DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN - tibet.de · Beispiel Tilopa, Naropa und andere. Mañjuœrï taucht in...

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24 Tibet und Buddhismus • Heft 56 • Januar Februar März 2001 Serie ür diese Übung muß man vor der Rezitation des Guru-Yoga, mit der man üblicherweise die Sitzung ein- leitet (Heft 54, 2000) das Verdienstfeld oder mit anderen Worten die Objekte visualisieren, zu denen man Zuflucht nimmt: Wir stellen uns einen sehr großen Thron vor, der von acht Löwen getra- gen wird. Auf diesem befinden sich ein großer Lotus und darauf noch einmal fünf kleinere Throne: einer in der Mit- te, je einer links und rechts sowie vorne und hinten. Auf dem zentralen Thron sitzt Buddha Œåkyamuni in der Gestalt eines Höchsten Nirmå¶akåya mit den 32 Haupt- und 80 Nebenmerkmalen eines Erleuchteten. Auf dem Thron zu seiner Rechten verweilen alle Lamas, welche die umfassenden Bodhisattva- Handlungen oder die Seite der Metho- de auf dem Mahåyåna-Pfad überliefert haben. In der Mitte ist Maitreya, der von den anderen Lamas dieser Überlie- ferung wie Asa¶ga etc. bis hin zum tibetischen Meister Dromtönpa um– geben ist. Man muß nicht bei Drom- tönpa, dem Begründer der Kadam-Tra- dition, Schluß machen, sondern kann auch die anderen Lamas dieser Tradi- tion visualisieren. Auf dem Thron zur Linken von Buddha Œåkyamuni befin- den sich die Lamas, die die tiefe An- sicht oder die Seite der Weisheit auf dem Mahåyåna-Pfad überliefert haben. In ihrer Mitte weilt Mañjuœrï, der von Någårjuna und den anderen Lamas die- ser Überlieferungstradition bis hin zu Dromtönpa umgeben ist. Auch hier kann man sich zusätzlich noch die La- mas der Kadam-Tradition vorstellen, die Dromtönpa nachfolgten. Auf dem Thron vor Buddha Œåk– yamuni stellen wir uns den eigenen Hauptlama vor, von dem wir direkt Unterweisungen erhalten und zu dem wir die engste Verbindung spüren. Er ist umgeben von allen anderen Lamas, zu denen wir ebenfalls eine direkte Ver- bindung haben und von denen wir in diesem Leben Unterweisungen emp- fangen haben. Auf dem Thron hinter Buddha Œåkyamuni befindet sich noch einmal Årya Mañjuœrï, umgeben von Meistern wie Œåntideva und anderen bis hin zu Meister Dromtönpa und weiteren Meistern in der Kadam-Tradi- tion. Dabei handelt es sich um die La- mas, welche die sogenannte „Überlie- ferung des Segens der Praxis“ weitergegeben haben. Dazu gehören viele indische Mahåsiddhas wie zum Beispiel Tilopa, Naropa und andere. Mañjuœrï taucht in diesem Verdienst- feld also zweimal auf: einmal als Beginn der Überlieferung der tiefen Ansicht und einmal als Beginn der Überliefe- rung, die den Segen der Praxis weiter- gibt. Um diese fünf Throne herum den- ken wir uns weitere Zufluchtsobjekte: von Geshe Thubten Ngawang DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN F „Das Wesen der Zu- fluchtnahme ist eine Geistes- haltung, mit der wir unser Ver- trauen in die Drei Juwelen set- zen – und zwar einerseits auf- grund der Furcht vor den Lei- den und andererseits aufgrund des Vertrauens in sie. Die Zu- fluchtnahme wird zu einem bloßen Lippenbekenntnis, wenn diese beiden Ursachen fehlen. Deshalb sollten wir sehr darauf achten, sie im eige- nen Geist zu entwickeln, und die Zufluchtnahme zu einer zentralen Praxis auf dem Pfad machen.“ TEIL 3: DIE ZUFLUCHTNAHME

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24 Tibet und Buddhismus • Heft 56 • Januar Februar März 2001

