Daniel Schmidt/ Michael Sturm/ Massimiliano Livi (Hrsg.), Wegbereiter des Nationalsozialismus

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    Schriftenreihe

    desInstitutsfrS

    tadtgeschichte

    Materialien,

    Bd.19

    DANIEL SCHMIDT/MICHAEL STURM/MASSIMILIANO LIVI (HG.)

    PERSONEN, ORGANISATIONEN

    UND NETZWERKE DEREXTREMEN RECHTEN 19181933

    WEGBEREITERDES NATIONALSOZIALISMUS

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    Daniel Schmidt/Michael Sturm/Massimiliano Livi (Hrsg.)

    Wegbereiter desNationalsozialismus

    Personen, Organisationen und Netzwerke

    der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933

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    Titelabbildung:Ausschnitt aus:Stadtarchiv Gelsenkirchen, Fotosammlung I, Bild-Nr. 00174:Freikorpssoldaten in einem geplnderten Buch- und Papierlager, Buer 1919

    1. Auflage Dezember 2015Satz und Gestaltung:Klartext Medienwerkstatt GmbH, Essen (www.k-mw.de)Umschlaggestaltung:Volker Pecher, EssenDruck und Bindung:Prime Rate, BudapestISBN 978-3-8375-1303-5

    Alle Rechte vorbehalten Klartext Verlag, Essen 2015

    www.klartext-verlag.dewww.institut-fuer-stadtgeschichte.de

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    Inhalt

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    Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    Vlkische Formation

    Uwe Lohalm/Martin Ulmer

    Alfred Roth und der Deutschvlkische Schutz- und Trutz-BundSchrittmacher fr das Dritte Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

    Alexandra Esche

    [D]amit es auch wirklich etwas Gutes wird!Max Robert Gerstenhauers Weg in die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

    Stefanie Schrader

    Vom Partner zum Widerpart

    Die Deutschvlkische Freiheitspartei und ihr Wahlbndnis mit der NSDAP . . 55

    Paramilitrische Wurzeln

    Jan-Philipp Pomplun

    Keimzellen des Nationalsozialismus?Sozialgeschichtliche Aspekte und personelle Kontinuitten

    sdwestdeutscher Freikorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

    Alexander Graf

    Studentenverbindungen zwischen Erstem Weltkriegund Drittem Reich umworben und bekmpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

    Martin Moll

    Konfrontation Kooperation FusionDas Aufgehen des Steirischen Heimatschutzes

    in der sterreichischen NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

    Manfred Wichmann

    Die Konzeption einer Weien Internationale bei Waldemar Pabst . . . . . . . . . 125

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    Regionale Netzwerke

    Brigitte Zuber

    Im Netz bayerischer ElitenSchaltstellen zwischen Wirtschaft, Staat, Kirche und Paramilitr1916 bis 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

    Detlef Schmiechen-Ackermann

    Zwischen vlkischer Prgung und reaktionrem ModernismusPolitische Herkunft und Karriereverlufe fhrender NS-Funktionrein den Gauen Sdhannover-Braunschweig und Osthannover . . . . . . . . . . . . . . 161

    Hansjrg BussFriedrich Andersen und der Bund fr Deutsche Kirchein der schleswig-holsteinischen Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

    Wegbereiterinnen

    Heidrun Zettelbauer

    Landkarten der Radikalisierung und vlkische Geschlechteridentitten

    Selbsterzhlungen von Edith Grfin Salburg (18681942) . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

    Annika Spilker

    Rechtsextremes Engagement und vlkisch-antisemitischePolitikvorstellungen um Mathilde Ludendorff (18771966)und die Frauengruppen im Tannenbergbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

    Anhang

    Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

    Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

    A b b i l d u n g s n a c h w e i s e . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 7 5

    Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

    Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282Organisationsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

    Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

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    Einleitung

    Die Bewegungsphase des Nationalsozialismus hat bereits Generationen von Forsche-rinnen und Forschern beschftigt. Dementsprechend ruht das Wissen ber die Bedin-gungen, unter denen sich der Aufstieg der NSDAP von einer vlkischen Politsekte zueiner neuartigen Massenbewegung und Catch-All-Party vollzog, bereits seit langemauf einem soliden Fundament.1Vor diesem Hintergrund hat die historische Forschung

    die Inkubationszeit des Nationalsozialismus zuletzt mit deutlich geringerer Intensittbearbeitet als die folgende Regimephase des Dritten Reiches. Da sich infolge desHistorikerstreits der spten 1980er Jahre die Erkenntnis durchsetzte, ber den Juden-mord ebenso wie ber andere Verbrechenskomplexe des Dritten Reiches, ber Tterebenso wie ber Opfer, letztlich kaum ber empirisch belastbares Wissen zu verfgen,wandte sich die Geschichtswissenschaft seit den 1990er Jahren zunehmend diesenAspekten zu. In Gestalt der Tterforschung entwickelte sich gar eine eigenstndigeForschungsrichtung, aus der heraus zuletzt auch wichtige Impulse fr einen neuen Blickauf die NS-Gesellschaft erfolgten, die eng mit dem Forschungsparadigma Volksge-

    meinschaft verknpft sind.2Im Schatten dieser Haupttrassen der jngeren NS-For-schung haben sich aber Anstze entwickelt, die sich im Lichte neuer Problemstellungenmit der Aufstiegsphase des Nationalsozialismus befassen. Sie knpfen oftmals an Fragenan, die biographische bzw. kollektivbiographische Studien im Hinblick auf die Herkunftund die Sozialisation spterer NS-Tter aufgeworfen haben,3im Regelfall jedoch ohneihren jeweiligen Gegenstand blo vom Ende her, also beispielsweise dem Verlauf einerparadigmatischen NS-Karriere, zu denken. In den vergangenen Jahren erschienen ein-schlgige Untersuchungen, die sich fr den Zeitraum zwischen 1918 und 1933 u. a. mit

    der Bedeutung paramilitrischer Akteure und Zusammenhnge,4

    mit rechtskonservati-

    1 Vgl. u. a. W. Jochmann, Nationalsozialismus, 1963; U. Lohalm, Radikalismus, 1970; J. Noakes,Nazi Party, 1971; W. Horn, Fhrerideologie, 1972; W. Bhnke, NSDAP, 1974; M. H. Kater,Studentenschaft, 1975; D. W. Mhlberger, Rise, 1975; H. Auerbach, Lehrjahre, 1977; J. Falter,Whler, 1991.

