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Unaufhaltsam: Digitalisierung in der Medizin Eine Chance für Ärzte oder ein Angriffsziel für Cyberkriminelle? BERLIN [hr] Die Digitalisierung birgt Risiken und Chancen. Einerseits können Versorgung und Dokumentation verbes- sert werden, andererseits können Sicher- heitslücken in Kliniken und Praxen zu Missbrauch führen. Bei Letzterem spielt der Faktor Mensch eine nicht unwesent- liche Rolle. Neben der Digitalisierung war daher auch die Datensicherheit ein gro- ßes Thema auf dem DKOU 2019. Ein „Demo-Live-Hack“ auf dem Kongress hat eindrücklich gezeigt, warum. S ensible Patientendaten erfordern einen besonderen Schutz. Erst im September jedoch kursierten Patientendaten frei zugänglich im Netz, darunter 13.000 Datensätze aus Deutschland, die medizinische Bilder wie MRT- und Röntgenaufnahmen enthielten, zum Teil mit personen- bezogenen Angaben und Untersu- chungsterminen. Ein Recherchever- bund war auf diese und viele weitere Millionen Datensätze in 50 Ländern gestoßen. „Offensichtlich waren die Daten nicht oder nur unzureichend gesichert, sodass ein fremder Zugriff teilweise sogar fast in Echtzeit mög- lich war. Es handelte sich dabei um derart schlecht eingerichtete, unge- schützte Geräte, dass sowohl aus dem internen Netzwerk als auch aus dem Internet problemlos auf sie zugegrif- fen werden konnte. Kein Hack war für diese Datenlecks verantwortlich“, kommentiert Karsten Glied, Geschäfts- führer der Techniklotsen GmbH, den Vorgang. Er fordert daher ein generel- les Umdenken in der Branche ein und plädiert dafür, den Faktor Mensch als Sicherheitsrisiko stärker in den Fokus zu nehmen. Spahn treibt Digitalisierung der Medizin voran Zwar sieht die digitale Realität in vie- len Kliniken und Praxen noch beschei- dener aus als es die aktuellen Diskus- sionen vermuten lassen, aber sie wird in der gesamten Medizinbranche nicht aufzuhalten sein. So werden etwa Online-Sprechstunden und medizini- sche Apps nach Ansicht von Bundes- gesundheitsminister Jens Spahn die Versorgung der Patienten in Deutsch- land umkrempeln. „Das wird ein posi- tiver Unterschied sein”, sagte Spahn Mitte Oktober vor Ärztevertretern in Berlin. Spahn würde Deutschland gerne zum Vorreiter der Digitalisie- rung in der Medizin machen. So warb er gegen Bedenken aus der Ärzte- schaft eindringlich dafür, mit den digitalen Anwendungen schnell zu beginnen, sodass Deutschland in dem Bereich nicht abgehängt werde. Bei der geplanten elektronischen Patien- tenakte (ePA) sei es etwa zentral, dass sie nun eingeführt werde, sagte Spahn. Perfekt werde sie nicht von Anfang an sein, aber mit ihrer Einführung müsse es „im Alltag spürbare Unterschiede” geben. Vorzüge und Risiken der Digitalisierung Die ePA muss ab dem 1. Januar 2021 von den Krankenkassen für die Versi- cherten zur freiwilligen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. An ihrer Einführung lassen sich die Vorzüge und Risiken der Digitalisierung gut veranschaulichen. Sie sei ein wichtiges Arbeitsinstru- ment, um zielgerichteter und besser diagnostizieren und behandeln zu können, betonte etwa BVOU-Kon- gresspräsident Dr. Thomas Möller anlässlich des DKOU in Berlin. „Wir können aus der elektronischen Patientenakte entnehmen, unter wel- chen Begleiterkrankungen Patienten leiden und Befunde wie Röntgenbilder oder Laborberichte direkt einsehen. Dadurch ist es möglich, diese Befunde bei der Diagnose und Behandlung zu berücksichtigen. Auch belastende Doppel- und Mehrfachuntersuchun- gen lassen sich so vermeiden und The- rapien besser organisieren”, erklärte Möller die Vorzüge der ePA. Deshalb hätten die Ärzte in O & U auch ein hohes Interesse an ihr. „Sie wäre ein großer Schritt sowohl für die interdis- ziplinäre als auch für die stationäre und ambulante Vernetzung“, sagte Möller, der niedergelassener Ortho- päde und Unfallchirurg ist. Internationale Fälle von Datenraub zeigen laut Möller aber immer wieder, wie angreifbar die Datensicherheit ist. Die ePA müsse daher sicher und nicht zu manipulieren sein. Er wies darauf hin, dass es derzeit in Deutschland keine Notfallstrategie gegen Daten- raub, Datenlecks und Datenmiss- brauch gibt. Möller hob hervor, dass die Frage nach den Zugriffsrechten auf die ePA derzeit noch nicht geklärt ist und in einem eigenen Datenschutzgesetz geregelt werden soll. Statt den Zugriff zu reglementieren, könnte er sich möglicherweise auch kontrollieren lassen, so eine Überlegung Möllers. „Das würde bedeuten, dass jeder Auf- ruf von Befunden und Daten mit Datum, Name des Zugreifers und Anlass registriert und in der elektro- nische Patientenakte vermerkt wird. Fehlverhalten würde so auffallen“, so Möller Demo-Live-Hack zeigt Sicherheitslücken auf Wie einfach an Daten zu gelangen ist und IT-Systeme zu infiltrieren sind, konnte eindrucksvoll in einer DKOU- Session bei einem „Demo-Live-Hack” verfolgt werden. Christoph Ritter von der Firma Syss GmbH, einem Unter- nehmen für IT-Sicherheit, erklärte seine Arbeit als „Penetration Tester“. „Im Prinzip bekomme ich nur den Namen des Unternehmens und kann dann machen was ich will, um in die Firma einzudringen.” Ob über Phishing-Mails, welche er gezielt an Mitarbeiter versendet, die er zuvor über ihr Xing-Profil ausgewählt hat, oder indem er mit Schadware ver- sehene USB-Sticks, die in Hacker- Shops verkauft werden, auf dem Fir- menparkplatz verteilt: „In der Regel führen meine Angriffe zum Erfolg, und ich habe das Unternehmen in zwei bis drei Monaten übernommen”, erklärte der Penetration-Tester selbst- bewusst. Dem Publikum demonstrierte er mittels eines Angreifer- und Opfer- Notebooks live wie sowohl diese Angriffe als auch das Hacking über Suchmaschinen, Angriffe auf Win- dows-Systeme und veraltete Systeme sowie das Lahmlegen von WLAN- Netzwerken funktioniert: erschre- ckend einfach und schnell. In Deutschland entstünden jedes Jahr durch Cyberverbrechen circa 20 Milliarden Euro Schaden, das sei Platz eins auf der Welt, sagte Ritter. Ein Minimum an Sicherheit schaffe das regelmäßige Update aller Soft- warekomponenten. Dies und aktuelle Virenprogramme sorgten zwar dafür, dass die meisten gestreuten Cyber- angriffe unschädlich gemacht werden, gezielte Cyberkriminalität verhinder- ten sie aber nicht, konstatierte er. Praxen und Klinken sind leicht angreifbar Besonders große Sicherheitslücken weisen dem IT-Experten zufolge vor allem Praxen und Krankenhäuser auf. Auf seine Frage an die im Saal anwe- senden Praxisinhaber bekannte die große Mehrheit per Handzeichen, dass sie ihr Praxisnetzwerk standardmäßig mit Benutzername und einem Pass- wort schützt. „Das ist zu wenig“, kon- Gesetzesinitiativen Positionen zum Implantateregister- gesetz für mehr Patientensicherheit und Produktqualität sowie zum Notfallsani- tätergesetz, das Arzt- und Sanitäterauf- gaben rechtlich klären soll. ( Seite 6 Rücken/Wirbelsäule Lesen Sie in unserem Special Fach- beiträge – unter anderem von Referen- ten des DWG-Kongresses – zu konser- vativen und operativen Therapien von Wirbelsäulenerkrankungen. ( Seite 9 DKOU-Nachberichte Wertefragen und viele gesundheitspoli- tische Themen haben den DKOU 2019 geprägt, auf dem auch wieder einige Preise für besondere Leistungen ver- geben wurden. ( Seite 2–4, 8, 20–24 11. 2019 ZEITUNG FÜR ORTHOPÄDIE UND UNFALLCHIRURGIE WWW.ORTHO-ONLINE.DE G 14 172 Biermann Verlag GmbH, Otto-Hahn-Str. 7, 50997 Köln, G 14 172 PVST, DP AG, Entgelt bezahlt leowolfert AdobeStock Biermann Medizin, hr Christoph Ritter bei der Demonstration eines Störsenders während der Live-Hack- Session. Karsten Glied benennt den Mensch als Sicherheitsrisiko. Biermann Medizin, hr Thomas Möller plädiert für die Digitalisierung der Medizin und einen umfassenden Datenschutz. Fortsetzung s. Seite 2 ( Techniklotsen GmbH

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Unaufhaltsam: Digitalisierung in der MedizinEine Chance für Ärzte oder ein Angriffsziel für Cyberkriminelle?

BERLIN [hr] Die Digitalisierung birgt Risiken und Chancen. Einerseits können Versorgung und Dokumentation verbes-sert werden, andererseits können Sicher-heitslücken in Kliniken und Praxen zu Missbrauch führen. Bei Letzterem spielt der Faktor Mensch eine nicht unwesent-liche Rolle. Neben der Digitalisierung war daher auch die Datensicherheit ein gro-ßes Thema auf dem DKOU 2019. Ein „Demo-Live-Hack“ auf dem Kongress hat eindrücklich gezeigt, warum.

Sensible Patientendaten erfordern einen besonderen Schutz. Erst im September jedoch kursierten

Patientendaten frei zugänglich im Netz, darunter 13.000 Datensätze aus Deutschland, die medizinische Bilder wie MRT- und Röntgenaufnahmen enthielten, zum Teil mit personen-bezogenen Angaben und Untersu-chungsterminen. Ein Recherchever-bund war auf diese und viele weitere Millionen Datensätze in 50 Ländern gestoßen. „Offensichtlich waren die Daten nicht oder nur unzureichend gesichert, sodass ein fremder Zugriff teilweise sogar fast in Echtzeit mög-

lich war. Es handelte sich dabei um derart schlecht eingerichtete, unge-schützte Geräte, dass sowohl aus dem internen Netzwerk als auch aus dem Internet problemlos auf sie zugegrif-fen werden konnte. Kein Hack war für diese Datenlecks verantwortlich“, kommentiert Karsten Glied, Geschäfts-führer der Techniklotsen GmbH, den Vorgang. Er fordert daher ein generel-les Umdenken in der Branche ein und plädiert dafür, den Faktor Mensch als Sicherheitsrisiko stärker in den Fokus zu nehmen.

Spahn treibt Digitalisierung der Medizin voran

Zwar sieht die digitale Realität in vie-len Kliniken und Praxen noch beschei-dener aus als es die aktuellen Diskus-sionen vermuten lassen, aber sie wird in der gesamten Medizinbranche nicht aufzuhalten sein. So werden etwa Online-Sprechstunden und medizini-sche Apps nach Ansicht von Bundes-gesundheitsminister Jens Spahn die Versorgung der Patienten in Deutsch-land umkrempeln. „Das wird ein posi-tiver Unterschied sein”, sagte Spahn Mitte Oktober vor Ärztevertretern in Berlin. Spahn würde Deutschland gerne zum Vorreiter der Digitalisie-rung in der Medizin machen. So warb er gegen Bedenken aus der Ärzte-schaft eindringlich dafür, mit den digitalen Anwendungen schnell zu beginnen, sodass Deutschland in dem Bereich nicht abgehängt werde. Bei der geplanten elektronischen Patien-tenakte (ePA) sei es etwa zentral, dass sie nun eingeführt werde, sagte Spahn. Perfekt werde sie nicht von Anfang an sein, aber mit ihrer Einführung müsse es „im Alltag spürbare Unterschiede” geben.

Vorzüge und Risiken der Digitalisierung

Die ePA muss ab dem 1. Januar 2021 von den Krankenkassen für die Versi-cherten zur freiwilligen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. An ihrer Einführung lassen sich die Vorzüge und Risiken der Digitalisierung gut veranschaulichen.

Sie sei ein wichtiges Arbeitsinstru-ment, um zielgerichteter und besser

diagnostizieren und behandeln zu können, betonte etwa BVOU-Kon-gresspräsident Dr. Thomas Möller anlässlich des DKOU in Berlin. „Wir können aus der elektronischen

Patienten akte entnehmen, unter wel-chen Begleiterkrankungen Patienten leiden und Befunde wie Röntgenbilder oder Laborberichte direkt einsehen. Dadurch ist es möglich, diese Befunde bei der Diagnose und Behandlung zu berücksichtigen. Auch belastende Doppel- und Mehrfachuntersuchun-gen lassen sich so vermeiden und The-rapien besser organisieren”, erklärte Möller die Vorzüge der ePA. Deshalb hätten die Ärzte in O & U auch ein hohes Interesse an ihr. „Sie wäre ein großer Schritt sowohl für die interdis-ziplinäre als auch für die stationäre und ambulante Vernetzung“, sagte Möller, der niedergelassener Ortho-päde und Unfallchirurg ist.

Internationale Fälle von Datenraub zeigen laut Möller aber immer wieder, wie angreifbar die Datensicherheit ist. Die ePA müsse daher sicher und nicht zu manipulieren sein. Er wies darauf hin, dass es derzeit in Deutschland keine Notfallstrategie gegen Daten-raub, Datenlecks und Datenmiss-brauch gibt.

Möller hob hervor, dass die Frage nach den Zugriffsrechten auf die ePA derzeit noch nicht geklärt ist und in einem eigenen Datenschutzgesetz geregelt werden soll. Statt den Zugriff zu reglementieren, könnte er sich möglicherweise auch kontrollieren lassen, so eine Überlegung Möllers. „Das würde bedeuten, dass jeder Auf-ruf von Befunden und Daten mit Datum, Name des Zugreifers und Anlass registriert und in der elektro-nische Patientenakte vermerkt wird. Fehlverhalten würde so auffallen“, so Möller

Demo-Live-Hack zeigt Sicherheitslücken auf

Wie einfach an Daten zu gelangen ist und IT-Systeme zu infiltrieren sind, konnte eindrucksvoll in einer DKOU-Session bei einem „Demo-Live-Hack” verfolgt werden. Christoph Ritter von der Firma Syss GmbH, einem Unter-nehmen für IT-Sicherheit, erklärte seine Arbeit als „Penetration Tester“. „Im Prinzip bekomme ich nur den Namen des Unternehmens und kann dann machen was ich will, um in die Firma einzudringen.” Ob über Phishing-Mails, welche er gezielt an Mitarbeiter versendet, die er zuvor über ihr Xing-Profil ausgewählt hat,

oder indem er mit Schadware ver-sehene USB-Sticks, die in Hacker-Shops verkauft werden, auf dem Fir-menparkplatz verteilt: „In der Regel führen meine Angriffe zum Erfolg, und ich habe das Unternehmen in zwei bis drei Monaten übernommen”, erklärte der Penetration-Tester selbst-bewusst. Dem Publikum demonstrierte er mittels eines Angreifer- und Opfer-Notebooks live wie sowohl diese Angriffe als auch das Hacking über Suchmaschinen, Angriffe auf Win-dows-Systeme und veraltete Systeme sowie das Lahmlegen von WLAN-Netzwerken funktioniert: erschre-ckend einfach und schnell.

In Deutschland entstünden jedes Jahr durch Cyberverbrechen circa 20 Milliarden Euro Schaden, das sei Platz eins auf der Welt, sagte Ritter. Ein Minimum an Sicherheit schaffe das regelmäßige Update aller Soft-warekomponenten. Dies und aktuelle Virenprogramme sorgten zwar dafür, dass die meisten gestreuten Cyber-angriffe unschädlich gemacht werden, gezielte Cyberkriminalität verhinder-ten sie aber nicht, konstatierte er.

Praxen und Klinken sind leicht angreifbar

Besonders große Sicherheitslücken weisen dem IT-Experten zufolge vor allem Praxen und Krankenhäuser auf. Auf seine Frage an die im Saal anwe-senden Praxisinhaber bekannte die große Mehrheit per Handzeichen, dass sie ihr Praxisnetzwerk standardmäßig mit Benutzername und einem Pass-wort schützt. „Das ist zu wenig“, kon-

GesetzesinitiativenPositionen zum Implantateregister-gesetz für mehr Patientensicherheit und Produktqualität sowie zum Notfallsani-tätergesetz, das Arzt- und Sanitäterauf-gaben rechtlich klären soll. ( Seite 6

Rücken/WirbelsäuleLesen Sie in unserem Special Fach-beiträge – unter anderem von Referen-ten des DWG-Kongresses – zu konser-vativen und operativen Therapien von Wirbelsäulenerkrankungen. ( Seite 9

DKOU-NachberichteWertefragen und viele gesundheitspoli-tische Themen haben den DKOU 2019 geprägt, auf dem auch wieder einige Preise für besondere Leistungen ver-geben wurden. ( Seite 2–4, 8, 20–24

11.2019 ZEITUNG FÜR ORTHOPÄDIE UND UNFALLCHIRURGIE WWW.ORTHO-ONLINE.DE

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Christoph Ritter bei der Demonstration eines Störsenders während der Live-Hack-Session.

Karsten Glied benennt den Mensch als Sicherheitsrisiko.

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Thomas Möller plädiert für die Digitalisierung der Medizin und einen umfassenden Datenschutz.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.20192 | FORUM

Personen- und Firmenindex

PERSONBach, Ingo S. 2

Braun, Steffen S. 24

Brysch, Eugen S. 5

Carling, Frederik S. 4

Dittmar, Sabine S. 4

Doepfer, Anna-Katharina Dr. S. 3

Flechtenmacher Johannes Dr. S. 8

Ganten, Detlev S. 2

Ghebreyesus, Tedros Adhanom S. 2

Glied, Karsten S. 1

Grim, Casper Dr. S. 22

Grützner, Paul Alfred Prof. S. 3, 4, 8

Hell, Wolfram Dr. S. 4

Kladny, Bernd Prof. S. 3

Klar, Ernst Prof. S. 6

Klein-Schmeink Maria S. 5

Kreienberg, Rolf Prof. S. 6

Kuni, Benita Prof. S. 23

Lammert, Norbert S. 20

Litsch, Martin S. 5

Macke, Christian S. 24

Meyer, Bernhard Prof. S. 16

Möll, Marc-Pierre Dr. S. 7

Möller, Thomas Dr. S. 1, 22

Münzerber, Matthias Dr. S. 3

Neumuth, Thomas Prof. S. 24

Pennig, Dietmar Prof. S. 6

Perka, Carsten Prof. S. 3, 6, 8, 22

Petersen, Ansgar S. 24

Richert, Julien Dr. S. 4

Ritter, Christoph S. 1

Rockstroh, Max S. 24

Scheibel, Markus Prof. S. 22

Schöbel, Tobias S. 20

Schreiber, Marcel S. 4

Schulte, Kay S. 4

Schulz-Asche, Kordula S. 6

Seil, Romain Prof. S. 22

Sibler, Bernd S. 7

Spahn, Jens S. 1, 5, 6

Spering, Christopher Dr. S. 4

Steinbrück, Arndt S. 24

Tischer, Thomas Prof. S. 22

Weiser, Lukas S. 24

FIRMABauerfeind S. 28

Doctolib S. 24

Grünenthal S. 25

medi GmbH & Co. KG S. 27

mediCAD Hectec GmbH S. 27

Novartis Pharma AG S. 26

Ormed GmbH S. 28

Ottbock S. 26

Trommsdorff S. 27

ulrich medical S. 26

Wittenstein intens GmbH S. 27

World Health SummitKlare Aufgabenstellungen für die internationale Politik

JournalistenpreisJournalistenpreis Orthopädie und Unfallchirurgie

statierte Ritter. „Sie benötigen drin-gend einen zweiten Sicherheitsfaktor“, riet er. Eine weiteres großes Sicher-heitsrisiko sei es, CDs oder USB-Sticks von Patienten auszulesen, auf denen diese zumeist ihre Röntgen- oder MRT-Aufnahmen mit in die Praxis bringen. Auch mal eben ein vermeint-liches Patientenhandy in der Praxis aufzuladen kann riskant sein: Cyber-kriminelle könnten Ladekabel mit integrierter Schadware einsetzen. Der Rat Ritters: „Um externe Datenträger auszulesen, nutzen Sie am besten einen Stand-alone-PC.“ Vorsicht geboten sei auch bei der Datensiche-rung: „Vermeiden Sie Online-Backups und nutzen Sie stattdessen externe Festplatten, die verschlüsselt sind“, empfahl der Experte.

Krankenhäuser sind laut Ritter mit-unter noch gefährdeter. Unter ande-rem wegen ihrer unübersichtlicheren Struktur, aber auch, weil sie für die oft zertifizierten gekauften Software-

produkte keine Updates durchführen könnten. „Wehren Sie sich gegen sol-che Praktiken, da ist jeder einzelne von Ihnen gefragt”, richtete er sich an das anwesende Klinikpersonal. Ganz simpel könnten Cyberkriminelle oft auch in das Kliniknetzwerk eindrin-gen, beispielsweise über eine veraltete Jubiläumswebseite, wie es einem sei-ner Kollegen einmal aufgefallen sei. Über Suchmaschinen könne gezielt nach – meist aus Unachtsamkeit – unverschlüsselt ins Netz gestellten Schaltplänen Ausschau gehalten wer-den, um so etwa die Klimasteuerung einer Klinik zu übernehmen, so ein weiteres Beispiel Ritters. Mit Störgerä-ten schließlich, „die sich mithilfe von Drohnen ganz einfach auf Klinik-dächern platzieren lassen“, lässt sich sogar das ganze WLAN-Netzwerk eines Krankenhauses torpedieren. Sol-che und ähnliche Erfahrungen mach-ten er und seine Kollegen bei ihrer Arbeit immer wieder.

IT-Sicherheitsexperten wie Ritter und Glied weisen darauf hin, dass Mitarbeitende in der Gesundheits-branche viel stärker in Datenschutz und IT-Kompetenzen geschult werden müssen. Spam-Mails, gefährliche Links und Dateien zu erkennen, aber auch sichere Passwörter einzusetzen, die Software auf dem neuesten Stand zu halten und regelmäßig sichere Updates herzustellen, sollten zu ihrem Tagesgeschäft gehören.

Um offenbar bestehende Sicher-heitslücken in Kliniken und Praxen, die eher die Regel als die Ausnahme. sind, zu reduzieren, müsste den Experten zufolge das Problem- und Verantwor-tungsbewusstsein der Mitarbeitenden als auch ihre IT-Kompetenz gestärkt werden. Die Datensicherheit bleibe ein großes Thema in der täglichen Arbeit und „sie muss gewährleistet sein”, lautete das Fazit Möllers. W

( Quellen: DKOU, dpa, Techniklotsen GmbH

BERLIN Insgesamt 2500 Teilnehmer aus rund 100 Ländern hatten am 11. World Health Summit am 27. und 29. Oktober in Berlin teilgenommen. Die Global Health Konferenz endete mit klaren Aufgabenstel-lungen für die internationale Politik. Drei Tage lang hatten über 300 Sprecher in 50 Sessions ihre Strategien für die weltweite Gesundheitsversorgung präsentiert und zu gemeinsamen Lösungen aufgerufen.

Gesundheit ist ein Menschen-recht, das durch politischen Willen verwirklicht werden

muss“, sagte der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus: „Wir erleben beispielloses politisches Enga-gement für die Gesundheit. Es gab noch nie eine bessere Gelegenheit für Zusammenarbeit, um die Gesundheit von Milliarden von Menschen zu ver-bessern.“

Der Präsident des World Health Summit, Detlev Ganten, mahnte zu mehr Geschlossenheit, denn die Zeit der nationalen Alleingänge sei end-gültig vorbei, man müsse gemeinsam handeln, über alle Grenzen hinweg:

„Gesundheitsaspekte müssen in alle Politikbereiche. Nur mit einer wirk-lichen Zusammenarbeit und einer gesundheitsfördernden Politik können wir unser Ziel ‚Gesundheit für alle‘ erreichen.“ Diese Forderungen sind auch Kern der Abschlusserklärung.

Die M8 Alliance des World Health Summit, ein Zusammenschluss aus 28 Akademischen Gesundheitszentren und Universitäten in 19 Ländern und den wissenschaftlichen Nationalakade-mien in 130 Ländern, fordert Politiker und Regierungen auf, wissenschaftli-che Erkenntnisse miteinzubeziehen. Zudem müssten alle Beteiligten über nationale Grenzen und Sektoren hin-weg zusammenarbeiten: Nur so kön-nen eine gesündere und sicherere Welt gewährleistet und die Ziele für nach-haltige Entwicklung erreicht werden.Die zentralen Punkte der M8 Decla-ration:• Der Klimawandel ist eines der bestim-

menden Themen unserer Zeit. Es ist zudem eine der größten Gesundheits-bedrohungen der Welt. Die Gesund-heit der Menschen ist direkt vom Klimawandel betroffen.

• Universal Health Coverage ist der Schlüssel, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Derzeit aber erhalten mindestens die Hälfte der Menschen auf der Welt nicht die Gesundheits-leistungen, die sie benötigen.

• Die digitale Transformation verändert die Gesundheitsversorgung grund-legend und rasant. Digitale Techno-logien werden in alle Bereiche von Gesundheit und Pflege Einzug halten. Aber es gibt große Ungleichheiten zwischen Ländern und Bevölkerungs-gruppen. W

Der World Health Summit wurde 2009 an der Charité gegründet und steht unter der Schirm-herrschaft von Bundeskanzlerin Angela Mer-kel, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, des Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, sowie des General-direktors der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus. Im kom-menden Jahr (April 2020) wird der World Health Summit sein erstes Regional Meeting in Afrika ausrichten. Gastgeber: Die Universität Makerere in Ugandas Hauptstadt Kampala.

( Quelle: World Health Summit

BERLIN Die DGOU und der BVOU zeich-neten den „Tagesspiegel“-Beitrag „Ein zufriedenes Leben“ von Ingo Bach mit dem mit 5000 Euro dotierten Deutschen Jour-nalistenpreis Orthopädie und Unfallchirur-gie (JOU) 2019 aus. Die Preisübergabe fand im Rahmen des DKOU in Berlin statt.

U m zufrieden zu sein, muss man nicht unbedingt laufen können. Dies zeigte der Chef-

redakteur der Tagesspiegel Gesund-heitsportale in seinem Portrait eines querschnittgelähmten Mannes, das am 10. Oktober 2018 veröffentlicht wurde.

Bach sei ein überzeugender journa-listischer Beitrag gelungen, der den Leser emotional mitnimmt und Nähe zu diesem Menschen schafft, der in seiner schwierigen Lebenssituation seine optimistische Grundeinstellung behält, so die Begründung der Jury zur Preisvergabe. „Gleichzeitig wird deutlich, dass es Orthopäden und Unfallchirurgen heute durch ‚Neu-verkabelung‘ von Muskeln und Seh-nen gelingt, bestimmte verloren gegangene Bewegungsabläufe ansatz-weise wiederzugeben. Dabei geht es nicht um Heilung, sondern um kleine Fortschritte, die viel Zeit, Geduld und Kraftanstrengung erfordern, gleich-zeitig aber neue Lebensqualität brin-gen“, heißt es weiter. Der faktenreiche Artikel beschreibe zudem anschaulich die langfristige Versorgung von quer-schnittgelähmten Patienten in einem Krankenhaus.

Seit 2010 würdigt der JOU jährlich herausragende Medienbeiträge zu orthopädisch-unfallchirurgischen Themen aus den Bereichen Print, Hör-funk, Fernsehen und Online. Der neunköpfigen Jury 2019 lagen insge-samt 33 Bewerbungen vor.

„Außergewöhnlichen und investigativer“ Journalismus

Eine Anerkennung sprach die Jury dem Beitrag „Implant Files – Das kran-ke System“ von einem Journalisten-team um Katrin Langhans von der Süddeutschen Zeitung zu. „Die auf-wendige internationale Recherche zu schadhaften Medizinprodukten legte Missstände offen. Das Thema berührte auch Orthopädie und Unfallchirurgie, da die Sicherheit von Implantaten für die endoprothetische Versorgung von höchster Bedeutung ist“, so die Jury. W

( Quelle: DKOU

Kommentar

Total digitalAuf der Digitalisierung ruhen derzeit viele Hoffnungen, damit in der Medizin alles besser wird. Ob Aus- und Weiterbildung oder die Ver-netzung von ambulanter und stationärer Versorgung wie zum Bei-spiel bei der Notfallversorgung, ob evidenzbasierte Forschung und Registerarbeit oder die tagtägliche Dokumentation: Die Digitalisie-rung soll‘s richten. Während es den einen gar nicht schnell genug gehen kann, beharren die anderen gerne auf Altbewährtem. Gesund-heitsminister Jens Spahn gehört zu den Treibern, ebenso wie viele Medizinfunktionäre. Sie sehen die Chancen, die neue Techniken bie-ten, damit Mediziner immer mehr Aufgaben in einer begrenzten Zeit möglichst mit einem Zugewinn an Freizeit zu bewältigen. Doch wie bei allem kosten auch neue Technologien und die Digitalisierung Geld: Woher nehmen? Ganz zu schweigen davon, dass in der Gesundheitsbranche vielen die Kompetenzen beim täglichen Umgang mit IT-Systemen fehlen, noch das Problembewusstsein für die Datensicherheit besonders ausgeprägt zu sein scheint (S. 1). Wunsch und Wirklichkeit klaffen hier zwischen den innovativen Möglichkei-ten und dem grauen Alltag oft noch weit auseinander. Die Politik ist gefordert, den Fortschritt in der Gesundheitsbranche zu fördern. Sie muss nicht nur für gute Rahmenbedingungen sorgen, um neue digi-tale Techniken in der Medizin nutzen zu können, sondern darf auch die Datensicherheit nicht aus dem Blick verlieren. Bei der Sicherheit ist zudem auch das medizinische Personal gefordert. Denn diese ist unverhandelbar und letztendlich die Grundlage für das Vertrauen in die Digitalisierung selbst und damit letztendlich auch für das Ver-trauensverhältnis von Arzt und Patient. W

Den Autor erreichen Sie unter: [email protected]

… Fortsetzung von Seite 1: „Unaufhaltsam: Digitalisierung in der Medizin“

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Preisträger Ingo Bach bei seiner Dankesrede im Rahmen der Kongresseröffnung.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 BERUFSPOLITIK | 3

Weiterbildung in O & U sichern und verbessernExperten wollen die Ausbildungsqualität junger Fachärzte stärken – Fokus auf Finanzierung, konservative Inhalte und neue Konzepte

BERLIN [hr] Auf dem DKOU setzten sich die Kongresspräsidenten und weite-re Experten für eine grundlegende Reform der Weiterbildung in O & U ein. Sie plä-dierten für eine flächen deckende Finan-zierung der Ausbildung und dafür, kon-servative Inhalte zu stärken und auf innovative Trainingsmethoden zu setzen.

D ass die Ausbildung eine sorg-fältige Anleitung benötigt, die Zeit und somit Geld kos-

tet, war Konsens unter allen Experten auf dem Podium der Eröffnungspres-sekonferenz in der Messe Berlin. Sie warnten davor, dass unter zunehmen-dem ökonomischen Druck in Zukunft wohl immer weniger Ärzte in Deutsch-land ausgebildet werden.

Ein Verlustgeschäft für Kliniken und Praxen

„Die sechsjährige Weiterbildung bis zum Facharzt wird zwar ständig modi-fiziert und von den Ärztekammern an die Bedürfnisse des Faches angepasst, aber es werden weitere Investitionen benötigt, die viele nicht sehen“, kons-tatierte Prof. Paul Alfred Grützner, Kongresspräsident DGOU und DGU. Gerade in der Chirurgie müsse der Nachwuchs von Spezialisten an die Hand genommen werden. „Das geht nur eins zu eins“, ergänzte Prof. Cars-ten Perka, DGOOC-Kongresspräsident. Mehr Zeit benötigten dabei nicht nur die OPs selbst, sondern auch die Vor- und Nachbereitung seien zeitintensiv.

Deutschland sei eines der wenigen Industrieländer, in denen Weiterbil-dung nicht bezahlt werde, kritisierte Perka und führte das DKOU-Gastland Kanada als Gegenbeispiel an: „Dort gibt es aufgrund eines Belohnungs- und Bezahlsystems sogar einen Wett-bewerb um gute Ausbildung. Werden die Anforderungen nicht erfüllt, gibt es kein Geld mehr.“ Ganz anders die Situation in Deutschland. Laut Perka erfordere hier die wirtschaftliche Effi-zienz eigentlich, die Weiterbildung zu minimieren. Dies gilt insbesondere auch für Niedergelassene, wie Dr. Tho-mas Möller, BVOU-Kongresspräsident und selbst niedergelassenener Ortho-päde und Unfallchirurg, betonte: „Wenn ich weiterbilde, verliere ich Geld, weil ich dann weniger Patienten behandeln kann.“ Was eine Ausbil-dung in der Praxis noch weiter erschwere sei, dass viele Niedergelas-sene allein eine Praxis betreiben und somit keine notwendige Supervision der Ausbildung stattfinden könne. Das Problem: Die Mehrzahl der Patienten in O & U brauche eine konservative Therapie, die aufgrund der geringen Vergütung in Deutschland aber „ohne-hin bedroht ist“. Auch die Auszubil-denden würden eine ambulante Wei-terbildung nur selten wahrnehmen. „Sie müssen sehen, dass sie ihren OP-Katalog voll bekommen“, so Möller. Grützner wies darauf hin, dass sich 90 Prozent der Nachwuchsmediziner in Kliniken weiterbildeten, was bei die-sen zu einem einseitigen operativ dominierten Blick auf O & U führe. Gleichzeitig gab er zu bedenken, dass zum Beispiel Kliniken der Maximal-versorgung meist auf sehr komplexe

Eingriffe fokussiert seien. „Doch gera-de die besonders schwierigen Eingriffe sind für die Weiterbildungsassistenten selten geeignet“, konstatierte er. Ein Teufelskreis, befand Möller, letztend-lich würden immer mehr Fachärzte operativ ausgebildet und könnten spä-ter ebenfalls nur operativ ausbilden. Dies dürfe nicht so weitergehen. „Ich fordere daher, dass mindestens ein

Jahr in der Niederlassung fester Bestandteil der Facharztausbildung wird“, so Möller.

Die drei Kongresspräsidenten waren sich einig, dass die Facharzt-weiterbildung in O&U entlohnt wer-den muss und in den Kliniken fester Bestandteil des DRG-Systems sein sollte. In der Praxis und im Reha-Bereich müsste sie extra vergütet wer-den, wie es in der Allgemeinmedizin bereits üblich sei.

Ärztemangel trotz steigender Ärztezahl

„Vor 20 bis 25 Jahren hatten wir eine Ärzteschwemme. Inzwischen haben wir mehr Ärzte denn je im System, etwa 50 Prozent mehr gegenüber den 80er-Jahren und beklagen einen Ärz-

temangel, wie kann das sein?“, fragte Prof. Bernd Kladny, Generalsekretär von DGOU und DGOOC. Arbeitszeit-verdichtung, Bürokratie und Kommer-zialisierung machte Kladny für diese Entwicklung mitverantwortlich. Ärz-tinnen und Ärzte hätten immer weni-ger Zeit. „Leider hat man es versäumt, den Arztberuf von nicht ärztlichen Tätigkeiten und der Bürokratie zu ent-

lasten“, bedauerte er. In Zeiten der Arztschwemme seien alle unliebsamen Arbeiten – bequem und billig – dem Arzt aufgebürdet worden. „Vier von fünf Assistenzärzten beziffern heute den Anteil von Bürokratie an ihrer Tätigkeit mit 50 Prozent“, berichtete er. Dies decke sich mit Erhebungen, wonach die tägliche Zeit für Doku-mentation in Kliniken bei drei bis vier Stunden liegt. Praxen müssten min-destens einen Tag in der Woche schlie-ßen, damit Verwaltung, Schriftverkehr und Dokumentation abgedeckt sind, so der Chefarzt der Abteilung Ortho-pädie und Unfallchirurgie an der Fachklinik Herzogenaurach.

Auf das herausfordende Zeit-management in der Ausbildung. wies auch Dr. Anna-Katharina Doepfer hin,

ehemalige stellvertretende Leiterin des Jungen Forums O & U. Die zuneh-mende Bürokratie verdränge die Pra-xis, was wiederum zu Überstunden, fehlenden Pausenzeiten und regel-mäßigen Unterbesetzungen führe. „Hinzu kommt, dass immer mehr Ärzte eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wünschen.“ Eine 50- bis 65-Stunden-Woche sei für

mehr als die Hälfte jedoch die Regel und womöglich auch ein Grund dafür, dass sich nur noch 5,5  Prozent der jungen Ärzte für das Fach interessier-ten. „Der unausgeschlafene Arzt ope-riert immer noch besser als der nicht ausgebil dete“, warf Perka ein und gab zu bedenken, dass man im Fach den internationalen Wettbewerb besser im Blick behalten müsse. In den USA oder China sei eine 100-Stunden-Woche in der Ausbildung nicht unüblich, man müsse aufpassen, dass die Work-Life-Balance nicht zum dominierenden Thema werde.

Doepfer entgegnete, dass sie das US-System aus eigener Erfahrung kenne, aber überzeugt sei, dass man in Deutschland genauso gut ausgebildet werde. „Einige Kliniken haben bereits

individuelle Lösungen für die Aus-zubildenden geschaffen, wie Job- sharing-Modelle oder Kitas in Klini-ken mit Öffnungszeiten, die an die Arbeitszeiten der jungen Ärzte und Eltern angepasst sind“, so Doepfer. Ihr sei auch klar, dass eine Weiterbildung mit fünf Stunden pro Tag nicht mög-lich ist.

Neue Wege in der Weiterbildung

Einen Ausweg aus dieser Misere bie-tet den Medizinern zufolge die Digi-talisierung, „die allerdings ebenfalls Geld kostet“, wie Kladny bemerkte. Doepfer sah zudem gute Chancen für weitere Verbesserungen in der Aus- und Weiterbildung durch den Einsatz neuer Techniken wie der Trainings-simulation. Dem stimmte auch Dr. Matthias Münzberg bei, der den Bil-dungsausschuss der DGU leitet und für den sich mit dem „Flugsimulator“ für Chirurgen neue Wege in der Wei-terbildung eröffnen, ähnlich wie in der Luftfahrt. „Regelmäßige Übungen am Simulator können die prak tischen Fertigkeiten stärken“, so Münzberg. Als „Revolution“ bezeichnete er die zukünftige chirurgische Weiterbil-dung am Fraktursimulator, bei dem am anatomischen Präparat Frakturen mit intaktem Weichteilmantel reali-tätsnah dargestellt und diverse Ver-sorgungsoptionen im Team diskutiert und ausprobiert werden können. Zu erleben war dies im Wetlab von Trau-ma Academy und DGU – ein Anzie-hungspunkt der diesjährigen Indus-trieausstellung auf dem DKOU. Neben den praktischen Fertigkeiten müssten für eine gute Patientenversorung aber auch prozedurale Fähigkeiten sowie interpersonelle Kompetenzen trainiert werden, betonte Münzberg. Letztere, die auch mit dem Über-begriff „Human Factors“ bezeichnet werden, ließen sich bereits in speziel-len Kursformaten aneignen, die zusammen mit der Luftfahrt ent-wickelt wurden. „Hier können etwa Kommunikation, Teamwork, Ent-scheidungsfindung oder Stressma-nagement geschult werden“, erklärte er. Solche Konzepte und Formate, die die Weiterbildung von Ärzten und letztendlich die Patientensicherheit verbesserten, seien unverzichtbar, konstatierte Münzberg. W

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Anna-Katharina Doepfer, Bernd Kladny, Thomas Möller, Adelheid Liebendörfer (Moderation), Carsten Perka, Paul Alfred Grützner und Matthias Münzberg saßen auf dem Podium der Eröffnungspressekonferenz des DKOU 2019 (v. l.).