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ür diese Übung muß man vor derRezitation des Guru-Yoga, mit

der man üblicherweise die Sitzung ein-leitet (Heft 54, 2000) das Verdienstfeldoder mit anderen Worten die Objektevisualisieren, zu denen man Zufluchtnimmt:

Wir stellen uns einen sehr großenThron vor, der von acht Löwen getra-gen wird. Auf diesem befinden sich eingroßer Lotus und darauf noch einmalfünf kleinere Throne: einer in der Mit-te, je einer links und rechts sowie vorneund hinten. Auf dem zentralen Thronsitzt Buddha Œåkyamuni in der Gestalteines Höchsten Nirmå¶akåya mit den32 Haupt- und 80 Nebenmerkmaleneines Erleuchteten. Auf dem Thron zuseiner Rechten verweilen alle Lamas,welche die umfassenden Bodhisattva-Handlungen oder die Seite der Metho-

de auf dem Mahåyåna-Pfad überlieferthaben. In der Mitte ist Maitreya, dervon den anderen Lamas dieser Überlie-ferung wie Asa¶ga etc. bis hin zumtibetischen Meister Dromtönpa um–geben ist. Man muß nicht bei Drom-tönpa, dem Begründer der Kadam-Tra-dition, Schluß machen, sondern kannauch die anderen Lamas dieser Tradi-tion visualisieren. Auf dem Thron zurLinken von Buddha Œåkyamuni befin-den sich die Lamas, die die tiefe An-sicht oder die Seite der Weisheit aufdem Mahåyåna-Pfad überliefert haben.In ihrer Mitte weilt Mañjuœrï, der vonNågårjuna und den anderen Lamas die-ser Überlieferungstradition bis hin zuDromtönpa umgeben ist. Auch hierkann man sich zusätzlich noch die La-mas der Kadam-Tradition vorstellen,die Dromtönpa nachfolgten.

Auf dem Thron vor Buddha Œåk–yamuni stellen wir uns den eigenenHauptlama vor, von dem wir direktUnterweisungen erhalten und zu dem

wir die engste Verbindung spüren. Erist umgeben von allen anderen Lamas,zu denen wir ebenfalls eine direkte Ver-bindung haben und von denen wir indiesem Leben Unterweisungen emp-fangen haben. Auf dem Thron hinterBuddha Œåkyamuni befindet sich nocheinmal Årya Mañjuœrï, umgeben vonMeistern wie Œåntideva und anderenbis hin zu Meister Dromtönpa undweiteren Meistern in der Kadam-Tradi-tion. Dabei handelt es sich um die La-mas, welche die sogenannte „Überlie-ferung des Segens der Praxis“weitergegeben haben. Dazu gehörenviele indische Mahåsiddhas wie zumBeispiel Tilopa, Naropa und andere.Mañjuœrï taucht in diesem Verdienst-feld also zweimal auf: einmal als Beginnder Überlieferung der tiefen Ansichtund einmal als Beginn der Überliefe-rung, die den Segen der Praxis weiter-gibt.

Um diese fünf Throne herum den-ken wir uns weitere Zufluchtsobjekte:

von Geshe Thubten Ngawang

DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN

F

„Das Wesen der Zu-fluchtnahme ist eine Geistes-haltung, mit der wir unser Ver-trauen in die Drei Juwelen set-zen – und zwar einerseits auf-grund der Furcht vor den Lei-den und andererseits aufgrunddes Vertrauens in sie. Die Zu-fluchtnahme wird zu einembloßen Lippenbekenntnis,wenn diese beiden Ursachenfehlen. Deshalb sollten wirsehr darauf achten, sie im eige-nen Geist zu entwickeln, unddie Zufluchtnahme zu einerzentralen Praxis auf dem Pfadmachen.“

