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dtv Bibliothek der Erstausgaben Heinrich von Kleist Michael Kohlhaas

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dtvBibliothek der Erstausgaben

Heinrich von KleistMichael Kohlhaas

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Heinrich von Kleist

Michael Kohlhaas

Berlin i810

Herausgegeben vonJoseph Kiermeier-Debre

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Der Nachdruck des Textes folgt originalgetreuder Erstausgabe von i 8 t o.

Die Originalpaginierung wird im fortlaufenden Text vermerkt.Der Anhang gibt Auskunft zu Autor und Werk.

OriginalausgabeApril 1997

3. Auflage November 2004Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

www.dtv.de© 1997 Deutscher Taschenbuch Verlag, München

Umschlagkonzept: Balk & BremshagenUmschlagbild: Ausschnitt des Gemäldes

„1)ie Landung Maria de Medicis in Marseille" (1774)von Peter Paul Rubens

Gesetzt aus der Bembo BertholdSatz: Fritz Franz Vogel, CH-Wädenswil

Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 3-423 -02604-9

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5 MICHAEL KOHLHAAS.

An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sech-zehnten Jahrhunderts, ein Roßhändler, Namens MichaelKohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der recht-

10 schaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschenseiner Zeit. — Dieser außerordentliche Mann würde, bisin sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staats-bürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe,das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf

15 welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; dieKinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in derFurcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht Einerwar unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohl-thätigkeit, oder seiner Gerechtigkeit 121 erfreut hätte; kurz,

20 die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen,wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. DasRechtgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.

Er ritt einst, mit einer Koppel junger Pferde, wohl-genährt alle und glänzend, ins Ausland, und überschlug

25 eben, wie er den Gewinnst, den er auf den Märkten damitzu machen hoffte, anlegen wolle: theils, nach Art guterWirthe, auf neuen Gewinnst, theils aber auch auf denGenuß der Gegenwart: als er an die Elbe kam, und beieiner stattlichen Ritterburg, auf sächsischem Gebiete, einen

30 Schlagbaum traf, den er sonst auf diesem Wege nichtgefunden hatte. Er hielt, in einem Augenblick, da eben der

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Regen heftig stürmte, mit den Pferden still, und rief denSchlagwärter, der auch bald darauf, mit einem grämlichenGesicht, aus dem Fenster sah. Der Roßhändler sagte, daßer ihm öffnen solle. Was giebt's hier Neues? fragte er, dader Zöllner, nach einer geraumen Zeit, aus dem Hause trat.Landesherrliches Privilegium, antwortete 131 dieser, indemer aufschloß: dem Junker Wenzel von Tronka verliehen.-- So, sagte Kohlhaas. Wenzel heißt der Junker? und sahsich das Schloß an, das mit glänzenden Zinnen über das

10 Feld blickte. Ist der alte Herr todt? — Am Schlagfluß gestor-ben, erwiederte der Zöllner, indem er den Baum in dieHöhe ließ. — Hm! Schade! versetzte Kohlhaas. Ein würdi-ger alter Herr, der seine Freude am Verkehr der Menschenhatte, Handel und Wandel, wo er nur vermogte, forthalf,

15 und einen Steindamm einst bauen ließ, weil mir eine Stute,draußen, wo der Weg ins Dorf geht, das Bein gebrochen.Nun! Was bin ich schuldig? — fragte er; und holte dieGroschen, die der Zollwärter verlangte, mühselig unterdem im Winde flatternden Mantel hervor. „Ja, Alter,"

20 setzte er noch hinzu, da dieser: hurtig! hurtig! murmelte,und über die Witterung fluchte: „wenn der Baum imWalde stehen geblieben wäre, wärs besser gewesen, fürmich und euch;" und damit gab er ihm das Geld undwollte reiten. Er war aber noch kaum unter den Schlag-

25 baum gekommen, 141 als eine neue Stimme schon: haltdort, der Roßkamm! hinter ihm vom Thurm erscholl, under den Burgvoigt ein Fenster zuwerfen und zu ihmherabeilen sah. Nun, was giebt's Neues? fragte Kohlhaasbei sich selbst, und hielt mit den Pferden an. Der

