fortzuführen (siehe 4.1.1).

Die Siedlungen der Nahua-Völker wurden o! nach diesen benannt und tragen noch heute ihren Namen – so

'ndet sich in Honduras ein barrio namens „Mexicapa“ und in El Salvador eines namens „Mejicanos“.

4.1.1. Religion als Träger der SpracheSchon bei den ersten Eroberungszügen der Spanier wurden die Soldaten von Missionaren begleitet, die

den Indios die katholische Religion nahebringen wollten. Gerade im späteren Verlauf der Kolonialisierung

war dies zwar häu'g an die spanische Sprache gebunden, was indirekt die Herrscha!ssituation der Spanier

ausbaute – dies ist jedoch eine andere (ematik und soll hier nicht behandelt werden. Anfangs hingegen

nutzten die religiösen Orden der Franziskaner, Dominikaner und Jesuiten das Nahuatl, um den Indios zum

Christentum zu bekehren. Dies ha#e den selben Grund, der auch zur Etablierung des Nahuatl als Handels-

und Kommunikationssprache zwischen den Soldaten geführt ha#e: es war die einfachste Möglichkeit, mit

so vielen Indio-Völkern wie möglich zu kommunizieren, ohne mehrere Sprachen lernen zu müssen, da das

Nahuatl, wie bereits oben erwähnt, schon eine gewisse Verbreitung hinter sich ha#e. So förderten die

Missionare den Austausch zwischen Nahuatl und Spanisch und sorgten für die ersten Grammatiken und

Lexika (siehe vor allem 4.2).

14 vgl. MacLean, R., 2003

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In ihrem Bestreben, die christliche Religion zu verbreiten, trugen die Missionare so maßgeblich zu der

Akzeptanz des Nahuatl innerhalb der Reihen der Spanier bei; auch wenn natürlich nicht aus den Augen

verloren werden darf, dass dies keineswegs ein intendierter Effekt gewesen ist und die Christianisierung

einen ebenso starken wenn nicht stärkeren, für die Nahuas negativen Effekt zur Folge ha#e: die Bildung

einer autoritativen Machtstruktur, wie sie Popitz (in „Phänomene der Macht“15) als elementar für eine

dauerha!e Beherrschung und Unterdrückung beschreibt.

4.2. Verschri!lichung im lateinischen Alphabet

Wie bereits im Abschni# 3 behandelt wurde, gab es bereits vor Ankun! der Spanier eine

Verschri!lichung des Nahuatl in Form von Piktogrammen und Ideogrammen, die jedoch als weniger

"exibel und ausgebaut als die Maya-Schri! gilt. Von den originalen Piktogramm-Schri!en in Nahuatl

existieren heute nur noch wenige Exemplare, da der Großteil von den Spaniern zerstört wurde – dank der

Auseinandersetzung der christlichen Orden mit der Indio-Sprache gibt es jedoch einige Codices mit

Darstellungen der alten Schreibweise, die jedoch hauptsächlich aus der Zeit nach 1540 stammen16. Die

Verschri!lichung, um die es jedoch in diesem Kapitel geht, ist die auf dem lateinischen Alphabet beruhende

Kodizierung des Nahuatl.

Die lateinische Verschri!lichung des Nahuatl geht zu großen Teilen auf die christlichen Orden zurück,

die auf diese Weise die Verbreitung ihres Glaubens fördern wollten (siehe 4.1.1.). Sie brachten den Nahuas

das lateinische Alphabet bei und transkribierten das Nahuatl über die spanische Phonologie. Die Anfänge

der lateinischen Verschri!lichungen des Nahuatl sind nur in geringem Ausmaß dokumentiert. In Schri!en

von verschiedenen Franziskaner-Mönchen (v.a. Sahagún, Olmos und Motolinia)17, die laut James Lockhart

von Nahuatl-Quellen bestätigt werden18, wird der Anfang dieses Prozesses um 1530 datiert. Die

Franziskaner, vor allem in Ballungsräumen wie Mexiko-Stadt und Tlaxcala, reduzierten nicht nur im

eigenen Interesse das gesprochene Nahuatl auf das lateinische Alphabet, sondern brachten auch ihren

