Dossier IV Der Afghanistan-Konflikt

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Dossier IV Der Afghanistan-Konflikt Monitoring-Projekt Zivile Konfliktbearbeitung · Gewalt- und Kriegsprävention Herausgegeben von der Kooperation für den Frieden Vorabdruck anlässlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008

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Dossier IVDer Afghanistan-Konflikt

Monitor ing - Pro jekt

Z i v i l e K o n f l i k t b e a r b e i t u n g ·

Gewalt - und Kriegsprävention

Herausgegeben von der Kooperation für den Frieden

Vorabdruckanlässlich der Verleihung des Aachener Friedenspreises 2008

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Der Interventionskrieg der USA und der NATO in Afgha-nistan geht 2009 ins achte Jahr, er dauert also schon längerals der Zweite Weltkrieg. Ein Ende ist nicht abzusehen.Manche Politiker rechnen mit noch weiteren 10-15 Jahren.Die Intervention, hatte ursprünglich - so die Legitimation– die Selbstverteidigung der USA, die Festnahme der AlQaida Terroristen und die Zerschlagung deren Angriffspo-tenzials zum Ziel. Mittlerweile ist sie zu einem Kampfgegen die seinerzeit in Afghanistan herrschenden Talibangeworden, mit der angeblichen Mission, das Land in eineDemokratie zu verwandeln und zu entwickeln. Wer erin-nert sich da nicht an die vielen Kolonialkriege, die immermit Heilsbotschaften der Interventen – The White Man’sBurden – gerechtfertigt wurden. Obwohl bekanntlich dieMittel die Ziele bestimmen, wurde die Intervention mitHilfe der nördlichen War Lords betrieben, die ganz und garnichts mit Demokratie zu tun haben. Der Krieg wird aufdem Rücken der Bevölkerung des Landes geführt, die nichtnur „Kollateralschäden“ zu tragen hat, sondern auch unterbitterer Armut leidet. Dieser Krieg bietet ihnen keine Ent-wicklungsperspektive.

Die deutsche Beteiligung wird unter dem Motto legiti-miert: „Deutschland wird auch am Hindukusch vertei-digt.“ Diese Formel ist jedoch wenig einleuchtend. Diegroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung lehnt denwestlichen Interventionskrieg und die deutsche Beteili-gung daran ab. Je mehr Deutschland sich in den Sumpfdieses Krieges begibt, desto stärker wird es als Feind derislamischen Welt wahrgenommen. Das bedeutet für dieDeutschen zunehmende Bedrohung, Freiheitsbeschrän-kungen durch die eigene Regierung zwecks angeblicherTerror-Abwehr und sich weiter verstärkende Einbindungin das unfriedliche System der Konfliktbehandlung durchmilitärische Mittel der NATO.

Dieser unheilvollen Entwicklung wollen wir entgegen-wirken, indem wir im Rahmen des „Monitoring-Projekts:Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegspräventi-on“ zivile, eben nicht-militärische Möglichkeiten der Kon-fliktbearbeitung aufzeigen. Diesem Ziele dient das hiervorgelegte Dossier. Dabei skizzieren wir nicht einfach eineheile und vernünftige Welt, die es in Wirklichkeit nichtgibt, sondern knüpfen an den legitimen Interessen derKonfliktakteure an. Die militärische Kontrolle von Roh-stoffreserven anderer Länder, der Sturz von unliebsamen

Regierungen, die Installierung von abhängigen Regimen,die Errichtung strategischer Militärstützpunkte in vielenTeilen der Welt und die Einübung der NATO als militäri-schem Instrument der reichen Industriestaaten für welt-weite Einsätze gehören sicher nicht zu den legitimen Inter-essen.

Afghanistan ist seit der britischen Kolonialpolitikimmer wieder militärischen Interventionen ausgesetzt wor-den, gegen die sich die Afghanen militärisch verteidigthaben (s. historischer Anhang). Unter den Interventionen– vor allem der jüngsten mehr als 30 Jahre – hat die Ent-wicklung des Landes sehr gelitten. Innere Spannungen sindeskaliert. Wir plädieren deshalb in diesem Dossier für einekonsequente Friedens- und Entwicklungspolitik, die denBedürfnissen der afghanischen Gesellschaft entspricht.Damit soll Konfrontation in Kooperation transformiertwerden. Deutschland könnte dabei – auch zum Vorteil dereigenen Gesellschaft – eine wichtige Rolle spielen, wenn esseine gegenwärtige Politik und Ausrichtung auf weltweiteInterventionen aufgeben und auf eine Politik der zivilenKonfliktbearbeitung umschwenken würde. Gegenwärtigsind Tendenzen zu einem solchen Umschwung nichterkennbar, nur eher das Gegenteil.

Dieses Dossier soll dazu dienen, ein Bild einer anderen,einer friedlichen, zivilen Politik zur Lösung von Konfliktenin der Friedensbewegung und bei den Bürgerinnen undBürgern unserer Gesellschaft bekannt zu machen. Damitsie wissen, militärgestützte Politik ist nicht alternativlos,und um sie besser in die Lage zu versetzen, auch in diesemkonkreten Krieg ihre friedenspolitischen Forderungen zuvertreten.

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Der Afghanistan-Konflikt

Der Autor Andreas Buro ist Träger des Aachener Friedenspreises 2008

Für Kritik, Änderungsvorschläge und Ergänzungen gebührt Dank Matin Baraki, Volker Böge, Cornelia Brinkmann, Ursula Emmerich, Susanne Grabenhorst, Karl Grobe, Christoph R. Hörstel, Wolf-Dieter Narr, Clemens Ronnefeldt, Jürgen Rose, Dieter und Eva Senghaas, Martin Singe, Otmar Steinbicker, Helga und Konrad Tempel. Verantwortlich für den endgültigen Text ist allein Andreas Buro.

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Elemente der aktuellen Konfliktsituation

Mitte 2008 sind es vor allem die folgenden Elemente, welchedie Situation im afghanischen Konflikt charakterisieren:

Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat und hat somit eineBevölkerung mit sehr unterschiedlichen Loyalitäten. Paschtu-nen (ca. 40 %), Tadschiken (25 %), mongolstämmige Hazara(15 %) und Usbeken (5 %) sind die größten Völker neben vie-len weiteren kleineren. Dari, Paschtu und Usbekisch sind dievorherrschenden Sprachen. Verbindend wirkt, dass fast alleMuslime sind (ca. 84 % Sunniten, 15 % Schiiten). Die Religi-on ist ein wichtiges verbindendes Element. Es bestehen großeUnterschiede zwischen städtischer und ländlicher Bevölke-rung, welche die große Mehrheit der etwa 29 Millionen Ein-wohner ausmacht. Eine produktives Bürgertum, also ein Mit-telstand außerhalb der Landwirtschaft, existiert in diesemLande fast nicht.

In der Armutsstatistik liegt Afghanistan auf Platz 174 von178 Ländern (UN-Armutsindex). Die Armut auf dem Landeist besonders groß. Unter wachsenden Teilen der Bevölkerungherrscht sogar Hungersnot. Landwirtschaft und Tierhaltungsind die wichtigsten Arbeitsgebiete. Die Afghanen sind insbe-sondere durch die Lebensweise auf dem Lande mit den Stam-mestraditionen stark verbunden. Die medizinische und sozialeVersorgung ist in der Regel schlecht, gering ist der Grad derschulischen Ausbildung. Die Landbevölkerung wird von Ent-wicklungshilfe kaum erreicht. Die internationale Entwick-lungshilfe erfolgt ohne eine friedenspolitisch orientierte Strate-gie. Ihre Abstimmung mit den Afghanen erfolgt zumeist nichtoder nicht auf den wichtigsten Hierarchie-Ebenen. Traditiona-le Haltungen und Beziehungen gestalten in hohem Maße dasAlltagsleben und das Rechtswesen. Die Regierung in Kabulund ihr Rechtssystem sind weit entfernt.

Historische Erfahrungen, ständige Zivilverluste durchBombardements, mangelnde Sicherheit, Armut und die star-ken traditionalen Bindungen veranlassen viele Afghanen, sichgegen die Interventen von außen zu wenden. „Modernisie-rung“ nach fremden Vorbildern ist in der Geschichte Afghani-stans immer wieder auf großen Widerstand gestoßen und hatzu Sturz oder sogar Ermordung von Herrschern geführt. Auchdie Mobilisierung von Widerstand durch die USA gegen diedamalige kommunistische Regierung in Kabul, der die sowje-tische Invasion 1979 zur Folge hatte, baute auf traditionaleOrientierungen und Werte, die gegen westliche Modernisie-rung – so wurde auch die sowjetische Intervention dort begrif-fen - standen. Landesweite Kooperationsbereitschaft zur west-lich geprägten Modernisierung, wenn sie nicht der unmittelba-ren und fühlbaren Förderung der Lebensbedingungen dient,ist also nicht selbstverständlich. Die Bedeutung der Stämme,die auf ihrer Eigenständigkeit bestehen, ist nach wie vor groß.Um in der afghanischen Politik einen gewissen Einfluss zuhaben, ist die Unterstützung von Stämmen sowie das Ver-ständnis ihrer komplexen Strukturen und Wertesystemeunverzichtbar.

Der jahrzehntelange Krieg hat die Menschen in mehrfa-cher Hinsicht schwer belastet. Sie haben Angehörige verloren,waren als Opfer und Täter beteiligt und wurden körperlichund seelisch verletzt. Es muss davon ausgegangen werden, dassdie afghanische Gesellschaft noch sehr lange an dieser Trauma-tisierung leiden wird.