30 Burgvoigt, indem er sich noch eine Weste über seinenweitläufigen Leib zuknüpfte, kam, und fragte, schief gegen

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die Witterung gestellt, nach dem Paßschein. — Kohlhaasfragte: der Paßschein? Er sagte, ein wenig betreten, daß er,so viel er wisse, keinen habe; daß man ihm aber nurbeschreiben mögte, was dies für ein Ding des Herrn sey:so werde er vielleicht zufälligerweise damit versehen seyn.Der Schloßvoigt, indem er ihn von der Seite ansah, versetz-te, daß ohne einen landesherrlichen Erlaubnißschein, keinRoßkamm mit Pferden über die Gränze gelassen würde.Der Roßkamm versicherte, daß er siebzehn Mal in seinem

10 Leben, ohne einen solchen Schein, über die Gränzegezogen sey; daß er alle landesherrlichen Verfügungen, diesein Gewerbe angingen, genau kennte; daß dies wohl nurein Irrthum seyn 151 würde, wegen dessen er sich zu beden-ken bitte, und daß man ihn, da seine Tagereise lang sey,

15 nicht länger unnützer Weise hier aufhalten möge. Dochder Voigt erwiederte, daß er das achtzehnte Mal nichtdurchschlüpfen würde, daß die Verordnung deshalb erstneuerlich erschienen wäre, und daß er entweder den Paß-schein noch hier lösen, oder zurückkehren müsse, wo er

20 hergekommen sey. Der Roßhändler, den diese ungesetz-lichen Erpressungen zu erbittern anfingen, stieg, nach einerkurzen Besinnung, vom Pferde, gab es einem Knecht, undsagte, daß er den Junker von Tronka selbst darübersprechen würde. Er ging auch auf die Burg; der Voigt folgte

25 ihm, indem er von filzigen Geldraffern und nützlichenAderlässen derselben murmelte; und beide traten, mitihren Blicken einander messend, in den Saal. Es traf sich,daß der Junker eben, mit einigen muntern Freunden, beimBecher saß, und, um eines Schwanks willen, ein unendli-

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ches Gelächter unter ihnen erscholl, als Kohlhaas, um seineBeschwerde anzubringen, sich ihm näherte. Der Junker

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fragte, was er wolle; 161 die Ritter, als sie den fremden Mannerblickten, wurden still; doch kaum hatte dieser seinGesuch, die Pferde betreffend, angefangen, als der ganzeTroß schon: Pferde? Wo sind sie? ausrief, und an dieFenster eilte, um sie zu betrachten. Sie flogen, da sie dieglänzende Koppel sahen, auf den Vorschlag des Junkers, inden Hof hinab; der Regen hatte aufgehört; Schloßvoigtund Verwalter und Knechte versammelten sich um sie,und alle musterten die Thiere. Der Eine lobte den

^o Schweißfuchs mit der Blesse, dem Andern gefiel der Kasta-nienbraune, der Dritte streichelte den Schecken mitschwarzgelben Flecken; und Alle meinten, daß die Pferdewie Hirsche wären, und im Lande keine bessern gezogenwürden. Kohlhaas erwiederte munter, daß die Pferde nicht

15 besser wären, als die Ritter, die sie reiten sollten; undforderte sie auf, zu kaufen. Der Junker, den der mächtigeSchweißhengst sehr reizte, befragte ihn auch um den Preis;der Verwalter lag ihm an, ein Paar Rappen zu kaufen, dieer, wegen Pferdemangels, in der Wirthschaft gebrauchen

20 zu köne inen glaubte; doch als der Roßkamm sich erklärthatte, fanden die Ritter ihn zu theuer, und der Junker sagte,daß er nach der Tafelrunde reiten und sich den KönigArthur aufsuchen müsse, wenn er die Pferde so anschlage.Kohlhaas, der den Schloßvoigt und den Verwalter, indem

25 sie sprechende Blicke auf die Rappen warfen, mit einan-der flüstern sah, ließ es, aus einer dunkeln Vorahndung, annichts fehlen, die Pferde an sie los zu werden. Er sagte zumJunker: „Herr, die Rappen habe ich vor sechs Monaten für25 Goldgülden gekauft; gebt mir 3o, so sollt ihr sie haben."