Nahua-Schülern das Schreiben ihrer Sprache in römischen Buchstaben bei. Das Alphabet fand schnell

Anklang und verdrängte die Piktogramm-Verschri!lichung innerhalb weniger Jahre, und es entstand eine

Vielzahl von Dokumenten jeglicher Art in den Jahren nach 154019. Gerade die mit den Spaniern

verbündeten Völker nutzten die Möglichkeit häu'g, in den von den Orden gegründeten Schulen (z.B. das

15 vgl. Popitz, H., 198616 vgl. Lockhart, J.,199217 vgl. ebd:330f18 vgl. ebd.: 33019 vgl. ebd.

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Colegio de Santa Cruz de Tlatelolco ab 1536), das Schreiben sowohl von Nahuatl als auch Spanisch zu

lernen und schufen eine intensive Schri!kultur. Schon wenige Jahrzehnte nach Ankun! der Spanier gab es

zahlreiche Schri!stücke aus Prosa, Poesie und Sachtexten bzw. Kontrakte in lateinisch geschriebenem

Nahuatl – heute zählt Nahuatl als die am besten dokumentierte Indianersprache mit der mit Abstand

größten Schri!kultur. Auch spanische Priester lernten in den Schulen das Schreiben der mexikanischen

Sprache, um einen Kontakt zu den Einheimischen au)auen zu können, und trugen so zur weiteren

Popularisierung der Verschri!lichung bei. Zwar war die Alphabetisierung unter den Nahuas ebenso niedrig

wie bei den Spaniern (wenn nicht niedriger), nichtsdestoweniger gab es bis etwa 1570 selbst in den

kleinsten Dörfern einen oder wenige Schreibkundige, o! in Kreisen der hohen Klassen, die ihre Sprache in

der neuen Weise schreiben konnten.20 Selbstverständlich muss dies als "ießender Prozess verstanden

werden – während wenige Schreibkundige bereits europäisch-orientierte Schri!en verfassten, dominierte

anfangs eine am Nahuatl orientierte „Geschichtsschreibung“, o!mals auch in Kombination mit der

piktogra'schen Schri!, die mehr und mehr von europäisch-christlichen Symbolen durchsetzt wurde. Gegen

Ende des 16. Jahrhunderts war die lateinische Verschri!lichung allgemeiner Standard unter den Nahuas.21

Wie Noguez beschreibt, ist schließlich tatsächlich von einem Status der Lingua Franca zu sprechen:

„[...] la nueva escritura completamente fonética registrada con el alfabeto latino, logra imponerse como un

medio de comunicación generalizado no solamente de los nahuas, sino también de otras etnias. Una interesante

consecuencia de este fenómeno es la posesión, por parte de todos los grupos indígenas coloniales, no sólo de

una lingua franca, sino también de un medio de transmisión „universal“ por medio de la escritura traída por los

conquistadores.“22

Im Zuge des Übergangs von der alten zur neuen Schri!weise in der Mi#e des 16. Jahrhunderts

entstanden auch diverse Dokumente, die sowohl Piktogramme als auch lateinische Schri! aufweisen,

letztere teils in Spanisch, teils in Nahuatl. So zeigt der „Otlazpan Codex“ von 1549 Abrechnungen von

Steuern und Beamtenentlohnungen sowohl in den alten Piktogrammen, als auch, in scheinbar speziell dafür

vorgesehenen Freiräumen, spanische Beschreibungen, die o!mals erweiterte, vermutlich auf

ausgesprochenem Nahuatl beruhende Informationen enthalten.23 Eine ähnliche Durchmischung lässt sich

auch in anderen Codizes (z.B. dem „Codex Vergara“ oder dem „Codex Osuna“) wieder'nden. 24

20 vgl. Lockhart, J., 1992:330f21 vgl. ebd.22 Noguez, X., 2002:171f23 vgl. Lockhart, J., 1992:345f24 vgl. ebd.