Die Gesellschaft ist aber auch von den erwähnten jahrelan-gen Kriegen geprägt. Die Interventionsmächte haben dieseLage ausgenutzt, um neben bestehenden Strukturen neueunsichere, partielle Herrschaftsformen (Warlords, Opiumkar-telle) zu fördern. Westliche Demokratiemodelle erscheinen fürdie Situation des Landes historisch vor allem aus zwei Gründenproblematisch: Der traditionelle afghanische Prozess der Wil-lensbildung stützt sich auf das System der Shuras (= Ratssit-zungen), denen der reine Mehrheitsentscheid nach westlichem

Verständnis fern liegt. Vielmehr bemühen sich Afghanen eherum Konsensbildung. Gerade in Zeiträumen, die eine nationa-le Erholung von außengesteuerten Auseinandersetzungen undRückzug fremder Truppen vorsehen, muss dieser zentraleUnterschied zu unseren Konfliktgesellschaften verstanden undakzeptiert werden.

Die Langsamkeit gesellschaftlicher und wirtschaftlicherVeränderung ist ein zentraler Faktor. Modernisierung muss ausder Gesellschaft heraus entstehen zusammen mit der Verände-rung der Produktionsstrukturen. Dabei ist es ein großes Pro-blem, dass von allen Seiten billige Industrieprodukte ohneRücksicht auf die eigenen Produktionen in das Land einströ-men und so entstehende eigenständige Produktionsstrukturendurch Konkurrenz zerstören oder gar nicht erst entstehen las-sen. Nachholende Industrialisierung hat fast immer Schutzzöl-le vor übermächtiger internationaler Konkurrenz benötigt.Diese Bedingung ist in Afghanistan nicht gegeben.

Die Regierung in Kabul ist weitgehend abhängig von derUnterstützung durch die Interventionsmächte, die über 90 %ihres Budgets finanzieren, und sie militärisch und örtlich aufdie Hauptstadt sowie regionale Zentren (v. a. Provinzhaupt-

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städte) begrenzt nur notdürftig und keineswegs nachhaltigabzusichern versuchen. Erhebliche Teile der hier tätigenäußerst kleinen „modernen“ Elite sind von den Zahlungen derInterventen abhängig und so an sie gebunden, was eine eigen-ständige, auf die afghanischen Interessen bezogene Politikbehindert. Durch die offene Einbeziehung von Drogenwar-lords in diese provisorische Absicherung werden die ProblemeAfghanistans vertieft und konserviert.

Die Zusammensetzung der Regierungsinstitutionen sind inerheblichem Maße dadurch bestimmt, dass die USA ihrenAngriff auf Afghanistan in Kooperation mit den War Lords desNordens – also Kräften aus den nicht-paschtunischen Teilendes Landes – betrieben haben. Diese spielen nun eine wichtigeRolle in den Regierungsinstitutionen. Von ihnen demokrati-sches Verhalten oder Interesse zu erwarten ist illusorisch. Siesind an der Besetzung von Machtpositionen und Einflussnah-me zu ihren Gunsten interessiert. In ihren eigenen regionalenMachtbereichen blocken sie eher eine Einflussnahme derRegierung ab. Es sind also nicht nur die Taliban sondern auchdie Warlords und Opiumbarone der Nordallianz, welche dieEinflußmöglichkeiten der Regierung weitgehend beschränken.

Angesichts der erheblichen Inkompetenz der offiziellenGerichte, der schlechten Bezahlung von Polizei und Militärsowie der problematischen Zusammensetzung der Regierungund ihrer Institutionen spielt Korruption von oben bis unteneine zentrale Rolle. Das führt unter anderem dazu, dass Hilfs-gelder auf offiziellem Wege kaum bis ins ländliche Gebietihren Weg finden. Dieser Mangel korrespondiert unglücklichmit der fehlerhaften Entwicklungshilfe, die Sozialprojektepriorisiert, die in den Bevölkerungen der Geberländer ingutem Ansehen stehen, während nachhaltiger Selbsthilfe-Auf-bau und wichtige Infrastrukturmaßnahmen zu kurz kommenoder einseitig an den militärischen Erfordernissen der Besat-zungstruppen ausgerichtet werden.

Die Interventionsstaaten und andere geben neben denmilitärischen Ausgaben auch Gelder für die EntwicklungAfghanistans. Diese betrugen 2002–2006 für Entwicklungs-hilfe ca. 7 Mrd. $ und für Gesundheit/Ernährung ca. 0,43

Mrd. $. Dagegen wurden für den militärischen Bereich ca. 82 Mrd. $ ausgegeben. (Quelle: IMI-Analyse 2007/029). DieZahlen sprechen für sich. Viele Kenner beurteilen außerdemdie Hilfe als wenig effektiv. Vor allem kommen die Mittel nurin ganz geringem Maße der ländlichen Bevölkerung zugute.Dies gilt auch für die etwa 26 Provincial Reconstruction Teams(PRT), die vom Militär gestellt und propagandistisch in denGeberländern stark hervorgehoben werden.

Mittlerweile werden unter dem Begriff „Taliban“ oft allediejenigen Afghanen verstanden, die sich gegen die ausländi-schen Streitkräfte zur Wehr setzen. Dies bedeutet jedoch nicht,dass die Taliban in Wirklichkeit eine einheitliche Gruppe bil-den. Richtiger erscheint es, die Heterogenität der Taliban undihre unterschiedlichen Motivationen anzuerkennen, aber auchderen teilweise Verankerung in der Bevölkerung, speziell in derpaschtunischen. Die Taliban basieren zum Teil auf Traditionender paschtunischen Gesellschaft, zum Teil auf theologischenBegründungen, die vor allem in jüngerer Zeit Verbreitunggefunden haben. Das macht ihre Stärke aus. Bindungen derBevölkerung an die Taliban haben etwas mit Traditionen, Reli-gion, Armut, Perspektivlosigkeit durch wachsende Unsicher-heit und mit lokalen Machtverhältnissen zu tun. Sie sind diffe-renziert wahrzunehmen und zu behandeln. Schwarz-Weiß-Einstufungen sind gänzlich ungeeignet.

Taliban und Al Qaida sind nicht identisch. Während dieTaliban sich vorwiegend auf die afghanische Situation konzen-trieren, folgt Al Qaida einer eher internationalen Orientie-rung, die auch in Konflikt mit örtlichen Interessen der Talibangeraten kann. Al Qaida wird nicht zuletzt von Nicht-Afghanenunterstützt, deren vornehmliches Ziel der Kampf gegen die„westlichen“ Mächte ist, das Ziel einer eigenständigen Ent-wicklung Afghanistans tritt vielfach dahinter zurück. Mitrücksichtslosem Terror, der die Zivilbevölkerung nicht ver-schont, hat Al Qaida anscheinend immer wieder Sympathie inder Bevölkerung verloren und wird auch von afghanischenWiderständlern kritisiert.

Die Taliban haben in der Zeit ihrer Herrschaft die Opium-produktion seit 1996 langsam gesteigert, bis auf Proteste/Dro-

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hungen aus den USA hin im Jahr 2000 eine radikale Senkungauf rund 100 Tonnen erreicht wurde, die ohne Hungeraufstän-de nicht hätte durchgehalten werden können. Dann kam diemilitärische Intervention und machte jeden Drogenbaron„hoffähig“ – auf der einen oder anderen Seite der Kriegspartei-en – so dass die Opium-Produktion sehr ausgeweitet werdenkonnte. Davon profitieren die Bauern relativ wenig, währenddie Taliban mit den Opium-Einkünften ihre Kriegführungfinanzieren und die Opium-Barone ihren Einfluß absichern.Das Interesse an einer Verringerung der Opium-Produktion istdeshalb gering, die destabilisierende Wirkung offensichtlich.Sie gehört nicht zu dem Mandat der ISAF-Truppen. Mittler-weile werden etwa 50 % des Bruttoinlandsprodukts über Dro-gen erwirtschaftet. Etwa 2 Millionen Afghanen erwirtschaftendaraus ihr Einkommen. Afghanistan hat bereits Kolumbien imDrogenmarkt überholt. (Angaben aus Brief von Cornelia Brink-mann am 14. 8. 2008 an A. B.)

Der Krieg in Afghanistan ist so schwer zu beenden, weil eseigentlich gar nicht um Frieden und Demokratie in demLande geht, sondern um viel weiter reichende Ziele der US-Imperialpolitik. Für die US-Politik in Zentralasien wurdeunter dem Einfluss so wichtiger Außen- und Militärpolitikerwie Brzezinski, Eagleburger und Kissinger ein Konzept ent-wickelt mit den Hauptzielen: „Stärkung der Unabhängigkeitder Staaten in dieser Region von ihren Nachbarn (insbesondereRussland, A. B. ), Stärkung ihrer Bindungen an den Westen, Bre-chung des russischen Monopols über die Öl- und Gastransportwe-ge aus der Region. Diese Zielsetzung wurde im Jahre 2000 vomzuständigen US-Unterausschuss des US-Repräsentantenhausesbestätigt.“ (Spoo, Eckart in Ossietzky 17.7.2008) In diesemZusammenhang ging es um den Bau einer Pipeline durchAfghanistan. Hamid Karsai, jetzt Chef in Kabul, fungierte beiden Verhandlungen des Ölgiganten Unocal mit den Talibanüber den Bau einer Pipeline als Berater des Konzerns. Auch derspätere US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Khalilzad,kommt aus dieser Firma. Sind Öl und Gas die Hauptziele dessogenannten „War on Terror“, so stehen selbstverständlichFriedensverhandlungen zur Herstellung der afghanischen Sou-veränität nicht auf der Tagesordnung der militärischen Inter-venten, sondern nur militärischer Sieg.

Die Kriegführung der Interventionsmächte beruht vorwie-gend auf High-Tech-Waffen, durch welche sehr häufig große„Kollateralschäden“ – also Tote und Verwundete unter derZivilbevölkerung – entstehen. Dies führt nicht nur zur zuneh-menden Abwendung der afghanischen Bevölkerung von denInterventionstruppen, sondern stärkt häufig die Kräfte derGuerilla, da Bombardierte sich ihnen anschließen.