30 Zwei Ritter, die neben dem Junker standen, äußerten nichtundeutlich, daß die Pferde wohl so viel werth wären; doch

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der Junker meinte, daß er für den Schweißfuchs wohl, abernicht eben für die Rappen, Geld ausgeben mögte, undmachte Anstalten, aufzubrechen; worauf Kohlhaas sagte,er würde vielleicht das nächste Mal, wenn er wieder mit

5 seinen Gaulen durchzöge, einen Handel mit ihm machen;sich dem Junker empfahl, und die Zügel seines Pferdesergriff, um abzureiten. In diesem Augen18Iblick trat derSchloßvoigt aus dem Haufen vor, und sagte, er höre, daßer ohne einen Paßschein nicht reisen dürfe. Kohlhaas

io wandte sich und fragte den Junker, ob es denn mit diesemUmstand, der sein ganzes Gewerbe zerstöre, in der Thatseine Richtigkeit habe? Der Junker antwortete, mit einemverlegnen Gesicht, indem er abging: ja, Kohlhaas, den Paßmußt du lösen. Sprich mit dem Schloßvoigt, und zieh

15 deiner Wege. Kohlhaas versicherte ihn, daß es gar nichtseine Absicht sey, die Verordnungen, die wegenAusführung der Pferde bestehen mögten, zu umgehen;versprach, bei seinem Durchzug durch Dresden, den Paßin der Geheimschreiberei zu lösen, und bat, ihn nur

20 diesmal, da er von dieser Forderung durchaus nichts ge-wußt, ziehen zu lassen. Nun! sprach der Junker, da ebendas Wetter wieder zu stürmen anfing, und seine dürrenGlieder durchsauste: laßt den Schlucker laufen. Kommt!sagte er zu den Rittern, kehrte sich um, und wollte nach

25 dem Schlosse gehen. Der Schloßvoigt sagte, zum Junkergewandt, daß er wenigstens ein Pfand, 191 zur Sicherheit,daß er den Schein lösen würde, zurücklassen müsse. DerJunker blieb wieder unter dem Schloßthor stehen.Kohlhaas fragte, welchen Werth er denn, an Geld oder an

30 Sachen, zum Pfande, wegen der Rappen, zurücklassensolle? Der Verwalter meinte, in den Bart murmelnd, er

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könne ja die Rappen selbst zurücklassen. Allerdings, sagteder Schloßvoigt, das ist das Zweckmäßigste; ist der Paßgelös't, so kann er sie zu jeder Zeit wieder abholen.Kohlhaas, über eine so unverschämte Forderung betreten,sagte dem Junker, der sich die Wamsschöße frierend vorden Leib hielt, daß er die Rappen ja verkaufen wolle; dochdieser, da in demselben Augenblick ein Windstoß eineganze Last von Regen und Hagel durch's Thor jagte, rief,um der Sache ein Ende zu machen: wenn er die Pferde

10 nicht loslassen will, so schmeißt ihn wieder über denSchlagbaum zurück; und ging ab. Der Roßkamm, dervvohl sah, daß er hier der Gewaltthätigkeit weichen mußte,entschloß sich, die Forderung, weil doch nichts andersübrig blieb, zu erfüllen; spannte die Rappen aus, und Iio1

15 führte sie in einen Stall, den ihm der Schloßvoigt anwies.Er ließ einen Knecht bei ihnen zurück, versah ihn mitGeld, ermahnte ihn, die Pferde, bis zu seiner Zurückkunft,wohl in Acht zu nehmen, und setzte seine Reise, mit demRest der Koppel, halb und halb ungewiß, ob nicht doch

20 wohl, wegen aufkeimender Pferdezucht, ein solches Ge-bot, im Sächsischen, erschienen seyn könne, nach Leipzig,wo er auf die Messe wollte, fort.

