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Graduiertenkolleg „Märkte und Sozialräume in Europa“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg Working-Paper für den Workshop im Oktober 2003 Ein globaler Erzwingungsmechanismus für Sozialstandards? Zivile Regulierung in der Spielzeugindustrie Reinhard Biedermann, M.A.

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Graduiertenkolleg „Märkte und Sozialräume in Europa“ an der

Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Working-Paper für den Workshop im Oktober 2003

Ein globaler Erzwingungsmechanismus für Sozialstandards?

Zivile Regulierung in der Spielzeugindustrie

Reinhard Biedermann, M.A.

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Zusammenfassung: Multinationale Unternehmen bekennen sich immer öfter zur Sicherung und Verbesserung

von Sozialstandards in den Vertragsfabriken der weitgehend unregulierten Exportproduktionszonen (EPZ) der

Entwicklungsländer. Während sich Anfang der 90er Jahre kaum ein Unternehmen für die Arbeitsbedingungen

bei Vertragslieferanten verantwortlich fühlte, verpflichteten sich mittlerweile die meisten zu Verhaltenskodizes,

die die Arbeitsbedingungen regulieren sollen. Die Effizienz dieses freiwilligen und selbstformulierten „Soft

Laws“ ist indes umstritten. Die Überwachung und Erzwingung der Verhaltenskodizes sind die zentralen Proble-

me in der zuweilen riesigen Zulieferkette. Dieser Aufsatz möchte theoretisch erklären, wie ein wirksamer Er-

zwingungsmechanismus funktionieren kann: Nämlich durch Glaubwürdigkeit der Verhaltenskodizes, der Koope-

ration von Big Playern einer Branche, sowie durch wirksame Abschreckungen gegen Trittbrettfahrer. Werden

die Kooperationsergebnisse gegenseitig kontrolliert und gestützt, dann können Sozialstandards ähnlich wie öf-

fentliche Kollektivgüter, deren Bereitstellung durch das Staatsmonopol gewährt ist, hier kartellartig gesichert

werden. Anschließend soll dieser Mechanismus am Beispiel der globalen Spielzeugindustrie erläutert werden, in

der einige Big Player und der Branchenverband einheitliche Sozialstandards anstreben.

1 Einleitung

Seit Jahren rücken Globalisierungskritiker multinationale Unternehmen und Konzerne für so-

genanntes „Sozialdumping“ in den Ländern der dritten Welt ins Zentrum der Verantwort-lich-

keit.1 Vor allem bei der Herstellung von Textilien, Bekleidung, Sportartikeln oder Spielzeug

für den Weltmarkt weißt eine Fülle von Berichten von Nichtregierungsorganisationen (NROs)

auf die bedrückende Situation der zumeist weiblichen Arbeiterinnen in den steuerbegünstigten

und kaum regulierten, speziell für ausländische Investoren eingerichteten Sonderwirtschafts-

zonen oder Exportproduktionszonen (EPZ) im Süden hin.2 Den Unternehmen wird vorge-

worfen, einer Abwärtsspirale bei den Sozialstandards („Race to the Bottom“) Vorschub zu

leisten, indem sie den Deregulierungs-Wettbewerb der Entwicklungsländer um dringend be-

nötigte Auslandsinvestitionen mit einer rigorosen Standort- und Beschäftigtenpolitik anhei-

zen.3 Die Entwicklungsländer würden dadurch als Getriebene des Globalisierungsprozesses

den international anerkannten Arbeitsstandards der ILO4 (International Labour Organization)

und dem eigenen nationalstaatlichen Arbeitsrecht nur nachrangige Bedeutung beimessen

können.

1 Vgl. Naomi Klein, No Logo, Riemann Verlag, München 2002; Klaus Werner, Hans Weiss, SchwarzbuchMarkenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne, Deuticke, Wien 2001. 2 Vgl. Asia Monitor Ressource Center: We in The Zone. Woman Workers in Asia`s Export Processing Zones,Hongkong 1998. Anita Chan, China`s Workers under Assault. The Globalizing of Labor in a Globalizing Eco-nomy, M. E. Sharpe, London 2001. In den EPZ arbeiten weltweit etwa 30 Millionen Menschen. 3 Der Vertragslieferant von Nike zum Beispiel hat im September 2002 in Indonesien 7000 Arbeiter entlassen undproduziert zukünftig in China. Die Arbeiter seien dort weniger aufmüpfig und in Gewerkschaften organisiert, dieLöhne weitaus niedriger. In: Der Spiegel vom 3.03.2003. 4 Mit der Vereinigungsfreiheit, dem Verbot von Kinderarbeit, dem Verbot von Zwangsarbeit und dem Verbotvon Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf sind die zentralen Arbeiterrechte genannt.

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Parallel dazu ist in den vergangenen Jahren die Zahl der multinationalen Unternehmen ra-

sant angestiegen, die sich zu Mindeststandards bekennen und zu einer Selbstregulierung ent-

schlossen haben. Mit sogenannten Verhaltenskodizes (Codes of Conduct), die zumeist an den

Standards der ILO orientiert sind und auf das Verhalten des Unternehmens zur Umwelt und zu

seinen Arbeitnehmern abstellen, findet diese ihren schriftlichen Ausdruck. Wenn das oberste

Primat der Standortpolitik eines Unternehmens aber billige Löhne und ein möglichst unregu-

liertes Umfeld sind, wie ist dieses Kosten verursachende Verhalten dann zu erklären?

Dabei ist die Effizienz solcher Verhaltenskodizes oft schwer zu beurteilen.5 Gegner der

Selbstregulierung kritisieren ihr „undemokratisches“ Zustandekommen im Management eines

Unternehmens oder in Verhandlungen mit NROs. Sie sei unsensibel gegenüber lokalen und

kulturellen Begebenheiten und – definitionsgemäß – freiwillig, sodass Selbstregulierung

schlicht öffentlichkeitswirksame „Nichtregulierung“ bedeuten kann. Außerdem sei sie darauf

ausgerichtet, Kritik zu minimieren und damit staatliche Regulierung zu vermeiden, insbeson-

dere wenn diese als notwendig erscheinen kann.6 Die Selbstregulierung könne zudem gegen

einzelne Firmen oder Länder eingesetzt werden, die nicht den hohen Standards entsprechen

und damit, einem Boykott gleich, den westlichen Markenfirmen und Industrienationen nützen.

Schließlich würden Verhaltenskodizes oft nicht den Einfluss haben, die Arbeitsbedingungen

bei den teils riesigen Vertragslieferanten des Südens zu regeln und zu sanktionieren,7 ganz zu

schweigen bei den zahllosen Subkontraktoren auch im Hinterland, die ihrerseits für die Ver-

tragslieferanten arbeiten. Denn die Selbstregulierung wird zusätzlich dadurch verkompliziert,

dass sie überwiegend das Verhalten eines Unternehmens in anderen Ländern betrifft. Indirekt

könne hier eben nur durch „Licensing and Buying Power“8 Druck ausgeübt werden.

Doch zeichnen sich in jüngerer Zeit Entwicklungen ab, die die Effizienz der Selbstregu-

lierung entscheidend verbessern können. So werden mittlerweile Prüfagenturen zum Teil ih-

rerseits auditiert, um eine unabhängige Kontrolle wirklich zu gewährleisten. Es ist ein großer

Markt an Prüfagenturen entstanden, die teilweise mehrere Hundert Kontrolleure beschäftigen.95 Vgl. Virginia Haufler, International Business Self Regulation: A Contribution to Public Policy? 1999 [www.-ceip.programs/global/semhaufler.htm] gel. am. 22.04.2003.6 Cristoph Scherrer, Tomas Greven, Soziale Konditionalisierung des Welthandels: Gutachten, Friedrich Ebert-stiftung, 1999. [ http://library.fes.de/fulltext/iez/00647004.htm ] gel. am 18.09.2003. 7 Vgl. Anita Chan, Hong-zen Wang, Raising Labor Standards, Corporate Social Responsibility and MissingLinks – Vietnam and China compared (Draft), 2003. [ www.global-standards.com/Resources/ChinaVietnam-ChanHongZen.doc ] gel. am. 28.08.2003. Westliche Konzerne im Süden würden demnach weniger Einfluss aufdie Arbeitsbedingungen haben, als ihnen oft unterstellt wird. So beschäftigt das taiwanesische Unternehmen PouChen ca. 170 000 Mitarbeiter und macht für alle bekannten Markennamen Sportschuhe mit beachtlichen Ge-winnen. Als Nike`s Gewinne zwischen 1997 und 1999 um 43% fielen, stiegen die Gewinne des Kontraktors um24%. Im Gegenteil könne Nike demnach als ein Puffer betrachtet werden, der die Kritik der Zivilgesellschaft aufsich zieht, während die eigentlichen Produzenten nach „business as usual“ verfahren könnten. S. 3-5. 8 Vgl. Haufler 1999, a.a.O. S.2.9 Das Hongkong Standards and Testing Centre in Hongkong beschäftigt ca. 200 Kontrolleure, die zunächst aufwestliche Produktionsstandards (z.B. EU-Normen) verpflichtet sind, aber zunehmend auch Unternehmen auf So-zialstandards zertifizieren.

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Auftraggeber nutzen verstärkt Einkaufsmacht, Erfahrung, Expertise sowie Kommunikation

und Überzeugung, um bei den Lieferanten Verbesserungen bei den Sozialstandards zu bewir-

ken. Die Sanktionsfähigkeit durch den Einkauf (den Buying Practices) wird glaubhafter und

effizienter dadurch, dass sich vermehrt Einzelhandelskonzerne aktiv an der Umsetzung eines

Kodexes beteiligen. Zum Teil tauschen diese Einzelhändler Informationen über ihre Liefe-

ranten untereinander aus und haben sich auf einen einheitlichen Kodex verständigt, der ge-

meinsame Lieferanten auf die Einhaltung verpflichtet. Auch kritische NROs werden immer

öfter als Partner der Unternehmen anerkannt. Multinationale Konzerne wachsen damit

zunehmend in die Rolle politischer Akteure hinein, die nicht nur die Globalisierung voran-

treiben, sondern auch versuchen, grundlegende Mindeststandards zu fördern und zu schützen.

Nachfolgend sollen diese Trends auf ihre Probleme und Lösungen hin theoretisch erörtert

und dann am Beispiel der globalen Spielzeugindustrie angewendet werden. Einige zentrale

Fragen sind dabei zu beantworten: Wie glaubwürdig sind die Zusagen der Industrie? Wie

verantwortlich ist die Industrie der Öffentlichkeit gegenüber, wenn sie solche Standards für

sich beschließt? Und wie können diese freiwilligen Maßnahmen sanktioniert werden: Können

Handel und Industrie einen Erzwingungsmechanismus erzeugen?