Ein Teil der Interventionstruppen steht unter dem Mandatder UN-Sicherheitsrats (Resolution 1386 v. 20.12.2001). Essind dies die International Security Assistance Force (ISAF),die von der NATO geführt wird und einen Frieden erzwingen-den Auftrag hat. Die Operation Enduring Freedom (OEF)steht unter Führung der USA. Sie soll den Krieg gegen die Taliban und Al Qaida führen. Ursprünglich sollten ISAF und OEF getrennt operieren. Mittlerweile verwischen sich dieZuständigkeiten. ISAF wird mehr und mehr zur Krieg führen-den Truppe. Auch die ISAF fordert mittlerweile in großem

Maße Luftunterstützung. Insgesamt werden doppelt so vieleEinsätze geflogen wie gegenwärtig im Irak. (Rose, J., Freitag Nr. 27, 4.7.08, S.5) ISAF wird deshalb von der Bevölkerungimmer weniger als eine eigenständige Schutztruppe, sondernals ein Teil der Interventionsverbände, die so viele „Kollateral-schäden“ verursachen, angesehen.

Die Interventionstruppen sehen sich vor viele zivile Proble-me gestellt, auf die sie als Militär keine Antwort haben. Siebemühen sich deshalb, die ihnen fehlenden Fähigkeiten durchdie Heranziehung ziviler Organisationen zu erlangen. Daswird als zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ, auf eng-lisch: CIMIC) bezeichnet. Die ZMZ zivilisiert aber nicht denmilitärischen Einsatz, sondern dient der Steigerung der Wirk-samkeit der militärischen Intervention. Mit einer Politik derZivilen Konfliktbearbeitung hat dies nichts zu tun.

Die deutsche Regierung wird von den USA und derNATO zunehmend gedrängt, ihre Truppenstärke zu erhöhenund sich verstärkt an den Kampfhandlungen im Süden undOsten Afghanistans zu beteiligen. Sie hat diesem Drängendurch den Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen nachgege-ben, eine schnelle Eingreiftruppe (QRF) gebildet und kündigtTruppenverstärkungen an. Jüngst wird gefordert, auchAWACS-Aufklärungsflugzeuge mit teilweise deutscher Besat-zung einzusetzen. Dieser Einsatz weist auf weitergehende mili-tärstrategische Absichten der Interventen in Richtung Iranhin.

Die Interventionspolitik konzentriert sich vornehmlichauf den Sieg über die Taliban und Al Qaida. Der deutsche Ver-teidigungsminister schätzt, dass die Bundeswehr noch 5–10Jahre in Afghanistan zu bleiben habe, ehe eine Stabilisierungerreicht sein wird. Andere sprechen von 10–15 Jahren. Dajedoch niemand einen so langen Zeitraum prognostisch über-schauen kann, muss man von einem offenen Ende der Militä-rintervention ausgehen. Eine Alternative zur jetzigen Interven-tionspolitik wird von den Regierungen zumindest öffentlichnur unzureichend erörtert.

In den letzten Jahren hat sich die militärische Situationdrastisch verschlechtert. So hat sich die Zahl der Zwischenfälleeiner Studie des Hamburger Instituts für Friedensforschungund Sicherheitspolitik zufolge von etwa 2.600 im Jahr 2006auf rund 4.000 im Vorjahr erhöht. Insbesondere die Zahl derSelbstmordattentate nahm zu. Kam es 2005 nur zu 17Anschlägen dieser Art, waren es 2007 bereits 131. Ob islamis-tische und nationalistische Paschtunen, Drogenhändler undlokale Milizen, Al-Qaida-Terroristen und Jihadisten aus demAusland, Antizentralisten und autonome Kräfte – insgesamtzählte die UNO schon im Jahr 2006 bis zu 2.200 illegalebewaffnete Gruppen. Mit bis zu 200.000 Kämpfern, die übermehr als 3,5 Millionen leichte Waffen verfügen, kontrollierensie nach Schätzungen der internationalen ExpertengruppeSenlis Council mittlerweile 54 Prozent des afghanischen Terri-toriums; in weiteren 38 Prozent sind sie präsent. (J. Rose, Frei-tag, 27, vom 4.7.2008)

„Wichtig ist, die Deutschen in Kunduz zu bekämpfen und zutöten. Die Deutschen sind der wichtigste Feind im Norden undwegen ihrer Stationierung in Kunduz wird diese Stadt bald zumKandahar des Nordens.“ Die Ansage von Taliban-Komman-

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deur Qari Bashir Haqqani an die Bundeswehr 2008 machtdeutlich, dass der Boden für die deutsche ISAF-Truppe auch inder stets als relativ friedlich dargestellten Besatzungszone Nordheißer wird. Aus den von ihr kontrollierten Gebieten im Südenstößt die afghanische Guerilla über Provinzen im Westenimmer weiter auf die von den Deutschen gehaltenen Positio-nen vor. (ebd.)

Da die NATO als weltweite Interventionstruppe aus west-licher Sicht nicht besiegt werden darf, ist eine ständige militä-rische Eskalation zu erwarten, denn „Vietnam 1973“ – die US-Truppen mussten damals fluchtartig Vietnam verlassen - sollauf alle Fälle vermieden werden. PräsidentschaftskandidatObama will ebenfalls mehr Soldaten nach Afghanistan entsen-den. US-Verteidigungsminster Robert Gates schlug vor, stattder bisherigen „Strategie des Aufbaus“, auf eine klassischeAnti-Aufstandsstrategie umzustellen (SZ 13.12.2007, S. 8).Auch alles dies deutet darauf hin, die Interventionsmächte set-zen ganz auf die militärische Karte – eine furchterregende Per-spektive!

Die Nachbarstaaten Afghanistans – Pakistan, China, Tad-schikistan, Usbekistan, Turkmenistan und Iran, aber auch dasfernere Russland – haben unterschiedliche und widersprüchli-che Interessen an diesem Konflikt. Keines dieser Länder hatein Interesse an der Ausbreitung eines radikalen Islamismus,der in ihren Ländern, insbesondere bei den moslemischen Völ-kern zu Opposition und zu Unruhen führen könnte. Sie wol-len auch nicht, dass sich die USA oder die NATO in Afghanis-tan mit dauerhaften Militärstützpunkten einnisten. Angeblichwurden bei den Taliban-Kämpfern Waffen aus China gefun-den, die möglicherweise über Waffenschmuggler oder überden Iran eingekauft wurden (Spiegel Online 4. 9. 2007). EineBeteiligung des Iran wird von den USA immer wieder behaup-tet – wurde jedoch nie bewiesen, es gibt nicht einmal glaub-würdige Indizien (z. B. durch eindeutige Herkunftsbeweiseetc.). Die USA suchen auch andernorts nach Argumenten füreinen Angriff auf Iran. Karsai selbst hat in diese Debatte ein-deutig eingegriffen – und klargestellt, dass der Iran sichfreundschaftlich verhält.1 Offizielle Bestätigungen aus denNachbarländern liegen verständlicherweise nicht vor. Iranfühlt sich dem Volk der Hazara, die mehrheitlich Schiiten sind,besonders verbunden. Sie waren während der Taliban-Herr-schaft Massakern ausgesetzt.

Indien, der Gegenspieler von Pakistan, unterstützt dieRegierung in Kabul, die ja selbst ein prekäres Verhältnis zu Isla-mabad hat. Beide Staaten sind in der Kaschmir-Frage seit Jahr-zehnten verfeindet. Am 7. Juli 2008 tötete ein Selbstmordat-tentäter 40 Menschen vor der indischen Botschaft in Kabul.Indien gehört seit 2001 zu den wichtigsten Partnern der Regie-rung Karsai. Es repariert Staudämme, baut das neue Parlamentund unterstützt Krankenhäuser und Schulen. 3.500 bis 4.000Inder arbeiten in solchen Projekten, werden allerdings auchimmer wieder Opfer von Entführungen. (taz 8.7.2008)

Die britische Kolonialpolitik hatte mit der Durand-Linieeinen Teil des paschtunischen Siedlungsgebietes an Pakistanangeschlossen, der westliche Teil blieb in Afghanistan. VonAfghanistan ist diese Teilung des Siedlungsgebietes der Pasch-tunen nie akzeptiert worden. Sie bildet einen Konfliktpunkt

zwischen beiden Ländern. Nach wie vor fühlt sich die so geteil-te paschtunische Bevölkerung miteinander verbunden. Dasführt dazu, dass die Taliban und Al Qaida paschtunischeGebiete auf der Seite Pakistans als Rückzugsgebiete für ihreUnternehmungen nutzen können. Die paschtunischen Stäm-me in diesem Gebiet kämpfen entschlossen für die Sicherungihrer Autonomie gegenüber Islamabad. Die Regierung Paki-stans versucht über Friedensverträge mit den Stämmen ihrenMachtbereich zu erhalten. Die dortigen Taliban-Islamisten,die das ganze Land von Peshawar bis zur afghanischen Grenzekontrollieren, wandten sich gegen solche Abkommen undgerieten in Konflikt mit einzelnen Stämmen.

Jüngste Angriffe der US-Streitkräfte auf diese pakistani-schen Gebiete haben zu einer erheblichen Verstimmung zwi-schen den USA und Pakistan geführt. Daraus kann sich ange-sichts der labilen Situation in Pakistan eine Ausweitung desKrieges entwickeln. Schon wird von Islamistenführern voneinem „Heiligen Krieg“ gegen die pakistanische Armee gespro-chen, wenn diese den USA helfe, Militäroperationen auf paki-stanischem Gebiet zu führen. (taz 30.6.2008)

Ungeklärt ist das generelle Problem, wie das Knäuel aufge-löst werden kann, das aus materiellen Herrschaftsinteressenund intellektueller Vorherrschaft der Herrschenden gegenüberden Analphabeten und der Religion besteht. Ungeklärt istauch, wie eine tatsächliche Entwaffnung der War Lords mög-lich sein könnte, ohne dass es zu einem Bürgerkrieg kommtwie nach dem Abzug der sowjetischen Truppen.