TEIL 3: DIE ZUFLUCHTNAHME

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Meditationsgottheiten (Yidams) dervier Tantraklassen, die übrigen Bud-dhas und Bodhisattvas, die Alleinver-wirklicher, Hörer, die Viras, Dakïnïs,Dharma-Beschützer sowie die soge-nannten Vier Großen Könige, die dieBeschützer der vier Richtungen sind.All dies ähnelt dem Verdienstfeld derGuru-Pýjå. Es gibt allerdings geringfü-gige Unterschiede: In der Guru-Pýjåschweben die Lamas, die Weisheit undMethode überliefert haben, frei imRaum, während sie hier auf Thronenverweilen und von weiteren Wesen desVerdienstfeldes umgeben sind. Viel-leicht haben einige bei der Visualisati-on Schwierigkeiten, sich den Thronhinter Buddha Œåkyamuni vorzustel-len, weil sie denken, er würde verdeckt.Sie können sich damit helfen, sich denhinteren Thron etwas angehobenvorzustellen, so daß er klar sichtbar ist.Das ist jedoch nur meine persönlicheMeinung. Eigentlich sollte man sichdie Zufluchtsobjekte transparent vor-stellen, so als könne man hindurchse-hen. Die Körper der Gottheiten sindnicht aus fester, grober Materie wie ge-wöhnliche Körper aus Fleisch und Blut,sondern von Lichtnatur. Sie erscheinenso transparent, daß man von überall herdie Wesen des Verdienstfeldes sehenkann.

Darüber hinaus visualisieren wirSchriften, denn diese enthalten dieLehren, welche die Wesen des Ver-dienstfeldes gegeben haben. IhreUnterweisungen stellen wir uns inForm von Schriften vor, die vor ihnenauf einem Tisch liegen. Haben die Mei-ster sehr viele Unterweisungen gege-ben, können wir uns auch eine Art Re-gal mit ihren Texten vorstellen. DieSchriften strahlen Licht aus, und dieeinzelnen Buchstaben darin lassen denKlang ertönen.

Bei einer Visualisation sind verschie-dene Aspekte zu beachten. Vom Aspektder Erscheinung her sollten wir uns, sogut wir es vermögen, die Einzelheitenklar und deutlich vorstellen. VomAspekt der Gewißheit her sollte eine fe-ste Überzeugung vorhanden sein, daßdie visualisierten Zufluchtsobjekte tat-sächlich vor uns im Raum anwesendsind. Und was den Aspekt des Vertrau-

ens angeht, sollte man davon überzeugtsein, daß es sich bei den Zufluchtsob-jekten um Wesen mit höchsten Tugen-den handelt. Wir denken, daß uns dieLamas und Buddhas des Verdienstfel-des mit großer Freude betrachten unduns wirklich helfen wollen. Eigentlichgibt es nicht viel, worüber sich die Bud-dhas in bezug auf unser Verhalten freu-en könnten, da wir ständig damit be-schäftigt sind, Unheilsames zu tun.Nun aber signalisieren wir durch unse-re Anstrengungen, daß wir wirklich et-was ändern möchten und suchen Zu-flucht bei den Drei Juwelen. Darüberfreuen sich die Buddhas sehr.

Wovor suchen wir Zuflucht?

menschlicher Gestalt. Unsere Situationsieht folgendermaßen aus: Uns plagenim Moment nicht nur die verschieden-sten Leiden, sondern wir tragen schondie Ursachen für zukünftige Qualenund Probleme in uns. Die Leiden desSaþsåra sind unermeßlich, ohne Ende.Sind die karmischen Ursachen vorhan-den, können wir Leiden unvorstellba-ren Ausmaßes erleben. Das gilt nichtnur für einzelne, sondern für alle We-sen. Wir führen uns diese Gefahren vorAugen und erzeugen Furcht vor denLeiden. Dann suchen wir nach einerverläßlichen Zuflucht. Die Drei Juwe-len bieten Schutz vor Leiden und dieMöglichkeit, sich endgültig daraus zubefreien.

Deshalb denken wir, daß wir selbstund alle anderen Wesen unser Vertrau-en in die Drei Juwelen setzen und vonganzem Herzen zu ihnen Zuflucht neh-men. So schaffen wir zusätzlich einegute karmische Verbindung zu allendiesen Wesen. Die Ursachen für dieZufluchtnahme sind zweierlei: Furcht

Wir nehmen 100.000mal Zuflucht zum Lama,der die drei Zufluchtsobjekte Buddha, Dharma

und Sa‡gha in sich vereint.