2 Theoretische Konzeptualisierung: Von Einzelinitiativen über strategische Unter -

nehmensallianzen zum „Ethikkartell“?

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a) Sozialstandards als Kollektivgüter10

Wenn sich immer mehr multinationale Unternehmen und zum Teil ganze Branchen einen

Verhaltenskodex geben, diese gleichzeitig jedoch oft wenig zur Umsetzung beitragen, stellt

sich die Frage, woran das liegen kann. Betrachtet man einen sozialen Mindeststandard als

Kollektivgut, lautet die Frage: Warum tragen nicht alle Gruppenmitglieder zur Erstellung des

Kollektivguts bei, obwohl der Beitrag eines jeden einzelnen eher klein ist und alle von der Be-

reitstellung profitieren könnten? Die Antwort könnte lauten, dass ein Kollektivgut niemandem

vorenthalten werden kann, wenn irgendjemand in einer Gruppe es konsumiert (wie z.B. sau-

bere Luft). Diese Nichtausschließbarkeit wird als das Trittbrettfahrerproblem (Freerider-Pro-

blem) bezeichnet, denn jeder einzelne weiß, dass das Kollektivgut auch ohne das eigene Zutun

beschafft (also bezahlt) werden könnte. Somit ist der Anreiz gering, sich an der Beschaffung

zu beteiligen. Letztlich wird das Kollektivgut nicht erzeugt werden. Staaten lösen das Tritt-

brettfahrerproblem im Innern, indem sie Personen und Unternehmen zur Finanzierung

kollektiver Güter verpflichten, andernfalls kann das Gefängnis drohen.11 Diese staatliche

Monopolstellung, die die Erzwingung garantiert, fehlt bei freiwilligen Verhaltenskodizes. Da

ein einzelnes Unternehmen im allgemeinen auch nicht die Macht, den Willen oder die Mittel

hat, ein Kollektivgut für alle ausreichend alleine bereit zu stellen, wird kollektives Handeln

zur Voraussetzung.

Wie kann eine Kooperation bei Sozialstandards initiiert und wie ein Zwangsmechanismus bei

Verhaltenskodizes aussehen?

b) Selektive Anreize als Voraussetzung für einen Zwangsmechanismus

Nach Mancur Olson ist die Größe einer Gruppe für die Chance der Bereitstellung eines

Kollektivguts entscheidend. Je größer eine Gruppe ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass

ein Kollektivgut ohne selektive Anreize oder Zwang (als „negativer“ selektiver Anreiz12) be-

reit gestellt werden kann. Zwar ist die Anzahl der Big Player in den meisten Industrien, die

sich Verhaltenskodizes geben, relativ klein.13 Dennoch wird kein Unternehmen einen Verhal-

tenskodex umsetzen, wenn es keine Anreize dazu hat, die letztlich wirtschaftlich begründbar

sein müssen.

10 Die folgenden Passagen sind insbesondere angelehnt am bahnbrechenden Werk von Mancur Olson über dieProblematik kollektiven Handelns und die Erzeugung von Kollektivgütern. Mancur Olson, Kollektives Handeln,J.C.B. Mohr, Tübingen 1992; 3. Auflage. 11 Scott Barrett, Creating Incentives of Cooperation: Strategic Choices. In: Inge Kaul et al., Providing GlobalPublic Goods. Managing Globalization, Oxord University Press, Oxford 2003. S.308f. 12 „Selektive Anreize sind definitionsgemäß in den Augen der einzelnen von größerem Wert als der individuelleAnteil an den Kosten des Kollektivguts.“ Olson, a.a.O. S.50.13 Haufler, a.a.O.S.2.

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Ein selektiver Anreiz kann ein Prestige- oder Imagegewinn (auch –erhalt) sein, den sich ein

renommiertes Unternehmen durch die Implementierung eines Verhaltenskodex verspricht.

Insbesondere wenn es als eines der ersten Unternehmen einer Branche einen Kodex umsetzt,

kann es darauf spekulieren, von den Konsumenten als innovatorisches Unternehmen erkannt

zu werden und davon profitieren.14 Ein Markenunternehmen kann seine bedeutende Stellung

in der Branche damit auch auf sozialem Gebiet unterstreichen, wodurch die Kundenidenti-fi-

kation erhöht werden kann.

Weitere selektive, wirtschaftliche Anreize für höhere Sozialstandards könnten zufrie-

denere Arbeitnehmer sein, die produktiver arbeiten, eine höhere Qualität sichern und weniger

zu spontanen Streiks (sog. Wild Cat Strikes) neigen.15 Soziale oder emotionale Anreize sollten

folglich wie wirtschaftliche Anreize behandelt werden, denn sie sind schwer voneinander zu

trennen.

Negative selektive Anreize, insbesondere Zwang, werden da notwendig sein, wo positive

selektive Anreize nicht ausreichen, ein Unternehmen von sich aus zu motivieren, einen Bei-

trag zur Umsetzung eines Codes zu leisten. Auch negative Anreize müssen in erster Linie

wirtschaftlich zu begründen sein. Wenn also ein Unternehmen nur Nachteile von der

Einhaltung von Mindeststandards erwartet, wird es darauf verzichten. Hier stellt sich dann die

Frage, wie ein Zwangsmechanismus gebildet werden und aussehen kann.

Nachfolgend soll ein Analyserahmen skizziert werden, der in der Verbindung seiner

einzelnen Aspekte die notwendige Grundlage für verbesserte Sozialstandards und eines Er-

zwingungsmechanismus sieht. Der Analyserahmen setzt sich zusammen aus stets möglichen

Protestkampagnen, Verhaltenskodizes der Unternehmen oder der Branche, der grundsätzli-

chen Forderung nicht nur ziviler Interessengruppen nach Transparenz und Glaubwürdigkeit an

die Unternehmen und dem daraus folgenden Anspruch an die Industrie und den Handel nach

glaubwürdigen Zusagen und Sanktionen bei unkooperativem Verhalten.

c) Der Analyserahmen für einen Erzwingungsmechanismus bei Sozialstan-

dards

Konsumentenkampagnen gegenüber Markenunternehmen und Handelsriesen

14 Regine Thiemann, Ethische Branchenstandards. Ein Lösungsweg aus moralischen Dilemmata, Rainer HamppVerlag, München und Mering 1999. S.127f. 15 Nach einem Bericht des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) gab es in China im Jahr 2000etwa 100 000 solcher Streiks; siehe IBFG, Jährliche Übersicht über die Verletzungen von Gewerkschaftsrechten2001, Brüssel 2001, S.109.

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Der „traditionelle“ Sanktionsmechanismus gegen bestimmte „skandalumwitterte“ Unter-

nehmen bildet sich aus Kampagnen von NROs und Konsumentenboykott.

Beispielhaft ist hier der Shell-Tankstellenboykott vor einigen Jahren im Zusammen-

hang mit der geplanten Versenkung der Brent-Spar-Plattform. Der Kampagnen-organisator –

Greenpeace – protestierte öffentlichkeitswirksam, worauf der Konsument mit dem Tank-

schlauch Stellung bezog. Dieser Mechanismus ist zwar relativ willkürlich, denn er hängt von

vermeintlichen Skandalen ab.16 Auch ist es unklar, wie sich soziale Protestbewegungen (ins-

besondere institutionalisierte Kampagnen) in der Zukunft weiter entwickeln werden.17 Es ist

jedoch auffallend, dass sich insbesondere Unternehmen und Branchen, die von Konsumenten-

kampagnen betroffen sind, einen Verhaltenskodex geben. Als Anstoß scheinen solche Kampa-

gnen also unerlässlich.

Verhaltenskodizes: Anforderungen an Form und Inhalt

In der Bekleidungs- und Spielzeugindustrie, den verwundbarsten Branchen für

„Sweatshop“-Vorwürfe, haben die Unternehmen im allgemeinen Verhaltenskodizes angenom-

men.18 Manche dieser Verhaltenskodizes repräsentieren kollektive Anstrengungen der Unter-

nehmen durch Industrieverbände, wieder andere sind durch NROs oder kirchliche Gruppen

entwickelt worden, die meisten jedoch sind Eigengewächse der Unternehmen. Besonders in

den USA gibt es einige Initiativen, die von ganzen Branchen oder Gruppen unterstützt

werden. Dazu gehören die Global Sullivan Principles, die Fair Labor Association (FLA) oder

die Social Accountability International (SAI), einer amerikanischen Multi-Stakeholder-Initia-

tive aus Unternehmen, NROs und Verbänden, die Sozial- und Sicherheitsstandards bei Liefe-

ranten von Mitgliedsunternehmen weltweit nach festgelegten Regeln von unabhängigen, aus-

gesuchten Monitoring-Agenturen nach dem sogenannten SA 8000- Standard zertifizieren

lässt. In Deutschland ist der AVE-Kodex des deutschen Einzelhandels , der mit dem SA 8000

verwandt ist, insbesondere bei den großen Bekleidungshäusern wie Karstadt-Quelle und dem

Versandhandel verbreitet.

Diese Kodizes überlappen sich im allgemeinen sehr stark. Die meisten beinhalten den

Passus, sich an das jeweilige nationale Arbeitsrecht und weitere gesetzliche Bestimmungen zu

halten. Ferner sind sie insbesondere an die ILO-Kriterien orientiert. So beinhalten etwa zwei

16 So wurde der Sportschuhfabrikant Nike vom Dow Jones Interactive (DJI), dem Börsenticker der Wallstreet,der Zeitungsmeldungen über Unternehmen sammelt, mit durchschnittlich 83 Prozent aller negativen Meldungenin dieser Branche bedacht. Vgl. Sethi, a.a.O. S.30. 17 Vgl. Albert Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States,Cambridge 1970. 18 Pietra Rivoli, Labor standards in the global economy: Issues for Investors, in: Journal of Business Ethics, N°43, 2003. S. 223-232. Hier S.225.

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Drittel der Codes das Verbot von Kinderarbeit, von Diskriminierung der Rasse und des Ge-

schlechts sowie grundlegende Gesundheits- und Sicherheitsstandards. Nur ein Fünftel der Co-

des jedoch beinhaltet Vereinigungsfreiheit, zehn Prozent Kollektivverhandlungen und weniger

als jeder Fünfte setzt einen freien Tag in der Woche fest. Wahrscheinlich der umstrittenste

Punkt ist die Frage des Mindestlohns. Denn Entwicklungsländer neigen dazu, den staatlich

festgesetzten Mindestlohn herab zu setzen, um Investoren an zu locken. Dabei reicht der

Mindestlohn oft kaum für die Selbstversorgung. Deshalb fordern NROs einen Existenzmini-

mumlohn (Living Wage) in den Kodizes. Doch über 90 Prozent der Verhaltenskodizes rekur-

rieren auf den jeweiligen staatlichen Mindestlohn.