Eine „Revolution für die Zukunft der Weiterbildung“: Der auf dem DKOU präsentierte Fraktursimulator im Wetlab von Trauma Academy und DGU.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.20194 | BERUFSPOLITIK

Neue Risiken durch E-Bike und Co.Orthopäden und Unfallchirurgen wollen stärker in die Verkehrsplanung eingebunden werden

Druck für mehr Patientenrechte bei Behandlungsfehlern Oppositionspolitiker, Kassen und Patientenschützer legen ein Bündel von Reformvorschlägen vor

BERLIN [ja] Immer mehr Verkehrsteil-nehmer sind auf den Straßen und Bürger-steigen unterwegs – Autos, Fußgänger, Radfahrer, E-Radfahrer, E-Scooter-Fahrer. Das Unfallrisiko steigt, gleichzeitig dro-hen neue Verletzungsmuster. Anlässlich des DKOU 2019 fordert die AG Prävention der DGOU die frühzeitige Einbindung in die Verkehrsplanung. So könne das Wis-sen über schwere Verletzungen zur Unfallprävention genutzt werden.

E in Boom, der kein Ende nimmt: Immer mehr Menschen nutzen E-Bikes, E-Scooter und Co. für

den täglichen Weg zur Arbeit und zur Überbrückung kürzerer Distanzen. Anfang Oktober meldete der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) 920.000 ver-kaufte E-Bikes im ersten Halbjahr. Für das Gesamtjahr rechnet der Verband mit einem Wachstum von rund zwölf Prozent. In den vergangenen zehn Jahren hat sich in deutschen Groß-städten der Anteil der Radfahrer ver-doppelt. Neu hinzu gekommen sind E-Scooter, E-Bikes und ähnliche. Die Infrastruktur in den Städten ist damit jedoch überfordert.

Unfallursachen: Komplexe Verkehrssituation, schlechte

Sicht und Fehlverhalten Wie Marcel Schreiber, Referent für Verkehrsinfrastruktur beim Gesamt-verband der Deutschen Versicherungs-wirtschaft im Rahmen der Sitzung „Prävention des schweren Verkehrs-unfalls – Was haben wir für die Zukunft gelernt?” ausführte, nimmt insbesondere die Zahl der Fahrrad-unfälle zu, während sie etwa für Fuß-gänger abnehme. Mittlerweile ist jeder dritte innerorts Verunglückte ein Rad-fahrer, die Dunkelziffer sei hoch, so Schreiber weiter. Dabei seien insbe-sondere Kreuzungen und Einmündun-gen unfallträchtig. Nur ein Drittel der Fahrradunfälle passiert laut Schreiber auf der Strecke. Die Gründe für Unfälle seien vielfältig: Neben Fehlverhalten der einzelnen Verkehrsteilnehmer gäbe es in vielen Fällen auch eine ungünstige Infrastruktur, wie etwa eine schlechte Sicht oder eine hohe Komplexität der Verkehrssituation – beispielsweise an großen Kreuzungen. Auf der Strecke sei die häufigste Unfallursache sich öffende Autotüren mit denen der Radfahrer dann kolli-

diere. Allerdings gab Schreiber zu bedenken: „Wir hinken weiter hinter-her, was die Infrastruktur angeht. Aber die Planung dauert. Der Bau dauert.” So vergingen etwa drei Jahre bis ein neuer Radweg entsteht. „Wir müssen einfach ein bisschen Geduld haben”, konstatierte Schreiber.

Helme bieten Schutz – Zu wenig Fahrradfahrer

tragen HelmStark zugenommen hat in den letzten Jahren insbesondere die Anzahl der E-Bikes, führte Dr. Wolfram Hell vom Rechtmedizinischen Insutut der Lud-wigs-Maximilians-Universität Mün-chen auf der DKOU-Sitzung aus. Besonders gefährdet seien ältere Fahr-rad- beziehungsweise Pedelec-Fahrer: Laut Hell steigt das Risiko einen töd-lichen Unfall zu erleiden ab dem 55. Lebensjahr. Typisch bei Fahrradfahren seien Kopfverletzungen im Stirn- und Schläfenbereich. Auch wenn nicht alle Helmmodelle den optimalen Schutz böten, betonte Hell: „Jeder Helm ist besser als gar kein Helm.“ Allerdings würden Helme von Fahrradfahren zu selten genutzt. In Deutschland tragen nur 15 Prozent der Fahrradfahrer frei-weillig einen Helm, während es in Schweden 45 und in Stockholm bis zu

90 Prozent sind. In Australien und Neuseeland herscht Helmpflicht, hier liegt die Quote der Fahrradfahrer mit Helm bei 95 Prozent.

Eine Alternative zum Helm stellte Fredrik Carling, CEO der schwedischen Firma Hövding vor – ein um den Hals getragenes Airbag für Fahrradfahrer, das sich im Falle eines Unfalls auf-bläst. Der Kopf-Airbag entfalte sich innerhalb von 0,1 Sekunden und schütze Kopf und Hals, erklärte Car-ling. Laut einer Studie der Stanford-University ist das Risiko einer Gehirn-erschütterung mit dem Kopf-Airbag bis zu achtfach niedriger als mit einem Helm.

Neue Dimension von Risiken – Verkehrsteilnehmer brauchen

neue KompetenzenNicht nur E-Bikes und Pedelec auch andere Formen der E-Mobilität sind in den letzten Jahren dazugekommen. Aber neue Fahrzeuge und Geräte wie E-Bikes, Pedelecs oder E-Scooter seien auch neu für die Fahrerinnen und Fahrer, sagte Kay Schulte, Referatslei-ter Unfallprävention beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat in seinem Vor-trag. „Die Fahrerinnen und Fahrer benötigen völlig neue Fahrkompeten-zen”, betonte er. Auch seien die Regeln

für die neuen Fahrgeräte vielen nicht klar und würden nicht akzeptiert. „Wie müssten den Verkehrraum völlig neu aufteilen – auch zu Lasten der Autofahrer”, konstatierte Schulte.

„E-Scooter und Co. einfach zu ver-bieten, kann nicht die Lösung sein“, betonte auch Prof. Paul Alfred Grütz-ner, Kongresspräsident des DKOU 2019 und Ärztlicher Direktor der BG-Klinik Ludwigshafen vor Medienver-tretern bereits im Vorfeld des Kon-gresses. „In einer modernen, digitalen und hochmobilen Gesellschaft müssen auch innovative Mobilitätskonzepte ihren Platz finden.“ Ein Konzept für die störungsfreie Interaktion neuer E-Mobile im öffentlichen Raum fehlt jedoch bislang. Dabei geht es hier nicht nur um die Menge an Verkehrs-teilnehmern, die um den Platz im öffentlichen Raum konkurrieren.

„Es ist eine neue Dimension an Risiken hinzugekommen, die wir mit unseren Sinnen nicht mehr wahrneh-men können“, gibt Dr. Christopher Spering, Oberarzt an der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie der Universitätsmedizin Göttingen und Leiter der Sektion Prävention der DGOU, zu Bedenken. „Wir können Verkehrsteilnehmer, die mit E-Antrieb unterwegs sind, schlechter einschät-

zen. Man hört sie nicht kommen, und sie sind schneller als gewohnt.“ Und beim autonomen Fahren gäbe es dann bald auch keinen Blickkontakt der Verkehrsteilnehmer mehr. „Eine große Gefahrenquelle, nicht nur für Seh behinderte“, so der Präventions-experte.

Allerdings arbeiten Automobilher-steller daran, Nachteile von E-Autos beziehungsweise autonom fahrenden Autos auszugleichen. So stellte auf der DKOU-Sitzung der AG Prävention Dr. Ing. Julien Richert ein autonomes Fahrzeug vor, das in der Lage ist, mit anderen Verkehrteilnehmern zu kom-munizieren.

Wissen über Unfallrisiken und Verletzungsmuster stärker

berücksichtigen„Mit unserem Wissen wollen wir hel-fen, Unfälle und deren zum Teil schweren Folgen zu vermeiden“, sagte Spering im Vorfeld des DKOU. Grütz-ner, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) ist, verwies in diesem Zusammenhang auf das TraumaRegister DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchir-urgie (DGU). Als eines der größten Schwerverletztenregister weltweit hat es seit seiner Gründung 1993 mit knapp 700 Kliniken im In- und Aus-land die Daten von über 270.000 Patien ten ausgewertet. Und im Weiß-buch Schwerverletztenversorgung der DGU, das in diesem Jahr in einer Neu-auflage erscheint, sind Empfehlungen zur Struktur, Organisation und Aus-stattung der Schwerverletztenversor-gung in Deutschland enthalten.

„Im Namen unserer Patienten for-dern wir, dass unser Wissen über Unfallrisiken und Verletzungsmuster aus unserer alltäglichen Versorgung von Unfallfolgen bereits bei der Ver-kehrsplanung und vor der Einführung von Neuerungen berücksichtigt wird“, sagte Spering. „Wir wollen mit Politik und Stadtplanung frühzeitig an einen Tisch, nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Dies ist auch im Sinn der ‚Vision Zero‘, also der mittelfristigen Senkung der Anzahl der Verkehrstoten auf Null, der wir uns verpflichtet sehen“, bekräftigte Grützner. W

( Quelle: DKOU

BERLIN [dpa/red] Dass Ärzten gravie-rende Fehler unterlaufen, ist relativ sel-ten. Aber die Folgen können schwer-wiegend sein. Damit Patienten dann leichter Ansprüche durchsetzen kön-nen, sollen Neuregelungen auf die Agenda.

Wenn bei einer Operation etwas schief läuft oder ein Implantat wieder heraus

muss, geht es zu allererst um die

Gesundheit der Patienten. Aber dann denken viele auch an Forderungen auf Schadenersatz – und lassen es am Ende nicht selten doch bleiben.

Wir dürfen uns mit dem Status quo nicht zufrieden geben. Sabine Dittmar

Die Politik diskutiert deswegen seit Längerem über mehr Patientenrechte bei Behandlungsfehlern, die ein sen-sibles Thema sind. Die SPD will Ver-besserungen für viele Betroffene im neuen Jahr in der Koalition in Angriff nehmen. So betonte die gesundheits-politische Sprecherin der SPD-Frak-tion, Sabine Dittmar, am 24. Oktober in Berlin: „Mit Blick auf die Situation der Opfer von Behandlungsfehlern dürfen wir uns mit dem Status quo

nicht zufrieden geben. Nach wie vor gibt es für Patientinnen und Patienten zu hohe Hürden, um im Schadensfall eigene Rechte durchsetzen zu können. Die im Jahr 2013 getroffenen Rege-lungen müssen dringend auf den Prüfstand. Wir werden die Gespräche dazu mit dem Koalitionspartner auf-nehmen, so, wie wir das im Koali-tionsvertrag vereinbart haben.“ Patientenschützer, Opposition und auch die Allgemeinen Ortskranken-

kassen (AOK) machen schon jetzt Druck dafür. Es gehe um keine Gänge-lung der Ärzte, so Dittmer weiter. Son-dern um einen wichtigen Rechts-rahmen, um den Versorgungsalltag gleichberechtigt zu gestalten. Zu den wichtigen Punkten zählten zum Bei-spiel Erleichterungen bei Beweislasten für Patienten, schnellere Gerichts-verfahren und bundesweit einheitliche

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Neue Formern der Fortbewegung wie E-Scooter und E-Bike erfordern von den Verkehrsteilnehmern auch neue Kompetenzen.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 BERUFSPOLITIK | 5

ten ist das nicht klar: So gehen laut einer YouGov-Umfrage 44 Prozent der Befragten davon aus, dass alle praktizierenden Ärzte in Deutschland einen ausreichen Versicherungsschutz haben, der im Falle eines Behand-lungsfehlers den vollen Schaden-ersatz für den Patienten sicherstellt. Etwa ein Viertel (27 %) der Befragten gab an, nicht über die Rechtslage Bescheid zu wissen. Nur knapp 30 Prozent wissen, dass eine Entschädi-gung bei Behandlungsfehlern wegen fehlendem Versicherungsschutz von Ärzten nicht in jedem Fall sicher-gestellt ist. SPD-Expertin Dittmar verweist auch auf bisher fehlende Kontrollen und will außerdem aus-

drückliche Vorgaben zur Höhe der Absicherung festschreiben.

Anderen Fachleuten gehen die Überlegungen nicht weit genug. „Es reicht nicht aus, die Beweislast für Patienten nur zu erleichtern“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Sie müsse umgekehrt werden. „Es kann nicht sein, dass allein der Patient den schwarzen Peter hat.“ Er müsse Fehler beweisen, doch die Fakten hätten die Kliniken und Ärzte.

Auch fehlten Vorschläge von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für einen Härtefallfonds, der bei tragischen Fehlern sofort greife und

Patienten entschädige. Auch Dittmar will einen Fonds einführen.

Mehr Transparenz im Umgang mit Fehlern

Die Opposition mahnte bessere Patien-tenrechte als überfällig an. Damit Opfer von Behandlungsfehlern eine faire Chance vor Gericht hätten, müsse die Beweislast endlich herabgesetzt werden, sagte die Grünen-Gesund-heitspolitikerin Maria Klein-Schmeink. Auch die Linke forderte die Einfüh-rung eines Härtefallfonds – im Koaliti-onsvertrag haben Union und SPD ver-einbart, Vorschläge dafür zu prüfen.

Wichtig sei generell auch mehr Transparenz im Umgang mit Fehlern,

sagte Dittmar und verwies auf Piloten als Vorbilder. Dabei ist die Zahl der festgestellten Behandlungsfehler nach Daten der Ärzteschaft im ver-gangenen Jahr erneut leicht zurück-gegangen. Bestätigt wurden 1499 Fälle mit Fehlern oder Mängeln bei der Risikoaufklärung als Ursache für Gesundheitsschäden – bei jährlich 20 Millionen Behandlungen in Kliniken und einer Milliarde Arztkontakten in Praxen.

Wie viele Patienten sich direkt an Gerichte, Anwälte oder Versicherun-gen wenden, ist unbekannt. Eine Sta-tistik gibt es nicht. W

( Quelle: AOK Bundesverband

Vorgaben zu Haftpflichtversicherun-gen für alle Gesundheitsberufe.

Auch die AOKen dringen dafür auf eine Reform des seit 2013 geltenden Patientenrechtegesetzes. Bisher schreck-ten viele Patienten davor zurück, Ansprüche wegen vermuteter Behand-lungsfehler geltend zu machen, sagte der Chef des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch. Als Gründe wurden in einer Umfrage für die Kasse etwa Befürchtungen vor hohen Verfahren-skosten und mangelnde Kenntnis der Patientenrechte genannt. Konkret geht es um einen ganzen Katalog an Verbes-serungen bei Behandlungsfehlern oder Problemen mit Medizinprodukten.

Informationen für Patienten

Ärzte müssten generell über mögliche Behandlungs- oder Pflegefehler infor-mieren, fordert die AOK. Also nicht nur, wie bisher vorgeschrieben, wenn Patienten danach fragen oder Gesund-heitsgefahren drohen. Verweigern Ärzte ohne Grund Einsicht in Behand-lungsunterlagen, müsse das rechtliche Konsequenzen haben.

Bei Selbstzahlerleistungen müss-ten Patienten nicht nur Kosten erklärt bekommen, sondern auch den genau-en Nutzen. Kassenexperten bezwei-feln diesen bei vielen individuellen Gesundheitsleistungen (Igel).

Es kann nicht sein, dass jeder Autofahrer im Falle eines Unfalls selbstver-ständlich über die Haft-pflicht abgesichert ist, während es für Ärzte keine verpflichtende Absiche-rung gibt. Martin Litsch

Beweise bei Verdacht auf Fehler

Für Patienten ist es oft schwer, finan-zielle Forderungen durchzusetzen. Denn dafür müssen sie den Fehler und einen Schaden beweisen sowie auch noch, dass beides zusammenhängt. Um dies zu erleichtern, solle das Beweismaß gesenkt werden, fordert die AOK. Statt einer „weit überwiegen-den Wahrscheinlichkeit“ dafür solle eine „überwiegende“ Wahrscheinlich-keit von mehr als 50 Prozent reichen. Werden fehlerhafte Medizinprodukte wie Prothesen gewechselt, sei festzule-gen, dass sie auch als Beweismittel weiter dem Patienten gehören und nicht wie sonst manchmal nach einer OP vernichtet werden.

Haftpflichtversicherungen für Ärzte

„Es kann nicht sein, dass jeder Auto-fahrer im Falle eines Unfalls selbst-verständlich über die Haftpflicht abgesichert ist, während es für Ärzte keine verpflichtende Absicherung gibt“, sagte AOK-Chef Litsch. Wegen Gesetzeslücken und unterschiedlichen Ländervorgaben sei das erstaun-licherweise zumindest nicht flächen-deckend gewährleistet. Vielen Patien-

( Fortsetzung von Seite 4

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.20196 | BERUFSPOLITIK

Implantateregistergesetz vor der EinführungPatientensicherheit und Produktqualität sollen erhöht werden

BERLIN [red/hr] Knieprothesen, Herz-schrittmacher und andere Implantate müssen in Deutschland künftig zentral registriert werden. Das Implantateregis-ter-Errichtungsgesetz (EIRD) wird Ende 2019 verabschiedet und soll Anfang 2020 in Kraft treten.

U m die Qualität der Produkte und damit die Sicherheit der Patienten zu erhöhen,

beschloss der Bundestag Ende Sep-tember eine verpflichtende staatliche Datenbank, die ab 2021 genutzt wer-den soll. Zunächst sollen neben Brustimplantaten Hüft- und Knie-endoprothesen erfasst werden.

Exzellente Initiative, die zweifellos dazu beiträgt, die Qualität der endopro-thetischen Versorgung in Deutschland weiter zu ver-bessern. Carsten Perka

Prof. Carsten Perka, DKOU-Kon-gresspräsident bezeichnete es gegen-über den „Orthopädischen Nachrichten“ und auf dem DKOU als großen Erfolg der DGOOC, die seit 2011 daran gearbei-tet habe, dass das Endoprothesenregis-ter Deutschland (EPRD) als Blaupause für die gesetzliche Vorgaben gedient

habe. Das Implantateregister bezeichne-te er „als exzellente Initiative, die zwei-fellos dazu beiträgt, die Qualität der endoprothetischen Versorgung in Deutschland weiter zu verbessern“.

An dem EPRD nehmen bislang 750 von etwa 1500 infrage kommenden Kliniken teil. Schon jetzt liefert es wertvolle Erkenntnisse, etwa über das frühzeitige Versagen neuer Prothesen-typen. „Von einer nun verpflichtenden Teilnahme aller Kliniken im Implan-tateregister versprechen wir uns noch mehr Aussagekraft und damit eine weitere Verbesserung der Patienten-sicherheit“, so Perka, Präsident des DGOOC sowie Generalsekretär der AE. Denn die Teilnahme am EPRD ist frei-willig. Ebenso wird der Dokumenta-tionsaufwand nicht vergütet. „Dies hielt viele Kliniken bisher von einer Teilnahme ab“, berichtete der Ärzt-liche Direktor des Centrums für Mus-kuloskeletale Chirurgie an der Charité. „Wir hoffen, dass unser medizinischer Sachverstand bei der Ausgestaltung des staatlichen Registers nun auch genutzt wird, damit die Datenbank Patienten umfassend vor vermeid-baren Risiken und Komplikationen in der Endoprothetik schützen kann.“

Laut Perka würde es Sinn machen, nun zusätzliche Informationen in das Implantateregister aufzunehmen. Denn Schlussfolgerungen könnten immer nur so gut sein wie der Daten-pool, aus denen sie gewonnen werden. „Das Thema der Risikoadjustierung für komplexe und risikobehaftete Fälle

gehört definitiv mit zu den wichtigs-ten Punkten“, nannte er ein Beispiel.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprach anlässlich des Bundes-tagsbeschlusses von einem wichtigen Schritt für mehr Sicherheit. „Patienten sollen sicher sein können, dass Implantate höchsten Qualitätsansprü-chen genügen und sie bei Problemen mit Implantaten schnell informiert werden.“ Der Opposition geht das Pro-jekt aber nicht weit genug. „In seiner jetzigen Form bleibt das Register weit hinter unseren Erwartungen und den Anforderungen aus der Praxis zurück“, beklagte etwa Kordula Schulz-Asche von den Grünen.

AMWF: Fachgesellschaften und Patienten organisationen

stärker einbindenMit dem EIRD ist die Voraussetzung gegeben, um Implantate systematisch und „lebenslang“ zu überprüfen, kons-tatierte die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) das Vor-haben. „Die wichtigen Ziele Patienten-sicherheit, Qualitätssicherung und Ver-sorgungsforschung werden so noch besser unterstützt“, sagt Prof. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. In dem Gesetz werde festgelegt, dass sowohl Hersteller implantierbarer Medi-zinprodukte als auch PatientInnnen zur Teilnahme am Register verpflichtet sind. Datenschutzaspekte widerspre-chen dem nicht, da es um ein „nationa-les Interesse“ geht, so die AMWF.

Das Implantateregister besteht aus einem Patienten-Kerndatensatz, der Angaben enthält, die bereits im Kran-kenhausinformationssystem eingege-ben werden. Die Ergänzungsdatensätze sind produktspezifisch und basieren auf Registern in der Verantwortung der Fachgesellschaften. „Viele medizi-nische Fachgesellschaften führen bereits seit Jahrzehnten Register für Medizinprodukte, auf die zurückge-griffen werden kann, wie beispiels-weise das EPRD, in dem mittlerweile mehr als eine Million Datensätze vor-liegen. Andere Fachgesellschaften müssen neue Register implementie-ren“, erklärte die AMWF. In beiden Fällen sei die finanzielle Belastung der Fachgesellschaften enorm und erfor-dere eine Gegenfinanzierung.

Das Profil der Daten-bank muss langfristig für die wissenschaftliche For-schung geeignet sein und den Fachgesellschaften für ihre Arbeit zur Verfügung stehen. Ernst Klar

Zudem forderte die Arbeitsgemei-schaft, dass den beteiligten Fach-gesellschaften und Patientenvertretern der Zugang zu den in das Implantate-

register übertragenen Daten ermög-licht werden müsse. „Die Praktikabili-tät der geplanten Struktur ist abhängig von der Etablierung optimaler Schnitt-stellen zwischen den beschriebenen Datenbanken und dem Implantate-register, damit Mehrfacheingaben unbedingt verhindert werden“, betonte Prof. Ernst Klar, Vorsitzender der Ad-hoc-Kommission „Bewertung von Medizinprodukten“ und Seniorpro-fessor für Allgemein-, Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie, Universitätsmedizin Rostock. Unver-zichtbar sei es, dass die Daten aus kli-nischen Informationssystemen (KIS) und Praxisverwaltungssystemen sowie idealerweise auch aus OP-Dokumen-tationssystemen auf elektronischem Weg in die neu zu erstellenden Softwaresysteme/-module des Bun-desimplantateregisters automatisch übertragen werden können. Nur so könne der Aufwand für die melde-pflichtigen Gesundheitseinrichtungen gering gehalten werden.

Aus Sicht der AMWF ist jetzt „ein Fahrplan zur Einführung des EIRD erforderlich“, damit die Fachgesell-schaften die Erhebung der implan-tatspezifischen Datensätze vorbereiten können. „Das Profil der Datenbank muss zudem langfristig für die wis-senschaftliche Forschung geeignet sein und auch weiterhin den Fach-gesellschaften für ihre Arbeit zur Ver-fügung stehen“, betonte Klar. W

( Quellen: AWMF, DKOU 2019, dpa

„Invasive Maßnahmen sollen nur Ärzte durchführen“Orthopäden, Unfallchirurgen und Chirurgen kritisieren geplante Änderung des Notfallsanitätergesetzes

BERLIN [red/hr] „Ärztlich tätig sein kann und darf nur der Arzt“, lautet das Fazit einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfall-chirurgie (DGOU) zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Notfallsanitä-tergesetzes in Abstimmung mit der Deut-schen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), dem Berufsverband Deutscher Chirurgen (BDC) und dem Berufsverband für Ortho-pädie und Unfallchirurgie (BVOU). Die aktuelle Einschätzung der Fachgesell-schaften und -verbände wurde Bundes-gesundheitsminister Jens Spahn am 24. September 2019 übermittelt.

W ir sprechen uns gegen die eigenständige Durchfüh-rung von invasiven Maß-

nahmen durch Notfallsanitäter aus. Eine Substitution ärztlicher Leistung gerade im Kontext einer Notfallsitua-tion wird von uns zum Wohle und zum Schutz der erkrankten und ver-letzten Patienten abgelehnt. Die Bedeutung gut ausgebildeter Notfall-sanitäter wird ausdrücklich bejaht. Eine Substitution ärztlicher Leistung hingegen führt im Schadensfall zur Frage der Übernahme juristischer Konsequenzen. Im Rahmen der Daseinsvorsorge kann vom Staat erwartet werden, eine ausreichende

Struktur in der Notfallver-sorgung mit Notärzten, Not-dienst tuenden Ärzten und Notaufnahmen der Kran-kenhäuser zu schaffen und zu unterhalten. Dies muss unabhängig von wirtschaft-lichen Erwägungen bereit-gestellt werden“, sagte DGU-Generalsekretär und stellvertretender DGOU-Generalsekretär Prof. Dietmar Pennig im Vorfeld der Bundesrat-Plenarsit-zung am 11. Oktober 2019, bei der unter anderem der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Notfallsanitätergesetzes auf der Tagesordnung (Bundesrat, Drucksache 428/19) stand.

In ihrer schriftlichen Stellungnahme gegenüber dem Gesundheitsministeri-um begrüßen DGOU, DGCH, BVOU und BDC eine klare Regelung des Tätigkeitsspektrums der Notfallsanitä-ter. Gerade im Notfalleinsatz entstün-den besondere Herausforderungen, die für die Tätigkeit des hilfeleistenden Notfallsanitäters im Rahmen einer gesetzlichen Regelung festgeschrieben werden müssen. Jedoch sehen sie die deliktische Haftung für eine Maßnah-me an Patienten, die durch einen

Nicht-Arzt vorgenommen wird, als ausgesprochen problematisch.

Anlass und Verfahren

Der Gesetzesantrag kommt aus den Ländern Bayern und Rheinland-Pfalz, die über den Bundesrat eine Initiative gestartet haben, um rechtliche Klar-heit für Notfallsanitäter zu schaffen. Demnach soll das Notfallsanitäter-gesetz um eine Regelung erweitert werden, die ausdrücklich sagt, dass Notfallsanitäter zur Ausübung heil-kundlicher Tätigkeiten berechtigt sind. Diese Tätigkeiten werden nach § 4

Absatz 2 Nummer 1 Buch-stabe c) wie folgt beschrie-ben:

„Durchführen medizini-scher Maßnahmen der Erst-versorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfall-einsatz und dabei Anwen-den von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnah-men, um einer Verschlech-terung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Not-ärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer wei-

teren ärztlichen Versorgung vorzu-beugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Fol-geschäden zu erwarten sind, (…).“

Wegen des sogenannten Heilkun-devorbehalts dürfen bislang nur Ärzte solche lebensrettenden Maßnahmen vornehmen.

Der Änderungsantrag wurde im Bundesrat am 20. September 2019 erstmals beraten und kam am 11. Oktober 2019 erneut auf die Tagesord-nung. Der Bundesrat sah sich jedoch nicht in der Lage, die Rechtsunsicher-heit auszuräumen. Die Zuständigkeit der Länder umfasse nicht die Kompe-

tenz, Ausnahmen vom Heilkundevor-behalt zu regeln und Notfallsanitätern eine Erlaubnis zur eigenverantwort-lichen Ausübung der Heilkunde zu erteilen. Der Gesetzentwurf wurde zur weiteren Klärung über die Bundes-regierung dem Bundestag zugeleitet.

Das Berufsbild Notfallsanitäter seit 2013

Das neue Berufsbild des Notfallsanitä-ters wurde 2013 mit dem Inkrafttreten des Notfallsanitätergesetzes auf den Weg gebracht. Demnach soll die Aus-bildung zum Notfallsanitäter dazu befähigen, eigenverantwortlich medi-zinische Maßnahmen der Erstversor-gung bei Patienten im Notfalleinsatz durchzuführen und dabei auch invasi-ve Maßnahmen anzuwenden. Dage-gen sprach sich seinerzeit die DGU aus. Die Fachgesellschaft befürchtete dahinter „eine Mogelpackung, um Geldmangel im Rettungsdienst und den Mangel an verfügbaren Notärzten für die jeweiligen Notarztstandorte zu kompensieren“ und plädierte „für eine qualifizierte Teamarbeit zwischen Notarzt und Notfallsanitäter, um Schwerverletzte bestmöglich zu ver-sorgen“. W

( Quelle: DGOU, Bundesrat

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Fachverbände und -gesellschaften plädieren für eine klare Regelung des Tätigkeitsspektrums eines Notfallsanitäters.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 KLINIKEN UND PRAXEN | 7

Hygienekosten in Kliniken und PraxenDer BVMed fordert eine komplette Vergütung der Hygienekosten in allen medizinischen Einrichtungen

Angeborene Fehlbildungen an der HandWas sind die Ursachen?

Neue Medizinfakultät in AugsburgMedizinerausbildung ist im Wintersemester mit einem Modellstudiengang gestartet

BERLIN Der BVMed-Fachbereich „Noso-komiale Infektionen“ setzt sich dafür ein, die im Rahmen von Behandlungen anfal-lenden Hygienekosten zur Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes in Arztpraxen und Kliniken vollumfänglich durch die Gesetzli-che Krankenversicherung zu erstatten.

Diese Kosten sind bisher nicht in vollem Umfang Bestandteil der ärztlichen Vergütung nach

dem Einheitlichen Bewertungsmaß-stab (EBM)“, betont der Bundesver-band Medizintechnologie (BVMed). Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll weist in diesem Zusammenhang auf das Recht von Patienten und Mitarbei-tern hin, in allen medizinischen Ein-richtungen durch konsequente und adäquate Hygienemaßnahmen vor Infektionen geschützt zu werden. Für Ärzte und Kliniken seien diese Maß-nahmen „ein elementarer Bestandteil“, der bislang jedoch nicht umfassend vergütet werde.

Hintergrund, so der BVMed, sei eine aktuelle Studie* des Zentralinsti-tuts für die kassenärztliche Versor-

gung (Zi), nach der die Hygienekos-ten für Produkte, Aufbereitung, Entsorgung, Personal, Fortbildungen und Qualitätssicherung in Arztpraxen seit der Umsetzung der neuen Lan-deshygieneverordnungen ab dem Jahr 2012 auf hohem Niveau liegen. Demnach mussten Praxen im Jahr 2018 durchschnittlich 24.287 Euro

für Hygienekosten aufwenden. In rein konservativen Praxen lagen die durchschnittlichen jährlichen Hygie-nekosten bei 8140 Euro, in invasiv tätigen Praxen bei 25.242 Euro, berichtet das Zi. Praxen, die ambu-lant operieren, geben für Hygiene 53.281 Euro pro Jahr aus, Dialysepra-xen sogar 116.823 Euro.

Der BVMed-Fachbereich „Nosoko-miale Infektionen“ spricht sich in die-sem Zusammenhang dafür aus, die tatsächlich entstehenden Kosten für Hygieneprodukte und -prozesse sowie das dafür benötigte Personal entspre-chend und vollumfänglich zu erstat-ten. Dies sei umso wichtiger, da bei Nichtbeachtung von Hygienevor-schriften immense Schäden für die Patienten und Mitarbeiter sowie Fol-gekosten für das Gesundheitssystem entstünden. Der EBM sei seit dem Jahr 2008 in puncto Hygienekosten nicht weiterentwickelt worden, obwohl die Vertragsärzte seit dem Jahr 2012 mit den neuen Landeshygieneverordnun-gen höhere Kosten und Zeitaufwände stemmen würden. Die Erstattung durch den EBM müsse nun zügig nachgeholt werden, so BVMed-Geschäftsführer Möll. Darüber hinaus müssten diese Kosten auch im statio-nären Bereich separat ausgewiesen und vollumfänglich erstattet werden, da sie in den DRGs untergingen. „Jeder Patient und jeder Mitarbeiter in medizinischen Einrichtungen in

Deutschland hat ein Recht, vor gefähr-lichen und im Zweifel lebensbedroh-lichen Infektionen geschützt zu wer-den“, so Möll weiter. Gerade deshalb sei eine transparente und umfassende Erstattung der anfallenden Hygiene-kosten in Praxen und Kliniken unum-gänglich. Damit einhergehen müsse eine konsequente Umsetzung von Hygienemaßnahmen in allen medizi-nischen Einrichtungen. W

* Zi-Erhebung zu Hygienekosten im Jahr 2018 in vertragsärztlichen Praxen in Deutschland. In die Auswertungen sind 1855 Praxen eingegangen. Hiervon haben 433 Praxen ambulante Operationen durchgeführt, 1001 Praxen sind rein konservativ und 386 Praxen invasiv tätig. 35 Praxen führen Dialy-sen durch. Neben den monetären Aufwen-dungen wurden auch Informationen zum Zeitaufwand für Hygienetätigkeiten der Mit-arbeitenden erhoben.

( Quellen: BVMed – Bundesverband Medizintechnologie Zentralinstitut für die kassenärztliche Versor-gung in Deutschland (Zi)

BERLIN Innerhalb von wenigen Mona-ten kamen in Gelsenkirchen drei Neuge-borene mit rudimentär ausgebildeter Hand zur Welt. Die Deutsche Gesell-schaft für Handchirurgie (DGH) erläuter-te aus diesem Anlass vorliegende Statis-tiken und mögliche Auslöser von Fehlbildungen an der Hand.

Handfehlbildungen treten, soweit bekannt, spontan auf oder werden vererbt. Bei

blutsverwandten Eltern treten sie häufiger auf als bei nicht verwandten Eltern. Selten werden Fehlbildungen durch Medikamente oder chemische Stoffe verursacht. Möglicherweise ist deren Einfluss bisher noch nicht

bekannt”, erklärte die DGH Mitte Oktober. Angeborene Fehlbildungen der Hand kommen schätzungsweise von 1:1000 bis zu 1:2000 Lebendge-borenen vor. Bei knapp 780.000 Neu-geborenen pro Jahr in Deutschland kommen demnach etwa 400 bis 800 Säuglinge mit unterschiedlichsten Handfehlbildungen zur Welt, so die DGH weiter.

Die Fachgesellschaft wies darauf hin, dass kein bundesweites Register zur Erfassung von Fehlbildungen in Deutschland existiert. Nur wenn Ver-gleichszahlen aus der Vergangenheit vorlägen und diese mit den aktuellen Fällen in den verschiedenen Regio-nen verglichen würden, könnten

Auffälligkeiten erkannt und gezielt nach der Ursache geforscht werden.

„Aktuell wird im ICD für die Diag-nose von Handfehlbildungen ein unspezifischer Code verwendet. So wird das Fehlen eines Fingers, das Fehlen mehrerer Finger wie auch das Fehlen einer ganzen Hand unter einer Ziffer codiert.“ Damit sei der ICD lei-der nicht für eine Analyse von Hand-fehlbildungen geeignet und helfe auch nicht beim korrekten Erfassen der jeweiligen Fehlbildungsart, bedauert die DGH.

Für eine gezielte Ursachenfor-schung zu angeborenen Fehlbildun-gen bedürfte es einer verpflichtenden Meldung bundesweit und eines zent-

ralen, bundesweiten Fehlbildungs-registers. Zudem müssten Handfehl-bildungen nicht nur im ICD, sondern zusätzlich nach der international anerkannten Oberg-Manske-Tonkin-

Klassifikation codiert werden. Fehl-bildungen im Alter von ein bis zwei Jahren müssten durch einen erfahre-nen Handchirurgen und Humangene-tiker diagnostiziert werden, gefolgt von einer epidemiologischen Analyse der Häufigkeiten und eine Unter-suchung auf mögliche Auslöser, beto-nen die Experten.

Laut DGH sollten sich betroffene Familien bei Handfehlbildungen an einen Handchirurgen wenden, da er eine erste Einschätzung vornehmen und die kleinen Patienten dann an spezialisierte Kollegen oder Kliniken weiterleiten könne. W

( Quelle: DGH e.V.

AUGSBURG [dpa] Am 14 Oktober haben in Augsburg erstmals Studenten mit einer Medizinerausbildung begon-nen. Die Art, wie sie unterrichtet werden, ist für Bayern komplett neu.

Nach zehnjährigen Vorbereitun-gen ist Bayerns jüngste Medizinfakultät mit einem

landesweit einmaligen Modellstudien-gang in den Lehrbetrieb gestartet. Die Augsburger Fakultät biete einen Stu-diengang an, der vorklinische und kli-nische Ausbildung von Anfang an integ-riere, erklärte Wissenschaftsmi-

nister Bernd Sibler (CSU) aus Anlass des Lehrbeginns in Augsburg.

Der Freistaat investiert in den Auf-bau der sechsten medizinischen Fakultät Bayerns nach Angaben des Ministeriums insgesamt rund eine Milliarde Euro. Bislang gab es in Bay-ern die medizinische Fakultäten in Erlangen, Würzburg und Regensburg sowie an den beiden Münchner Uni-versitäten.

Während klassischerweise bei Medizinstudiengängen zunächst die theoretische Ausbildung kommt, ehe die Studenten auch in den Kranken-häusern lernen, ist diese Trennung in Augsburg aufgehoben.

Dies ermögliche eine noch größere Praxisnähe vom ersten Semester an, erklärte Sibler. Die Studierenden kämen so früh in unmittelbaren Kontakt mit Patienten. „Die neue Medizinische Fakultät in Augsburg ist ein Meilen-

stein in der Geschichte der Universi-tät Augsburg und der bayerischen Ärzteausbildung“, sagte er. In den medizinischen Fächern werde

Nachwuchs gebraucht.

Für die Medizinerausbildung wurde am künftigen Medizincampus der schwäbischen Großstadt zunächst ein Interimsgebäude eröffnet, das in einer ehemaligen Kinderklinik eingerichtet wurde. Dort haben mit dem Winterse-mester 2019/20 zunächst 84 Studie-rende ihre Ausbildung begonnen. Nach Angaben der Universität hatten sich mehr als 8000 Interessierte um die Studienplätze beworben.

In den kommenden Jahren soll in der Nähe des Uniklinikums ein kom-plettes Forschungszentrum für rund Hundert Medizinprofessoren, Hun-derte Mitarbeiter und 1500 Studenten entstehen. Das Bauareal ist insgesamt

13,5 Hektar groß, die künftigen Forschungs- und Lehrgebäude sollen etwa 37.000 Quadratmeter haben.

Stadt und Landkreis Augsburg hat-ten Jahrzehnte lang versucht, den Freistaat vor einer neuen Medizin-fakultät in Schwaben zu überzeugen.

Erst der damalige bayerische Minis-terpräsident Horst Seehofer (CSU) sicherte im Jahr 2009 zu, das Projekt anzugehen. Am 1. Januar 2019 wurde dann das zuvor kommunale Klinikum in Augsburg in eine Universitätsklinik umgewandelt. Das Großkrankenhaus mit mehr als 20 einzelnen Kliniken, 700 Ärzten und 2000 Pflegemitarbeitern ist nun die Basis der Medizinfakultät. W

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Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi): Hygienekosten 2018 nach Praxistyp im ambulanten Bereich (Quelle: Zi-Umfrage zu Hygienesachkosten in vertragsärztlichen Praxen im Jahr 2018).

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Babies haben nur selten Handfehlbildungen, Häufungen in einer Klinik fallen daher auf.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.20198 | KLINIKEN UND PRAXEN

Notfallbehandlung in NotErste Steuerungselemente zeigen nach Auffassung von Experten bisher kaum Wirkung, sie fordern weitere Anpassungen

BERLIN [hr] Überlastete Notfallambu-lanzen und Ärzte, Personalprobleme und höhere Behandlungskosten – die Notfall-behandlung befindet sich trotz erster Steuerungselemente weiterhin in einer Notlage, so das Fazit von Experten auf dem DKOU in Berlin.