„Am 9. Mai haben sich in Kabul 3000 Stammesvertreter,Intellektuelle und Politiker aus allen Teilen Afghanistans zur‚Nationalen Friedens-Jirga‘ und damit zu einer starken Friedens-bewegung zusammengeschlossen. Sie repräsentiert die breite,kriegsmüde Bevölkerungsmehrheit vor allem aus dem Süden undOsten Afghanistans, die sich dringend nach Frieden und nacheinem Abzug der ausländischen Soldaten sehnt, die längst nichtmehr als Befreier, sondern immer stärker als Besatzungsmachtempfunden werden. Ihre Botschaft lautet: Afghanistan ist nochnicht verloren. Der Krieg ist auf dem Schlachtfeld nicht zu gewin-nen und nur ein Dialog kann Schlimmeres verhindern. Es gibtMenschen die bereit sind zu helfen, damit der Friedensprozess inGang kommt und Afghanistan in eine friedliche Zukunft blickekann. Sie bitten die europäischen Regierungen und insbesonderedie Bundesregierung um Hilfe. Deutschland genoss in Afghani-stan wie kein anderes Land in Europa ein historisch gewachseneshohes Ansehen. Doch die Reste der alten Sonderbeziehung schwin-den rasch.2 Deutsche Medien beschwören diese Legende, um dieBevölkerung darüber hinwegzutäuschen, dass DeutschlandKriegspartei eines ungerechten Krieges ist. Der Spitzname der

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1 Christoph R. Hörstel: Brandherd Pakistan, Berlin 2008, S. 280, Fn 319: „Weapons supply to Taliban: Afghanistan rejectsIran-Taliban claims“, Daily Times, Lahore, Pakistan, 15.6.2007http://www.dailytimes.com.pk/default.asp?page=2007%5C06%5C15%5Cstory_15-6-2007_pg4_14

2 Hörstel: Sprengsatz Afghanistan, München 2007, S. 188

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Deutschen in Afghanistan lautet mittlerweile: ,Amerikas Wach-hunde‘. Da die Taliban Gespräche mit der afghanischen Regie-rung und den Amerikanern ablehnen, könnte die Bundesregie-rung eventuell gemeinsam mit anderen europäischen Regierungenin Gesprächen mit der Opposition und der afghanischen Regie-rung eine neue Tür für Verhandlungen öffnen. Repräsentantender ‚Nationalen Friedens-Jirga‘ führten darüber bereits im Maiein konstruktives Gespräch mit dem deutschen Botschafter Hans-Ulrich Seidt.“ (Otmar Steinbicker, Aachener Friedenspreis eV., inden Aachener Nachrichten v. 05.07.2008)

Für die Bundesregierung eröffnet sich damit eine Chance,sich für Frieden in Afghanistan zu engagieren. Dazu muss sichdie Bundesregierung von der US-Kriegspolitik abnabeln,wenn sie die Rolle einer ehrlichen Maklerin übernehmen will.

Probleme und Gefahren der gegenwärtigen Situation

Falls Stabilität das Ziel der westlichen Militärintervention ist,so steht sie vor einem doppelten Dilemma. Sie ist weder in derLage, eine stabile und sichere Ordnung zu bewirken, noch istdies allein durch den Abzug ihrer Truppen zu erreichen.

Die Tradition der Stämme, ihre Autonomie gegen staatli-che Ansprüche zu verteidigen, die Armutssituation und die„Kollateral-Opfer“ der Bombardierungen veranlassen immermehr Menschen, sich dem bewaffneten Kampf gegen „denWesten“ anzuschließen. Die NATO-Bombardements stärkensomit die Gegner der Interventionstruppen.

Der Konflikt steht in einem engen Zusammenhang mitder paschtunischen Bevölkerung im pakistanischen Grenzge-biet. Bei einer Ausweitung des Krieges auf Pakistan und – beieinem US-/Israel-Angriff – auf Iran dürfte der Krieg seine bis-herigen Grenzen überschreiten und völlig außer Kontrollegeraten.

Mit Eskalation und Ausweitung verschärft sich die Polari-sierung zwischen islamischen Ländern und den intervenieren-den westlichen kapitalistischen Staaten. Zunehmende Verfein-dung und Feindbilder in den Gesellschaften werden das Ergeb-nis sein. Eine friedliche Lösung – auch von Konflikten außer-halb Afghanistans – würde immer schwieriger.

Legitime Interessen der Akteure des Konflikts

Unter legitimen Interessen werden hier solche verstanden, diemit der Charta der Vereinten Nationen und der AllgemeinenErklärung der Menschenrechte übereinstimmen. Entschei-dungen des UN-Sicherheitsrates konstituieren nicht unbe-dingt legitime Interessen, da sie auch von scheinbaren nationa-len Interessen mächtiger Staaten bestimmt sein können.

Die Bevölkerung Afghanistans, so unterschiedlichsie auch ist, hat ein legitimes Interesse an der Beendigung dermilitärischen Intervention und der Herstellung von Frieden,in dem Wiederaufbau und eine Verbesserung ihrer Lebensver-hältnisse möglich ist. Die Minen und die Clusterbomben müs-sen geräumt werden, damit das Land wieder sicher bearbeitetwerden kann. Sie haben aber auch ein legitimes Interesse, eineeigenständige politische, wirtschaftliche und soziale Entwick-lung zu gestalten und sich nicht von außen diese vorschreibenzu lassen. Auch die europäischen Länder haben sehr viel Zeit –Jahrhunderte! – gebraucht, um ihre bürgerlich-parlamentari-schen Gesellschaften aufzubauen. In Afghanistan müssenunter erschwerten Bedingungen erst die Grundlagen für eineVerfasstheit, die der afghanischen Situation gemäß ist, von denAfghanen selbst gelegt werden. Ein legitimes Interesse kann inden Bemühungen bestehen, eine für ihre Gesellschaft reprä-sentative Verfassung und Regierung zu schaffen. Keine Frage,dies wird, nicht zuletzt wegen der Autonomie-Bestrebungender Stämme, ein schwieriges Unterfangen sein.

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War Lords und Drogenbarone haben zwar massiveInteressen, denen sie auch mit allen Mitteln nachgehen. Diesesind aber keineswegs legitim, da durch sie Ungerechtigkeit undUnterdrückung gefördert werden.

Ein legitimes Interesse der Anliegerstaaten ist es zu ver-hindern, dass der Krieg in Afghanistan auf ihre Gebiete über-greift. Sie müssten sich deshalb um eine Deeskalation des Kon-flikts bemühen, so weit es in ihrer Macht steht. Sie haben fer-ner das legitime Interesse, die USA und die NATO davonabzuhalten, Afghanistan als einen Vasallenstaat herzurichten,der als ein strategisch-militärisches Sprungbrett nach Zentral-asien dienen kann.

Die USA und die NATO haben das legitime Interesse,dass in Afghanistan nicht Terroristen für Anschläge in ihrenLändern ausgebildet werden. Dieses Ziel ist vermutlich durchdie Zerstörung der ursprünglichen Ausbildungslager bereits er-reicht. Die Fortführung der Militärintervention fördert dage-gen den Zuzug internationalistischer, islamistischer Kämpfer,die de facto im Kampf eine Ausbildung erhalten, welche siespäter auch andern Orts terroristisch nutzen können. Ein legi-times Interesse dieser Staaten für die Bekämpfung der Talibanund vor allem für einen Eingriff in die Entwicklung des Landesoder seine Nutzung für weiter reichende strategische Zielebesteht jedoch nicht. – Auch die Verminderung des Mohnan-baus für die Herstellung von Opium kann nicht als ein Inter-esse gewertet werden, das einen Interventionskrieg rechtfertigt,abgesehen davon, dass die lokale Bündnis-Politik der Interven-ten, die sich auf die Drogenwarlords stützt, die Opium-Pro-duktion bisher nur enorm gesteigert hat.

Deutschland kann nur das legitime Interesse verfolgen,mit Afghanistan angemessene wirtschaftliche und entwick-lungspolitische Beziehungen herzustellen, wodurch selbstver-ständlich nicht seine Beteiligung am Interventionskrieggerechtfertigt wird.

Ziele ziviler Konfliktbearbeitung

Eine notwendige Vorbemerkung: Konflikte dieser Arthängen von Entscheidungen und Verhalten auf allen politi-schen und gesellschaftlichen Ebenen ab. Es wäre illusionär zuglauben, ein Wandel könnte allein aufgrund gesellschaftlicherund sozialer Bewegungen herbeigeführt werden. Deshalb wer-den im Folgenden auch Vorschläge für internationales undnationalstaatliches Handeln unterbreitet, wenngleich wir wis-sen, dass solche Vorschläge meist nicht akzeptiert werden.Unsere Vorschläge sind aber aus einem anderen Grunde wich-tig: Uns wird immer vorgehalten, die jeweilige militärischeKonfliktbearbeitung sei alternativlos. Wir können jedoch zei-gen, es gibt sehr wohl zivile und menschenrechtlich geprägteAlternativen zu den vorherrschenden Kriegspolitiken. Dabeiist nicht zu erwarten, dass Friedensstiftung und -vermittlungdurch einen einmaligen Akt zu erreichen sind. Vielmehr gehtes darum, von verschiedenen Akteuren und Ansätzen aus einenProzess ziviler Konfliktbearbeitung anzustoßen und damit diezunächst noch bestehenden Blockaden für einen Dialog zuüberwinden.