In Dresden, wo er, in einer der Vorstädte der Stadt, einHaus mit einigen Ställen besaß, weil er von hier aus seinen

25 Handel auf den kleineren Märkten des Landes zu bestrei-ten pflegte, begab er sich, gleich nach seiner Ankunft, aufdie Geheimschreiberei, wo er von den Räthen, deren ereinige kannte, erfuhr, was ihm allerdings sein ersterGlaube schon gesagt hatte, daß die Geschichte von dem

30 Paßschein ein Mährchen sey. Kohlhaas, dem die mißver-gnügten Räthe, auf sein Ansuchen, einen schriftlichen

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Schein über den Ungrund derselben gaben, lächelte überden Witz des dürren Junkers, obschon IIII er noch nichtrecht einsah, was er damit bezwecken mogte; und dieKoppel der Pferde, die er bei sich führte, einige Wochen

5 darauf, zu seiner Zufriedenheit, verkauft, kehrte er, ohneirgend weiter ein bitteres Gefühl, als das der allgemeinenNoth der Welt, zur Tronkenburg zurück. Der Schloß-voigt, dem er den Schein zeigte, ließ sich nicht weiterdarüber aus, und sagte, auf die Frage des Roßkamms, ober die Pferde jetzt wieder bekommen könne: er mögtenur hinunter gehen und sie holen. Kohlhaas hatte aberschon, da er über den Hof ging, den unangenehmenAuftritt, zu erfahren, daß sein Knecht, ungebührlichenBetragens halber, wie es hieß, wenige Tage nach dessen

15 Zurücklassung in der Tronkenburg, zerprügelt undweggejagt worden sey. Er fragte den Jungen, der ihm dieseNachricht gab, was denn derselbe gethan? und werwährend dessen die Pferde besorgt hätte? worauf dieseraber erwiederte, er wisse es nicht, und darauf dem Roß-

20 kamm, dem das Herz schon von Ahnungen schwoll, denStall, in welchem sie standen, öffnete. Wie groß war abersein Erstaunen, als I12I er, statt seiner zwei glatten undwohlgenährten Rappen, ein Paar dürre, abgehärmte Mäh-ren erblickte; Knochen, denen man, wie Riegeln, hätte

25 Sachen aufhängen können; Mähnen und Haare, ohneWartung und Pflege, zusammengeknetet: das wahre Bilddes Elends im Thierreiche! Kohlhaas, den die Pferde, miteiner schwachen Bewegung, anwieherten, war auf dasAeußerste entrüstet, und fragte, was seinen Gaulen wider-

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fahren wäre? Der Junge, der hei ihm stand, antwortete,daß ihnen weiter kein Unglück zugestoßen wäre, daß sie

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auch das gehörige Futter bekommen hätten, daß sie aber,da gerade Ernte gewesen sey, wegen Mangels an Zugvieh,ein wenig auf den Feldern gebraucht worden wären.Kohlhaas fluchte über diese schändliche und abgekartete

5 Gewaltthätigkeit, verbiß jedoch, im Gefühl seiner Ohn-macht, seinen Ingrimm, und machte schon, da doch nichtsanders übrig blieb, Anstalten, das Raubnest mit den Pfer-den nur wieder zu verlassen, als der Schloßvoigt, von demWortwechsel herbeigerufen, erschien, und fragte, was es

io hier gäbe? Was es 1131 giebt? antwortete Kohlhaas. Wer hatclem Junker von Tronka und dessen Leuten die Erlaubnißgegeben, sich meiner bei ihm zurückgelassenen Rappenzur Feldarbeit zu bedienen? Er setzte hinzu, ob das wohlmenschlich wäre? versuchte, die erschöpften Gaule durcheinen Gertenstreich zu erregen, und zeigte ihm, daß siesich nicht rührten. Der Schloßvoigt, nachdem er ihn eineWeile trotzig angesehen hatte, versetzte: seht den Grobi-an! Ob der Flegel nicht Gott danken sollte, daß die Mäh-ren überhaupt noch leben? Er fragte, wer sie, da der

20 Knecht weggelaufen, hätte pflegen sollen? Ob es nichtbillig gewesen wäre, daß die Pferde das Futter, das manihnen gereicht habe, auf den Feldern abverdient hätten?Er schloß, daß er hier keine Flausen machen mögte, oderdaß er die Hunde rufen, und sich durch sie Ruhe im Hofe

25 zu verschaffen wissen würde. — Dem Roßhändler schlugdas Herz gegen den Wams. Es drängte ihn, den nichts-würdigen Dickwanst in den Koth zu werfen, und den Fußauf sein kupfernes Antlitz zu setzen. Doch sein Rechtge-fühl, das einer 1141 Goldwaage glich, wankte noch; er war,