Die Reform der Notfallversor-gung bleibt selbst ein akuter Notfall. „Wer kennt schon die

zentrale Rufnummer 116 117 und das Prinzip, das dahinter steht?“, fragte Prof. Paul Alfred Grützner, Kongress-präsident DGOU, DGU vor Medienver-tretern in Berlin. Bisher könne er noch nicht beobachten, dass sich die Situa-tion mit der Einführung der Nummer in den Notfallambulanzen verbessert hät-ten, so der Direktor der BG-Kliniken Ludwigshafen. „Wir müssen jedoch das Notfallaufkommen in den Kliniken sor-tieren und steuern und somit die Res-sourcen schonen”, betonte er. Neben der besseren Bekanntmachung der Notfallnummer müsse den Menschen klargemacht werden, dass qualifiziertes Personal beim Erstkontakt die Triage übernimmt. „Nicht jeder Facharzt kann auf einen einzigen Patienten blicken“, sagte Grützner. Strafgebühren für das unrechtmäßige Aufsuchen einer Not-fallambulanz sieht er kritisch, „da diese auch wirkliche Notfälle davon abhalten könnten, eine Ambulanz aufzusuchen, um Kosten zu sparen“.

Das sah DGOOC-Präsident Prof. Carsten Perka anders. Er hält eine Strafgebühr für ein sinnvolles Instru-ment, um Patienten zu steuern. Denn diese würden in der Regel weiterhin mit allen gesundheitlichen Problemen immer direkt in das Krankenhaus mit-ten in der Stadt gehen. Er berichtete von seinen Erfahrungen aus der Cha-rité in Berlin Mitte. „In die Rettungs-stellen kommen Menschen, die oft kein Deutsch können, einen Dolmet-

scher benötigen oder Sachen genom-men haben, die keiner kennt und auch nicht zu behandeln weiß. Und schließ-lich wird eine fiktive Adresse für das Zusenden der Rechnung angegeben. Wir betreiben hier einen Riesenauf-wand”, berichtete er. Und dieser wird nicht nur nicht bezahlt, sondern macht auch offenbar das Personal mürbe. „Wir verlieren deshalb in den Kliniken derzeit die besten Köpfe wegen Überlastung und unattraktiven

Arbeitszeiten – ein Verlust für die Ver-sorgung und vor allem auch die For-schung”, betonte er. Er forderte eine andere Balance von Nacht- und Wochenenddiensten und eine bessere Ausstattung solcher Anlaufstellen. „Am Ende muss es ums Geld gehen, die neue Nummer allein wird es nicht richten”, so Perka. Auch deshalb halte er eine Notfallabgabe für sinnvoll.

Der BVOU hat sich diesbezüglich bereits positioniert. Der Berufsver-

band hält eine Selbstbeteiligung von 50 Euro bei unrechtmäßigem Aufsu-chen der Notfallleitstellen – aus-genommen sind Herzinfarkte, Schlag-anfälle und schwere Verletzungen – für sinnvoll. Dr. Johannes Flechtenma-cher, BVOU-Präsident, erläuterte die weiteren Positionen des Verbandes: „Der hausärztliche Notdienst ist in seiner bisherigen Form zu erhalten. Ein Rund-um-die-Uhr fachärztlicher Notdienst ist Sache der Kliniken. Nie-dergelassene Orthopäden und Unfall-chirurgen sollten muskuloskelettale Verletzungen und Beschwerden behandeln, die ambulant versorgt werden können und müssen in der Notfallversorgung angemessen hono-riert werden.

Das TSVG, das Ärzten fünf zusätz-liche Stunden vergütet, damit allen Patienten täglich eine offene Sprech-stunde angeboten wird, hält Flechten-macher, der niedergelassener Orthopä-de und Unfallchirurg in Karlsruhe ist, für einen guten Ansatz. „So werden Patienten die Tore in die ambulanten Praxen etwas weiter geöffnet, damit sie nicht meinen, direkt eine Klinik aufsuchen zu müssen”, befand er. Es gebe – ausgenommen von ländlichen Regionen – genügend niedergelassene Fachärzte in Deutschland, die Patien-ten bereits am nächsten Tag einen Ter-min anbieten können sollten, so seine Überzeugung. W

Krankenhausärzte unter massivem DruckMLP Gesundheitsreport 2019: Zeitmangel und schwierige Personalsituation sind Hauptursachen

WIESLOCH [red/ms] In den Kranken-häusern spitzt sich die Lage laut den Ergebnissen des MLP Gesundheits-reports 2019 weiter zu: Hauptproblem sei hier Zeitmangel aufgrund der schwieri-gen Personalsituation und vieler „Nicht-Notfälle” in der Notaufnahme.

D ie repräsentative Bevölke-rungs- und Ärztebefragung im Auftrag des Finanzdienst-

leisters MLP hat das Institut für Demos kopie Allensbach erstellt. Befragt wurden mehr als 1200 Bun-desbürger und über 500 Ärzte.

Insgesamt beurteilen die meisten Bürger und Ärzte die Gesundheitsver-sorgung in Deutschland noch als gut oder sehr gut (77 % bzw. 89 %). 20 Pro-zent der Bürger geben an, in den ver-gangenen Jahren nochmals bessere Erfahrungen gemacht zu haben. Mit 62 Prozent sind in der Bevölkerung aber auch weiter gestiegene Klagen über lange Wartezeiten zu vernehmen (2012: 52 %, 2016: 55 %). Überproportional betroffen sind Gesetzlich Krankenversi-cherte (65 %). Außerdem hatte weiter-hin rund ein Drittel der Bürger (34 %) das Gefühl, dass ihm medizinische Leis-tungen aus Kostengründen vorenthal-ten wurden (2012: 31 %, 2016: 40 %). Fast jeder zweite Arzt (45 %) bestätigt, dass dies bei ihm bereits vorgekommen sei (2016: 44 %) . Noch verbreiteter sind Verschiebungen von Behandlungen aus

Kostengründen: 64 Prozent der Ärzte sahen sich dazu bereits gezwungen – vor drei Jahren geschah dies noch sel-tener (2016: 57 %). Entsprechend fallen die Sorgen der Ärzte um ihre Thera-piefreiheit mit 62 Prozent weiterhin hoch aus (2016: 61 %), insbesondere bei Hausärzten (66 %).

Dass Patienten Terminvereinbarun-gen vielfach nicht einhalten, berichtet eine deutliche Mehrheit von 63 Prozent der Ärzte – 35 Prozent haben dies sogar häufig erlebt. Die Bevölkerung hingegen sieht sich wesentlich termin-treuer: Lediglich 19 Prozent räumen ein, bereits einen Arzttermin ohne vor-herige Absage verpasst zu haben. Eine größere Termintreue könnte vor allem bei Fachärzten für Entlastung sorgen: Jedem Fünften fällt es schwer, Termine innerhalb von vier Wochen anzubieten.

Personalengpässe In den Krankenhäusern zeichnet sich eine Reihe von Verschlechterungen ab. Mit 61 Prozent klagt eine deutlich gestiegene Mehrheit der Krankenhaus-ärzte über fehlende Zeit für ihre Patien-ten (2016: 50 %). Besonders betroffen sehen sich Assistenzärzte (67 %). Rund die Hälfte der befragten Krankenhaus-ärzte gibt an, auch mehr Patienten ver-sorgen zu müssen. Der Personal engpass im Krankenhaus wird neben dem Ärz-temangel auch an anderer Stelle befeu-ert: Die Besetzung offener Stellen mit

Krankenschwestern oder -pflegern wird immer schwieriger – das beschei-nigen mit 84 Prozent nochmals deut-lich mehr Krankenhausärzte als vor drei Jahren (2016: 72 %).

QualitätsverlustDie strukturellen Probleme zeichnen sich zunehmend in der wahrgenom-menen Qualität der Versorgung in den Krankenhäusern ab: Sie sei weniger oder gar nicht gut, urteilt inzwischen rund jeder fünfte Krankenhausarzt, 2016 war es nur knapp jeder zehnte. Für die jüngsten Reformmaßnahmen zur Steigerung der Qualität in Kran-kenhäusern sind mehr als sechs Milli-arden Euro bis 2020 veranschlagt – gleichwohl gibt es deutlich mehr Krankenhausärzte, die die Reform-maßnahmen für wirkungslos halten (47 %), als solche, die positive Auswir-kungen wahrnehmen (37 %). Weiter-hin dominieren aus Sicht von drei Vierteln der Krankenhausärzte wirt-schaftliche Aspekte das medizinisch Sinnvolle (2016: 77 %).

Problematisch sind nach wie vor die überfüllten Notaufnahmen: Von den befragten Krankenhausärzten hat-ten 75 Prozent häufig mit „Notfällen” zu tun, die keine seien. Immerhin hal-ten 64 Prozent dieses Problem für lös-bar: 29 Prozent dieser Gruppe plädie-ren dafür, Gebühren von Patienten zu erheben, die ohne tatsächliche Dring-

lichkeit die Notaufnahme aufsuchen. Im Durchschnitt sehen die Befragten hier einen Betrag von 30 Euro pro Fall. Weitere 33 Prozent sind davon über-zeugt, dass eine verbesserte Notfall-versorgung auf Seiten der Niedergelas-senen zu einer deutlichen Entlastung der Krankenhäuser führen würde.

Ärztemangel verschärft sich Die Bevölkerung nimmt den Ärzte-mangel bereits deutlich wahr oder rechnet damit – im Osten (64 %) stär-ker als im Westen (40 %). 2016 war das Problem noch weniger präsent. Nie-dergelassene Ärzte erkennen ebenfalls eine Verschärfung des Ärztemangels: Vor drei Jahren sahen 60 Prozent die-sen in der eigenen Region oder rech-neten damit; 2019 ist der Wert auf 71 Prozent gestiegen.

Einen Nachfolger für die eigene Pra-xis zu finden, halten mit rund zwei Dritteln nochmals mehr Niedergelasse-ne für schwierig oder sehr schwierig als noch vor drei Jahren (2016: 57 %). Nur für ein gutes Drittel der Krankenhaus-ärzte käme die Niederlassung infrage. Als Gründe dagegen führen die Ärzte insbesondere ihren Gesundheitszustand (17 %), die eigene Fachrichtung (15 %) und das finanzielle Risiko (10 %) an. Für 69 Prozent der niedergelassenen Ärzte ist es zudem schwierig, geeignetes Per-sonal für ihre Praxis zu finden (2016: 59 %). Laut Arbeitsagentur ist rund jede

zehnte Ausbildungsstelle für Arzt- und Praxishilfen unbesetzt.

Verschiedene Maßnahmen könnten helfen, die flächendeckende Versor-gung auch in Zukunft sicherzustellen. Finanzielle Anreize für Gemeinschafts-praxen im ländlichen Raum befürwor-ten 88 Prozent der Ärzte. Zudem halten es 81 Prozent für sinnvoll, in struktur-schwachen Regionen verstärkt medizi-nische Versorgungszentren zu grün-den. Der wirtschaftliche Erfolg dieser Zentren hängt maßgeblich auch von differenzierten Daten und Analysen bei der Planung ab – davon ist eine große Mehrheit der Ärzte überzeugt (81 %).

Für die kommenden zehn Jahre gehen Ärzte weiterhin von einer Ver-schlechterung der Gesundheitsversor-gung aus (59 %, 2016: 62 %). In der Bevölkerung erwarten 30 Prozent pau-schal eine Verschlechterung. Zugleich rechnet eine breite Mehrheit weiterhin mit einer Zwei-Klassen-Medizin (60 %, 2016: 67 %) und steigenden Kassenbei-trägen (72 %, 2016: 81 %). Ärzte befürchten insbesondere Versorgungs-schwierigkeiten im ländlichen Raum (90 %) und nochmals weniger Zeit für die Behandlung ihrer Patienten (85 %). Zudem gehen drei Viertel davon aus, dass sie in Zukunft nicht mehr alle medizinisch notwendigen Leistungen verordnen können. W

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Setzen sich für weitere Anpassungen in der Notfallversorgung ein: Johannes Flechtenmacher, Carsten Perka und Paul Alfred Grützner (v. l.), Moderation: Adelheid Liebendörfer.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 | 9

Spinale Hämangioblastome: Minimalinvasive ResektionOperative Therapie – Minimalinvasive Entfernung ähnlich sicher und sinnvoll durchführbar wie offener Zugang? ( Seite 10

Stammzelltherapie und RückenmarkverletzungKann der Querschnitt wieder laufen? ( Seite 12

Damage Control SpineDie Wichtigkeit der operativen Stabili-sierung der Wirbelsäule im Polytrauma ( Seite 12

Naturheilverfahren bei orthopädi-schen ErkrankungenNaturheilkundliche Komplexbehandlung wird häufig unterschätzt, ist aber wirk-sam ( Seite 13

Direct Access Physiotherapie in DeutschlandVoraussetzungen und Vorgehensweise – Screening zur Prüfung von Kontra-indikationen ( Seite 14

Stammzelltherapie und Bandschei-bendegenerationKann man die Bandscheibe erneuern? – Regenerative Therapien zeigen ermuti-gende Ergebnisse ( Seite 14

Lumbale BandscheibenvorfälleKann künstliche Intelligenz das Therapieergebnis vorhersagen? ( Seite 16

Interview zum DWG-Kongress: „Wandel in die Zukunft“Künstliche Intelligenzen, „Big Data“ und Roboterassistenzen in Diagnostik und Therapie von Wirbelsäulenerkran kungen ( Seite 16

Traumatische HWS-InstabilitätenOccipitocervicale Fusion – Eine radio-logische und neurologische Outcome-Analyse ( Seite 17

Spezifischer KreuzschmerzIndikationen und Schn i t t s te l len zwischen Reha-bilitation, statio-närer Komplex-therapie und Operation ( Seite 18

Halbwirbelresektion im KleinkindesalterLangzeitergebnisse nach Wachstumsabschluss

KARLSBAD Kongenitale Skoliosen ent-stehen durch Fehlbildungen, die ihren Ursprung in der frühen Embryonalzeit haben. Die häufigste Ursache der konge-nitalen Skoliose sind Halbwirbel, bedingt durch einen vollständigen unilateralen Formationsdefekt.

D ie konservative Therapie mit-tels Korsett ist bei kongenita-len Skoliosen nicht erfolgver-

sprechend. Das Korsett ist nicht in der Lage das asymmetrische Wachstum der Halbwirbel zu verhindern.

Ist ein Halbwirbel ursächlich für die Deformität, ist die Halbwirbelresek-tion die kausale Behandlungsstrategie. Diese kann über dorsale, ventrale oder kombinierte Zugänge ein- oder zwei-zeitig durchgeführt werden.1

Transpedikuläre InstrumentationSeit der Erstbeschreibung 2002 hat sich die Halbwirbelresektion über einen rein dorsalen Zugang mit trans-pedikulärer Instrumentation, auch bei sehr kleinen Kindern, zu einem Stan-dardverfahren entwickelt2. Dieses Operationsverfahren zeichnet sich durch seine geringere Invasivität und kürzere Instrumentationstrecke aus.

Zwischen 1991 und 2001 waren insgesamt 28 Halbwirbelresektionen bei 25 Kindern durchgeführt worden. Der Eingriff wurde bei Kindern im Alter von ein bis sechs Jahren vor-genommen, das mittlere Alter zum Zeitpunkt der Operation betrug drei Jahre.

LangzeitergebnisseLetztendlich kann das Outcome erst nach Wachstumsabschluss endgültig beurteilt werden. Wir führten daher eine Nachuntersuchung der ersten mit dieser Methode operierten Kleinkinder nach Wachstumsabschluss durch.

Zur abschließenden Beurteilung des Operationsergebnisses wurden die Patienten nach durchschnittlich 17

Jahren nachuntersucht. Insgesamt wurden 22 Patienten (25 Halbwirbel-resektionen), erneut klinisch und radiologisch reevaluiert. Das mittlere Alter der Patienten zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung betrug 20 Jahre.

Es erfolgte die Auswertung der kör-perlichen Untersuchung, von Kranken-akten sowie die Vermessung aktueller Röntgenbilder. Erfasst wurden Kom-plikationen und Folgeoperationen, aktuelle Beschwerden und die radiolo-gischen Parameter wie Cobb-Winkel, das coronare und sagittale Profil sowie das postoperative Wachstums-defizit.

BeschwerdesymptomatikAnhand der Anamneseerhebung und körperlichen Untersuchung wurden

die subjektiven Beschwerden der Patien ten erfasst. Wesentliche Schmer-zen wurden von keinem Patienten beklagt, leichte Beschwerden, meist

verursacht durch muskuläre Verspan-nungen, wurden von fünf Patienten berichtet. Insgesamt waren die Patien-ten beschwerdearm und kamen in ihrem Alltag gut zurecht.

FolgeoperationenBei über der Hälfte der untersuchten Patienten (55 %) war keine weitere operative Versorgung durchgeführt worden. Bei zehn Patienten (45 %) erfolgten weitere Operationen, im Schnitt fünf Jahre nach initialer Ver-sorgung. Insgesamt waren bei diesen Kindern 24 weitere Operationen vor-genommen worden. Am häufigsten waren hier die Metallentfernungen

(33 %) sowie die Korrekturoperationen bei neu aufgetretenen Deformitäten (42 %). Revisionen erfolgten auch bei Pedikelfrakturen (8 %) und bei Implan-tatversagen (17 %).

Radiologische ParameterZur Beurteilung der Abweichungen der Wirbelsäule in der Frontalebene wurde präoperativ und zum Zeitpunkt der aktuellen Nachuntersuchung der Cobb-Winkel der Hauptkrümmung sowie der Nebenkrümmungen vermes-sen. Der Cobb-Winkel der Hauptkrüm-mung betrug präoperativ durch-schnittlich 47°, beim letzten Follow-up wurden im Mittel zehn Grad gemes-sen. Es zeigte sich somit auch nach Wachstumsabschluss eine hervor-ragende Korrektur der Krümmung.

Die Vermessung der Nebenkrüm-mungen betrugen cranial präoperativ 17°, postoperativ sechs Grad, caudal initial 22° und postoperativ neun Grad

(Tab. 1). Diese Ergebnisse bestätigen die Beobachtung, dass sich Neben-krümmungen, nach Instrumentation der Hauptkrümmung, spontan korri-gieren und diese Korrektur auch nach dem Wachstum der Kinder persistiert.

Zur Beurteilung des sagittalen Pro-fils erfolgte die Vermessung des Kyphosewinkels segmental am Halb-wirbel. Präoperativ lag dieser bei 23°, beim Follow-up reduzierte sich die Kyphosierung auf neun Grad. Die gesamte thorakale Kyphose betrug nach Abschluss des Wachstums 34°. Sie lag bei insgesamt 20 Patienten somit im physiologischen Bereich, zwei Patienten waren hypokyphotisch.

WachstumsdefizitBei sieben Patienten fand sich ein Wachstumsdefizit der thorakalen Wir-belsäule mit einem Verhältnis der Länge der thorakalen zur Länge der lumbalen Wirbelsäule von unter 1,4. Dieses Patientenkollektiv hatte zu Beginn komplexere Fehlbildungen mit

mehreren Halbwirbeln beziehungs-weise Barbildungen und somit länge-ren Instrumentationen über, im Mittel, sechs Segmente. Eine kurze Instru-mentationsstrecke geht mit minimaler Wachstumsbeeinträchtigung einher.

FazitUm bei kongenitalen Skoliosen mit Halbwirbeln ein Fehlwachstum der pri-mär gesunden Nachbarwirbel zu ver-meiden, sollte eine Operation möglichst frühzeitig im Kleinkindesalter erfolgen. Eine frühzeitige und vollständige Kor-rektur der lokalen Fehlstellung ermög-licht ein physiologisches Wachstum und vermeidet die Entstehung von rigi-den Sekundärkrümmungen1.

Bei einfachen Halbwirbeln ohne Barbildung zeigt die dorsale Halbwir-belresektion mit kurzstreckiger trans-pedikulärer Instrumentation bereits bei sehr kleinen Kindern exzellente Langzeitergebnisse und ist als Thera-pie der Wahl zu betrachten (Abb. 1).

Komplexe Fehlbildungen erfordern jedoch immer individuelle Lösungen. Bei längerstreckigen Fehlbildungen sollte, um Wachstumsdefizite zu mini-mieren, eine Kombination mit distra-hierenden oder wuchslenkenden ope-rativen Verfahren erwogen werden. W

Literatur:1. Börm W, Meyer F, Bullmann V et al. Wir-

belsäule interdisziplinär, Operative und konservative Therapie. Stuttgart: Schattauer; 2017. p. 369–374.

2. Ruf M, Harms J. Spine 2002;27:1116-23.

( Autoren: PD Dr. med. Michael Ruf, Dr. med. Deborah Schray, Prof. Dr. med. Tobias Pitzen, Dr. med. Gregor Ostrowski1, Dr. med. Carolin Meyer (Köln), Prof. Dr. med. Jürgen Harms (Heidelberg) 1. Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Ortho-pädie und Traumatologie, SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach Guttmannstr. 1, 76307 Karlsbad E-Mail: [email protected]

Special Inhalt

SPECIALRücken/Wirbelsäule

Abb. 1: (A) Präoperatives Röntgenbild eines 14 Mon. alten Mädchens mit Halbwirbel L2a. (B) Postoperativ im Alter von 16 Monaten, (C) Follow-up im Alter von 22 Jahren.

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Cobb Winkel Präoperativ Follow-up

Hauptkrümmung 47° (16–80°) 10° (0–29°)

Nebenkrümmung cranial 17° (2–37°) 6° (-4–19°)

Nebenkrümmung caudal 22° (5–89°) 9° (-6–100°)

Tab. 1: Cobb-Winkel vor und nach Halbwirbelresektion.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201910 | SPECIAL | RÜCKEN/WIRBELSÄULE

Spinale Hämangioblastome: Minimalinvasive ResektionOperative Therapie – Minimalinvasive Entfernung ähnlich sicher und sinnvoll durchführbar wie offener Zugang?

FREIBURG Hämangioblastome sind gutartige, stark vaskularisierte Tumore des zentralen Nervensystems. Sie treten sporadisch (80 %) oder im Rahmen der von Hippel-Lindau(VHL)-Krankheit (20 %) auf, einem autosomal-dominanten Tumorsyndrom. VHL-Patienten sind in der Regel schon in jungen Jahren betroffen und weisen oft multiple Tumore auf, vor-nehmlich im Rückenmark (80 %). Daher können bei diesen Patienten wiederholt Operationen erforderlich werden.

D ie Symptome hängen von der Größe und Lage der spinalen Hämangioblastome ab.

Betroffene Patienten berichten zum Beispiel über Schmerzen, Gangstörun-gen, sensible/motorische Defizite oder Blasenentleerungsstörungen. Diese Beschwerden werden oft nicht allein durch den soliden Tumor selbst verur-sacht, sondern vielmehr durch ein perifokales Myelonödem oder eine typischerweise assoziierte Pseudozys-te beziehungsweise Syrinx, die ver-hältnismäßig rasch zunehmen kann.

Chirurgische Therapie Wird die Indikation zur Behandlung gestellt, so ist die chirurgische Resek-tion die Therapie der Wahl. Bei der operativen Entfernung des soliden Tumoranteils wird auch die unmittel-bar benachbarte Zyste entleert. Eine weitere Manipulation an einer Tumor-freien Zystenwand sollte unterbleiben.

Traditionell werden spinale Häm-angioblastome über einen offenen Zugang mikrochirurgisch mit guten klinischen Ergebnissen entfernt. In den letzten Jahren wurden in der Wir-belsäulenchirurgie zunehmend mini-malinvasive Techniken mit tubulären Retraktoren etabliert. Heute sind sie als Alternative zu offenen Zugängen akzeptiert. Einer ihrer Vorteile ist dabei ein vermindertes Gewebetrauma im Zugangsbereich. Insbesondere für VHL-Patienten, die gegebenenfalls wiederholt operiert werden müssen, können minimalinvasive Zugänge daher von Vorteil sein. Allerdings stellt die minimalinvasive Technik auch besondere Anforderungen an den Chirurgen, vor allem der einge-schränkte Arbeitskorridor bei der Ent-fernung von stark vaskularisierten Tumoren wie den Hämangioblasto-men (Abb. 1).

Bisherige Publikationen über mini-malinvasiv entfernte intradurale Läsi-onen stellten unterschiedliche Tumor-entitäten zusammen und berichteten von guten Ergebnissen. Diese Studien umfassten jedoch keine oder nur eine vernachlässigbar geringe Anzahl von intramedullären Tumoren oder Häm-angioblastomen.

FragestellungDas Universitätsklinikum Freiburg gilt als Referenzzentrum für VHL-Patien-ten in Deutschland. Spinale Häman-gioblastome werden daher in hoher Zahl und mit entsprechender Experti-se behandelt. Zudem sind minimal-invasive OP-Techniken in der Wirbel-säulenchirurgie der Klinik für Neurochirurgie in Freiburg seit nun-

mehr fast 20 Jahren routinemäßig im Einsatz, seit 2010 auch in der Häman-gioblastom-Chirurgie.

Es stellt sich folglich die Frage: Ist die minimalinvasive Entfernung von spinalen Hämangioblastomen ähnlich sicher und sinnvoll durchführbar wie die Entfernung über einen herkömm-lichen offenen Zugang?

Dies ist besonders relevant, da diese Tumore stark vaskularisiert sind. Dar-über hinaus ist die Operation durch den begrenzten Arbeitskorridor chir-urgisch anspruchsvoll und könnte ein höheres Komplikationsspektrum bedeuten.

MethodenIn einer monozentrischen, retrospek-tiven Studie wurden von 2010 bis 2018 20 Patienten an insgesamt 21 spinalen Hämangioblastomen über einen minimalinvasiven tubulären Zugang operiert. Das primäre Out-come der Untersuchung war der neu-rologische Zustand anhand des modifizierten McCormick-Scores postoperativ versus präoperativ. Sekundäres Outcome waren das Aus-maß der Tumorresek tion im postope-rativen MRT sowie perioperative Komplikationen.

Minimalinvasive OP-Technik

Alle Patienten wurden unter Vollnarkose in Bauchlage ope-riert. Bei allen intramedullären Hämangioblastomen erfolgte ein intraoperatives Neuro-monitoring mit somatosenso-risch und motorisch evozierten Potenzialen. Nach umschriebe-nem Hautschnitt wurde mit Dilatatoren unter fluoroskopi-scher Kontrolle unilateral ein minimalinvasiver transmusku-lärer Korridor zur dorsalen Wirbelsäule geschaffen. Nach Ermessen des Chirurgen wurde dann ein nicht expandierbarer oder expandierbarer tubulärer Retraktor eingebracht (Abb. 2). Unter mikroskopischer Vergrö-ßerung erfolgte je nach Lage und Größe des Tumors eine partielle oder vollstän dige Hemilaminektomie. Nach Dura eröffnung wird der Tumor mit seinen typischen patholo-gischen Gefäßen dargestellt. Auch über tubuläre Retrakto-ren ist die intraoperative ICG-Videoangiographie (Indocya-ningrün) mit Unterscheidung der zuführenden Feeder von ableitenden Drainage venen möglich und hilfreich (Abb. 3).

Die Grundprinzipien der Tumorpräparation unterschei-den sich nicht von der herkömmlich offen durch-geführten Operation. Diese beinhalten eine sorgfältige Präparation zwischen der Tumoroberfläche und dem umgebenden Rückenmark. Eine Präparation in die stark vaskularisierte Tumormatrix ist strikt zu vermeiden. Hierzu werden Mikroinstrumente und bajonettförmi-ge Instrumente verwendet. Nach der Tumorresektion in toto mit gleichzei-tiger Entleerung der unmittelbar benachbarten Zyste, erfolgt der Dura-verschluss mittels Naht unter Verwen-dung spezieller Bajonett-Mikroinstru-mente (Nadelhalter, Pinzette), unterstützt durch Gelfoam und Fib-rinkleber. Das Einbringen einer Wund-drainage ist nicht erforderlich. Die

Mobilisation erfolgt am ersten post-operativen Tag.

Ein exemplarisches Operations-Video ist verfügbar unter: https://vimeo.com/342248766

ErgebnisseNeunzehn Patienten (95 %) wiesen postoperativ einen stabilen oder ver-besserten modifizierten McCormick-Score auf (follow-up: 4,3 ± 2,6 Mona-te). Einer der 20 Patienten (5 %) zeigte im Langzeit-Follow-up zunehmende neurologische Symptome mit einem verschlechterten McCormick-Score. Bei 17 der 20 Patienten war die VHL-Krankheit bekannt. Das postoperative MRT zeigte in allen Fällen eine voll-ständige Resektion der Hämangioblas-tome. Im Vergleich zu präoperativ stellten sich in allen Fällen vollständig beziehungsweise zumindest beginnend rückläufige Myelonödeme und/oder intramedulläre Zysten dar. Periopera-tive Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, Liquorfisteln oder Wund-heilungsstörungen traten nicht auf (Tab. 1). Die detaillierten Ergebnisse der ersten 18 dieser 20 Patienten sind der Veröffentlichung im „Journal of Neurosurgery: Spine“ zu entnehmen.1

DiskussionGrundsätzlich erfordert die chirurgi-sche Entfernung der stark vaskulari-

Tab. 1: Übersicht zu den Behandlungsdaten minimalinvasiv resezierter, spinaler Hämangioblastome: Fast alle Patienten (95 %) wiesen postoperativ eine stabile bzw. verbesserte neurologische Symptomatik gemäß des modifizierten McCormick-Scores auf. In allen Fällen konnte im postoperativen MRT eine vollständige Tumorresektion verzeichnet werden. Es traten keine perioperativen Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, Wundheilungsstörungen oder Liquorfisteln auf. Ab einem soliden Tumorvolumen von 700 mm3 wurde in der Regel ein expandierbarer tubulärer Retraktor eingesetzt.

Vollständige Tumorresektion im postop. MRT 21/21 (100 %)

Perioperative Komplikationen 0/21 (0 %)

Mod. McCormick Score postop. vs. präop. stabil oder verbessert: 19/20 Patienten (95 %)

Alter 47,0 ± 16,9 Jahre

Verteilung der 21 Tumoren HWS: 14/21 (67 %) BWS: 6/21 (28 %) LWS: 1/21 (5 %)

Tumorvolumen (solider Anteil) 720 ± 1438mm3

Assoziierte Tumorzyste 12/21 (57 %)

Präoperative Embolisation 2/21 (9 %)

Blutverlust 234 ± 288 ml

OP-Dauer 184 ± 69 min

Art des minimalinvasiven, tubulären Retraktors 14/21 expandierbar (67 %) 7/21 nicht-expandierbar (33 %)

Abb. 1: Minimalinvasive Visualisierung eines zervikalen HämangioblastomsLinks: Intraoperatives seitliches Röntgenbild mit Darstellung eines nicht expandierbaren tubulären Retraktors in Höhe HWK-4. Rechts: Mikroskopische Sicht durch selbigen 1,8 cm durchmessenden, nicht expandierbaren tubulären Retraktor auf die mit Haltenähten (grün) aufgespannte Dura sowie das typisch rötlich gefärbte Hämangioblastom.

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Abb. 2: Minimalinvasive tubuläre Retraktoren. Oben links: Nicht-expandierbarer tubulärer Retraktor. Oben rechts: Nicht expandierbarer tubulärer Retraktor samt einliegender Dilatatoren in situ. Unten links: Expandierbarer tubulärer Retraktor. Unten mittig: Expandierbarer tubulärer Retraktor in situ. Unten rechts: Mikroskopische Sicht durch expandierbaren tubulären Retraktor auf die aufgespannte Dura.

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Abb. 3: Intraoperative Gefäßdarstellung (ICG-Videoangiographie) Oben: Stark vergrößerte, mikroskopische Sicht auf ein oberflächlich gelegenes Hämangioblastom und die pathologischen Tumorgefäße (expandierbarer tubulärer Retraktor in der Darstellung nicht erkennbar). Die Unterscheidung von zuführenden Feedern und ableitenden Drainagevenen ist hier nicht eindeutig möglich. Mittig: Einzelbild einer intraoperativen ICG-Videoangiographie (Indocyaningrün) mit Darstellung der pathologischen Tumorgefäße und des stark vaskularisierten soliden Tumoranteils. Unten: Zeitaufgelöste Farbkodierung mit Visualisierung der zuführenden Feeder (rot) und ableitenden Drainagevenen (grün).

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ist. So sollte zum Beispiel ein größe-res, ausschließlich solides Hämangio-blastom ventral oder zentral im Rückenmark gelegen durch einen offenen Zugang über eine (Hemi-)Laminektomie oder Laminotomie erreicht werden, um eine ausreichende Visualisierung, Raum für die Präpara-tion und Übersicht über die tumoras-soziierten Blutgefäße zu ermöglichen.

FazitDie minimalinvasive Entfernung aus-gewählter spinaler Hämangioblastome ermöglicht eine vollständige Tumor-resektion mit guten klinischen Ergeb-nissen. Voraussetzung hierfür ist eine umfassende Expertise in der OP-Tech-

nik und den Anforderungen bezie-hungsweise Limitationen minimal-invasiver tubulärer Zugänge sowie der Hämangioblastom-Chirurgie per se. Vorzugsweise können so Hämangio-blastome mit einem kleinen soliden Tumoranteil und assoziierter Zyste entfernt werden, die oberflächlich dorsal oder dorsolateral im Bereich der DREZ lokalisiert sind. Bei einer Tumorgröße > 700 mm3 sollte hierbei der Einsatz eines expandierbaren tubulären Retraktorsystems in Betracht gezogen werden.

Weitere Informationen zur Hämangioblas-tom-Chirurgie und von Hippel-Lindau(VHL)-Krankheit sind erhältlich unter:

www.uniklinik-freiburg.de/neurochirurgie/schwerpunkte/haemangioblastome-von-hip-pel-lindau-krankheit.html

Die Studienergebnisse wurden bereits im Journal of Neurosurgery veröffentlicht1; URL: https://thejns.org/spine/view/journals/j-neurosurg-spine/aop/article-10.3171-2019.5.SPINE1975.xml Abdruck der gekürzten Version mit freundli-cher Genehmigung der JNS Publishing Group.

Literatur:1. Krüger MT, Steiert C, Gläsker S, Klingler

JH. Minimally invasive resection of spi-nal hemangioblastoma: feasibility and clinical results in a series of 18 patients. J Neurosurg Spine 2019 Aug 9:1-10. doi: 10.3171/2019.5.SPINE1975

( Autoren: PD Dr. med. Jan-Helge Klingler, Dr. med. Christine Steiert, Prof. Dr. med. Sven Gläsker, Prof. Dr. med. Jürgen Beck, Dr. med. Marie T. Krüger, Universitätsklinikum Freiburg Klinik für Neurochirurgie Breisacher Str. 64, 79104 Freiburg, E-Mail: [email protected]

sierten Hämangioblastome eine dedi-zierte Präparationstechnik. Eine minimalinvasive Entfernung sollte nur dann erwogen werden, wenn bereits eine umfangreiche Erfahrung dieser minimalinvasiven Techniken im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie erlangt wurde.

Unter diesen Voraussetzungen belegt die vorliegende Untersuchung die Machbarkeit und Sicherheit der minimalinvasiven Entfernung ausge-wählter spinaler Hämangioblastome. Von den 20 Patienten mit 21 minimal-invasiv resezierten Hämangioblasto-men wiesen 95 Prozent der Patienten

postoperativ eine stabile beziehungs-weise verbesserte Symptomatik auf. Eine vollständige Tumorresektion konnte dabei bei allen Patienten erreicht werden, ohne dass intra- oder perioperative Komplikationen wie Blutungen, Transfusionen, Infektio-nen, Wundheilungsstörungen oder Liquorfisteln auftraten.

Die minimalinvasive Entfernung erfolgte überwiegend bei spinalen Hämangioblastomen im Bereich der dorsal root entry zone (DREZ) und gleichzeitiger tumorassoziierter Zyste/Syrinx (Abb. 4). Dies ist nicht verwun-derlich, da Hämangioblastome typi-scherweise in diesem Bereich auftre-ten (DREZ) und dorsolaterale oberflächliche Tumore besonders für einen einseitigen, minimalinvasiven Zugang geeignet sind. Darüber hinaus erleichtert eine gleichzeitige tumor-assoziierte Zyste/Syrinx in der Regel die zirkumferente Präparation, da der Tumor in der Regel keine Adhärenzen zur Zyste aufweist.

Bei Hämangioblastomen mit einem soliden Tumorvolumen größer als 700 mm3 (z. B. 11 x 11 x 12 mm) empfehlen wir die Verwendung eines expandier-baren tubulären Retraktors, um einen erweiterten Operationskorridor zu schaffen. Kleinere Tumore können in der Regel mit einem nicht expandier-baren tubulären Retraktor adäquat erreicht werden.

Zu betonen ist, dass ein minimal-invasiver Zugang nicht für alle spina-len Hämangioblastome jeglicher Größe und Lokalisation zu empfehlen

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Abb. 4: Zystisches Hämangioblastom zervikal. Oberflächliches, dorsolateral links gelegenes Hämangioblastom (orange Pfeile) in Höhe HWK-4 im Bereich der dorsal root entry zone (DREZ) mit assoziierter Zyste (HWK-2/3 bis HWK-5/6). Oben: MRT sagittal in T2-Wichtung (l.) und T1-Wichtung mit Kontrastmittel (r.). Unten: MRT axial in T1-Wichtung mit Kontrastmittel.

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* bezogen auf Glucosaminhemisulfat 1 Runhaar J et al. Semin Arthritis Rheum 2016; 45(4): S42–S48 • 2 Bruyère O et al. Osteoarthritis Cart 2008; 16: 254–260 • 3 Herrero-Beaumont G et al. Arthritis Rheum 2007; 56: 555–567

dona® 750 mg Filmtabletten, dona® 1500 mg Pulver zur Herstellung einer Lösung zum Einnehmen, dona® 250 mg überzogene Tabletten Wirkstoff: Glucosaminhemisulfat. Zusammensetzung: dona® 750: 1 Filmtablette enthält als arzneilich wirksamen Bestandteil 750 mg Glucosaminhemisulfat. Sonstige Bestandteile: Mikrokristalline Cellulose, Povidon K 25, Croscarmellose-Natrium, Macrogol 6000, Magnesiumstearat, Talkum, Methacrylsäure-Methylmethacrylat-Copolymer (1:1), Titandioxid, Ammoniummethacrylat-Copolymer, Triacetin. dona® 1500: 1 Beutel enthält als arzneilich wirksamen Bestandteil 1500 mg Glucosaminhemisulfat. Sonstige Bestandteile: Aspartam, Sorbitol (Ph. Eur.), Citronensäure, Macrogol 4000. dona® 250: 1 überzogene Tablette enthält als arzneilich wirksamen Bestandteil 250 mg Glucosaminhemisulfat. Sonstige Bestandteile: Carmellose-Natrium, Macrogol glycerolricinoleat, Croscarmellose-Natrium, Methacrylsäure-Ethacrylat Copolymer (1:1), Macrogol 6000, Magnesiumstearat, Maisstärke, mikrokristalline Cellulose, Natriumchlorid, hochdisperses Siliciumdioxid, Glucosesirup, Sucrose, Povidon 25, Dimeticon-alpha-Octadecyl-omega-hydroxypoly(oxyethylen)-x-Sorbinsäure-Wasser (35:1.5:0.1:63.4), Talkum, Triethylcitrat, Weißer Ton, Titanoxid, Montanglycolwachs. Anwendungsgebiete: Zur Linderung von Symptomen leichter bis mittelschwerer Arthrose des Kniegelenks. Gegenanzeigen: Bekannte Überempfindlichkeit gegen Glucosamin oder einen der sonstigen Bestandteile, Schwangerschaft, Stillzeit, Allergie gegen Schalentiere Nebenwirkungen: Häufig: Übelkeit, Bauchschmerzen, Verdauungsstörungen, Flatulenz, Verstopfung, Durchfall, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Somnolenz. Gelegentlich: Ekzem, Juckreiz, Hautrötung und Ausschlag, Hitzegefühl. Vereinzelt: Hypercholesterinämie. Nicht bekannt: allergische Reaktion, Schwindelgefühl, Sehstörungen, Asthma und Verschlimmerung von Asthma, Erbrechen, Ikterus, Angioödem, Urtikaria, Ödem, Peripheres Ödem, Erhöhung der Leberenzyme. Stand: März 2018, MEDA Pharma GmbH & Co. KG, 61352 Bad Homburg, www.medapharma.de

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201912 | SPECIAL | RÜCKEN/WIRBELSÄULE

Stammzelltherapie und RückenmarkverletzungKann der Querschnitt wieder laufen?

