EmpaNews Januar 2010

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Interview mit Empa-Direktor Gian-Luca Bona 04 Künstliche Muskeln lernen fliegen 08 Ein Provisorium wird vierzig 22 Die Kunden- und Publikumszeitschrift der Empa Jahrgang 8 / Nummer 28 / Januar 2010 Empa News Sichere und nachhaltige Stromversorgung dank Photovoltaik 12

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Magazin für Forschung, Innovation und Technologietransfer - Jahrgang 8, Ausgabe 28

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Interview mit Empa-DirektorGian-Luca Bona 04

Künstliche Muskelnlernen fliegen 08

Ein Provisoriumwird vierzig 22

Die Kunden- und Publikumszeitschrift der EmpaJahrgang 8 / Nummer 28 / Januar 2010

EmpaNews

Sichere und nachhaltigeStromversorgungdank Photovoltaik 12

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02 // Editorial

Die ersten 100 Tage im RückblickEmpa-Direktor will innovativeProdukte mitentwickeln 04

Alles Gutekommt von oben

Auch wenn Mitte Dezember am Weltklimagipfelin Kopenhagen nicht gerade ambitiöse Ziele zurBegrenzung des CO2-Ausstosses vereinbart wur-

den, ist und bleibt die nachhaltige, ressourcen- und um-weltschonende Energieversorgung eine dringliche Auf-gabe – gerade auch für eine Forschungs- und Technolo-gieinstitution wie die Empa.

Es «gibt» grundsätzlich mehr als ge-nug Energie auf der Erde; die Sonne liefertsie uns frei Haus. Um sie nutzen zu kön-nen, müssten wir sie eigentlich nur ein-fangen und umwandeln, etwa in Strom.Genau dies ist das Ziel der Photovoltaik-Aktivitäten an der Empa, die wir Ihnen imaktuellen «Fokus» vorstellen: mit mög-lichst wenig Rohstoffen möglichst effi-ziente (und günstige) Solarzellen herzu-stellen. Und da es immer gut ist, mehrereEisen im Feuer zu haben, arbeiten die

Empa-Teams nicht nur an «klassischen» Solarzellen ausSilizium, sondern entwickeln auch neuartige Dünn-schichtzellen aus unterschiedlichsten Materialien.

Doch selbst wenn es uns gelingt, Sonnenenergie ef-fizient in Elektrizität zu wandeln – die nächste Heraus-forderung wartet schon: die Speicherung. Wir brauchennämlich Energie auch dann, wenn die Sonne nichtscheint. Für innovative Batteriekonzepte und derglei-chen ist materialwissenschaftliches Know-how ebensounerlässlich; die Arbeit dürfte den Materialforscherin-nen und -forschern also kaum ausgehen.

Licht steht nicht nur im Zentrum der Photovoltaik,sondern auch der Photonik, der Forschungsschwer-punkt des neuen Empa-Direktors Gian-Luca Bona, derdie Institution seit September leitet. Nach den sprich-wörtlich ersten 100 Tagen skizziert er im Interviewkünftige Entwicklungen an der Empa sowie seine For-schungs- und Organisationsziele.

Michael HagmannLeiter Kommunikation

Titelbild

Die Sonne ist eine Quelle schier unbe-grenzter Energie: Verschiedene Empa-Forschungsgruppen arbeiten an Solarzellenund deren Herstellungsverfahren,damit Solarstrom preiswert wird und effizientgenutzt werden kann. (Foto: iStock)

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Inhalt // 03

40 Jahre im DienstEmpa-«Streckbank» testetSpannkabel auf Ermüdung 22

Smart Materials im AufwindDer Blimp «schwimmt»lautlos durch die Luft 08

Schadstoffe im EisForscher analysieren Sedimenteaus Gletscherseen 07

Forschung und Entwicklung

04 «Für innovative Produkte ist gute Grundlagenforschung lebenswichtig»

Forschung und Entwicklung

06 Nanopartikel im ungeborenen Kind

Forschung und Entwicklung

07 Unliebsame «Erbstücke» aus dem Gletschereis

Forschung und Entwicklung

08 Künstliche Muskeln lernen fliegen

Wissens- und Technologietransfer

10 Erfolgreiche Wege in die Industrie

Nachhaltige Energieversorgung

12 Flexibel, dünn, günstig: die Lichtfänger von morgen

15 Silizium – noch lange nicht ausgereizt

16 Auf dem Weg zur transparenten Solarzelle

18 Energie-Metamorphose im Kristall

19 Sommerwärme für frostige Wintertage

20 Diagnose: nachhaltig?

Im Dialog

21 Telekonferenz verursacht massiv weniger CO2

Dienstleistungen

22 Ein Provisorium wird vierzig

24 Veranstaltungen

Impressum

HerausgeberinEmpaÜberlandstrasse 129CH-8600 Dübendorfwww.empa.ch

Redaktion & GestaltungAbteilung Kommunikation

KontaktTelefon +41 44 823 47 33Telefax +41 44 823 40 [email protected]

Erscheint viermal jährlich

ISSN 1661-173X

COC-100246 FSC Mix

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04 // Forschung und Entwicklung

«Für innovative Produkte istgute Grundlagenforschung

Die «herausfordernden» ersten 100 Tage der Antritts- und Startphase hat der neue Direktorder Empa, Gian-Luca Bona, hinter sich. Höchste Zeit also, um mit ihm über seine Pläne,seine Erwartungen und die Zukunft der Empa zu sprechen. Seine Ziele sind klar: Die Empainternational breiter vernetzen und die Industriepartnerschaften weiter ausbauen.

INTERVIEW: Beatrice Huber, Michael Hagmann / FOTO: Querwerk GmbH

Nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt dürften Sie dieEmpa inzwischen gut kennen gelernt haben. Was sind Ihreersten Eindrücke?

Ich bin sehr beeindruckt von der konstruktiven Kultur und derVielfältigkeit hier an der Empa. In unseren Forschungsabteilungen ar-beiten hoch qualifizierte und engagierte Menschen mit unterschied-lichstem Know-how, ob Chemiker oder Physikerinnen, Ingenieureoder Biologinnen. Vor kurzem traf ich sogar einen Ethnologen.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Stärken der Empa?In der Schweiz gibt es wohl keine zweite Einrichtung, die «unter

einem Dach» über ein derart breites Wissen von den Grundlagen derMaterialwissenschaften bis hin zur Anwendung verfügt. Ein Indus-trieunternehmen könnte so etwas gar nicht abdecken. An der Empawollen wir Materialien grundlegend verstehen – von der atomaren bishinauf zur systemischen Ebene, also zur anwendbaren Technologie.

Sehen Sie bereits neue Schwerpunkte, die Sie setzen möchten?Beispielsweise im Bereich Cleantech und hier vor allem bei

den erneuerbaren Energien: Einige hervorragende Fachgruppen,etwa im Bereich Wasserstoff oder Photovoltaik, arbeiten bereitsbei uns. Aber ich bin überzeugt, dass wir das Thema noch breiterangehen können und müssen. Da die Sonne leider nicht immerdann scheint, wenn wir Strom brauchen, ist die Energiespeiche-rung für mich das zentrale Thema. Denken Sie nur an die Batte-rietechnik. Da sind profunde Materialkenntnisse notwendig, umneue Lösungen zu finden. Ich sehe dies als grosse Chance für dieEmpa, aber auch für den Industriestandort Schweiz generell.

Ein weiterer Bereich, von dem ich mir einiges verspreche, istPharma beziehungsweise Med- und Biotech. Bottom-up-Ansätze– Stichwort molekulare Selbstorganisation –, wie aus der Halblei-terindustrie bekannt und bestens bewährt, könnten hier neue Im-pulse liefern. Die Empa beherbergt alle dafür notwendigen Diszip-linen – von der Nanotechnologie bis zur Zellbiologie. Ganz allge-mein muss es uns noch besser gelingen, aus unseren vielfältigenKenntnissen in den verschiedenen naturwissenschaftlichen undIngenieurdisziplinen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit ei-nen Mehrwert zu erzielen, das heisst, neue Materialien und Tech-nologien zu erforschen und zu entwickeln.

Was gilt es auszubauen oder gar zu verbessern?In Forschung und Entwicklung wird generell die internationa-

le Ausrichtung immer wichtiger. Wir sind in einem globalen Um-feld tätig und müssen unsere Stärken nutzen, um für die Schweiznachhaltige Lösungen zu erzielen. Mit Universitäten und For-schungsinstitutionen weltweit pflegen wir bereits heute enge Part-nerschaften, mit industriellen Labors können wir dies noch stei-gern. Zudem müssen wir in der Verwertung unserer Forschungs-ergebnisse noch besser werden. Dies bedeutet auch Nachwuchs-förderung. Denn wir geben unser Know-how ja nicht nur in Formvon Produkten weiter, sondern auch als hervorragend ausgebilde-te Menschen – nicht nur in der Theorie, sondern gerade auch mitPraxiskenntnissen. Dieser Technologietransfer ist eine grosseStärke der Empa und gilt es auszubauen.

Vor Ihrem Wechsel an die Empa arbeiteten Sie für IBM inden USA. Was kann die Empa von einem global tätigenUnternehmen wie IBM lernen?

In einem Unternehmen müssen die Erkenntnisse aus For-schung und Entwicklung in Produkte einfliessen; die Besitzer wol-len schliesslich Geld verdienen. Dies gilt analog auch für dieEmpa. Unsere Forschung muss zu einem Mehrwert für unsereGeldgeber führen – also für die Steuerzahler. Die Empa muss des-halb mithelfen und Möglichkeiten finden, um innovative Produktemitzuentwickeln und schlussendlich zu transferieren. Das schafftMehrwert, etwa in Form neuer Arbeitsplätze. Wir müssen unserUmfeld verstehen und die Nischen, in denen wir erfolgreich seinkönnen, sehr genau kennen und nutzen.

Stichwort Finanzen: Die Empa wird zu rund zwei Drittelnvom Bund finanziert. Es scheint, dass jedes Mal, wenn dieGelder für Bildung, Forschung und Innovation auf Wachs-tumskurs stehen, die berüchtigte «Schuldenbremse» zumTragen kommt. Warum spart man in der Schweiz ausgerechnetin diesem Bereich?

Zunächst einmal: Das zusätzliche Geld, das innerhalb der BFI-Botschaft 2008–2011 für den ETH-Bereich gesprochen wurde, gingvollumfänglich an die beiden Hochschulen; die Forschungsanstaltenerhielten lediglich den Teuerungsausgleich. Daher erwarte ich jetzt

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Forschung und Entwicklung // 05

lebenswichtig»

natürlich, dass das Budget der Empa und der anderen Forschungs-anstalten nicht gekürzt wird. Den politischen Entscheidungsträgernsollte eigentlich bewusst sein, dass die Wertschöpfung und damitder Wohlstand in der Schweiz – neben dem Finanzsektor – zumgrössten Teil aus dem Innovationsbereich stammen. Die Schweizverfügt über eine ausgezeichnete Hightech-Industrie. Darauf darfman stolz sein, dazu muss man aber auch Sorge tragen. Es ist scha-de, dass die Schweiz kaum Werbung mit ihren Innovationen macht.Nehmen Sie als Gegenbeispiel den Grossraum San Francisco, die BayArea. Sie ist punkto Bevölkerung und Fläche mit der Schweiz ver-gleichbar und unzertrennbar mit dem Thema Hightech verknüpft.