Die Verbreitung eines Kodex ist mitentscheidend für dessen Durchsetzung. So sollte

der Kodex in der Fabrik in landeseigener Sprache für jedermann zugänglich angeschlagen und

auch verstanden werden.19 Bei einer hohen Analphabetenrate unter den Arbeitern kein leichtes

Unterfangen, zumal sie als zumeist ehemalige Landarbeiter keine Ahnung von industriellen

Beziehungen und ihrer Rechte haben. Die Arbeiter, Vorarbeiter und Abteilungsleiter bis hin

zum Management müssen auf den Kodex hin geschult werden, wie dies auch bei Produktions-

standards der Fall ist.

Globalisierung und die Forderung nach Überprüfung und Transparenz

Ein wichtiges Glaubwürdigkeits-Kriterium aus Sicht der NROs ist die Unabhängigkeit des

Monitorings, das zur Aufgabe hat, den Verhaltenskodex auf die Einhaltung zu überprüfen. Die

Besuche der Monitoring-Agentur bei den Fabriken sollten unangemeldet erfolgen, damit keine

Vorsorgen getroffen werden können, die wahren Arbeitsbedingungen zu verschleiern.

Allerdings gibt es hier von Unternehmerseite über die Unabhängigkeit der Agentur möglicher-

weise berechtigte Einwände. So sind die Befürchtungen von NROs zwar verständlich, dass in-

ternes Monitoring zur Verschleierung der wahren Zustände tendieren könnte und deshalb

weniger glaubwürdig sei. Doch ist es aus Unternehmersicht auch glaubhaft, wenn auf das hö-

here Druckpotential auf den Vertragspartner bei internem Monitoring verwiesen wird, 20 zu-

mal Wohlwollen und sogar Bestechlichkeit bei unabhängigen Agenturen nie ausgeschlossen

werden kann. Das Monitoring sollte möglichst umfassend alle Lieferanten betreffen. Häufig

wird aber auch der günstigere Weg der Stichprobenprüfung gewählt. Wenn den Unternehmen

19 Dem Verfasser konnte im Gespräch mit Monina Wong vom Hong Kong Christian Industrial Committee, einerNRO in Hongkong, die seit Jahrzehnten die Arbeitsbedingungen in Hongkong und seit einigen Jahren auch inSüdchina evaluiert, keine Spielzeugfabrik in China genannt werden, die einen Kodex für jedermann sichtbarangeschlagen hat.20 Der Sportartikel-Konzern Reebok hat Erfahrungen sowohl mit internem und externem Monitoring gemacht,und kam zum Schluss, dass internes Monitoring aus genanntem Grunde mehr bewirken könne. Joanna Slater, TheInspector Calls, in: Far Eastern Economic Review, Jul 6, 2000, S.32-33.

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bei ihren Ergebnissen geglaubt werden soll, werden sie nicht umhin kommen, diese von einer

dritten Partei überprüfen zu lassen. Denn nach einer Veröffentlichung des World Economic

Forum stehen global operierende Unternehmen und nationale größere Firmen ganz unten auf

der Skala des Negativ-Images, hinter Militär und Polizei (ganz oben), NROs, Kirchen und

Parlamente.21 James J. Schiro, der Chef der weltweit operierenden amerikanischen Prüfgesell-

schaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) forderte 2001 beim Weltwirtschaftsforum in Davos

mehr Transparenz von Unternehmen: „Ich würde sagen, dass Transparenz keine Option, son-

dern eine drängende Realität ist, die einzige Frage ist, wie viel, wie schnell und wie gut ge-

managt.“22 Für PWC ist die Ausweitung auf die Arbeitsstandards eine natürliche Ergänzung

dessen gegenwärtigen bedeutsamen Präsenz im Bereich des Finanz- und Umweltauditings.23

Auch die EU-Kommission hat bereits in ihrem Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen

für die soziale Verantwortung von Unternehmen“ auf die Notwendigkeit hingewiesen, „die

Verhaltenskodizes transparenter zu gestalten und die zugehörigen Berichterstattungsme-

chanismen zu verbessern“.24 Das Grünbuch unterstreicht die Notwendigkeit, sich auf globale

Mindeststandards im Blick auf die soziale und ökologische Unternehmensberichterstattung zu

einigen, „über die Art der offenzulegenden Informationen, das Berichtsformat und die Zu-

verlässigkeit der Bewertungs- und Auditverfahren“.25 Ferner ist nach Auffassung der EU-

Kommission unerlässlich, „das die in Berichten zur sozialen Verantwortung veröffentlichten

Informationen von einer unabhängigen dritten Partei überprüft werden. Nur so lässt sich Kri-

tik vermeiden, dass es sich bei derartigen Berichten um substanzlose Public-Relations-Ak-

tionen handelt.“26

Ein wesentliches Kriterium für Transparenz ist die entsprechende Veröffentlichung

über Audits, Folgeaudits und eine erfolgte Verbesserung bzw. Beendigung von Geschäfts-be-

ziehungen aufgrund von Kodex-Verletzungen. Denn NROs sind nicht bereit, an die Wirksam-

keit eines Verhaltenskodex zu glauben, solange nicht Transparenz hergestellt wurde. Denkbar

wäre hier die Einrichtung einer Web-Site auf der Unternehmens-Homepage, die die Gesamt-

berichte für die interessierte Öffentlichkeit frei zugänglich macht. Die wenigsten Konzerne

haben sich allerdings bisher soweit geöffnet, denn Transparenz bedeutet auch, Lieferanten und

Geschäftsinformationen über diese offen zu legen. Zudem könnte eine hohe Transparenz auch

21 Zitiert nach Klaus Piepel, Arbeits- und Sozialstandards in der Spielwarenindustrie – Forderungen von Nicht-regierungsorganisationen, Vortrag auf dem Symposium der LGA in Nürnberg: „Sozialstandards in der Spiel-warenbranche“ am 27.11.2002. Homepage des Forums: [ www.weforum.org ]22 Zitiert nach Klaus Piepel, ebd.23 Rivoli, a.a.O. S.228. 24 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch „Europäische Rahmenbedingungen für die sozialeVerantwortung von Unternehmen“, Brüssel 18.07.2001, KOM (2001) 366 endgültig, Nr. 58. S.16. 25 Ebd. S.18. 26 Ebd. Nr. 73, S.20.

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bedeuten, dass Unternehmen ein weniger tiefgreifendes und „hartes“ Monitoring durchführen,

um sich nicht selbst zu belasten.27

Generell hat jedes Unternehmen über das Monitoring und die Transparenz eigene Vorstel-

lungen, was mitursächlich ist für den langsamen Gesamtprozess und den manchmal unbefrie-

digenden Ergebnissen.28

Sanktionen des Auftrag- oder Lizenzgebers gegen den Lieferanten oder Lizenznehmer

Der potentiell schärfste Erzwingungsmechanismus besteht durch die Einkaufsmacht eines

„Big Players“. Denn wenn sich ein großes multinationales Unternehmen auf einen Verhal-

tenskodex verpflichtet hat und die Einhaltung auch bei seinen Lieferanten einfordert, kann es

dadurch unmittelbar auf die „Sozialperformance“ seines Lieferanten einwirken. Zahlreiche

Beispiele belegen, wie große Unternehmen aus verschiedenen Branchen ihre Geschäftsbezie-

hungen zu einem Lieferanten von heute auf morgen beenden („Cut and Run“), nachdem es zu

öffentlichkeitswirksamen Skandalen in den Zulieferbetrieben kam. In den letzten Jahren

haben Unternehmen wie Levi Strauss, Disney, Karstadt-Quelle, der Otto-Versand Verhal-

tenskodizes entwickelt, die auch ihre Lieferanten – manchmal mehrere Tausend – einhalten

müssen.29 Doch genau bei dieser Unübersichtlichkeit liegt das Problem: Denn das Monitoring

einer so großen Zahl von Lieferanten kann zur Überforderung des guten Willens führen, ent-

sprechende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen und den dafür notwendigen Einsatz zu

zeigen. Die meisten Unternehmen haben keine guten Informations-systeme, die genaue Aus-

kunft darüber geben, wie gut oder schlecht ein Kodex funktioniert, weil sie dafür die Verant-

wortung bei den Lieferanten lassen.30

Beachtenswert ist die unterschiedliche Tragweite von Produzentenkodizes und Händ-

lerkodizes. Denn Produzenten können zunächst mal „nur“ ihre eigenen Produkte „sauber“

produzieren lassen, indem sie ihre eigenen Fabriken kontrollieren oder über ihre Einkaufs-

macht entsprechenden Einfluss auf Auftragnehmer ausüben. Lassen sie in Unternehmen pro-

duzieren, die auch für andere Unternehmen arbeiten, könnte es hier zu Ausbreitungseffekten

kommen, d.h. die Arbeitsbedingungen sind auch für andere Produktgruppen eines anderen

Auftraggebers besser. Allerdings stellt sich hier dann die ebenso abstrakte wie komplexe

Frage, ob ausreichend vom Kollektivgut bereit gestellt wird,31 oder ob es (siehe oben 2a) über-

27 Rivoli, a.a.O. S.228. 28 Joanna Slater, a.a.O. S.32. 29 Das Versandhaus Otto z.B. hat 1000 Lieferanten, hinter denen sich durchschnittlich jeweils 5, also insgesamt5000 Sublieferanten befinden. Karstadt hat sogar ca. 12 000 bis 15 000 Vertragslieferanten, wobei jährlich ca. 20bis 25 Prozent ausgetauscht werden (aufgrund von modischen Entwicklungen) Fichter, Sydow, a.a.O. S.42. 30 In Gesprächen mit Klaus Piepel von Misereor und Monina Wong vom HKCIC.31 Vgl. Todd Sandler, Assessing the Optimal Provision of Public Goods: In Search of the Holy Grail, In: IngeKaul et al. A.a.O. S.131-151.

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haupt erzeugt wird. Einzelhandelsriesen hingegen müssen einen breiteren Ansatz verfolgen,

denn sie haben wesentlich mehr Artikel im Sortiment und überhaupt keine eigenen Fabriken.

Sie sind aber den Kunden am nächsten und sind deshalb ein beliebtes Ziel von Konsumenten-

kampagnen. Die Clean Clothes Campaign (CCC), die größte Kampagne im Bekleidungssek-

tor, hat sich als erstes mit C&A auseinander gesetzt, später u.a. auch mit Karstadt – was nicht

ohne Wirkung blieb. Wenn Handelskonzerne einen Kodex glaubwürdig implementieren

wollen, so hat dies auch Einfluss auf die großen Hersteller der Branche, denn diese müssen ih-

rerseits die Wünsche ihrer wichtigsten Kunden Ernst nehmen. Im äußersten Fall kann es hier

theoretisch zu einem Boykott kommen.