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vor der Schranke seiner eigenen Brust, noch nicht gewiß,ob eine Schuld seinen Gegner drücke; und während er,

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die Schimpfreden niederschluckend, zu den Pferden trat,und ihnen, in stiller Erwägung der Umstände, die Mähnenzurecht legte, fragte er mit gesenkter Stimme: um wel-chen Versehens halber der Knecht denn aus der Burg

5 entfernt worden sey? Der Schloßvoigt erwiederte: weilder Schlingel trotzig im Hofe gewesen ist! Weil er sichgegen einen nothwendigen Stallwechsel gesträubt, undverlangt hat, daß die Pferde zweier Jungherren, die auf dieTronkenburg kamen, um seiner Mähren willen, auf der

to freien Straße übernachten sollten! — Kohlhaas hätte denWerth der Pferde darum gegeben, wenn er den Knechtzur Hand gehabt, und dessen Aussage mit der Aussagedieses dickmäuligen Burgvoigts hätte vergleichen können.Er stand noch, und streifte den Rappen die Zoddeln aus,

15 und sann, was in seiner Lage zu thun sey, als sich die Sceneplötzlich änderte, und der Junker Wenzel von Tronka, miteinem Schwarm 1151 von Rittern, Knechten und Hunden,von der Hasenhetze kommend, in den Schloßplatzsprengte. Der Schloßvoigt, als er fragte, was vorgefallen

20 sey, nahm sogleich das Wort, und während die Hunde,beim Anblick des Fremden, von der einen Seite, einMordgeheul gegen ihn anstimmten, und die Ritter ihnen,von der andern, zu schweigen geboten, zeigte er ihm,unter der gehässigsten Entstellung der Sache, an, was

25 dieser Roßkamm, weil seine Rappen ein wenig gebrauchtworden wären, für eine Rebellion verführe. Er sagte, mitHohngelächter, daß er sich weigere, die Pferde als dieseinigen anzuerkennen. Kohlhaas rief: „das sind nichtmeine Pferde, gestrenger Herr! Das sind die Pferde nicht,

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die dreißig Goldgülden werth waren! Ich will meinewohlgenährten und gesunden Pferde wieder haben!" —

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Der Junker, indem ihm eine flüchtige Blässe in's Gesichttrat, stieg vom Pferde, und sagte: wenn der H ... A ... diePferde nicht wiedernehmen will, so mag er es bleibenlassen. Komm, Günther! rief er — Hans! Kommt! indem

5 er sich den Staub mit 1161 der Hand von den Beinkleidernschüttelte; und: schafft Wein! rief er noch, da er mit denRittern unter der Thür war; und ging in' s Haus. Kohlhaassagte, daß er eher den Abdecker rufen, und die Pferde aufden Schindanger schmeißen lassen, als sie so, wie sie

^o wären, in seinen Stall zu Kohlhaasenbrück führen wolle.Er ließ die Gaule, ohne sich um sie zu bekümmern, aufdem Platz stehen, schwang sich, indem er versicherte, daßer sich Recht zu verschaffen wissen würde, auf seinenBraunen, und ritt davon.

Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war erschon, als er, bei dem Gedanken an den Knecht, und andie Klage, die man auf der Burg gegen ihn führte, schritt-weis zu reiten anfieng, sein Pferd, ehe er noch tausendSchritt gemacht hatte, wieder wandte, und zur vorgängi-

20 gen Vernehmung des Knechts, wie es ihm klug undgerecht schien, nach Kohlhaasenbrück einbog. Denn einrichtiges, mit der gebrechlichen Einrichtung der Weltschon bekanntes Gefühl machte ihn, trotz der erlittenenBeleidigungen, geneigt, falls nur wirklich dem Knecht,

25 wie der Schloßli7lvoigt behauptete, eine Art von Schuldbeizumessen sey, den Verlust der Pferde, als eine gerech-te Folge davon, zu verschmerzen. Dagegen sagte ihm eineben so vortreffliches Gefühl, und dies Gefühl faßte tiefe-re und tiefere Wurzeln, in dem Maaße, als er weiter ritt,

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und überall, wo er einkehrte, von den Ungerechtigkeitenhörte, die täglich auf der Tronkenburg gegen die Reisen-