Wie planen Sie, allfällige «Finanzierungslücken» zu füllen? Wir müssen uns deutlich stärker am Markt ausrichten, etwa

mit unseren Dienstleistungen, aber auch mit unseren Technolo-gietransferaktivitäten. Diese können wir noch gezielter auf die In-dustrie ausrichten und zu Marktpreisen anbieten. Hier sehe ichgrosses Potenzial.

Sie sind nicht nur Direktor der Empa, sondern auch Professorfür Photonik an der ETH Zürich und der EPF Lausanne.Ein zukunftsträchtiges Fachgebiet – wollen Sie das auch ander Empa aufbauen?

Ja, auf jeden Fall, da bietet sich vor allem der Bereich optischeMesstechnik an, etwa bei den Sensoren. Ich bin bereits mit einigenSchweizer Firmen in Kontakt. Einen ersten Doktoranden betreueich auch schon; er arbeitet an der Empa und befasst sich mit neu-artigen Antennen und Sensoren.

Welche Ziele haben Sie sich persönlich für die Empagesteckt?

Ganz wichtig ist mir, dass wir die vielfältigen Synergien in-nerhalb der Empa nutzen, um vermehrt an der Entwicklung biszum fertigen Produkte mitzuarbeiten. Gute Grundlagenforschungist lebenswichtig. Aber ich würde mich besonders freuen, wennich dereinst vermehrt «Dieses Produkt wurde zusammen mit derEmpa entwickelt» oder ähnlich hören beziehungsweise lesen wür-de. Wir müssen die Brückenfunktion ausüben, um gute Grundla-genforschung in innovative Produkte umzuwandeln. //

Zur Person

Gian-Luca Bona ist seit dem 1. September 2009 Direktor der Empa.Gleichzeitig hat er eine ordentliche Professur für Photonik an der ETHZürich und der EPF Lausanne inne. Der promovierte Physiker arbeitetewährend mehr als 20 Jahren für IBM. Die erste Station war am For-schungslabor in Rüschlikon, nahe Zürich. 2004 ging er in die USA, zu-erst ins IBM-Forschungszentrum Almaden in San Jose, Kalifornien, undab 2008 als Direktor für die Entwicklung neuartiger Bandspeicherlö-sungen an den IBM-Standort in Tucson, Arizona.

«Unsere Forschung muss zu einemMehrwert führen – etwa in Formneuer Arbeitsplätze.»

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06 // Forschung und Entwicklung

Die Plazenta ist sozusagen der Filterzwischen der Mutter und dem un-geborenen Kind. Sie stellt sicher,

dass der Fötus mit Nährstoffen und Sauer-stoff versorgt wird, aber auch, dass die ein-

zelnen Blutkreisläufe nicht ver-mischt werden. «Bisher hat

sich die Forschung inten-siv damit beschäftigt, obund wie Nanopartikelüber die Lunge in denBlutkreislauf gelangenkönnen. Ob diese Teil-chen dann aber auchdie Plazentaschranke

überwinden können, warbislang noch nicht bekannt»,

meint Peter Wick, Nano-toxikologe an der Empa in St. Gallen,

zum Stand der Forschung. Eine Studie hatzwar ergeben, dass bei Kindern von Müt-tern, die hohen Feinstaubkonzentrationenausgesetzt waren, eine Beeinträchtigungder Lungenaktivität festzustellen ist. Doches konnte nicht nachgewiesen werden, obdie Partikel auch tatsächlich ins Kind ge-langten.

Grundlagen sind nun vorhandenWick erforscht seit knapp zwei Jahren mitWissenschaftlerInnen der Empa und des Uni-versitätsspitals Zürich, ob Nanopartikel insungeborene Kind gelangen können. Norma-lerweise sei es nicht einfach, am menschli-chen Plazentagewebe wissenschaftliche Un-tersuchungen durchzuführen. «Ursula vonMandach vom Universitätsspital Zürich wardabei eine grosse Hilfe», erklärt Wick. Meh-

rere Mütter, die am Universitätsspital Zürichihr Kind zur Welt brachten, hatten ihre Pla-zenta nach der Geburt für die Forschung zurVerfügung gestellt. In diesen «gespendeten»Organen lässt sich für einige Stunden im La-bor sowohl der mütterliche als auch der da-ran gekoppelte fötale Kreislauf aufrecht er-halten. Für ihre Studie schleusten die For-scherInnen fluoreszierende Nanopartikelaus Polystyrol in den Mutterkreislauf einund schauten, ob diese in den fötalen Kreis-lauf wandern. «Diese Polystyrolpartikel eig-nen sich besonders gut, da sie im Gewebekeinen Stress auslösen und gut nachweisbarsind», sagt Wick.

Die injizierten Partikel wiesen ver-schiedene Grössen auf, angefangen bei 50 Nanometern bis zu einem halben Mikro-meter. Wick: «Der Cutoff lag zwischen 200und 300 Nanometern.» Alle Partikel, diekleiner waren, gingen durch die Schrankein den Kindskreislauf, alle grösseren Na-nopartikel wurden zurückgehalten, so dasFazit der Studie, die Ende November in derFachzeitschrift «Environmental Health Per-spectives» erschienen ist.

Dass Nanopartikel unterhalb einer be-stimmten Grösse in die Blutbahn des unge-borenen Kindes gelangen können, sei zwarnicht gänzlich unerwartet, müsse aber si-cherlich weiter erforscht werden. «Alsnächstes müssen wir», so Wick, «den Me-chanismus verstehen lernen, wie die Partikeldurch die Plazenta transportiert werden.»Dies nicht ohne «Hintergedanken»: DerEmpa-Forscher möchte damit die Vorausset-zungen schaffen, um Nanopartikel künftigauch therapeutisch nutzen zu können. //

Nanopartikel imungeborenen KindNanopartikel können über die Atemwege in unseren Blutkreis-lauf gelangen. Ob die winzigen Teilchen aber auch vonSchwangeren an ihre ungeborenen Kinder weitergegebenwerden, ist noch unklar. WissenschaftlerInnen der Empa unddes Universitätsspitals Zürich präsentieren nun anhand einesPlazentamodellsystems erste Resultate.

TEXT: Simon Berginz, Beatrice Huber / FOTOS: Empa

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Nanotechnologie:Kein Effekt ist auch einwichtiges Ergebnis

Werden freie Nanopartikel auf ihre Auswirkung aufden Menschen untersucht, lautet das Resultat häu-fig: keine Effekte. Dieses «Nicht-Resultat» ist wichtig,da es zeigt, welche Nanopartikel gesundheitlich un-bedenklich sind. Allerdings haben Fachverlage sol-che Resultate bislang kaum publiziert. Empa-For-scher Harald Krug hat sich nun bei verschiedenenVerlagen dafür eingesetzt, dass auch «No-effect»-Studien veröffentlicht werden. Eine Studie, die imRahmen des EU-Projekts «Nanommune» (siehe Em-paNews 27) Wirkungen von Nanopartikeln auf dasImmunsystem untersuchte und keinerlei Effektenachwies, ist nun in der Zeitschrift «Nanotoxicology»erschienen.

1Im Labor können sowohl dermütterliche als auch derfötale Kreislauf der Plazentafür einige Stunden aufrechterhalten werden.

2Für die Forschungsarbeitwurden Nanopartikel ausPolystyrol in den Mutterkreis-lauf eingeschleust undbeobachtet, ob diese in denfötalen Kreislauf wandern.

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Forschung und Entwicklung // 07

1Steingletscher und Steinseeim Berner Oberland,wo im März 2009 Sediment-proben entnommenund untersucht wurden.(Foto: Ruedi Keller)

2Sedimentschichten in Bohr-kernen lassen sich wie«Jahrringe» von Bäumenlesen. (Foto Empa)

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Unliebsame «Erbstücke»aus dem Gletschereis

Ein Gletscher ist keine statische Masse, sondern stets in Be-wegung: Alles, was mit dem Schnee auf den Gletscher ge-fallen ist und dann im Eis eingeschlossen wurde, wandert

nach unten und verlässt mit dem Schmelzwasser irgendwann wie-der den Gletscher. Dies gilt für verschollene Berggänger ebensowie für giftige Substanzen. Zu diesen zählen die so genanntenPOPs («persistent organic pollutants»), schwer abbaubare organi-sche Umweltgifte wie DDT, PCBs oder auch Dioxine. Aufgrund ih-rer Langlebigkeit finden sich die Substanzen praktisch überall aufder Welt, eben auch in Gletschern.

Ein Bohrkern aus dem GletscherseeMit dem Schmelzwasser gelangen die POPs in Gletscherseen, sin-ken dort teilweise auf den Grund und lagern sich so im Sedimentab. Dies geschah und geschieht beispielsweise auch im Steinsee,den eine Forschergruppe der Empa, der ETH Zürich und der Eawaguntersucht hat. Dieser See liegt im Berner Oberland auf 1934 Me-ter über Meer nahe dem Sustenpass und wird von der Gletscher-milch des Steingletschers genährt. In den letzten Jahren entnah-men die Forscher diesem und weiteren Gletscherseen Sediment-bohrkerne. «Wir haben einen der Bohrkerne dann in Scheiben ge-schnitten und gefriergetrocknet», so Peter Schmid, Chemiker ander Empa, zum weiteren Vorgehen. In den Empa-Labors unter-suchte er anschliessend mit seinem Team die verschiedenen Se-dimentschichten.

«Anhand der Schichten konnten wir bestätigen, dass von 1960 bis1970 in grossem Stil POPs produziert wurden und auch im Bergseeablagerten», sagt Christian Bogdal, der an der Empa seine Dissertationüber das Umweltverhalten dieser organischen Stoffe geschrieben hatund nun an der ETH Zürich auf dem Gebiet weiterforscht. Ebenfallsgut zu erkennen sei gewesen, wie Anfang der 1970er-Jahre mit demVerbot dieser Stoffe die Schadstoffmenge zurückging.

Erneuter Anstieg der POPs in jüngeren SedimentschichtenMindestens genauso eindrücklich – und einigermassen überra-schend – war laut Bogdal allerdings auch der erneute Anstieg derPOPs in jüngeren Sedimentschichten. Die Menge an chlorhaltigenChemikalien liegt seit Ende der 90er-Jahre bis heute gar zum Teilhöher als in den 60ern und 70ern. Gletscher sind also – wie vonUmweltforscherInnen schon lange vermutet und nun erstmalnachgewiesen – ernst zu nehmende sekundäre Quellen für den er-neuten Eintrag von POPs in die Umwelt.

