Dr. Dietrun Lübeck Freie Universität Berlin
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Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen
Dr. Dietrun LübeckFreie Universität Berlin
DOSS 2010 / Jahrestagung dghd4. Dortmund Spring School for Academic Staff Developers
2Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Forschungsfrage
Verfolgen Lehrende unterschiedlicher Fachdisziplinen verschiedene Lehransätze?
Hypothese: In den Soft Sciences wird eher studierendenorientiert gelehrt,
in den Hard Sciences wird eher lehrendenorientiert gelehrt.
Was sagen die Daten?
3Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Hintergrund (A)Theorie: Was sind Lehransätze?
Lehransätze setzen sich aus Motiven bzw. Absichten (als internale Faktoren) sowie Strategien (als beobachtbarer Anteil) zusammen, die Lehrende in einem spezifischen Lehrsetting verfolgen.
Lehransätze resultieren aus Lehrkonzeptionen (den zugrunde liegenden Überzeugungen), welche wiederum spezielle Abstufungen von allgemeiner formulierten Lehrorientierungen sind. vgl. Kember, 1997
Lehrkonzeptionen
Motive & Intentionen Strategien
Lehransätze Lehrverhalten
Überzeugungen
Lehrorientierung
4Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Hintergrund (A) Theorie: inhaltsorientierte vs. lernorientierte Lehransätze
Lehrendenorientierter Lehransatz
content-centered / teacher-orientated information transmission
•Motivation der Studierenden: durch Lehrplan und Prüfungen begründet
•Unterrichtsstrategie: Lehrende/r legt fest, was wichtig zu lernen ist; Versorgung mit Materialien
•Umgang mit Erfahrungen: Kenntnisstand und Erfahrungen (Fälle, Beispiele) der/des Lehrenden
Studierendenorientierter Lehransatz
learning-centered/ student-orientatedconceptual change
•Motivation der Studierenden: Aufgabe der/des Lehrenden
•Unterrichtsstrategie: Unterstützen beim Erkenntnis-gewinn & Konstruktion von Wissen; aktivierende Aufgaben
•Umgang mit Erfahrungen: Nutzung und Anerkennung der Erfahrungen der Studierenden
Kember & Kwan, 2002
5Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Hintergrund (B) Theorie: Spezifika verschiedener Fachkulturen
Kember & Kwan, 2002
Mit den Fachdisziplinen gehen bestimmte Paradigmen einher, die sich nicht nur auf den Umgang mit Wissen in diesem Fach und die entsprechenden Forschungsstrategien auswirken, sondern auch den Umgang mit Lehr-Lern-Situationen und den damit verbundenen Anforderungen prägen (vgl. Neumann, 2001).
Die Fachrichtungen bzw. Disziplinen beeinflussen also, wie gelehrt, gelernt und auch geforscht wird.
Becher (1994): academic tribes Ylijoki (2000): moral order
6Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Hintergrund (B) Spezifika verschiedener Fachkulturen: „Hard Sciences“
Pure hard knowledge Beispieldisziplinen: Mathematik, Physik, Chemie Wissen als quantifizierbar und mit exakten Definitionen von
Phänomenen darstellbar forschungsbezogene Wissensgemeinschaft (wettbewerbsorientiert,
aber kontaktfreudig, publiziert in Mehrautorenschaft) Wissensvermittlung überwiegend in Vorlesungen mit Übungen,
(in den Vorlesungen liefern die Lehrenden den Stoff, den die Studierenden dann in den Übungen anwenden sollen).
Applied hard sciences Beispieldisziplinen: Medizin und Ingenieurwissenschaften berufen sich auf die Methoden der pure-hard-Disziplinen Ziel der Forschung: Bewältigung der physischen Umwelt
(Natur, menschlicher Körper und Geist). Wissen dieser Disziplinen als kumulativ und anwendbar,
wobei empirische Beweise als essentiell gelten.
Biglan (1973), Becher (1994), Neumann, Parry & Becher (2002)
7Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Hintergrund (B) Spezifika verschiedener Fachkulturen: „Soft Sciences“
Pure soft knowledge • Beispieldisziplinen: Geisteswissenschaften, Geschichte und Ästhetik• als sich ständig wiederholend, holistisch, sich mit Einzelheiten
befassend und qualitativ • Überaltertes Wissen gibt es nicht so wie bei den pure hard sciences• Wissen wird eher durch das Streben einzelner Personen aufgebaut,
überlappende Forschungsinteressen sind dementsprechend seltener. • Lehre mit stärkerer Gewichtung auf Diskussionen und studentischen
Lernvorhaben.