Je nach der aktuellen Situation werden sich an Ziviler Kon-fliktbearbeitung nichtstaatliche, staatliche und internationaleOrganisationen beteiligen. „Es gibt nicht das eine Konzept zivi-ler Konfliktbearbeitung als Allheilmittel für den Umgang mitInteressensgegensätzen und unterschiedlichen Werte- und Über-zeugungssystemen. Zivile Konfliktbearbeitung ist voraussetzungs-reich und stellt hohe Anforderungen, auch an die Friedens-forschung, deren Analysen deutlich mehr als die unmittelbarenKonfliktparteien und deren Streitgegenstand einbeziehen müssen.Ihre Umsetzung erfordert vielfältige politische Abwägungen undEntscheidungen. Aber genau in diesen Herausforderungen stecktihr großes Potential, nicht nur zur Gewaltreduktion, sondern

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ebenso zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen zu können...“ (Weller/Kirschner 2005)

Wesentliche Akteure der NATO setzen aus vielerlei Grün-den auf militärisches Vorgehen, auch wenn dadurch eine fried-liche Lösung offenbar in immer weitere Ferne rückt. Die zivileStrategie für Afghanistan, die hier als Grundlage für die Poli-tik-Orientierung und Argumentation der Friedensbewegungvorgeschlagen wird, muss ihren Ansatz mit ihrem übergreifen-den Ziel verbinden, militärische Interventionspolitik zurück-zudrängen und zivile Konfliktbearbeitung zur gängigen Praxiswerden zu lassen. Aus dieser Sicht sind die Ziele dieser zivilenAfghanistan-Strategie:›› Frieden und Kooperation zu fördern und damit die Sicher-

heit im Lande zu stärken›› Darauf zu drängen, dass den Völkern Afghanistans nicht

die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten Entwicklungund staatlichen Ordnung in Einklang mit ihren histori-schen Traditionen verstellt wird

›› Einen Ausweg aus der militärischen Konfrontation zueröffnen

›› Zivile Konfliktbearbeitung (ZKB) zu erproben und alsAlternative bekannt zu machen

›› Möglichst viele NATO-Länder auf diesen zivilen Kurs zubringen

›› Die Selbstständigkeit der EU-Staaten gegenüber der US-Interventionspolitik zu fördern, auch wenn keine Illusionüber die Bereitschaft vieler EU-Staaten, auf militärischeInterventionspolitik zu verzichten, bestehen darf.

Eine Zivile Strategie für Frieden, Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan

Die Situation in Afghanistan kann nicht schlagartig verändertwerden. Die führende NATO-Macht USA ist nicht bereit, ihreTruppen abzuziehen, wie auch nicht ihr Interventionsver-bund, die NATO. Im Juli 2008 erklärte der Präsidentschafts-kandidat Obama, er werde als Präsident der USA 10.000 wei-tere Soldaten nach Afghanistan senden. (FR. 17.7.2008) Des-halb ist jede Diskussion unter dem Vorzeichen „Wenn morgenalle Truppen abziehen“ unrealistisch. Die Weichenstellung hinzu Ziviler Konfliktbearbeitung muss bereits unter den Bedin-gungen fortgesetzter Kampfhandlungen erfolgen. Darauf zie-len die folgenden Vorschläge.

Die Ausgangsthesen lauten: Erstens: Da eine baldige Änderung der US-Interventions-

politik nicht zu erwarten ist, muß ein gewichtiger beteiligterStaat ausscheren, um zu zeigen, dass eine nicht-militärischeBearbeitung des Konflikts aus der jetzigen Sackgasse führen

kann. Deutschland könnte diese wichtige Rolle durch einefriedenspolitische Wende seiner bisherigen Afghanistan-Poli-tik spielen und gleichzeitig eine Exitstrategie für die NATOeröffnen. Die Unterstützung für eine solche Wende scheint inder deutschen Gesellschaft vorhanden zu sein.

Zweitens: Erst wenn die afghanische Bevölkerung eineVerbesserung ihrer Lebensverhältnisse unter Wahrung ihrerAutonomie und ihrer Würde erkennen kann, wird sie sichauch so engagiert für Frieden und gegen Konfrontation einset-zen, dass eine Chance entsteht, Frieden Wirklichkeit werdenzu lassen. Eine wesentliche Verbesserung erfährt sie jedochnicht durch die bisherigen Tätigkeiten der ISAF-Truppen,geschweige denn durch die OEF-Kampfeinsätze. Diese kön-nen trotz aller absichtsvollen mythischen Verklärung keinesystematische Politik der Entwicklung und Friedensförderungbetreiben.

Anforderungen

Alle an einer solchen Wende interessierten Kräftesollten nach ihren jeweiligen Möglichkeiten auf die Konfliktbeteiligten einwirken und die folgendenAnforderungen an sie stellen:

Anforderungen an die deutsche Politik

Deutschland nennt ein festes, nahe liegendes Datum, bis zudem die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen seinwerden. Nur unter dieser Voraussetzung darf das Mandat fürdie Bundeswehr verlängert werden. Es gibt damit ein deutli-ches Signal der Neuorientierung. Die Bundeswehreinheitenerhalten die Anweisung, sich ab sofort nicht in Kämpfe einzu-mischen. Dies gilt sowohl für Truppen, die der OEF zugeord-net sind, für ISAF-Truppen, der Quick-Reaction Force (QRF)und für den Einsatz der Tornados. Der Bundestag stimmtgegen einen Einsatz von AWACS-Flugzeugen mit deutscherBesatzung.

Berlin gibt gleichzeitig bekannt, es werde seine zivile Hilfeje nach Bedarf bis zu dem Betrag aufstocken, der durch denAbzug der Truppen frei würde. Das sind etwa 500 MillionenEuro jährlich. Diese Mittel stünden für Entwicklungsprojektein Afghanistan zur Verfügung, die von Orten und/oder Regio-nen des Landes gemeinsam für wichtig und nützlich gehaltenwerden und tatsächlich die Lebensbedingungen der Menschenvornehmlich auf dem Lande verbessern. Dort ginge es umschulische, soziale und medizinische Versorgung. Ferner umArbeitsplätze, Wasserversorgung und landwirtschaftliche Pro-duktionen, unabhängig vom Mohnanbau für die Opium-Her-stellung. Von den UN sind Vorschläge hierfür ausgearbeitetworden. Vorschläge aus der afghanischen Gesellschaft kämenhinzu. Deutsche Afghanistan-Experten sollten gebeten wer-den, Strategien der Entwicklung für die unterschiedlichenBedingungen in Afghanistan zu entwerfen und zur Diskussion

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zu stellen. Eine Zusammenarbeit mit dem „National Solidari-ty Program“ (NSP) der Weltbank, das anscheinend an lokalenBedürfnissen ansetzt, könnte geprüft werden.

Die Bundesregierung erklärt ihre Bereitschaft, als Vermitt-lerin zwischen den Konfliktparteien, sowohl innerhalb Afgha-nistans, als auch mit den Interventionsmächten, zu dienen. Sienimmt die erforderlichen Kontakte für diese Mission auf undbeginnt mit bilateralen Gesprächen, um die Vorstellungen undWünsche der einzelnen Akteure zu erfahren.

Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ)und andere einschlägige Dienste werden beauftragt, angepass-te Technologien für die Produktion von Gebrauchsgegenstän-den unter den Bedingungen in Afghanistan vorzuschlagen, diemöglichst vor Ort produziert werden können. Die Projektar-beit könnte angesichts der zu erwartenden langen Vorlaufzei-ten sogleich begonnen werden.

Die weltweit erfolgreichen Modelle der Kleinkredite wer-den in Afghanistan eingesetzt, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Für die Projekte sollten zunächst Regionen mit besondersgünstigen Bedingungen ausgewählt werden, in denen aucheine gewisse Konzentration von Projekten verwirklicht werdenkann. Dabei darf allerdings der paschtunische Siedlungsbe-reich nicht ausgespart werden. Dies würde auf andere Regio-nen ausstrahlen. Die Menschen würden verstehen, dass sichFrieden und Kooperation für sie lohnen. So wüchse die Bereit-schaft, sich an Projekten aktiv zu beteiligen und Konfliktefriedlich zu lösen.

Die Konzentration auf den ländlichen Bereich schließtnicht aus, auch allgemeine oder städtische Projekte zu unter-stützen. Dazu kann auch die rechtsstaatliche Ausbildung vonPolizisten gehören, soweit diese nicht zu Kampftruppenumfunktioniert werden.

Die Festlegung der Projekte bedarf unabdingbar der Ein-beziehung und der Zustimmung der örtlichen oder regionalenKräfte und auch derer, die sich den Taliban zuordnen. WerAussöhnung will, darf die bisherigen Gegner nicht ausgrenzen!Auf diese Weise können auch Dialog und Zusammenarbeit derverschiedenen Kräfte vor Ort, sowie Vertrauen untereinandergefördert werden.

Ermutigung der ins Ausland geflohenen afghanischenIntelligenz, in ihre Heimat zurückzukehren, um dort an derEntwicklung mitzuwirken. Dazu könnte auch eine vorüberge-hende materielle Förderung gehören. Allerdings stoßen Exil-Afghanen bei ihrer Rückkehr oft auf Ablehnung wegen dervermuteten Übernahme westlicher Lebensformen und Einstel-lungen. Deshalb sollte der Qualifizierung von Afghanen undAfghaninnen im Inland zusätzlich eine hohe Priorität einge-räumt werden.

Die folgenden Prinzipien sollten bei Entwicklungsprojekten maßgebend sein:

›› Vorschläge für Projekte können von allen Seiten gemachtwerden.

›› Alle zuständigen Kräfte werden zur Erörterung undBeschlussfassung der Projekte von denen eingeladen, dieden Vorschlag gemacht haben.

›› Projekte werden nur verwirklicht, wenn alle Seiten ein-schließlich der Geber zustimmen. Kommt keine Einigungzustande, so werden die Projekte nicht verwirklicht.

›› Für die Ausführung von Arbeiten werden möglichst örtli-che Kräfte einbezogen, auch wenn sich dadurch die Kostenerhöhen sollten. Wichtig ist, dass Einkommen durchArbeit entsteht und gleichzeitig die Produktionsstrukturenim Lande sowie eine Qualifizierung der Arbeitskräftegefördert werden.

›› Korruption ist nicht hinnehmbar, selbst wenn dann einProjekt nicht verwirklicht werden kann.

›› Projekte und die dabei gemachten Erfahrungen sind imganzen Land zu publizieren, um die Arbeit und ihre Prin-zipien bekannt zu machen. Das kann die Projektarbeit aus-weiten.

›› Von Seiten der Bundesrepublik sollte die Zusammenarbeitso koordiniert werden, dass die verwirrende Konkurrenzverschiedener staatlicher und NRO-Akteure überwundenwird und damit die Wirksamkeit der Maßnahmen gestei-gert werden kann.