Jens N

agels

Bei der Zufluchtnahme ist es wichtig,daß wir uns die Gefahren vor Augenführen, denen wir im Daseinskreislaufausgesetzt sind. Wir können uns vor-stellen, daß wir von allen anderen We-sen der verschiedenen Daseinsbereicheumgeben sind; sie erscheinen dabei in

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und Vertrauen. Das Wesen der Zu-fluchtnahme ist eine Geisteshaltung,mit der wir unser Vertrauen in die DreiJuwelen setzen – und zwar aufgrundder Furcht vor den Leiden und auf-grund des Vertrauens in sie. Die Zu-fluchtnahme wird zu einem bloßenLippenbekenntnis, wenn diese beidenUrsachen fehlen. Deshalb sollten wirsehr darauf achten, sie im eigenen Geistzu entwickeln, und die Zufluchtnahmezu einer zentralen Praxis auf dem Pfadmachen.

In den Texten, speziell in denen zurVorbereitung der Meditation, wird im-mer wieder darauf hingewiesen, daßwir aus ganzem Herzen und mit einersehr intensiven Geisteshaltung Zu-flucht nehmen sollten. Wir sollten die-se Handlung sehr ernst nehmen, denndie Zufluchtnahme ist die eigentlicheEingangspforte in die Lehre des Bud-dha; ebenso ist der Erleuchtungsgeistdie Eingangspforte zum Mahåyåna.Beide Einstellungen sollten wir vonganzem Herzen entwickeln.

Die Praxis derZufluchtnahme

Wir nehmen also Zuflucht und stellenuns vor, daß wir dies zusammen mit al-len anderen Wesen tun. Es gibt ver-schiedene Arten der Visualisation. EineMöglichkeit ist, daß wir uns rechts vonuns unseren Vater und links unsereMutter vorstellen. Vor uns denken wiruns weitere Wesen, zum Beispiel Fein-de, Widersacher, Dämonen, aber auchnahestehende Menschen, denen wirviel zu verdanken haben. Darüber hin-aus stellen wir uns alle anderen Wesenim Daseinskreislauf vor, und zwar so,daß sie uns von allen Seiten umgeben.Damit ein Gefühl der Nähe zu ihnenentsteht, visualisieren wir sie alle inmenschlicher Gestalt; sie blicken in diegleiche Richtung wie wir und sind aufdas Verdienstfeld gerichtet. Wir selbstfungieren als diejenigen, die sie anlei-ten, auch Zuflucht zu nehmen.

Wir nehmen Zuflucht zum Lama,zum Buddha, zum Dharma und zumSa‡gha. Als erstes sprechen wir dieWorte „Ich nehme Zuflucht zum Lama“,vielleicht 100mal oder so oft wir kön-

nen. Dabei denken wir, daß von denZufluchtsobjekten des Verdienstfeldesund besonders von den Lamas Lichtund Nektar ausströmen und auf unstreffen. Dadurch werden wir von allennegativen Handlungen gereinigt, diewir seit anfangsloser Zeit begangen ha-ben. Wir läutern uns vor allem von ne-gativen Taten der Vergangenheit, diewir gegenüber den eigenen Lamas an-gesammelt haben. Beispiele fürschlechtes Verhalten gegenüber demLama sind, daß man seinen Körper ver-letzt oder schlägt, daß man seine Wortemißachtet, daß man ihn zornig macht,daß man schlecht über ihn redet.Durch die Übung der Zufluchtnahmebefreien wir uns von all den negativenHandlungen ihm gegenüber mitsamtden Anlagen, die sie im Geist hinterlas-sen haben. Wir selbst und alle anderenWesen werden ganz rein, unser Körper

erhält eine klare, lichthafte und reineAusstrahlung. Gleichzeitig bewirkenLicht und Nektar, daß wir alle vortreff-lichen und erwünschten Dinge erhal-ten: die Lebenskraft wächst an, die Ver-dienste nehmen zu, der Reichtum ver-mehrt sich, das Wissen und die Ver-wirklichung im Dharma breiten sichaus.