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den verübt wurden: daß wenn der ganze Vorfall, wie esallen Anschein habe, bloß abgekartet seyn sollte, er mitseinen Kräften der Welt in der Pflicht verfallen sey, sichGenugthuung für die erlittene Kränkung, und Sicherheit

5 für zukünftige seinen Mitbürgern zu verschaffen.Sobald er, bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück,

Lisbeth, sein treues Weib, umarmt, und seine Kinder, dieum seine Kniee frohlockten, geküßt hatte, fragte er gleichnach Herse, dem Großknecht: und ob man nichts von ihm

^o gehört habe? Lisbeth sagte: ja liebster Michael, dieserHerse! Denke dir, daß dieser unseelige Mensch, vor etwavierzehn Tagen, auf das jämmerlichste zerschlagen, hiereintrifft; nein, so zerschlagen, 1181 daß er auch nicht freiathmen kann. Wir bringen ihn zu Bett, wo er heftig Blut

15 speit, und vernehmen, auf unsre wiederholten Fragen, eineGeschichte, die keiner versteht. Wie er von dir mitPferden, denen man den Durchgang nicht verstattet, aufder Tronkenburg zurückgelassen worden sey, wie man ihn,durch die schändlichsten Mißhandlungen, gezwungen

20 habe, die Burg zu verlassen, und wie es ihm unmöglichgewesen wäre, die Pferde mitzunehmen. So? sagte Kohl-haas, indem er den Mantel ablegte. Ist er denn schonwieder hergestellt? — Bis auf das Blutspeien, antwortete sie,halb und halb. Ich wollte sogleich einen Knecht nach der

25 Tronkenburg schicken, um die Pflege der Rosse, bis zudeiner Ankunft daselbst, besorgen zu lassen. Denn da sichder Herse immer wahrhaftig gezeigt hat, und so getreuuns, in der That wie kein Anderer, so kam es mir nicht zu,in seine Aussage, von so viel Merkmalen unterstützt, einen

30 Zweifel zu setzen, und etwa zu glauben, daß er der Pferdeauf eine andere Art verlustig gegangen wäre. Doch er

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beschwört mich, Nieman1i91den zuzumuthen, sich indiesem Raubneste zu zeigen, und die Thiere aufzugeben,wenn ich keinen Menschen dafür aufopfern wolle. — Liegter denn noch im Bette? fragte Kohlhaas, indem er sich vonder Halsbinde befreite. — Er geht, erwiederte sie, seiteinigen Tagen schon wieder im Hofe umher. Kurz, duwirst sehen, fuhr sie fort, daß Alles seine Richtigkeit hat,und daß diese Begebenheit einer von den Freveln ist, dieman sich seit Kurzem auf der Tronkenburg gegen die

10 Fremden erlaubt. — Das muß ich doch erst untersuchen,erwiederte Kohlhaas. Ruf' ihn mir, Lisbeth, wenn er aufist, doch her! Mit diesen Worten setzte er sich in denLehnstuhl; und die Hausfrau, die sich über seine Gelas-senheit sehr freute, ging, und holte den Knecht.

Was hast du in der Tronkenburg gemacht? fragteKohlhaas, da Lisbeth mit ihm in das Zimmer trat. Ich binnicht eben wohl mit dir zufrieden. — Der Knecht, aufdessen blassem Gesicht sich, bei diesen Worten, eineRöthe fleckig zeigte, schwieg eine Weile; und: da habt ihr

20 Recht, Herr! antwortete er; denn einen 12o1 Schwefelfaden,den ich durch Gottes Fügung bei mir trug, um dasRaubnest, aus dem ich verjagt worden war, in Brand zustecken, warf ich, als ich ein Kind darin jammern hörte, indas Elbwasser, und dachte: mag es Gottes Blitz einäschern;

25 ich will's nicht! — Kohlhaas sagte betroffen: wodurch aberhast du dir die Verjagung aus der Tronkenburg zugezogen?Drauf Herse: durch einen schlechten Streich, Herr; undtrocknete sich den Schweiß von der Stirn: Geschehenes istaber nicht zu ändern. Ich wollte die Pferde nicht auf der

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Feldarbeit zu Grunde richten lassen, und sagte, daß sienoch jung wären und nicht gezogen hätten. — Kohlhaas