    2 Zur Entwicklung der Tterforschung sowie der jngeren NS-Forschung vgl. u. a. H. Mommsen,Forschungskontroversen, 2007; M. Wildt, Epochenzsur, 2008; I. Kershaw, Volksgemeinschaft,

    2011; M. Wildt, Von Apparaten, 2011; M. Steber/B. Gotto, Volksgemeinschaft, 2014; Bajohr,Tterforschung, 2015.

    3 So vor allem U. Herbert, Best, 1996, M. Wildt, Generation, 2008.4 Vgl. u. a. B. Campbell, SA Generals, 2004; B. Sauer, Schwarze Reichswehr, 2004; M. Sprenger,

    Landsknechte, 2008; R. Gerwarth, Counter-Revolution, 2008; K. Gietinger, Konterrevolutio-nr, 2009; D. Schmidt, SA-Fhrer, 2012; Bergien, Bellizistische Republik, 2012.

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    ven Organisationen und Netzwerken,5mit der bndischen Jugend bzw. der Sozialisationjugendlicher Deutscher6sowie mit dem Engagement von Frauen im vlkisch-nationa-listischen Spektrum7auseinandergesetzt haben.

    Diese Entwicklungen standen im Herbst 2013 im Mittelpunkt der Tagung Wegbe-reiter des Nationalsozialismus, die das Institut fr Stadtgeschichte Gelsenkirchengemein-sam mit dem Exzellenzcluster Religion und Politik der Universitt Mnster und demGeschichtsort Villa ten HompelMnster im Gelsenkirchener Hans-Sachs-Haus ausge-richtet hat. Im Titel knpfte die Veranstaltung an ein Diktum von Alfred Roth, Haupt-geschftsfhrer des Deutschvlkischen Schutz- und Trutzbundes, an, der fr sich 1939explizit in Anspruch nahm, Wegbereiter des [] Dritten Reiches8gewesen zu sein.Ihr Fokus lag auf Personen, Organisationen und Netzwerken, die zwischen 1919 und1933, also in dem Zeitraum, den die Nationalsozialisten spter als Kampfzeit mythisch

    berhht haben, den Aufstieg des Nationalsozialismus organisierten oder ihm Vorschubleisteten, auch wenn sie selbst nicht unbedingt Teil der NS-Bewegung waren oder wur-den. Ziel der Tagung war es, im empirischen Zugriff das gesamte Spektrum des extremrechten Aktivismus whrend der Weimarer Republik abzuschreiten und dabei vor allemindividuelle und kollektive Akteure sowie deren Organisations- und Handlungszusam-menhnge in den Blick zu nehmen. Der vorliegende Band versammelt einige der fort-geschriebenen und weiterentwickelten Tagungsbeitrge, in denen sich einerseits dasgewachsene Interesse an einem biographischen bzw. kollektivbiographischen Zugangspiegelt und die andererseits vor Augen fhren, dass klassische sozial- bzw. organisa-

    tionsgeschichtliche Anstze angesichts instruktiver Ergebnisse ihre Berechtigung kei-neswegs verloren haben.

    Wegbereiter Zuarbeit und Weggenossenschaft?

    Der Band erhebt indessen weder den Anspruch, eine Gesamtschau des extrem rechtenSpektrums der Zwischenkriegszeit zu liefern, noch offeriert er ein bergreifendes Deu-tungsraster, auch wenn dies die plakative Metapher der Wegbereiter des Nationalso-

    zialismus nahezulegen scheint.Zweifellos einte die hier vorgestellten Akteure, Organisationen und Netzwerke einefundamentaloppositionelle Haltung zur Weimarer Demokratie und den universalisti-schen Postulaten der Aufklrung und der Franzsischen Revolution. Ebenso unstrittigist, dass diese extrem rechten, vlkisch-nationalistischen und paramilitrisch-aktivisti-schen Strmungen in ihrer Gesamtheit einen erheblichen Anteil daran hatten, diedemokratischen Kulturen in Deutschland und auch in sterreich zu unterminieren.

    5 Vgl. u. a. M. Ohnezeit, Opposition, 2011; B. A. Jackisch, League, 2012; L. E. Jones, GermanRight, 2014.

    6 Vgl. u. a. S. Brauckmann, Artamanen, 2005; A. Weinrich, Weltkrieg, 2013; R. Ahrens, Jugend,2015.

    7 Vgl. u. a. C. Streubel, Nationalistinnen, 2006; M. Livi, Fhrerinnen, 2012.8 A. Roth, Kampfzeit, 1939, S. 11.

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    Einleitung

    In dieser Perspektive trugen sie durchaus dazu bei, dem Nationalsozialismus imwrtlichen Sinne den Weg zu bereiten. Gleichwohl erscheinen die oftmals synonymverwandten Termini Wegbereiter, Steigbgelhalter oder Bndnispartner in mehr-facher Hinsicht als zu eindimensional. Die extreme Rechte in Deutschland und ster-reich, das verdeutlichten nicht zuletzt die Tagungsbeitrge, stellte abgesehen von ihrernotorischen Ablehnung der Demokratie in ihren weltanschaulichen Grundpositio-nen, programmatischen Entwrfen und strategischen Erwgungen ebenso wie in ihrenOrganisationsformen und politischen Praktiken ein in sich hchst differenziertes, hu-fig durch ideologische Grabenkmpfe und persnliche Animositten geprgtes Spekt-rum dar. Besonders das Verhltnis der unterschiedlichen Akteure und Gruppierungenzum Nationalsozialismus war durch temporre, regionale und personelle Bndnissesowie bisweilen ostentative Nhe, aber auch durch Distanzierungsprozesse, Verwerfun-