Bogdal und Schmid haben zusammen mit Glaziologen, Chemike-rinnen und Sedimentologen der ETH Zürich, des PSI und der Eawagkürzlich einen Projektantrag beim Schweizerischen Nationalfondseingereicht, um den Weg der Schadstoffe im «ewigen» Eis weiter zuerforschen. «Wir wollen herausfinden, wie POPs im Gletscher lagern,welche Wege sie innerhalb eines Gletschers zurücklegen, und ob mitnoch grösseren Schadstoffmengen aus Gletschern zu rechnen ist», soPeter Schmid zum Ziel der Forschung. //

Was Gletscher über viele Jahre «verborgen» halten, geben sie irgendwann imSchmelzwasser wieder frei. Dies gilt auch für bestimmte langlebige Schad-stoffe. Empa-Forscher analysierten Sedimentschichten von Gletscherseen undkonnten so Gletscher als sekundäre Schadstoffquellen ermitteln.

TEXT: Martina Peter

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1990 1989 1988 1987 1986 1985 1984 1983 1982

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08 // Forschung und Entwicklung

Künstliche Muskelnlernen fliegen

Eine Idee, die abhob: Das innovative Prallluftschiff «Blimp» ist ein Demonstrationsobjekt«par excellence», um potenzielle Industriepartner für die Empa zu begeistern; denn weltweiteinzigartig sind die grossflächigen und leichten «künstlichen Muskeln», die das Luftschiffgeräuschlos und energieeffizient wie eine Forelle in der Luft schwimmen lassen. Die neuen«intelligenten» Materialien könnten auch in der Medizin Anwendung finden.

TEXT: Laura Meier / FOTOS: Empa

Direkt von Mutter Natur abgeschaut: Wendig undgeschmeidig gleitet das acht Meter lange Luftschiffdurch die Luft. Und dabei ist nicht das leiseste Ge-

räusch zu hören. Dank so genannter elektroaktiver Poly-mere (EAP), oft auch «künstliche Muskeln» genannt, be-wegt sich der Blimp, als besässe er einen lebendigen Kör-per, gleich einem Fisch, der anstatt im Wasser in luftigenHöhen seine Bahnen zieht. «Wir wollten ein Objekt entwi-ckeln, das zeigt, dass die Art, wie sich eine Forelle im Was-ser bewegt, auch in der Luft funktioniert», sagt Silvain Mi-chel, Projektleiter und Senior Scientist in der Abteilung«Mechanical Systems Engineering». Und fügt hinzu, dassdie Empa bislang das einzige Unternehmen sei, das derartgrossflächige EAP entwickelt und hergestellt hat.

Die Forelle in der Luft Herkömmliche Luftschiffe werden von Propellern angetrie-ben, und dabei gilt: Je grösser der Auftriebs- bzw. Flugkör-per des Luftschiffes, desto schneller müssen sich die Propel-ler drehen, um den Luftwiderstand zu überwinden und so-mit das Schiff zum Fliegen zu bringen. Der Drehzahl unddem Blattdurchmesser der Propeller sind jedoch durch die

1Wie ein Fisch in der Luft: DerBlimp vor einem Probeflugin der Halle an der Empa.

2Ein neuer Blimp entsteht (vonlinks nach rechts): a: Der erste Empa-Blimp nochin «Pinguinform». b: RaoulRüegsegger, Student an derHochschule für Gestaltung undKunst Zürich HGKZ, «sucht» inseiner Diplomarbeit eine neueForm für den Blimp (im Bilddie Version «Forelle»). c und d:Die neue Form nimmt Gestalt an– zuerst am Computer, dannals Modell. e: Ausstellung derDiplomarbeit von RaoulRüegsegger. f: Der neue Blimpauf dem Probeflug. Dank denEAP-Elementen aus schwarzerGraphitfolie kann das Luftschiffseinen charakteristischenSchwanzflossenschlag ausführen.

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Schallgeschwindigkeit Grenzen gesetzt. Drehen sich diePropeller nämlich mit Überschallgeschwindigkeit, entstehtdas unangenehme Helikopterknattern. Ausserdem arbeitensolche Luftschiffe mit einem eher mässigen Wirkungsgrad.Diesen wollte Michel mit seinem Team wesentlich verbes-sern. «Also haben wir der Natur auf die Finger geschaut»,so der Ingenieur, «und wurden bei der Forelle fündig. Wa-rum dies nicht in der Luft realisieren?»

Schnell und wendig Zu Hilfe kommen dem Blimp dabei elektroaktive Polymere.Diese können elektrische Energie direkt in mechanische Ar-beit umwandeln, also in Bewegung. An beiden Seiten desLuftschiffes befinden sich EAP-Folien, die mit elektrisch lei-tendem Graphit – Kohlenstoff – beschichtet sind. An diedünnen Graphitschichten wird nun wechselseitig eine elek-trische Spannung angelegt, dank derer der Blimb seinencharakteristischen Schwanzflossenschlag ausführen kann.So kommt das Prallluftschiff auf eine Geschwindigkeit biszu einem Meter pro Sekunde. Die Energie hierfür soll in Zu-kunft umweltschonend bereitgestellt werden, nämlichdurch Solarzellen.

Langzeitstudien laufen «Allerdings ist die Technologie noch nicht marktreif»,gibt Michel zu. Die Lebensdauer der EAP müsse nochdeutlich verlängert werden; Langzeitstudien seien be-reits im Gange. Der Empa-Forscher freut sich, dass auchpotenzielle Industriepartner auf den Blimp aufmerksamwurden. Ob in Robotik, Bremsaktorik, Ventilsteuerungoder gar in der Medizin als mögliche Muskelprothesen:Praktische Anwendungen für die EAP-Technologie gibtes unzählige. Die Forschungsgruppe um Silvain Michelarbeitet derzeit daran, EAP für diverse Einsatzbereicheweiterzuentwickeln und neue Anwendungsmöglichkei-ten zu erschliessen.

Ob der Blimp allerdings nochmals in luftigen Höhenzu sehen sein wird, ist ungewiss. Die Flugversuche sindaufwändig und teuer. Zudem ist die Effizienz der EAPnoch nicht optimal. Zurzeit befindet sich der Blimp im«Hangar» der Forschungsgruppe bei der Empa. «Ummarktreif zu werden, brauchen wir bessere Materialien»,so Michel. Diese zu entwickeln, koste eben eine ganzeMenge Zeit und Geld. //

Video-PodcastSchauen Sie dem Blimp beim Fliegen zuund erfahren Sie mehr zum Projekt unter www.empa.ch/EmpaTV-Blimp

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Forschung und Entwicklung // 09

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Von den Ergebnissen aus den Empa-Labors sollen auch Wirtschaftsunternehmenprofitieren. Dem Bedürfnis der Industrie nach einfachen Kooperationsmodellenbegegnet der Leiter der Empa-Abteilung «Werkstoff- und Nanomechanik»,Johann Michler, auf seine Weise – indem er jungen Mitarbeitenden den schritt-weisen Übergang von der Forschung in die Industrie ermöglicht.

TEXT: Martina Peter / FOTOS: Ruedi Keller

Erfolgreiche Wegein die Industrie

10 // Wissens- und Technologietransfer

1Bereits als Postdoc an der Empaarbeitete Vinzenz Friedli Teilzeitfür seine jetzige Arbeitgeberin,die Firma SPECS. Diese wardie Industriepartnerin eines KTI-Projekts, in dem ein hybridesKontrollsystem für ein 3D-Raster-kraftmikroskop entwickelt wurde.

2Johann Michler fördert seinejungen Mitarbeitenden, indemer sie «sanft» in die Selbst-ständigkeit entlässt. «EineWin-Win-Situation für alle»,ist Michler überzeugt.

3Stephan Fahlbusch an derIonenfeinstrahlanlage (FIB). SeineStartup-Firma Alemnis GmbHproduziert massgeschneiderteInstrumente, mit denen sichProben in derartigen Mikroskopenmanipulieren und testen lassen.

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Wissens- und Technologietransfer // 11

Nachwuchsförderung steht bei Jo-hann Michler hoch im Kurs; vonden 36 Mitarbeitenden der Thuner

Abteilung «Werkstoff- und Nanomechanik»sind 24 derzeit an ihrer Master- beziehungs-weise Doktorarbeit oder als Postdoc ange-stellt. «Oft fragen sich diese jungen Leute,wie es beruflich weitergehen soll, und wasmit ihren Projekten und Ideen geschieht,wenn sie nicht mehr an der Empa sind», soMichler. Er hat sein eigenes Rezept gefun-den, Mitarbeitende zu fördern, sie gleichzei-tig «sanft» in die Selbstständigkeit zu entlas-sen – und damit den Grundstein für erfolg-reiche Industriekooperationen von morgenzu legen. So reduziert zurzeit ein halbes Dut-zend seiner Jungforscher schrittweise denBeschäftigungsgrad. Parallel dazu erfolgt derAufbau an anderer Stelle: Die einen bauenihre eigene Startup-Firma auf, andere wach-sen bei einem Industrieunternehmen in eineverantwortungsvolle Position hinein.

In die Selbständigkeit«Wir haben im Vergleich zu anderen For-schungszweigen den Vorteil, dass wir dieWünsche unserer Industriepartner häufigsehr genau kennen», sagt Stephan Fahlbusch,der 2008 zusammen mit Rodolfo Rabe denStartup Alemnis GmbH gründete. Wenn nun– wie etwa in einem KTI-Projekt – die Ent-

wicklung spezieller Geräte zu innovativen Produkten führt, dann kön-nen die Empa-Forscher in der Regel davon ausgehen, sich mit ihnenam Markt erfolgreich zu behaupten. Die Alemnis-Produkte sind mass-geschneiderte Instrumente für die Halbleiterindustrie und For-schungseinrichtungen, mit denen sich Proben in Licht- und Elektro-nenmikroskopen manipulieren und testen lassen. Ein Nanoindenterbeispielsweise dient dazu, Materialproben mit einer winzigen Dia-mantspitze einzudrücken und durch die kontinuierliche Messung vonKraft und Eindringtiefe den Elastizitätsmodul des Materials zu bestim-men. Mit einem Gasinjektionssystem und Nanopositionierern lassensich wiederum neuartige Nanostrukturen herstellen.