Damage Control SpineDie Wichtigkeit der operativen Stabilisierung der Wirbelsäule im Polytrauma

BERLIN Pro Jahr erleiden circa 1800 Patienten eine Querschnittlähmung (Angaben der Deutschen Gesellschaft für Querschnittlähmung), circa ein Drittel der Patienten aufgrund von Verkehrsunfällen, ein Drittel wegen Erkrankungen zum Bei-spiel Tumoren und die restlichen Patien-ten aufgrund von Arbeits- oder anderen Unfällen, Suizid- oder Sportverletzungen. Obwohl unser Wissen bezüglich der zugrundeliegenden Pathomechanismen nach einer Querschnittlähmung stetig wächst, gibt es noch keine primäre The-rapie, um ein durchtrenntes Rückenmark funktionell wiederherzustellen. Neuro-nales Wachstum während der Entwick-lung und zur Regeneration nach Quer-schnittlähmung benötigt komplexe Interaktionen von intra- und extrazellulä-ren Molekülen wie Wachstumsfaktoren, Neurotransmittern und extrazellulären Matrixmolekülen1. Auch wenn unser Wis-sen bezüglich der zugrundeliegenden Mechanismen stetig wächst, gibt es aktuell keine fundamentale Interventi-onsstrategie, um nach einer Querschnitt-lähmung dem Patienten effektiv zu hel-fen2 und so ist der aktuelle Ansatz weiterhin die Bewegungstherapie3.

Es gibt in der Forschung unter-schiedliche Ansätze die durch-trennten Bahnen funktionell

wiederherzustellen. Zum einen gibt es tierexperimentell zum Beispiel die Möglichkeit, superparamagnetische Nanopartikel, welche in den Wachs-tumshügeln der Neurone und Axone aufgenommen werden, mittels exter-nen magnetischen Feldern gezielt in eine Richtung zu lenken4,5. Zum ande-ren gibt es eine Vielzahl von bioakti-ven Substanzen und neurotrophen Faktoren, welche eingesetzt werden, um eine Verbesserung in motorischen Parametern zu erzielen. Hierbei haben insbesondere die gezielte Ausschaltung endogener Hemmstoffe der Regenera-tion, wie zum Beispiel Nogo (neurite outgrowth inhibitor; Neuriten Wachs-tumshemmer) oder MAG (myelin-asso-ciated glycoprotein; Myelinassoziiertes Glykoprotein) erfolgversprechende Ergebnisse in Tierversuchen gezeigt6.

Die größte Hoffnung wird derzeit jedoch in Stammzelltherapien gesetzt, da Stammzellen pluripotent und somit

in der Lage sind, sich in alle möglichen Zelltypen weiter zu differenzieren, inklusive Neuronen7. Hierbei gibt es sowohl große Unterschiede in der Gewinnung – mesenchymal, fetal, autolog, aus dem Bulbus olfactorius oder aus der subventrikulären Zone –und der Applikation – direkt injiziert, über den Blutkreislauf mit höheren Konzentrationen oder aber auch mit-tels Gewebetransplantation. Auch der Zeitpunkt der Applikation variiert, da

in der Akutphase im Bereich der Quer-schnittlähmung ein überlebensfeind-liches Milieu für Stammzellen vor-herrscht, später jedoch Narbengewebe mit zystischen und fibrotischen Verän-derungen den Effekt der Stammzellen reduzieren kann8. Zunächst gab es eine Vielzahl an Versuchen mit Mäusen und Ratten, 2010 erfolgte die Publikation zweier an Primaten durch geführter Studien mit thorakal9 bziehungsweise zervikal10 induzierten Querschnittläh-mungen, die eine signifikante Verbes-serung der Querschnittsymptomatik nach Stammzellapplikation erzielen konnten. In den letzten zehn Jahren gab es einige klinische Phase-I- und -II-Studien, sowohl bei akuten, als auch chronischen Querschnittpatien-ten. Diese teils relativ kleinen Studien haben jedoch insbesondere bei akut querschnittgelähmten Patienten deut-liche funktionelle Besserungstenden-zen aufzeigen können11. Jedoch auch in chronischen Querschnittpatienten mit länger als zwölf Monaten beste-henden Symptomen konnten statis-tisch signifikante Erfolge erzielt wer-den12. 2018 veröffentlichten Curtis et al. eine Phase-I-Studie mit vier chroni-schen Querschnittpatienten, welche

frühestens 18 Monate nach Erleiden der Rückenmarkverletzung eine Injek-tion mit einer FDA-genehmigten humanen neuronalen Stammzelllinie NSI-566, welche bereits bei der ALS in Phase-I- und -II-Studien eingesetzt wird, erhielten. In drei dieser vier Pati-enten zeigte sich im darunterliegenden Dermatom eine sensible und teilweise auch motorische Verbesserung, letztere war auch im EMG nachweisbar. Da es sich um thorakale Querschnitte han-

delte, hatte die Senkung des Querschnittniveaus um zwei Segmente keinerlei Einfluss auf die Ansteuerung der Beine und ermöglichte es den Pati-enten leider nicht wieder geh-fähig zu werden.

Auch wenn Forscher in Japan im Februar 2019 von der Regierung die Erlaubnis erhalten haben, eine Therapie mit umprogrammierten pluri-potenten Stammzellen an

Menschen durchzuführen, ist zum einen aktuell der beste Zeitpunkt, die beste Applikationsart und der beste Ursprung der Stammzellen noch nicht ausreichend erforscht. Zum anderen ist die Sicherheit der Applikation am Menschen nicht abschließend geklärt, insbesondere gibt es bereits Fälle, in denen es zu tumorösen Geschwulsten zum Beispiel acht Jahre nach Stamm-zelltherapie kam13. Somit sind wir im klinischen Alltag in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom stan-dardmäßigen Einsatz von Stammzel-len in der Therapie der Querschnitt-lähmung noch weit entfernt, und die Rehabilitation hat aktuell weiterhin

den höchsten Stellenwert, um unseren Patienten die bestmöglichen Chancen auf eine Wiedererlangung motorischer Funktionen, vor allem der Gehfähig-keit nach einer Querschnittlähmung zu ermöglichen.

Um in der Zwischenzeit diesen Patien ten trotz allem effektiv helfen zu können, haben wir ein Kompetenz-zentrum für Querschnittlähmung in unserem Krankenhaus der Maximal-versorgung aufgebaut. Neben Umbau-maßnahmen und der Anschaffung eines Woodway-Lokomaten (Abb. 1), wurde ein Therapiewochenplan erstellt sowie Mitarbeiterschulungen durch-geführt. So konnten wir ein hoch-spezialisiertes interdisziplinäres Team aus Physiotherapeuten, Ergotherapeu-ten, Logopäden, Musiktherapeuten, Sozialpädagogen und Ärzten, inklu-sive Neurochirurgen, Unfallchirurgen/Orthopäden, Urologen sowie plasti-schen Chirurgen, aufbauen. Wir bieten unseren Patienten suffiziente Schmerzlinderung durch Schmerz-therapeuten, Verbesserung der Bewe-gungs- und Gefühlsfunktionen sowie der Geschicklichkeit, Wiedererlangen der Mobilität und der Selbstständig-keit im Alltag, Hilfestellung bei der Adaptation der berufl ichen oder psy-chosozialen Umgebung sowie not-wendige chirurgische Eingriffe, inklu-sive der Restitution der urologischen Funktionen mittels sakraler Neuro-modulation, an. Durch die trans-kranielle Magnetstimulation (TMS) (Abb. 2) haben wir eine zusätzliche Möglichkeit die Bewegungs abläufe zu initiieren. W

Literatur:1. O‘Donnell M, Chance RK, Bashaw GJ.

Axon growth and guidance: receptor

regulation and signal transduction. Annu Rev Neurosci 2009;32:383–412.

2. Filli L, Schwab ME. The rocky road to translation in spinal cord repair. Ann Neurol 2012;72:491–501.

3. Dietz V, Schwab ME. From the Rodent Spinal Cord Injury Model to Human Application: Promises and Challenges. J Neurotrauma 2017;34(9):1826–1830.

4. Riggio C, Calatayud MP, Giannaccini M et al. The orientation of the neuronal growth process can be directed via magnetic nanoparticles under an applied magnetic field. Nanomedicine 2014;10:1549–1558.

5. Pita-Thomas W, Steketee MB, Moysidis SN et al. Promoting filopodial elongation in neurons by membrane-bound magne-tic nanoparticles. Nanomedicine 2015;3:559–567.

6. Lim PA, Tow AM. Recovery and regenera-tion after spinal cord injury: a review and summary of recent literature. Ann Acad Med Singapore 2007;36(1):49–57.

7. Shao A, Tu S, Lu J et al. Crosstalk bet-ween stem cell and spinal cord injury: pathophysiology and treatment strate-gies, Stem Cell Res Ther 2019;10(1):238.

8. Gabel BC, Curtis EI, Marsala M et al. A Review of Stem Cell Therapy for Spinal Cord Injury: Large Animal Models and the Frontier in Humans. World Neuro-surg 2017;98:438–443.

9. Pritchard CD, Slotkin JR, Yu D et al. Estab-lishing a model spinal cord injury in the African green monkey for the preclinical evaluation of biodegradable polymer scaf-folds seeded with human neural stem cells. J Neurosci Methods 2010;188(2):258–269.

10. Yamane J, Nakamura M, Iwanami A et al. Transplantation of galectin-1-expres-sing human neural stem cells into the injured spinal cord of adult common marmosets. J Neurosci Res 2010;88(7):1394–1405.

11. Syková E, Jendelová P, Urdzíková L et al. Bone marrow stem cells and polymer hydrogels – two strategies for spinal cord injury repair. Cell Mol Neurobiol 2006;26(7-8):1113–1129.

12. El-Kheir WA, Gabr H, Awad MR et al. Autologous bone marrow-derived cell therapy combined with physical therapy induces functional improvement in chro-nic spinal cord injury patients. Cell Transplant 2014;23(6):729–745.

13. Dlouhy BJ, Awe O, Rao RC et al. Auto-graft-derived spinal cord mass following olfactory mucosal cell transplantation in a spinal cord injury patient: Case report. J Neurosurg Spine 2014;21(4):618–622.

( Autorinnen: PD Dr. med. Yu-Mi Ryang Dr. med. Jana Glumm Neurochirurgische Klinik Helios Klinikum Berlin-Buch Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin E-Mail: [email protected]

ZÜRICH/CH Eines der nach wie vor intensiv diskutierten Themen in der opera-tiven Versorgung des Polytraumas ist der Zeitpunkt der definitiven Stabilisierung von Frakturen. Verletzungsschwere, -vertei-lung und physiologische Reaktionen die-nen in diesen Fällen als Wegweiser für die initiale Behandlungsstrategie. Allerdings haben Frakturen an der Wirbelsäule einen besonderen Stellenwert. Zahlreiche Studi-en zeigten die Auswirkungen von unter-schiedlichen Behandlungsstrategien im Polytrauma. Jedoch wurden Frakturen der Wirbelsäule nur marginal in diesen Studi-en inkludiert. Das Ziel der vorliegenden

Studie war es, den Einfluss des Zeitpunk-tes der operativen Stabilisierung der Wir-belsäule im Polytrauma auf Komplikatio-nen darzulegen und die Notwendigkeit des „Damage Control Spine“, welches sich aus dem etablierten Konzept der Damage Control Surgery (DCS) ableitet und die Wichtigkeit der Wirbelsäule betonen soll, zu diskutieren1.

Behandlungsstrategien des Poly-trauma reichen von der frühen definitiven Versorgung sämt-

licher Verletzungen (Early Total Care, ETC) über die frühe adäquate Versor-

gung (Early Appropriate Care, EAC) hin zu notfallmäßig transienten Stabilisie-rungsmaßnahmen mit sekundärer defi-nitiver Versorgung (Damage Control Surgery/Orthopaedic DCS/O). Ziel der DCS ist es, Komplikationsraten, Pneu-monien, Sepsis, Multiorganversagen (MOV) sowie Mortalität zu reduzieren2.

Zahlreiche Studien diskutieren die Therapiekonzepte von Patienten mit isolierten Wirbelsäulenverletzungen. Diese Studien differenzieren Patienten mit und ohne neurologische Defizite, jedoch werden die Therapiestrategien hauptsächlich von Begleitverletzungen

und der kardiopulmonalen Situation des Patienten definiert. Frühe operati-ve Versorgung ist abhängig von diver-sen Faktoren, zum Beispiel multiple Wirbelkörperbrüche, Level des neuro-logischen Ausfalls (höhere Level war-ten länger) und die physiologische Situation des Patienten3. Stahel und Kollegen diskutierten im Rahmen des „Spine Damage Control“ die Notwen-digkeit der frühen operativen Stabili-sierung der Wirbelsäule im Polytrau-ma4. Diese Studie hat zum Ziel, initiale physiologische Parameter mit dem Zeitpunkt der operativen Wirbelsäu-

lenstabilisierung zu korrelieren und das Risiko für die Entwicklung von Komplikationen vorherzusagen.

MethodikDiese Studie wertet retrospektiv Daten einer prospektiven monozentrischen Traumadatenbank aus. Einschlusskri-terien waren Patienten mit Polytrau-ma (ISS ≥ 16) und mit einer Wirbelsäu-lenverletzung, die einer operativen Stabilisierung bedurfte. Patienten mit Pneumonie, Sepsis, MOV oder Verster-ben vor der ersten Wirbelsäulenopera-tion wurden ausgeschlossen. Ferner

Abb. 1: Therapie eines Patienten im Woodway-Lokomaten.

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Abb. 2: Querschnittpatientin während der TMS-Therapie.

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RÜCKEN/WIRBELSÄULE | SPECIAL | 13ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019

wurden Patienten ausgeschlossen, die zur palliativen Therapie aufgenom-men wurden oder einen inkompletten Datensatz hatten.

Definitionen und EndpunkteDie Verletzungsschwere basiert auf dem Inury Severity Score (ISS). Die maxima-le Verletzungsschwere je Körperregion gemäss ISS wurde mittels Maximalem Abbreviated Injury Scale (MAIS) zusammengefasst. Pneumonie wurde definiert als Fieber ≥ 39.0°C, radiologi-sche Zeichen von Infiltrationen sowie diagnostische Kodierung für Pneumo-nie. Sepsis wurde definiert als Fieber ≥ 39.0°C mit zentral-peripherer Tempe-raturdifferenz von mehr als 8°C, positi-ver Flüssigkeitsbilanz, sowie Leuko-zyten unter 4000 oder über 12.000/µl.

GruppenDie Patienten wurden abhängig vom Zeitpunkt der operativen Wirbelsäulen-stabilisierung nach Trauma stratifiziert und in drei Gruppen eingeteilt: Gruppe Früh (innerhalb 24 Stunden), Gruppe Verzögert (24–48 Stunden) und Gruppe Spät (mehr als 48 Stunden).

Die statistische Auswertung der Daten inkludiert fitted generalized lineare Regressionsanalysen mit Pneu-monie, Sepsis und Komplikation als Outcomeparameter; adjustiert für ISS, MAIS sämtlicher Körperregionen, Laktat, Hämoglobin, Hospitalizations-dauer, Dauer der intensivmedizini-schen Betreuung sowie der initialen physiologischen Parameter. Assozia-tionen von konventionellen Parame-tern und Endpunkte wurden mittels univariaten Analysen evaluiert. Ein alpha von kleiner 0,05 wurde als sta-tistisch signifikant definiert.

ErgebnisseDiese Studie schließt 303 polytrauma-tisierte Patienten mit Verletzungen der Wirbelsäule ein. Von diesen wurden 141 (46,5 %) in Gruppe Früh, 68

(22,4 %) in Gruppe Verzögert und 44 (31,1 %) in Gruppe Spät stratifiziert. Die Patienten waren im Schnitt 43,7 (± 17,6) Jahre alt, in 70 Prozent männ-lich und hatten im Schnitt einen ISS von 30,7 (± 11,9). Die Gruppen unter-schieden sich nicht in Alter, Verlet-zungsschwere, Body Mass Index (BMI), oder mittlerem arteriellen Druck (MAP). Jedoch war das initiale Laktat in der Gruppe Spät signifikant höher als in den Gruppen Früh und Verzögert (2,3 mmol/l versus je 1,8 mmol/l, p = 0,013). Die Gruppe Früh hatte eine signifikant höhere Schwere der Wirbelsäulenver-letzung (median AIS 4 vs. 3, p < 0,001).

Unsere Daten zeigen, dass von allen Patienten, die im Verlauf eine Pneumonie erlitten, signifikant mehr in der Gruppe Spät waren (60 % vs. 20,8 %, p < 0,001). Ferner waren die meisten Patienten, die eine Komplika-tion erlitten (Pneumonie, Mortalität, Bakteriämie oder Thrombose) in Grup-pe Spät (84 % vs. 39,4 %, p < 0,001). Die Gruppen unterschieden sich nicht in der Mortalitätsrate, allerdings in der Länge des Gesamtaufenthalts (12 Tage vs. 6 Tage, p < 0,001) sowie der

Sepsisrate (46,8 % in Gruppe Spät vs. 15,3 % in Gruppe Früh, p < 0,001).

Das Vorhersagemodel wurde adjus-tiert für diverse Faktoren und zeigte, dass jeder verzögerte Tag der operati-ven Wirbelsäulenstabilisierung das Risiko einer Pneumonie verdreifacht. Ferner ist das Risiko einer Sepsis um 70 Prozent pro verzögerten Tag signi-fikant erhöht. Das Risiko eine Kompli-kation zu erleiden steigt um 20 Pro-zent pro Tag. Abbildung 1 fasst die ROC und die AUC der jeweiligen Pre-diction-Models zusammen. In diesen Modellen zeigte sich auch, dass sowohl das initiale Laktat als auch die

Verletzungsschwere, oder –verteilung keinen signifi-kanten Einfluss auf die Entwicklung von Pneumo-nie, Sepsis, oder Gesamt-komplikationen haben.

DiskussionDer optimale Zeitpunkt der definitiven Versorgung von Frakturen im Polytrauma wird nach wie vor kontro-vers diskutiert. Die Versor-gung ist abhängig von vielen verschiedenen Fak-toren, zu denen die Verlet-zungsschwere5 und physio-logische Veränderungen6 zählen. Diese Studien fokussieren allerdings hauptsächlich auf Verlet-

zungen der Extremität. Die Wirbelsäule hat als gesonderte Entität einen eige-nen Stellenwert. Insbesondere bei Ver-letzungen der Wirbelsäule mit neuro-logischem Defizit wurde ein potenziell besseres Outcome nach früher opera-tiver Versorgung diskutiert7. Unsere Daten sind im Einklang mit anderen publizierten Studien und zeigen, dass eine spätere operative Stabilisierung der Wirbelsäulenverletzung im Poly-trauma das Risiko für Komplikationen erheblich erhöht. Die Verzögerung der

Stabilisierung führt zu prolongierter Immobilisation und Minderbelüftung gewisser Lungensegmente. Dadurch erhöht sich das Risiko einer Pneumonie erheblich8. Ferner sind die Risiken für Thrombose, Sepsis und andere Komp-likationen durch mangelnde Mobilisa-tion erhöht. Besonders hervorzuheben ist in unserer Studie, dass die initialen

physiologischen Werte (z. B. Laktat) keinen Einfluss auf Entwicklung der Pneumonie im Zusammenhang mit dem Tag der Stabilisierung der Wirbel-säule haben. Währen jeder Tag Verzö-gerung das Risiko einer Pneumonie verdreifacht, hat der initiale Laktatwert keinen signifikanten Einfluss auf eben diese Entwicklung. Zahlreiche Autoren fokussieren auf Werte des Säure-Basen-Haushalts, um einen Patienten als stabil genug zu definieren und die definitive Operation durchführen zu können9. Es wurde allerdings gezeigt, dass diese vereinzelten initialen Werte nicht ausreichen, um den physiologi-schen Stabilitätsgrad eines polytrau-matisierten Patienten zu definieren6.

ZusammenfassungZusammenfassend zeigt diese Studie, dass die Verzögerung der operativen Stabilisierung der Wirbelsäule im Polytrauma einen erheblich größeren Einfluss auf das Risiko der Entwick-lung von Komplikationen (Pneumonie, Sepsis etc.) hat, als initiale physiologi-sche Werte. Somit ist eine frühestmög-liche Stabilisierung der Wirbelsäule als

Tag-eins-Eingriff mit hoher Priorität im Sinne des „Damage Control Spine“ im Polytrauma empfohlen. W

Literatur1. Pfeifer R, Sprengel K, Pape HC. Abbrevia-

ted Surgery: Orthopaedic Surgery. Dama-ge Control Management in the Polytrau-ma Patient. Springer, Cham, 2017. p 159–167.

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3. Agostinello J, Battistuzzo CR, Skeers P et al. Early Spinal Surgery Following Tho-racolumbar Spinal Cord Injury: Process of Care From Trauma to Theater. Spine (Phila Pa 1976) 2017;42(10):E617–E623.

4. Stahel PF, VanderHeiden T, Flierl MA et al. The impact of a standardized „spine damage-control“ protocol for unstable thoracic and lumbar spine fractures in severely injured patients: A prospective cohort study. J Trauma Acute Care Surg 2013;74(2):590–596.

5. Pape HC, Giannoudis P, Krettek C. The timing of fracture treatment in polytrau-ma patients: relevance of damage control orthopedic surgery. Am J Surg 2002;183(6):622–629.

6. Halvachizadeh S, Pape H-CJI. Determi-ning the patient at risk–are scoring sys-tems helpful to develop individualized concepts for safe definitive fracture fixa-tion and damage control techniques? 2019;50(7):1269–1271.

7. El Tecle NE, Dahdaleh NS, Hitchon PW. Timing of Surgery in Spinal Cord Injury. Spine 2016;41(16):E995–E1004.

8. Chughtai M, Gwam CU, Mohamed N et al. The Epidemiology and Risk Factors for Postoperative Pneumonia. Journal of cli-nical medicine research 2017;9(6):466.

9. Nahm NJ, Como JJ, Wilber JH et al. Early Appropriate Care: Definitive Stabilization of Femoral Fractures Within 24 Hours of Injury Is Safe in Most Patients With Mul-tiple Injuries. J Trauma-Injury Infect Crit Care 2011;71(1):175–185.

( Autoren: PD Dr. med. Kai Sprengel, Dr. med. Sascha Halvachizadeh, Prof. Dr. med. Hans-Christoph Pape, UniversitätsSpital Zürich, Klinik für Traumatologie Rämistr. 100, 8091 Zürich/CH E-Mail: [email protected]

Naturheilverfahren bei orthopädischen ErkrankungenNaturheilkundliche Komplexbehandlung wird häufig unterschätzt, ist aber wirksam

HATTINGEN Es ist nicht hoffnungslos: Chronische Rückenschmerzen können mit Naturheilverfahren erfolgreich behan-delt werden, wie das Beispiel einer Pati-entin deutlich zeigt.

Vor ihrer Aufnahme in die Klinik für Naturheilkunde der Hattin-ger Klinik Blankenstein hatte

die Patientin bereits mehrfach Spritzen-behandlungen durch einen Schmerz-therapeuten und einen orthopädischen Rehabilitationsaufenthalt ohne durch-schlagenden Erfolg über sich ergehen lassen. Die Patientin erhielt zwischen-zeitlich mehrere ambulante Verordnun-gen für Krankengymnastik und Reha-Sport durch einen niedergelassenen Orthopäden und den Hausarzt. Den-noch nahmen ihre Beschwerden immer weiter zu, ihre Lebensqualität war deut-lich eingeschränkt. Zudem wurden ihr neben Antidepressiva immer stärkere Medikamente verordnet, die wiederum etliche Nebenwirkungen auslösten. Der Orthopäde wies die Patientin daraufhin in die Klinik für Naturheilkunde der Kli-nik Blankenstein ein. Diese Klinik-

einweisung ermöglicht die Übernahme der Behandlungskosten durch alle Gesetzlichen und Privaten Krankenver-sicherungen.

In diesem seit mehr als 20 Jahren mit nachhaltigem Erfolg tätigen Naturheilkunde-Zentrum haben Fach-therapeuten die Patientin täglich mit wechselwarmen Blitzgüssen sowie einer besonderen Form der Massage behandelt: der Bindegewebsmassage. Zeitweilig wurde eine Stufenbett-Lagerung eingesetzt.

Bewegungstherapeutisch zeigte sich auch in diesem Fall, wie bei so vielen Patienten mit Rückenschmer-zen, ein muskuläres Defizit des Halte-apparates. Daraus resultierend hat die Patientin mit dem Ziel einer dauerhaf-ten Schmerzlinderung nach ausführli-cher Erläuterung durch das Fachärzte-Team mit einem auf sie zugeschnittenen krankengymnastischen Übungspro-gramm begonnen. Dieses setzte sie auch Zuhause fort. Eine spezielle Atemtherapie, um eine entstandene Fehlatmung zu korrigieren, kam ergänzend hinzu.

Darüber hinaus erhielt die Patientin zur Schmerztherapie ein pflanzliches Arzneimittel. Zur Gruppe diese Arznei-en gehören beispielsweise Weidenrin-den-, Teufelskrallen- und Kombinati-onspräparate aus Esche, Zitterpappel, Goldrutenkraut sowie Capsaicin-haltige Zubereitungen und Pestwurz-Extrakte. Bei ihrer Klinikentlassung wurde der Patientin auch eine Langzeittherapie empfohlen. Mit dieser können die typi-schen Nebenwirkungen vieler gängiger Schmerzmittel (beispielsweise nichtste-roidale Antirheumatika), auf den Magen-Darm-Trakt vermieden oder abgemildert werden, indem gezielt Heil-pflanzensäfte beziehungsweise Arznei-tees zum Einsatz kommen. Schließlich wurde die Patientin zweimal täglich mit Einreibungen mit einem speziellen Moorextrakt behandelt.

Auch die Ernährungstherapie zeig-te Wirkung: Auf ein siebentägiges Heilfasten folgte die Umstellung auf eine vollwertige, gut verträgliche Kost. Das Heilfasten wirkt wie ein „Reset-Knopf“: Dabei werden die Ent-zündungsvorgänge im Körper durch

die Stoffwechselumstellung deutlich reduziert. Wer das Fasten nicht gut verträgt, kann alternativ auch die Ent-lastungskost, die „kleine Schwester des Fastens“, durchführen. Auch diese wirkt sich nachweislich positiv auf die Schmerzentwicklung aus.

Ordnungstherapeutisch wurden mit der Patientin die Zusammenhänge zwischen ihrer Mehrfachbelastung durch die Versorgung von Familien-angehörigen und ihren körperlichen Einschränkungen erörtert. Charakte-ristisch dafür können im übertragen-den Sinn zum Beispiel Sprichwörter wie „Das hat ihr das Kreuz gebrochen“ sein, um den körperlichen, seelischen und geistigen Aspekt der Erkrankung darzustellen. Unterstützend erhielt die Patientin Einzelgespräche und Anlei-tungen zur Meditation.

Weitere Therapien wie der Einsatz von Schröpfmassagen und Akupunktur rundeten das Behandlungsspektrum ab.

Auch dank ihrer Eigeninitiative profitiert die Patientin heute bereits seit fast einem Jahr von dieser natur-heilkundlichen Komplexbehandlung

und konnte seitdem ihren Schmerz-mittelkonsum dauerhaft reduzieren. Gerade diese Komplexbehandlung eignet sich besonders, um bei

Schmerzsyndromen längerfristig eine deutliche Beschwerdeverbesserung zu erreichen. Der Nutzen dieses natur-heilkundlichen Behandlungskonzep-tes, das in diesem Umfang und dieser Intensität nur stationär zu leisten ist, ist bei Rückenschmerzen wissen-schaftlich nachgewiesen. W

( Autor: Prof. Dr. med. André-Michael Beer Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein Im Vogelsang 5-1, 45527 Hattingen E-Mail: [email protected]

Abb. 1: ROC-Analysen und AUC der Prediction Models für Pneumonie, Sepsis und allgemeine Komplikationen.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201914 | SPECIAL | RÜCKEN/WIRBELSÄULE

Direct Access Physiotherapie in DeutschlandAktueller Stand von Voraussetzungen und Vorgehensweise – Screening zur Prüfung von Kontraindikationen

MAINZ „Mit Direct Access beziehungs-weise Open Access ist ein direkter bezie-hungsweise offener Zugang zur physiothe-rapeutischen Leistung gemeint, die keiner ärztlichen Überweisung/Verordnung bedür-fen[…]“1. Das Thema der direkten Zugäng-lichkeit (nachfolgend als DA bezeichnet) ist seit Jahren immer wieder ein Thema in der deutschen Gesundheitsversorgung. Die Physiotherapie sehnt sich nach einer Auf-wertung des Berufsbildes, wobei viele Ärzte befürchten, dass eine ernstzuneh-mende Diagnose ohne eine ärztliche Unter-suchung übersehen werden könnte.

Schon seit mehr als zehn Jahren agieren Physiotherapeuten in Ländern wie den Vereinigten

Staaten, Australien, Neuseeland, Groß-britannien, Schweden, Finnland und den Niederlanden als „First-Contact-Practitioner“. Vorab wurden Ausbil-dung, Richtlinien und Studiengänge angepasst, um eine einheitliche Quali-tät zu gewährleisten.2

Ziel der direkten Zugänglichkeit ist das Reduzieren der Wartezeit, Kosten-reduktion im Gesundheitssystem und das Entlasten der Arztpraxen.

ScreeningNoch vor der physiotherapeutischen Untersuchung muss im DA ein Scree-ning stattfinden, um zu prüfen, ob Kon-traindikationen bestehen. Diese würden den Physiotherapeuten veranlassen, den Patienten zum Arzt zu schicken. Es

wird in den Niederlanden folgenderma-ßen definiert: „[…]ein Prozess, bei dem das Identifizieren eines Symptommus-ters, das auf die mögliche Anwesenheit einer Erkrankung hinweist, für die eine medizinische Expertise erwünscht beziehungsweise notwendig ist, im Vor-dergrund steht”.3

Die vier Schritte des Screenings:1. Anmeldung: Der Patient wird über

das Verfahren des DA aufgeklärt und die personenbezogenen Daten werden aufgenommen.

2. Inventarisierung der Bitte um Hilfe: Der Patient spricht eine kon-krete Bitte um Hilfe aus und das Anliegen wird festgelegt.

3. Screening von Red flags: Sowohl unspezifische (z. B. unerklärlicher Gewichtsverlust), als auch spezifi-sche Red flags (z. B. Reiterhosen-anästhesie) werden erfragt. Zur Bestätigung dieser gibt es Scree-ning-Tests (z. B. Slumb-Test).

4. Informieren & beraten: Nur wenn keine Red flags, ein regelgerechter Verlauf und ein klares Muster der Symptome zu erkennen sind, erwägt der Physiotherapeut die physiotherapeutische Behandlung. In jedem anderen Fall wird der Pati-ent an den Hausarzt verwiesen.3

Zahlen und FaktenVon 2011 bis 2017 untersuchten Nast et al. den Behandlungserfolg, die Kos-tenersparnis und die Zufriedenheit

von 630 Patienten. Die Kontrollgruppe erhielt den regelkonformen Ablauf, indem sie nach einer ärztlichen Unter-suchung mit einer Heilmittelverord-nung in die physiotherapeutische Pra-xis kamen. Die Modellgruppe wurde ohne ärzt liche Konsultation dem Phy-siotherapeuten vorgestellt, der im Rahmen des Heilmittelkataloges über Art, Dauer und Frequenz der Therapie entscheiden durfte. Nach Auswertung der Studien ergebnisse zeigte sich, dass kein signifikanter Unterschied in Zufriedenheit, Qualität und Kosten zwischen beiden Gruppen bestand.4

Beyerlein untersuchte 2010 mit 12 Fallbeispielen die Entscheidungsfähig-keit von 1022 Physiotherapeuten in Form eines Fragebogens. Der Physio-therapeut hatte den Auftrag, anhand der Beispiele zu entscheiden, ob sich der Patient erst beim Arzt vorstellen soll, eine Vorstellung beim Arzt begleitet von der physiotherapeutischen Behand-lung oder eine Behandlung auch ohne ärztliche Konsultation indiziert sei. Die Ergebnisse zeigten eine große Streuung in der Entscheidungsfähigkeit. Im Mit-telwert wurden die medizinisch-kriti-schen Fälle nur von 53,3 Prozent richtig beantwortet. Therapeuten mit Berufs-erfahrung und einer Fortbildung in Manueller oder orthopädischer Manuel-ler Therapie beantworteten die Fallbei-spiele signifikant besser als unerfahrene und nicht fortgebildete Physiothera-peuten. Zudem fühlten sich nur 61,8

Prozent der Therapeuten dafür gewapp-net, die direkte Zugänglichkeit mit dem momentanen Wissensstand im Alltag anzuwenden.2

Länder, die bereits mit dem DA arbeiten, sind Deutschland in der Aka-demisierung deutlich voraus. Zusätz-lich spielen Ausbildungsinhalte wie „Evidence Based Practice“ und „Diag-nose“ eine große Rolle, was in deut-schen Ausbildungsgängen nur verein-zelt vorkommt.5

Einführung in DeutschlandVorschläge, um den DA in Deutsch-land einführen zu können:1. Akademisierung, Fort- und Weiter-

bildungen verursachen neue Kos-ten. Entsprechend muss die Finan-zierung und die anschließende Honorierung dem Mehraufwand sowie der steigenden Verantwor-tung angepasst werden.

2. Es muss eine Differenzierung zwi-schen Therapeuten mit und ohne

Zertifikat zur Durchführung des DA stattfinden. Nur so ist der Aus-schluss von Red flags und das Erkennen eines unregelmäßigen Symptomverlaufes gesichert.

3. Die Haftungsfrage im Falle einer Fehlbehandlung oder einer nichtzu-treffenden Diagnose muss geklärt werden.6

Literatur:1. Zalpour C. Springer Lexikon Physiothera-

pie. Berlin/Heidelberg: Springer; 2010.2. Beyerlein C. Direktzugang in der Physio-

therapie – Wie entscheiden sich Physio-therapeuten im Management ihrer Pati-enten? Ulm: Diss. Universität Ulm 2010.

3. Ummels R Direkte Zugänglichkeit, was bedeutet das für den Beruf des Physio-therapeuten?. Z f Physiotherapeuten 2006;58:2–4.

4. Nast I, Scheermesser M, Wirz M, Schä-mann A. Ergebnisbericht der ZHAW nach § 65 SGB V zum Modellvorhaben Phy-siotherapie gemäß § 63 Abs. 3b SGB V. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften; Institut für Physiothera-pie, Forschung und Entwicklung. 2018.

5. Weeber SJ 2017. Der physiotherapeutische Direktzugang in Deutschland. Wiesba-den: Springer Verlag; 2017.

6. Buba A. Direktzugang im internationalen Vergleich: Therapeuten können noch nicht diagnostizieren. Praxisführung pro-fessionell 2017;6:8–11.

( Autor: Tom Bäsch, Physiotherapeut B. Sc.(NL) PhysioMed am DRK Schmerz-Zentrum Mainz GmbH, Auf der Steig 16, 55131 Mainz E-Mail: [email protected]

Stammzelltherapie und BandscheibendegenerationKann man die Bandscheibe erneuern? – Regenerative Therapien zeigen ermutigende Ergebnisse

HALLE Degenerative Bandscheiben-erkrankungen sind eine unvermeidliche Konsequenz des Alterungsprozesses von Menschen. Häufig bedingen degenerative Bandscheibenerkrankungen Rücken-schmerzen. Global wird eine Jahrespräva-lenz der lumbalen degenerativen Band-scheibenerkrankungen von fast vier Prozent der Weltbevölkerung vermutet und der Rückenschmerz ist bei Patienten unter 45 Jahren die häufigste Ursache für eine Krankschreibung. In 90 Prozent der Fälle ist eine kombinierte Physio- und medikamen-töse Therapie wirkungsvoll. Lange Zeit war die Behandlung der Bandscheibendegene-ration mit dem Ziel der suffizienten symp-tomatischen Schmerzreduktion auf eine Symptomtherapie des Degenerationspro-zesses beschränkt, ohne die zugrundelie-gende Pathologie der multifaktoriellen Erkrankung zu berücksichtigen. Moderne Therapie ansätze befassen sich über die Akut therapie hinaus mit der zugrundelie-genden Pathogenese und damit regenera-tiven Methoden und Streben nach langfris-tigen Präventions- oder Heilungserfolgen.

Bei fortschreitender Degenera tion der Bandscheibe kommt es beginnend mit einer reversiblen

Ödematisierung der Deckplatten zu dem irreversiblen Verlaufs stadium der Ver-fettung und Sklerosierung. Eine klini-sche Korrelation zwischen Schmerzen und zunehmender Degeneration des

Bewegungssegmentes wurde nachge-wiesen. Bislang liegt keine Therapie-form vor, die es ermöglicht, die Funk-tion der Bandscheibe wiederherzustellen und damit eine langfristige symptoma-tische Degeneration des Bewegungs-segmentes zu ermöglichen. Konserva-tive Therapieansätze wie Ruhe, Schonung, manuelle oder manipulative Thera pien, pharmakologische Substan-zen und Änderung des Lebensstils haben bislang keine suffiziente, effek-tive Wirkung auf die Bandscheibende-generation bewiesen. Beim Versagen dieser benannten therapeutischen Ansätze wurden chirurgische Verfahren durchgeführt, um die Schmerzen zu beherrschen und die Einschränkungen des Patienten zu minimieren. Hierbei finden sich die spinale Fusion (Artho-dese), die Bandscheiben- oder Seques-terentfernung und schlussendlich auch der totale Bandscheibenersatz mit einer Endoprothese. Alle diese Verfahren sind mit deutlichen Risikofaktoren behaftet und können auch die Degenerations-kaskade – welche normalerweise im pathologischen Level startet – auf die angrenzenden Bewegungssegmente nicht nur nicht verhindern, sondern auch beschleunigen. Der lumbale Band-scheibenersatz hat dabei Komplika-tionsraten von bis zu 26 Prozent.

Insgesamt zeigen regenerative The-rapien, die diese Probleme umgehen

erste ermutigende Ergebnisse. So finden sich in ersten klinischen Studien der Phase 2a bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen durch degenerative Veränderungen des Bewegungssegmen-tes – Degenerative Disc Disease (DDD) – Verbesserungen des Funktionsindexes von 65 Prozent auf 78 Prozent, ein Jahr nach intradiscaler Gabe von autologen Knochenmarkstammzellen (bone mar-row mesenchymal stromal/stem cells). Erste Ergebnisse von Orozco et al. und Partnern der RESPINE-Studie zeigten in einem ersten therapeutischen Ansatz in einer Pilotstudie mit zwölf Patienten eine deutliche Verbesserung des Band-scheibenknorpelsignals in der T2-Rela-xation bei der kernspintomographi-schen Kontrolluntersuchung.1

In einem zweiten Schritt wurde eine einseits verblindete placebokontrollierte Phase-II-Studie bei 24 Patienten durch-geführt, bei der allogene Knochen-marksstammzellen bei DDD und spezi-fischem Rückenschmerz angewendet wurden. Diese Studie bewies die Sicher-heit und Durchführbarkeit der Methode. Der VAS-Score (Visuelle Analogskala) und der Oswestry Disability Index (ODI) waren um 50 Prozent nach sechs Mona-ten reduziert, während die Kontroll-gruppe die eine Sham-Intervention bekam, keinen signifikanten Benefit davon trug.2 Im Rahmen einer ähn-lichen US-Studie, bei der 100 Patienten

mit chronischem mittelstarkem bis schwerem Rückenschmerz hervorgeru-fen durch DDD ebenso behandelt wur-den, zeigten 69 Prozent der zellbehan-delten Gruppe eine 50-prozentige Reduktion der Schmerzen nach einem Jahr. Die Kontrollgruppe wies bei einer Kochsalzinjektion in die Bandscheibe einen vergleichbaren Wert von 31 Pro-zent Verbesserung auf. Es zeigten sich insgesamt bei dieser großen Patienten-gruppe kein stabiler Langzeiteffekt und keine Veränderung der MR-Analyse.3

Zusammenfassend lässt sich vermu-ten, dass mesenchymale Stammzellen eine vielversprechend antinflammatori-sche Wirkung erzielen können, aber nur randomisierte kontrollierte Studien kön-nen eine Vergleichbarkeit mit dem jetzi-gen Standard of care erzielen, womit auch getestet werden kann, ob diese Methoden eine Alternative zur spinalen Fusion oder dem Bandscheibenersatz

darstellen. Vorteile einer solchen Behandlung liegen in dem Erhalt der anatomischen Umgebungsstrukturen des Bewegungssegmentes und der mög-lichen Reduktion des Adjacent level disease. Das EU-finanzierte RESPINE-Projekt versucht die Translation dieser innovativen Therapie in die klinische Anwendung und die nachhaltige – für mindestens 24 Monate – Verbesserung der Lebensqualität und Schmerzsituati-on der DDD-Patienten zu erzielen.4 W

Literatur1. Oroczco L, Soler R, Morer C et al. Interver-

tebral disc repair by autologous mesen-chymal bone marrow cells: A Pilot Study. Transplantation 2011;92:822–828.