Die Bundesregierung appelliert an die NATO und die Auf-ständischen, solche Projekte, Orte und Regionen nicht in dieKriegführung einzubeziehen, selbst wenn an den Projektenden Taliban nahestehende Kräfte beteiligt sind. Solche Appellesollten auch von denjenigen ausgehen, die an den Projekteninteressiert sind und dort mitarbeiten.

Die Bundesregierung bemüht sich gleichzeitig darum, dassandere in Afghanistan engagierte NATO- und EU-Staatenihrem Beispiel folgen. Kleinere NATO-Staaten könnten einInteresse haben, sich dem interventionistischen Militärkursder USA und der NATO zu entziehen, da sie sich von zivilenStrategien viel bessere wirtschaftliche Möglichkeiten in Nah-und Mittelostasien versprechen. Die Bundesregierung erläu-tert ihre neue Politik der NATO und den USA.

Mit einer derartigen Politik könnte Deutschland eineWende vom Krieg zur zivilen Konfliktbearbeitung und von derKonfrontation zum Dialog einleiten. Das wäre ein Signal, dasweit über Afghanistan hinaus in vielen islamischen Länderngehört werden würde. Damit würde gleichzeitig ein Auswegaus der militärischen Sackgasse eröffnet.

Anforderungen an die UNO

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beendet seine Poli-tik der Abstinenz, was die Wahrnehmung seiner Verantwor-tung für Afghanistan angeht und bedient sich des in der Sat-zung der Vereinten Nationen in Kap. VI kodifizierten Instru-mentariums zur Wiederherstellung von Frieden und Sicher-heit in Afghanistan.

Anforderungen an die USA

Jegliche militärische Eskalation zu vermeiden, die Kampf-handlungen und Verfolgungen einschließlich willkürlicherVerhaftung und Folter einzustellen und Gespräche mit allen

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Konfliktakteuren mit dem Ziel aufzunehmen, den militäri-schen Konfliktaustrag zu beenden.

Zu erklären, dass die USA nach einem Abzug der Interven-tionstruppen ihre Militärstützpunkte auflösen und die volleSouveränität Afghanistans respektieren würden.

Die Politik der Zivilen Konfliktbearbeitung, die mögli-cherweise von Deutschland betrieben wird, zu respektierenund sie nicht durch militärische Aktionen zu beschädigen.

Alles mögliche zu unternehmen, damit die Landminenund die Bomblets der US-Streubomben unschädlich gemachtwerden, so dass das Land wieder gefahrlos betreten und bear-beitet werden kann, sowie jegliche „Kollateralschäden“ zu ver-meiden.

Anforderungen an die Europäische Union

Die EU löst sich aus ihrer Abhängigkeit von der US-Hegemo-nialpolitik und setzt sich für die Etablierung eines friedlichenKonfliktlösungsmechanismus‘ nach dem Vorbild des „Helsin-ki-Prozesses“ (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit,KSZE) ein. Sie bietet an, die hierbei gewonnenen Erfahrungeneinzubringen.

Anforderungen an die militärisch beteiligten Mitglieder der NATO

Die militärischen Aktionen einzustellen und in gegenseitigerAbstimmung die entwicklungspolitische Unterstützung aus-zuweiten.

Sich in ihren Stationierungsgebieten an der Beseitigungvon Landminen und Bomblets der US-Streubomben zu betei-ligen.

An die Gesellschaften dieser Staaten, sich in ihrem Landefür eine solche Wende in der Bearbeitung des Afghanistan-Konflikts einzusetzen.

Anforderungen an die afghanischen Stämme und Gruppierungen

Sich auf eine mögliche Wende der deutschen Politik konstruk-tiv einzustellen, die Bereitschaft dazu öffentlich zu erklärenund die Regierung in Berlin daraufhin anzusprechen.

Vorschläge für entwicklungspolitische Projekte, die derarmen ländlichen Bevölkerung nutzen, auszuarbeiten und zuunterbreiten. Der geringe Ausbildungsstand der afghanischenBevölkerung ist ein großes Hindernis auf dem Wege zu einereigenständigen Entwicklung. Es ist deshalb notwendig, Alpha-betisierung, schulische, berufliche und technische Ausbildungin einer Weise zu fördern, die mit den Traditionen und religiö-sen Vorstellungen der afghanischen Gesellschaft verträglichsind.

Untereinander den Dialog über solche Projekte zu suchen,um eine breite Unterstützung zu sichern.

Diesen neuen Ansatz abzusichern und die darin engagier-ten Personen zu schützen.

Zu prüfen, ob sie emigrierte afghanische Fachleute einla-den wollen, um an der Durchführung von Projekten mitzuar-beiten.

Regionale Friedens-Jirgas abzuhalten, um dort neben kon-kreten Projekten auch die Perspektiven der gesellschaftlichenEntwicklung des Landes zu erörtern. Dabei gilt es auch, Tali-ban-Kräfte in den Dialog einzubeziehen.

Anforderungen an die Gruppierungen der Taliban

Ihre Dialogbereitschaft öffentlich zu machen und diese nichtan Vorbedingungen zu knüpfen, die von der Seite der Inter-venten nicht oder noch nicht erfüllt werden können.

Den Dialog mit anderen Kräften in Afghanistan aufzuneh-men, um eine gemeinsame gesellschaftliche Perspektive zu ent-wickeln.

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Angriffe auf die Zivilbevölkerung des Landes einzustellen.Ihren politischen Alleinvertretungsanspruch zugunsten

einer Politik der Kooperation aufzugeben.

Anforderungen an die Kräfte der ehemaligen Nord-Allianz

Ihre Privatarmeen (Milizen) aufzulösen.Die so frei werdenden Personen für Entwicklungsprojekte

im jeweiligen Bereich einzusetzen.Angriffe auf die Zivilbevölkerung des Landes einzustellen.

Anforderungen an die Regierung in Kabul

Sich mit den in der nationalen Friedens-Jirga zusammenge-schlossenen Stämmen in Verbindung zu setzen mit dem Ziel,die Regierung auf eine breitere Basis zu stellen und den domi-nanten Einfluss der War Lords und Opium-Barone im politi-schen Prozess zurückzudrängen, sowie einen Dialog-Prozesszur Überwindung von Gewalt in Gang zu setzen.

Gespräche mit den Taliban aufzunehmen bzw. zu intensi-vieren, um sie in den politischen Prozess einzubeziehen.

Schutzzölle zu verhängen, um eine eigenständige landwirt-schaftliche, handwerkliche und industrielle Entwicklung zuermöglichen.

Freilassung von gefangenen Frauen und Männern, denenkeine strafrechtlichen Vergehen nachgewiesen werden können.Besonders Frauen werden oft mit höchst zweifelhaften Vor-würfen in Gefängnissen festgehalten.

Anforderungen an die Nachbarstaaten Afghanistans

Keine Waffen nach Afghanistan zu liefern und Lieferungendurch Waffenhändler zu unterbinden.

Sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes ein-zumischen.

Ihre wirtschaftliche Kooperation mit Afghanistan zu stär-ken, auch wenn Afghanistan für bestimmte Einfuhren Schutz-zölle erheben sollte.

Anforderungen an die in Afghanistan arbeitenden NROs

Sich einer solchen Politik der zivilen Konfliktbearbeitunganzuschließen und sie gegenüber deutschen Dienststellen undanderen, sowie in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Aufgrund ihrer Erfahrungen Vorschläge und Konkretisie-rungen auszuarbeiten und untereinander zur Diskussion zustellen. Dabei müssten auch die günstigsten regionalen undlokalen Ansatzpunkte sowie Partner überlegt und Prioritätenin Bezug auf die Art der Projekte ermittelt werden.

Die Rolle und Aufgaben der Friedensbewegung imAfghanistan-Konflikt

Die für Frieden eintretenden Kräfte in Afghanistan, wie z. B.die Nationale Friedens-Jirga, zu unterstützen, sie in Europabekannt zu machen, ihr Kontakte und öffentliche Foren zu öff-nen und ihre Forderungen zur Diskussion zu stellen.

Sich mit dem hier vorgeschlagenen Konzept zu befassenund es bei Zustimmung in der Öffentlichkeit und gegenüberden politischen Parteien, Gewerkschaften und Kirchenbekannt zu machen und zu vertreten.

Das Konzept in den Gesellschaften der NATO-Staaten zuverbreiten und in Zusammenarbeit mit dortigen Bewegungen,Gruppierungen und Institutionen Kampagnen für eine Wendezu ziviler Konfliktbearbeitung einzutreten.

Die Kritik und die Gefahren der jetzigen Militärinterven-tion in Afghanistan ständig zu thematisieren und gegen diesePolitik zu protestieren.

Mit dieser Kritik auch Soldaten, die nach Afghanistangeschickt werden sollen, zu konfrontieren.

Gesellschaftliche und ökonomische Interessengruppen, dievon einer Fortsetzung des militärischen Konflikts zu profitie-ren hoffen, öffentlich anzuprangern.

Widerstände, Probleme und Interessen gegenüber einersolchen AlternativeDieser Krieg wird nicht für die Entwicklung und Demokrati-sierung Afghanistans geführt. Strategische Ziele in Süd- undZentralasien spielen eine große Rolle. Die Widerstände gegeneine friedliche Lösung in Afghanistan von seiten der interve-nierenden Mächte werden deshalb erheblich sein.

Der Militärorganisation NATO, der sich tendenziell auchJapan anschließen wird, geht es ferner um die Kohärenz unddie Fähigkeit der NATO, als weltweites militärisches Interven-tionsinstrument zu dienen und nicht zu versagen. Sie muss alsobeweisen, dass sie einen solchen Konflikt siegreich bestehenkann. Zivile Konfliktbearbeitung steht quer zu diesem Ziel.

Mit der hier vorgeschlagenen zivilen Friedenspolitik, diegleichzeitig eine Exitstrategie aus dem afghanischen Sumpfwäre, würde Deutschland aller Voraussicht nach unter starkenDruck aus den USA und der NATO geraten. Doch hat dieBundesrepublik nicht die Verweigerung einer direkten Beteili-gung am Irak-Krieg gut ertragen können? Außerdem würdedamit eine fruchtbare Auseinandersetzung innerhalb derNATO über den Sinn weltweiter militärischer Interventions-politik angeregt werden.