Neben seiner Tätigkeit in der eigenen Firma arbeitet Fahlbuschan der Empa an der Entwicklung eines Instruments zur Nanoanalyse,-strukturierung und -manipulation. 2008 begann er, schrittweise im-mer mehr Zeit in die Entwicklung und den Vertrieb der Alemnis-Pro-dukte zu stecken. «Ich bin froh, dass ich genügend Zeit habe, unserePrototypen auf Messen Kunden vorzustellen.» Inzwischen seien auchbereits konkrete Anfragen aus Europa und Asien eingetroffen, vor al-lem von ehemaligen Forschungspartnern.

Bindeglied zwischen Forschung und IndustrieAuch Fred Oestlund verabschiedet sich zurzeit «in Raten». Im Ge-gensatz zu Fahlbusch und Rabe hat der schwedische Physiker, deran der Empa im Teilzeitpensum Oberflächenanalysen und -bear-beitungen an einer Ionenfeinstrahlanlage (FIB für «Focused IonBeam») durchführt, nicht den Weg eines Firmengründers gewählt.Vielmehr wächst er gerade in eine bereits etablierte Firma hinein.Die 2002 gegründete Tofwerk AG entwickelt und produziert kom-pakte, hochsensible Massenspektrometer, die innerhalb wenigerTausendstel Sekunden die Zusammensetzung von Partikeln, Luftoder Materialien analysieren können. Ein solches Massenspektro-

meter wurde beispielsweise während der Olympischen Spiele inPeking 2008 eingesetzt, um die dortige Feinstaubbelastung zumessen. Im EU-Projekt «FIBLYS», in dem ein FIB für nanotechno-logische Anwendungen entwickelt wird, vertritt Oestlund sowohlTofwerk als auch Empa. Während er für Tofwerk die Entwicklungvon Massenspektrometern weiterbringt, integriert er diese an derEmpa in das FIB und nutzt sie dort für aktuelle Forschungsfragenaus den Materialwissenschaften.

«Wir sind grundsätzlich immer auf der Suche nach Mitarbei-tern mit dem passenden Vorwissen», sagt Marc Gonin, CEO vonTofwerk. Oestlund passe da perfekt. «Er schreibt bei uns eigentlichSoftware. Doch dank der Ausbildung, die er an der Empa genossenhat, kann er die Massenspektrometer nicht nur bedienen, er kannsie auch umbauen und versteht ebenfalls die chemischen Proble-me, die analysiert werden müssen.» Zudem stelle der Empa-For-scher für Tofwerk einen wertvollen Link zur aktuellen Forschungdar: «Dass wir unser Wissen à jour halten, ist für unsere Weiter-entwicklung äusserst wichtig. Und da hilft uns der Draht zur Empaenorm», so Gonin.

Gelungener Wechsel zur IndustrieVinzenz Friedli ist sogar schon einen Schritt weiter; er hat dieEmpa am 1. Januar 2010 verlassen. Seine neue Arbeitgeberin istdie Firma SPECS, ein KMU mit Sitz in Berlin und Zürich, das Ultra-Hochvakuumsysteme zur Oberflächenanalyse entwickelt.«Nach Abschluss meiner Doktorarbeit stand fest: Ich wollte in dieIndustrie zu wechseln», sagt Friedli. Als Postdoc an der Empa ar-beitete er in einem KTI-Projekt bereits mit seiner jetzigen Arbeit-geberin zusammen und nahm dort im Rahmen des Projekts eineTeilzeitanstellung an. Es ging um die Entwicklung eines hybridenKontrollsystems für ein 3D-Rasterkraftmikroskop, das in einemRasterelektronenmikroskop eingesetzt ist. Das Ergebnis überzeug-te – auch den Industriepartner. «Für unsere Firma verlief diese 18-monatige Übergangszeit innerhalb des KTI-Projekts ideal», sagt Tobias Vancura, Chief Operating Officer von SPECS. «Kein Bewer-bungsverfahren der Welt hätte es uns ermöglicht, einen Mitarbeiterderart gut kennen zu lernen und zu wissen, dass er der Richtigeist.» Zum Zeitpunkt, als er seine Stelle als Produktmanager antrat,hatte Friedli die Firmenkultur praktisch schon intus, die «interne»Ausbildung schon hinter sich. «Das spart uns enorme Ressourcen»,gibt Vancura zu. Und die nächste Aufgabe wartet bereits auf Friedli. Er soll den Prototypen, den er an der Empa und bei SPECSentwickelt hat, zur Marktreife führen und kommerzialisieren.

Win-Win-Situation für alleBei so viel «Aderlass» stellt sich die Frage: Was hat die Empa letzt-lich davon? In erster Linie einen anschaulichen «Gerätepark». DennJohann Michler hat vertraglich festgelegt, dass die Prototypen ausden Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit der Industrie ander Empa bleiben. Den drei Firmen Alemnis, Tofwerk und SPECSkommt dies entgegen, denn mit der einzigartigen Ausrüstung kanndie Empa nach wie vor hochkarätige Forschung betreiben und wei-teren Nachwuchs ausbilden. Daraus entstehen nicht zuletzt wiedererstklassige wissenschaftliche Publikationen, die den Firmen alsVerkaufsargument dienen.

Dank seiner Strategie kann der Empa-Forscher auch auf einweit verzweigtes Netzwerk mit vielen ehemaligen Postdocs undDoktoranden zurückgreifen. «Da wir uns kennen, die gleiche Spra-che sprechen und die Kommunikationswege einfach und kurz hal-ten, sind die nächsten gemeinsamen Projekte schnell unter Dachund Fach», meint er zufrieden. Damit sei die Industrienähe derEmpa praktisch garantiert. //

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Flexibel, dünn, günstig:die Lichtfänger von morgenDie Sonne liefert genügend Energie für eine langfristige und umwelt-freundliche Energieversorgung. Empa-Forscher arbeiten an Solarzellen undderen Herstellungsverfahren, damit Solarstrom auch preiswert wird undeffizient genutzt werden kann. Das Ziel rückt näher.

TEXT: Beatrice Huber

Page 13: EmpaNews Januar 2010

Warum eigentlich Solarzellen?» fragt Ayodhya Tiwari,Leiter der Empa-Abteilung «Dünnfilme und Photovol-taik», rhetorisch – und liefert auch gleich die Antwort:

«Photovoltaik könnte die einfache Antwort auf ein grosses globa-les Problem sein: sichere und nachhaltige Stromversorgung, unddas für immer.» Eines ist sicher: Fossile Energieträger sind keineLösung, um die steigende Nachfrage nach Energie zu decken.Nicht nur Industrienationen, sondern auch Entwicklungs- undSchwellenländer verbrauchen immer mehr Energie. Tiwari: «Pho-tovoltaik ist die einzige Technologie, die Licht direkt in Elektrizitätumwandelt, und sie besitzt ein ausgezeichnetes Potenzial, umkostengünstige Energie zu liefern.»

Genügend für Weltstromverbrauch – mal 60! Die Sonne ist eine Quelle schier unbegrenzter Energie: Innerhalbnur einer Stunde erhält die Erde genügend (Strahlungs-)Energievon der Sonne, um den globalen Jahresbedarf zu decken. Reintechnisch – so zeigen Berechnungen – könnten Solarzellen etwaeine Million Terawattstunden (TWh) Strom pro Jahr liefern. Dassind rund 60-mal mehr als der weltweite Stromverbrauch (2008:16 800 TWh). «In den letzten Jahren hat die Photovoltaik gewal-tige Fortschritte gemacht. Die deutlich sinkenden Produktionskos-ten weisen darauf hin: Solarstrom hat eine strahlende Zukunft»,meint Tiwari enthusiastisch.

1954 erfolgte die erste öffentliche Präsentation von Solarzel-len – Silizium-Solarzellen der Bell Labs in den USA – und 1958 dererste Einsatz für den amerikanischen Satelliten «Vanguard 1». DieEntwicklungen blieben lange Zeit auf die Raumfahrt beschränkt.Erst die Ölkrise 1973 gab Anlass zum Umdenken: Solarzellen er-schienen nun auch als Alternative für die irdische Stromerzeu-gung. Doch erst als Themen wie Treibhauseffekt, Klimaerwär-mung und nachhaltige Energie das Interesse der breiten Öffent-lichkeit zu erreichen begannen, kamen die erneuerbaren Energienund speziell die Photovoltaik wirklich auf Touren. Entsprechendwuchs der Markt für Solarzellen im letzten Jahrzehnt durch-schnittlich um 30 Prozent jährlich, in den letzten Jahren gar um40 bis 60 Prozent. Gemäss dem achten Photovoltaik-Jahresberichtdes «Joint Research Centre» der Europäischen Kommission stei-gerte sich die Photovoltaik-Produktion im Jahr 2008 weltweit aufrund 7,3 Gigawatt (GW). Die installierte Gesamtleistung beliefsich auf 15 GW.

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Flexible Dünnschichtsolarzelle«made by Empa»: Nebeneiner hohen Effizienz werdenvor allem kostengünstigeProduktionsverfahren ent-wickelt. (Foto: Ruedi Keller)

Fokus: Nachhaltige Energieversorgung // 13

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14 // Fokus: Nachhaltige Energieversorgung

Weltrekord für flexible SolarzellenTiwari und sein Team arbeiten an Dünnschichtsolarzellen aus anorganischen Halbleiter-materialien. Weitere Gruppen an der Empa befassen sich mit organischen Solarzellen(siehe Seite 16) und zusammen an so genannten Tandemzellen. Dabei werden unter-schiedliche Konzepte kombiniert und so die Effizienz einer Solarzelle weiter erhöht. Beiden Halbleitern handelt es sich um CdTe (Cadmiumtellurid) und CIGS (Copper IndiumGallium (di)Selenide, auf deutsch: Kupfer-Indium-Gallium-(di)-Selenid, Cu(In,Ga)Se2).Dank der hohen Lichtabsorption der verwendeten Materialien sind diese Solarzellen nurrund zwei bis zehn Mikrometer dick – Standard-Siliziumsolarzellen dagegen rund 200bis 400 Mikrometer. Der geringe Materialverbrauch senkt die Produktionskosten. Unddies ist nötig, denn um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu sein, muss der Preis fürPhotovoltaik auf unter 0,5 US Dollar pro installiertes Watt Leistung fallen. Momentan lie-gen die günstigsten Solarzellen noch bei 0,85 US Dollar.

Tiwari, der mit seinem Team vor rund einem Jahr von der ETH Zürich an die Empa kam,möchte sich nicht nur auf eine Technologie beschränken; seine Wissenschaftler arbeiten breitund suchen «das Beste aus allen Welten», sei es nun beim Material oder bei den Verarbei-tungsverfahren. Erfolge und Rekorde geben ihnen Recht. So hält sein Team mit einer Um-wandlungsrate von 12,4 Prozent den Effizienz-Weltrekord für flexible CdTe-Solarzellen. Fürflexible CIGS-Solarzellen steht ihr Rekord gar bei 16,0 Prozent, also noch deutlich höher alsder frühere Empa-ETH-Rekordwert von 14,1 Prozent, der als höchster je von unabhängigerSeite bestätigter Wert für ein Polymersubstrat gilt. Doch damit nicht genug: «Unsere Tech-nologien eignen sich auch bestens für die Überführung in die industrielle Produktion kosten-günstiger Module», ist Tiwari überzeugt.