Applied soft sciences • Beispieldisziplinen: Rechtswissenschaft, Theologie, Verhaltenswiss.• Theorien werden hauptsächlich aus dem pure soft-knowledge-Bestand
abgeleitet, befassen sie sich eher mit deren praktischen Anwendungen im Feld
• Forschen und Lehren werden interaktiv involviert.
Biglan (1973), Becher (1994), Neumann, Parry & Becher (2002)
8Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Erhebung
Parallel an 4 Hochschulen im deutschsprachigen Raum:Zürich, Duisburg-Essen, TU Berlin, Neubrandenburg
Anschreiben per E-Mail webbasierter Fragebogen im SS 2006
Rücklaufquote: 14%
9Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Fragebogen
personenbezogene Daten der Lehrenden (u.a. Fachdisziplin)
lehrebezogene Aus- und Weiterbildungserfahrung der Lehrenden
Umgang mit lehrebezogener Rückmeldung
Selbsteinschätzung bezüglicher eigener Lehrfähigkeit
Selbstwirksamkeitserwartungen bezüglich der eigenen Lehrtätigkeit
Persönliche Wichtigkeit von Lehre und Arbeitszeiten Rahmenbedingungen für die Lehre
Beschreibung einer konkreten Lehrveranstaltung Lehransatz in dieser LV (ATI-R nach Trigwell, Prosser & Ginns, 2005; Lübeck, 2009), Kompetenzerwerbsziele und Rollenverständnis in dieser LV
Allgemeines und lehrebezogenes berufliches Belastungserleben
10Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Erfassung von Lehransätzen
Approaches to Teaching Inventory (ATI-R) nach Trigwell, Prosser & Ginns, 2005
Zwei Subskalen mit je 11 Items:
ITTF Information Transmission Intention / Teacher Focused Strategy
Beispiel:Es ist wichtig, den Studierenden möglichst viele Fakten zu präsentieren, damit sie wissen, was sie für dieses Fach lernen müssen.In dieser Lehrveranstaltung versorge ich die Studierenden mit den Informationen, die sie zum Bestehen der Prüfungen brauchen werden.
CCSF Conceptual Change Intention / Student Focused Strategy
Beispiel:In dieser Lehrveranstaltung soll viel Zeit dafür genutzt werden, die Überlegungen der Studierenden zu hinterfragen.In den Lehrveranstaltungssitzungen provoziere ich absichtlich Debatten und Diskussionen.
11Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Stichprobe (N=696)
Hochschulen: 58% Schweiz, 42% Deutschland
Fachdisziplinen: 37% Sozial-/ Geisteswissenschaften21% Naturwissenschaften19% Medizin / Gesundheitswissenschaften15% Ingenieurwissenschaften5% Wirtschaftswissenschaften2% Rechtswissenschaften
Geschlecht: 31% weiblich, 64% männlich
Dienstverhältnisse: 31% Professor/innen52% wissenschaftliche Mitarbeiter/innen16% Lehrbeauftragte
12Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Ergebnisse: Verteilung der Lehransätze
Auf beiden Subskalen eher starke Ausprägung (SF= student focused; TF= teacher focused; Min. 1; Max. 5) TF-Ansatz M=3,20 SD=0,70 Median=3,27SF-Ansatz M=3,44 SD=0,74 Median=3,54
TFMedian
SFMedian
13Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Ergebnisse: Lehransätze in den Fachdisziplinen
38%34% 35%
70%
43%41%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
Natur
wiss.
Inge
nieur
wiss.
Wirt
scha
ftswiss
.
Sozial
-/Geis
tesw
iss.
Med
izin/
Gesun
d.wiss
.
Recht
swiss
.
SF-Skala(obere Hälfte, Mediansplit)
TF-Skala(obere Hälfte, Mediansplit)
14Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Fachkompetenzen scheinen in den Sozial-/Geisteswissenschaften und Rechtswissenschaf-ten als alleinige Kompetenz weniger von Bedeutung zu sein.
Der alleinige Erwerb von Personalkompetenz spielt vor allem in den Rechtswissenschaften eine Rolle.
Der Erwerb aller vier Kompetenzbereiche scheint in den Sozial-/ Geisteswissenschaften am wichtigsten (aber auch Personalkompe-tenzen).