Eine weitere Möglichkeit, Lieferanten zur Annahme eines Codes zu bewegen, ist die

Verfügung über Lizenzen. In der Bekleidungs- oder der Spielzeugbranche sind Lizenzverträge

alltäglich. Die Lizenzgeber haben dabei die grundsätzliche Möglichkeit, den Verkauf von Li-

zenzen zu koppeln mit Mindeststandards in der Produktion.

Die Rolle von Gruppen- oder Branchenkodizes

Nach Scherrer/Greven würde ein Branchenkodex nicht nur Kosten sparen und diesen Bereich

aus der Konkurrenz nehmen, der Kodex würde zudem auch an Legitimität gewinnen.32 Ein

einheitlicher Branchenstandard kann also ähnlich wie staatliche Regulierung dazu beitragen,

Lasten bei der Beschaffung des Kollektivgutes gerechter zu verteilen. Dadurch kann er auch

als ein Versuch gesehen werden, das Trittbrettfahrerproblem in den Griff zu bekommen.

Die Sanktionsmacht einer Branche sollte allerdings eher wie die Satzung einer Partei oder

eines Vereines eingeschätzt werden. Wenn ein Parteimitglied nicht gewissen Verhaltens-

grundsätzen entspricht, droht ebenso der Rausschmiss, wie wenn ein Vereinsmitglied seinen

Mitgliedsbeitrag nicht bezahlt. Wenn ein Branchenkodex Voraussetzung für die Mitglied-

schaft in einem Verband ist, stellt sich eben die Frage, wie viel einem Unternehmen die Mit-

gliedschaft wert ist. Der Verband sollte also Voraussetzungen (selektive Anreize) schaffen,

die die Bereitschaft zur Mitgliedschaft fördert. Denkbar wäre, dass die Branche ein Gütesiegel

entwickelt, dass nur „saubere“ Unternehmen verwenden dürfen. Wirtschaftliche Anreize

könnten geschaffen werden, indem die Industrie nur solche Sublieferanten akzeptiert, die

ebenfalls den Branchenkodex implementiert haben. Das Gütesiegel des Forrest-Stewardship-

Council (FSC) zur ökologischen Waldbewirtschaftung, das zum Teil von Baumärkten oder

Möbelhäusern gefordert wird, ist ein Beispiel für die Sanktionsfähigkeit, die hinter einem

Code stehen kann. Denn wenn dieses Siegel Voraussetzung für die Aufnahme eines neuen

Lieferanten durch eine Baumarktkette ist, dann wird der Lieferant versuchen, den Standard32 Scherrer/Greven, a.a.O. S.18.

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dieses Großkunden zu erfüllen. Hier sind dann ähnlich wie bei den ISO-Standards 9000 und

14000 Kettenreaktionen zu erwarten, um eine Sanktionierung durch einen Big Player zu

vermeiden.33 Im Idealfall ist der Anreiz, an der Bereitstellung des Kollektivguts zu partizi-

pieren so groß, dass es keine unmittelbare Rolle spielt, ob einer durch Sanktion bedroht wird

oder nicht.34

Bei den Gruppeninitiativen sind die Sullivan Principles (von führenden US-Unter-

nehmen aus verschiedenen Branchen, aber auch unter Teilnahme amerikanischer Bundesstaa-

ten und Städten) aus dem Jahre 1977 zur Bekämpfung der Apartheid in Südafrika ein früher

Beleg für den möglichen Erfolg ziviler Selbstregulierung.35 Auch bei Branchen- oder

Gruppenstandards sind die entscheidenden sanktionsfähigen Akteure somit die Big Player

einer Branche, denn bisher gilt: „Industry associations are reluctant to punish noncompliant

members or make public their violations.”36

Exklusive und inklusive Interessen

Der Analyserahmen zeigt, dass es jeweils die bedeutenden Unternehmen einer Branche sind,

denen eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung von Sozialstandards zukommt.

Anhand von Olsons Unterscheidung zwischen exklusiven und inklusiven Gruppen soll

nun eine theoretische Erklärung entwickelt werden, warum es für Markenunternehmen

wichtiger ist, Mindeststandards durchzusetzen, als für kleinere Unternehmen. Die Untertei-

lung Olsons erlaubt es, Interessen einzelner Unternehmen sowie Gruppen- oder Branchen-

interessen besser systematisch zu erfassen.37

Die Interessen exklusiver Gruppen sind marktorientiert, d.h. Mitglieder dieser Gruppe

streben einen höheren Preis an, es herrscht Konkurrenz vor. Abgänge aus der Gruppe werden

begrüßt, denn das einzelne Unternehmen in der Gruppe kann dann erwarten, zu einem höhe-

ren Preis mehr Waren absetzen zu können. Ideal wäre hier ein Monopol oder die Bildung

eines Kartells.

Inklusive Gruppen hingegen verhalten sich nicht-marktorientiert, denn sie streben eine

breite Mitgliedschaft an, um Kosten zu schmälern bzw. Einfluss nach außen zu vergrößern.

Inklusive Ziele können niedrigere Zölle, Subventionierung, staatliche Zurückhaltung bei der

33 Vgl. deutsche FSC-Website [ www.fsc-deutschland.de ] sowie ISO-Website [ www.iso.ch ] gel. am 9.9.200334 Man denke an den „Schatten der Zukunft“: Der Produzent erfüllt die Bedingungen eines potentiellen Kunden,um eines Tages vielleicht ins Geschäft zu kommen. Vgl. Robert Axelrod, Evolution of Cooperation, BasicBooks, New York 1984. 35 S. Prakash Sethi, Setting Global Standards. Guidelines for Creating Codes of Conduct in Multinational Cor-porations, New Jersey, 2003. Für Mattel S.239-272, für die Sullivan Principles S.95-109.36 Virginia Haufler, A Public Role for the Private Sector. Industry Self-Regulation in a Global Economy, Carne-gie Endowment for International Peace, Washington D.C. 2001. S.33.37 Olson, 1992, a.a.O. S.35f.

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Regulierung oder Tarifabschlüsse sein, die allen in der Gruppe gleichermaßen zu Gute kom-

men. Das Ideal ist die Zwangsmitgliedschaft, um für alle den größtmöglichen Nutzen zu gene-

rieren (vgl. z.B. der Closed Shop in England). Exklusive und inklusive Gruppen unterscheiden

sich durch ihre Einstellungen zu den Zu- oder Abgängen der Gruppe, nicht durch die Mit-

gliedschaft.

Marktorientierte/exklusive Gruppe Nicht marktorientierte/inklusive GruppeExklusives Kollektivgut: höherer Preis; der Ver-

brauch des Kollektivgutes durch ein Gruppenmit-

glied schmälert automatisch den Verbrauch einesanderen Mitglieds der Gruppe (Nullsummenspiel);

Inklusives Kollektivgut: der Konsum eines Mitglieds

der Gruppe bleibt von dem Konsum eines anderen

Gruppenmitglieds relativ unberührt. (kein Nullsum-menspiel)

Gruppenzugänge sind negativ, da das Kollektivgut

knapp ist. Es herrscht Konkurrenz vor

Beispiel: öffentliche Brücke

Gruppenzugänge positiv, da das Kollektivgut näher

rückt. Es wird Wachstum der Gruppe angestrebt

Beispiel: Recht und Ordnung, Gewerkschaft

Abb. 1

Übertragung der Überlegungen auf die Einstellung zu Verhaltenskodizes

Viel stärker als „No-Name-Produzenten“ einer Branche haben Markenunternehmen das Be-

dürfnis, das Prestige ihrer Marke zu erhalten. „Revelations by the media or independent or-

ganizations of dangerous or abusive conditions are a CEO`s nightmare, and can poison years

of brand building.“38 Denn gerade Markenunternehmen investieren gigantische Summen in

das Merchandising ihrer Produkte und damit in den Markennamen. Letztlich ist es der

Markenname, der die vergleichsweise überteuerten Preise (vgl. mit Produkten im Lebens-

mitteleinzelhandel) ermöglicht, die nicht zuletzt deswegen oben gehalten werden müssen, um

auch in Zukunft entsprechende Summen aufbringen zu können. Deswegen drängen Marken-

artikler zuweilen ihre Händler zu hohen Preisen. Hohe Preise und Absatz müssen durch die

Reputation einer Marke erhalten und erzielt werden, wozu Mindeststandards beitragen

können. Diese könnten dann ebenso wie grundsätzliche Produktionsstandards potentiell

marktausschließend wirken. Mindeststandards könnten die Konkurrenz belasten, die nicht im-

stande ist, höhere Kosten auf sich zu nehmen. Hier gibt es eine mögliche Interessendivergenz

zwischen Markenunternehmen und No-Name-Produzenten, denn letztere könnten Sozialstan-

dards als hinderlich für ihre Vertriebsmöglichkeiten in „preisniederschmetternden“ Discount-

Ketten betrachten, die Mindeststandards vernachlässigen.

38 Joanna Slater, a.a.O. S.32.

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Inklusive Brancheninteressen bei Sozialstandards können auf die Vermeidung und Limi-

tierung von Protest durch die Zivilgesellschaft abzielen. Denn auch eine Branche als Ganzes

hat das Interesse, dass sie ein möglichst gutes Image hat. Nicht zuletzt konkurriert sie mit

anderen Branchen um einen möglichst hohen Konsumanteil. Die Vermeidung von Arbeit-

nehmerorganisation, die Aufhebung der Überforderung des einzelnen Unternehmens bei

Mindeststandards und die Vermeidung von Regulierung auf politischer Ebene könnten weitere

inklusive Interessen für einen Branchenstandard sein.

e) Zwischenfazit: Voraussetzungen einer Kooperation und der Umsetzung

eines globalen Mindeststandards

Die erste Vorbedingung für eine Kooperation unter Unternehmen ist, dass Wettbewerber (ins-

besondere Big Player) ein Interesse an kooperativen Ergebnissen haben und den Willen, not-

wendige Kompromisse einzugehen. Die zweite Vorbedingung ist, dass die Wettbewerber die

Fähigkeit haben, die Kompromisse zu implementieren. Die Unternehmen müssen also fähig

sein, glaubwürdige Zusagen (Credible Commitments) eingehen zu können. Von glaub-

würdigen Zusagen kann hier ausgegangen werden, wenn Unternehmen das Nötige tun, Sozial-

standards zu verbessern oder zu sichern (siehe skizzierte Anforderungen im Analyserahmen

2c).

Neben glaubwürdigen Zusagen müssen glaubwürdige Abschreckungen (Believable

Threats) gegen solche Unternehmen möglich sein, die sich nicht an der Durchsetzung der Ko-

operationskompromisse halten. Dies kann geschehen indem Händler von bestimmten Unter-

nehmen keine Waren mehr beziehen und Hersteller bei bestimmten Auftragnehmern nicht

mehr produzieren lassen (Einkaufsboykott).