«Tieftemperatur»-Beschichtungen für PolymerfolienBis dahin ist indes noch weitere Entwicklungsarbeit nötig. Das Ziel sind Solarzellen, dienoch dünner sind, noch weniger Material benötigen und gleichzeitig eine hohe Leistungzeigen, auch wenn sie mit noch schnelleren, einfacheren und günstigeren Beschichtungs-methoden hergestellt werden. Eine Spezialität von Tiwaris Team sind «Tieftemperatur»-Beschichtungen für Polymerfolien. Dabei werden die Schichten bei weniger als 450 GradCelsius statt den auf Glas üblichen 600 Grad Celsius aufgetragen, wodurch die Foliennicht schmelzen. Polymerfolien haben den Vorteil, leicht und flexibel zu sein; und sielassen sich als Rollen beschichten, was die Herstellungskosten erheblich reduziert.

Die Verwendung von CdTe für Solarzellen ist nicht ganz unumstritten, da Cadmiumin elementarer Form äusserst giftig ist. Mehrere unabhängige Untersuchungen kamen je-doch zum Schluss, dass CdTe eine äusserst stabile Verbindung ist und weder ein Um-welt- noch ein Gesundheitsproblem darstellt. Eine Studie des «Brookhaven National La-boratory» zeigte sogar, dass Dünnschicht-Photovoltaik auf CdTe-Basis diejenige Techno-logie ist, bei der die geringste Umweltbelastung pro Watt Leistung (unter Laborbedin-gungen) erfolgt, auch in Bezug auf Cadmium und über die gesamte Lebensdauer gesehen.Während des Betriebs produzieren Solarmodule – im Unterschied zu konventionellenStromerzeugern wie Kohle- oder Gaskraftwerke – sogar überhaupt keine Schadstoffe,kein CO2 und auch keinen Lärm. Also genau so, wie wir uns die Stromerzeugung der Zu-kunft vorstellen. //

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1Preisvergleich zwischen Grundversorgung(blau), Spitzenstrom (rot) und Photo-voltaik (grün): Je nach Sonneneinstrah-lung – Zürich als Vergleich hat rund 1500Sonnenstunden pro Jahr – sollte Solar-strom bis spätestens 2020 preislich kon-kurrenzfähig sein. (Quelle: RWE EnergieAG und SCHOTT Solar GmbH)

2Dünnschichtsolarzellen auf Basis von CdTe (links) und CIGS (rechts), entwickeltmit verschiedenen Beschichtungs-methoden. Das einfallende Lichtgeneriert in der aktiven Schicht Paareaus Elektronen (negative Ladung)und Löchern (positive Ladung). Diep-n-Sperrschicht bewirkt die Trennung derLadungen, und die gewonnene elektri-sche Energie kann direkt über die beidenelektrischen Kontakte abgegriffen werden.(Foto: Empa)

11µµmµmµµµµµ

1111µmµmµmm1µm

1µm

Metall-Rückkontakt(Verdampfung)

ZnO-Frontkontakt(Sputtern)

CdS-Pufferschichtn-Typ Halbleiter(Chemisches Bad)

CIGS-Absorberp-Typ Halbleiter(Verdampfung)

Metall-Rückkontakt(Sputtern)

Substrat

CdTe-Absorberp-Typ Halbleiter(Verdampfung)

CdS-Pufferschichtn-Typ Halbleiter (Verdampfung)

ZnO-Frontkontakt(Sputtern)

Substrat

CdTe CIGS

€/kWh1.0

1990 2000 2010 2020 2030 2040

0.8

0.6

0.4

0.2

0.0

900h/a

1800h/a

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Fokus: Nachhaltige Energieversorgung // 15

Silizium –noch lange nichtausgereizt

Auch am Empa-Standort Thun sindAktivitäten im Bereich Photovoltaikim Gange. Im Gegensatz zu den an-

deren Teams, die neuartige Zellkonzepte er-arbeiten, stehen in Thun Herstellung undVerarbeitung klassischer Materialien wie Si-lizium im Zentrum. So synthetisieren in ei-nem vom Bundesamt für Energie geförder-ten Projekt Forscher der Abteilung «Werk-stoff- und Nanomechanik» Nanostrukturenaus Zinkoxid, mit denen sich Solarzellen mitextrem dünnen Absorbern (Extreme ThinAbsorber, ETA) realisieren lassen. DerartigeETA-Schichten sollen die Strahlungsenergiebesser aufnehmen und effizienter umwan-deln. Effizienzsteigerung steht auch in ei-nem EU-Projekt im Vordergrund, an demdie Nanomechaniker beteiligt sind. Sie er-hoffen sich die Effizienzsteigerung dank So-larzellen aus Silizium-Nanodrähten. Mit ei-ner speziellen Analytik im Rasterelektro-nenmikroskop untersuchen die Forscher diemechanischen und elektronischen Eigen-schaften der winzig kleinen Drähte.

Anwendungsnäher ist ein zweites EU-Projekt, in dem die Materialwissenschaft-lerInnen aus dünnen Siliziumschichten miteinem Laser relativ grosse Siliziumkörnerherstellen wollen. Denn in kristallinen Dünn-schichten mit grösseren Körnern «verschwin-den» die von der Sonne generierten Ladungs-träger weniger als in Schichten mit kleinenKörnern. Durch den neuen Laserschmelzpro-zess entstehen jedoch mechanische Span-nungen im Material. Im ungünstigsten Fall

könnten diese dazu führen, dass sich diephotoaktiven Dünnschichten vom Trägerma-terial Glas lösen. Die Empa-ForscherInnenwollen daher «spannungsfreie» Lösungen er-arbeiten.

Sägeverfahren für dünnereSiliziumschichtenEin KTI-Projekt, an dem auch die Empa-Ab-teilung «Advanced Materials Processing»beteiligt ist, versucht schliesslich konkreteFragen der Industrie zu beantworten. Umdie zurzeit marktbeherrschenden kristalli-nen Silizium-Solarzellen materialeffizienterherzustellen, dürfen die Siliziumscheibennicht mehr als ein Viertel Millimeter dicksein. Gemeinsam mit einem Schweizer Her-steller von Solarzellen-Sägen haben dieEmpa-Forscher den Sägeprozess bereits der-art optimiert, dass dieser nun in der Lage ist,in einem Pilotprozess 100 Mikrometer dün-ne Scheiben herzustellen. Das spart wert-volles Silizium – und damit Geld.

Das dabei als «Sägeschlamm» verlorengegangene Silizium zurückzugewinnen, istebenfalls ein Ziel der Abteilung «AdvancedMaterials Processing». Dank einem paten-tierten Verfahren steht die Gründung einesSpin-offs kurz bevor. Der Sägeschlammwird dabei durch Flotation zurückgewon-nen – einem mechanischen Verfahren zurTrennung feinkörniger Gemenge in einerwässrigen Lösung mit Hilfe von Luftblasen– und dem Herstellungsprozess wieder zu-geführt. //

TEXT: Martina Peter / FOTO: iStock

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16 // Fokus: Nachhaltige Energieversorgung

Auf dem Weg zurtransparenten Solarzelle

Solarzellen aus organischen Verbindungen könnenpreiswerter als konventionelle Silizium-Solarzellensein. Bis zur Marktreife ist es allerdings noch ein weiterWeg; zunächst ist Grundlagenforschung gefragt.Etwa um Solarzellen leistungsfähiger zu machen, wiedies Empa-Forscher derzeit versuchen.

TEXT: Beatrice Huber / FOTOS: Empa

Photovoltaik besitzt ein gewaltigesPotenzial, wie der in den letztenJahren stetig wachsende Anteil die-

ser Technologie an erneuerbaren Energienbelegt. Was nun allerdings die «ideale» So-larzelle ist und welche Technologien sichletztlich durchsetzen werden, ist noch of-fen. Neben den klassischen Halbleitertech-nologien (siehe Artikel auf den Seiten 12und 15) entwickeln sich zunehmend orga-nische Solarzellen und Farbstoffsolarzellenzu Alternativen. Die Empa ist an der For-schung und Entwicklung organischer Ma-terialien und Fertigungsabläufe beteiligt.

Die grossindustrielle Fertigung von Si-lizium-Solarzellen hat die Fertigungskos-ten zwar gesenkt; der Preis für hochreinesSilizium ist jedoch recht beachtlich. Sowerden Technologien ohne Silizium, bei-spielsweise auf Basis organischer Verbin-dungen, interessant, die dank billigeren,nahezu unbegrenzt vorhandenen Rohstof-fen und einfacheren Verarbeitungsverfah-ren erst noch tiefere Produktionskostenaufweisen. Da die Strom erzeugendeSchicht nur wenige Nanometer dick ist, ge-nügen zudem schon wenige Gramm für

1Empa-Solarzellen aus fotografischenFarbstoffen.

2Flexibles und transparentes Gewebekönnte das teure ITO als gängigeElektrode in Solarzellen ersetzen.Das Gewebe kann günstigund in grossen Mengen produziertwerden. Das Bild zeigt ein mitPolymer beschichtetes Gewebe-substrat (total vier Laborzellen); imDetail das feine Gewebe sowie dieobere Gegenelektrode aus Aluminium.

1

3Schema einer idealisierten organi-schen Solarzelle: Die beiden aktivenorganischen Materialien sindineinander «verzahnt», um einemöglichst grosse Grenzfläche zubilden, was eine effiziente Ladungs-erzeugung begünstigt.

4ElektronenmikroskopischeAufnahmen: winzige Zackenund Canyons vergrösserndie Grenzfläche um ein Vielfaches.

5Farbstoffe aus der Fotografieweisen eine starke Lichtabsorptionauf, was sie für die Photovoltaikinteressant macht. Werden dieseFarbstoffe chemisch aneinandergekoppelt (die Moleküle von linksnach rechts), so verschiebt sichdie Absorption in den Infrarotbe-reich (Wellenlänge über 780 nm).Mit der Kombination mehrererFarbstoffe lässt sich das gesamteSpektrum der Sonne abdecken.

2

Page 17: EmpaNews Januar 2010

3900nm µm

0225

450675

0

00

nm5

nm20

900

0

225

450

675

3

2

1

0

1

2

grossflächige Solarzellen. Und zu guterLetzt können organische Solarzellen selbstauf flexiblen Trägern aufgebracht werden,was den Einsatzbereich vergrössert.