    gen und unverhohlene Konkurrenzen gekennzeichnet. Mit Blick auf die Orientierun-gen, der auch wiederum weltanschaulich uerst heterogenen, vorwiegend publizistischin Erscheinung tretenden Protagonisten des Neuen Nationalismus whrend der Zwi-schenkriegszeit hat Stefan Breuer von zeitweiliger Weggenossenschaft und Zuarbei-tung gesprochen, die jedoch fr eine Interferenz eigenstndiger Entwicklungsbah-nen stnden, nicht jedoch fr eine identische Grundhaltung, die nur mit unter-schiedlichen Graden der an Radikalitt verfochten wird.9Kurt Sontheimer bezeichnetedas gleiche Spektrum und deren Vertreter als unbewusste Wegbereiter des National-sozialismus, die im nationalistischen Brimborium der NSDAP lediglich einen

    schwache(n) Abglanz ihrer antidemokratischen Ideale zu erkennen vermochten,sich gleichwohl aber der NS-Bewegung zuwandten, sobald sie sahen, dass der Weg zumneuen Deutschland nur ber sie gehen konnte.10

    Karl-Heinz Roth wiederum hat mit den militaristisch-nationalistischen Kampfbn-den, die in der Freikorpsbewegung wurzelten, der vlkisch-rassistischen Bewegung, dieEnde der 1920er Jahre v. a. in der NSDAP ein Dach fand, der Verbindung von DNVPund Stahlhelm, die auf die Herausbildung einer faschistischen Massenpartei zielte, demintellektuellen Netzwerk der Jungkonservativen und schlielich dem rechten Rand des

    Katholizismus11

    fnf Strmungen der extremen Rechten in der Zwischenkriegszeit iden-tifiziert, die er als unterschiedliche Ausprgungen des Faschismus begreift. Eine gleich-sam ungebrochene ideologische, personelle und organisatorische Entwicklungslinie, dieletztendlich in die nationalsozialistische Machtbernahme mndete, zieht indessenauch Roth nicht. Vielmehr hebt er den er den heterogenen Charakter dieses Spektrumshervor, indem er es als vielschichtiges Netzwerk der sptbrgerlichen Gegenrevolu-tion bezeichnet.12ber seine Kategorisierungen bzw. die von ihm vorgenommeneAusweitung des Faschismusbegriffs liee sich sicherlich streiten, der Hinweis auf die

    9 Vgl. S. Breuer, Anatomie, 1993, S. 193 f.10 Vgl. K. Sontheimer, Denken, 1962, S. 368 f.11 Vgl. K.-H. Roth, Papen, 2003, S. 604607.12 K.-H. Roth, Papen, 2003, S. 624.

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    Heterogenitt der darunter subsumierten Strmungen und deren vielgesichtige Erschei-nungsformen stellen gleichwohl monokausale Deutungsmuster in Frage.

    Insofern wird der Begriff des Wegbereiters hier und in den folgenden Beitrgennicht in einem gleichsam deterministischen Verstndnis gebraucht, sondern als Deu-tungskategorie, die anhand der vorgestellten Fallstudien jeweils neu zu konkretisierenist.

    Vlkische Formation

    Deutlich wird zudem auch, dass sich zahlreiche der hier als Wegbereiter des Natio-nalsozialismus vorgestellten Protagonisten, Organisationen und Netzwerke keineswegserst in der Zwischenkriegszeit formierten und nach gesellschaftlichen, politischen oder

    kulturellen Resonanzrumen strebten. Bereits in den Jahren des Kaiserreichs entstandeine Vlkische Bewegung, die ein ebenso breites wie heterogenes Spektrum aus Orga-nisationen, Netzwerken, Zeitschriftenprojekten und (pseudo)religisen, sektenartigenGruppierungen umfasste, das gleichwohl in der Ablehnung der Moderne und in ihrenaffirmativen Bezgen auf rassische Geschichts- und Gemeinschaftsvorstellungengeeint war.13Mit dem Deutschvlkischen Schutz- und Trutzbund(DvSTB) behandeln UweLohalmund Martin Ulmerin ihrem Beitrag den grten und wichtigsten antisemiti-schem Verband in der Frhphase der Weimarer Republik, dessen ideologische, perso-nelle und organisatorische Wurzeln sich bis in den Wilhelminismus zurckverfolgen

    lassen. Unter der Regie Alfred Roths erreichte der DvSTB nicht nur die durchausbetrchtliche Anzahl von rund 180.000 Mitgliedern, sondern trug mit seiner umfassen-den Agitation und seiner zielgruppenorientierten (Straen-)Propaganda auch darberhinaus wesentlich dazu bei, den eher marginalisierten Vorkriegsantisemitismus auf einebreitere gesellschaftliche Basis zu stellen und ihm so eine neue Dimensionen zu verlei-hen. Mit der Behauptung einer Verschwrung des Weltjudentums, von der Rothgeradezu besessen war, bot der DvSTB eine einfache Erklrung fr die unbersichtlichenKrisenphnomene der Nachkriegszeit an. Bereits frhzeitig war der DvSTB personell

    mit anderen republikfeindlichen Organisationen im rechten Spektrum der WeimarerRepublik verknpft. So konnten Aktivisten des DvSTB gerade in paramilitrisch-natio-nalistischen Verbnden wie z. B. der Marinebrigade Ehrhardtund der aus diesem Frei-korps hervorgegangen Organisation Consulbetrchtlichen Einfluss erlangen und derenzunchst noch diffuse Weltbilder in vlkisch-antisemitische Fahrwasser lenken. Auchzwischen der frhen NS-Bewegung und dem DvSTB bestanden enge Beziehungen,insbesondere in Gestalt zahlreicher Doppelmitgliedschaften. Das Verbot des DvSTB imJahr 1922 setzte schlielich zuvor gebundene Radikale frei, die sich auf die NSDAPzubewegten. Zahlreiche nationalsozialistische Karrieren nahmen ihren Anfang in den

    Reihen des DvSTB.