2. Noriega DC, Ardura F, Hernandez-Ramajo R et al. Intervertebral disc repair by allo-geneic mesenchymal bone marrow cells: a randomized controlled trial. Transplantati-on August 2017;101(8):1945–19513.

3. asx announcement – www.mesoblast.com4. Clinical Study Protocol RESPINE. A phase

2/3 prospective, multicentre randomized, double-blind trial, comparing intra-discal allogenic adult BM-MSC therapy and sham-treated controls in subjects with chronic low back pain due to lumbar degenerative disc disease (DDD) unrespon-sive to conventional therapy. (EudraCT Number: 2017-002092-25)

( Autor: Prof. h.c. Dr. med. Hans Jörg Meisel Klinik für Neurochirurgie BG Klinikum Bergmannstrost Merseburger Str. 165, 06112 Halle E-Mail: [email protected]

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ReportPSORIASIS-ARTHRITIS

Frühzeitig erkennen und behandeln

ANKYLOSIERENDE SPONDYLITIS

Irreversible Wirbelsäulenschäden verhindern

Leidet ein Patient mit Gelenk­beschwerden zusätzlich an schuppi­gen Hautläsionen und/oder Nagel­symptomen, liegt der Verdacht auf eine Psoriasis­Arthritis nahe. Nach Diagnose in der orthopädischen Pra­xis kann die Erkrankung mit nicht steroidalen Antirheumatika behan­delt werden – und wenn dies nicht genügt, mit krankheitsmodifizieren­den Medikamenten einschließlich Biologika. Hilfreich ist die Koopera­tion mit einem Rheumatologen und Dermatologen.

Rund 200.000 Menschen in Deutsch-land sind von Psoriasis-Arthritis (PsA) betroffen. Diese chronisch-entzündli-che Erkrankung wird meist im Alter von 35 bis 55 Jahren diagnostiziert, obwohl erste Symptome – rückbli-ckend betrachtet – schon viel früher aufgetreten sind. Sie ist durch einen schubförmigen Verlauf gekennzeich-net.1,2

Die Symptome der PsA sind außeror-dentlich vielfältig, dazu gehören vor allem:• Gelenkschmerzen und -steifheit• Schwellungen einzelner Finger und

Zehen (Daktylitis)• schmerzhafte Entzündungen und

Schwellungen der Sehnenansätze (Enthesitis)

• irreversible Gelenkschäden

• in der Regel bestehen psoriatische Plaques an der Haut1,3,4 (Abb. 1).Die Entzündungsreaktionen an den

Gelenken sind oftmals sehr schmerz-haft und können einerseits zu Kno-chenerosionen, andererseits aber

auch zum Knochenaufbau mit nach-folgender Versteifung führen.

Wegweiser zur Diagnose: Haut-, manchmal auch NagelbeteiligungDie Diagnose der PsA ist oftmals sehr herausfordernd. Ein wichtiger Hinweis auf das Vorliegen der PsA ist das Auftreten der typischen Psoriasislä-sionen auf der Haut: Sind Haut und Gelenke betroffen, spricht dies für eine PsA.

Dies gilt sowohl bei PsA-Patienten mit Gelenksymptomen „nur“ in der Peripherie, etwa an den Händen, als auch bei PsA-Patienten mit axialen Beschwerden, also Symptomen an der Wirbelsäule. Bei Patienten mit

entzündlichem Rückenschmerz sind die zusätzlich vorhandenen Hautläsio-nen überhaupt das wichtigste Unter-scheidungsmerkmal, das für eine PsA und gegen eine Ankylosierende Spon-dylitis (AS, Morbus Bechterew) spricht.

Ein weiterer wichtiger Hinweis auf eine PsA ist das Vorliegen einer Nagelpsoriasis, sichtbar durch gelbe Flecken („Ölnägel“), durch „Tüpfel-nägel“, subun guale Hyperkeratosen,

Splitterblu tungen unter den Nägeln und Onycholyse. Patienten, die im Rahmen ihrer Schuppenflechte auch Nagelsymptome aufweisen, haben ein zusätzlich erhöhtes Risiko, neben den dermatologischen Beschwerden auch eine PsA zu entwickeln.5

Um die Diagnose PsA zu erhärten, kann die Bildgebung hilfreich sein: Im Röntgen lassen sich die typischen Erosionen an den peripheren Gelen-ken nachweisen, die Magnet-resonanztomographie (MRT) zeigt entzündliche Läsionen an der Wirbel-säule.

Therapie direkt beginnenHat der Orthopäde die PsA diagnos-tiziert, kann er unmittelbar die Behandlung mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) beginnen. Reichen diese für die effektive Symp-tomkontrolle nicht aus, kommen krankheitsmodifizierende Medika-mente (disease modifying antirheu-matic drugs, DMARDs) wie Methotre-xat (MTX) oder Leflunomid zum Einsatz.

Wenn die PsA auch mit konventio-nellen DMARDs (cDMARDs) nicht unter Kontrolle zu bringen ist, so sind Biologika angezeigt, beispielsweise Interleukin(IL)-17A-Inhibitoren. Sie greifen direkt in die entzündlichen Pathomechanismen der PsA ein und

können somit unmittelbaren Einfluss auf das Krankheitsgeschehen neh-men.

Die Verordnung kann durch den Orthopäden oder durch einen koope-rierenden Rheumatologen erfolgen. Zur Behandlung der schuppenden, oftmals stark juckenden und stigmati-sierenden Hautläsionen und gegebe-nenfalls der Nagelsymptome sollte außerdem ein Dermatologe einbezo-gen werden.

Secukinumab bei Psoriasis- ArthritisAls erster IL-17A-Inhibitor wurde Secukinumab (Cosentyx®) schon Ende 2015 als Monotherapie oder in Kombination mit MTX für die Behandlung erwachsener Patien-ten mit aktiver PsA zugelassen, wenn das Ansprechen auf eine vor-hergehende Therapie mit konven-tionellen DMARDs unzureichend gewesen ist.6

Grundlage der Zulassung waren umfangreiche klinische Studien. Sie zeigten neben Verbesserungen des Hautbefundes auch deutliche positive Effekt von Secukinumab auf die Symptome an den Nägeln, Gelenken und Sehnenansätzen der Patienten.7,8

Auch bei Ankylosierender Spondyli­tis sind Biologika nach Versagen der Primärtherapien wie nicht steroida­len Antirheumatika (NSAR) zugelas­sen. Ob die NSAR wirken, sollte eng­maschig schon nach wenigen Wochen überprüft werden. Denn eine frühe, effektive Behandlung, etwa mit einem IL­17A­Inhibitor, kann Einknöcherungen an der Wir­belsäule der Patienten aufhalten.

Jeder fünfte Patient mit Ankylosieren-der Spondylitis (AS, Morbus Bechte-rew) weist schon zwei Jahre nach Erkrankungsbeginn irreversible Ein-knöcherungen an der Wirbelsäule auf; Grund ist die dauerhafte chronische Entzündung.9–11 Die durchschnittliche Zeit bis zur korrekten Diagnose der AS beträgt jedoch fünf bis acht Jahre.12 (Abb. 2)

Charakteristisch: Junger Patient, tief sitzender Rückenschmerz, vor allem nachtsMehrere Warnzeichen sind weg-weisend für eine AS und sollten bei Verdacht frühzeitig für die Diagnose-stellung berücksichtigt werden. Dazu gehören:• schleichend beginnender entzündli-

cher Rückenschmerz seit mindes-tens drei Monaten

• tiefsitzend, von den Iliosakralgelen-ken (SI-Gelenken) ausgehend

• häufig: Gesäßschmerz auf wech-selnden Seiten

• Schmerz ist am stärksten in der Nacht und am Morgen

• Patient wacht in der zweiten Nacht-hälfte wegen der Schmerzen auf

• ausgeprägte Morgensteifigkeit von mehr als 30 Minuten

• Besserung des Schmerzes unter Bewegung

• Patient ist unter 45 Jahre alt12

Meist beginnt die Erkrankung zwi-

schen dem 20. bis 40. Lebensjahr; sie kann aber auch noch früher auftreten. Gerade bei jüngeren Patienten mit tief-sitzendem Rückenschmerz sollte der Orthopäde daher an eine AS denken.12

Wird die Erkrankung nicht frühzeitig behandelt, entwickeln sieben von zehn Patienten schließlich Einknöcherungen

am Achsenskelett (Syndesmophyten). Diese führen oftmals zu erheblichen Einschränkungen der Mobilität und der Alltagsfertigkeiten.13–15

NSAR-Therapie nach zwei bis vier Wochen auf Effektivität überprüfenBasistherapie bei AS sind Kranken-gymnastik oder eine spezielle Wirbel-säulengymnastik, weitere physiothera-

peutische Maßnahmen sowie die Behandlung von Schmerz und Entzün-dung mit NSAR. Laut der aktuellen deutschen S3-Leitlinie sollte die Wirk-samkeit der NSAR-Therapie nach zwei bis vier Wochen überprüft werden: Wenn der Effekt dann noch auf sich warten lässt, sollte ein weiteres NSAR

für zwei bis vier Wochen versucht wer-den.

Genügt auch dies nicht, sollte der nächste Therapieschritt eingeleitet wer-den: eine Behandlung mit einem Biolo-gikum, beispielsweise einem IL-17A-In-hibitor.16 Diese Therapie kann der Orthopäde selbst oder auch ein koope-rierender Rheumatologe veranlassen.

Secukinumab bei Ankylosierender SpondylitisSpricht ein AS-Patient auf eine konventionelle Therapie nicht aus-reichend an, so ist der IL-17A-Inhi-bitor Secukinumab (Cosentyx®) eine wirksame und verträgliche Alternative. Secukinumab hemmt die inflammatorische Krankheits-aktivität durch Unterbrechung der Signalkaskade an zentraler Stelle und wirkt somit effektiv gegen die chronische Entzündung.

Secukinumab verbessert nach-haltig die Symptome und die kör-perliche Funktion sowie die Lebens-qualität der AS-Patienten. In Studien wurde außerdem gezeigt, dass der IL-17A-Inhibitor in der Lage ist, die Bildung von Einknöcherungen an der Wirbelsäule aufzuhalten.6,17

Literatur:1. Boehncke WH et al. Dtsch Arztebl

2006;103(21):A-1455/B-1242/C-1193.2. HRI & Elsevier HA. Analyse der Versorgung

von Versicherten mit Psoriasis – eine retros-pektive Beobachtungsstudie auf Basis von

GKV-Routinedaten (Ergebnistabellen). 2013.3. Medscape Reference website „Epidemiolo-

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6. Fachinformation Cosentyx®. Aktueller Stand.

7. Coates LC et al. Arthritis Rheumatol 2018; 70(Suppl10).

8. Mease PJ et al. Arthritis Rheumatol 2018; 70(Suppl10).

9. Kiltz U et al. Z Rheumatol 2014;73(Suppl 2):49–65.

10. Rudwaleit M, Sieper J. Z Rheumatol 2004;63:193–202.

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17. Molnar C et al. Ann Rheum Dis 2018;77:63–66.

Bericht: Simone Reisdorf, Erfurt Mit freundlicher Unterstützung der Novartis Pharma, Nürnberg.

Abb. 1: Symptomcluster bei Psoriasis-Arthritis (mod. nach [1], [3] und [4]).

Abb. 2: Die Diagnose der Ankylosierenden Spondylitis erfolgt in der Regel erst mehrere Jahre nach Symptombeginn (mod. nach [12]).

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 REPORT | 15

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201916 | SPECIAL | RÜCKEN/WIRBELSÄULE

Lumbale BandscheibenvorfälleKann künstliche Intelligenz das Therapieergebnis vorhersagen?

AUGSBURG/ERLANGEN Die Vorhersa-ge der Entwicklung von Beschwerden nach Bandscheibenvorfällen ist schwie-rig und bislang nicht von objektiven Daten belegt. Diese werden aber zur Ent-scheidung für oder gegen eine OP ver-wendet. Damit ist die Entscheidung vor allem von subjektiven Erfahrungen des behandelnden Arztes geprägt. Wir haben die Rolle künstlicher Intelligenz als Hilfs-mittel untersucht, um die Entscheidung über Behandlungsoptionen bei lumbalen Bandscheibenvorfällen zu unterstützen.

H ierzu wurden in einem trans-lationalen Ansatz des Wirbel-säulenzentrums der Hessing

Stiftung in Augsburg mit dem Bereich Deep-Learning-Morphology des Insti-tuts für Neuropathologie der Universi-tätsklinik Erlangen die Daten von 60 Patienten mit lumbalen Bandschei-benvorfällen einer fortlaufenden, prospek tiven Beobachtungsstudie ver-wendet. Mit diesen Datensätzen wurde eine Künstliche-Intelligenz-Software entwickelt und trainiert, um das ope-rative und konservative Therapie-ergebnis bei diesem Krankheitsbild vorherzusagen.

Methoden und MaterialEs wurden für jeden Patienten die Basisdaten, der SF-36, der ODI und der HADS-Score zum Behandlungs-beginn erhoben. Sechs Monate später wurde der ODI-Score erneut bestimmt. Diese Daten der 60 Patienten wurden in einem Tabellendatenformat, einer

sogenannten csv-Datei gespeichert und mittels einer Auslesesoftware in der Programmiersprache Python (pan-das v.0.23.1; python 3.6.7) für weitere softwarebasierte Auswertungen auf-bereitet. Zur deskriptiven statistischen

Auswertung wurden Korrelationsmat-rizen (matplotlib v.2.1.2 und seaborn v.0.8.1) und Dichteverteilungen dar-gestellt, Histogramme erstellt und grundlegende statistische Operationen durchgeführt.

Um das Training eines neuronalen Netzwerkes zu ermöglichen, wurde zunächst der „ODI-Score sechs Mona-te nach Behandlungsbeginn“ als Vor-hersagewert definiert. Das neuronale Netz sollte lernen, diesen Wert für den jeweiligen betreffenden Patienten kor-rekt vorherzusagen. Dieser Prozess wird als „machine learning“ bezeich-net und stellte somit ein lineares Regressionsproblem dar. Da die Anzahl der Patienten im Datensatz recht klein im Verhältnis zu den jeweils erhobenen Parametern war (26 pro Patient), musste zunächst eine

Parameterreduktion durchgeführt werden. Hierdurch konnten die Para-meter der csv-Datei unter Verwen-dung spezialisierter Software (Fea-ture-Selektor v.1.0.0.0) nahezu halbiert werden. Nun konnte der

Datensatz, wie bei solchen Fragestel-lungen üblich, in einen Test- und Trai-ningsdatensatz aufgeteilt werden. Es wurde darauf geachtet, dass in den entstandenen Kohorten eine gleich-artige Verteilung der Daten herrschte. Dies wurde durch eine stratifizierte Verteilung der Daten (scikit-learn v.0.21.2) gewährleistet. So entstand ein Trainingsdatensatz von 54 und ein Testdatensatz von sechs Patienten.

Es wurden nun kategorische Variab len anhand der verbliebenen Parameter identifiziert. Diese waren das Geschlecht des Patienten und die Behandlungsart. Die Verwendung die-ser Parameter als kategorische Variab-len ließen die Implementierung in sogenannte Embeddinglayer in einem neuronalen Netz zu. Der Vorteil besteht darin, dass diese Kategorien in

lernfähige Parameter umgewandelt werden können. Die restlichen Para-meter wurden als kontinuierliche Variablen als separate tabellarische Werte behandelt. Es erfolgte eine getrennte Einspeisung der kontinuier-lichen und kategorischen Variablen in das neuronale Netz. Insgesamt hatte das verwendete Modell nun zwei kate-gorische Eingabeknotenpunkte, die über einen Embeddinglayer verarbei-tet wurden, und einen Eingang für die restlichen kontinuierlichen Variablen. Alle Eingänge wurden anschließend miteinander verbunden und durch zwei tiefere Schichten mit gleich-gerichteten linearen Aktivierungs-funktionen und einem nachfolgenden linearen Ausgang nach der letzten Ebene geführt. Zur Modellierung der Netzwerkarchitektur und Durchfüh-rung des Netzwerktrainings („machine learning“) wurden das Keras-Frame-work (v.2.2.4) mit Tensorflow-Backend (v.1.12.0) verwendet.

ErgebnisseAlle Modellauswertungen wurden in einer zehnfachen Kreuzvalidierung durchgeführt. Der mittlere absolute Fehler in der Kreuzvalidierung lag bei 7,7 Prozent für den Testdatensatz. Unser am besten abschneidendes Model lag mit einem mittleren absolu-ten Fehler bei 2,5 Prozent. Es konnte erreicht werden, dass die maximale Differenz zwischen vorhergesagtem und realem ODI-Score nur neun Pro-zent betrug. Wenn der ODI (mit einem

Prozentwert von 0 bis 100) in 15-Pro-zent-Teilbereiche unterteilt wurde, konnte aus den Daten eines Patienten bei Behandlungsbeginn eine zu 100 Prozent genaue Vorhersage des richti-gen Prozentbereichs zum Sechs- Monats-Zeitpunkt erreicht werden.

DiskussionNach unserem Kenntnisstand ist dies die erste Studie, die zeigt, dass künstliche Intelligenz erfolgreich angewendet werden kann, um das Behandlungsergebnis von Patienten vorherzusagen. Die Patientenzahl, mit dem unser Modell trainiert wurde, ist noch zu gering und weitere Patienten-daten werden fortlaufend einbezogen, um die Ergebnisse der Vorhersagen weiter zu verbessern. Dennoch zeigt dieses Modell eine gute Konvergenz und überraschend gute prädiktive Aussagekraft und kann daher als Grundlage für weitere KI-Entwicklun-gen dienen. W

( Autoren: Dr. med. André Wirries1 PD Dr. med. Samir Jabari2 Dr. med. Ahmed Hammad1 Prof. Dr. med. Florian Geiger1 Prof. Dr. med. Ingmar Blümcke2 1. Hessing Stifung, Wirbelsäulenzentrum Orthopädische Fachkliniken Hessingstr. 17, 86199 Augsburg E-Mail: [email protected] 2. Deep Learning Morphology DLM-Institute of Neuropathology, University Hospital Erlangen, FAU Erlangen-Nürnberg Schwabachanlage, 91054 Erlangen

DWG-Kongress: „Wandel in die Zukunft“Künstliche Intelligenzen, „Big Data“ und Roboterassistenzen in Diagnostik und Therapie von Wirbelsäulenerkrankungen

MÜNCHEN „Wandel in die Zukunft“ – mit dem Motto der 14. Jahrestagung der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft e. V. vom 28. bis zum 30. November in Mün-chen setzt Kongresspräsident Prof. Bernhard Meyer andere Schwerpunkte als üblich. Im Interview gibt er einen ers-ten Einblick in die spannenden und viel-fältigen Themen, in Schwerpunkte und Highlights der Tagung.

Mit Blick auf das neue Jahrzehnt haben Sie bewusst neue Akzente und etwas andere Schwerpunkte als üblich. Welche grundlegenden Neuerungen sind im Hin-blick auf Diagnostik und Therapie von Wir-belsäulenerkrankungen durch Digitalisie-rung, „Big Data“ und künstliche Intelligenz zu erwarten?Meyer: Ich bin überzeugt, dass bereits in fünf Jahren KI ein fester Bestandteil in der Routinediagnostik sein wird, in

erster Linie in der apparativen Diag-nostik wie Radiologie et cetera. Wir werden aber auch den Einzug in die klinische Routine-Diagnostik sehen, um dort dann Therapieentscheidun-gen zu optimieren. Wir werden den Nachweis erleben – in der Radiologie gibt es das zum Teil bereits – dass dies der rein „menschlich-ärztlichen“ Beurteilung überlegen ist. Die Ent-wicklung wird bei den häufigen und weniger kritischen Krankheitsbildern beginnen und dann auf die schweren und seltenen übergehen.

Ich bin überzeugt, dass bereits in fünf Jahren KI ein fester Bestandteil in der Routinediagnostik sein wird.

Was bedeutet es für die Wirbelsäulen-chirurgie, wenn zunehmend robotische Assistenzen Teile der Operationen beglei-ten? In welchen Bereichen bieten sie Vor-teile und werden schon angewendet?Meyer: Die Robotik im OP-Saal ist ja nicht ganz neu. Wie bei manchen Technologien bedarf es aber oft zwei-

er Anläufe. Dies beobachten wir gera-de. Hier müssen aber die Erwartun-gen gedämpft werden, was die Geschwindigkeit der Entwicklung angeht – im Gegensatz zu der Ent-wicklung in KI und Diagnostik. Dies liegt sowohl an technischen Hürden als auch an den extrem hoch anzu-setzenden Sicherheitsstandards. Die momentan bereits auf dem Markt befindlichen Robotiksysteme sind im Prinzip mehrheitlich etwas bessere Navigationssysteme zur Implantation

von Schrauben in der Wirbelsäule. Ihr Vorteil gegenüber „normalen“ Navigationssystemen ist momentan noch relativ marginal und der Mehr-preis für die Routineanwendung meist nicht ganz gerechtfertigt. Den-noch ist es unerlässlich, hiermit in der klinischen Forschung die Grenzen weiter zu verschieben. Dies wird wie so oft in der Medizin in kleinen inkre-mentellen Schritten erfolgen. Erst etwa nach zehn bis 20 Jahren wird man meines Erachtens im Rückblick zu heute einen klaren Vorteil erken-nen können, der den Routineeinsatz rechtfertigt.

In meiner Amtszeit strebe ich an an, den Anstoß zu geben für eine Zusatz-weiterbildung „spezielle Wirbelsäulen-chirurgie“, die fest in den Mutterfächern – Neuro-chirurgie und Orthopädie/Unfall chirurgie – verankert ist.

Komplikations- und Qualitätsmanage-ment ist ein weiterer Themenschwer-punkt. Wie wird die aktuelle Diskussion aufgegriffen? Welche Rolle spielen dabei das Weiterbildungscurriculum für die Wir-belsäulenchirurgie und die fortlaufende Zertifizierung von Wirbelsäulenzentren?Meyer: Das Ziel der DWG war von Anfang an, über ein strukturiertes per-sönliches Zertifizierungsprogramm in Verbindung mit einer institutionellen Zertifizierung – das heißt von Wirbel-säulenzentren in Kliniken – die Versor-gung von Patienten mit Wirbelsäu-lenerkrankungen deutschlandweit qualitativ zu verbessern und regionale ebenso wie fachspezifische (Orthopädie oder Neurochirurgie) Unterschiede „auszubügeln“. Dies ist in den letzten zehn Jahren hervorragend gelungen, was auch der unverminderte Andrang zur Zertifizierung belegt. Auch haben sich inzwischen die Weiterbildungs-curricula europaweit angeglichen, wobei die DWG die treibende Kraft war. Nachdem dies nun erreicht ist, strebe ich in meiner Amtszeit an, den Anstoß zu geben für eine Zusatzweiterbildung „spezielle Wirbelsäulenchirurgie“, die fest in den Mutterfächern (Neurochir-urgie und Orthopädie/Unfallchirurgie) verankert ist. Wir würden somit die Weiterbildung im Fach Wirbelsäulen-

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RÜCKEN/WIRBELSÄULE | SPECIAL | 17ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019

chirurgie, deren Grundlage das erprob-te Curriculum wäre, wieder zurückge-ben an die Mutterfächer, was eine noch stärkere Verbesserung der Ausbildung und somit der Versorgung unserer Pati-enten zur Folge hätte. Es gibt zwar im Moment fachlich nicht begründete politische Widerstände, aber ich bin mir sicher, dass die Initiative nicht auf-zuhalten sein wird.

Die Mengenausdehnung der operativen Eingriffe im Bereich der degenerativen Erkrankungen der Wirbel-säule fordert immer wieder massive öffentlich Kritik heraus. Wir wollen beleuch-ten, ob und welche Eingriffe jetzt und in Zukunft indiziert sind und welche zu Recht kritisiert werden.

Das wissenschaftliche Programm ist wie-der besonders vielfältig – auf welche The-men sind Sie besonders gespannt?Meyer: Drei Themen werden in Pro-Contra-Sitzungen beleuchtet werden, die alle übergreifende, systemrelevan-te Inhalte haben. Die Versorgung von Patienten, die an Krebs leiden und Metastasen an der Wirbelsäule entwi-ckeln, hat aufgrund der verbesserten Therapiemöglichkeiten der Grund-erkrankung massiv zugenommen und erfordert ein Überdenken der bisheri-gen Strategien. Die Mengenausdeh-nung der operativen Eingriffe im Bereich der degenerativen Erkrankun-gen der Wirbelsäule fordert immer wieder massive öffentlich Kritik her-aus. Wir wollen beleuchten, ob und welche Eingriffe jetzt und in Zukunft indiziert sind und welche zu Recht kritisiert werden. Zuletzt soll noch ein

Thema aufgegriffen werden, das auch zunehmend Bedeutung gewinnt und in dem sich ebenfalls ein Strategie-wechsel andeutet, nämlich die Revisi-onseingriffe nach stabilisierenden Eingriffen an der Wirbelsäule.

Neben Unfallchirurgen, Orthopäden, Neu-rochirurgen und anderen interessierten Medizinern kommen auch viele Teilneh-mer aus anderen Berufsgruppen, etwa aus Physiotherapie und Pflege. Was bedeutet das für die interdisziplinäre Zusammenarbeit und welche Tagungs-schwerpunkte wurden dazu gesetzt?Meyer: Dies ist ja nun seit einiger Zeit Tradition und findet meine volle Unter-stützung. Man arbeitet ja auch im All-tag eng zusammen, sodass ein Aus-tausch und Begegnungen auf einem gemeinsamen Kongress nur folgerichtig erscheinen. Die prä- und postoperative Rehabilitation und ein Fokus auf Sport-ler sind Schwerpunkte der Physiothera-pietagung. Bei der Pflegetagung werden unter anderem intra- und postoperative Besonderheiten von Wirbelsäulenpati-enten diskutiert sowie zukünftige, auch politische Änderungen besprochen.

Der Datenpool des DWG-Wirbelsäulen-registers wächst stetik. Welche aktuellen Entwicklungen werden beim Kongress diskutiert?Meyer: Die DWG unternimmt im Moment große Anstrengungen, die Struktur des bisherigen Registers inhalt-lich zu optimieren und gleichzeitig den zukünftigen Anforderungen (z. B. gesetzlich verpflichtende Implantatre-gister) anzupassen. Die nunmehr ver-pflichtende Eingabe von Daten aller operierten Patienten in das bisherige Register für alle DWG-zertifizierten Wirbelsäulenzentren hat zu einem sehr hohen Anstieg an Daten eingaben geführt, womit zumindest ein mehr oder weniger repräsentatives Bild für Deutschland erzeugt werden kann. W

( Quelle: DWG

Traumatische HWS-InstabilitätenOccipitocervicale Fusion – Eine radiologische und neurologische Outcome-Analyse

MURNAU Die occipitocervicale Fusion (OCF) ist eine Möglichkeit der Stabilisierung von cervicalen Instabilitäten. Ziel der Studie ist es, das operative, radiologische und neurologische Outcome innerhalb eines Jahres zu untersuchen.

Als Hypothese wurde angenom-men, dass es durch die dorsale Instrumentierung und frühe

Dekompression zu einer neurologischen Verbesserung und einer anatomisch korrekten Aufrichtung der HWS kommt. Weiterhin wurde hypothetisiert, dass ältere Patienten (> 64 Jahre) ein schlech-teres Outcome haben.

Patienten und Methodik: Ein Ethik-votum wurde gemäß der Bayerischen Landesärztekammer nicht benötigt (Dateinummer: 2018-161).

Die Studie wurde retrospektiv anhand der Patienten von Januar 2007 bis September 2017 aufgenom-men. Erfasst wurden Unfallursache und Unfallzeitpunkt sowie Begleitver-letzungen und Details zur operativen Therapie. Diesbezüglich wurden die Operationszeit, Länge der Stabilisie-

rung, postoperative Kom-plikationen und die post-operative Zeit auf Intensivstation sowie Beat-mungspflichtigkeit erfasst (Tab. 1). Es wurden alle Patienten älter als 18 Jahre mit einer traumatischen Instabilität C0–C7 sowie komplettem CT-Follow-up eingeschlossen. Bei gleich-zeitig bestehender Rücken-markschädigung (SCI) musste ein kompletter Datensatz für ISNSCI und

SCIM III vorliegen. Zur Statistik wurde SPSS 19 genutzt. In Abhängigkeit von der Normalverteilung wurden ein Student‘s T-Test, Mann-Whitney-U, Wilcoxon, McNemar-Test und Chi-Quadrattest verwendet. Das Signifi-kanzniveau von p < 0,05 wurde festge-legt.

Ergebnisse: Es wurden insgesamt 45 Patienten eingeschlossen, 22 mit SCI (AIS A–D) und 23 ohne neurologische Ausfälle (AIS E). Das Durchschnittsalter bei Unfall betrug 56 Jahre.

Gemäß der EMSCI-Untersuchungs-intervalle kam es zu Verbesserungen in den „Motorscores“ während die Werte für Oberflächen- und Tiefensensibilität stagnierten. Bei Patienten über 64 Jahre kam es zu einer tendenziell höheren Schraubenlockerungsrate als in der Vergleichsgruppe. Neurologisch wurden im Vergleich der Altersgruppen keine Unterschiede beobachtet (Abb. 1).

Die postoperative Weite des Spinal-kanals wurde signifikant verbessert (p = 0,049). Das Alignment der Wirbel-körperhinterwand und der Facetten-gelenke zeigten eine signifikante Ver-

besserung (Position Facettengelenkes: p = 0,021, Alignment: p = 0,01).

Schlussfolgerung: Die neurologi-schen Ausfälle konnten durch die frühe Laminektomie und dorsale Stabilisie-rung verringert werden und eine anato-mische Reposition konnte durch die OCF erzielt werden. W

( Autoren: PD (PMU-Salzburg) Dr. Florian Högel, Vivian Grünherz, Dr. med. Jan Vastmans, Dr. med. Matthias Vogel, Dr. med. Doris Maier Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau, Unfallchirurgie Abt. f. Rückenmarkverletzte Prof.-Küntscher-Str. 8, 82414 Murnau E-Mail: [email protected]

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Tab. 1: Postoperative Daten.

Florian Högel

N Minimum Maximum MW Standardabweichung

Operationsdauer 45 01:14 05:50 02:47:46 01:06:08,96

Tage Intensivstation AIS A – D AIS E

45 22 23

1 5 1

39 39 36

12,02 15,08 9,04

10,99 9,67 11,3

Beatmungdauer (Stunden) AIS A – D AIS E

45 22 23

0 0 0

1633 1633 1492

377,29 561,40 201,17

427,58 401,88 380,98

Dauer Klinikaufenthalt AIS A – D AIS E

45 22 23

7 42 7

276 276 141

89,33 150,55 30,78

76,76 61,13 29,77

Zeit bis Operation (Tage) 44 0 1608 61,34 252,99

Abb. 1: Neurologische Entwicklung in Abhängigkeit von Laminektomie ja/nein.

68. JAHRESTAGUNGder VereinigungSüddeutscher Orthopädenund Unfallchirurgen e.V.

KongresspräsidentenUniv.-Prof. Dr. med. Peter Biberthaler I MünchenUniv.-Prof. Dr. med. Rüdiger von Eisenhart-Rothe I München

www.vsou-kongress.de

2020

30. April – 2. Mai

BADEN-BADEN

2020

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201918 | SPECIAL | RÜCKEN/WIRBELSÄULE

Spezifischer KreuzschmerzIndikationen und Schnittstellen zwischen Rehabilitation, stationärer Komplextherapie und Operation

HERZOGENAURACH Die Nationale Ver-sorgungsleitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz enthält Ausführungen zu spezifischen Kreuzschmerzen, auf die „red flags“ als Warnzeichen hinweisen (Frakturen, Infektionen, Tumoren und Radikulopathien/Neuropathien). In Ergän-zung zu dieser Leitlinie wurde 2018 die S2k-Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz veröffentlicht, die nicht vital bedrohliche Kreuzschmerzen zum Inhalt hat (Tab. 1).

A ußerhalb von Notfallsituatio-nen wird bei spezifischen Erkrankungen der Wirbel-

säule immer die konservative Behand-lung im Vordergrund stehen.

Nicht operative Therapie – Vorrang ambulante BehandlungEntsprechend des Sozialgesetzbuches (§3 Absatz 1 Satz 2 SGB V) hat in Deutschland vorrangig eine ambu-lante Behandlung zu erfolgen, sofern das Behandlungsziel zweckmäßig und ohne Nachteil für den Patienten mit den Mitteln der ambulanten Versor-gung erreicht werden kann (Richtlinie G-BA zur Verordnung von Kranken-hausbehandlung vom 22.01.2015). Der im Jahr 2004 festgelegte Kriterien-Katalog (G-AEP-Kriterien) zur statio-nären Aufnahme ist bei der nicht ope-rativen stationären Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen nur bedingt geeignet. Daher wird diese Form der Therapie nicht selten zu Prüffällen für den MDK. Es ist zu einer

sorgfältigen Dokumentation der Vor-aussetzungen und Gründe zu raten, die eine stationäre Einweisung erfor-derlich machen.

Stationäre nicht operative Behandlung

In Deutschland wird die stationäre nicht operative Behandlung von Erkrankungen und Verletzungen im Wirbelsäulenbereich über die DRGs I68B, I68C, I68D und I68E abgerech-net. Die DRG I68D gehörte laut Desta-tis in 2016 mit 330.342 Fällen zu den fünf häufigsten Fallpauschalen. Inter-essanterweise fand entsprechend des Barmer GEK Reports Krankenhaus 2015 bei nahezu einem Drittel der sta-tionären Patienten mit Kreuzschmer-zen weder eine Operation noch eine spezifische Schmerztherapie statt, sondern überwiegend bildgebende Diagnostik.

Multimodale nicht operative stationäre Komplexbehandlung Die OPS 8-977 zur multimodal-nicht-operativen Komplexbehandlung des Bewegungssystems ermöglicht unter fachärztlicher Leitung eine interdiszi-plinäre Diagnostik und Behandlung von komplexen (multifaktoriellen) Erkrankungen des Bewegungssys-tems. An mindestens zwölf Tagen müssen neben dem definierten Ein-satz von diagnostischen Verfahren 30 aktive und passive Einzeltherapien erbracht werden. Die Anwendung der OPS kann ohne Zusatzqualifikation „Spezielle Schmerztherapie“ in Ortho-pädie und Unfallchirurgie erfolgen. In einem Begutachtungsleitfaden zur

Begutachtung des OPS-Komplexcodes 8-977 werden Kriterien an die Hand gegeben, die eine korrekte Erbrin-gung, Abrechnung und Überprüfung der Leistung sicherstellen sollen. Während im Jahr 2010 noch etwa 9000-mal diese Leistung der multi-modalen Komplexbehandlung des Bewegungssystems erbracht wurde,

waren es 2016 mit 15.200 fast 68 Pro-zent mehr.

Operative Behandlung

Für spezifische Kreuzschmerzen ist in Notfällen und beim Versagen der kon-servativen Therapie die Indikation zur Durchführung operativer Eingriffe zu überprüfen. Nicht operative und ope-rative Verfahren ergänzen sich in der Therapie im zeitlichen Ablauf.

Die Behandlung von Kreuzschmerz-patienten bedarf eines leitliniengerech-ten Algorithmus unter Berücksichti-gung konservativer Möglichkeiten und operativer Verfahren, in dem aber die Einbeziehung des Patienten im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfin-

dung zu betonen ist. Der Patient trifft letztendlich die Entscheidung zur Wahl des Therapieverfahrens.

Rehabilitation – Ambulant vor stationär

Rehabilitation kann kurz zusammen-gefasst als Management von Krank-

heits- und Verletzungsfolgen beschrie-ben werden. Erkrankungen führen zu Beeinträchtigungen der Körperfunk-tion, zu Einschränkungen von Aktivi-täten und damit zu Defiziten in der Teilhabe, das heißt der Teilnahme am sozialen Leben (Partizipation). Die bei-den bedeutsamsten Einschränkungen der Partizipation beziehen sich in der

Regel im erwerbsfähigen Alter auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (Kos-tenträger Rentenversicherung) und die Selbstversorgungsfähigkeit bei Men-schen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen (Kostenträger Gesetzliche Krankenkassen). Für die Einleitung einer Rehabilitation ist die genaue Darstellung der Auswirkung der Erkrankung oder einer Operation an der Wirbelsäule auf die Aktivitäten und die Partizipation von ganz beson-derer Bedeutung. Rehabilitation kann in Ergänzung zu einer konservativen ambulanten oder stationären Behand-lung als auch nach einer Operation eingeleitet werden (Grundsatz Sozial-gesetzbuch „Reha vor Rente“ und „Reha vor Pflege“).

Rehabilitationsleistungen werden sowohl ambulant als auch stationär erbracht. Die ambulante ganztägige Durchführung hat prinzipiell Vorrang vor stationären Verfahren. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Vorausset-zungen für eine ambulante Rehabili-tation gegeben sind (Tab. 2). W

( Autor: Prof. Dr. Bernd Kladny m&i-Fachklinik Herzogenaurach Orthopädie/Unfallchirurgie In der Reuth 1, 91074 Herzogenaurach, E-Mail: [email protected]

Tab. 2: Voraussetzungen für ambulante Rehabilitation

Abb. 1: Injektionstherapie. Klad

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Tab. 1: Krankheitsentitäten S2k-Leitlinie Spezifischer Kreuzschmerz

Bernd Kladny

• Lumbales Facettensyndrom/Spondylarthrose

• Discogenes Lumbalsyndrom bis Osteochon-drosis vertebralis

• Axiale Spondyloarthritis

• Morbus Baastrup

• Spinalkanalstenose

• Spondylolyse und Spondylolisthesis

• Myofasciale Dysfunktion

• Hypomobile segmentale Dysfunktion der LWS („Blockierung“)

• Rehabilitationsziel durch ambulante Rehabilitation erreichbar

• physisch und psychisch ausreichend belastbar

• erforderliche Mobilität und ausreichende Aktivitäten zur Selbstversorgung (ATL)

• zumutbare Fahrzeit (einfach 30–45 Minuten)

• Herausnahme aus sozialem Umfeld nicht notwendig

• hauswirtschaftliche Versorgung sicherge-stellt

• ständige ärztliche Überwachung und pflege-rische Versorgung nicht erforderlich

• hausärztliche Versorgung außerhalb der Rehabilitationszeiten sichergestellt

Abb. 3: Wiederherstellung von Aktivitäten.

Abb. 2: Information und Einbeziehung des Patienten.

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Real-World-Studie zur hochfrequenten Rückmarkstimulation mit mehr als 1.600 Patienten zeigt: RCT-Ergebnisse lassen sich in der täglichen Routine reproduzieren

Die Studienlage zur hochfre-quenten Rückenmarkstimulati-

on ist ausgezeichnet. Der Nachweis der Wirksamkeit ist in Senza-RCT (Randomized Controlled Trial, RCT) – der ersten, multizentri-schen, prospektiven, randomisier-ten, kontrollierten Pivotalstudie, in der verschiedene SCS-Systeme verglichen wurden – mit Evidenz-grad 1b erfolgt . 2015 wurden die Ergebnisse dieser bislang größ-ten RCT-Studie im Bereich SCS erstmals in Ausgabe 04/2015 der „Anesthesiology“1, dem Fach-magazin der American Society of Anesthesiologists, veröffentlicht.