Durch diese Visualisation werdengute Anlagen im eigenen Geist geschaf-fen, damit alles, was für die geistigeEntwicklung förderlich ist, und alle Tu-genden tatsächlich in uns entstehen.Insbesondere denken wir, während wirrezitieren, daß wir den Segen von Kör-per, Rede und Geist des kostbarenLama erhalten. Dieser Segen füllt deneigenen Körper und die Körper der an-deren Wesen vollkommen an, und wirdenken, daß wir so ganz unter demSchutz des Lama stehen. Während wir

Wir nehmen 100.000mal Zufluchtzum Buddha als dem Lehrer.

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die Worte „Ich nehme Zuflucht zumLama“ wiederholen, richten wir unshauptsächlich auf den Lama aus. ImVerdienstfeld gibt es auf den verschie-denen Thronen aber viele Lamas derunterschiedlichen Überlieferungslini-en, und es ist schwierig, sich allesgleichzeitig vorzustellen. Deshalb soll-ten wir uns zuerst auf das Wichtigstekonzentrieren, das heißt auf den Bud-dha, der eins mit dem eigenen Lama istund der auf dem zentralen Thron ver-weilt. Darüber hinaus denken wir anden Hauptlama und die anderen La-mas, zu denen wir in diesem Leben einedirekte Verbindung haben und die aufdem Thron vor Buddha Œåkyamuniverweilen. Wir stellen uns vor, daß sieall die Kraft und Erkenntnis der ande-ren Zufluchtsobjekte mit enthalten.Wer dazu in der Lage ist, kann sich dar-über hinaus auch noch die anderen La-mas vergegenwärtigen.

Als zweites nehmen wir Zufluchtzum Buddha und rezitieren 100maloder öfter die Worte „Ich nehme Zu-flucht zum Buddha“. Dabei denken wirhauptsächlich an alle Buddhas undMeditationsgottheiten der Sýtra- undTantralehren, wie zum Beispiel die Me-ditationsgottheiten in den vier Tan-traklassen, die 1000 Buddhas diesesZeitalters, von denen Buddha Œå-kyamuni der vierte ist, und so weiter.Wir stellen uns vor, daß von ihren Kör-pern Licht und Nektar ausgehen, dieuns einerseits von den karmischen Be-fleckungen und Hindernissen reinigenund andererseits alle guten Dinge wieein langes Leben, Verdienste, Erkennt-nisse und so weiter verleihen. Kurz ge-sagt, denken wir, daß wir den Segen al-ler Buddhas empfangen. Insbesondereentwickeln wir die Überzeugung, daßwir von den negativen Handlungen ge-reinigt werden, die wir in vergangenenLeben gegenüber den Buddhas began-gen haben. Dazu gehören die fünfHandlungen, die direkt in eine niedri-ge Existenz führen; eine davon ist, daßman bewußt das Blut eines Buddhavergossen hat, sei es nur in Gedankenoder als körperlich ausgeführte Hand-lung. Andere negative Handlungensind das Zerstören von Symbolen desGeistes des Buddha wie Stýpas. Auch

haben wir vielleicht aus Geldnot Statu-en oder Bilder des Buddha als Pfandweggegeben oder von ganzem HerzenZuflucht zu weltlichen Göttern ge-nommen. Es gibt eine Reihe von An-weisungen, die im Zusammenhang mitder Zufluchtnahme zum Buddha ste-hen und gegen die man als Buddhistgehandelt hat. Indem wir die Zufluchtzum Buddha rezitieren, denken wir,daß wir von allen diesen negativenHandlungen befreit werden und denSegen der Buddhas vollständig erlan-gen. Durch den Segen werden der eige-ne Körper und die Körper der anderenrein und strahlend, und alle stehen ganzunter dem Schutz des Buddha. Drittensnehmen wir Zuflucht zur Lehre und re-