    13 Dazu u. a. U. Puschner/W. Schmitz/J. Ulbricht, Handbuch zur Vlkischen Bewegung, 1996;U. Puschner, Vlkische Bewegung, 2001.

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    Einleitung

    Auch der Thringer Politiker und Publizist Max Robert Gerstenhauer, den Alexan-dra Eschein ihrem Beitrag in den Blick nimmt, hatte bereits whrend des Kaiserreichseinen Radikalisierungsprozess durchlaufen, bevor er in der Zwischenkriegszeit zu einemmageblichen Protagonisten des organisierten vlkischen Milieus avancierte. Er enga-gierte sich schon um 1900 im Alldeutschen Verband, schloss sich allerdings bald demDeutschbundan, in dem er seine antisemitischen berzeugungen und sein Faible frrassenpolitische Fragen deutlicher formulieren konnte. Nach dem Ersten Weltkriegsetzte sich Gerstenhauer an die Spitze des Bundes: Er reklamierte die geistige Fhrunginnerhalb der vlkischen Bewegung und wollte den altvlkischen Geheimzirkel in eineneuartige politische Kampforganisation umwandeln. Seine Plne scheiterten jedochletztlich an internen Widerstnden. Parallel zu seiner vlkischen Netzwerkarbeit betratGerstenhauer auch die ffentliche Bhne der Parteipolitik: Fr die DNVP und spter

    fr die Wirtschaftsparteisa er im Thringer Landtag. Dabei bewegte er sich vor undhinter den Kulissen immer strker auf die NSDAP zu, die er fr ein ntzliches Vehikelhielt, um der vlkischen Sache Dynamik zu verleihen. Im Jahr 1930 war er einer derArchitekten einer Rechtskoalition, an der erstmalig auch die NSDAP beteiligt war. Alsgraue Eminenz hinter dem nationalsozialistischen Minister Wilhelm Frick nahm Gers-tenhauer betrchtlichen Einfluss auf die Bildungs- und Wissenschaftspolitik des LandesThringen, der sich u. a. in der Berufung fhrender Rassetheoretiker an die Universitt

    Jena zeigte. Angesichts der erfolgreichen Kooperation mit den Nationalsozialistenschlossen sich Gerstenhauer und andere fhrende Mitglieder des Deutschbundesber

    kurz oder lang der NSDAP an. Einflussreiche Positionen blieben ihnen jedoch verwehrt.Im Dritten Reich sollte Gerstenhauer nur eine nachgeordnete Rolle spielen.

    Einer weiteren einflussreichen Gruppierung im vlkischen Spektrum der WeimarerRepublik widmet sich Stefanie Schrader mit der Deutschvlkischen Freiheitspartei(DVFP). Sowohl in ideologischer als auch organisatorischer Hinsicht knpfte diese anden DvSTB an, stand die DVFP doch gleichermaen in der Traditionslinie der vlki-schen Bewegung der Kaiserzeit. Sie ging 1922 aus einer Abspaltung der DNVP hervorund profitierte davon, dass sie einen betrchtlichen Teil des Mitglieder- und Whler-

    potenzials aufnehmen konnte, das der im gleichen Jahr verbotene DvSTB hinterlassenhatte. Die Partei kooperierte zunchst eng mit der NSDAP, der anderen Nachlassver-walterin des DvSTB. Dabei schienen die Deutschvlkischen, so in den Reichstagswahl-kmpfen 1924, bei denen sie auf einer gemeinsamen Liste mit der verbotenen NSDAPantraten, der strkere Partner zu sein. Fr die Nationalsozialisten reichte es zu diesemZeitpunkt allerdings aus, sich durch die Zusammenarbeit mit den Deutschvlkischendas politische berleben zu sichern. Der anschlieende Versuch, beide Parteien zu einerbergreifenden vlkischen Bewegung zu verschmelzen, scheiterte an persnlichen Ani-mositten ebenso wie an Differenzen ber politische und strategische Grundsatzfragen.

    Aus der Wegbegleiterin der NSDAP wurde ein heftig bekmpfter Widerpart. In derzweiten Hlfte der 1920er Jahre kehrten sich die Krfteverhltnisse um: Die NSDAPverstrkte ihre Aktivitten in den norddeutschen Hochburgen der Deutschvlkischenund entfaltete eine wachsende Sogwirkung auf deutschvlkische Aktivisten, darunterauch so prominente Vertreter wie Ernst Graf zu Reventlow und Wilhelm Kube. So

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    versank die Deutschvlkische Freiheitsbewegungnach 1928 in der politischen Versen-kung ihrer historische Bedeutung als Radikalisierungsagentur vlkischer Aktivistenauf dem Weg in den Nationalsozialismus tut dies jedoch keinen Abbruch.

    Paramilitrischer Aktivismus

    Wiesen die vlkischen Formationen der Weimarer Republik in ideologischer und welt-anschaulicher Hinsicht deutliche Kontinuittslinien zur vlkischen Bewegung des Kai-serreichs auf, bildete der in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstehende paramilit-rische Aktivismus eine originr neue Facette im extrem rechten Spektrum. So sind dieFreikorps schon frh als Vorhut des Nationalsozialismus bezeichnet worden und imRahmen des zuletzt gestiegenen Interesses an paramilitrischer Gewalt im Europa der

    Zwischenkriegszeit wieder verstrkt in den Fokus der Forschung gerckt.14

    Im BeitragvonJan-Philipp Pomplunwerden am Beispiel zweier sdwestdeutscher FormationenForschungshypothesen zu den Freikorps, beispielsweise Annahmen ber ihre sozialeZusammensetzung, ihre Attraktivitt fr die jngeren Jahrgnge der Kriegsjugendge-neration sowie ber den Zusammenhang zwischen Kriegserfahrung und Gewaltbereit-schaft, erstmals auf der Basis einer sozialhistorischen Auswertung von Stammrollenberprft. Pomplunkann zeigen, dass die biographischen Kontinuitten von den Frei-korps in NS-Organisationen keineswegs so signifikant sind, dass die Freiwilligeneinhei-ten als Keimzellen des Nationalsozialismus gelten knnen. Zwar nahmen zahlreiche

    exponierte NS-Karrieren ihren Ausgang in den paramilitrischen Formationen derNachkriegszeit, aber die weitaus meisten Freikorpssoldaten lassen in ihren Lebenswegenkeine gesteigerte Nhe zu Nationalsozialismus erkennen.