Absprachen in einer exklusiven Gruppe mit Kartellbildung

Je weniger Big Player es in einer Branche gibt, desto leichter kann Kooperation ermöglicht

werden. Marktverdrängung und Übernahmen, aber auch extremes Wachstum mancher Unter-

nehmen, haben in vielen Branchen zu einer Oligopolisierung geführt. Wenn Unternehmen in

Phasen des verschärften Wettbewerbs und des Konflikts besser bestehen wollen, werden sie

von Zeit zu Zeit kooperieren, um sich auch nach außen zu positionieren. Die Übereinkunft zur

Einhaltung von Mindeststandards könnte geeignet sein, diesen Bereich aus der Konkurrenz zu

nehmen, wodurch alle Teilnehmer profitieren könnten. Dies ist attraktiv, wenn die kurzfris-

tigen Kosten aus dieser Kooperation kleiner sind, als die langfristigen Gewinne, wodurch auf

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einem Gebiet kooperiert werden könnte, auf dem nicht viel zu gewinnen, aber viel zu ver-

lieren ist.39

Nicht nur die Größe einer Gruppe ist für die Qualität einer Kooperation von Bedeutung, son-

dern auch deren Exklusivität (hohe Handlungsautonomie) in Verbindung mit der Möglichkeit,

diskretionär zu entscheiden. Geht es bei einer Diskussion um einen wichtigen zentralen

Aspekt, nicht um mehrere, und sind die Voraussetzungen zur Gruppenübereinkunft (selektive

Anreize) gegeben, dann ist Kooperation in greifbarer Nähe. Wenn dazu zentrale Aspekte der

Kooperation ausschließlich Preis- oder Verhaltensabsprachen sind, dann ist sogar eine Kartell-

bildung möglich. Ist eine Verhaltensabstimmung eines exklusiven Clubs geeignet, andere zu

sanktionieren und dabei gleichzeitig Gewinn aus dieser Kooperation zu ziehen, können

Kartelle entstehen, welche aber gewissenhaft und freiwillig von den Teilnehmern aufrecht ge-

halten werden müssen, um Marktkräfte dauerhaft zu limitieren.40

Die Bildung eines kartellartigen, exklusiven „Clubs zum Schutze sozialer Mindest-

standards“ großer Unternehmen, die sich gegenseitig kontrollieren und stützen, könnte eine

Voraussetzung für einen Branchenstandard und eine Möglichkeit sein, Mindeststandards in

stark globalisierten Branchen zum Durchbruch zu verhelfen.

3) Ein Globaler Sozialstandard in der Spielzeugindustrie?

a) Branchenstruktur

In den 90er Jahren stieg China zum weltgrößten Spielwarenproduzenten auf. In rund 6000

Spielzeugfabriken in der Provinz Kanton (Guangdong) nördlich von Hongkong sind bis zu

zwei Millionen Menschen, zumeist junge Frauen, beschäftigt. 45 Prozent aller deutschen

Spielwareneinfuhren stammten in 2000 aus China (entsprach ca. 2 Milliarden DM). Insgesamt

hatte die chinesische Spielzeugproduktion 2000 einen Exportwert von 17,5 Milliarden DM.

Die Anteilsgewinne Chinas gehen vor allem auf den Verdrängungswettbewerb in Südostasien

durch billigste Löhne und immer beliebter werdendes elektronisches Spielzeug zurück, und in

zweiter Linie auf Produktionsverlagerungen aus dem Norden.41 Heute kommt ca. 70 bis 8039 ein klassisches Beispiel antagonistischer Kooperation ist das Kapitel Leben und Leben lassen im Stellungs-krieg, bei Axelrod, a.a.O. 40 Vgl. Debora L. Spar, The Cooperative Edge. The Internal Politics of International Cartels, Cornell UniversityPress, 1994. Das Buch analysiert die Systematik und Erfolgsbedingungen von Kartellen, um daraus unteranderem Rückschlüsse auf die Kooperation unter Staaten zu ziehen. Die hier vorgestellte Kartell-Systematik istdiesem Buch entnommen. 41 Zum Vergleich: Noch vor Hundert Jahren war die deutsche Spielzeugindustrie die größte der Welt. Sie konnteEngland ab Mitte des 19. Jahrhunderts vom ersten Platz durch billigste Löhne, Weltmarktorientierung und Pro-duktinnovationen verdrängen. Z. B. wurden von den 20,9 Millionen Mark Gesamtumsatz der sonnebergischenSpielzeugindustrie im Jahre 1898 Waren im Wert von 16,8 Millionen Mark ausgeführt, und davon über die Hälf-te durch ausländische Exporteure. Es gibt zudem zahlreiche Berichte aus der vorletzten Jahrhundertwende überdas Elend der fränkischen Heimarbeit im Textil- und Spielzeuggewerbe. Siehe Christoph Buchheim, Deutsche

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Prozent des weltweit verkauften Spielzeugs aus China. Obwohl die Spielzeugindustrie in den

europäischen Ländern und auch im Süden immer noch von einigen Hundert kleinen und mit-

telständischen Unternehmen geprägt ist, sind es doch die Global Player in Produktion und

Vermarktung, die die Branche dominieren. So aquirierten die US-Konzerne Mattel (der Her-

steller der Barbie-Puppen) und Hasbro (der Hersteller der Starwars-Figuren, MB-Spiele,

Monopoly), die Größten der Branche, in den letzten Jahren zahlreiche Unternehmen, die sie

zu Konzernen mit Milliarden-Umsätzen wachsen ließen. Mattels Erzkonkurrent Hasbro zeich-

net sich durch geradezu raubtierartige Aufkäufe und ebenso rücksichtslose wie unfaire Ge-

schäftspraktiken aus.42 1996 ist allerdings eine Übernahme Hasbros durch Mattel gescheitert.

Eine gefüllte „Kriegskasse“ wird nicht nur für Aufkäufe und Abwehrschlachten benötigt, son-

dern auch für Rücklagen in einer Branche, in der sich Unternehmen ständig mit neuen und

riskanten Konzepten am Markt beweisen müssen. Beispielsweise war Mattel zuletzt in den

80er Jahren konkursreif, nachdem kein erfolgreiches Nachfolgeprodukt der „Masters of the

Universe“-Spielfiguren (z.B. „He-Man“) auf den Markt gebracht werden konnte.43 Unter-

nehmensaufkäufe können demnach auch als Strategie gesehen werden, mit Produktdiversifi-

kation (vom Plüschtier über „Action Figuren“ bis zu Computerspielen) Marktrisiken zu streu-

en und zugleich in einer stagnierenden Branche zu wachsen. Nicht nur der härtere Wettbe-

werb, auch das schier grenzenlose Plagiatoren-Wesen chinesischer Unternehmer hat die Pro-

duktzyklen der meisten Spielzeughersteller noch weiter verkürzt, wodurch noch mehr Geld in

die Entwicklung investiert werden muss. Das Original Equipment Manufacturing (kurz:

OEM) trägt nicht unwesentlich dazu bei. Denn beim OEM werden Unternehmen beauftragt,

Serien exakt gemäß des Produktmusters herzustellen. Der Sportartikelkonzern Nike lässt aus-

schließlich nach diesem Verfahren produzieren, und auch in der Spielzeugindustrie ist das

Verfahren weit verbreitet. Der Produzent, der keine eigenen Produktionsstätten mehr un-

terhält, kann so Sozialbeiträge sparen, muss sich nicht mit unzufriedenen Arbeitern abgeben

und kann sich ausschließlich auf die Entwicklung und die Vermarktung konzentrieren. Doch

damit zahlt heute die gesamte Industrie auch ihren Preis für das Ausnutzen niedrigster Löhne:

„The global toy industry is still looking for a failsafe way to protect designs from Chinese

copies without curbing its use of cheap Chinese Labor.“44

Gewerbeexporte nach England in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Scripta Mercaturae Verlag, Ost-fildern 1982. S.79-98. 42 Hasbro musste nach einer Strafe des Office Of Fair Trading in England 7,7 Millionen zahlen, weil es seine Kunden dazu verpflichten wollte, Hasbros Produkte nicht unterhalb eines bestimmten Preises zu verkaufen.In: TTE. Toy Traders of Europe. The European representation for the toy distribution and toy retail . o.O. S.3. 43 Das Unternehmen konnte erst durch großzügige Kredite der Warburg-Bank in New York gerettet werden. 44 Geoffrey A Fowler, Trouble in Toy Town, in: Far Eastern Economic Review, 6. Februar 2003. S.33. In demArtikel ist von einem Unternehmen die Rede, dass den Produktzyklus deswegen von zwei Jahren auf 6 Monateverkürzen musste. Plagiate werden aber häufig schon zeitgleich wie das Original auf Messen angeboten. Die„Neuheitenquote“ ist in der Spielzeugbranche mit ca. 50% pro Jahr des Gesamtangebots besonders hoch.

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Die Vermarktung Multimillionen-Dollar schwerer Lizenzprodukte wie die Star Wars-

oder Disney-Figuren in von den Spielzeugkonzernen mitfinanzierten Kindersendern und

Fernsehprogrammen ist ein weiterer großer Kostenfaktor und hat zur Verdrängung kleinerer

Unternehmen (durch die Konditionierung von Kinderwünschen via TV-Werbung) und zur

Oligopolisierung der Branche beigetragen.

Damit ist die Branche ähnlich „vermarktungslastig“ wie die Sportartikelbranche um

Nike und Adidas oder die Textilbranche. Zum Teil machen die Produktionskosten weniger als

ein Prozent des Verkaufspreises im Laden aus45– dennoch machte Hasbro zuletzt Verluste und

hat in den letzten Jahren einige Tausend Arbeiter entlassen (sicherlich auch zugunsten des

OEM).