Das Ergebnis: Die HF10-Therapie weist im Vergleich mit der her-kömmlichen SCS eine bessere Wirk-samkeit auf. Nach zwölf Monaten betrug die Linderung im Bereich der Beinschmerzen durchschnittlich 70 Prozent auf der VAS-Skala (im Vergleich zu 48 Prozent bei her-kömmlicher SCS-Therapie), bei den Rückenschmerzen lag die VAS-Ver-minderung bei 66 Prozent (ggü. 45 Prozent). Die 12-Monats-Responder-raten bei den hochfrequent behan-delten Probanden lagen sowohl bei

den Rücken- als auch bei den Bein-schmerzen bei knapp 80 Prozent.Senza-RCT wurde konzipiert und überwacht von der Food and Drug Administration (FDA, US-amerikani-sche Zulassungsbehörde). Sie erfüllt die härtesten Evidenzanforderungen und verglich zum ersten Mal direkt die Sicherheit und Wirksamkeit verschiedener SCS-Verfahren. Ein Teil der Patienten wurde mit nieder-frequenten Impulsen behandelt, die andere Patientengruppe erhielt eine proprietäre Hochfrequenzstimula-tion mit dem Senza-System, das mit einer Impulsfrequenz von 10 kHz arbeitet. Die Studie war darüber hin-aus die erste randomisierte SCS-Ver-gleichsstudie, an der Probanden mit Rücken- und Beinschmerzen teilnahmen und bei der zudem alle Teilnehmer über einen Zeitraum von zwölf Monaten begleitet und kontrolliert wurden.

Fortführung von Senza-RCT über 24 MonateDie bessere Wirksamkeit der HF10- Therapie gegenüber der nieder-frequenten SCS-Therapie bestätigte sich auch in der Fortführung von Senza-RCT über 24 Monate. Das

belegen die Daten, die im Septem-ber 2016 in der Zeitschrift „Neuro-surgery“2 als „Schmerzpublikation des Jahres“ veröffentlicht wurden. Die Überlegenheit der HF10-Thera-pie zeigt sich dabei durch weiterhin signifikant höhere Responderraten und eine signifikant bessere Wirk-samkeit, die unter anderem im Vergleich der Remitterraten und der VAS-Werte dokumentiert wurde. „Nicht immer lässt sich in der klinischen Routine reproduzieren, was in Studien nachgewiesen ist“, so Priv. Doz. Dr. Faycal El Majdoub, Oberarzt im Team der Sektion für Funktionelle Neurochirurgie und Stereotaxie der Kliniken Köln – und Mitautor einer Ende 2018 veröffent-lichten Real-World-Studie3 zu dieser Behandlungsmethode. „Speziell die guten Ergebnisse der Senza-RCT waren für uns der Ausgangspunkt dafür, kritisch zu überprüfen, wie sich die Wirksamkeit der hochfre-quenten Rückenmarkstimulation in der Klinik zeigt.“

Dafür wurde eine Real-World-Studie aufgesetzt, an der acht Kliniken teil-nahmen – fünf davon in den USA, zwei in Deutschland und eine in

Großbritannien. Alle Häuser hatten in den davorliegenden zwei Jahren jeweils mindestens 100 Implanta-tionen durchgeführt. Retrospektiv ausgewertet wurden insgesamt 1.660 Patienten, die im Zeitraum von April 2014 bis Januar 2018 eine HF10-Testphase durchlaufen haben. Von 1.603 Patienten lagen Ergebnis-se zur Testphase vor: 1.393 zählten dabei zu den Respondern (per Definition: > 50 Prozent Schmerz-linderung), das entspricht knapp 87 Prozent; sie erhielten anschließend einen dauerhaften Impulsgenera-tor implantiert. 84 Prozent der mit HF10-Therapie behandelten Patien-ten hatten sowohl Rücken- als auch Beinschmerzen. Evaluationen waren nach drei, sechs und zwölf Monaten vorgesehen. Da es sich um eine Real-World- Studie handelt, nahmen nicht alle Patienten an allen Kontrollen teil. Die zuletzt durchgeführte Kontrolle erfolgte durchschnittlich 8,9 Monate nach Implantation; von den dabei er fassten 1.131 Patienten zählten knapp 78 Prozent weiterhin zu den Respondern.

Fast drei Viertel der behandelten Patienten (72,3 Prozent) berichteten im Vergleich mit der Ausgangslage von begleitenden funktionellen Ver-besserungen, über zwei Drittel (68 Prozent) von besserem Schlaf und eine große Mehrheit (90,3 Prozent) von einer verbesserten allgemei-nen Lebensqualität. 32 Prozent der Patienten gaben bei der letzten Kontrolle an, dass sie ihre Schmerz-medikation reduzieren konnten. Somit konnten mit der Real-World- Studie die RCT-Daten bestätigt wer-den. Priv. Doz. Dr. Faycal El Majdoub bezeichnet die Real-World-Ergebnisse als hervorragend und kommentiert die Bedeutung dieser wirkungsvollen Therapie folgendermaßen: „Ange-sichts der Tatsache, wie häufig persis-tierende Schmerzen im Rücken und/oder in den Beinen vorkommen, dass es – Stichwort: Failed Back Surgery Syndrome – auch nach Wirbelsäulen-operationen nicht ungewöhnlich ist, wenn Schmerzen fortdauern oder wiederkehren, verdient eine Be-handlungsmöglichkeit, die diesen Patienten Linderung verschaffen kann, große Aufmerksamkeit.“

SYMPOSIUM BEIM DWG-KONGRESS 2019 Die Nevro Germany GmbH lädt anlässlich des 14. Deutschen Wirbelsäulen-kongresses 2019, der vom 28. bis 30. November in München stattfindet, zum Lunch symposium zur hochfrequenten Rückenmarkstimulation ein. Das Sym-posium findet am Freitag, 29. November 2019, in der Zeit von 13:00 bis 14:30 Uhr in Raum C118 statt. Unter dem Vorsitz von Priv. Doz. Dr. M. Maarouf (Köln) und Prof. Dr. G. Nikkhah (Stuttgart) beleuchten HF10-Experten folgende Fragen:

• Priv. Doz. Dr. E. Shiban (Augsburg): SCS als fester Bestandteil der

Wirbel säulenchirurgie: Wann OP, wann HF10 bei Rückenschmerzen?• Dr. G. Surges (Trier): HF10 im klinischen Alltag: Lassen sich die guten

Studienergebnisse im Routineeinsatz reproduzieren?• Priv. Doz. Dr. F. El Majdoub (Köln): Wie gehen wir mit LF SCS

Non-Respondern um: HF10 als Salvage Tool?

1  Kapural, L. et al.: Novel 10 kHz High Frequency Therapy (HF10 Therapy) is Superior to Traditional Low Frequency Spinal Cord Stimulation for the Treatment of Chronic Back and Leg Pain: The SENZA-RCT Randomized Controlled Trial, in: Anesthesiology (2015), V 123, Nr. 4.

2  Kapural, L. et al.: Comparison of 10-kHz High- Frequency and Traditional Low-Frequency Spinal Cord Stimulation for the Treatment of Chronic Back and Leg Pain: 24-Month Results From a Multicenter, Randomized, Controlled Pivotal Trial. In: Neurosurgery (Hrsg.): (2016), V 79, Nr. 5.

3  Strauss, T. et al.: A multicenter real-world review of 10 kHz SCS outcomes for treatment of chronic trunk and/or limb pain. In: Annals of Clinical and Translational Neurology: (2019), V 6, Nr. 3, S. 496-507.

100 %

Trial

80 %

86.9

60 %

40 %

20 %

0 %

Comparison of responder rates (±95% confidence interval) between this real-world study and the SENZA-RCT.

SENZA-RCT Back Pain

3 Months 6 Months 12 Months

74.6 73.8 76.480.9

77.6 78.7 78.784.3 83.1

92.8 92.8

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201920 | MEDIZIN UND FORSCHUNG

„Soll alles erlaubt sein, was geht?”Medizin im Spannungsfeld zwischen Technik und Ethik

Korrosion, Abrieb, MetallionienUpdate 2019

BERLIN [ja] Der Festvortrag von Nor-bert Lammert auf der Eröffnung des dies-jährigen DKOU beleuchtete das Span-nungsfeld zwischen technologischem Fortschritt in der Medizin und grundsätz-lichen ethischen Fragestellungen, etwa ob alles erlaubt sein soll, was möglich ist, wie die Politik regulierend eingreifen kann und wo die Grenzen der regulatori-schen Möglichkeiten liegen.

D ie Herausforderung an Medi-zin und Politik zwischen Technik und Ethik bewältigen

wir entweder gemeinsam – oder gar nicht“, appellierte Norbert Lammert (CDU), seit Januar 2018 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung und ehemaliger Bundestagspräsident, in seinem Festvortrag an die Zuhörer.

Technologische Innovati-onen finden ganz sicher statt. Die Frage ist: Wie und unter welchen Bedin-gungen?

Sein Vortrag lieferte viele Denkan-stöße – etwa die Frage danach, ob alles was geht, zulässig sein sollte, gerade auch in der Medizin: „Erträgt das die Gesellschaft oder braucht sie Grenzen, die zwar durch Innovation und technologischen Fortschritt über-schritten werden könnten, aber aus ethischen Gründen nicht überschritten werden sollten?“

„Technologische Innovationen fin-den ganz sicher statt“, konstatierte Lammert zu Beginn seines Vortrages. „Die Frage ist: Wie und unter welchen Bedingungen finden sie statt? Fallen Sie vom Himmel oder finden sie in einem geregelten Rahmen statt?“

Unter der Fülle an technischen Fortschritten und Innovationen hob Lammert die Rolle der Digitalisierung und insbesondere der Künstlichen Intelligenz (KI) hervor. An diese gebe

es höchst unterschiedliche Erwartun-gen, die von Apokalypse bis Euphorie reichten.

Für Lammert liegt es im Wesen der KI, dass komplexe Systeme Entschei-dungen treffen. Aber wer trägt die Verantwortung für diese Entscheidun-gen – der Hersteller, der Käufer, der Nutzer oder der Gesetzgeber? Lam-mert stellte den grundsätzlichen Bedarf einer Regulierung durch die Politik fest: „Technologie ist weder gut noch schlecht. Aber Fortschritt braucht ethische und rechtliche Rah-menbedingungen.“ Diese würden durch die Politik geschaffen. Dabei ginge es immer um nationale Rege-lungen, denn „ein globaler Gesetz-geber steht nicht zur Verfügung.

Regulatorische Möglichkeiten sind begrenzt

Lammert zeigte die Grenzen der regu-latorischen Möglichkeiten des Gesetz-gebers auf und machte dies am Umgang mit Daten fest, der global sehr unterschiedlich gehandhabt werde – mit handfesten Folgen für die Verwertbarkeit und die Nutzung von Daten, wie Lammert betonte. In Euro-pa gehören die Daten demjenigen von dem sie stammen. Dieser Sichtweise stellte er etwa das amerikanische Modell und das chinesische Modell gegenüber: Während in den USA die Daten dem Unternehmen gehörten,

das sie erhebt, gilt in China, dass der Staat den Anspruch auf die Daten hat. Kein europäischer Gesetzgeber hat bisher „auch nur den Hauch einer Chance“ globale Standards zu setzen was den Umgang mit Daten angeht, bedauerte er. „Kein EU-Staat hat genug Gewicht, um mehr als eine Wirkung innerhalb der eigenen Gren-zen zu erzielen“, stellte er fest. Für Lammert eine wichtige und irrever-sible Folge der Globalisierung.

Politik kann nicht festle-gen, was richtig und was falsch ist, da sie es nicht weiß.

Lammert zufolge muss Politik letzt-endlich immer verantwortlich ent-scheiden. „Sie kann allerdings nicht festlegen, was richtig und was falsch ist, da sie es nicht weiß.“ Eine demo-kratisch legitimierte Mehrheit könne auch nicht der Nachweis der Richtig-keit der eigenen Meinung darstellen. Die Politik lege aber fest, welche Rege-lungen und gesetzlichen Rahmenbe-dingungen gelten. Diese seien im Ergebnis immer das, „was die Mehrheit am ehesten aktzeptieren kann.“ W

BERLIN In einer DKOU-Session gaben die Referenten ein Update zur Relevanz und zu Effekten einer möglichen Metallbelas tung durch Implantate. Die AE – Deutsche Gesellschaft für Endopro-thetik hat die Inhalte zusammengefasst.

D er endoprothetische Gelenk-ersatz ist eine der Erfolgs-geschichten in der Ortho-

pädie. Alle Implantate haben jedoch auch metallische Anteile, an denen eine Freisetzung von Metallionen im Körpermilieu stattfindet. Diese sind nicht per se schädlich und stellen für die allermeisten Patienten keine Gefährdung dar: Wenn die Konzentra-tion im Körper jedoch eine kritische

Marke überschreitet, kann es zu loka-len oder sehr selten auch systemischen Problemen führen. Bei extremem Materialverlust kann es sogar zu einem – heute sehr seltenen – Implan-tatversagen kommen.

Die Anforderungen an Gelenk-implantate bleiben durch die hohen Erwartungen der Patienten außer-ordentlich. Hierbei rücken vermehrt die Schnittstellen in den Fokus: Die Abriebsproblematik als mechanischer Verschleiß bei Relativbewegung in der Gelenkartikulation zweier Oberflä-chen stellt durch kontinuierliche Materialverbesserungen heute keine entscheidende Problematik mehr dar, was auch auf den vermehrten Einsatz

von nicht metallischen Werkstoffen zurückzuführen ist (zum Beispiel 88 % aller Hüftköpfe sind heute aus Kera-mik, EPRD 2019). Korrosion als struk-turelle Veränderung eines Werkstoffs durch elektrochemische Reaktion mit der Umgebung speziell an metalli-schen Schnittstellen und an Spalten ist immer noch nicht ganz verstanden und gelöst. Hierbei stellen besonders die freigesetzten Ionen und Nanopar-tikel ein Problem dar.

Metallische Implantatoberflächen schützen sich im Körper mit einer Oxid-schicht, die in Verbindung mit dem umgebenden Sauerstoff entsteht, und „passivieren“ sich somit, das Metall wird vom Körpermilieu versteckt.

Eine Verletzung dieser Oberfläche durch mechanischen Abrieb (Fretting) verletzt kurzfristig diesen Belag. Bis zur erneuten (Re-)Passivierung wer-den dann Ionen frei und das Implantat wird geschwächt. Die Ionen und Parti-kel reagieren mit der geweblichen Umgebung, auf zellulärer Ebene mit dem Immunsystem und molekularbio-logisch auf der Ebene von Enzym-aktivitäten. Systemische Probleme sind dann ebenfalls nicht ausgeschlos-sen. In diesem Bereich ist noch ein deutlicher Forschungsbedarf.

Die beste Verhütung der Korrosion ist die korrekte Handhabung und sinn-volle Anwendung der Implantate. Werden Bewegungen an den Schnitt-

stellen minimiert, nimmt auch gleich-zeitig die Korrosionsgefährdung ab. Hierbei spielt auch der Patient eine wichtige Rolle, da er die Belastung, welche durch die Aktivitäten und das Körpergewicht verursacht werden, bestimmt.

Information sowie Aus- und Wei-terbildung müssen deswegen vermehrt auf diese Thematik eingehen. W

Literatur:Lützner et al. Metallionenfreisetzung nach

Hüft- und Kniegelenkendoprothetik – Mechanismen, biologische Wirkungen und notwendige Diagnostik. Z Orthop Unfall 2109.

( Quelle: AE, DKOU 2019

Wissenschaft mit SpaßZweitauflage des DKOU-Science-Slam

BERLIN [hr] Nach der erfolgreichen Premiere 2018 lieferten sich in diesem Jahr ein Team und drei Einzelkämpfer einen „Battle“ um die Gunst der Zuhörer mit unterhaltsamen Vorträgen und skurri-len Erkenntnissen aus der Wissenschaft.

U nter den Kriterien „Wissen-schaftlicher Anspruch“ und „Originalität des Beitrages“,

die von einer sechsköpfigen Jury bewertet wurden, sowie der Messung des Publikumsapplauses kamen nach einem engen Abstimmungsergebnis das Team mit Johanna Überberg und

Lukas Heilmann vom Uniklinikum Münster mit ihrem „Joint Battle – Hand versus Schulter” sowie Tobias Schöbel vom Uniklinikum Leipzig mit seinem Vortrag „Podcast in der Ortho-pädischen Lehre – hilfreiches Lehrtool oder günstige Netflix-Alternative“ in das finale Stechen.

Aus diesem ging – nach dem ent-scheidenden tosenden Applaus der Zuhörer – Schöbel als glücklicher Sie-ger hervor. Er durfte sich über ein Slam-Stipendium der DGOU in Höhe von 1000 Euro und den freien Online-zugriff auf Fachpublikationen eines großen Verlages freuen.

In seinem Vortrag stellte der junge Slammer eine Studie vor, die das Besu-cherverhalten von Medizinstudenten einer Hauptvorlesungsreihe in der Orthopädie analysierte. Dabei unter-suchte er folgende Fragestellungen:

1. Wollten die Studierenden in die Vorlesung gehen?

2. Waren die Studierenden in der Vor-lesung?

3. (Wann) haben sich die Studierenden den Podcast angeschaut?

4. Was haben sie stattdessen gemacht?Traurige Erkenntnisse: Der Eifer von Studierenden, eine Vorlesung regel-mäßig zu besuchen scheint „traditio-nell“ auf einem niedrigen Niveau zu stagnieren und ist oft abhängig von „weichen Faktoren“ wie der Attrakti-vität der/des DozentIn. Wenn über-haupt, dann schauten sich die Studie-

renden nur in der Woche vor der Klausur den Podcast an und bevorzu-gen stattdessen klassisches TV-Pro-gramm (auf dem absteigenden Ast, da ‚old-fashioned‘) und zunehmend Net-flix und Co.

Für Lacher und gute Unterhaltung mit schrägen Erkenntnissen aus erns-ter Forschung sorgten ebenso die vor dem Finale unterlegenen Vorträge der Slammer Peter Westerhoff vom Julius Wolff Institut der Charité mit dem Vortrag zu „Instrumented Implants“ sowie Max Daniel Kauther mit einer „Verletzungsrisikoanalyse zum Unter-wasserrugby“.

Gute Laune versprühten zudem die Organisatorinnen und Moderatorin-nen vom Jungen Forum, Marie Sam-land aus Leipzig und Ricarda See-mann aus Berlin, die auch das Publikum gut aufheizten. W

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Faire Geste unter Slammern: Peter Westerhoff (r.) gratuliert dem Science-Slam-Sieger 2019 Tobias Schöbel. Mit dabei auch das Team Johanna Ueberberg und Lukas Heilmann (l.) sowie Max Daniel Kauther.

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Mit Blick auf das technisch Machbare in der Medizin beleuchtete Festredner Norbert Lammert die ethischen Herausforderungen für Politik und Medizin.

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ReportPERIPHERE NEUROPATHISCHE SCHMERZEN MULTIMODAL BEHANDELN

Ohne Veränderung der Lebensweise ist der gewünschte Therapieerfolg nicht zu erreichen Bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, Polyneuropa­thien, Neuralgien wie auch Nerven­engpass­Syndromen finden sich generell Schädigungen an der Mye­linschicht des Neurons und/oder am Axon selbst. Eine ausschließlich symptomatische, vor allem analgeti­sche Therapie ist weder leitlinien­gerecht noch suffizient und beinhal­tet zudem längerfristig ein steigendes Abhängigkeitspotenzial. Auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Deutschen Schmerzkongresses 2019 in Mannheim stellten Experten die Wichtigkeit eines frühzeitigen multi­modalen Therapieansatzes heraus.

Die Diagnose der Ätiologie bestehen­der Nervenschmerzen ist in vielen Fäl­len für den Arzt eine Herausforderung, da meist ein pathognomonisches Beschwerdebild fehlt. Zudem können Patienten mit völlig unterschiedlichen Grunderkrankungen ein nahezu iden­tisches Schmerzbild aufweisen. Im Falle einer Polyneuropathie (PNP) fin­den sich die unangenehmen und schmerzhaften Missempfindungen – wie Taubheitsgefühle, „Ameisenlau­fen“ oder Brennen – meist distal an Füßen und Händen, häufig symmet­risch verteilt. Mehr als 200 Ursachen sind bekannt (die häufigsten sind Dia­betes und Alkoholmissbrauch), jedoch bleibt die Ätiologie bei etwa 20 Pro­zent der Fälle trotz ausführlicher Diag­nostik im Unklaren, berichtete der Neurologe Dr. Martin Wimmer, Mün­chen. Eine multimodale Therapie hat die besten Erfolgsaussichten; eine myeline PNP ist prognostisch besser zu beurteilen als eine axonale PNP. Wenn möglich sollten zuerst bekannte ursächliche Faktoren beseitigt wer­den. Zur Bekämpfung der Symptome bieten sich Membranstabilisatoren (Carbamazepin, Pregabalin, Gaba­pentin), Analgetika und/oder Anti­depressiva (Amitriptylin, Duloxetin) an und mittels Krankengymnastik kann über die Rekrutierung von Muskel­fasern ein Trainingseffekt erreicht wer­den. Nicht übersehen werden sollte die Möglichkeit, mit neurotropen Sub­stanzen gleichzeitig kausal zu thera­pieren: Durch die Gabe von Uridin­monophosphat (UMP), Folsäure und Vitamin B12 lässt sich die Nervenrege­neration effektiv fördern und so ein schnelleres Nachlassen der Missemp­findungen und Gefühlsstörungen erreichen.

Neuromodulation – „Schmerz-Schrittmacher“ mittels elektrischer ImpulseBei Patienten mit andauernden chro­nischen Schmerzen, bei denen eine multimodale Schmerztherapie zu kei­nem Erfolg geführt hat, kann in vielen Fällen mittels einer sogenannten Neu­rostimulation eine Schmerzlinderung erreicht werden. Gute Erfolgsaussich­ten bestehen bei anhaltenden neuro­pathischen Beinschmerzen, CRPS (komplexes regionales Schmerzsyn­drom) nach Schädigungsereignis, Schädigung von Nerven durch Verlet­

zung, Strahlentherapie oder Tumoren, bei Schmerzen in Verbindung mit einer pAVK und bei ansonsten unbe­einflussbaren Angina­pectoris­Schmerzen, betonte Dr. Jan­Peter Jansen, Schmerzzentrum Berlin. Auch bei Phantomschmerzen nach Ampu­tation, Post­Zoster­Neuralgie, Neural­gie nach Thorakotomie oder Einge­weideschmerzen ist ein moderates Ansprechen einer Neuromodulation

zu erwarten. Vor der Implantation eines Schmerzschrittmachers wird eine einwöchige Teststimulation durchgeführt. Dazu wird unter lokaler Betäubung über eine feine Hohlnadel ein Stimulationskabel mit Elektrode in den Wirbelsäulenkanal eingeführt und so platziert, dass der Patient im gesamten Schmerzareal ein feines Kribbeln spürt. Falls dieser so eine mindestens 50­prozentige Schmerz­linderung an mindestens 80 Prozent der schmerzenden Körperregion(en) verspürt und die Stimulation als ange­nehm empfindet, sind die Vorausset­zungen für eine dauerhafte Implantati­on eines Permanent­Stimulators unter der Haut am Bauch oder über dem Gesäß erfüllt. Mit den modernen Sys­temen wird bei drei Viertel der Patien­ten eine Schmerz linderung von 50 Prozent oder mehr erreicht, so Dr. Jansen. Seit Jahr zehnten bestehen gute Erfahrungen mit dieser Therapie, in erfahrenen Zentren sind Komplika­tionen selten.

Patientenedukation beim chronischen Rückenschmerz„Ohne Veränderung der Lebensweise werden Medikamente gegen chroni­sche Rückenschmerzen nicht den Effekt haben, den man sich wünscht“, betonte Sportpädagoge und Physio­therapeut Dr. Joachim Merk, Tübin­gen. Folgerichtig fordern gesetzliche Vorgaben und medizinische Leitlinien, dass zeitgemäße Behandlungsan­sätze – basierend auf dem biopsycho­sozialen Krankheitsmodell – auch eine qualifizierte ganzheitliche Beratung des Patienten beinhalten müssen. Zur

Therapiestrategie chronischer Rückenschmerzen zählen neben der Förderung regelmäßiger Aktivität, der bewussten Stressbewältigung und der Schlafhygiene auch das Vermit­teln von Ernährungsregeln und Mög­lichkeiten der Gewichtsregulation. „Adipöse Menschen haben ein statis­tisch signifikant höheres Risiko, an Rückenschmerzen zu erkranken, als Normalgewichtige“, so Dr. Merk. Wie

sich das Ziel „vollwertig essen und trinken“ am besten umsetzen lässt, hat die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) auf Basis aktueller wis­senschaftlicher Erkenntnisse in zehn Regeln formuliert1. Darüber hinaus lassen sich mit weiteren Ernährungs­komponenten – wie Ingwer, Omega­3­Fettsäuren (Fisch), Bromelain (Ana­nas), Quercetin (Kapern, Liebstöckel) und so weiter – Schmerzen lindern und Entzündungsprozesse hemmen. Nicht zuletzt kann eine bilanzierte Zufuhr von Nervenbausteinen eben­falls zu einer beschleunigten Nerven­regeneration beitragen.

Rücken- und andere Schmerzen wegoperieren – wenn es nur so einfach wäreAls Ursache chronischer Rücken­schmerzen werden häufig degenera­tive Veränderungen der Bandscheibe angesehen, die sich auch in der Bild­gebung nachweisen lassen. Aller­dings weisen auch viele Patienten trotz fortgeschrittener Diskus­Abnut­zung keinerlei Beschwerden auf. Dar­aus lässt sich schließen, dass in vielen Fällen nicht die Bandscheibe selbst Auslöser ist, sondern andere Faktoren den Schmerz verursachen (wie z. B. Verhärtungen der Muskeln und Fas­zien, Arthrose der Facetten­ oder Ilio­sakralgelenke, Osteoporose, psycho­gene oder – sehr häufig – nicht spezifische Ursachen). „Die Indika­tionstellung zu einem operativen Ein­griff bei bandscheibenbedingten oder degenerativen Erkrankungen der Wir­belsäule erscheint in vielen Fällen nicht eindeutig und weniger klar als

allgemein angenommen“, berichtete Dr. Christian Bruer, München. So kam eine Analyse der Bertelsmann Stiftung 2017 zu dem Ergebnis, dass die Häu­figkeit von Rücken­Operationen eine große wohnortabhängige Variabilität aufweist und die OP­Zahlen jüngst dramatisch angestiegen sind. Ein sys­tematisches Review mit 84 einge­schlossenen hochwertigen Studien zeigte bereits 2009, dass weniger als

die Hälfte aller wegen chronischer tie­fer Rückenschmerzen operierter Patien ten ein optimales Outcome erreichen2. Das britische NICE­Institut empfahl 2017, dass eine Spondylo­dese nur noch innerhalb von randomi­sierten kontrollierten Studien erfolgen und dass ein Bandscheibenersatz an der LWS gar nicht mehr durchgeführt werden sollte3. Auch eine Retinaku­lum­Spaltung, die Standard­OP bei Vorliegen eines Karpaltunnel­Syn­droms, führt nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen. Nach einem medianen Follow­up von 11,3 Monaten hatten sich bei 23,8 Prozent der Patienten die Beschwerden (Taub­heit im Finger­/Handbereich) nur unvollständig zurückgebildet und nach 9,3 Jahren waren immerhin noch 3,8 Prozent von persistierenden Par­ästhesien betroffen4. In einer aktuellen Studie aus dem Jahre 2019, in der die minimalinvasive Variante der Karpal­tunnel­OP evaluiert wurde (n = 72), lit­ten nach zwölf Monaten immer noch 3,9 Prozent der Patienten an schwe­ren Schmerzen5.

Bilanzierte Diät mit kausalem AnsatzGrundsätzliches Ziel der Behandlung peripherer chronischer Nerven­schmerzen ist es, den Funktions­status, die Mobilität und die Lebens­qualität zu verbessern und der Entwicklung chronischer Verläufe vor­zubeugen. Dazu ist es nötig, den Cir­culus vitiosus aus den sich gegensei­tig verstärkenden Faktoren Schmerz, Muskelanspannung, Einschränkung der Beweglichkeit und Fehlhaltung zu

durchbrechen. Operative Verfahren oder invasive Therapien sind gemäß der Nationalen Versorgungs­Leitlinie Kreuzschmerz bei nicht spezifischen Rückenschmerzen nicht erforderlich6. Da periphere chronische Nerven­schmerzen offensichtlich nicht nur als rein mechanisches Problem zu verste­hen sind, ist eine Unterstützung des Nervenmetabolismus durch neuro­trope Substanzen wie UMP, Folsäure

und Vitamin B12 (Keltican® forte) bei allen genannten Krankheitsbildern eine äußerst sinnvolle Therapieergän­zung. Eine neuere Studie mit über 200 Patienten hat gezeigt, dass eine 60­tägige Einnahme dieser „Nerven­bausteine“ die körpereigenen Repara­turprozesse unterstützt und die Lebensqualität der Betroffenen ver­bessert7 (Abb. 1). Diese Therapie führte nicht nur zu einer signifikanten Schmerzreduzierung (der painDE­TECT­Score fiel während des Unter­suchungszeitraums von 17,5 auf 8,8 Punkte), auch konnten 75 Prozent der Probanden mit schmerzhaften Erkran­kungen des peripheren Nervensys­tems während der Studie ihre (analge­tische) Begleitmedikation reduzieren. Die Kapseln sind lactose­, gluten­ und gelatinefrei und können so auch von Personen mit Nahrungsmittelunver­träglichkeiten sowie von Vegetariern/Veganern eingenommen werden. Eine mindestens 60­tägige Therapiedauer wird empfohlen.

Quellen:1. www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwerti-

ge-ernaehrung/10-regeln-der-dge/2. Chou R et al. Spine 2009;34:1094–1109.3. Todd NV. Bone Joint J 2017;99-B:1003–

1005.4. Tang CQY et al. Bone Joint J 2017;99-B:

1348–1353.5. van den Broeke LR et al. Arch Plast Surg

2019;46:350–358.6. Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuz-

schmerz; AWMF-Register Nr. nvl/007.7. Negrao L et al. Pain Manag 2014;191–

196.

Mit freundlicher Unterstützung der Trommsdorff GmbH & Co. KG

Abb. 1: Prozentuale Reduktion somatosensorischer Symptome im Studienverlauf.7

ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 REPORT | 21

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201922 | MEDIZIN UND FORSCHUNG

Sorgfältige Abklärung bei Schulterschmerz notwendigUnfall, Sport, Alter, Diabetes – Die Ursachen sind vielfältig

Bewegung tut Kindern gut – aber in MaßenExperten warnen vor Überlastungsschäden an kindlichen Gelenken und Knochen

BERLIN [hr/red] Ob Unfall, Sport, Alter oder Diabetes – die Ursachen für Schul-terschmerz können vielfältig sein. Des-halb sind eine genaue Abklärung und individuelle Behandlung durch Experten erforderlich.

Etwa 70 Prozent aller Menschen leiden mindestens einmal im Leben an Schulterschmerzen –

unabhängig von Geschlecht, Alter oder Beruf. Sie sind nach Rücken- und Knieschmerzen die dritthäufigste Erkrankung des Bewegungs- und Halteapparats. Die Ursachen sind divers und umfassen etwa Unfälle, Sportverletzungen oder altersbeding-te Abnutzung. Ursache können hier Muskelverspannungen, Erkrankun-gen von Knochen und Gelenken, Hal-tungsschäden, Muskel- und Bandver-letzungen, aber auch Tumore sein, betonten Experten anlässlich des DKOU in Berlin.

Verschiedene Erkrankungen als Ursache für Schulterschmerz

Doch nicht immer rührt der Schulter-schmerz aus dem Schultergelenk selbst. So könne zum Beispiel ein ein-seitiger akut auftretender Schulter-schmerz während sportlicher Aktivi-tät auch ein Hinweis auf Herzinfarkt sein. „Vielen ist nicht bewusst, dass auch die Bereiche Arm, Nacken und Wirbelsäule oder Erkrankungen der inneren Organe eine Rolle bei Schmerzen in der Schulter spielen können“, erklärte Dr. Casper Grim, Vizepräsident der Gesellschaft für

Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS).

Ebenso können eine Funktionsstö-rung der Schilddrüse, Diabetes melli-tus und rheumatische Erkrankungen mit chronischem Schmerz in der Schulter assoziiert sein. „Patienten mit Diabetes und Schilddrüsen-erkrankungen erkranken beispiels-weise häufiger an der ‚Frozen Shoul-der‘“, führte Grim, Leitender Oberarzt an der Klinik für Orthopädie, Unfall- und Handchirurgie in Osnabrück aus. Hier schränkt eine geschrumpfte Schultergelenkkapsel die Beweglich-keit der Schulter schmerzhaft ein. So leidet etwa jeder fünfte Diabetes-patient unter Schulterschmerzen und Bewegungseinschränkungen. Laut der Experten ist der Grund dafür bis-lang noch nicht geklärt, im Fokus der Untersuchungen stehen aber Entzün-dungsprozesse, Durchblutungsstö-rungen und Zuckeranhaftungen an Bindegewebsfasern.

„Mit der Zunahme von Stoffwech-selerkrankungen – insbesondere bei einer immer älter werdenden Bevöl-kerung – haben Orthopäden und Unfallchirurgen auch immer häufiger mit diesen Erkrankungszusammen-hängen zu tun und müssen es bei der Diagnose berücksichtigen“, erklärt Prof. Carsten Perka, Kongresspräsi-dent des DKOU aus Berlin. Eine aus-führliche Anamnese sei daher unab-dingbar und entsprechend individuell müsse der behandelnde Orthopäde und Unfallchirurg auch bei seiner Behandlung vorgehen.

Die Arthroskopie ersetzt zunehmend offene OperationenFunktionelle Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie und eine medika-mentöse Behandlung helfen vielen Schulterschmerzpatienten bereits. Häufige Erkrankungsformen wie Impingement, Kalkschulter oder Schulterarthrose können bei milder Ausprägung mit einer Stoßwellenthe-rapie behandelt werden und eine Operation zunächst verhindern, so die Experten.

Ist eine konservative Therapie erfolglos, hilft häufig auch die Arth-

roskopie. Hierbei kann der Arzt minimalinvasiv Verkalkungen entfer-nen und entstandene Sehnenverlet-zungen beheben. „Wir haben in der Arthroskopie erhebliche Fortschritte gemacht“, betont Prof. Markus Scheibel, Präsident der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellen-bogenchirurgie e. V. (DVSE). Obsolet sei heute zum Glück die Aussage von Charles A. Rockwood Jr. – einer der Protagonisten der offenen Schul-terchirurgie – „Athroscopy is the tool of the devil!“. „Selbst komplexe rekonstruktive Eingriffe sind mittler-weile per Gelenkspiegelung mit deut-lich weniger Risiken möglich“, so Scheibel. Insbesondere bei Schulter-instabilitäten, bei denen durch Unfäl-le oder anatomische Fehlstellungen das Schultergelenk „instabil“ wird und eventuell ausrenkt, sei die Arth-roskopie inzwischen einer offenen Operation vorzuziehen, so der Chef-arzt für Schulter- und Ellenbogen-chirurgie an der Schulthess Klinik in Zürich. Arthroskopische Eingriffe an der Schulter gehörten heute bereits zum Standardrepertoire vieler Klini-ken nicht nur an schulterchirurgi-schen Zentren.

Prävention von Verletzungen und Überlastungsschäden

Da das Schultergelenk eines der am häufigsten von Sportverletzungen betroffenen Gelenke ist (z. B. Turnen 35 %, Rudern 33,9 %, Kampfsport 27 %), rieten die Experten sowohl Sportlern als auch Patienten mit

bereits bestehenden Schulterpro-blemen unter anderem die Musku-latur um das Schultergelenk zu stärken und somit das Gelenk zu stabilisieren.

„Die Prävention von Schulter-gelenkaffektionen umfasst typischer-weise eine Verbesserung der gleno-humeralen Innenrotationsbewegung“, erklärte Grim. Dies könne zum Bei-spiel durch gezielte Dehnübungen der postero-inferioren Kapsel, dem „slee-per stretch“ erreicht werden. „Die Verbesserung der Außenrotations-kraft wird durch Kräftigungsübungen des Infraspinatus und des Teres minor erreicht“, so Grim weiter. Hierzu stünden viele verschiedene Übungen und Ausgangspositionen zur Verfü-gung. „Ein besonderer Fokus liegt auf der Verbesserung der aktiven Schul-terblattanbindung, der Kräftigung der umgebenden Muskulatur und einer Optimierung der koordinierten Schulterblatt-Brustkorb-Gleitbewe-gung“, so der Experte. Die Beweg-lichkeit der Brustwirbelsäule und eine Verbesserung der gesamten kinemati-schen Kette seien ebenfalls fester Bestandteil von Präventionsprogram-men für das Schultergelenk.

Unabdingbar sei aber zunächst eine genaue Diagnose und eine pro-fessionelle Anleitung der Übungen durch Orthopäden und Unfallchirur-gen sowie Physiotherapeuten. Vor ungezielten Übungen bei fehlender Diagnose warnte Grim. W

( Quelle: DKOU 2019

BERLIN [ja/red] Akute Verletzungen wie Brüche, Prellungen und Zerrungen – aber auch Überlastungsschäden an Gelenken und Knochen – nehmen im Kindes- und Jugendalter zu, beobachten Sportorthopä-den. Im Zuge des 2019 DKOU warnten die Experten vor zu intensivem Sport ohne Regenerationszeiten im Kindesalter.

Die Ursache dieser Zunahme sehen Sportorthopäden vor allem in zu wenig Verletzungs-

prävention, etwa passendem Schuh-werk, Einlagen, einem altersgerechten abwechslungsreichen Trainingsplan oder ausreichenden Regenerationszei-ten. In vielen Fällen würden sich auch bereits durch ein adäquates Präven-tionstraining oder maßvollere Sport-einheiten Verletzungen und deren Spät-folgen vermeiden lassen. Die Experten weisen darauf hin, dass Folge- und Überlastungsschäden – auch durch zu einseitige Bewegungsabläufe – junge Menschen lebenslang körperlich beein-trächtigen können.

„Wir beobachten in der Praxis zunehmend Verletzungsmuster, die auf zu intensive Sporteinheiten ohne aus-reichende Erholung für Knochen, Gelenke und Muskulatur zurückzufüh-ren sind“, betonte Prof. Romain Seil,

Präsident der Gesellschaft für Ortho-pädisch-Traumatologische Sportmedi-zin (GOTS) bereits im Vorfeld des DKOU. Der orthopädische Chirurg aus Luxem-burg warnt vor zu langanhaltendem und einseitigem Übertraining, das den kindlichen Halte- und Bewegungsappa-rat dauerhaft schädigen kann.

Spätschäden durch Verletzungen

Eine Schwachstelle im Knochenbau von Kindern und Jugendlichen ist die Epi-physenfuge. Sie schließt sich bei Mäd-chen meist zum 14. oder 15., und bei Jungen etwa zum 16. Lebensjahr, nach-

dem das Knochenwachstum abge-schlossen ist. Akute Verletzungen, aber auch chronische Überbelastungen, die zu mikrotraumatischen Verletzungen führen, können Schäden an den Epi-physenfugen verursachen. „Insbeson-dere eine gelenknahe oder auch das Gelenk direkt betreffenden Verletzung, bei der die Wachstumsfuge beteiligt ist, kann dann eine Fehlstellung nach sich ziehen“, so Seil. Als Beispiel nannte er O-Beine von Fußballern, die in ihrer Jugend zu intensiv trainiert haben1. Je nach Ausprägung könne dies auch Spätschäden wie Arthrose zur Folge haben.

Insbesondere bei Sportarten mit erhöhten Überlastungsrisiko an Kno-chen und Gelenken, wie dem Kunst-turnen oder Tennis, aber auch Kontaktsportarten wie Judo, sind Über-lastungsschäden häufiger als akute Ver-letzungen. Kinder im Leistungssport sind öfter betroffen, doch auch im Brei-tensport ist es ratsam, Sport in Maßen zu betrieben. „Kinder sollten wöchent-lich mindestens zwei Ruhetage einhal-ten und höchstens drei bis vier Stunden am Tag trainieren“, sagte Prof. Thomas Tischer, Leiter Sektion Sportorthopädie an der Orthopädischen Klinik, Univer-sitätsmedizin Rostock. „Dabei ist es wichtig, das Training altersgerecht, abwechslungsreich und mit ausrei-chend Aufwärm- und Ruhezeiten zu gestalten“, so Tischer weiter.