Der Schutz ziviler HelferInnen ist ein Problem. Denn es istnicht auszuschließen, dass solche Projekte von Al Qaida, Tali-ban-Gruppen oder auch von rivalisierenden Kräften der afgha-nischen Bevölkerung (z. B. bei Entwicklung von Alternativenzur Opium-Produktion) angegriffen werden. Diese Angriffereduzieren sich auf ein Minimum, wenn örtliches Vorgehenörtlich von den Shuras abgesegnet wird und die HelferInnenauf Einladung kommen. (z.B. „Modell Erös“/KinderhilfeAfghanistan e.V.) Es ist ferner nicht auszuschließen, dass solcheProjekte auch von den NATO-Truppen in ihre Kampfhand-lungen absichtlich oder unabsichtlich einbezogen werden.

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Das Argument, Hilfe und Entwicklung bedürften des mili-tärischen Schutzes greift also nicht. Denn erstens ist das ISAF-Militär nicht in der Lage, die zivilen Helfer zu schützen, undzweitens halten Afghanen Helfer unter militärischem Schutznicht für neutral, sondern für einen Teil der militärischenIntervention. Dies umso mehr, wenn ISAF als kämpfendeNATO-Truppe agiert und „Zivilmilitärische Zusammenar-beit“ (CIMIC bzw. ZMZ) praktiziert wird. Entwicklungshel-fer sehen sich deshalb durch Militär eher gefährdet als geför-dert. Die Abstimmung von Projekten mit den jeweiligen Kräf-ten vor Ort und deren Beteiligung dürfte die beste Sicherungsein.

Die EU, die oftmals ihre Abhängigkeit von der US-Hege-monialpolitik beklagt, könnte in der hier vertretenen Politik-wende eine Chance sehen, ihre eigene Selbstständigkeit auszu-weiten. Dies würde voraussichtlich zu Richtungskämpfeninnerhalb der EU führen, was ganz im Sinne der Friedensbe-wegung wäre, da dann die interventionistischen Tendenzen derEU öffentlich zur Diskussion gestellt würden.

Eine zivile Alternative könnte auch von Seiten der asiati-schen Anliegerstaaten unterstützt werden, da sie die US-Inter-ventionspolitik mit Sorge betrachten. In Iran könnte sie alseine Stärkung der eigenen Sicherheit gegenüber Angriffsten-denzen der USA verstanden werden.

Insgesamt handelt es sich um eine ambitiöse und komplexe zivile Alternative, deren Ziele überAfghanistan hinaus in den Bereich grundsätzlicherpolitischer Weichenstellung gehen. Man könntedurchaus von einem Schritt auf dem Wege zum Vorrang für zivile Konfliktbearbeitung sprechen. Es lohnt sich also, dafür einzutreten und zu arbeiten.

Anhang 1Anmerkungen zu den historischen Hintergründen des Afghanistan-Konflikts

Grundelemente der afghanischen Entwicklung

Im Folgenden werden nur Grundelemente der afghanischenGeschichte benannt, die noch heute von Bedeutung für dasVerständnis des Geschehens in Afghanistan sind. DieGeschichte des Landes kann in dem sehr übersichtlichen Buchvon Conrad Schetter (2007) nachgelesen werden, auf das sichdiese Darstellung, wenn nichts anderes angegeben ist, stützt.

Das Gebiet des heutigen Afghanistan war vom Beginn des16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zwischen den persischenSafawiden, den nord-indischen Moguln und den usbekischenSchaibaniden geteilt. Eine erste Reichsgründung fand erstMitte des 18. Jahrhunderts unter der paschtunischen Stam-mesföderation der Durrani statt, der fast 100 Jahre interneMachtkämpfe mit zwischenzeitlichen Konsolidierungen folg-ten. Erst im 19. Jahrhundert bürgerte sich der Name Afghani-stan ein. Afghane ist das Synonym für Paschtune. Afghanistanist also das Reich der Paschtunen, das aber viele andere Völkervor allem Tadschiken, Usbeken und die schiitischen Hazaramit einschloss.

Afghanistan war umgeben von starken expandierendenMächten: Russland im Norden, Persien im Westen und Bri-tisch-Indien im Osten, zu dem auch das heutige Pakistangehörte. Im Laufe der Geschichte engten diese Nachbarn dasursprüngliche Herrschaftsgebiet sehr ein. Afghanistan verlorden Zugang zum arabischen Meer.

Von 1838 bis 1919 wurden drei anglo-afghanische Kriegegeführt. Im ersten erlitt Großbritannien eine verheerende Nie-derlage. Das hatte jedoch eine weitgehende Isolierung Afgha-nistans bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zur Folge. Groß-britannien gelang es 1893, die Grenze zwischen Afghanistanund Britisch-Indien, die Durand-Linie, durchzusetzen. Siedurchtrennt das paschtunische Siedlungsgebiet, so dass aufbeiden Seiten der Grenze paschtunische Stämme leben. DieseGrenze ist nach wie vor umstritten und spielt gegenwärtig einegroße Rolle, weil durch sie Pakistan in den afghanischen Kon-flikt mit einbezogen wird. Erst 1919 erlangt Afghanistan seineUnabhängigkeit, freilich in einem sehr eingeschränkten Gebietohne Meereszugang.

Die kommenden Jahrzehnte sind von einem ständigenKampf um Modernisierung und deren Abwehr durch dieStämme gekennzeichnet. „Subjekt der Modernisierung – d.h.jeglicher Reform – waren im 20. Jahrhundert und sind potentiellweiterhin städtische Eliten. Diese waren und sind stärker laizi-stisch geprägt, zum großen Teil dari-sprachig (Dari = Hofsprache,Tadschikisch, mit Farsi = Neupersisch eng verwandt; nicht dieSprache der überwiegenden Mehrheit). Ein großer Teil dieser Eli-ten hatte im Ausland studiert, viele in beiden deutschen Staaten,wurde von entwicklungspolitischen Spezialisten sowohl aus denUSA und Westeuropa als auch aus der Sowjetunion und Chinaberaten, oft auch in einem Maße beeinflusst, das zur Entfremdungdieser Elite(n) von der Bevölkerung führte. Die Armee war schon

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vor 1973 (Sturz der Monarchie) stark von sowjetischen – wenigervon westlichen - Beratern geprägt.

Die Modernisierungsstrategien, die von diesen Eliten verfolgtwurden, waren vom sowjetischen Entwicklungsweg (Zentral-asien) stark beeinflusst. Das gilt vor allem für Veränderungen imsozialen Gefüge: Besitzreformen, Landverteilung, Wasserrechteund -verteilung.

Objekt der Modernisierung war eine teils agrarische, teilsnomadische Stammesbevölkerung, fast durchweg analphabetisch,geführt von Clan-Oberen und Mullahs (letztere mit meist sehrgeringem Bildungsniveau), durchweg islamisch und gleichzeitigeinem die Clanherrschaft festigenden Gewohnheitsrecht folgend.Die Landbesitzer, von denen die größeren abwesende Landlordswaren, und die Mullahs widersetzten sich den städtischen Moder-nisierungsansätzen, schon zur Zeit der Monarchie, und wandel-ten sich nach 1973 / 1979 zu Führern diverser Mudschaheddin-Verbände, realiter Warlords. Gegen ortsfremde Eliten populisti-schen Widerstand und schließlich bewaffneten Aufstand zu orga-nisieren fiel ihnen um so leichter, als sie die lokalen Sprachen undDialekte sprachen – eben nicht Dari. Zudem nutzten sie denIslam, den unter der analphabetischen Bevölkerung zu verbreitenihr Monopol war, als ideologisches Mobilisierungsinstrument.“(Aus einem Brief von Karl Grobe an A. B. v. 13. 7. 2008)

Der Kampf um Modernisierung führte 1963 zu einer kon-stitutionellen Monarchie mit einer Verfassung (1964). ZaherSchah wurde 1973 gestürzt und die Republik ausgerufen. ImApril 1978 putschte nach einer Verhaftungswelle die in zweiFlügel gespaltene kommunistische Partei erfolgreich gegen dieRegierung von Mohammad Daud. Dabei hatte Moskau nichtdie Hand im Spiel, war doch Afghanistan ein zu rückständigesLand.

Der radikalere Flügel (khalq) der kommunistischen Parteisetzte sich durch und brachte alsbald wiederum die traditiona-len Kräfte insbesondere auf dem Lande gegen sich auf.

Stellvertreter-Krieg in Afghanistan während des West-Ost-Konflikts

Die innerafghanische Auseinandersetzung wurde nun für denWest-Ost-Konflikt instrumentalisiert. Schon am 3. Juli 1979,also fast ein halbes Jahr vor der sowjetischen Invasion, unter-schrieb Präsident Carter die erste Direktive für eine geheimeUnterstützung für die radikalen islamistischen, antikommuni-stischen und fundamentalistischen Mujaheddin. Sie sollten diesäkulare kommunistische Regierung stürzen. Der gewichtigeaußenpolitische Stratege der USA, Brzezinski, war sichbewusst, dass diese Aktionen das Risiko für eine militärischeIntervention der Sowjets erheblich erhöhen würde. Trotzdembefürwortete er diese geheimen Aktionen, denn hierdurchwürde die Sowjetunion in die afghanische Falle gelockt werden(http://de.wikipedia.org/wiki/Zbigniew). Diese für die afghani-sche Regierung gefährlichen Kämpfe veranlassten die UdSSR,im Dezember 1979 tatsächlich in Afghanistan mit katastro-phalen Folgen für sie selbst militärisch zu intervenieren.

Deshalb waren die USA auch nicht an der Beilegung desKrieges mit seinen vielen Opfern und Zerstörungen interes-siert, da der Krieg in Afghanistan für die UdSSR eine riesige

Belastung darstellte. Brzezinski ist heute der außenpolitischeBerater von Barak Obama. Er misst dem Sieg in Afghanistaneine imperial-strategische Bedeutung bei. (Ritz, Hauke: Blätterfür deutsche und internationale Politik, 7/2008, 53ff.)

