Eltern im Spannungsfeld der Neonatologie · Definition Frühgeburt • nach Schwangerschaftsdauer:...
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Eltern im Spannungsfeld der Neonatologie
Prof.Dr.C.Kohlhauser-VollmuthKinderklinik am Mönchberg
Missionsärztliche Klinik Würzburg
Definition Neonatologie
• Lehre von der Physiologie und Pathologie von Neugeborenen
• Teil der angewandten Kinderheilkunde, der sich mit Neugeborenenmedizin (häufig auch Frühgeborenenmedizin) und Neugeborenenvorsorge befasst
• befasst sich mit den speziellen Problemen und deren Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen
Definition Frühgeburt
• nach Schwangerschaftsdauer:Geburt vor der vollendeten 37. SSW
neuer Begriff: „late preterm infants“ oder „späte Frühgeborene“ 34+0 bis 36+6 SSW
• nach Geburtsgewicht:< 2500 Gramm: LBW (kleine FG)
< 1500 Gramm: VLBW (sehr kleine FG)
< 1000 Gramm: ELBW (extrem kleine FG)
Bedeutung der Frühgeburt
Frühgeburten < 37 SSW: 5-13 % Frühgeburten < 32 SSW: 1-2 %
sind verantwortlich für
• 60-70 % der perinatalen Mortalität
• 50 % der Langzeitmorbidität bei den überlebenden Kinder
Späte Frühgeborene im Vergleich zu Reifgeborenen
• 14x häufiger Probleme bei der Nahrungsaufnahme
• 11x häufiger Hypoglykämien
• 11x häufiger RDS/ANS
• 3x häufiger Aufnahme auf Intensivstation
• 2,5 x häufiger Rehospitalisationen
FG - Ursachen & Risikofaktoren
• Mütterliche Infektionen• Plazentationsstörungen• Uteruspathologien• fetale Pathologien• Mehrlingsschwangerschaften (Inzidenz 10 fach⇑,
20% retardiert)
• � vorzeitige Wehen• � vorzeitiger Blasensprung• � vorzeitig induzierte Schwangerschafts-
beendigung (mütterliche/kindliche Ind.)
Überlebensrate von VLBWI (23-26 SSSW)
44
79
90
84
66
44 44
78
87
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
1985-1990 1991-1995 1996-2000
Survival %
Hoekstra et al. (2004), Pediatrics 113 (1), 1-6
FG- Verbesserte Überlebensrate
• Fortschritte in der Geburtshilfe:– engmaschige Schwangerschaftsbetreuung– aktives Management, Lungenreifung
• Fortschritte in der Neonatologie:– Surfactanttherapie– Verbesserungen der Beatmungstechnik – nicht invasive Überwachungsmöglichkeiten – „minimal handling“, Känguruhpflege“– frühzeitige Integration der Eltern– ………..
g-BA Beschluss ab 01.01.2006
Ziel: • Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der
Versorgung von Früh- und Neugeborenen soll evaluierbar gemacht werden
• Eine Versorgung von Früh- und Neugeborenen darf daher nur in einer Einrichtung erfolgen, die die Voraussetzung der jeweiligen einschlägigen Versorgungsstufe erfüllt
Einteilung in Versorgungsstufen
• Perinatalzentrum Level 1:Versorgung von Früh- und Neugeborenen mit höchstem Risiko
• Perinatalzentrum Level 2:Flächendeckende Versorgung von Früh- und Neugeborenen (ab 29+0 SSW) mit hohem Risiko
• Perinataler Schwerpunkt:Für die flächendeckende Versorgung von Neugeborenen, (ab 32+0 SSW) bei denen eine postnatale Versorgung absehbar istGeburtsklinik ohne kooperierende Kinderklinik:Im wesentlichen Geburt von unkomplizierten Neugeborenen
g-BA Beschluss ab 01.01.2006
Anforderungen an die Versorgungsstufen:• räumliche Voraussetzungen („Wand an Wand“)• technische Ausstattung• ärztliche Qualifikation Geburtshilfe und Neonatologie• pflegerische Qualifikation Kreissaal und neonatologische
Station (Fachweiterbildung)• Qualitätssicherungsmassnahmen (u. a. interdisziplinäre
Fallkonferenzen, Nachuntersuchungen für FG < 1500 g mit 2 Jahren)
• Mindestmengen
• aber: keine psychosoziale Fachkompetenz in den Anforderungen !