Prävention im Breitensport zu sehr vernachlässigt

Frage man politische Entscheidungsträ-ger über ihren Kenntnisstand im Bereich der Sportmedizin, stehe die Antwort eher häufiger mit Doping beziehungs-weise Antidopinginitiativen in Zusam-menhang als mit Sportverletzungen, beklagten die Experten. Prävention, Behandlung und Rehabilitation von verletzten Sportlern werde im Leis-

tungs- aber auch im Breitensport zu sehr vernachlässigt. Sie sollten konse-quenter in das Sportprogramm aufge-nommen werden, um eine gesunde sportliche Entwicklung zu fördern und jungen Sportlern ein gesundes und schmerzfreies Leben mit und nach dem Sport zu ermöglichen, so die Experten. Hat das Kind Beschwerden, sollten Eltern sich umgehend an einen Sport-orthopäden wenden, sagte auch Dr. Thomas Möller, Kongresspräsident des DKOU aus Speyer. Dabei sei die Situation der Verletzungsprävention im Jugendsport besonders prekär, so die Experten. Es gebe eine Zunahme von hochklassigen Sportwettkämpfen im Jugendalter, die dazu führe, dass junge Athleten zunehmend leistungsorien-tierte Ziele anstrebten. Trotzdem gebe es leider aber weder Bestrebungen, die die wissenschaftliche Auswertung von Sportverletzungen im Jugendalter noch deren Erhebung und Prävention för-dern, so die Experten weiter. W

Literatur:1. Wolf F et al. O-Beine und intensives

Fußballtraining im Wachstumsalter. Systematisches Review und Metaanaly-se. Dtsch Arztebl Int 2018;115:401–408.

( Quelle: DKOU 2019

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Kinder sollten Sport altersgerecht, abwechslungsreich und in Maßen betreiben.

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70 Prozent aller Menschen bekommen mindestens einmal im Leben Schulterschmerzen.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 MEDIZIN UND FORSCHUNG | 23

Sprunggelenkverletzungen in fachärztliche Hände Warum sind sie so häufig? Wie werden sie optimal behandelt und sind sie vermeidbar?

ten durch Einlagen, Orthesen, Eigen-übungen und Physiotherapie. Ein täg-liches koordinatives Training – etwa auf einem Balanceboard – könne sinnvoll sein, so Kuni. Die Evidenz solch einer Sekundärprävention sei durch Studien gut belegt.

Enge Verzahnung von Klinik und Niederlassung notwendig

„Die Überprüfung des Heilungsver-laufs und der Akzeptanz einer Hilfs-

mittelversorgung sollte engmaschig erfolgen, um das bestmögliche Ergeb-nis zu erzielen“, resümierte Kuni. Vor-aussetzung dafür ist für die Expertin „eine enge Vernetzung zwischen den Notfallambulanzen, den Hausärzten und den niedergelassenen Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie”. Diese sei wesentlich, um sowohl die umfassende Erstversorgung als auch

eine angemessene Anschlussbehand-lung sicherzustellen.“

Außerdem machte sich die Expertin auch für eine Primärprävention nicht nur im Profisport stark, ähnlich den Programmen, die es für die Prävention von Rückenschmerzen bereits gibt. „Angesichts der Häufigkeit dieser Ver-letzungen, halte ich das für sinnvoll”, betonte Kuni. W

( Quelle: DKOU 2019

BERLIN [ja/red] Sprunggelenkverlet-zungen gehören zu den häufigsten Prob-lemen des Bewegungsapparates. Unzu-reichend behandelt können sie etwa eine dauerhafte Gelenkinstabilität oder Arthro-se zur Folge haben. Sie sollten deshalb vom Facharzt abgeklärt und leitlinienge-recht versorgt werden, wie Prof. Benita Kuni im Rahmen des diesjährigen DKOU vor Medienvertretern hervorhob.

Das Sprunggelenk ist besonders verletzungsgefährdet: „Bereits wenige Grad Abweichung von

der normalen Gelenkstellung können ausreichen, um eine Verletzung auszu-lösen. Risikosituationen sind ins-besondere Sprunglandungen, schnelle Richtungswechsel und das Laufen auf unebenem Gelände“, erklärte Prof. Benita Kuni, Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie am Ortho-Zent-rum Karlsruhe. Sprunggelenkverlet-zungen seien Routine in Klinik und Praxis. So liege die Inzidenz in Schwe-den bei 71 bis 187 Sprunggelenk-verletzungen pro 100.000 Personen und Jahr, in anderen Ländern zwi-schen bei 220 bis 700.

Hohe Dunkelziffer für Sprunggelenkverletzungen

Kuni führte an, dass in Umfragen 70 Prozent der Allgemeinbevölkerung berichteten, im Laufe ihres Lebens mindestens eine Sprunggelenkverlet-zung erlitten zu haben. „Die Dunkel-ziffer für solche Verletzungen liegt sicher höher”, hob Kuni hervor, „da viele Patienten mit leichteren Verlet-zungen gar nicht erst zum Arzt gehen.”

In der Mehrzahl kommt es durch das typische Umknick-Trauma zu einer Zerrung. Brüche des oberen Sprungge-lenks sind bei Erwachsenen die häu-figsten Frakturen am Unterschenkel. „Jede Verletzung des Sprunggelenkes gehört in kompetente fachärztliche Hände“, betonte die Expertin. „Das Ausmaß der Verletzung sollte immer minutiös untersucht werden.“

Prävention von erneuten Verletzungen und FolgeschädenJe nach Schweregrad können auch Röntgen und weitere bildgebende Ver-fahren nötig werden. Der Sprungge-lenkkomplex sollte zur Ausheilung einer Kapsel-Bandverletzung ausrei-chend lange mit einer geschnürten, semirigiden Orthese stabilisiert wer-den. Nach einer Fraktur, aber auch bei einer weiterbestehenden Gelenkinsta-bilität, besteht das Risiko, einen vor-auseilenden Gelenkverschleiß zu ent-wickeln. Kuni verwies auch auf das hohe Risiko einer erneuten Verletzung, das im ersten Jahr nach einer Sprung-gelenkverletzung doppelt so hoch sei.

Auch wenn es nicht immer möglich ist, das Gelenk vollständig und anato-misch korrekt wiederherzustellen, sollte doch alles getan werden, um Folgeschäden möglichst gering zu halten. Dazu gehört auch, die Risiko-faktoren für eine Verletzungsanfällig-keit des Sprunggelenks zu minimieren: Übergewicht abbauen, neuromuskulä-res Training sowie die Korrektur von Gelenkfehlstellungen und Instabilitä-

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Benita Kuni

Deutscher Kongress für

Orthopädie und Unfallchirurgie 2019

„Soll alles erlaubt sein, was geht?“

DKOU-Eröffnung – Festvortrag „Zwischen Technik und Ethik, Herausforderungen für Medizin und Politik“

BERLIN [ja] Der Festvortrag auf der

Eröffnung des diesjährigen DKOU

beleuchtete das Spannungsfeld zwischen

technologischem Fortschritt in der Medi-

zin und grundsätzlichen ethischen Frage-

stellungen, etwa ob alles erlaubt sein soll,

was möglich ist, wie die Politik regulie-

rend eingreifen kann und wo die Grenzen

der regulatorischen Möglichkeiten liegen.

Die Herausforderung an Medi-

zin und Politik zwischen

Technik und Ethik bewältigen

wir entweder gemeinsam – oder gar

nicht“, appellierte Norbert Lammert,

seit Januar 2018 Vorsitzender der

Konrad-Adenauer-Stiftung und ehe-

maliger Bundestagspräsident, in sei-

nem Festvortrag an die Zuhörer.

Lammert verwies darauf, dass techni-

sche Innovationen auf jeden Fall statt-

finden, die Frage sei nur wie und unter

welchen Bedingungen. Sein Vortrag

lieferte viele Denkanstöße – etwa die

Frage danach, ob alles, was geht,

zulässig sein sollte, gerade auch in der

Medizin: „Erträgt das die Gesellschaft

oder braucht sie Grenzen, die zwar

durch Innovation und technologi-

schen Fortschritt überschritten werden

könnten, aber aus ethischen Gründen

nicht überschritten werden sollten?“

„Fortschritt braucht ethischen

und rechtlichen Rahmen“

Unter der Fülle an technischen Fort-

schritten und Innovationen hob

Lammert die Rolle der Digitalisierung

und insbesondere der Künstlichen

Intelligenz (KI) hervor. An diese gebe

es höchst unterschiedliche Erwartun-

gen, die von Apokalypse bis Euphorie

reichten. Es liege im Wesen der KI,

dass komplexe Systeme Entscheidun-

gen treffen. Aber wer trage die Ver-

antwortung für diese Entscheidun-

gen  – der Hersteller, der Käufer, der

Nutzer oder der Gesetzgeber? Lammert

stellte den grundsätzlichen Bedarf

einer Regulierung durch die Politik

fest: „Fortschritt braucht ethische und

rechtliche Rahmenbedingungen.“

Diese würden durch die Politik

geschaffen.

Lammert zeigte die Grenzen der

regulatorischen Möglichkeiten des

Gesetzgebers auf und machte dies am

Umgang mit Daten fest, der global

sehr unterschiedlich gehandhabt

werde. Der europäischen Sicht – die

Daten gehören demjenigen, von dem

sie erhoben wurden – stellte er etwa

das amerikanische und das chinesi-

sche Modell gegenüber. Während in

den USA die Daten dem Unternehmen

gehörten, das sie erhebt, gilt in China,

dass der Staat den Anspruch auf die

Daten hat. Kein europäischer Gesetz-

geber hat bisher „auch nur den Hauch

einer Chance“, globale Standards zu

setzen, was den Umgang mit Daten

angeht, bedauerte er.

Lammert zufolge muss Politik letzt-

endlich immer verantwortlich ent-

scheiden. „Sie kann allerdings nicht

festlegen, was richtig und was falsch

ist, da sie es nicht weiß.“ Eine demo-

kratisch legitimierte Mehrheit könne

auch nicht die Richtigkeit der eigenen

Meinung begründen.

„Digitalisierung darf kein

Selbstzweck sein“

Die große Bedeutung der Digitalisie-

rung in der Medizin betonte auch

Prof. Paul Alfred Grützner, Kongress-

präsident DGOU und DGU, aber:

„Digitalisierung darf kein Selbstzweck

sein.“ Sie müsse unterstützen. Hier

nannte er als positives Beispiel ent-

scheidende Vorteile durch Digitalisie-

rung in der Notfallversorgung. Dem

gegenüber warnte er vor dem Verlust

von ärztlichen Freiheiten „wenn eine

Software die Prozesse bestimmt“.

Gerade ärztliche Freiheiten sieht

Grützner durch Überregulierung im

Gesundheitswesen durch eine Fülle

von Gesetzen und zunehmenden öko-

nomischen Druck eingeschränkt. Eine

Lösung könne eine Veränderung des

Systems nach dem Vorbild der Berufs-

genossenschaftlichen Unfallkliniken

sein. Hier gebe es keine Sektorengren-

zen, einen lückenlosen Anschluss an

die Rehabilitation und keine Decke-

lung der Kosten. Allerdings seien auch

Kompromisse einzugehen, denn in

diesem System gebe es etwa Ein-

schränkungen bei der freien Arzt- und

Krankenhauswahl. Aber der Wandel

könne gelingen, wenn alle auf Basis

gemeinsamer Werte agierten. Grützner

mahnte auch die Weiterentwicklung

der Fachgesellschaften an.

„Wir müssen uns stärker

international ausrichten“

DGOOC-Kongresspräsident Prof.

Carsten Perka verwies in seinem Gruß-

wort auf das vorhandene Potenzial für

Veränderungen, allerdings brauche es

dafür „schlankere und effizientere

Entscheidungswege“. Als Erfolg hob er

die erste gemeinsame Mitglieder-

versammlung von DGOU, DGOOC und

DGU in diesem Jahr hervor auf dem –

nun auch de jure – ersten gemeinsa-

men Kongress der Dachgesellschaft

mit den Fachgesellschaften und dem

Berufsverband. Ein weiterer Erfolg auf

politischer Ebene ist die Vorbildfunk-

tion des Endoprothesenregisters

Deutschland (EPRD) für das vom

Gesetzgeber geplante Implantateregis-

ter: „Das EPRD als Blaupause für

gesetzliche Vorgaben ist bemerkens-

wert“, konstatierte er.

Auf der anderen Seite sparte Perka

nicht mit Kritik am Fach O&U und

seinen Fachgesellschaften. Prinzipiell

müsse man weniger um sich selbst

kreisen und mehr Bereitschaft zu Ver-

änderungen zeigen. So mahnte er in

Bezug auf die Wissenschaft: „Wir

müssen uns stärker international aus-

richten.“ Es gelte hier, die Wett-

bewerbsfähigkeit des Faches zu stär-

ken. Auch die Spezialisierung müsse

vorangetrieben werden, um sich inter-

nationalen Standards anzupassen, so

Perka weiter. In den neuen Technolo-

gien sieht er eine Chance, verwies aber

trotzdem auf mögliche Wechsel-

wirkungen, denn „die Technologien,

die wir nutzen wollen, werden auch

uns verändern“.

„Verletzungen der Autonomie

entgegentreten“

Neue Antworten auf Herausforderun-

gen wie Digitalisierung, Qualitätsprü-

fungen und Transparenz oder Ökono-

misierung forderte auch Dr. Thomas

Möller, Kongresspräsident des BVOU.

Diese Herausforderungen blieben beste-

hen, schafften aber neue Abhängigkei-

ten. Als Beispiel nannte Möller die

Abhängigkeit von der Gematik beim

Anschluss von Praxen und Kranken-

häusern an die Telematik-Infrastruktur

oder die Abhängigkeit von externen

Beobachtern, die Qualität beziehungs-

weise Performance beurteilen.

Um diesen Bedrohungen der ärztli-

chen Freiheit zu begegnen brauche es

neue Fähigkeiten. „Wir müssen keine

IT-Fachleute oder Öffentlichkeits-

arbeiter werden, aber wir müssen genug

wissen, um den Verletzungen unserer

Autonomie entgegenzutreten“, konsta-

tierte er. Die ärztliche Kompetenz und

der ärztliche Beruf seien zunehmend

Angriffen ausgesetzt. So warnte Möller

vor der Unterminierung des Vertrauens-

verhältnisses zwischen Arzt und Patient

durch verschiedene Interessengruppen,

etwa Politik, Medien oder Selbsthilfe-

gruppen: „Jeder weiß, was für die Pati-

enten gut ist – und jeder weiß es besser.

Dabei behandeln wir Ärzte die Patien-

ten.“ Außerdem warnte Möller vor einer

zunehmenden Marginalisierung der

konservativen Orthopädie und Unfall-

chirurgie, durch die der breite Zuschnitt

von O&U auf dem Spiel stehe. „Gäbe es

eine Liste an bedrohten Therapiearten –

die konservative Orthopädie und

Unfallchirurgie stünden darauf.“ Und

das trotz des riesigen Bedarfes an kon-

servativen Therapien. W

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Gemeinsam eröffneten Paul Alfred Grützner, Thomas Möller und Carsten

Perka den diesjährigen DKOU, zum ersten Mal mit der Dachgesellschaft

DGOU als offizieller Mitveranstalterin (v. l.).

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Mit Blick auf das technisch Machbare in der Medizin

beleuchtete Festredner Norbert Lammert die ethischen

Herausforderungen für Politik und Medizin.

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DKOU 2019: „Wissen braucht Werte“Die Kongresspräsidenten über Kongressinhalte, ihre Positionen zum und ihre Ausblicke auf das FachBERLIN [hr/ja] Vom 22. bis 25. Oktober treffen sich Orthopäden und Unfallchirur-gen aus 60 Nationen zu Europas größtem Kongress für Orthopädie und Unfallchir-urgie in Berlin. Im Vorfeld haben sich die Kongresspräsidenten Prof. Paul-Alfred Grützner, Dr. Thomas Möller und Prof. Carsten Perka im Interview mit der Redaktion der Orthopädischen Nachrich-ten dazu geäußert, was die Kongressteil-nehmenden erwartet und warum sie in diesem Jahr insbesondere auch über Werte in der Medizin diskutieren wollen.

„Wissen braucht Werte“ haben Sie, Herr Prof. Grützner, Herr Dr. Möller und Herr Prof. Perka, als Motto für den DKOU 2019 gewählt. Welches sind die Werte, an die Sie auf dem DKOU erinnern wollen? Wo stoßen Wissen und Werte im Arbeitsalltag von Orthopäden und Unfallchirurgen auf-einander? Wo drohen Werte vielleicht auf der Strecke zu bleiben oder müssen gar gestärkt werden? Grützner: Die Abwärtsspirale des DRG-Systems führt zu paradoxen Entwick-lungen wie Pflegenotstand, Ökono-misierung der Weiterbildung und angebotsinduzierter Nachfrage von Gesundheitsleistungen. Wir brauchen hier einen Paradigmenwechsel, eine Anpassung des Systems, die es den Ärzten und Pflegenden erlaubt, sich wieder mehr um den Patienten zu kümmern als „nur etwas mit ihm zu machen“. Medizinischer Fortschritt, hier denke ich vor allem an die Chan-cen der Digitalisierung in der Medizin, darf nicht zu einem immer unpersön-licheren Arzt-Patienten-Verhältnis führen. Unsere alltägliche Praxis zeigt uns, dass die Beziehung zwischen Arzt und Patient auf Vertrauen und Empa-thie beruht und nicht auf internet-basierten Ratingsystemen und das darf sich nicht ändern.

Möller: Einer der wichtigsten Werte in der Medizin ist die Hinwendung zum Patienten – und ausreichend Zeit dafür. Das gilt besonders für unser Fach, wo Schmerz das Leitsymptom ist. Schmerz ist keine eindimensionale Reaktion auf ein Schmerzgeschehen. Schmerz ist nicht objektivierbar, son-dern immer subjektiv. Wir brauchen Zeit, um diesem Schmerz angemessen nachgehen zu können. Die Ökonomi-sierung der Medizin lässt uns dafür immer weniger Raum, weil sie die

Effizienz zum Credo erhoben hat. Es ist im Grunde paradox. Man wirft uns Fließbandmedizin vor, lässt uns durch die Rahmenbedingungen aber keine Zeit, es anders zu machen. Hier sehe ich dringenden Änderungsbedarf.Perka: Der ökonomische Druck in der medizinischen Behandlung in unseren Krankenhäusern wird immer größer. Bereits bei der Vorstellung in der Ret-tungsstelle oder Ambulanz ist abseh-bar, welcher Patient der Klinik positive Erlöse bringen wird beziehungsweise welcher im Rahmen des DRG-Systems nicht ohne finanzielle Verluste zu behandeln ist. Immer häufiger werden diese Patienten unter einem Vorwand von den unterschiedlichen Kranken-häusern abgewiesen, meist mit dem Hinweis auf irgendeine fehlende Spe-zialisierung, und weiter überwiesen. Leidtragender ist dabei immer der Patient. Hier bedarf es eines klaren Zeichens, dass wir dieses Problem gemeinsam lösen wollen. Natürlich bedarf dies auch der Einbeziehung der Kostenträger.

Sind Sie womöglich auch persönlich im Laufe Ihrer Karrieren mit Wertefragen konfrontiert gewesen, die Sie nachdenk-lich gestimmt haben?Grützner: Es sind zwei Dinge, die mich hier in den letzten Jahren nachdenk-lich gestimmt haben. Zum einen wer-den Innovationen als Marketing-Tool im Wettbewerb missbraucht, bevor gut validierte klinische Resultate den tat-

sächlichen Nutzen nachweisen. Auf der anderen Seite rechnen sich gerade die komplexen, medizinisch besonders anspruchsvollen Fälle für die Kliniken nicht. Hier ist der Einsatz von Res-sourcen mit Sonderimplantaten, teu-rer Diagnostik, Reserveantibiotika, Knochenersatzstoffen et cetera in der DRG, trotz Sonderentgelten, nicht abgebildet. Hier ist wertebasiertes Handeln von Kostenträgern, Klinik-verwaltung und Ärzten gefordert. Es ist zu einfach, hier eine Schuld einzel-nen Institutionen oder Organen zuzu-weisen. Auch die Geschäftsführung von Kliniken stehen unter einem enor-men Druck, Personalkosten in den Kli-niken betragen fast 70 Prozent und müssen durch Erlöse gegenfinanziert sein. Darüber hinaus müssen Kliniken immer häufiger Investitionskosten selbst aufbringen, obwohl diese in der Erlössystematik überhaupt nicht vor-gesehen sind. Der Druck auf die Mit-arbeiter, die direkt am Patienten tätig sind, wird so immer größer. Dazu kommt, dass der bürokratische Auf-wand in den letzten Jahren überbor-dend gestiegen ist. Möller: Als Arzt ist man täglich mit Wertefragen konfrontiert. Das liegt in der Natur der Medizin. Patienten sind keine Kunden, sondern Menschen, die krank und in Not geraten sind. Wie verletzlich Patienten oftmals sind, zeigt sich besonders deutlich bei Unfall opfern, die von einer Sekunde auf die andere mit einer völlig neuen

Realität konfrontiert werden, ohne dass sie sich darauf vorbereiten konn-ten. Deshalb ist es ja so fatal, dass die Medizin immer mehr auf Wettbewerb getrimmt wird, in dem vor allem eines zählt: Umsatz. Perka: Auch aus meiner Sicht werden wir nahezu täglich mit den Werte-fragen konfrontiert. Ein häufiges Thema ist, ob das Lebensalter noch diese oder jene elektive Operation zur Verbesserung der Lebensqualität rechtfertigt. Hier werden dann Implan-tationszahlen verschiedener Länder verglichen, obwohl man weiß, dass es zum Beispiel in Großbritannien im höheren Lebensalter nahezu unmög-lich ist, noch mit einer Endoprothese versorgt zu werden. Die gleiche Aus-sage gilt für die Auswahl von Implan-tatmaterialien bei jungen Patienten und den Umfang konservativer Behandlungen vor und nach einer Operation.

Menschen zu helfen ist sicher ein sehr wichtiger Wert, der junge Menschen dazu bewegt, ein Medizinstudium aufzuneh-men. Im Studium selbst steht dann die Wissensvermittlung ganz oben. Müssen Werte hier, aber auch in der Fort- und Wei-terbildung, mehr in den Fokus der Ausbil-dung rücken? Wie sehen Sie das Herr Dr. Möller und welche Angebote bietet der DKOU in diesem Zusammenhang?Möller: Empathie, Vertrauen, Fürsorge und Redlichkeit sind Eckpfeiler der Medizin. Allerdings kann man diese Werte nicht einfach trainieren. Wie soll man Empathie in Module zerle-gen? Aber man kann Kommunika-tionskompetenz trainieren. Es gibt zwar auch dafür kein Patentrezept, weil sich Kommunikationskompetenz nicht auf einen bestimmten Gesprächs-stil reduzieren lässt, aber man kann Haltungen und Gesprächstechniken üben und reflektieren. Das wird heute auch schon im Medizinstudium gemacht, aber da haben wir sicher noch Nachholbedarf, auch bei der Weiterbildung. Zumal die Zukunft der partizipativen Entscheidungsfindung gehört, dem Gespräch auf Augenhöhe mit den Patienten. Wir werden beim DKOU sicher immer wieder über sol-che Themen sprechen.

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Fortsetzung siehe Seite 2 (

VideosprechstundeDas neue Behandlungskonzept in der ambulanten O & U sorgt für zeitliche und räumliche Flexibilität – mehr zu den Vorzügen, Rahmen bedingugen und der Vergütung. ( Seite 6

KooperationsverträgeDer Antikorruptionsparagraf hat die Kooperationsformen zwischen den Niedergelassenen und Krankenhäu-sern aufgewirbelt – ein Update zum aktuellen Stand. ( Seite 8

DKOU-SpecialDie Fachbeiträge unserer Autoren und Referenten auf dem DKOU 2019 geben Überblick über das Themen spektrum in Berlin und zu aktuellen Fragestellungen des Faches. ( Seite 9 ff.

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Paul-Alfred Grützner (Präsident DGOU, DGU), Carsten Perka (Präsident DGOOC) und Thomas Möller (Kongresspräsident BVOU) stehen dem DKOU 2019 vor (v.l.).

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Aktuelles aus der Medizin

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201924 | MEDIZIN UND FORSCHUNG | PHARMA UND MEDTECH

Forschen, fördern, versorgenDKOU 2019: Preisgekrönte Forschungsarbeiten aus Orthopädie und Unfallchirurgie

BERLIN Herausragende wissenschaft-liche Arbeiten wurden auch in diesem Jahr von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), der Deutschen Gesellschaft für Orthopä-die und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) ausgezeichnet.

Z um Kongressende wurden fol-gende Personen für ihre Arbei-ten gewürdigt:

Auszeichnungen der DGOUDen Preis zur Förderung der Grund-lagenforschung 2019 erhielt Dr. Ansgar Petersen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Aus-zeichnung der Arbeit mit dem Titel „A biomaterial with a channel-like pore architecture induces endochondral healing of bone defects“ ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro verbunden.

Der mit 5000 Euro dotierte Preis für evidenzbasierte Medizin 2019 wurde in diesem Jahr geteilt: Dr. Christian Macke von der Medizinischen Hoch-schule Hannover wurde für seine Arbeit „Prospektiv, randomisierter Vergleich der konventionellen vs. videolaryngos-kopischen Intubation in der Luftret-tung“ ausgezeichnet. Ebenfalls gewür-digt wurde Dr. Arnd Steinbrück von der Ludwig-Maximilians-Universität München für seine Untersuchung zum „Einfluss der institutionellen Erfahrung auf die Ergebnisse der Hüft- und Knie-endoprothetik“. Die Auszeichnungen sind mit je 2500 Euro verbunden.

Dr. Wolfgang Geidl von der Fried-rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erhielt den Preis zur Förde-rung der Rehabilitationsforschung 2019 für seine Arbeit mit dem Titel „Bewegungstherapie in der medizini-schen Rehabilitation: eine Bestands-aufnahme auf Einrichtungs- und Akteursebene“ und durfte sich über 5000 Euro Preisgeld freuen, das von der Klinikgruppe Enzensberg gestiftet wird.

Der mit 5000 Euro dotierte Preis zur Förderung der Versorgungsforschung 2019 wurde Prof. Thomas Gross von der Kantonspital Aarau AG für die Arbeit „Simple modification of trauma mechanism alarm criteria published for the TraumaNetwork DGU® may signifi-cantly improve overtriage – a cross sectional study“ überreicht.

Das Stipendium „Qualität und Sicherheit in der Endoprothetik“

2019 und die damit verbundenen 10.000 Euro, die von Aesculap gestif-tet werden, erhielt Dr. Yves Gramlich von der BG Unfallklinik Frankfurt am Main.

Auszeichnungen der DGOOCSteffen Braun vom Universitätsklini-kum Heidelberg wurde für seine Arbeit „Backside wear in acetabular hip joint replacement“ mit dem Themistocles-Gluck-Preis 2019 geehrt. Der Preis für Innovationen in der Endoprothetik ist mit 10.000 Euro dotiert und wird von DePuy Synthes gestiftet.

Für seine Arbeit mit dem Titel „Implants with ceramic bearing sur-faces have a lower risk of revision for prosthetic joint infection (PJI) fol-lowing primary hip replacement: fin-dings from the National Joint Registry for England, Wales, Northern Ireland and the Isle of Man“ wurde PhD Erik Lenguerrand von der Bristol Medical School University of Bristol mit dem Heinz-Mittelmeier-Forschungspreis

2019 ausgezeichnet. Die Auszeich-nung ist mit 5000 Euro dotiert und wird von CeramTec gestiftet.

Über das Kongress-Stipendium von je 800 Euro durften sich Dr. Sabine Mai und Dr. Sebastian Siegert von der Vitos Orthopädische Klinik Kassel freuen.

Auszeichnungen der DGUDen Hans-Liniger-Preis 2019 erhielt Dr. Lukas Weiser von der Universi-tätsmedizin Göttingen der Georg-August-Universität. Er wurde für seine Arbeiten „Insufficient stability of pedicle screws in osteoporotic verteb-rae: biomechanical correlation of bone mineral density and pedicle screw fixation strength“ und „Time to Augment?! Impact of Cement Aug-mentation on Pedicle Screw Fixation Strength Depending on Bone Mineral Density“ geehrt. Die Auszeichnung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist mit 10.000 Euro ver-bunden.

Für seine Arbeit „Disk injury in patients with vertebral fractures – a prospective diagnostic accuracy study using dual-energy computed tomography“ wurde Dr. Matthias Pumberger von der Charité – Univer-sitätsmedizin Berlin für diagnostische oder anwendungstechnische Neue-rungen ausgezeichnet. Der Innovati-onspreis 2019 ist mit 10.000 Euro dotiert und wird von DePuy Synthes gestiftet.

Ausgezeichnet wurde auch die Dis-sertation „Genderindependent miRNA expression profiles in bone homeosta-sis as potential cellular biomarkers and targets for osteoporosis diagnosis and treatment“ von Dr. Sarah Kelch, die für ihre Arbeit den Promotions-preis 2019 und 2500 Euro erhielt.

Dr. Dirk Zajonz vom Universitäts-klinikum Leipzig durfte sich über das Reisestipendium 2019 in Höhe von 5000 Euro freuen. W

( Quelle: DGOU

Termin-PlattformArzttermine: Starker Zuwachs von Online-Buchungen

Mobile MedizintechnikFür eine bessere Versorgung am Unfallort

Arzttermine online zu buchen liegt im Trend. Das belegen aktuelle Zahlen der Buchungs-

plattform Doctolib. Im Oktober ver-zeichnete das gleichnamige E-Health-Unternehmen seit seiner Gründung im November 2013 kumuliert 100 Millio-nen Online-Buchungen in Deutschland und Frankreich, wie das Unternehmen mitteilt. Vor allem in den vergangnen zwölf Monaten boomten Online-Ter-minvereinbarungen, zur selben Zeit im Vorjahr war die Zahl aller Buchungen in beiden Ländern mit 50 Millionen gerade einmal halb so groß.

In Deutschland wird der Service von Doctolib nach eigenen Angaben von immer mehr Patienten geschätzt. Momentan verzeichnet das Unterneh-men 100.000 neue Anmeldungen monatlich, aktuell verfügen 1,2 Milli-onen Patienten über ein Nutzerkonto. Patienten nutzen die Plattform insbe-sondere, um einen Termin als Neu-patient in einer Praxis zu erhalten, um Folgetermine zu vereinbaren oder bei akuten Beschwerden. „Die Vorauswahl von Besuchsgründen bei der Termin-buchung ermöglicht den Ärzten ein deutlich effizienteres Praxismanage-ment. Dadurch vereinfacht Doctolib den Zugang zu medizinischen Leis-tungen für Patienten – auch bei Not-

fällen“, hebt die Online-Plattform her-vor. Die Doctolib-Auswertung zeige auch, dass Online-Buchungen keines-wegs nur bei jungen Patienten beliebt sind: 35 Prozent der User sind nach Angaben des Unternehmens 35–54 Jahre alt, 15 Prozent sind sogar älter als 55. „Für Online-Vereinbarungen von Arztterminen gibt es in Deutsch-land noch ein enormes Potenzial“, ist Doctolib Deutschlandchef Ilias Tsim-poulis überzeugt. „Patienten brauchen einen Service, der einfach, komforta-bel und nutzerfreundlich ist. Genau das erfüllt Doctolib.“

Weil das Angebot von Doctolib von Ärzten und Patienten in Deutschland immer stärker genutzt und auch aktiv nachgefragt wird, expandiert das Unternehmen weiter. Erst im August 2019 wurde ein neuer Sitz in Leipzig eröffnet, mit Frankfurt und Nürnberg folgten zum 1. Oktober zwei weitere neue Standorte. Damit ist Doctolib nun in neun deutschen Städten vertre-ten. In den kommenden Jahren will das Unternehmen europaweit weitere 1000 Mitarbeiter rekrutieren, die Investitionen in Technologien, Pro-dukte und Designs verdoppeln und Standorte weiter ausbauen. W

( Quelle: Doctolib

LEIPZIG [red] Vernetzte Medizintech-nik, die aktuelle Daten vom Unfallort an das Krankenhaus liefert: Das ist das Ziel des neuen Forschungsprojektes „Mobile Medizintechnik für die integrierte Notfall-versorgung und Unfallmedizin“ MOMEN-TUM. Es nutzt die 5G-Infrastruktur, um Geräte im Krankenwagen zu synchroni-sieren und wichtige Kennwerte gleich in die Notaufnahme zu senden.

MOMENTUM will Handlungs-abläufe am Unfallort und in der Klinik besser aufeinander

abstimmen. „Wir entwickeln zum einen eine Technologie, die alle Medizingerä-te im Rettungswagen miteinander kommunizieren lässt. Zum anderen bringen wir die Patientendaten in kür-zester Zeit in die Notaufnahme der Kli-nik, in die der Patient dann eingeliefert wird“, sagt Prof. Thomas Neumuth, Projektleiter und stellvertretender Direktor des ICCAS-Forschungszent-rums der Medizinischen Fakultät (ICCAS=Innovationszentrum für com-puterassistierte Chirurgie).

Verknüpfung mit telemedizinischen Angeboten

Ziel sei es, die Patientenbehandlung besser und effizienter zu gestalten. Eini-ge diagnostische Verfahren sollen zum

Einsatzort hin verschoben werden. So könnten die Rettungssanitäter oder der Notarzt beispielsweise schon einen Ultra schall durchführen und die Bilder unmittelbar ans Klinikum senden. Von dort erhalten sie telemedizinische Unterstützung bei der weiteren Behand-lung am Unfallort. Gleichzeitig kann sich das Ärzteteam in der Notaufnahme auf das Ankommen des Patienten vor-bereiten und ihn nahtlos weiter betreu-en, heißt es.

Auf unterschiedliche Mobilfunkabdeckung reagieren„Wir untersuchen im Projekt auch, wie gut sich 5G in einem abgeschlossenen System, hier dem Rettungswagen, eig-net, um Medizingeräte miteinander zu vernetzen. Die gesammelten Daten wer-den mithilfe von 5G-Technologie aus dem Wagen in eine darüber liegende Infrastruktur übertragen, wo alle Infor-mationen sinnvoll zusammengefasst und für die Ärzte in der Klinik visuali-siert werden“, erklärt Max Rockstroh, Projektmitarbeiter am ICCAS.

Zum Projektstart stehen die Wissen-schaftler vor zwei Herausforderungen. Sie müssen zunächst Medizingeräte diverser Hersteller miteinander vernet-zen. Hier hat das ICCAS schon erste Ansätze entwickelt und ist aktiv an der

Entwicklung und Verbreitung der IEEE11073-SDC Standardfamilie zur Medizingerätevernetzung beteiligt. Zum anderen müssen sie mit den Gege-benheiten vor Ort umgehen: Während in der Stadt die Daten via LTE schnell ans Krankenhaus übermittelt werden können, sieht es mit der Mobilfunk-abdeckung auf dem Land ganz anders aus. „Wir müssen Lösungen finden, wie wir mit schlechter Netzwerk-Infrastruk-tur vor Ort umgehen und uns überle-gen, welche Daten noch übertragen werden können. Vielleicht lässt sich dann nur die Herzrate an die Klinik sen-den und nicht die komplette EKG- Kurve“, so Rockstroh.

In Notfallszenarien erproben

In einem ersten Schritt hospitieren die Forscher in verschiedenen Notaufnah-men und analysieren den Ist-Zustand. Im Gespräch mit den Medizinern wollen sie dann herausarbeiten, welche Tech-nologien sinnvoll sind und den Prakti-kern vor Ort einen Mehrwert bieten. Das entwickelte System soll anschließend in Notfallszenarien erprobt werden.

Das BMBF fördert das Vorhaben mit 6,2 Millionen Euro für drei Jahre. W

( Quelle: Universität Leipzig

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Den Preis für evidenzbasierte Medizin der DGOU teilten sich Christian Macke (l.) und Arnd Steinbrück.

Steffen Braun wurde mit dem Themistocles-Gluck-Preis der DGOOC ausgezeichnet.

Über den Hans-Liniger-Preis der DGU durfte sich Lukas Weiser freuen.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 PHARMA UND MEDTECH | 25

Fortschritte in der RückenmarkstimulationHochfrequente Rückenmarkstimulation – Nachgewiesene Wirksamkeit

kömmlichen SCS notwendig ist, dass die Patienten bei der Positionierung der Elektroden wach sind, um rückzumel-den, ob und wie gut die Parästhesien den Schmerzbereich abdecken, werden die Elektroden für die hochfrequente Rückenmarkstimulation unter Vollnar-kose anatomisch platziert. Insofern bietet das neuere Verfahren gleich in mehrfacher Hinsicht einen höheren Patientenkomfort. Darüber hinaus ist es auch für den Operateur besser planbar.

Hochevident nachgewiesene Wirksamkeit

Die Wirksamkeit der hochfrequenten SCS ist durch umfangreiche Studien wissenschaftlich belegt2. Indikationen sind neben dem FBSS chronisch-neu-ropathische Schmerzen in den oberen Extremitäten und im Nacken3, bei CRPS, PAVK und Polyneuropathien.

Erfahrungsgemäß lässt sich die größte Wirksamkeit erzielen, je früher die SCS bei chronischen Schmerzen

angewendet wird. Deshalb stellt sich – angesichts der gut dokumentierten Wirksamkeit – die Frage, ob das hoch-frequente Verfahren in der orthopädi-schen und neurochirurgischen Praxis früher eingesetzt werden sollte, als es bisher Standard ist. W

Literatur:1. Kapural L et al. Novel 10 kHz High Fre-

quency Therapy (HF10 Therapy) is Supe-rior to Traditional Low Frequency Spinal Cord Stimulation for the Treatment of

Chronic Back and Leg Pain: The SENZA-RCT Randomized Controlled Trial. Anest-hesiology 2015;123(4).

2. Stauss T et al. A Multicenter Real-World Review of 10kHz SCS Outcomes for Treatment of Chronic Trunk &/or Limb Pain. Ann Clin Transl Neurol 2019, Jan.

3. Faycal El Majdoub et al. 10 kHz cervical SCS for chronic neck and upper limb pain: 12 months’ results. Ann Clin Transl Neurol 2019, Oct.

( Autor: Dr. med. M. Sc. (Oxford) Gregor A. Bara

Die Zahl an Patienten mit chroni-schen Rückenschmerzen nimmt stetig zu. Das führt zu einer stei-

genden Anzahl an Wirbelsäulenopera-tionen. Doch nicht immer lassen sich die Schmerzen durch eine OP lindern, was zwischenzeitlich als Failed-Back-Surgery-Syndrom (FBSS) bezeichnet wird. Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass der Schmerz nach einer OP an der Wirbelsäule entweder fort-besteht oder neu auftritt, unabhängig davon, welche Indikation oder Unter-pathologie Auslöser der Schmerzen war. Eine Schmerzmedikation, durch zum Beispiel Opiate, kann den Leidens-druck zwar vermindern, bringt jedoch häufig Nebenwirkungen und zudem das Risiko der Abhängigkeit mit sich.

Die Rückenmarkstimulation (engl. Spinal Cord Stimulation, SCS) kann dazu beitragen, dass sich die Gabe von starken Schmerzmedikamenten redu-zieren lässt. Dabei handelt es sich um ein reversibles, minimalinvasives Ver-fahren, das sich – speziell nach Weiter-entwicklungen innerhalb der letzten Jahre – bei chronischen Rücken- und Beinschmerzen als sehr wirksam gezeigt hat.

Herkömmliche Rückenmarkstimulation

Die Rückenmarkstimulation ist kein neues Verfahren. Sie ist in Fachkreisen traditionell dafür bekannt, bei bleiben-den, in die Extremitäten ausstrahlenden Schmerzen, beispielsweise nach einer Bandscheibenoperation, zum Einsatz zu kommen. Ein großes Manko war schon immer, dass sich mit der niederfrequen-ten SCS, die mit Impulsen von 40 bis 70 Hertz arbeitet, Schmerzen entlang der Wirbelsäule kaum behandeln lassen, weil – stark verkürzt erklärt – die stimu-lierten Faserbahnen den Rücken nicht ausreichend gut repräsentieren. Die nie-derfrequenten Impulse lösen zudem ein wahrnehmbares Kribbeln aus, das die Schmerzempfindung überdeckt und von vielen Patienten als unangenehm empfunden wird. Neuerdings hat sich an diesen altbekannten Zusammen-hängen jedoch einiges geändert.