zitieren 100mal oder öfter die Worte„Ich nehme Zuflucht zum Dharma“.Dabei denken wir, daß Licht und Nek-tar von den Zufluchtsobjekten ausge-hen, speziell von den Büchern, die dieLehre symbolisieren. Licht und Nektarsind in ihrer Essenz die Beendigungvon Hindernissen und die Verwirkli-chung von Erkenntnissen, welche dieWesen des Verdienstfeldes erlangt ha-ben. Diese strömen in Form von Lichtund Nektar in uns und in alle anderenWesen ein. Wir denken, daß wir da-durch von allen negativen Handlungengereinigt werden, die wir seit anfangs-loser Zeit angehäuft haben, insbeson-dere solchen gegenüber der Lehre.Dazu gehört zum Beispiel, daß wir den

Wir nehmen 100.000mal Zuflucht zum Dharma, deraus den Schriften und den Verwirklichungen besteht.

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Dharma aufgegeben haben; wir habendie ganze Lehre oder Teile davon alsminderwertig erachtet und verworfen.Auch das Einteilen der Lehre in guteund schlechte Worte des Buddha isteine Art, die Lehre aufzugeben. Werzum Beispiel die Meinung vertritt, daßdie Hïnayåna-Lehren schlecht und dieMahåyåna-Lehren gut seien oder daßdie Lehren des Tantra vorzüglich unddie des Mahåyåna minderwertig seien,begeht diese sehr unheilsame Hand-lung. Eine andere schlechte Tat gegen-über dem Dharma besteht darin, daßman heilige Schriften als Ware ansieht,die man verkauft, um seinen eigenenmateriellen Vorteil daraus zu ziehen.Negativ ist auch, heilige Schriften aufden Boden zu legen, so daß „die eige-nen Füße zu ihren Nachbarn werden“,wie eine Redewendung heißt. Gegenden Dharma handelt, wer schlecht überdie Lehre bzw. die Lehrer des Dharmaredet oder entgegen den Anweisungenhandelt, die mit dem ZufluchtsobjektDharma verbunden sind. Dazu zähltvor allem, daß man den Wesen Scha-den zufügt oder sie verletzt. Eine

wesentliche Anweisung in Verbindungmit dem Zufluchtsobjekt Dharma ist,Schaden von den Wesen fernzuhaltenund gewaltlos zu handeln. Kurz gesagt,stellen wir uns während der Rezitationvor, daß wir von all dem negativen Kar-ma gereinigt werden, das sich darausergibt, im Widerspruch zu den Anwei-sungen mit der Zufluchtnahme zumDharma gehandelt zu haben. Wir er-halten den Segen des Dharma, so daßunser Körper ganz davon angefüllt istund eine reine und strahlende Er-scheinung erhält. Wir kommen in denGenuß, ganz unter den Schutz desDharma zu geraten.

Als letztes nehmen wir Zuflucht zurGeistigen Gemeinschaft und sprechen100mal oder öfter die Worte „Ich neh-me Zuflucht zur Geistigen Gemein-schaft“. Von allen Zufluchtsobjekten imVerdienstfeld strömen Licht und Nek-tar aus, insbesondere von denjenigen,die zum Zufluchtsobjekt Geistige Ge-meinschaft gehören: Das sind die Bo-dhisattvas, Pratyeka-Buddhas, Œråva-kas, Ðåkas, Ðåkinis, Vïras und Dhar-ma-Beschützer. Von ihren Körpern ge-

hen Licht und Nektar aus und reinigenuns von allen negativen Handlungen,die wir seit anfangsloser Zeit begangenhaben, insbesondere denen gegenüberder Geistigen Gemeinschaft, zum Bei-spiel indem wir Unfrieden gestiftet ha-ben. Dazu gehört auch eine der fünf be-sonders unheilsamen Handlungen, diedirekt zu einer Wiedergeburt in einemelenden Bereich führen, nämlich dieSpaltung des Sa‡gha. Eine andere ne-gative Handlung ist, daß man über diekörperlichen, sprachlichen oder geisti-gen Eigenschaften des Sa‡gha schlechtgeredet hat, egal ob es einzelne Mitglie-der der Geistigen Gemeinschaft oderdie ganze Gemeinschaft betrifft.