Die rasante Entwicklung auf dem Gebietder organischen Solarzellen hat deren Effi-zienz im Labor in nur fünf Jahren von etwaeinem auf über sieben Prozent ansteigen las-sen, was dem Wirkungsgrad einer amorphenSilizium-Solarzelle gleich kommt. Um organi-schen Solarzellen zum Durchbruch zu verhel-fen, müssen allerdings noch wichtige, grund-legende Fragen geklärt werden. Frank Nüesch, Leiter der Abteilung «Funktionspoly-mere» an der Empa, erläutert: «Gegenüber an-organischen Solarzellen befindet sich die or-ganische Photovoltaik noch in einem sehr frü-hen Entwicklungsstadium.» Zusammen mitseinen Mitarbeitern Roland Hany und ThomasGeiger leitet Nüesch Forschungsaktivitätenfür die Synthese neuer Materialien sowie fürneue Device-Konzepte.

Prinzip der GrenzflächeDie aktive Schicht einer organischen Solar-zelle besteht in der Regel aus zwei Materia-lien. Eines wirkt als Elektronendonor, dasandere als Elektronenakzeptor. Das Son-nenlicht wird in der aktiven Schicht absor-biert und produziert «angeregte Zustände»,so genannte Exzitonen. Wandern diese zurGrenzschicht zwischen Donor und Akzep-tor, findet eine Elektronenübertragungstatt; es bilden sich freie Ladungen, die zurElektrode abgeleitet werden. Exzitonensind jedoch sehr kurzlebig, und nur einsehr kurzer Weg zur Grenzschicht garan-tiert das Überleben des Exzitons und somitdie Ladungserzeugung. Dies bedeutet, dassdie aktive Schicht sehr dünn sein müssteund deshalb meist nur noch unzureichendLicht absorbieren würde. Einen Auswegaus diesem Dilemma bieten Mischschich-ten mit einer möglichst grossen Grenzflä-che. Auf der Suche nach der idealen

Dünnschichtsolarzellen:Schweiz ist topp

Auch wenn die Schweiz nicht gerade als Sonnen-stube der Welt bekannt ist, punkto Forschung undEntwicklung im Bereich Dünnschicht-Photovoltaikgehört sie zur Weltspitze. Mit dabei sind auch Ab-teilungen der Empa. 2006 haben sie sich zudemmit Forschungsgruppen der EPFL in Neuenburgund in Lausanne zur «ThinPV», der Schweizeri-schen Forschungsplattform für Dünnschicht-Pho-tovoltaik, zusammengeschlossen. Koordinator istder Empa-Forscher Frank Nüesch: «Wir wollen eineschweizweite Plattform schaffen, um die Photovol-taik-Forschung voranzutreiben und um Studieren-de für dieses Fach zu gewinnen, mit denen wir denwissenschaftlichen Nachwuchs sichern.»

Weitere Informationen: http://thinpv.empa.ch

Schichtstruktur hat das Team um RolandHany ein neues, zweistufiges Verfahrenentwickelt, mit dem sich die Oberflächen-struktur besser kontrollieren lässt. Im ers-ten Schritt wird ein Gemisch des aktivenMaterials und eines «Gastpolymers» ge-nutzt, um eine dünne Zweikomponenten-schicht mit extrem «zerklüfteter» Grenzflä-che zu erzeugen. Danach wird das Gastpo-lymer selektiv entfernt und durch die zwei-te aktive Komponente ersetzt.

Farbstoffe in SolarzellenAls Alternative zu den etablierten Polymerenkommen an der Empa Farbstoffe zum Ein-satz, wie sie aus der Fotografie bekannt sind.«Die phänomenale Absorption dieser Farb-stoffe ist exakt das, was wir für die organi-sche Dünnschicht-Photovoltaik suchen»,sagt Nüesch. Sein Team hat entdeckt, dassdie Farbstoffschichten so dünn aufgebrachtwerden können, dass die Strukturierung derGrenzfläche unnötig wird. Leistungen vondrei Prozent haben Nüesch und Co. bereitserzielt. «Das klingt nach wenig, ist aber einRekord für derartige Materialien», so der So-larzellenexperte.

Ausserdem haben Empa-Chemiker un-ter der Leitung von Thomas Geiger auchSubstanzen synthetisiert, die nur im nahenInfrarot (NIR) absorbieren. Da NIR für dasmenschliche Auge unsichtbar ist, sind sol-che Substanzen – und die daraus resultie-renden Solarzellen – transparent. «Siekönnten also auch auf Fensterscheibenaufgebracht werden», so Geiger. Inzwi-schen belegen Varianten dieser NIR-Farb-stoffe im Labor mit rekordverdächtigenfünf Prozent ihre Leistungsfähigkeit.

Transparente GewebeelektrodenDamit der Strom auch abfliessen kann – unddadurch nutzbar wird –, sind auf beiden Sei-ten der aktiven Schicht Elektroden aufge-bracht. Neben der elektrischen Leitfähigkeit

muss die dem Sonnenlicht zugewandteElektrode eine weitere wichtige Eigen-schaft aufweisen, sie muss transparentsein. Meist kommt heutzutage so genanntesITO (Indium Tin Oxide – Indium-Zinnoxid)zum Einsatz. Der hohe Preis – Indium ist einseltenes Metall – macht das Material aller-dings kaum geeignet für günstige Solarzel-len. Als Alternative untersucht das Teamvon Nüesch transparentes, flexibles Poly-imid-Gewebe, das in grossen Mengen unddamit günstig produziert werden kann. Fürdie Leitfähigkeit wurden Metallfäden ein-gewoben. Das Gewebe überzeugte in ers-ten Untersuchungen und wies sogar besse-re elektrische und optische Eigenschaftenauf als ITO. //

Akzeptor

Kathode

Anode

20nm Donor

400

+N

+N

ClO4-ClO4

-ClO4

-

n n

600 800Wellenlänge [nm]

Abs

orpt

ion

Sonnenemission

1000 1200

3

5

Fokus: Nachhaltige Energieversorgung // 17

4

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18 // Fokus: Nachhaltige Energieversorgung

Energie-Metamorphoseim Kristall

Thermoelektrika werden siegenannt: Materialien,die, sobald in ihnen ein

Temperaturunterschiedherrscht, elektrischen Stromliefern. Ohne Lärm, Abnützung,Emissionen und ohne das Klimagross zu belasten. Die Empa-Wissen-schaftlerin Anke Weidenkaff, Leiterin derAbteilung «Festkörperchemie und -katalyse»,sucht mit ihrem Team nach geeigneten Materialien, umdieses Phänomen auch praktisch nutzbar zu machen.

Thermoelektrika sind an sich nicht neu; die bislang«üblichen» derartigen Stoffe enthalten jedoch das selte-ne und deshalb teure – und dazu noch giftige – MetallTellur. Ausserdem sind sie nur bei Temperaturen bis zu300 Grad Celsius stabil und weisen zudem noch eineneher bescheidenen Wirkungsgrad auf. Deshalb wollendie Empa-Forscherinnen und -Forscher ungiftige, stabi-le und effizientere Thermoelektrika entwickeln. Amzweiten internationalen «Thermopower Symposium» ander Empa präsentierten sie neueste Ergebnisse verschie-dener keramischer Thermoelektrika mit perowskitarti-ger Kristallstruktur.

Kristalline Verwandlungs-künstler fürklimafreundlichen Strom

Natürlich vorkommende Pe-rowskite bestehen aus positiv

geladenen Metallionen, meist Kal-zium und Titan, und Sauerstoff.

Ihre häufig schwarzen oder rotbrau-nen Kristalle haben die Form eines ver-

zerrten Würfels. Zudem weisen sie eine hohe ther-mische Stabilität an Luft auf, was sie sogar für Anwen-dungen bei Temperaturen von einigen Tausend GradCelsius attraktiv macht.

Die Besonderheit der Perowskite liegt in ihrer flexi-blen Kristallstruktur, die deutliche Änderungen in derchemischen Zusammensetzung ermöglicht. Und je nachchemischer «Summenformel» unterscheiden sie sich inihren Eigenschaften: Sie leiten Elektrizität und/oderWärme oder können gar als Supraleiter eingesetzt wer-den. Optimiert werden die Thermoelektrika in denEmpa-Labors, indem die Forscher bestimmte Kristall-bausteine wegnehmen, ersetzen oder hinzufügen, etwadurch Eisen oder Mangan. Sie synthetisieren also neueMaterialien mit Perowskitstruktur, deren Leitfähigkeit

Der Seebeck-Effekt

Ein Temperaturunterschied in einem elektrischenLeiter hat einen Unterschied im elektrischen Poten-zial und damit eine Spannung zur Folge. Dieser alsThermoelektrizität bezeichnete Effekt wurde nachThomas Johann Seebeck benannt, der das Phänomen1821 erstmals nachwies. Auf der warmen Seite desLeiters haben die freien Elektronen eine grössere Be-wegungsenergie und verteilen sich vermehrt auf diekalte Seite. Dadurch nimmt dort die Elektronendichtezu und es bildet sich ein Potenzialunterschied.

Perowskitartige Kristallstruktur.

Die Empa-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler um Anke Weidenkaffwollen «umweltfreundlichen» Stromaus (Ab-)Wärme erzeugen. Und zwarmit Hilfe so genannter Perowskite.Diese Metalloxide sind aufgrund ihrerspeziellen Kristallstruktur in der Lage,Wärme direkt in elektrische Energieumzuwandeln.

TEXT: Laura Meier / ILLUSTRATIONEN: Empa

Thermoelektrika

kalte Seite(z.B. Raumluft)

Abwärme(z.B. aus Motoren)

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Fokus: Nachhaltige Energieversorgung // 19

für Elektrizität oder Wärme und auch die Fähigkeit,Wärme in Elektrizität zu wandeln – die so genannteThermokraft –, sich durch dieses elementare «Baukas-ten»-Prinzip gezielt verändern lassen.

Anders als in konventionellen Thermoelektrika be-wegen sich die Ladungsträger in den Perowskiten durch«Hüpfprozesse». Diese hängen stark von den jeweiligenNachbarn ab und können daher durch ein geeignetesMaterialdesign beeinflusst werden. Den Empa-Forsche-rinnen und -Forschern ist es nun gelungen, die Energiepro Ladungsträger (Spin-Entropie) und damit die Ther-mokraft der neuen Materialien deutlich zu erhöhen; einKalziummanganat gilt gar als das bisher beste n-leiten-de Perowskit-Thermoelektrikum weltweit.

Gute Thermoelektrika sollten bei möglichst guterelektrischer Leitfähigkeit eine möglichst geringe Wär-meleitfähigkeit aufweisen. Dies erreicht das Empa-Team durch Nanostrukturierung der Materialien. «InNano-Kristalliten wird der Wärmetransport so stark be-hindert, dass eine dreifach geringere Wärmeleitfähig-keit resultiert – und dadurch eine entsprechend höhereThermokraft», so Weidenkaff. Als nächstes wollen dieForscher die Nützlichkeit der Energiewandler etwa fürdie Rückgewinnung von Abgaswärme in Verbrennungs-motoren unter Beweis stellen. //

Sommerwärme fürfrostige Wintertage

Kurzzeitig – über Stunden oder gar Tage – lässt sich Wärme durchaus speichern, etwain entsprechend grossen Wasserreservoirs. Für wesentlich längere Speicherzeitenmüsste der Tank jedoch rund ein Viertel so gross sein wie das zu heizende Haus.