    hnlich ambivalent fllt der Befund im Hinblick auf die Studentenverbindungenin Deutschland und sterreich nach dem Ersten Weltkrieg aus. Alexander Grafver-weist in seinem Beitrag auf die organisatorische und weltanschauliche Vielschichtigkeit,die dieses Milieu kennzeichnete. Gleichwohl waren auch im verbindungsstudentischenSpektrum Radikalisierungstendenzen unbersehbar, traten zahlreiche Studenten doch

    als Aktivisten der Freikorpsbewegung in Erscheinung. Republik und Demokratie stan-den die Studentenverbindungen berwiegend ablehnend gegenber. Ein bereits seitdem 19. Jahrhundert virulenter Antisemitismus erfuhr vielfach eine erneute Zuspitzung.In diesem Kontext fand der 1926 gegrndeteNationalsozialistische Deutsche Studenten-bund (NSDStB) auch unter den Korporierten Anhnger und Sympathisanten. DieseFeststellung gilt vor allem fr die Deutsche Burschenschaft, wo es, so Graf, Vorbehaltegegen den NSDStB im Wesentlichen nur dort gab, wo man um die Eigenstndigkeitim herbeigesehnten Dritten Reich frchtete. Zwiespltiger fiel hingegen die Haltungder im Cartellverbandorganisierten katholischen Studentenverbindungen aus. Der CV

    distanzierte sich zwar von der nationalsozialistischen Weltanschauung, vlkisches

    14 Vgl. R. G. L. Waite, Vanguard, 1969 [1952]; R. Gerwarth, Counter-Revolution, 2008; R. Ger-warth/John Horne, War in Peace, 2012.

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    Einleitung

    Gedankengut, Antisemitismus und Ressentiments gegenber der Republik warenjedoch auch unter den katholischen Verbindungen verbreitet.

    Diese Beobachtung gilt in hnlicher Weise fr die paramilitrischen Verbnde dersterreichischen Heimwehren, denen sich Martin Moll in seinem Aufsatz widmet.Obgleich diese Formationen und deren Aktivisten zweifellos antidemokratischen Posi-tionen nahestanden, die nicht zuletzt im Korneuburger Eid vom Mai 1930 beschworenwurden, blieb ihr Verhltnis zum Nationalsozialismus zwiespltig. Demnach orientiertesich die berwiegende Mehrheit der sterreichischen Heimwehrbewegung am italieni-schen Faschismus, vor allem aber an den autoritren Staats- und Gemeinschaftskon-zepten des klerikal geprgten Austrofaschismus. Eine Ausnahme bildete gewisserma-en der Steirische Heimatschutz, dessen fhrende Protagonisten schon Mitte der 1920erJahre offen mit dem Nationalsozialismus sympathisierten. Mollfhrt die frhe Radika-

    lisierung des Verbandes auf einen virulenten Antibolschewismus und die Erfahrungendes Grenzlandkampfes whrend der zeitweiligen jugoslawischen Besetzung von Teilender Steiermark zurck. Zudem pflegte die Leitung des Heimatschutzes auf unter-schiedlichen Ebenen immer wieder intensive Kontakte zur NSDAP. Zwar blieben auchdiese nicht spannungsfrei, eine gleichwohl kontinuierliche, auch weltanschaulicheAnnherung beider Organisationen fhrte letztendlich im Frhjahr 1933 zu einer fak-tischen Fusion unter dem Dach der NSDAP.

    Bemerkenswert erscheint, dass nicht zuletzt im nationalistischen, aktivistisch-para-militrischen Spektrum auch Versuche transnationaler Netzwerkbildung zu beobachten

    waren. Manfred Wichmannbetrachtet in seinem Aufsatz die von Waldemar Pabst,einem der einflussreichsten paramilitrischen Aktivisten und Netzwerker in Deutsch-land und sterreich, forcierten Bemhungen, eine gleichsam faschistische Internatio-nale zu grnden. Als organisatorischer Rahmen sollte demnach die Gesellschaft zumStudium des Faschismusfirmieren eine einzigartige Netzwerkbildung am Ende der Wei-marer Republik, die mit ihren insgesamt 329 Mitgliedern all jene Vertreter der national-konservativen Kreise und der vlkischen Bewegung vereinigte, die in der DiktaturMussolinis in Italien einen expliziten Bezug zu bzw. ein Vorbild fr Deutschland sahen.

    Regionale Netzwerke

    Wenn von Wegbereitern des Nationalsozialismus die Rede ist, geraten jedoch nichtnur einzelne exponierte Akteure und Organisationen bzw. ihre Vernetzungen in denBlick, sondern hufig auch lokale und regionale Milieus, die scheinbar eine besondereNhe zur NS-Bewegung aufwiesen und deren Aufstieg begnstigten. Diese Feststellunggilt etwa fr die stark national-protestantisch geprgten Landstriche in Mittel- undOberfranken oder in Nordwestdeutschland, die sich schon frh zu Hochburgen der