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In der in den 1550er Jahren entstanden sogenannten „Historia Tolteca-Chichimeca“25 sind ebenfalls

beide Schreibweisen in beeindruckender Stärke vertreten – während ganze Seiten mit detaillierten, bunten

Piktogrammen versehen sind, wird das Dokument vor allem von seiner ordentlichen und korrekten

lateinischen Schri! des Nahuatl zusammengehalten. O! ist die alphabetische Schri! eine einfache

Wiedergabe des mit den Piktogrammen beschriebenen Inhaltes, manchmal ergänzen sie diesen jedoch auch.

Lockhart beschreibt in „(e Nahuas a!er the conquest“ eine entsprechende beispielha!e inhaltliche

Beziehung von Piktogrammen und Schri!:

„At the bo#om is another drawing followed by a year glyph. In the main drawing, to the le! is a mountain (the

conventional symbol of an altepetl) surmounted by a basket. To the right is a water symbol, strongly curved, and

inside it a decapitated and bleeding person, with a dart entering his neck (the symbol of defeat); the bird dart

again identi'es the Totomihuaque. (e text, a!er giving the year, reads: «(in this year) the se#lement of the

Totomihuaque at Chiquihtepec [literally, Basket Mountain] was destroyed. At this time they se#led at

Axomolco [literally, Water Corner].» Here, though the text is very close to the picture, one can sense the impact

of an accompanying oral component.“ 26

Sowohl hier, als auch in anderen zeitnahen Dokumenten etablieren sich die Piktogramme als

Beschreibung wichtiger, hervorzuhebener Elemente ( Jahre, Ereignisse, Personen etc.), während das

lateinische Alphabet diese um die weniger wichtigeren ergänzt.27 Mit der Zeit verlieren die Piktogramme

jedoch zunehmend an inhaltlicher Bedeutung und begleiten die Schri! als nurmehr verzierende Elemente

nach Art der europäisch-mi#elalterlichen Schreibkunst. 28 Hierzu schreibt Noguez:

„Los íconos de los códices van desempeñando un papel cada vez menos importante en la articulación

transmisora de mensajes. El lenguaje glí'co se ve desplazado a un papel secundario, a manera de las viñetas de

los libros europeos, en favor de un texto más importante escrito con el alfabeto latino y que puede comunicar

toda clase de información, sin necesidad de apoyo grá'co, en español o en alguna lengua indígena.“29

Bereits 1547, und damit bereits drei Jahre vor der ersten französischen Grammatik, war die erste

Nahuatl-Grammatik von Andrés de Olmos geschrieben worden. Im nächsten Jahrhundert entstanden vier

weitere ausführliche Grammatiken, darunter die von Horacio Carochi im Jahr 1645, die heute als die

wichtigste Grammatik des klassischen Nahuatl der Kolonialzeit gilt.

25 vgl. ebd. 34826 Lockhart, J., 1992:348ff, cita y comentario del autor.27 vgl. ebd. 35028 vgl. ebd. 35129 Noguez, X., 2002:171

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4.3. Beein"ussung der Verbreitung durch spanische Gesetzgebung

Im ersten Jahrhundert nach Beginn der Conquista ha#en die oben erwähnten Faktoren maßgeblich zur

weiteren Verbreitung des Nahuatl beigetragen. Letztendlich jedoch hing das Vizekönigreich Neuspanien

von den Gesetzen des spanischen Königs ab, und so ist es nicht verwunderlich, dass die spanische

Gesetzgebung als juristische Grundlage die Verbreitung des Nahuatl förderte – und in späteren Zeiten

behinderte (s.u.). Shirley Brice Heath hält beispielsweise in ihrem Werk „La Politica del Lenguaje en

México“ fest:

Ya en 1535 Carlos V había encomendado a los religiosos de la Nueva España la responsabilidad de alfabetizar a

los indios, pero los frailes tenían gran necesidad de ayudantes que supieran leer y escribir, y por lo tanto,

enseñaron a sus mejores estudiantes a leer y a escribir no sólo en náhuatl sino también en latín.30

Hieraus wird deutlich, dass der bereits oben beschriebene Prozess, der zur einer lateinischen

Verschri!lichung des Nahuatl einerseits und der Beherrschung dieser Schri! von Nahuas andererseits

führte, nicht unwesentlich von dem Befehl des spanischen Königs Carlos V. ausgegangen zu sein scheint.