Thermochemische Speicherung als LösungEin neuer Ansatz will nun die Energie nicht mehr als Wärme speichern, sondern sie inso genannten Sorptionsmaterialien thermochemisch einlagern. «Das Prinzip beruht aufder Absorption von Wasser durch stark hygroskopisches Material», erklärt Robert Webervon der Abteilung «Bautechnologien», der an der Empa ein vom Bundesamt für Energiefinanziertes Projekt leitet. Verluste treten dabei nur beim «Laden» und «Entladen» auf –ideal für einen Langzeitspeicher.

Im Empa-Energiespeicher kommt Natronlauge als kostengünstiges Speichermaterialzum Einsatz. Ein weiterer Vorteil: Im Gegensatz zu anderen Sorptionsspeichern funktio-niert der Prozess auch bei lediglich 120 Grad Celsius, Temperaturen also, wie sie bereitsherkömmliche Sonnenkollektoren liefern. Die Empa steht mit ihrer Forschung an derSpitze, Weber erhält zahlreiche Anfragen, auch international.

Fürs Brauchwasser brauchts mehrDoch dem Empa-Forscher genügt eine Lösung «nur» fürs Hei-zen nicht. Er arbeitet daher bereits an einem mehrstufigenSystem, um auch Brauchwasser erhitzen zu können. Statt 40Grad zum Heizen müssten es dann allerdings schon 60 Gradsein. Dazu spannt die Empa mit Partnern wie dem Institut fürSolartechnik der Hochschule für Technik Rapperswil zusam-men. Nur zu, der nächste Winter steht vor der Tür. //

Vereinfachte Darstellung der Funktionsweise einer Absorber-anlage zur Wärmespeicherung: Die Energie wird chemischgespeichert und als Nutzwärme wieder abgegeben. Beim Ladenwird die Natronlauge mit solarer Wärme aufkonzentriert. BeimEntladen wird die Lauge wieder verdünnt, dabei entsteht Wärme.

Ladevorgang E

(20°C) (150°C)

H2O NaOH

H2O Dampf45 mbar

Erdwärmetauscher

Abwärme

Röhrenkollektor R

Wärme vom Kollektor

U

Endladevorgang

H2O Dampf45 mbar

H2O NaOH

(20°C) (40°C)

Erdwärmetauscher

Röhrenkollektor

Umgebungswärme

Nutzwärme

Heizung, Warmwasser

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20 // Fokus: Nachhaltige Energieversorgung

Diagnose: nachhaltig?Biotreibstoffe sind in der Regel klimafreundlich, aber deswegen noch lange nichtnachhaltig. Damit auch kleinere Produzenten aus Entwicklungsländern dieNachhaltigkeit ihres Biotreibstoffs beurteilen können, sind einfache und günstigeInstrumente gefragt – wie der «Sustainability Quick Check for Biofuels» der Empa.

TEXT: Beatrice Huber

Im Dezember fand der Weltklimagipfel in Kopenhagenstatt, in dem ein Folgeabkommen für das Kyoto-Pro-tokoll hätte ausgehandelt werden sollen. Dieses wäre

auch dringend nötig, denn der Ausstoss von Treibhausga-sen wie CO2 und Methan muss drastisch reduziert wer-den, um die Folgen des Klimawandels zumindest in Gren-zen zu halten.

Der CO2-Ausstoss lässt sich beispielsweise verrin-gern, indem fossile Treibstoffe durch biogene Treibstof-fe, gewonnen aus nachwachsenden Rohstoffen, ersetztwerden. Über den gesamten Lebenszyklus betrachtetsind allerdings nicht alle «Biotreibstoffe» auch wirklichnachhaltig. Das Team um Empa-Forscher Rainer Zahhatte in einer Studie bereits 2007 gezeigt, dass einige so-gar eine deutlich negative Ökobilanz aufweisen. «WirdRegenwald gerodet, um Biotreibstoffe anzupflanzen,geht nicht nur Biodiversität verloren, sondern mit demWald auch ein wichtiger Kohlenstoffspeicher», erklärtZah. Pflanzen mit einem hohen Energieinhalt wie Jatro-pha, die wenig Dünger und Pestizide benötigen, schnei-den dagegen punkto Nachhaltigkeit besser ab, wenn sieauf brachliegenden Böden angebaut werden.

Zugang auch für kleinere Produzenten ermöglichenIn der Schweiz sollen, so sieht es eine Initiative aus demBundesparlament vor, nur nachhaltig produzierte Bio-treibstoffe zugelassen werden. In anderen Ländern sindähnliche Bestrebungen im Gange. Die Beurteilung derUmweltbelastungen, die durch Anbau, Produktion undVerbrauch eines Biotreibstoffs anfallen, ist jedoch auf-wändig. Gerade kleinere Produzenten in Entwicklungs-und Schwellenländer können sich dies kaum leisten.«Deshalb bergen Zertifizierungssysteme das Risiko, dass

kleinere Produzenten benachteiligt werden und interna-tionale Investoren und grosse Plantagenbetreiber denWeltmarkt für nachhaltige Biotreibstoffe dominieren»,so Zah. Dabei böten Biotreibstoffe gerade für Kleinbau-ern in Entwicklungs- und Schwellenländer die Möglich-keit, unabhängiger von ausländischen Treibstoffen zuwerden und sozialverträglich Treibstoffe für den Exportzu produzieren.

Gesamtbeurteilung in wenigen KlicksDie Empa hat nun zusammen mit der Hochschule fürTechnik und Wirtschaft Berlin und der Forschungsan-stalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART ein webba-siertes Tool entwickelt, das einen Nachhaltigkeits-schnelltest für Biotreibstoffe ermöglicht («SustainabilityQuick Check for Biofuels», SQCB); finanziert wurde derTest vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO. Die Be-nutzer des Tests müssen für ihre Biotreibstoffe nur dierelevantesten Parameter der Produktionskette eingeben.Der SQCB verknüpft den Input mit Hintergrundinforma-tionen und berechnet daraus die Gesamtbeurteilung derUmweltbelastungen. Die Resultate werden dann mit denvorgegebenen Nachhaltigkeitskriterien verglichen.

Ausbau auf internationale StandardsMomentan wird das Tool zusammen mit der internatio-nalen Initiative «Roundtable on Sustainable Biofuels»weiterentwickelt. Dadurch können in einem Tool allerelevanten europäischen und amerikanischen Umwelt-normen berechnet werden. «Die Kleinbauern zertifizie-ren ihre Produkte direkt im Tool und haben die Gewiss-heit, dass ihre Produkte in allen Exportmärkten zugelas-sen sind», so Zah. //

Jatropha curcasFoto: Immersia, Wikipedia

Page 21: EmpaNews Januar 2010

Im Dialog // 21

Telekonferenz verursachtmassiv weniger CO2

Eine internationale Konferenz zum Thema knapper werdendeRessourcen sollte die Umwelt nicht allzu sehr belasten. Vorallem Interkontinentalflüge fallen dabei negativ ins Ge-

wicht. Aus diesem Grund fanden die von der Empa mitorganisier-ten R’09 und WRF erstmals zeitgleich in Davos und im japanischenNagoya statt, mit modernster Videotechnologie «live» verbunden.Und sie wurden auch gleich zum Experiment: Auf Fragebögenmussten die teilnehmenden Gäste angeben, von wo und wie sieangereist waren, und ob sie auch an den jeweils anderen Ort gereistwären, hätten die Kongresse nur dort stattgefunden.

Daraus berechneten die Empa-Forscher Vlad Coroama undMartin Birtel von der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» dieUmweltauswirkungen der verschiedenen Szenarien: Die insgesamt531 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Parallelkonferenz – 372in Davos, 159 in Nagoya – verursachten durch ihre Anreisen an die

jeweiligen Tagungsorte einen CO2-Ausstoss von 121 Tonnen. 79der «Davoser» wären auch nach Nagoya geflogen, 76 der «Japaner»nach Davos. Hätten die Kongresse also nur in Nagoya stattgefun-den, hätten «nur» 238 Personen teilgenommen – und dabei 191Tonnen CO2 verursacht; in Davos hätten immerhin 448 Personenteilgenommen – zum «Preis» von 235 Tonnen CO2. Die Parallel-konferenz war also eineinhalb- bis zweimal weniger umweltschäd-lich.

«Wenn wir die Umweltbelastung pro Teilnehmenden berech-neten, schneidet die Parallelkonferenz sogar noch besser ab», sagtCoroama. Noch nicht eingerechnet sei indes der Energieverbrauchder Video-Infrastruktur samt Internetübertragung. Das falle abernicht besonders ins Gewicht, denn: «Der Energieverbrauch für dasgesamte IT-Equipment einer derartigen Konferenz verursacht we-niger CO2 als ein einziger Interkontinentalflug», so Coroama. //

Schont es die Umwelt, mehrere Konferenzorte via Videoschaltung miteinanderzu verbinden anstatt Teilnehmer aus aller Welt an einen Ort fliegen zulassen? Dies untersuchten Empa-Forscher am Beispiel der R’09 und des WRF.

TEXT: Michael Hagmann

Herr Edelmann, ein Fazit des «WorldResources Forum» aus Ihrer Sicht?

Wir haben fast alle internationalmassgebenden Fachleute in Davos zu-sammengebracht – unter anderem dankden zahlreichen hochkarätigen Referen-ten.

Das WRF hat eine Deklaration verab-schiedet, die fordert, den Verbrauchbestimmter Güter und Rohstoffe zu li-mitieren. Versagt hier der freie Markt?

Meist berücksichtigt der freie Marktnicht sämtliche externen Effekte, etwadiejenigen auf Ökosysteme wie reduzierteBiodiversität und den Verlust von Lebens-raum sowie die Klimaerwärmung beimVerbrennen fossiler Energieträger. DieseEffekte müssten monetär bewertet wer-den und auf die Rohstoffpreise aufge-

schlagen werden. Solangedies nicht der Fall ist,versagt der Markt.

Was wollen Sie mitder Deklaration errei-chen?

In der Debatte umRohstoffnutzung und -über-nutzung steht man heute dort,wo die Klimadiskussion vor etwa 15 bis20 Jahren war. So ist sich etwa die wis-senschaftliche Community noch längstnicht einig, mit welchen Indikatoren manden Ressourcenverbrauch messen soll.Ausserdem existiert noch kein Konsensüber die anzustrebenden Ziele beim Res-sourcenverbrauch pro Kopf oder pro Na-tion. Unsere Deklaration hilft mit, die Dis-kussion in diese Richtung zu steuern.