    NSDAP entwickelten.15Indessen fanden die vlkische Bewegung und der Nationalso-

    15 Vgl. Falter, Hitlers Whler, 1991; Hambrecht, Aufstieg der NSDAP, 1976; Rohe, Wahlen1992, S. 136 f.

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    zialismus keineswegs nur im protestantischen Milieu Untersttzung. Am Beispiel Mn-chens zeigtBrigitte Zuber,in welch betrchtlichem Mae auch der katholische Klerus,so etwa der langjhrige Erzbischof und Kardinal Faulhaber mageblich in ein Netzwerkantidemokratischer und vlkischer Akteure eingebunden war, dessen unverhohleneAbsicht darin bestand, die junge Weimarer Demokratie gleichsam von oben zu unter-minieren. Der Beitrag rckt demnach vor allem die gesellschaftlichen, politischen,administrativen und kulturellen Eliten in der spter von den Nationalsozialisten zurHauptstadt der Bewegung deklarierten bayerischen Metropole in den Fokus. Deutlichwird hier, dass die Delegitimierung und Zerstrung der Demokratie keineswegs nur vonden extremen Rndern des politischen Spektrums betrieben wurden, sondern ihrenAusgangspunkt wie auch ihre Resonanzrume nicht zuletzt in der scheinbaren gesell-schaftlichen Mitte, in den staatlichen Institutionen, Teilen der Wirtschaft und eben

    auch in der (katholischen) Kirche fanden.Detlef Schmiechen-Ackermannnimmt eine ganze Region (die Gaue Sdhanno-

    ver-Braunschweig und Osthannover) als Nhrboden einer frhnationalsozialistischenIdentifikation in den Blick. Eine konstruierte konservative historische Tradition ver-band sich mit der starken agrarischen Prgung des Gebietes, welches sich bei der Juli-wahl 1932 als eine Art Prototyp der nazifizierten protestantischen Provinz zeigte. Ausdiesem durch eine besonders hohe Affinitt zur nationalsozialistischen Gedankenweltgekennzeichneten Gebiet, stammen einige zentrale Akteure der NS-Agrarpolitik, dieim Mittelpunkt des Beitrages stehen. Diese biografischen Beispiele zeigen, in welch

    hohem Mae das dortige regionale Fhrungspersonal sich aus der traditionellen vl-kisch-antisemitischen Subkultur rekrutierte und zumindest in den Vorkriegsjahrendes Dritten Reiches durch Ausspielen dieses Blut-und-Boden-Profils auch bemer-kenswerte Karrieren in Berlin machen konnte.

    Hansjrg Buss wiederum widmet sich in seinem Beitrag dem vlkisch-protestanti-schen Milieu in Schleswig-Holstein am Beispiel des Bundesfr Deutsche Kirche.Dessenbedeutendster Protagonist, der Flensburger Hauptpastor Friedrich Andersen, firmierteals einer der Vordenker der vlkischen deutschchristlichen Ideologie und als regionaler

    Wegbereiter des Nationalsozialismus auf dem Feld der Religion und des Antisemitismus.Buss zeigt die Wirksamkeit religiser Vorstellungen und Bilder als konstitutivesMoment fr vlkisches Denken und die Relevanz des Schnittfeldes von protestanti-schem Milieu und vlkischer Bewegung fr den Aufbau einer artgemen Religiosi-tt, die ab 1932 in der Glaubensbewegung Deutscher Christenihre Weiterentwicklungfand.

    Wegbereiterinnen?

    Annika SpilkerundHeidrun Zettelbauermachen in ihren Beitrgen darauf aufmerk-sam, dass keineswegs nur von Wegbereitern, sondern prziser auch von Wegberei-terinnen des Nationalsozialismus gesprochen werden muss. So verweist Annika Spil-kerin ihrem Aufsatz ber Mathilde Ludendorff und die Frauengruppen im Tannenberg-bunddarauf, dass das Engagement von Frauen fr rechtsextreme, vlkische Ideen bis

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    in die Gegenwart16oft unterschtzt werde. Als bedeutsam erwiesen sich in diesemKontext die Erfahrung der Kriegsniederlage und die Einfhrung des Frauenwahlrechtsim November 1918. Als eine der schillerndsten Figuren im extrem rechten Spektrumkonnte zweifellos Mathilde Ludendorff gelten, die gemeinsam mit ihrem Mann, demvormaligen General Erich Ludendorff, die vlkisch orientierte Ludendorff-Bewegungins Leben rief, die ihre Wurzeln im 1925 gegrndeten Tannenbergbundhatte. In dessenFrauengruppen verbanden sich radikal antidemokratische sowie antisemitische undrassistische Positionen mit einem vlkischen Feminismus. Dieser verklrte die poli-tischen Frauen der germanischen Frhzeit als Inbegriff deutscher Weiblichkeit undbehauptete eine rassesursprngliche Gleichstellung der Geschlechter. Gleichzeitig hielter aber an den brgerlichen Rollenzuschreibungen, vor allem im eindringlichenBeschwren der Mutterschaft, fest. Gleichwohl bestanden tiefgreifende Konkurrenzen

    zur nationalsozialistischen Frauenpolitik. Letztendlich mndete der Tannenbergbundineinem vlkisch-religis-politischen Sektierertum und wurde nach der Machtbernahmedurch den Nationalsozialismus 1933 verboten.

    Heidrun Zettelbauerstellt in ihrem Beitrag mittels autobiographischer und litera-rischer Texte Edith Salburgs das Profil einer Frau dar, die den, fr die Allgemeinheitungewhnlichen, fr eine kleine Elite von gebildeten und dynamischen Frauen jedochtypischen, Weg der weiblichen Politisierung und Radikalisierung ber den ErstenWeltkrieg in die deutsch-nationale und vlkische Bewegung einschlug. Salburgbeschreibt eine durch die Modernisierung in Unordnung geratene Welt, Gesellschaft

    und Kultur, die chaotische, moderne Verhltnisse zwischen den Geschlechtern mitsich brachte. Kennzeichnend fr Salburg ist der Versuch, durch ihre literarische Arbeitkorrigierend einzugreifen.

    Perspektiven

    Vor dem Hintergrund der hier zusammengefhrten (kollektiv-)biographischen undorganisationsgeschichtlichen Studien und ihrer vielfltigen Befunde mchte der vorlie-

    gende Band dazu anregen, die historische Auseinandersetzung mit den heterogenen undamorphen Erscheinungsformen vlkisch-antisemitischer, antirepublikanisch-revanchis-tischer bzw. militant-nihilistischer Akteure und ihrer Zusammenhnge nicht als abge-schlossen zu betrachten. Aus Sicht der Herausgeber bieten sich vor allem zwei Ansatz-punkte, die knftige Forschungen zu diesem Themenfeld strker in Betracht ziehenknnten.