Im Jahr 1570 erklärte Felipe II von Spanien Nahuatl gar zur offiziellen Sprache des Vizekönigreichs Neu-

Spanien, um die Kommunikation zwischen Spaniern und Einheimischen voranzutreiben. Zusammen mit

den in Punkt 4.1 und 4.2 dargelegten Faktoren trug dies maßgeblich zur Verbreitung des Nahuatl in

Mesoamerika bei. Getragen von den Missionaren und den Nahua-Soldaten im spanischen Heer verbreitete

sich die nun lateinisch verschri!lichte Sprache bis nach Honduras. In dieser Zeit, in der das Nahuatl in

einigen Gegenden sogar das Spanisch als Administrationssprache verdrängte, entstand der Großteil der

Nahuatl-Literatur sowie mehrere Codices und das Nahuatl-Spanisch/Spanisch-Nahuatl Wörterbuch von

Alonso de Molina.

30 Brice Heath, S., 1972:55

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5. Zusammenfassung und Schluss

Betrachtet man die verschiedenen Phasen der Verschri!lichung des Nahuatl, fällt auf, dass sie stets eine

Expansion des Sprachraums nach sich zogen, auch wenn dies keineswegs ausschließlich der

Verschri!lichung zuzuschreiben ist. Nachdem die Piktogramm-Schri! einigermaßen gefestigt und

konventionalisiert war (obgleich dies nicht im selben Ausmaß wie mit der Maya-Schri! geschah) verbreitete

sich das Nahuatl in kurzer Zeit über einen vergleichsweise großen Raum Mesoamerikas. Die kaum

vorhandene Unterscheidung von form/meaning und referent31 (da die Piktogramm-Schri! Icons anstelle der

in europäischen Sprachen üblichen Symbole benutzt32) ermöglichte eine Nutzung der Schri! von sämtlichen

eroberten Völkern, gleich welcher Sprache. Über das Erlernen der Piktogramm-Schri! konnte sich dann

auch die gesprochene Sprache etablieren, was wiederum das aztekische Reich, welches durch seine

Eroberungen die Schri! und Sprache überhaupt erst in diese Gegenden brachte, in seiner politischen

Struktur und Kultur festigen konnte.

Einen ähnlichen Prozess kann man nach der Einführung der lateinischen Verschri!lichung betrachten.

Gerade durch die für Mesoamerika neue Verknüpfung von Sprache und Schri!, also einer genauen

Wiedergabe der Sprache durch letztere mi#els der Abstrahierung und Distanzierung der form vom referent

(weshalb erst die Verbindung aus meaning nötig wird) in der Schri! (also einer diesbezüglichen

Angleichung an die Sprache), fand die neue Schreibweise schnell Anklang, da nun exaktere Aufzeichnungen

angefertigt werden konnten. Getragen von diesem neuen Konzept konnte das Nahuatl (das als solches ja

bereits in einem verbreiteten Gebiet bekannt war) sich über einen noch weiteren Raum ausbreiten und

festigen – auch hier ermöglichte die neue Schreibweise eine Verfestigung des neuen Systems, auch wenn der

Umweg erst über das Nahuatl zur katholischen Religion und darüber erst zu den Spaniern führte.

Es lässt sich also sagen, dass die Verschri!lichung des Nahuatl eine nicht unbedeutende Rolle im Prozess

der jeweiligen Machtergreifung gespielt hat und im Einklang mit dieser das Nahuatl an sich (auch in

gesprochener Form) verbreitete und bis zu einem Status der lingua !anca standardisierte.

31 Nach dem Modell des semiotischen Dreiecks, vgl. Pelz, H., 1996:4532 Einteilung in Index, Icon und Symbol nach Peirce, vgl. Peirce, C., 1998

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