Medizinische Probleme von Frühgeborenen
bedingt durch Organunreife:• Lunge• ZNS• Verdauungstrakt• Immunsystem• Augen• endokrines System • eingeschränkte Regulation von Stoffwechsel und
Temperatur• niedrigere Glukosereserven• Psyche
FG- Lunge
Kurzzeitproblematik:• Atemnotsyndrom• Apnoen
<28.SSW 100%late preterm 3-4%
Langzeitproblematik:• BPD/CLD• Infektionsanfälligkeit• Asthma bronchiale
FG- Gehirn
Kurzzeitproblematik:• intrazerebrale Blutung• Hydrozephalus• periventrikuläre Leukomalazie (PVL)Langzeitproblematik:• Zerebralparese• Sensomotorische Defizite• Entwicklungsverzögerung• Epilepsie
FG- Gastrointestinaltrakt
Kurzzeitproblematik:• Hyperbilirubinämie• Nahrungsintoleranz• Osteopenie• Verdauungsprobleme• NECLangzeitproblematik:• Cholestase• Gedeihstörung• neurokognitive Langzeitfolgen• Kurzdarmsyndrom
FG- Augen
Kurzzeitproblematik:• FG-RetinopathieLangzeitproblematik:• Blindheit• Myopie• Strabismus• Refraktionsfehler• Netzhautablösung
FG- Immunsystem
Kurzzeitproblematik:• perinatale Infektionen• nosokomiale Infektionen• AnämieLangzeitproblematik:• Infektionsanfälligkeit• chron. Lungenerkrankung• neurokognitive Langzeitfolgen
FG- Psyche
Kurzzeitproblematik:• Hospitalisierung
• Irritabilität
Langzeitproblematik:• Eltern- Kind Interaktionsstörung
• psychiatrische Folgeerkrankungen
Medizinische Komplikationen
• 50% < 750 g • 5-10% > 1000 g
leiden an einer oder mehreren Komplikationen
FG – Probleme „extrauterin“
• Fehlende Begrenzung durch Uterus
4444 „Nest“, Lagerung
• Fehlendes Fruchtwasser als Umgebung-Schwerkraft
• Fehlende vestibuläre Stimulation durch Bewegung der Mutter
4444Hängematte
• Fehlende Reizabschirmung: warm, dunkel, rhythmische Hintergrundgeräusche
• Art/Qualität der Berührung
4444“Känguruhpflege“
mögliche Langzeitfolgen ...
• Langfristige medizinische Komplikationen
• Neuromotorische und neurosensorische
Beeinträchtigungen
• Beeinträchtigung der kognitiven
Entwicklung
• Schuladaptation und Schulprobleme
• Verhaltensentwicklung
...zu Hause
• Störung des Schlaf-Wachrhythmus
• Fütterungsschwierigkeiten, Gedeihstörung
• Störungen im oro-fazialen Bereich
• Unruhe, „Schreikinder“
• Hyper-und Hyposensibilität
• Diverse Therapien• ......
Neonatologie & „frühgeborene Eltern“
• Innere Anpassung an „verfrühte Elternschaft“• Sorge um Überleben des Kindes und Zukunft• Klein, zerbrechlich...entspricht nicht
„Babyschema“• Räumliche Trennung vom Kind• Hochtechnisierte Umgebung• ⇓Körperkontakt, Bindungsaufbau• Gefühl der Hilflosigkeit, elterliche Kompetenz• mütterliche Minderwertigkeits-, Schuld- und
Versagensgefühle
Neonatologie & Personal ….
• Behandlung in einer wenig „einladenden“Umgebung (Monitore, Beatmungsgeräte etc.)
• Bürokratie
• Knappe Ressourcen
• Berücksichtigung und Wahrnehmung der Bedürfnisse des Patienten
• Wahrnehmung der Bedürfnisse, Ängste, Nöte der Mutter/Eltern/Familie
Neonatologie & Personal ….
• Betreuung von FG umfasst mehr als eine medizinische Betreuung auf dem neuesten Stand des Wissens
• Wahrnehmung der Bedürfnisse des FG
• Bedarf an Ruhe und Geborgenheit
• Wahrnehmung der Bedürfnisse zur Interaktion
• Bedürfnisse der Eltern
EFIB/ NIDCAP
• Entwicklungsfördernde• Familienzentrierte• Individuelle• Betreuung von FG
• Newborn• individualized• developmental care and• assessment• program
Leitsätze
• 1. Autonomie der Eltern• 2. Integrative Versorgung• 3. Stressreduktion für Kind und Familie• 4. Entwicklungsfördernde Behandlung• 5. Ernährung• 6. Kompetenz der Eltern• 7. Eltern-Kind Interaktion• 8. Psychosoziale Begleitung der Familie• 9. Struktur und Organisation des Teams• 10.Nachsorge
1. Autonomie der Eltern
• offene
• ehrliche
• verständliche
• respektvolle Kommunikation
• ⇒ informierte Entscheidungen durch/mit Eltern
2. Integrative Versorgung
• Räumliche Nähe Geburtshilfe und Neonatologie
• Interdisziplinäre Zusammenarbeit- prä-peri-&postnatal
• jederzeit Zugang zur Intensivstation
• Mitaufnahme als Begleitperson
3. Stressreduktion für Kind & Familie
• Rückzugsmöglichkeit
• Vermeidung von störenden sensorischen Reizen
– Licht
– Lärm
–Geräusche
• Berücksichtigung Tag-Nacht Rhythmus
4. Entwicklungsfördernde Behandlung
• Koordinierte Maßnahmen nach individuellen Bedürfnissen
• Möglichst nicht-invasiv
• Stress-und Schmerzvermeidung
• Förderung der sensorischen Stimulation und Unterstützung der Selbstregulation
5. Ernährung
• Möglichst Muttermilch
• Möglichst stillen
6.+7. Kompetenz der ElternEltern –Kind-Interaktion
• Einbeziehung in Pflege
• Aktive Unterstützung der elterlichen Kompetenz
• Möglichst zeitlich unbegrenzter Kontakt
• Erkennen von elterlichen/familiären Ressourcen
8. Psychosoziale Begleitung der Familie
• Psychosoziale Begleitung
• Psychologische Begleitung
• Infos über Hilfs- und Betreuungsangebote
• Angebot von Seelsorge
• Aufbau und Unterstützung von Elterngruppen
9. Struktur und Organisation des Teams
• Kind-und Familienzentrierte Betreuung
• Fortbildung
• Supervision
• Ausreichende personelle Ausstattung
…FG als Herausforderung…
lebenslang für Betroffene
lebenslang für die Eltern
• …für die Geburtshelfer
• …für die Neonatologen
• …für die Kinderärzte
• ...für die Gesellschaft