    Erstenshaben zuletzt u. a. Robert O. Paxton, Michael Mann oder Sven Reichardt17ein praxeologisches Verstndnis des Faschismus formuliert und letzterer hat es in sehr

    16 Vgl. Birsl, Rechtsextremismus, 2011.17 Vgl. u. a. R. O. Paxton, Anatomy, 2004; M. Mann, Fascists, 2004; S. Reichardt, Praxeologie,

    2004. Einen berblick ber den Stand der Faschismusforschung bieten T. Schlemmer/ H.Woller, Faschismus, 2014.

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    erhellender Weise auch im Rahmen der Analyse kollektiver Akteure, der deutschen SArespektive der italienischen Squadre, exemplarisch erprobt.18Kennzeichnend fr deneuropischen Faschismus ist demnach weniger die programmatische Ebene, sondernvielmehr seine Akteure, sein politischer Stil und seine Organisationspraxis. Faschismusberhht den Einsatz von Gewalt, sakralisiert die eigene Gemeinschaft, ist geprgt voneinem aktivistischen, paramilitrischen, mnnerbndischen Stil und konstruiert seinekollektive Identitt durch die scharfe Abgrenzung von politischen und rassischen Feind-bildern. Stets gilt hier das Primat des Handelns vor der Diskussion. Faschismus istdementsprechend, wie Sven Reichardt argumentiert, kein abstraktes, abgrenzbaresGedankengebude, sondern wandelbare politische Praxis, die sich nur in actu untersu-chen lsst.19Den Faschisten ging es mithin weniger um eine systematische und wider-spruchsfreie Ideologie. Vielmehr konnte ihre ideologische Haltung kaum in Begrn-

    dungszusammenhnge und stringente Argumentationsketten eingebunden werden[], sondern [galt] als Selbstzweck.20Einen solchen handlungsorientierten Ansatznicht nur auf Kerngruppierungen des Faschismus anzuwenden, sondern ebenso auchdie Lebenswelten und kulturellen Praktiken eines breiteren Spektrums vlkisch-anti-semitischer bzw. paramilitrischer Akteure in den Blick zu nehmen, stellt ein Desideratzuknftiger Forschungen dar.

    Zweitensist die Frage nach den Charakteristika des berwlbenden sozialen Gebil-des, das die Personenkonstellationen, Verbandsgeflechte und Netzwerke der extremenRechten in der Weimarer Zeit formierten, bislang keineswegs beantwortet. Um dieses

    Phnomen zu beschreiben, hat die Forschung den Begriff der Subkultur, des Submilieusoder auch des Milieus verwendet, letzteren allerdings bisweilen wohl eher assoziativ.Ulrich Herbert beispielsweise hat die Stimmung und die Welt der rechtsextremenBnde und vlkischen Verbnde als ein Milieu, ein fiebriger Dauerzustand aus Kund-gebungen und Geheimtreffen, Verbandsneugrndungen und -auflsungen charakteri-siert, das eher durch Stimmungen und Personen als durch Programme und Parteiengekennzeichnet gewesen sei.21David Southern wiederum spricht in seiner Studie berrechtsextremen Terror in der Frhphase der Republik unumwunden von einem rechten

    antirepublikanischen Milieu, dessen Kern die paramilitrischen Verbnde bildeten, diemit traditionellen konservativen Eliten vernetzt waren.22 Auch Bernhard Sauerbeschreibt die Schwarze Reichswehrals spezifisches Milieu, das sich aus dem hartenKern der Freikorpsbewegung konstituiert habe.23Bruce Campbell wiederum sieht inseiner wichtigen kollektivbiographischen Studie ber die SA Generals den sozialisa-torischen Ursprung der SA-Fhrerschaft in einer arcane and complex right wing mili-

    18 Vgl. S. Reichardt, Kampfbnde, 2002.19 S. Reichardt, Tatgemeinschaften, 2014, S. 75.20 S. Reichardt, Tatgemeinschaften, 2014, S. 78.21 U. Herbert, Generation, 1991, S. 119.22 Vgl. D. Southern, Terror, 1982, S. 385.23 Vgl. B. Sauer, Schwarze Reichswehr, 2004, S. 8 f.

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    tary and paramilitary subculture.24Boris Barth schlielich hat in seiner umfangreichenStudie ber die Verbreitung der Dolchstolegende den Versuch unternommen, diesoziostrukturelle Basis der antirepublikanischen Mobilisierung von rechts genauer zufassen und darauf hingewiesen, dass sich neben den klassischen Milieus im Zeichen derGegenrevolution brgerlich-militaristische, vlkische, rechtsradikale und paramilitri-sche Submilieus bzw. Subkulturen herausbildeten, die aus dem brgerlich-vaterlndi-schen Lager, wie es sich im Krieg formiert hatte, hervorgingen.25

    Der klassische Begriff des sozial-moralischen Milieus,26der diesen Anstzen zugrundeliegt und dessen Operationalisierung bereits wesentlich zur Erforschung der Aufstiegs-bedingungen des Nationalsozialismus beigetragen hat,27hat nicht zuletzt im Kontextder vorwiegend sozialwissenschaftlich ausgerichteten Forschungen zu den Neuen Sozia-len Bewegungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Aktualisierung und Erwei-

    terung erfahren, die dabei helfen knnte, diese heterogenen Befunde zusammenzufh-ren. Die Neuen Sozialen Bewegungen seit den 1970er Jahren werden vor allem alsfluide Netzwerke begriffen, aus denen heraus neuartige Formen von politischer Mobi-lisierung und politischer Aktion entfaltet werden. Dabei verschmelzen zunehmend dieBegriffe Milieu, Bewegung, Subkultur, Submilieu und Szene.28So lassen sich sozialeBewegungen mit Dieter Rucht als ein auf gewisse Dauer gestelltes und durch kollektiveIdentitt abgesttztes Handlungssystem mobilisierter Netzwerke von Gruppen undOrganisationen beschreiben, welche sozialen Wandel mit Mitteln des Protests not-falls bis hin zur Gewaltanwendung herbeifhren, verhindern oder rckgngig machen

    wollen.29Szenen knnen mit dem Soziologen Ronald Hitzler wiederum als thema-tisch fokussierte kulturelle Netzwerke beschrieben werden, die die bestimmte mate-riale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemein-samkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabilisieren undweiterentwickeln.30Dieser an sich flchtigen Netzwerkstruktur wie sie fr Soziale