Wir stellen uns während der Rezita-tion vor, daß wir von allen negativenHandlungen geläutert werden, die wirangesammelt haben, weil wir uns ent-gegen den Anleitungen verhalten ha-ben, die mit der Zuflucht zur GeistigenGemeinschaft zusammenhängen. Wirerhalten den Segen der Geistigen Ge-meinschaft, der in Form von Licht undNektar in uns selbst und alle anderenWesen eintritt und die Körper ganz

Wir nehmen 100.000 mal Zuflucht zum Sa‡gha als denVorbildern und Helfern auf dem spirituellen Pfad.

Jens N

agels

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ausfüllt. So gelangen wir ganz in denSchutz der Geistigen Gemeinschaftund erfahren diese Zuflucht.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten,die 100.000 anzusammeln. Eine be-steht darin, die Zufluchtnahme zu ei-nem Zufluchtsobjekt 100.000mal zurezitieren, bevor wir zur nächsten über-gehen. Es ist aber auch möglich, sie allegleichzeitig zu praktizieren: In diesemFall sprechen wir die Worte der Zu-fluchtnahme für alle vier Zufluchtsob-jekte hintereinander weg und wieder-holen dies 100.000mal. Eine dritteMöglichkeit ist, etwa 100mal zu spre-chen „Ich nehme Zuflucht zum Lama“und dann der Reihe nach je 100malZuflucht zu den anderen drei Objek-ten zu nehmen; dann beginnt man vonvorne, bis zu jedem Objekt100.000mal die Zufluchtnahme ge-sprochen wurde. Ganz gleich, welcheMethode verwendet wird, wir solltendarauf achten, daß wir in bezug auf je-des Zufluchtsobjekt 100.000mal Zu-flucht nehmen.

Praktiziert man die VorbereitendenÜbungen im Zusammenhang mit derGuru-Pýjå, gibt es bei der Zuflucht-nahme noch weitere Optionen: Mankann das Ansammeln der Zuflucht-nahme ganz an den Anfang der Guru-Pýjå stellen; der erste Vers enthält dieZufluchtnahme. Oder man kann dieGuru-Pýjå ganz rezitieren und erst amEnde, das heißt vor der Auflösung desVerdienstfeldes, die Übung durchfüh-ren. Wahrscheinlich ist diese Alternati-ve besser, damit man nicht nach demAnsammeln noch die ganze Rezitationder Guru-Pýjå vor sich hat. Möglich istauch, statt die Zufluchtnahme einzelnin Bezug zu jedem Zufluchtsobjekt zusprechen, den folgenden Vers der Zu-fluchtnahme zu verwenden:„Ich nehmeZuflucht zum Buddha, zum Dharmaund zur Geistigen Gemeinschaft, bis ichdie Erleuchtung erreiche.“ Diesen Versmüßte man dann 100.000mal rezitie-ren. Ich ziehe allerdings die andereMöglichkeit vor, weil man dabei dieeinzelnen Zufluchtsobjekte gezielt an-spricht und die damit verbundenen Vi-sualisationen und Gedanken besserentwickeln kann. Für welche Versionwir uns auch entscheiden, wir sollten

am Ende der Sitzung noch einmal denVers sprechen: „Ich nehme Zuflucht zumBuddha, zum Dharma und zur Geisti-gen Gemeinschaft, bis ich die Erleuchtungerreiche. Möge ich durch die Verdienstedes Gebens und der anderen Tugenden dieBuddhaschaft erreichen, um den Wesenzu helfen.“

Die Entwicklung desErleuchtungsgeistes

Innerhalb der Vorbereitenden Übun-gen gibt es keine gesonderte Übung,mit der man 100.000mal den Erleuch-tungsgeist entwickelt. Man kann diesjedoch in Verbindung mit der Zu-fluchtnahme zu Beginn des Guru-Yogapraktizieren.