Wie geht es nun weiter?Was ist geplant?

Unser Ziel ist es, dieDeklaration in den kom-menden Monaten mit In-halten zu füllen. DieSchweiz könnte eine Vor-

reiterrolle spielen, indem sieüber das Klima hinausdenkt

und das Thema «Ressourcen» aufdie globale Agenda setzt. Und dann müs-sen wir das nächste World Resources Fo-rum vorbereiten, das im September 2011voraussichtlich erneut in Davos stattfin-den wird. Eine wichtige Rolle soll dabeider Dialog zwischen Wissenschaftlernund Ökonomen spielen. Denn ohne dieWirtschaft geht nichts. //

Xaver Edelmann ist Präsident des «World Resources Forum»und der R’09 sowie Direktionsmitglied der Empa.

«Die Schweiz könnte eineVorreiterrolle spielen»

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Was haben die Mannheimer Kurt-Schumacher-Brücke und das berühmte Zeltdachdes Münchner Olympiastadiums gemeinsam? Beide hängen an massiven Kabeln, dievon der Empa auf ihre Tragfähigkeit getestet wurden. Die eigens dafür entwickelteErmüdungsprüfmaschine, ist auch heute noch praktisch im Dauereinsatz.

TEXT: Rémy Nideröst

Im Februar 1969 gelangte der deutsche Bauinge-nieur Fritz Leonhardt mit einem nicht ganz alltäg-lichen Anliegen an den damaligen Empa-Direktor

Eduard Amstutz. Ob die Empa kurzfristig in der Lagesei, Ermüdungsversuche an Spannkabeln durchzufüh-ren, wollte der mit der Planung einer neuen Rheinbrü-cke beauftragte Leonhardt wissen. Selbstverständlich,entgegnete Amstutz, dafür sei die Empa schliesslichweitherum bekannt. Leonhardt wollte allerdings keine«normalen» Spannkabel testen lassen, sondern wahr-lich grosse, sprich: in einem Lastbereich zwischen 425und 650 Tonnen.

Die Kabel waren für die damals einzigartige Kurt-Schumacher-Brücke vorgesehen, eine Schrägseilbrü-cke, die mit einer Länge von 1,5 Kilometer den Rheinvon Mannheim nach Ludwigshafen überspannen soll-te. Doch vor ihrem Einbau mussten die Kabel auf Er-müdung getestet werden. Eine Aufgabe, für die es indiesen Dimensionen damals weltweit keine Prüfvor-richtungen gab; selbst die Empa arbeitete üblicherwei-se in einem Bereich bis zu maximal 280 Tonnen. Einensolch prestigeträchtigen Auftrag wollte sich Amstutzallerdings keinesfalls entgehen lassen; also mussteeine neue, wesentlich stärkere Maschine gebaut wer-den.

Bei Ermüdungstests werden die «Prüflinge» rundzwei Millionen Mal abwechselnd be- und entlastet, umreal auftretende Beanspruchungen zu simulieren. Brü-ckenkabel beispielsweise sind selbst in «Ruhestellung»durch das Eigengewicht der Brücke beansprucht, dieso genannte «untere Last». Zusätzliche Belastungendurch Verkehr, Wind, Regen, Schnee verursachendann die «obere Last», also die maximale Beanspru-chung, die die Kabel aushalten müssen. Die Kabel derKurt-Schumacher-Brücke sollten also zwischen 425

und 650 Tonnen abwechselnd be-und entlastet werden. Keine tri-viale Aufgabe, die – das war denEmpa-Ingenieuren schnell klar –allein mit den damals üblichenhydraulischen Zugvorrichtun-gen kaum zu bewältigen war.

Alfred Rösli, zu der Zeit Lei-ter der Abteilung «Stahlbetonund Betonbauten», hatte diezündende Idee, um derartigeKräfte regelmässig zu mobili-sieren: Die untere Last wirdmit einer entsprechend star-ken Feder aufgebracht. Da-durch stand die gesamte hy-draulisch erzeugte Kraft fürdie Differenz zur Maximal-last zur Verfügung.

«Dem Ingeniör ist nichts zu schwör»So weit, so gut – zumindest auf dem Papier. Am 23. September 1969 begann in der Bauhalle der Empain Dübendorf der Aufbau der «Versuchseinrichtung fürZugschwellbeanspruchungen an grossen Spannka-beln», so der prosaische Name des Unikats. Das Herz-stück der Vorrichtung, die Feder, wog allein 44 Ton-nen – auch sie kein Lagerartikel. Sie wurde bei derStahlbaufirma Geilinger AG in Winterthur eigens ge-mäss den Spezifikationen von Rösli gefertigt.

Als ob die schiere Dimension des Projekts nichtschon Herausforderung genug gewesen wäre, standdas Empa-Team auch noch unter enormem Zeitdruckdurch die Stadt Mannheim. Denn Fritz Leonhardt hat-te keineswegs untertrieben, als er den Zeithorizont für

Ein Provisorium wird vierzig

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das Projekt in seiner Anfra-ge mit «kurzfristig» umriss.Getreu dem Motto «Der Taghat 24 Stunden – und dannhaben wir immer noch dieNacht» arbeitete das Empa-Team praktisch rund um dieUhr. Doch selbst wenn sie denZeitplan einhalten würden,konnte niemand vorhersagen,ob die vier Pulsatoren – elek-trisch angetriebene Aggregatezum Aufbau des Öldrucks, diefür die Versuche miteinander ge-koppelt werden mussten – ihrerenormen Aufgabe auch tatsäch-lich gewachsen sein würden.

Nachdem die ersten Tests vielversprechend verliefen, konnte dieEinrichtung nur drei Tage später inBetrieb genommen werden. Erste

Ergebnisse lagen am 14. November vor, und in rundeinem halben Jahr waren schliesslich 14 Kabel mitrund 30 Millionen Lastwechseln geprüft. Dies zurvollsten Zufriedenheit der Stadt Mannheim: Die Kurt-Schumacher-Brücke konnte nach drei Jahren Bauzeit1972 eröffnet werden.

Ein Provisorium wird zum DauerläuferDie revolutionäre Mannheimer Schrägseilbrücke bliebnicht der einzige «Promi», der in Dübendorf «ge-streckt» wurde: 1969 wurden Seile und Umlenkungenfür das Zeltdach des Münchner Olympiastadions ge-testet, in dem 1972 die Olympischen Sommerspielewie auch 1974 die Endspiele der Fussballweltmeister-

schaft und 1988 der Fussballeuropameisterschaft statt-fanden. Die Aufträge steigerten den Bekanntheitsgradder Empa im Bereich Schrägseilbrücken – es kam zuzahlreichen Folgeaufträgen. Inzwischen hat die ur-sprünglich als Provisorium vorgesehene Ermüdungs-maschine mehr als eine halbe Milliarde Lastzyklenohne die geringsten Zwischenfälle absolviert. Ermü-dungsversuche an grossen Schrägseilen sind heute zuranspruchsvollen Routine geworden.

1996 folgte eine weitere Weltpremiere: Für dieStorchenbrücke in Winterthur benutzten die Bauinge-nieure anstatt Stahlseile erstmals deutlich leichtereSchrägseile aus kohlenstofffaserverstärkten Kunststof-fen, so genannte CFK-Seile, die an der Empa entwi-ckelt wurden. Aber waren die Leichtgewichte auf Dau-er auch stabil genug, um im Bau ohne Risiko einge-setzt werden zu können? Um die Zweifel an den inno-vativen Materialien zu zerstreuen, mussten die CFK-Kabel im Härtetest mehr als 10 Millionen Zyklen übersich ergehen lassen. Das Ergebnis war überzeugend:Die CFK-Seile wiesen im Belastungstest eine mehr alsdreimal höhere Ermüdungsfestigkeit als herkömmli-che Stahlseile auf.

Auch nach 40 Jahren harter Arbeit «geht» die Ver-suchseinrichtung noch nicht in Pension. Da Schräg-seilbrücken wegen ihrer Eleganz und Wirtschaftlich-keit heute häufiger denn je gebaut werden, besteheeine rege Nachfrage, weiss Urs Meier, ehemaliger Di-rektor der Empa in Dübendorf. Er war 1969 als frischdiplomierter ETH-Bauingenieur mit Detailplanungund Aufbau der Maschine betraut und schätzt heute,dass die Einrichtung «fit» genug ist, um bis zum 50-Jahr-Jubiläum noch einige Millionen Lastzyklendurchzustehen. //

2Die Kabel, die das Zeltdachdes Olympiastadions inMünchen tragen, wurdenvor der Eröffnung derOlympischen Spiele 1972an der Empa geprüft.(Foto: Wikipedia)

3Die Kurt-Schumacher-Brücke überspannt mit ihrerGesamtlänge von1,5 Kilometern den Rheinvon Mannheim nachLudwigshafen. Ihr Erbauer,Fritz Leonhardt, einer dereinflussreichsten deutschenBauingenieure des 20.Jahrhunderts, regte dieEmpa 1969 zum Baueiner Ermüdungsprüf-maschine an, die auch40 Jahre später noch zumEinsatz kommt.(Foto: Immanuel Giel)

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1Nach 40 Dienstjahrennoch kein bisschen müde:die «Versuchseinrichtungfür Zugschwellbean-spruchungen an grossenSpannkabeln». Das 44Tonnen schwereFederpaket war 1969eine bahnbrechende Inno-vation im Maschinenbau.(Foto: Empa)

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Veranstaltungen28. Januar 2010Biocatalysis Für Interessierte aus Forschung und IndustrieEmpa, St. Gallen

23. Februar 2010 Gender in ResearchHow to become more competitive in FP7Für Forscherinnen und Assistenten,FP7-Projektkoordinatorinnen und -teilnehmer Empa, Dübendorf

15. und 16. März 2010 Modern Electrochemical MethodsFür Interessierte aus Forschung und Industrieim Bereich ElektrochemieEmpa, Thun

12. bis 16. April 2010 Intensive course: Nanoparticles andNanocompositesFür Interessierte aus Forschung und Industrieim Bereich NanopartikeltechnologieEmpa, Dübendorf

13. April 2010 Recycling BetonFür Ingenieure, Architektinnen und BauherrenEmpa, Dübendorf

Details und weitere Veranstaltungen unterwww.empa-akademie.ch

Ihr Zugang zur Empa:

Gemäss der jüngsten

Ausgabe des ‘European

Innovation Scoreboard’

liegt die Schweiz im

Innovationsbereich

europaweit an der Spitze

– auch dank Institutionen

wie der Empa.

Bundesrätin Doris LeuthardVorsteherin des EidgenössischenVolkswirtschaftsdepartments

Meinung

Bundesrätin Doris Leuthard

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