Nach dem Geneva Accord (1988) zwischen Afghanistan,Pakistan, den USA und der UdSSR zogen sich die sowjetischenTruppen aus Afghanistan zurück. Es begann ein innerafghani-scher Machtkampf, der 1992 zum Sturz der „kommunisti-schen Regierung“ in Kabul führte. Die „Widerstandsparteien“einigten sich auf eine Übergangsregierung. Afghanistan wurde„Islamische Republik“. Trotzdem gingen die Kämpfe mitwechselnden Koalitionen bis 1996 weiter. Durch sie wurdeKabul weitgehend zerstört.

Ab 1994 traten die Taliban als wichtige Kraft im Südosten,im paschtunischen Siedlungsgebiet auf. Ihre Entstehung ist an-scheinend eng mit Aktivitäten des pakistanischen Militärge-heimdienstes ISI (Inter Services Intelligence) verbunden undfand auch die Unterstützung durch die USA. Sie knüpfen anpaschtunischen Stammestraditionen und -werten an. Ihr Kenn-zeichen und Instrument ist ein radikal verkürzter und ver-fälschter Islam. Sie verprachen aber auch Ordnung und Friedenund kämpften gegen die in Cliquenkämpfen verhedderte Muja-hedin-Herrschaft. Sie setzten sich nicht allein aus Koran-Schü-lern pakistanischer und afghanischer Medressen (Koran-Schu-len) zusammen, auch ehemalige Mujahedin und khalqis (Mit-glieder des khalq-Flügels der kommunistischen Partei) warenbeteiligt. Paschtunische traditionelle Eliten setzten zumindestzu Beginn Hoffnungen auf sie, ihren früheren Einfluss wiederge-winnen zu können. Wichtig bis zur Gegenwart war und ist, dassdie Taliban die ländliche paschtunische Bevölkerung wenigdrangsalierten – während sie vielfach in schroffem Gegensatz zurstädtischen, häufig nicht paschtunischen Bevölkerung standen.

Die Mujahedin-Bewegungen schlossen sich zur Nord-Alli-anz zusammen, die jedoch nach wechselhaften, meist grausa-men Kämpfen von beiden Seiten den Taliban nicht standhaltenkonnte. Ihr blieb lediglich Badakschan und das Panjschirtal un-ter dem populären Führer Mas’du (Massoud) als Basis erhalten,der zwei Tage vor dem 11. 9. 2001 durch einen Selbstmordan-schlag ums Leben kam.

Unter der Taliban-Herrschaft wurde die Kriminalität imLande erheblich vermindert. Afghanistan stieg zum Drehkreuzeines intensiven Schmuggels zwischen Dubai, Iran, den GUS-Staaten und Pakistan auf. Es wurde aber auch zur Drehscheibeeines globalisierten Netzwerks militanter Islamisten unter derFührung Osama Bin Ladens. Sie brachten Geld ins Land undunterstützten die Taliban in ihrem Kampf gegen die Nord-Alli-anz. Sie durften Ausbildungscamps anlegen. Daraus entwickel-te sich das international orientierte islamistische Netzwerk AlQaida, von dem 1998 die Anschläge auf die US-Botschaften inDar-es-salam und Nairobi ausgingen. Diese wurden von denUSA mit Raketenangriffen auf die Ausbildungslager in Ost-Afghanistan beantwortet. Im Dezember 2000 beschlossen dieUN Sanktionen, die das Taliban-Regime isolierten.

Für die US-Politik in Zentralasien wurde unter dem Ein-fluss so wichtiger Außen- und Militärpolitiker wie Brzezinski,Eagleburger und Kissinger ein Konzept entwickelt mit denHauptzielen: „Stärkung der Unabhängigkeit der Staaten in die-

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ser Region von ihren Nachbarn (insbesondere Russland, A. B.),Stärkung ihrer Bindungen an den Westen, Brechung des russischenMonopols über die Öl- und Gastransportwege aus der Region.Diese Zielsetzung wurde im Jahre 2000 vom zuständigen US-Unterausschuss des US-Repräsentantenhauses bestätigt.“ (Spoo,Eckart in Ossietzky 17.7.2008) In diesem Zusammenhang ginges um den Bau einer Pipeline durch Afghanistan. Bei den erfor-derlichen Verhandlungen wurden auch die Taliban einbezo-gen. Letztlich kam eine Einigung nicht zustande und das Pro-jekt wurde auf Eis gelegt.

Hamid Karsai, jetzt Chef in Kabul, fungierte bei den Ver-handlungen des Ölgiganten Unocal mit den Taliban über denBau einer Pipeline als Berater des Konzerns. Auch der spätereUS-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Khalilzad, kommt ausdieser Firma. Präsident Bush erklärte in seinem Energiebericht2001: „Aus energiepolitischer Sicht erhält Afghanistan großeBedeutung auf Grund seiner geographischen Lage als potentielleTransitroute für Öl- und Erdgastransporte aus Zentralasien hinzum arabischen Meer.“ (ebd.) Es geht in Afghanistan also auchum Ressourcen, Handelswege, geostrategische Interessen undnicht allein um den „War on Terror“.

Der 11. 9. 2001 und seine Folgen

Der Angriff auf das World Trade Center wurde alsbald AlQaida angelastet. Die USA werteten den Terroranschlag völ-kerrechtlich als staatlich zurechenbaren Angriff von außen undreklamierten das Recht auf Selbstverteidigung. Die NATO rieferstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus. Die USA bil-deten eine „Coalition against Terrorism“, der neben denNATO-Mitgliedern auch Russland, Saudi-Arabien und Paki-stan angehörten.

Die Taliban verweigerten die Auslieferung Osama Bin La-dens an die USA, sondern wollten ihn dem InternationalenStrafgerichtshof nach Den Haag übergeben. Dies aber wurdevon den USA brüsk zurückgewiesen nach dem Motto: „Uncon-ditional Surrender“. Die USA begannen daraufhin im Rahmender „Operation Enduring Freedom“ die Bombardierungen inAfghanistan. Dies hatten sie bereits den Taliban im Juli 2001 an-gedroht, also weit vor dem 11.9.2001, als diese die Modalitätenim Kontext des geplanten Pipelinebaus abgelehnt hatten. Wäh-rend eines Treffens in Berlin wurde den Taliban-Vertretern ge-sagt, entweder würden sie das US-Angebot akzeptieren oderman würde sie unter einem Teppich von Bomben begraben. Diemilitärische Operationsplanung für den Afghanistan-Krieg hat-te das Pentagon dementsprechend bereits im April 2001 fertig-gestellt. (Angaben nach J. Rose vom 21.8.2008 und C.R. Hörstel,Sprengsatz Afghanistan, S. 13 und SS. 181f.)

Mit Kriegsbeginn ermutigten und unterstützten die USAzusammen mit Großbritannien die ehemaligen Kräfte derNordallianz, gegen die Taliban militärisch vorzugehen. Schonnach etwa zwei Monaten wurde Kabul erobert, die Taliban-Herrschaft gestürzt und die Verbrecher der Nord-Allianz andie Macht gebracht.

Auf der Petersberger Konferenz bei Bonn sollte Ende 2001ein politischer Neuanfang begründet werden. Bei der Konfe-

renz waren jedoch im wesentlichen die Sieger der Nordallianz,die Peschawar-Gruppe als Vertreterin pakistanischer Interes-sen, die Rom-Gruppe um den früheren Schah und die Pasch-tunen vorwiegend durch Exilafghanen vertreten. Fehlanzeigefür die Repräsentation der großen Bevölkerungsmehrheit derländlichen Paschtunen.

Bei der folgenden Regierungsbildung spielten wiederumdie War Lords der Nordallianz eine große Rolle und die Exilaf-ghanen, die vielfach der realen Lebenswelt auf dem Lande ent-fremdet waren.

Die geschlagenen Taliban zogen sich in wenig zugänglicheBereiche zurück und fanden Unterstützung bei paschtuni-schen Stämmen. Militärisch wandten sie sich Guerilla-Takti-ken zu. Sie regruppieren sich gegenwärtig wieder als jeweilslokale Kampfgruppen mit ebenso lokaler Verankerung gegenjegliche Manifestation einer provinzialen oder gesamtstaat-lichen Gewalt. Ihre Aktivitäten stehen insgesamt unter derFührung durch Mullah Omar und der Rahbari Shura, des 10–11-köpfigen Führungsgremium der Taliban, das diewesentlichen Beschlüsse fasst. (C. Hörstel, Sprengsatz S. 114;Lothar Rühl, „In Afghanistan steht die militärische Entscheidungweiterhin aus“, FAZ 22.06.2007, S. 10 )

Die Kriegführung der Interventionstruppen mit ihrenhohen „Kollateralschäden“, sowie das Fehlen einer wirklichenHilfe zur Bekämpfung von Armut auf dem Lande treiben denTaliban immer neue Kämpfer auch für Selbstmordattentate zu.

Die UN-mandatierte Schutztruppe ISAF unter Führungder NATO ist für die Afghanen nicht mehr unterscheidbar vonden Kampftruppen von Operation Enduring Freedom (OEF).Derselbe US-General kommandiert zudem sowohl NATO wieOEF. Über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeu-gen neben seinen Bodentruppen ist Deutschland mittlerweilefest in die militärischen Kämpfe eingebunden, zumal es seitJuli 2008 auch noch eine militärische Eingreiftruppe (QuickReaction Force) stellt. Seit 2001 war auch das KSK (Komman-do Spezial-Kräfte) der Bundeswehr in Afghanistan in gehei-men Missionen unter OEF-Führung im Einsatz. Aktuell(8/2008) wird diskutiert, ob AWACS Flugzeuge mit auchdeutscher Besatzung nach Afghanistan geschickt werden sol-len. Das wäre ein weiterer Schritt zur Kriegsbeteiligung derBundeswehr.

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Page 16: Dossier IV Der Afghanistan-Konflikt

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