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erwiederte, indem er seine Verwirrung zu verbergensuchte, daß er hierin nicht ganz die Wahrheit gesagt, indemdie Pferde schon zu Anfange des verflossenen Frühjahrsein wenig im Geschirr gewesen wären. Du hättest dich auf

5 der Burg, fuhr er fort, wo du doch eine Art von Gastwarest, schon ein oder etliche Mal, wenn gerade, wegenschleuniger Einführung der Ernte Noth war, gefälligzeigen können. — 1211 Das habe ich auch gethan, Herr,sprach Herse. Ich dachte, da sie mir grämliche Gesichter

io machten, es wird doch die Rappen just nicht kosten. Amdritten Vormittag spannt' ich sie vor, und drei FuhrenGetreide führt' ich ein. Kohlhaas, dem das Herz empor-quoll, schlug die Augen zu Boden, und versetzte: davonhat man mir nichts gesagt, Herse! — Herse versicherte ihn,

15 daß es so sey. Meine Ungefälligkeit, sprach er, bestanddarin, daß ich die Pferde, als sie zu Mittag kaum ausge-fressen hatten, nicht wieder in's Joch spannen wollte; unddaß ich dem Schloßvoigt und dem Verwalter, als sie mirvorschlugen frei Futter dafür anzunehmen, und das Geld,

20 das ihr mir für Futterkosten zurückgelassen hattet, in denSack zu stecken, antwortete — ich würde ihnen sonst wasthun; mich umkehrte und wegging. — Um dieser Ungefäl-ligkeit aber, sagte Kohlhaas, bist du von der Tronkenburgnicht weggejagt worden. — Behüte Gott, rief der Knecht,

25 um eine gottvergessene Missethat! Denn auf den Abendwurden die Pferde zweier Ritter, welche auf die Tronken-burg kamen, in 1221 den Stall geführt, und meine an dieStallthüre angebunden. Und da ich dem Schloßvoigt, dersie daselbst einquartirte, die Rappen aus der Hand nahm,

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und fragte, wo die Thiere jetzo bleiben sollten, so zeigteer mir einen Schweinekoben an, der von Latten und

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Brettern an der Schloßmauer auferbaut war. — Du meinst,unterbrach ihn Kohlhaas, es war ein so schlechtes Behält-niß für Pferde, daß es einem Schweinekoben ähnlicherwar, als einem Stall. — Es war ein Schweinekoben, Herr,antwortete Herse; wirklich und wahrhaftig ein Schweine-koben, in welchem die Schweine aus- und einliefen, undich nicht aufrecht stehen konnte. — Vielleicht war sonstkein Unterkommen für die Rappen aufzufinden, versetz-te Kohlhaas; die Pferde der Ritter gingen, auf eine gewis-

10 se Art, vor. — Der Platz, erwiederte der Knecht, indem erdie Stimme fallen ließ, war eng. Es hauseten jetzt in Allemsieben Ritter auf der Burg. Wenn ihr es gewesen wäret, ihrhättet die Pferde ein wenig zusammenrücken lassen. Ichsagte, ich wolle mir im Dorf einen Stall 1231 zu miethen

15 suchen; doch der Schloßvoigt versetzte, daß er die Pferdeunter seinen Augen behalten müsse, und daß ich michnicht unterstehen solle, sie vom Hofe wegzuführen. — Hm!sagte Kohlhaas. Was gabst du darauf an? — Weil derVerwalter sprach, die beiden Gäste würden bloß übernach-

20 ten, und am andern Morgen weiter reiten, so führte ichdie Pferde in den Schweinekoben hinein. Aber der folgen-de Tag verfloß, ohne daß es geschah; und als der dritteanbrach, hieß es, die Herren würden noch einige Wochenauf der Burg verweilen. — Am Ende wars nicht so schlimm,

25 Herse, im Schweinekoben, sagte Kohlhaas, als es dir, da duzuerst die Nase hineinstecktest, vorkam. — S' ist wahr,erwiederte jener. Da ich den Ort ein Bissel ausfegte, gingsan. Ich gab der Magd einen Groschen, daß sie die Schwei-ne wo anders einstecke. Und den Tag über bewerkstellig-

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te ich auch, daß die Pferde aufrecht stehen konnten, indemich die Bretter oben, wenn der Morgen dämmerte, von