Auch der Vertrieb wird von wenigen Akteuren kontrolliert. Im Wesentlichen ist er

dreigliedrig. Zum einen Spielzeug- und Babykleidungsketten wie Toys „R“ Us mit rund 1500

Filialen weltweit und einem Umsatz von über elf Milliarden US$, sowie Konkurrenz-

Pendants wie die italienische Chicco. Dann große Einzelhandelsketten wie Walmart, Wool-

worth oder Karstadt-Quelle, und schließlich Einzelhandelseinkaufsverbunde (analog zu In-

tersport im Sportfachhandel), wie vedes in Deutschland.

b) Sozialstandards unter Druck: Wettbewerbsursachen

Über die Arbeitsbedingungen in der asiatischen, speziell der chinesischen Spielzeugindustrie,

gibt es eine ganze Reihe von Berichten von NROs sowie von internationalen Gewerk-

schaften.46 Die Arbeitsbedingungen in chinesischen Spielzeugfabriken werden anhand von In-

terviews mit Fabrikarbeiterinnen evaluiert. Auch unabhängige Überprüfungen des Hongkong

Toys Council, dem Verband der Hongkongchinesischen Industrie, bestätigen das von den

NROs ermittelte Bild.47 Insbesondere in der Hochsaison werden die ILO-Arbeitsnormen und

das Chinesische Arbeitsrecht nicht beachtet. Mindestlöhne werden häufig unterschritten und

45 Beispiel Barbiepuppe: Vom Ladenpreis von 9,99 US-Dollar pro Barbie fließen 7,99 US-Dollar in Transport,Vertrieb, Einzelhandel, Großhandel und Unternehmensgewinn in den USA. Von den verbleibenden zwei US-Dollar wird ein US-Dollar für Verwaltungs- und Frachtkosten in Hongkong aufgewendet. 65 Cents entfallen aufAusgangsstoffe aus Taiwan, Japan, den USA und Saudi-Arabien. Die restlichen 35 Cents fließen nach China. Da-von müssen Anlagen-, Lohn- und Stromkosten bestritten werden. Die Lohnkosten sind folglich nur ein Bruchteilder 3,5 Prozent (des Verkaufspreises), die in China für jede Barbie-Puppe verbleiben. In: May Wong, DieArbeitsbedingungen in der Spielwarenindustrie in China. Ein vorläufiger Untersuchungsbericht, Asia MonitorRessource Center/Hongkong, u.a., 1998. 46 Vgl. Berichte von Nichtregierungsorganisationen: Hong Kong Christian Industrial Committee, How Hasbro,Mc Donald`s, Mattel and Disney manufacture their toys. Report on the Labor Rights and Occupational Safetyand Health Conditions of Toy Workers in Foreign Investment Enterprises in Southern Mainland China, HongKong 2001; May Wong, Stephen Frost, Monitoring Mattel: codes of conduct, workers and toys in SouthernChina, Asia Monitor Ressource Center, Hong Kong 2000. Berichte von Gewerkschaften: Internationaler Bundfreier Gewerkschaften, Aus der Asche. Ein Spielzeugfabrikbrand in Thailand. Ein Bericht über die Spielzeug-industrie, Brüssel 1995; The National Labor Committe, Toys of Misery. A Report on the Toy Industry in China,New York 2002.47 Piepel, 1997, S.3.

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oft müssen die Arbeiter monatelang auf die Auszahlung warten. Die Sicherheit am

Arbeitsplatz wird oft vernachlässigt. Arbeitszeiten von durchschnittlich zwölf bis 13 Stunden

bei einer Sieben-Tage-Woche sind keine Seltenheit, teilweise sind es sogar Arbeitszeiten bis

zu 18 Stunden, besonders in den „Saisonspitzen“. Denn drei Viertel des Umsatzes in der

Spielzeugbranche wird in der Weihnachtszeit getätigt. Durch die Übermüdung der Arbeite-

rinnen passieren Unfälle, die manchmal tödlich enden.48 Nach den NRO-Berichten haben sich

die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren kaum verbessert, es zeigt sich aber zunehmend

ein gemischtes Bild. Vor allem die Sicherheitsstandards konnten erhöht werden, die

chinesische Regierung hat hier neue Gesetze umgesetzt. 49

Nicht nur der horizontale Wettbewerb (Produzenten untereinander, Händler unterein-

ander) hat sich verstärkt, sondern auch der vertikale entlang der Wertschöpfungskette. Unter-

nehmen versuchen verstärkt, Kosten zu sparen: So verlangen Auftraggeber kürzere

Lieferzeiten,50 sie nutzen verstärkt den Wettbewerb der asiatischen Hersteller um Aufträge, in-

dem sie diese gegeneinander ausspielen. Die Just-In-Time- Produktion verlangt, das die Auf-

tragnehmer die Kosten für das Rohmaterial und die Lagerung vorschießen, während sie ihrer-

seits oft Monate auf die Zahlungen durch die Auftaggeber warten müssen, was selbstverständ-

lich Auswirkungen auf die Bezahlung der Löhne der Arbeiter hat. Verschärft werden diese

Trends durch eine spätere Bestellung zum Weihnachtsgeschäft hin. Denn auch die Konsu-

menten üben einen Preisdruck auf die Händler aus und kaufen ihrerseits später.

Die Konkurrenz Hongkongchinesischer Produzenten ist heute so groß geworden, dass

sie sich bei den Preisen und Angeboten für die großen Konzerne immer öfter einen ruinösen

Wettbewerb liefern. Um die Geschäftsbeziehungen zu erhalten, schließen sie Verträge ab, mit

denen sie Verluste einkalkulieren. Dies in der Hoffnung, der Kunde gehe nicht verloren und

der nächste Vertrag wird besser. Ehemals langjährige und stabile Lieferantenbeziehungen der

Auftragnehmer zu den großen US-Konzernen sind damit heute einer ständigen Überprüfung

ausgesetzt.

Neben verbesserten Sicherheitsstandards (z.B. die EU-Spielzeugrichtlinie) wird von

den chinesischen Herstellern immer öfter auch die Einhaltung von Sozialstandards gefordert –

für diese eine völlig neue Anforderung, denn die Arbeitsbedingungen in den schäbigen Pro-

duktionsbetrieben aus der „Made-In-Hongkong-Ära“ der 70er und 80er Jahre waren

traditionell miserabel, nur hat es früher niemanden gestört. Dieser Kulturschock kommt in

48 Washington Post vom 13.Mai 2002: Worked Till They Drop. Few Protections for China`s New Laborers49 Nach Einschätzung von Monina Wong vom HKCIC ist die chinesische Regierung bei den Sicherheitsstandardswegen Imageproblemen Chinas und WTO-Konvergenzkriterien aktiv geworden. Im Gespräch mit dem Verf. 50 Zum Beispiel Mattel: „One of Mr. Eckerts (Mattel-Vorstandsvorsitzender) initiatives has been a new just-in-time delivery system that has reduced its inventory turnaround to 64 days from 77 days.“ In: New York Times,Sherri Day, As it makes itself, Mattel does some for Barbie, 9.11.2002.

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einer Zeit, in der das bisher unbekannte Phänomen der Unternehmenspleite in dieser einst von

bequemen Profiten verwöhnten Branche Einzug hält. Um Aufträge zu bekommen, würden

Auftragnehmer wohl jedes gewünschte Sozialverhalten erfüllen, aber häufig ist inkonsistentes

Verhalten der Auftraggeber bei der Forderung nach Sozialstandards mitverantwortlich für die

Nichteinhaltung geforderter Kodizes. So kann die Marketing-Abteilung großer Unternehmen

intern die Einhaltung von Sozialstandards fordern, während die Einkaufsabteilung zuweilen

„durch die Hintertüre“ ihre Prioritäten nach Preis, Lieferbereitschaft und Qualität durchsetzt,

ohne auf die Wünsche der Marketing-Abteilung zu achten. Die Auftraggeber möchten häufig

die Kosten für höhere Sozialstandards auch nicht übernehmen, denn nicht zuletzt würden sie

sich dann schlechter stellen, als andere Auftraggeber, die dafür nicht zu zahlen bereit sind.51

Im letzten Abschnitt soll anhand des in 2c vorgestellten Analyserahmens empirisch erörtert

werden, inwiefern in der Spielzeugbranche ein sanktionsfähiger und wirksamer Erzwingungs-

mechanismus bei sozialen Mindeststandards entstehen kann, und welche Ansätze es dazu be-

reits gibt. Die einzelnen Aspekte des Analyserahmens werden aus praktischen Gründen bereits

weitgehend integriert.

Abb. 2

c) Regulierung in der Spielzeugbranche

Auslöser internationaler Kampagnen in der Branche waren zwei Spielzeugbrände in

Bangkok/Thailand und in Shenzhen/ China, bei der über 250 Menschen ums Leben kamen

51 Informationen dieser Passage aus dem Gespräch mit Monina Wong vom Hong Kong Christian IndustrialCommittee.

19

Warenhäuserbeklagen Konsumverhalten

Preisdruck aufHersteller und Fachhandel

Fachhandelbeklagt

KonkurrenzKonsumverhalten

Auftraggeber/Markenproduzentenbeklagen Preisdruck durch Handel

Just-In-Time-Lieferungzum billigsten Preis

Asiatische HerstellerPreis- und Kostendruck

kürzere Lieferzeiten"Teile und Herrsche" der Auftraggeber

Asiatische HerstellerKonkurrenzdruck

GefangenendilemmaFree-Rider-Problematik

Konsumentenüben Preisdruck auf

Handel aus

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und mehrere Hundert zum Teil schwer verletzt wurden.52 Seit Mitte der 90er Jahre gibt es

Kampagnen von Gewerkschaften in den USA und insbesondere von kirchlichen Organisa-

tionen in Europa, die eng mit den NROs in Hongkong zusammen arbeiten. Insbesondere das

deutsche bischöfliche Hilfswerk Misereor ist sehr engagiert und wird von „Willigen“ der In-

dustrie (Zapf-Creation) und des Handels (KarstadtQuelle) auch als Gesprächspartner ernst ge-

nommen. Die Kampagnen im Süden und Norden leisten einen unverzichtbaren Beitrag, Licht

in das Dunkel der globalisierten Spielwarenbranche und den weithin üblichen Arbeitsbe-

dingungen zu bringen und das Thema publik zu machen. Die NROs fordern die Unternehmen

auf, dass der Branchenkodex des Weltverbandes ICTI umgesetzt wird. Seit Mitte der 90er

Jahre, als erste Berichte über die Arbeitsbedingungen in Disney- oder Mattelfabriken publik

wurden, müssen insbesondere die Brand Names der Branche die Gesamt-Kampagne ernst

nehmen, was zu einer weiten Verbreitung von Verhaltenskodizes geführt hat.