    24 B. Campbell, SA Generals, 1998, S. 8.

    25 Vgl. B. Barth, Dolchstolegenden, 2003, S. 6 f.; zu den neu entstehenden brgerlichenMilieustrukturen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg etablierten und sich sowohl auf dieTraditionen der protestantischen Vereine und der Kriegervereine als auch auf neuartige poli-tische und paramilitrische Formationen sttzten, vgl. u. a. B. Ziemann, Kriegserinnerung,1998, S. 362 ff.; P. Lsche/F. Walter, Katholiken, 2000, S. 476; F. Bsch, Geselligkeit, 2005.Zur Forschungsdiskussion ber die Formation eines brgerlichen Milieus vgl. u. a D. Schu-mann, Einheitssehnsucht, 2000, S. 87 f.; S. Breuer, Milieubildung, 2004.

    26 M. R. Lepsius, Parteiensystem, 1973, S. 68.27 Vgl. u. a. die Aufstze von W. Pyta, C. Rauh-Khne, J. Noakes u. D. Schmiechen-Ackermann

    in: H. Mller/A. Wirsching/W. Ziegler (Hrsg.), Nationalsozialismus, 1996, sowie S. Weich-

    lein, Sozialmilieus, 1996; D. Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, 1998.28 Vgl. D. della Porta/M. Diani, Social Movements. 2006, S. 16; R. Roth/D. Rucht, Bewegun-

    gen, 2008; S. Reichardt/D. Siegfried, Milieu, 2010, S. 9 f.; C. Baumann/N. Bchse/S. Gehrig,Protest, 2011, S. 23.

    29 Vgl. D. Rucht, Rechtsradikalismus, 2002, S. 77.30 Vgl. R. Hitzler/T. Bucher/A. Niederbacher, Szenen, 2001, S. 20.

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    Bewegungen und Szenen charakteristisch erscheint, wohnt aber auch eine Tendenz zurVerstetigung inne. Parallel zur vielfach beschriebenen Auflsung der hergebrachtenMilieustrukturen formierten sich soziale Gebilde, die wahlweise als Gegenmilieus oderBewegungsmilieus bezeichnet werden. Sie berwlbten die verschiedenen neuen sozia-len Bewegungen, Sub- und Gegenkulturen und integrierten sie durch soziokulturelleGemeinsamkeiten und habituelle Verbindungen. Diese Milieustrukturen waren (undsind) zwar sehr heterogen, grndeten aber auf gemeinsamen kulturellen und lebens-weltlichen Praktiken.31hnliche soziale und kulturelle Prozesse lassen sich auch fr diein diesem Band thematisierten individuellen und kollektiven Wegbereiter des Natio-nalsozialismus in der Zwischenkriegszeit beobachten. Fr dieses Untersuchungsfeldscheint eine weitere ffnung gegenber den Anstzen und Fragestellungen der sozial-wissenschaftlichen Bewegungsforschung also vielversprechend.

    Dabei drfen die NSDAP und ihr Vorfeld allerdings nicht als notwendige Endstufeder Entwicklung betrachtet werden. Vielmehr knnen wir bis 1933 und auch noch bisin die Regimephase des deutschen Faschismus alternative Strmungen feststellen dieNSDAP ist daher nicht nur als Catch-All-Party zu verstehen, sondern auch als Samm-lungsbewegung eines Milieus, das seine Heterogenitt bewahrte. Vor diesem Hinter-grund nehmen wir die im vorliegenden Band versammelten Mikrostudien zum Anlass,fr eine Verbreiterung der Perspektive auf die Bewegungsphase des Nationalsozialismusund dessen Wegbereiter, Wegbegleiter und Weggefhrten zu pldieren.

    31 Vgl. D. Siegfried, Time, 2006, S. 733 f.; S. Haunss/D. K. Leach, Networks,2007, S. 73; S.Reichardt, Authentizitt, S. 121 f.; D. Rucht, Milieu, 2010.

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    Die extreme Rechte sammelte sich im Deutsch-

    land der Jahre 1918 bis 1933 keineswegs nur in der

    NSDAP. Sie bildete vielmehr ein hchst heteroge-

    nes Spektrum von Personen, Gruppen, Organisati-onen und Netzwerken, die, ohne unbedingt Teil der

    NS-Bewegung gewesen zu sein, dem Aufstieg des

    Nationalsozialismus den Boden und den Weg berei-

    teten. In dem Zusammenwirken individueller und

    kollektiver Akteure bildete sich eine ausdifferen-

    zierte militante, vlkisch-antisemitische, antirepu-blikanisch-revanchistische Subkultur heraus. Diesen

    Prozess nehmen die Beitrge des Bandes, der aus

    einer Gelsenkirchener Tagung hervorging, aus unter-

    schiedlicher Perspektive in den Blick: Netzwerker der

    vlkischen Bewegung in Deutschland und sterreich

    werden ebenso untersucht wie antisemitische Par-

    teien, paramilitrische Formationen und neuheid-

    nische bzw. deutschchristliche Gruppierungen. Der

    Band spiegelt das gewachsene Interesse an biogra-

    phischen bzw. kollektivbiographischen Zugngen

    wider und legt einen weiteren Schwerpunkt auf so-

    zial- bzw. organisationsgeschichtliche Anstze.