Wirksamkeit und Komfort durch hochfrequente SCS

Nicht nur, dass die weiterentwickelte, hochfrequente Form der Rückenmark-stimulation ohne Kribbel-Parästhesien einhergeht, weil die Impulse mit 10.000 Hertz unterhalb der Wahrneh-mungsschwelle liegen. Ebenso lassen sich damit auch axiale Schmerzen wirksam behandeln.

Die technische Weiterentwicklung in Frequenz und Wellenform führt (im direkten Vergleich mit der herkömm-lichen SCS) zu einer höheren und zeit-stabilen Responderrate und Schmerz-linderung. Das konnte in einer großangelegten Multicenter-Studie (Senza-RCT1) nachgewiesen werden. Basierend auf Daten von mehr als 10.000 Patienten unterstützt ein stan-dardisierter Stimulationsalgorithmus zudem reproduzierbare Behandlungs-erfolge.

Ein weiterer Vorteil liegt in der ope-rativen Prozedur bei der Implantation der Elektroden. Während es bei der her-

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201926 | PHARMA UND MEDTECH

Fusion oder Non-FusionVorergebnisse der DYNORFUSE-Studie aus EUROSPINE in Helsinkini vorgestellt

PsA- und AS-TherapieSecukinumab effektiv bei Biologika-naiven Patienten

Chronischer SchmerzLebensqualität und Funktionalität für Patienten wichtig

Fit mit Arthrose

Studien belegen, dass ab dem 60. Lebensjahr circa die Hälfte der Frauen und knapp ein Drittel der

Männer unter Arthrose leiden. Mit etwa 60 Prozent am häufigsten ist die Kniearthrose, die auch den ehemaligen Skirennprofi Christian Neureuther betrifft. Trotz Schmerzen ist ein Leben ohne Bewegung für den 70-Jährigen – etwa Wandern im Sommer, Skifahren im Winter – unvorstellbar. Doch Neu-reuther ist kein Freund von Schmerz-mitteln oder einer OP: „Mit meiner Orthese ist das auch gar nicht notwen-dig, denn sie unterstützt mein Knie bei stärkerer Belastung.“ Beim Wandern trägt er die Agilium Freestep 2.0 und beim Skifahren die neue Agilium Soft-fit von Ottobock. Neben der passenden Orthese setzt Neureuther auf einen gesunden Lebensstil und Bewegung. Zusammen mit Prof. Christian Fink, Innsbruck, Unfallchirurg und Kniespe-zialist, hat er ein Programm entwickelt, das Betroffenen hilft, in Schwung zu kommen. Im neuen Buch „Never give up. Fit und vital mit Arthrose“ zeigen die Experten Übungen für den Alltag und motivierende Erfahrungen. W

Christian Neureuther, Christian Fink, Frank Bömers: „Never give up. Fit und vital mit Arthrose“; 24,99 Eruo; ZS Verlag; 2019; ISBN: 978-3898839488

( Quelle: Ottobock

Fusion oder Non-Fusion spaltet die Wirbelsäulenchirurgie seit längerem in zwei Lager. Die vor-

läufigen Ergebnisse der DYNORFUSE-Studie (Lumbar dynamic pedicle-based stabilization versus fusion in degenerative disease: Preliminary results of the DYNORFUSE prospective randomized trial) zeigen, dass die dynamische Stabilisierung unter bestimmten Voraussetzungen im Ver-gleich zur Fusion ein gleichartiges Ergebnis verspricht. Aufgrund der Aktualität des Themas stellte ulrich medical, Anbieter von Wirbelsäulen-implantaten, die dynamische Stabili-sierung (Non-Fusion) in den Fokus seiner Präsenz auf der diesjährigen EUROSPINE in Helsinki.

Unter dem Motto „To fuse or not to fuse?“ inszenierte der Ulmer Unter-nehmen sein dynamisches Wirbelsäu-lensystem cosmicMIA, welches unter anderem als alternative Versorgung zur vollständig rigiden Stabilisierung in der DYNORFUSE-Studie1 zum Ein-satz kommt. Laut Hersteller bietet das besondere, rotationsstabile Gelenk-konzept mit bewährter Pedikelschrau-ben-Technik eine einfache Handha-bung für den Operateur. Die zusätzliche Bonit®-Beschichtung der Schrauben unterstützte sowohl das

Einwachsverhalten als auch die Sekundärstabilität.

„Es freut uns sehr, dass unser dynamisches System cosmicMIA auch anhand der klinischen Ergeb-nisse der DYNORFUSE-Studie über-zeugt und damit einen wichtigen, positiven Beitrag zum Diskurs über die Wirksamkeit der Non-Fusion-Technik leistet“, erklärte Christoph Ulrich, geschäftsführender Gesell-schafter des Medizintechnikunter-nehmens den inhaltlichen Schwer-punkt des Messeauftritts. Eine Animation, die das Thema auf den Punkt bringt und Experten vor Ort, die dem anwesenden Fachpublikum Rede und Antwort standen, rundeten den Themenschwerpunkt ab.

Starker Partner in der Wirbelsäulenchirurgie

Mit dem thematischen Fokus auf die aktuelle Diskussion unterstrich ulrich medical seine starke Positionierung als international erfolgreicher Anbieter von Wirbelsäulensystemen für beide Fragestellungen. Auf der Messe wur-den deshalb gleichzeitig auch die Fusions-Systeme uCentum für die tho-rakolumbale Versorgung sowie neon3, das zervikale System für die Versor-gung der Halswirbelsäule, präsentiert.

DYNORFUSE-Studie – Aktuelle Diskusion versachlichen

Die DYNOFUSE-Studie unter Leitung von Prof. Bernhard Meyer, Direktor der

Neurochirurgischen Klinik der Techni-schen Universität München am Klini-kum rechts der Isar, hat das Ziel, die aktuelle Diskussion um Fusion oder Non-Fusion in der Wirbelsäulenchirur-gie durch klinische Forschung zu ver-sachlichen und eine empirisch valide Faktenlage zu schaffen. Die offen ran-domisierte Multicenterstudie vergleicht zum ersten Mal direkt und unter stren-gen Kriterien die versteifende (Fusion)

mit der dynamischen Stabilisierung (Non-Fusion) an Patienten mit degene-rativen Veränderungen der Lenden-wirbelsäule. Bereits Ende 2018 belegten

erste Ergebnisse, dass die Non-Fusion bei dieser Indi-kation im Vergleich zur Fusion ein gleichartiges Ergebnis hinsichtlich Fak-toren wie Schmerzlevel, Patien tenzufriedenheit und Bewertung der gesundheits-bezogenen Lebensqualität erzielt. Vor allem die kürze-re Operationszeit (19 %), der geringere Blutverlust (25 %) sowie die erhaltene (Rest)-Beweglichkeit der Wirbel-säule überzeugten und trü-gen zu einer größeren Patientenzufriedenheit bei, so der Hersteller. W

Literatur:1. Meyer B, Thomé C, Vajkoczy P, Ringel F.

Lumbar dynamic pedicle-based stabiliza-tion versus fusion in degenerative disease: Preliminary results of the DYNORFUSE prospective randomized trial. Eur Spine J 2018;27(11):2925.

Weitere Informationen: https://www.youtube.com/watch?v=Gr3M0cXvj4s

( Quelle: ulrich medical

Aktuelle, im Rahmen der Jah-restagung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatolo-

gie (DGRh) präsentierte Ergebnisse einer Interimsanalyse der nicht inter-ventionellen AQUILA-Studie zeigen, dass extraartikuläre Manifestationen und Komorbidität unter Patienten mit Psoriasis-Arthritis (PsA) und ankylo-sierender Spondylitis AS keine Selten-heit sind. Im Behandlungsalltag sind besonders Depressionen (15,4 % PsA, 15,4 % AS), koronare Herzerkrankung (3,5 % bzw. 7,9 %) und Uveitis (1,7 % bzw. 6,4 %) verbreitet. Mehr als jeder zehnte AS-Patient leidet zudem auch unter Psoriasis.1

Die Interimsanalyse umfasste Daten von über 600 PsA- und 300 AS-Patien-ten die mit Secukinumab (Cosentyx®) behandelt wurden. Jeder Dritte (33,9 % bzw. 28,9 %) davon erhielt Secuki-numab als erstes Biologikum über-haupt.2,3 Das bedeutet zugleich: Etwa zwei Drittel aller Patienten waren mit mindestens einem anderen Biologi-kum vorbehandelt. 17,6 Prozent der PsA-Patienten und circa ein Viertel aller AS-Patienten (24,1 %) erhielten im Vorfeld drei oder mehr Biologika.2,3 Trotz der hohen Krankheitslast der Patienten zeigte sich auch im Behand-lungsalltag ein starkes und über den gesamten Beobachtungszeitraum von 52 Wochen anhaltendes Ansprechen – sowohl bei AS als auch bei PsA.

Bei Patienten mit PsA reduzierte sich der PhGA (Physician’s Global Assessment, d. h. die Arzteinschätzung

der globalen Krankheitsaktivität des Patienten; 0 = keine und 10 = höchste Krankheitsaktivität) von 5,3 auf 2,5. Die Hautsymptomatik verbesserte sich in diesem Zeitraum merklich: 73,4 Prozent erreichten ein PASI (Psoriasis Area and Severity Index) 75-Anspre-chen, also eine Verbesserung der Symp tome um 75 Prozent.2 Eine fast symp tomfreie Haut (PASI 90) erzielten 59,6 Prozent der Patienten, 54,3 Pro-zent sogar ein PASI-100-Ansprechen und damit eine symptomfreie Haut.2 Unter Secukinumab reduzierte sich zudem die durchschnittliche Anzahl der druckschmerzhaften und geschwol-lenen Gelenke nach den Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) von 7,6 auf 3,0 beziehungsweise von 3,9 auf 0,7.2 Auch bei AS-Patien-ten kam es zu einer deut lichen Verbes-serung des PhGA von 5,9 auf 2,6.3 Bei Anti-TNF-naiven Patienten reduzierte sich der durchschnittliche BASDAI (Bath Ankylosing Spondylitis Disease Activity Index) von 5,3 auf 3,4.3 In der Gesamtpopulation reduzierte er sich von 5,6 auf 4,0.3

Die Behandlung mit Secukinumab verbesserte zudem die Lebensqualität der Patienten nachhaltig und redu-zierte die Symptome depressiver Ver-stimmungen – in beiden Indikatio-nen.2,3 Damit bestätigen sich die Ergebnisse früherer Auswertungen der AQUILA-Studie. Diese Wirksamkeit und die positiven Erfahrungen mit der Therapie könnten wichtige Gründe sein, dass auch nach 52 Wochen ein

Großteil der Patienten auf der Behand-lung mit Secukinumab verblieb: 79,3 Prozent und 81,1 Prozent der Biologi-ka-naiven PsA- und AS-Patienten wurden auch nach einem Jahr weiter-hin mit dem Interleukin-17A-Inhibitor behandelt, bei den Biologika-vorbe-handelten Patienten waren es 67,7 Prozent und 62,0 Prozent.1

„Auch im Behandlungsalltag sehen wir, dass ein Großteil der Patienten dauerhaft mit Secukinumab behandelt wird. Das spricht dafür, dass sowohl Ärzte als auch die Patienten selbst mit der Behandlung zufrieden sind – Wirksamkeit und Verträglichkeit spie-len dabei eine entscheidende Rolle“, sagt Dr. Peter Wimmer, Medizinischer Leiter des Bereichs Immunologie, Hepatologie und Dermatologie der Novartis Pharma GmbH.

Secukinumab war auch unter Pra-xisbedingungen im Allgemeinen gut verträglich. Zu Secukinumab liegen umfassende Daten aus klinischen Stu-dien vor, die die Wirksamkeit und Sicherheit des IL-17A-Inhibitors bei verschiedenen Manifestationen der Plaque-Psoriasis, bei PsA sowie bei AS über viele Jahre belegen.4-10 Zunehmende Erfahrungen aus dem Behandlungsalltag, darunter insbe-sondere die Ergebnisse der AQUILA-Studie, tragen zu dieser breiten Daten-basis bei. W

Literatur auf Anfrage.

( Quelle: Novartis

Wie erfolgreich die Therapie von chronischen Schmer-zen ist, wird in Studien oft

an der Schmerzintensität beurteilt. Aber: „Was ist für die Rückenschmerz-patienten wirklich entscheidend, was soll sich denn verbessern?“ fragt Prof. Ralf Baron, Kiel. Rückenschmerzen sind eine gemischte Schmerzform, sie können nozizeptiv und neuropathisch sein. Wenn die Schmerzsignale im Hinterhorn des Rückenmarks sehr stark werden, können sie sich auf die Extremitäten übertragen. Die Patien-ten nehmen Taubheitsgefühle, Krib-beln, einschießende und brennende Schmerzen wahr, daraus einen einzi-gen Wert abzuleiten, der den Zustand des Patienten wiedergibt, sei sehr schwierig, so Baron. Wichtiger sei es, Lebensqualität und Funktionalität zu erfassen. Diese sind daher für die Patienten wichtiger als Schmerzinten-sität. Das zeige sich auch darin, dass die Schmerzintensität nicht mit Lebensqualität und Funktionalität korreliere. So hat sich beispielsweise gezeigt, dass verschiedene Schmerz-formen die Lebensqualität unter-schiedlich beeinflussen können. Des-wegen sind Verträglichkeit eines Schmerzmittels und sein Einfluss auf Funktionalität und Lebensqualität wichtige Eigenschaften eines Medika-ments.

Tapentadol (Palexia®) senkt die Schmerzintensität etwa so gut wie Oxycodon, teilweise sogar besser, und Tapentadol ist bei den Nebenwirkun-

gen überlegen, besonders den gastro-intestinalen: Neuropathische Schmer-zen lindert Tapentadol signifikant besser als Oxycodon/Naloxon und auch die Lebensqualität ist unter Tapentadol in fast allen im SF36 abgefragten Punkten besser als unter Oxycodon (beides verglichen mit Pla-cebo). Daher brechen unter Oxycodon sehr viel mehr Patienten die Therapie ab als unter Tapentadol.

Bei chronischem Schmerz sind die afferenten Neuronen im Hinterhorn des Rückenmarks überaktiv, erklärt Baron die Wirkung von Tapentadol. Gleichzeitig entstehe ein Ungleich-gewicht in den absteigenden Bah-nen: Die noradrenerge Nervenleitung hemmt unter normalen Bedingungen die Schmerztransmission im Hinter-horn, die serotoninergen Leitungen verstärken den Schmerzreiz. Bei neu-ropathischen Schmerzen verändert sich dieses Gleichgewicht. Die nor-adrenerge Aktivität nimmt ab und die serotoninerge Aktivität nimmt zu. Tapentadol beruhigt das Hinter-horn und die nozizeptiven Fasern und hemmt, anders als andere klassi-sche Opioide, noch zusätzlich die Noradrenalin-Wiederaufnahme. So kann sich das System wieder beruhi-gen und der Schmerz lässt nach. (Roland Müller-Waldeck) W

( Quelle: Grünenthal-Symposium „Den Patienten in den Mittelpunkt rücken“ im Rahmen des Schmerz-kongresses in Mannheim am 10.10.2019.

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Erste Erkenntnisse der DYNORFUSE-Studie belegen eine kürzere Operationszeit und geringeren Blutverlust bei der dynamischen Stabilisierung im Vergleich zur Fusions-Technik.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.2019 PHARMA UND MEDTECH | 27

Ulnarisnerv entlastenOptimierte Schulterabduktionsorthese

MuskelverspannungenPridinol – Effektive Therapie und gute Anwendbarkeit

VerlängerungsmarknägelJetzt mit erweiterter CE-Kennzeichnung und neuer Receiver-Funktion

WirbelsäulenchirurgieDigitale präoperative Planung

D er Hersteller medi optimiert die Schulter-

abduktionsorthese medi SAS comfort. Sie verfügt ab November 2019 über einen größeren anatomi-schen Oberarm-Aus-schnitt im Abduktions-kissen. Die Orthese kommt nach Herstelleranagaben zum Lagern des Arms im 15-Grad-Abduk-tionswinkel zum Einsatz, beispiels-weise nach einer Rotatorenmanschet-ten-Rekonstruktion, einer operativen Schulterstabilisierung oder der vorde-ren Schulterluxation. Der vergrößerte anatomische Oberarm-Ausschnitt ent-laste gezielt den Ulnarisnerv, der sich an der Innenseite des Oberarms befin-det und die sensorischen Fähigkeiten der Hand beeinflusst. Der verbesserte Oberarm-Ausschnitt sorge für noch mehr Tragekomfort bei Patienten mit einer Schulterverletzung und fördert so die Therapietreue.

Die Orthese stellt die Schulter ruhig. Laut Hersteller ermöglicht die ergono-mische Handauflage zugleich die früh-

funktionelle Therapie zum Training des Unterarms. Das atmungsaktive Außen-material der Unterarm-tasche sichere auch bei hohen Temperaturen den Tragekomfort, während das neue, weiche Innenmaterial

den Arm angenehm einfasse. Das durchdachte Gurtsystem verteilt den Druck über die gesamte Schulter. Es ermögliche dem Patienten das eigen-ständige An- und Ablegen der Orthese.

Die S2e-Leitlinie „Rotatorenman-schette“ empfiehlt den postoperativen Einsatz von Orthesen. Je nach indi-zierter Schulterlagerung kommen dann die verschiedenen Produkte des medi-Schultersortimentes zum Ein-satz. Die Verordnung von medizini-schen Hilfsmitteln ist frei von Budgets und Richtgrößen. Informationsmate-rial für Ärzte gibt es im medi Kunden-center, Telefon 0921-912-977, E-Mail: [email protected]. W

( Quelle: medi GmbH

P atienten mit Muskelschmerzen gehören zum Praxis-Alltag. Oftmals treten die Schmerzen

im Bereich der Hals- oder Lendenwir-belsäule auf oder machen sich als nächtliche Wadenkrämpfe bemerkbar. Die Ursachen können vielfältig sein – etwa körperlich harte Arbeit, bei der Rumpfmuskulatur und Wirbelsäule stark beansprucht werden, oder eine sitzende Bürohaltung, bei der Schon- beziehungsweise Fehlhaltungen zu zusätzlichen Schmerzen führen kön-nen. Auch Medikamente wie ACE-Hemmer und Betablocker können Grund für schmerzhafte nächtliche Wadenkrämpfe sein. Myditin® (Pridi-nol) habe sich seit der Einführung im Februar 2019 bereits im Praxisalltag bewährt, so der Hersteller.

„Typisch ist bei Muskelverspan-nungen, aus denen später Muskel-schmerzen resultieren, der Schmerz-kreis (Circulus vitiosus) durch ein auslösendes Schmerzereignis“, erklärt Dr. Jochen Zink, Facharzt für Ortho-pädie und Unfallmedizin, Jena. „Das kann im Bereich der Wirbelsäule eine Blockierung oder Entzündung sein. Auch eine degenerative Veränderung im Bereich der kleinen Wirbelgelenke oder der Bandscheiben ist möglich.

Der Körper versucht, diesen Schmerz zu lindern, indem der Muskel durch Anspannung das Gelenk ruhigstellt.“ Verselbständige sich diese Muskel-anspannung, führe das zu einer Min-derdurchblutung der Muskeln und zu Schmerzen an den Sehnenansätzen und der Muskulatur, so Zink.

Effektive WirkungDas Durchbrechen des akuten Schmerz-geschehens ist ein wichtiger Behand-lungsbestandteil, damit etwa Bewe-gungstherapien greifen können. Der atropinähnliche Wirkmechanismus des Muskelrelaxans Myditin kann laut Hersteller den Muskeltonus im Ruhezu-stand mindern und so die Verspannung der Skelettmuskulatur lösen. Bewe-gungseinschränkungen werden gelin-dert und die Schonhaltung kann aufge-hoben werden. „Pridinol hat ein sehr breites Einsatzgebiet – breiter als ande-re Muskelrelaxanzien. Es wird vor allem bei schmerzhaften Muskelver-spannungen, Muskelschmerzen, Lum-balgie und Torticollis eingesetzt. Idealerweise verordnen wir das Mus-kelrelaxans im Akutfall möglichst früh“, berichtete Zink. „Relativ häufig lässt sich bei vielen akuten Schmerz-symptomen schon nach einer Gabe

über eine Woche die Dosis verringern, weil die Symptomatik deutlich besser geworden ist.“ Pridinol ist gut verträg-lich, weist kein Suchtpozential auf und ist daher für die Langzeitanwendung geeignet.

Individuelle Dosierung Laut Zink sprechen die Erfahrungen aus der Praxis eine deutliche Sprache für Pridinol als effektives Muskelrela-xans: „Wir setzen Pridinol häufig für schmerzhafte Muskelverspannungen ein, etwa bei Bandscheibenvorfällen. Und die Ergebnisse sind wirklich aus-gesprochen gut. Es gibt sehr viele Patienten, die dann Diclofenac und Ibuprofen weglassen, weil sie wegen der sehr guten Schmerzlinderung durch das Muskelrelaxans darauf ver-zichten können.“ In der Regel wird dreimal täglich eine halbe bis eine 3 mg Tablette verabreicht. Die Dosis könne individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden. Durch die angenehme Größe und ein-fache Teilbarkeit der Tablette werde die Einnahme erleichtert, was einen positiven Effekt auf die Adhärenz nach sich ziehe. W

( Quelle: Trommsdorff

Zum 11. Oktober 2019 erhielten fünf weitere Fitbone®-TAA Ver-längerungsmarknägel der Wit-

tenstein intens GmbH die europäische CE-Kennzeichnung. Der Medizinpro-duktehersteller dokumentiert damit nach eigenen Angaben die Produkt-sicherheit und die medizinisch-techni-sche Leistungsfähigkeit seines voll implantierbaren Marknagels zur Kno-chenverlängerung. Auch ein vollstän-dig überarbeitetes, innovatives und preisgekröntes Receiverdesign mit zusätzlichen Funktionen erhält die CE-Kennzeichnung.

Die für Medizinprodukte verpflich-tende Kennzeichnung erfordert die Erfüllung zahlreicher gesetzlicher und normativer Anforderungen, die im Rahmen eines Konformitätsbewer-tungsverfahrens durch eine benannte Stelle überprüft werden. Ein wichtiger Aspekt für die zuständige Zertifizie-rungsstelle waren die umfassenden Maßnahmen für die Sicherheit des Fit-bone-Systems, so Roman Stauch, Geschäftsführer der Wittenstein intens GmbH. Er erklärt: „Die Anforderungen der CE-Kennzeichnung wurden voll-umfänglich und ohne Abweichungen erfüllt. Dem Fitbone werden damit gemäß der Richtlinie für aktive implantierbare medizinische Systeme der Europäischen Wirtschaftsgemein-schaft verschiedene Eigenschaften zugesichert, von denen sowohl die Patienten als auch die behandelnden Ärzte profitieren: Wir stellen beispiels-weise eine biologische Verträglichkeit des Marknagels sicher und reduzieren

Infektionsrisiken auf ein Minimum. Außerdem garantieren wir eine eng-maschige Überwachung unserer Her-stellungsprozesse und zwar über den gesamten Produktlebenszyklus.“

Die Zertifikatserweiterung betrifft die Fitbone-Nägel TAA1140-F-205, TAA1180-F-245 und TAA1380-F-245 für den Oberschenkel (Femur), sowie die Nägel TAA1140-T-205 und TAA1160-T-225, die im Unterschenkel (Tibia) eingesetzt werden.

Mehr Sicherheit und KomfortEine weitere Neuerung für das intra-medulläre Verlängerungssystem stelle der vollständig überarbeitete und um circa 45 Prozent in der Baugröße reduzierte Receiver des Systems dar, so der Hersteller. Außerdem wurde der Receiver um eine Retraktions-Funkti-on ergänzt, die es den behandelnden Ärzten ermögliche, eventuelle Fehlbe-dienungen der Patienten rückgängig zu machen. Sollte der Marknagel also vom Patienten versehentlich zu weit

ausgefahren werden, könne der Arzt das Implantat zukünftig im Bedarfsfall wieder zurückfahren.

Laut Hersteller ist der smarte Ver-längerungsmarknagel ein einzigarti-ges, mechatronisches System zum Ausgleich von Beinlängendifferen-zen. Außerdem ist die gleichzeitige Korrektur von Achsfehlstellungen im Ober- und Unterschenkel möglich. Durch einen minimalinvasiven Ein-griff wird der Nagel in den Knochen eingesetzt und der Receiver direkt unter die Haut implantiert. Mittels eines externen Steuerungssets kann der Disktraktionsvorgang vom Pati-enten selbst drei Mal am Tag vorge-nommen werden. Laut Hersteller besonders hervorzuheben ist die opti-sche und akustische Überwachungs-funktion des Implantatsystems. Der Patient kann damit den Verlänge-rungsvorgang sicher und kontrolliert selbst durchführen.

Dank der Fibone-App und einer durchgängigen Behandlungsdoku-mentation kann eine lückenlose Kon-trolle der Verlängerung sichergestellt werden. Der Patient protokolliert den Verlängerungsprozess und kann die planmäßige Verlängerung dokumen-tieren. Außerdem bietet die App hilf-reiche Zusatzinformationen für Pati-enten. Diese Funktionalität sei für diese Art von Implantaten bisher ein-zigartig, so der Hersteller und mache den Verlängerungsprozess deutlich sicherer und beherrschbarer. W

( Quelle: Wittenstein intens GmbH

C omputergestützte digitale Pla-nungen von Wirbelsäulenopera-tionen werden zunehmend

wichtiger und kommen häufiger zum Einsatz. Auch die Entwicklung der ver-gangenen Jahre zeigt, dass sich die Wirbelsäulenchirurgie zunehmend an den Ansprüchen und Erfordernissen der orthopädischen- und unfallchirurgi-schen Chirurgie orientiert (z. B. Endo-prothetik- und Trauma-Register).

Im Bereich digitaler chirurgischer OP-Planung habe man mit der Ein-führung von mediCAD® Spine 3D bereits im Jahr 2015 ein innovatives Tool geschaffen, das dem Arzt eine optimale, revisionssichere und moder-ne OP-Vorbereitung in der Wirbel-

säulenchirurgie ermögliche, so der Software-Entwickler mediCAD Hectec GmbH. Seitdem erleichtere die Soft-ware den Alltag von Neurochirurgen in der präoperativen Planung und überzeuge dabei durch Leistungs-merkmale, wie etwa bei der Berech-nung der sagittalen Balance, dem automatischen Platzieren von Schrau-ben und Cages, der leichten Planung einer Spondylodese oder dem Ein-fügen von Stäben. Und zwar sowohl

zwei- als auch dreidimensional, durch Betrachtung eines Gesamtmodells oder aber durch die Darstellung der einzelnen 2-D-Schichten in axialer, sagittaler oder coronaler Ebene.

Die aktuelle Version mediCAD® Spine 3D, V2.2 bietet laut Hersteller „ab sofort volle MRT- und MRI-Unterstüt-zung mit einer vollständigen Erken-nung aller knöchernen Strukturen“. Auch die Erweiterung der Funktionali-tät in der Bestimmung der sagittalen Balance nach Le Huec sowie eine noch bessere und noch schnellere automati-sche Segmentierung machten die Soft-ware zu einem unverzichtbaren Tool für die Planung in der Wirbelsäulenchirur-gie. „Nicht zu vergessen ist dabei auch

die stetig wachsende und monatlich aktualisierte Implantatdatenbank. Ärzte können bereits heute auf rund 3000 Implantate von einer großen Anzahl weltweit agierender Implantathersteller zurückgreifen – Tendenz steigend und mit dem Vorteil, dass aus den ausge-wählten Implantatherstellern eine per-sönliche Favoritenliste erstellt werden kann“, betont das Unternehmen. W

( Quelle: mediCAD Hectec GmbH

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Digitale Planung anhand von MRT-Bildern.

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Das Fitone-System besteht aus einem intramedullären Verlängerungsmarknagel, einem Receiver und einem externen Steuerungsset.

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ORTHOPÄDISCHE NACHRICHTEN | 11.201928 | PHARMA UND MEDTECH/TERMINE

CPM-TherapieVerordnungsfähigkeit offiziell vom G-BA bestätigt

Orthopädie-Kalender November 2019 bis Februar 2020Rückenschmerz

Lumbalbandagen mit verbesserter Passform

Artromot®-Motor-B e w e g u n g s -schienen dienen

der kontinuierlichen und passiven Bewegung von Gelenken (Continuous Passive Motion; CPM). Der Einsatz der Bewe-gungsschienen beschleu-nigt die Heilung von Knorpel, Sehnen und Bändern, erhält die Gelenkbeweglichkeit, lindert Schmerzen sowie Schwellungen und sichert damit, unter anderem, das OP-Ergebnis.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat nach erfolgter Prüfung und positiver Feststellung in seiner Sitzung am 20. Juni 2019 einstimmig folgen-den Beschluss gefasst: Der häusliche Einsatz von CPM-Bewegungsschienen zur konservativen Behandlung oder nach operativen Eingriffen am Knie- und am Schultergelenk kann weiter zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Der Nutzen, die medizinische Notwendigkeit, die Sicherheit und die Wirtschaftlichkeit

der Methode ist gegeben. Der G-BA hat eine ent-sprechende Richtlinie erlassen und diese ist nach Verkündung im Bundesgesetzblatt am 5. September 2019 in Kraft getreten.

A r t r o m o t - B e w e -gungsschienen werden von DJO, nach eigenen Angaben Marktführer für motorisierte Bewe-

gungsschienen, entwickelt, herge-stellt, weltweit vertrieben und in der Home-Care-Versorgung eingesetzt. Laut Unternehmen sind die Vorteile:• Produkt und Service direkt vom Her-

steller • Bundesweite Abdeckung: Lieferung

persönlich zu den Patien ten• Verträge und Vereinbarungen mit

allen großen GKV- und GUV-Kassen• Komplexes Produktportfolio für

Bewegungsschienen.Weitere Informationen unter: www.DJOglobal.de/cpm-therapie-artromot W

( Quelle: Ormed GmbH

21. UpDate Orthopädie und Unfall-chirurgie – Fuß und SprunggelenkDatum: 21. bis 22. November 2019 Ort: Neuss

www.prosympos.de

22 . Interdisziplinäres Forum Medizin, Physiotherapie, SportwissenschaftDatum: 22. bis 23. November 2019 Ort: Regensburg

www.drmartindietmaier.de

XV. Bogenhausener SchultersymposiumDatum: 22. bis 23. November 2019 Ort: München

www.schulterorthopaedie.de/index.html

8. Jahreskongress der Deutschen KniegesellschaftDatum: 22. bis 23. November 2019 Ort: Hamburg

https://knie-komplex.de/

6. Münchner Symposium für Haltungs- und BewegungssteuerungDatum: 23. November 2019 Ort: München

https://ghbf.de/symposium/symposium-2019

27. Facharztvorbereitungs- Refresherkurs Berlin (FAB)Datum: 25. bis 30. November 2019 Ort: Berlin

www.edoucate.de

14. Deutscher WirbelsäulenkongressDatum: 28. bis 30. November 2019 Ort: München

www.dwg-kongress.de

F.A.M.E. hands-on Salzburg: Sprunggelenksarthroskopie – OP-Kurs an Humanpräparaten

Datum: 28. bis 30. November 2019 Ort: Salzburg, Österreich

www.fame-forum.de

16. AOTrauma Seminar NordDatum: 29. November 2019 Ort: Hamburg

https://aotrauma.aofoundation.org

AE-Kompaktkurs Zement und ZementiertechnikDatum: 29. November 2019 Ort: Leipzig

www.ae-gmbh.com

DIGEST-Fachkundekurs Modul 2 Tendopathien obere ExtremitätenDatum: 29. November 2019 Ort: Wien, Österreich

www.digest-ev.de

12. Kompaktkurs KinderorthopädieDatum: 2. bis 5. Dezember 2019 Ort: Stuttgart

www.kinderorthopaedie.org/

AE/DKG-Masterkurs Knieendoprothetik Modul 3 für das Zertifikat Kniechirurg der DKG

Datum: 4. bis 5. Dezember 2019 Ort: Düsseldorf

www.ae-gmbh.com

Das kindliche KnieDatum: 5. Dezember 2019 Ort: Berlin

www.konservative-therapie.de

Seminar: „Bildgebung und Endo-prothetik – ein interdisziplinäres

Konzep“ beim 21. AE-Kongress

Datum: 5. Dezember 2019 Ort: Düsseldorf

www.ae-gmbh.com

Konservative Therapie, Rehabilitation und PhysiotherapieDatum: 5. Dezember 2019 Ort: Berlin

www.konservative-therapie.de

2. QKG SpezialkursDatum: 6. bis 7. Dezember 2019 Ort: Essen

www.prosympos.de

21. AE-Kongress: „Miteinander – Füreinander … you never walk alone“

Datum: 6. bis 7. Dezember 2019 Ort: Düsseldorf

www.ae-gmbh.com

Landeskongress Baden-Württemberg 2019Datum: 7. Dezember 2019 Ort: Karlsruhe

www.bvou.net/ado-akademie-veranstaltungen-und-seminare

Spezialkurs Osteologin DVO/Osteologe DVODatum: 7. Dezember 2019 Ort: Köln

www.ostak.de

Manuelle Medizin – Grundkurs IDatum: 7. bis 12. Dezember 2019 Ort: Isny im Allgäu

https://manuelle-mwe.de

Interpersonal Competence Training 1Datum: 13. bis 14. Dezember 2019 Ort: Seeheim

https://lufthansa-aviation-training.myobis.com

MRT-Kurs 3: Untere Extremität | ErlangenDatum: 13. bis 14. Dezember 2019 Ort: Erlangen

www.orthopaeden.com/fortbildungen

Hygienebeauftragter Arzt (HBA) – curriculare FortbildungDatum: 31. Dezember 2019 Ort: Berlin

www.bvou.net/ado-akademie-veranstaltungen-und-seminare

Manuelle Medizin – Grundkurs I (zweiteilig)Datum: 3. bis 12. Januar 2020 Ort: Damp

https://manuelle-mwe.de

7. OsteotomiekursDatum: 16. bis 17. Januar 2020 Ort: Berlin

www.konservative-therapie.de

MRT-Kurs 4: Weichteil-, Knochen-, Gelenk-erkrankungen | Erlangen

Datum: 17. bis 18. Januar 2020 Ort: Erlangen

www.orthopaeden.com/fortbildungen

OTF Modul 2 – Traumatologie der oberen ExtremitätDatum: 17. bis 18. Januar 2020 Ort: München

www.bvou.net/ado-akademie-veranstaltungen-und-seminare

D ie Lumbalbandage Lumbo-Train und die taillierte Vari-ante LumboTrain Lady

kommen jetzt mit neuem Hoch-Tief-Gestrick auf den Markt, wie der Her-steller mitteilt. Die dadurch verbesser-te Passform äußere sich in spürbar mehr Wirkung und Komfort beim täg-lichen Tragen. Das seien wichtige Punkte für den Alltag von Schmerz-patienten, die Bandagen besser tole-rieren und mehr nutzen, wenn sie sich rundum angenehm anfühlen.

Bandagen und Orthesen sind im Durchschnitt 12,3 Stunden am Tag im Einsatz, wie die aktuelle Allensbach-Umfrage im Auftrag der eurocom mit rund 1300 Nutzern von medizinischen Hilfsmitteln zeigt1. Dementsprechend gestalten sich die Ansprüche an die Qualität. Für Lumbalbandagen heißt das, sie sollen nicht einschneiden, bei Bewegung nicht rutschen und mög-lichst weich und luftdurchlässig sein. Laut Hersteller erfüllen LumboTrain und LumboTrain Lady diese Ansprü-che durch die anatomische Passform ihres Gestricks und ihres lumbalen Pads mit Massagenoppen sowie durch ihre kompressionsreduzierten Ban-

dagenränder und die gefiederten Ränder am Bauchverschluss, die sich anschmiegen. Neu sind die stärker strukturierte Oberfläche des Hoch-Tief-Gestricks und rundum integrierte Komfortzonen mit großen Zwischen-räumen im Gestrick.

Durch die strukturierte Oberfläche liegen die flach gearbeiteten Banda-gen mit dem lumbalen Pad nach Her-stellerangaben besser an und halten sicher die Position beim Stehen, Gehen und Hinsetzen. So könne sich die schmerzlindernde Wirkung der zirku-lären Kompression und der Wechsel-druckmassage bei Bewegung optimal entfalten. Die Komfortzonen sorgten durch mehr Luftzirkulation für ein gutes Mikroklima beim Tragen über längere, bewegungsintensive Phasen.

LumboTrain und LumboTrain Lady wirken auch nachweislich muskelakti-vierend2,3 durch die Wechseldruck-massage von Gestrick und Pad. Diese propriozeptive Stimulation führt zu einer verbesserten Ansteuerung der stabilisierenden Rumpfmuskulatur und erhöhten Muskelaktivität. Der vollständige Kontakt durch die stärker strukturierte Oberfläche des Hoch-Tief-Gestricks intensiviert diesen Effekt. W

Literatur:1. Nutzen und Wirksamkeit medizinischer

Hilfsmittel: Steigende Lebensqualität durch weniger Schmerz und mehr Mobi-lität. www.eurocom-info.de/service/pub-likationen

2. Anders C, Huebner A, Niemeyer F et al. Biomech Open Lib 2017;1:7–15.

3. Anders C, Hübner A. PLoS ONE 2019:14(1):e0211042.

( Quelle: Bauerfeind Herausgeber: Dr. Hans Biermann (bie)

Biermann Verlag GmbH Otto-Hahn-Str. 7, 50997 Köln Tel.: 02236-376-0, Fax: -999

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Redaktion: Harald Raabe (hr), Dr. Judith Amann (ja) Tel.: 02236-376-470 oder -472 Fax: -999 E-Mail: [email protected], [email protected] www.biermann-medizin.de

Mitarbeit dieser Ausgabe: Roland Müller-Waldeck, Markus Schmitz (ms)

Chefin vom Dienst: Michaela Schmid Mitarbeit: Anke Struebig

Trotz gründlicher Recherche übernehmen Verlag und Redaktion keine Haftung für die Richtigkeit der Beiträge und vor allem angegebenen Dosierungen. Die Dosierun-gen, insbesondere von Neuzulassungen, sollten in jedem Fall mit dem Beipackzettel des verwendeten Medikamen-tes verglichen werden.

Grafik und Layout: Heike Dargel

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Die Orthopädischen Nachrichten erscheinen 10 x jährlich. Der Jahresbezugspreis beträgt 98 Euro inklusive Versand-kosten.

Wir nutzen zum Einschweißen Polyethylen-Folie, die bei der Entsorgung rückstandslos in Wasser und Kohlendioxid zerfällt bzw. dem Recycling zugeführt werden kann.

ISSN 1437-2193

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geprüft Facharzt-Studie 2018

Impressum

Orthopädische Nachrichten

ZEITUNG FÜR ORTHOPÄDIE UND UNFALLCHIRURGIE

Grundkurs Sonographie des Stütz- und Bewegungsapparates 2020Datum: 17. bis 19. Januar 2020 Ort: Grünwald

www.vfos.info

CoST OP-Kurs Fuß und Sprunggelenk 2020Datum: 23. bis 25. Januar 2020 Ort: Essen

www.prosympos.de

DGOOC Wirbelsäule KursDatum: 23. bis 25. Januar 2020 Ort: Berlin

https://edoucate.de

AE-Masterkurs Revision KnieDatum: 31. Januar bis 1. Februar 2020 Ort: Köln

www.ae-gmbh.com

34. Deutsch-Österreichisch-Schweizer Kongress für Sporttraumatologie & Sportmedizin

Datum: 14. bis 22. Februar 2020 Ort: Seefeld in Tirol, Österreich

www.seefeld-kongress.de

Vorbereitungskurs Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie

Datum: 15. bis 16. Feburar 2020 Ort: Grünwald

www.vfos.info

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Wirkung und Komfort in neuer Balance – die LumboTrain für die konservative Rückenschmerztherapie.

Orm

ed G

mbH