Dennoch gibt es bisher nur wenige Beispiele von Unternehmen, die trotz des Wettbewerbs

Mindeststandards einhalten (aus kritischer Sicht der NROs). Das deutsche im M-Dax notierte

Unternehmen Zapf-Creation hat sich streng auf die Einhaltung eines Verhaltenskodex ver-

pflichtet. Ein ausgewachsener Kinderarbeitsskandal brächte ein Unternehmen wie dieses

schnell an den Rand des Ruins, so Thomas Eichhorn, der Chef von Zapf.53 Der Weltmarktfüh-

rer Mattel setzte 2000 trotz einer finanziellen Krise die weitere Implementierung eines Verhal-

tenskodex durch, weil der CEO Robert Eckert erklärtermaßen beides, finanzielle Gesundung

und Stärkung der Unternehmenskultur, für untrennbar miteinander verbunden hält.54 Als er-

folgreich umgesetzt gelten die Global Manufacturing Principles Mattels auch im kritischen

Augenmerk von Nichtregierungsorganisationen.55 Der Verhaltenskodex beinhaltet insgesamt

über 200 Sozialstandards, der unabhängig von Dritten überprüft wird. Dem „Transparenzge-

bot“ genügt Mattel, indem es Berichte und Folgeberichte über seine Fabriken in Indonesien,

China, Thailand oder Malaysia auf seiner Web-Site veröffentlicht56

Seit 1997 hat Toys„R“Us, der weltweit größte Spielwarenhändler vor Walmart, mit dem

Monitoring seines „Code(s) of Conduct for Suppliers“ begonnen. Dieser Kodex wendet sich

an alle Lieferanten mit der Aufforderung, den Verhaltenskodex mit Bindewirkung für die

52 Klaus Piepel, Hinter verschlossenen Türen –Verhaltenskodizes in der Spielzeugindustrie, Misereor, 2001. S.11.53 SZ vom 27.08.2003. S.3.54 Sethi, a.a.O., S.245. 55 Vgl. Klaus Heidel, Siegfried Pater, Klaus Piepel (Hrsg.), Spielverderber. Das Geschäft mit dem Kinder-spielzeug, Bonn 2002. S.73-76. 56 Siehe dazu auf der Mattel-Homepage :[www.mattel.com/about_us/Corp_Responsibility/cr_mimco.asp gel. am 17.09.2003.

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nachgeordneten Zulieferer anzunehmen, um auf diese Weise die Einhaltung der Richtlinien

von Toys„R“Us auch entlang der logistischen Kette zu gewährleisten.57 Geschäftsbeziehungen

zu Partnern, die eine Teilnahme an diesem Prozess verweigerten, würden abgebrochen. Ange-

sichts von etwa 18 000 Artikeln von 5000 Lieferanten im Sortiment ist die operative Ausge-

staltung des Monitorings eine entscheidende Frage. Seit November 1999 ist Toys„R“Us ein

tragendes Mitglied bei der Social Accountability International (SAI), bei der zugelassene

Monitoring-Agenturen Vertragslieferanten nach dem SA 8000 Standard zertifizieren.58 In

Deutschland ist Karstadt-Quelle als einer der größten Spielwarenhändler seit dem Frühjahr

2003 bemüht, den AVE-Kodex des deutschen Einzelhandels zu implementieren und verlangt

von seinen Lieferanten entsprechende Anstrengungen. Dieser Kodex ist mit dem SA 8000

Standard eng verwandt. Einen möglicherweise praktikablen Weg hat Karstadt-Quelle bereits

bei Bekleidung und Textilien eingeschlagen: So werden unangemeldete Überprüfungen bei

Lieferanten durchgeführt und versichert, dass die Regeln „für alle Lieferanten und deren Zu-

lieferer verbindlich“ seien und „damit Voraussetzung für jegliche Geschäftsbeziehung zu den

Unternehmen der Karstadt-Quelle AG.“59 Zur Beendigung von Lieferverträgen ist es bei

Karstadt aufgrund mangelhafter Sozialstandards aber noch nicht gekommen, wobei dies nicht

ausgeschlossen wird.60 Zur besseren Durchsetzung von Mindeststandards bei gleichen Zu-

lieferunternehmen hat sich Karstadt mit anderen Unternehmen wie Otto und C&A auf den

AVE-Kodex des deutschen Einzelhandels verständigt, wodurch die Einkaufsmacht erhöht

wurde und Kosten gespart werden.61 Darüber hinaus hat Karstadt intern ein unabhängiges und

verantwortliches Direktorium eingeführt, das für die Sozial- und Umweltpolitik des Unter-

nehmens zuständig ist. In der Vereinheitlichung von Kodizes sieht Karstadt, ebenso wie Zapf,

ein wichtiges kostensenkendes Argument.62

Ein besonderer Akteur in der Spielzeugbranche ist Disney mit Tausenden von Lizenznehmern

weltweit, inklusive anderer Multis wie Hasbro (der Hauptlizenznehmer), Mattel, Walmart und

Toys„R“Us.63 Disney hat sich nach einigen negativen Berichten über Auftragsfaktoreien und

Lizenznehmern zu einem Programm entschlossen, das Mindeststandards sichern soll.64 Bis

57 Klaus Heidel, Uwe Kleinert, Die Spielwarenindustrie. Anmerkungen zu Produktion und Handel unter beson-derer Berücksichtigung der Arbeitsbedingungen in der asiatischen Spielzeugherstellung , Werkstatt Ökonomie,1997. S.39. 58 Tom de Luca, Mitglied im Advisory Board von SAI und Vizepräsident von Toys„R“Us: „Toys„R“Us believesSA 8000 is the best initiative for our business. It`s cross-industry application goes beyond the company`s tradi -tional toy business and can be applied to the company`s other strategic product categories.”[ www.business-minds.com ] gel. am. 22.09.2003. 59 Michael Fichter, Jörg Sydow, a.a.O. S.44. 60 Ebd. S.49. 61 Ebd. S.48. 62 Beide Unternehmen berichten von Lieferanten, die über 50 mal in einem Jahr auditiert wurden. 63 Sethi, a.a.O. S.187f. 64 Vgl. Klaus Werner, Hans Weiss, a.a.O., S.248.

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Ende 2002 sind ca. 25000 Unternehmen in 50 Ländern nach den von Disney entwickelten In-

ternational Labor Standards (ILS), die sich an die ILO-Mindeststandards orientieren, auditiert

und darüber eine Database angelegt worden, die ständig aktualisiert und erweitert wird. In der

Spielzeugbranche allein hat Disney ca. 6000 Lieferanten. Auch hier ist die Unübersichtlichkeit

sehr problematisch, und Disney wird selbst am besten wissen, weshalb es die Berichte bis

heute nicht veröffentlicht hat. Dennoch soll die Möglichkeit erwähnt werden, wie weitrei-

chend potentiell die Einflussnahme sein kann. Disney strebt (laut Homepage) angesichts der

Erkenntnis, dass ein Unternehmen allein nicht allzu viel erreichen kann, eine Kooperation und

Kommunikation auf breiter Basis an mit allen „daran Interessierten“, um globale Arbeitsstan-

dards zu fördern.65

Auf Verbandsebene ist der Weltspielzeugverband ICTI (International Council of Toy Indus-

tries) bemüht, als Wahrer inklusiver Interessen, einen Kodex umzusetzen, der in zwei bis drei

Jahren für 95 Prozent des weltweit verkauften Spielzeugs gelten soll. Der ICTI-Code stand

beim diesjährigen Verbandstreffen ganz oben auf der Agenda.66 Der Verband strebt eine Kon-

vergenz der zahlreichen Kodizes an, insbesondere mit den Händlern.67 Wenn der Welt-

spielzeugverband und große Mitgliedsfirmen den Mindeststandard umsetzen, so ist in den

Augen der NROs ein großer Schritt getan, grundlegende Arbeitsbedingungen in den

Spielzeugfabriken zu schützen.68 Der Spielzeugkonzern Hasbro war zwar an der Formulierung

des 2001 überarbeiteten Kodexes des Weltverbandes beteiligt und hat sich selbst zur

Einhaltung ab Januar 2003 verpflichtet, über die Umsetzung des ICTI-Codes hält er sich aber

bedeckt, es ist vielleicht auch noch zu früh.69 Zapf-Creation hat mittlerweile begonnen, den

überarbeiteten ICTI-Code zu verwenden. Wenn einzelne Unternehmen, die zu den Marktfüh-

rern gehören, Branchenstandards anstreben, so könnte dies andere Unternehmen dazu bringen,

sich zu beteiligen. Prakash Sethi, Wirtschafts-Professor an der City University in New York

und Vorsitzender des Mattel Independent Monitoring Council (MIMCO), dem unabhängigen

Aufsichtsgremium für Sozialstandards bei Mattel, hält industrieweite Standards für den nächs-

ten logischen Schritt, nachdem ein Branchenführer den ersten Schritt auf diesem Gebiet er-

65 Siehe Disney-Homepage [ www.disney.go.com/corporate/compliance/ gel. Am 20.09.2003. 66 Vgl. [www.toy-icti.org/newsinfo/052303.htm ] gel. am 30.09.2003. 67 „ICTI is now focusing on achieving convergence of its code with the many retailer codes that now exist.” Ebd.68 Klaus Heidel, Siegfried Pater, Klaus Piepel (Hrsg.) 2002, a.a.O. S.65: „Wenn die führenden Firmen der Bran-che, ihre asiatischen Zulieferer und Auftragsproduzenten diesen Kodex durchsetzen würden, käme es zu einerspürbaren Verbesserung der herrschenden Arbeitsbedingungen.“69 Vgl. Misereor, Faire Regeln in der Spielzeugproduktion. Hintergründe/Aktionen 2001/2002. PDF-Download [ www.ked-bayern.apc.de/fairtoys/downloads.html. ] gel. 12.09.2003.

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folgreich gegangen ist. Denn nur so könne eine Voraussetzung geschaffen werden, dass in der

Branche ausreichend getan wird, Mindeststandards zu sichern.70

d) Schlussfolgerung

Kann es in der Spielzeugbranche zu einem branchenweit implementierten Verhaltenskodex

kommen, der zunächst von den wichtigen Playern der Branche getragen und von den großen

Händlern gestützt wird? Und wenn ja, wann? Nach Olson muss gewöhnlich eine gewisse

Komplementarität zwischen den Aktivitäten gefunden oder genutzt werden, mit denen ein

Kollektivgut bereit gestellt werden kann, mit den Aktivitäten, die Einkommen produzieren.

„Selbst wenn solche Komplementaritäten genutzt werden, mögen sie erst nach einiger Zeit

entdeckt oder entwickelt werden, und auch dann nur von phantasiebegabten Führern.“71 Ins-

besondere Markenunternehmen und Einzelhandelsriesen scheinen diese Komplementaritäten

zu erkennen, weshalb es für sie lohnend und auch erfolgsversprechend sein könnte, verstärkt

zu kooperieren. Denn es sind wenige wirkliche Big Player in der Spielzeugbranche. Diese

sind unter bestimmten Voraussetzungen bereit, Zusagen Glaubwürdigkeit zu verleihen und

glaubhafte Abschreckungen gegenüber nicht kooperationsbereiten Lieferanten wirksam

werden zu lassen. Glaubwürdige Zusagen heben auf die Qualität der freiwilligen Selbstregu-

lierung ab, Glaubhafte Abschreckungen auf den Erzwingungsmechanismus. Wenn (Sub)- Un-

ternehmen z.B. nicht gemäß des ICTI-Codes produzieren lassen, können ihnen Aufträge

entzogen werden. Auch Karstadt kann Herstellern mit Auslistung drohen, wenn sich diese

nicht an den AVE-Kodex halten. Wenn Einzelhandelsriesen, die für den Absatz der Produkte

von Markenproduzenten unentbehrlich sind, ein glaubwürdiges Zeichen an diese senden, dann

kann davon eine machtvolles Signal ausgehen, auf dem Gebiet der Sozialstandards engagiert

tätig zu werden. Die Markenproduzenten könnten ihrerseits z.B. von den Einzelhandelriesen

fordern, den Preiskrieg, der auch eine Kriegserklärung an den Fachhandel darstellen soll, ih-

rerseits ab zu kühlen, um das Kollektivgut Sozialstandard zu finanzieren. Wenn dieser „Club

zum Schutze von Mindeststandards“ damit einerseits kooperiert, sich aber andererseits auch

gegenseitig in Schach hält, kann ein Ethikkartell bei Sozialstandards entstehen, das branchen-

weite Bedeutung hat und viele Mitbewerber „auf Linie“ bringt. Denn nicht zuletzt werden die

Großen die Kleinen danach drängen, um eine „Ausbeutung der Großen durch die Kleinen“72,

wie es bei Olson heißt, zu vermeiden. Kooperation wäre auch deswegen relativ leicht

möglich, weil es sich wie bei Kartellen um einen zentralen „Rohstoff“, der Arbeit handelt.