Ergänzende Ergebnisse: Kompetenzerwerbsziele und Fachdisziplin
15Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Geistes-/ Sozialwissen-schaftler/innen und Rechtswiss. haben anteilig häufiger ein studierendenzentriertes Rollenverständnis.
Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaftl. haben häufiger ein lehrendenzentriertes Rollenverständnis.
Ergänzende Ergebnisse: Lehrebezogenes Rollenverständnis und Fachdisziplin
2=42,589; df=20; p< .01
16Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Zusammenfassung und Ausblick
Hinsichtlich des Lehransatzes und damit korrelierender Variablen unterscheiden sich die Lehrenden unterschiedlicher Fachrichtungen.
Die Unterteilung nach Becher in Soft und Hard Sciences erweist sich hier als weitgehend brauchbares Kategorisierungsschema.
Es gibt allerdings in allen Fachrichtungen auch viele Lehrende, die entgegen der Hard-Soft-Science-Hypothese lehren. (z.B. 38% studierendenorientiert lehrende Naturwissenschaftler/innen)
Diskussion
• Wenn wir mehr Lehrende mit studierendenorientierter Lehre haben wollen, dürfte sich eine fachspezifisch-lehrebezogene Aus-/ Weiter-bildung lohnen? (z.B. Differenzierung der Adressaten in Soft und Hard Sciences)
• Andere Variablen (z.B. der vorrangige LV-Typ in dem Fach) müssen mit berücksichtigt werden.
17Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
18Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Was sind Lehransätze (approaches to teaching)?
- Direktionalität – Dimensionalität – Situationsspezifität- Bewertung
Lehrendenorientierter Lehransatz
content-centered / teacher-orientatedinformation transmission
Durch Lehrplan und Prüfungen begründet
Lehrende/r legt fest, was wichtig zu lernen ist; Versorgung mit Materialien
Gruppe als Ganzes soll extern gesetzte Standards erreichen
Häufig und orientiert an externalen Motivatoren (s.o.)
Gleichbehandlung oder Orientierung an den Schwächeren
Kenntnisstand und Erfahrungen (Fälle, Beispiele) der/des Lehrenden
Studierendenorientierter Lehransatz
learning-centered/ student-orientatedconceptual change
Aufgabe der/des Lehrenden
Unterstützen beim Erkenntnisgewinn & Konstr. von Wissen; aktivier. Aufgaben
Studierende als Individuen mit persönl. und lernbezog. Erfahrungen
Eher mit Wahlmöglichkeiten, eher passend zu Interessen & Bedürfn.
Korrektur oder Aufhebung von Schwächen, Erfahrungserweiterung
Nutzung von Erfahrungen der Studierenden
Motivation der Stud.
Unterrichts-strategie
Fokus auf
Prüfungen
Umgang mit Stud.spezif.
Umgang mit Erfahrungen
Vgl. Kember & Kwan, 2002
19Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Ergänzende Ergebnisse: Kompetenzerwerbsziele und Fachdisziplin
Was sollen die Studierenden in dieser Lehrveranstaltung lernen? (MFN möglich)
A Wissen erwerben, bewerten, anwenden und übertragen können B Lern- und Arbeitstechniken erwerben (Recherche, Präsentation etc.) C Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erwerben
(auch eigene Meinung einbringen, Verantwortung übernehmen etc.) D Interesse, Motivation und Leistungsbereitschaft für das Studium
entwickeln
Auszählung der Nennungen und Kombinationen: alleinige Nennung Personalkompetenzen: 30% alleinige Nennung Fachkompetenzen: 24% alle vier Kompetenzbereiche: 19% Kombination aus Fach- und Personalkompetenzen: 10%. Kombination aus Fach-, Methoden- und Personalkompetenzen: 6%Alle weiteren Kombinationen wurden von weniger als 3% der Lehrenden gewählt.
20Dietrun Lübeck: Wie lehren Hochschullehrende ihr Fach? Empirische Befunde zu Lehransätzen in verschiedenen Fachdisziplinen (Dortmund, 5. März 2010)
Ergänzende Ergebnisse: Lehrebezogenes Rollenverständnis und Fachdisziplin
Abkürzungen: TF++ deutlich und TF+ eher lehrendenzentriertes Rollenverständnis; SF++ deutlich und SF+ eher studierendenzentriertes Rollenverständnis; TF/SF Übergangskategorie