Die eigentliche Übung, um die Zu-fluchtnahme 100.000mal anzusam-meln, besteht in der Rezitation „Ichnehme Zuflucht...“ zu den einzelnenZufluchtsobjekten, wobei wir die ent-sprechende Visualisation durchführen,welche die Reinigung mit Licht undNektar enthält. Dies hatte ich ausführ-lich erklärt. Ganz am Anfang der Guru-Pýjå rezitiert man den Vers der Zu-fluchtnahme und der Entwicklung desErleuchtungsgeistes: „Ich nehme Zu-flucht zum Buddha, zur Lehre und zurGeistigen Gemeinschaft. Möge ich durchdie Verdienste des Gebens und der ande-ren Vollkommenheiten die Buddhaschafterreichen, um den Wesen zu nutzen.“ DieVerse werden dreimal gesprochen.Während wir so rezitieren, denken wir,daß wir aufgrund der heilsamen Anla-gen, die durch die Übung von Freige-bigkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Kon-zentration und Weisheit geschaffenwurden, sehr schnell die vollkommeneBuddhaschaft verwirklichen wollen,um den Lebewesen zu nutzen. Mit die-sen Gedanken und der dreimaligen Re-zitation entwickeln wir zunächst denwünschenden Erleuchtungsgeist, alsoden Wunsch, die Buddhaschaft zumWohle der Wesen zu erreichen. Idealer-weise geht der Rezitation eine intensiveGeistesschulung voraus, so daß wir beider Rezitation auf Erfahrungen zurück-greifen können. Ich habe schon oft er-klärt, wie man den Erleuchtungsgeistentwickelt.

Nachdem wir den wünschenden Er-leuchtungsgeist hervorgebracht haben,erzeugen wir den wirkenden Erleuch-tungsgeist, das heißt wir nehmen unsvor, auch tatsächlich die Übungendurchzuführen, um schnell dieErleuchtung zum Wohle der Wesen zuverwirklichen. Wir fassen den Ent-schluß, die Sechs Vollkommenheitenvon Freigebigkeit bis zur Weisheit zupraktizieren. Kurz gesagt, wir wollen alldie Handlungsweisen eines Bodhisatt-va ausüben, um Fortschritte auf demWeg zur Buddhaschaft zu machen unddas Ziel der Erleuchtung zum Wohl derWesen zu ereichen. Diese Geisteshal-tung wird als wirkender Erleuchtungs-geist bezeichnet. Darüber hinaus übenwir die „Besondere Entwicklung desErleuchtungsgeistes“. Der Gedanke istfolgender: Es ist nicht nur nötig, daßwir die Buddhaschaft zum Wohle derfühlenden Wesen erreichen, sondernwir müssen dieses Ziel möglichstschnell verwirklichen. Der Vers zur Re-zitation, der auch in der Guru-Pýjåenthalten ist, lautet: „Möge ich sehrschnell zum Wohle der Wesen denkostbaren Zustand der vollkommenenBuddhaschaft erreichen. Zu diesemZweck will ich den gesamten Pfadüben, sowohl Sýtra wie Tantra, undinsbesondere will ich das tiefgründigeGuru-Yoga und das tiefgründige Gott-heiten-Yoga üben, wie es in der Guru-Pýjå enthalten ist.“

In den Übungen der Zufluchtnah-me und der Entwicklung desErleuchtungsgeistes ist auch die Ent-wicklung der Vier Unermeßlichen Gei-steshaltungen von Gleichmut, Liebe,Mitgefühl und Mitfreude enthalten.Diese werden ebenfalls dreimal (min-destens einmal) rezitiert. „Mögen alleWesen frei sein von Vorlieben und Abnei-gungen gegenüber Vertrauten und Frem-den. Mögen alle Wesen frei sein von Lei-den und den Ursachen des Leidens. Mö-gen alle Wesen Glück und die Ursachendes Glücks besitzen. Mögen alle Wesenniemals getrennt sein von einem echtenund dauerhaften Glück.“

(Erklärungen zu den Vier Unermeßlich-keiten in Heft 46/1998)