Diese ist billig, muss aber insofern für teuer (ethisch sauber) beim Verbraucher gehalten70 Sethi, a.a.O. S.214. 71 Mancur Olson, Aufstieg und Niedergang von Nationen, J.C.B. Mohr, Tübingen 1985. S.50. 72 Olson 1992, a.a.O. S.28.

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werden, dass er den Preis bei Markenartikeln akzeptiert. Eine branchenweite Abstimmung

(auch durch konkludentes Verhalten möglich) ist am besten geeignet, diese Ziele zu erreichen.

Als Ort dieser Abstimmung bietet sich der Weltspielzeugverband ICTI an. Aber das Beispiel

der AVE-Kooperation zwischen Karstadt, C&A und Otto zeigt, dass auch Konkurrenzunter-

nehmen direkt zusammen arbeiten können. Ohnehin haben Unternehmen wie Mattel und Has-

bro seit Jahrzehnten ein sehr enges Verhältnis zu Toys“R“Us.73

Die Entscheidung zu kooperieren ist ein dezidiert politischer Akt. Der Aushandlungsprozess

erfordert eine kontinuierliche Serie von Deals, Kompromissen und Konzessionen, dessen

Ergebnis von den politischen und wirtschaftlichen Umständen abhängt, die entweder wesentli-

che Akteure in ein Korsett einzwängen oder ihnen die Freiheit zum Verhandeln gibt, Zusagen

zu machen, Kosten zu akzeptieren oder in Rechnung zu stellen.74 Denn diese Art der Koopera-

tion ist eine „Business Decission“, die auch von der weiteren Entwicklung der Konsumenten-

kampagne und beispielsweise davon abhängt, welche Themen die internationale politische

Agenda beeinflussen. Ohne Frage ist nach dem 11. September das Thema „soziale Mindest-

standards“, das bis dahin eines der dominierenden auf der weltpolitischen Agenda war, in den

Hintergrund gedrängt worden.

Prinzipiell werden nicht alle Marktteilnehmer gleich fähig sein, glaubwürdige Zusagen zu ma-

chen oder motiviert sein, auf Abschreckungen zu reagieren. Manche Akteure sind eher dafür

geeignet, Kooperation zu initiieren und aufrecht zu erhalten als andere. Dies muss die Bildung

einer dezidierten Kooperation bei Sozialstandards nicht verhindern, aber das Stabilitätsrisiko

gehört zum Kartell wie das mögliche Scheitern. Wenn jedoch die Vorteile aus einer Koopera-

tion erkannt werden, so kann es zu einem „Ethikkartell“ kommen – die Ansätze sind vor-

handen. Ein branchenweiter Sozialstandard bei den Arbeitsbedingungen könnte wiederum

Auswirkungen auf andere Branchen haben, möglicherweise auch auf die Binnenindustrie in

einem Entwicklungsland.75 Sollte dies zudem dazu beitragen, dass Mindeststandards nicht als

wettbewerbshindernd und wachstumsbeschränkend angesehen werden, sondern als ein Bei-

trag, universal anerkannte Menschenrechte zum Durchbruch zu verhelfen und Wohlstand zu

erzeugen, dann könnte Regulierung bei Sozialstandards auch auf der politischen Agenda der

73 In den 60er Jahren hat insbesondere Mattel das gefährdete Unternehmen Toys“R“Us finanziell unterstützt, umauch in Zukunft ein Ganzjahresgeschäft bei Spielzeug zu ermöglichen. Denn im Gegensatz zu Gemischthändlernbietet Toys“R“US ganzjährig die gleich große Verkaufsfläche für Spielzeug an. 74 Spar 1994, S.255. 75 Debora L. Spar, The Spotlight and the Bottom Line: How Multinationals Export Human Rights , in: ForeignAffairs, March/April 1998.

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Staaten wieder auftauchen. Damit wäre allerdings ein Kalkül bei der Selbstregulierung der

Unternehmen hinfällig.

Anhang:

Aktive Unternehmen Verhaltens

kodex

Transparenz Art des Monitoring

Sanktionsfähig-

keit/ bereitschaft

Branchen

standard

angestrebt?

Disney Eigener Kodex nein Angeblich un-

abhängig

Potentiell hoch ja

Hasbro ICTI-Code nein Angeblich un-

abhängig

hoch ja

Mattel Eigener Kodex Ja unabhängig hoch ?

Mc Donalds Eigener Kodex nein

Angeblich un-

abhängig gering nein

Chicco Eigener Kodex nein Nicht unabhängig ? ?

Zapf ICTI-Code Ja unabhängig hoch ja

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Simba Dickie Angeblich

Eigener Kodex

nein ? niedrig Nicht im Ver-

band

Toys `R Us SA 8000 nein unabhängig hoch ?

Walmart Eigener Kodex nein unabhängig (Potentiell)hoch ?

KarstadtQuelle AVE-Kodex

SA 8000

nein Unabhängigkeit

angestrebt

hoch ja

ICTI (Weltverband) ICTI-Code Ja Eher gering ja

Abb.3

Spielzeugbranche in Zahlen (ohne Videospiele)76

Spielzeugverkauf im Handel ( in Millionen US$):

1998: 54 898 , davon Nordamerika: 22283, Europa 13693, Asien 1404

1999: 55645, davon Nordamerika: 24117, Europa 13368, Asien 13323

2000: 54742, davon Nordamerika 24215, Europa 12506, Asien 13249

Vertriebskanäle im Jahr 2000:

Spielzeugketten: 24%

Gemischthändler (z.B. Walmart, Karstadt): 37%

Spielzeug, Hobby und Videospielhändler: 14%

Department Stores: 8%

Katalog: 4%

E - Commerce: 1%

Sonstige: 12%

Umsätze von ausgesuchten Produzenten (Produktion in China) und Händlern:

Mattel: 4, 8 Mrd. US$ (2001)

76 Quelle: Zu Branchenumsätzen: Homepage des Weltspielzeugverbandes ICTI [ www.toy-icti.org/publications/wtf&f_2001/03.html ;zu den einzelnen Unternehmen siehe Misereor-Homepage, Aktion fairspielt.

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Hasbro: 2,8 Mrd. US$ (2001)

Bandai: 2,0 Mrd. US$ (2002)

Disney: 2,6 Mrd. US$ im Lizenzgeschäft; vorwiegend Spielzeug, Bekleidung (2001)

Chicco: 1,14 Mrd. Euro

Simba-Dickie: 250 Mill. Euro (2001)

Zapf: 220 Mill. Euro (2001)

Toys „R“ Us: 11 Mrd. US$ (etwa Hälfte des Umsatzes auf Spielwaren)

Vedes-AG Einkaufsgenossenschaft): Außenumsatz 820 Millionen Euro (2001), Regulierungs-

umsatz 336,4 Mill. Euro (2000)

Idee+spiel (Einkaufsverbund): Außenumsatz 414 Mill. Euro (2000)

EK-Großeinkauf eG mit Spiel & Spaß: Außenumsatz: 332 Mill. Euro (2000); Zentralregu-

lierungsumsatz 204 Mill. Euro

Schlaglichter des zivilen Protestes in der Spielzeugbranche und des Umgangs mit Verhaltenskodizes in den

90ern bis heute

1993: zwei der verheerendsten Fabrikbrände des Jahrhunderts in Bangkok und China forderten über 250 Men-

schenleben und weitere Hunderte zum Teil schwer Verletzte

1994: Gründung der Toy Coalition for the Charter on the Safety Production of Toys in Hongkong

seit 1995 Kampagnen, Demos und internationale Verknüpfungen mit NROs im Norden

erste Code-of-Conduct-Direktive Mattels an seine Lieferanten

1996 legt Hongkong Monitor Ressource Center erstmals eine Studie über die Arbeitsbedingungen in Fabriken

vor. Seitdem zahlreiche weitere Publikationen

Bundesverband der deutschen Spielwarenindustrie versichert dem Bundeswirtschaftsministerium, dass die

Arbeitsbedingungen in China ohne Tadel und in Ordnung seien, Kinderarbeit komme nicht vor

1997 veröffentlicht Misereor, der bedeutendsten NRO in diesem Gebiet, erstes Presse-Statement über Probleme

in der asiatischen Spielwarenindustrie auf der internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg.

Mattel weitet seinen Kodex aus aufgrund von negativen Presseberichten über Zulieferer in Indonesien

1999 Toys „R“ Us beginnt, den SA8000-Standard zu implementieren

Der Europäische Dachverband der Spielwarenhersteller (Toy Industries of Europe, TIE) verkündet eine Selbst-

verpflichtungserklärung zur Einhaltung sozialer Mindeststandards

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2001 neuer Verhaltenskodex des Weltspielzeugverbandes ICTI, der von NROs unterstützt und überwiegend posi-

tiv eingeschätzt wird

das Christian Industrial Committee konstatiert Stagnation – business as usual – in seinem Bericht “Faire Regeln

in der Spielzeugproduktion”

120 Opfer bzw. Angehörige des Fabrikbrandes in China von 1993 erhalten von Chicco (dem damaligen Auftrag-

geber) eine Spende

2002 ICTI verbessert seinen Code, der Präsident kündigt weltweite Durchsetzung innerhalb der nächsten 2,3 Jah-

re an

Misereor äußert sich positiv über die Verhaltenskodizes von Mattel und Zapf-Creation

2003 Misereor kündigt auf der Spielwarenmesse in Nürnberg eine Verschärfung des Drucks auf deutsche Pro-

duzenten zum Weihnachtsgeschäft 2003 an (eine „Shaming-Initiative“)

Karstadt-Quelle kündigt an, beim Einkauf von Spielzeug künftig auf den AVE-Kodex des deutschen Einzel-

handels zu setzen und in Verhandlungen mit den Lieferanten zu treten.

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