EmpaNews Oktober 2009

28
Dioxinentgiftung entschlüsselt 07 Stammzellen im Dienste der Materialentwicklung 10 Herausforderungen anpacken – mit Nano 26 Die Kunden- und Publikumszeitschrift der Empa Jahrgang 7 / Nummer 27 / Oktober 2009 Empa News Mit «Urban Physics» zu besserem Stadtklima 04

description

Magazin für Forschung, Innovation und Technologietransfer

Transcript of EmpaNews Oktober 2009

Page 1: EmpaNews Oktober 2009

Dioxinentgiftungentschlüsselt 07

Stammzellen im Diensteder Materialentwicklung 10

Herausforderungen anpacken– mit Nano 26

Die Kunden- und Publikumszeitschrift der EmpaJahrgang 7 / Nummer 27 / Oktober 2009

EmpaNews

Mit «Urban Physics»zu besserem Stadtklima 04

Page 2: EmpaNews Oktober 2009

02 // Editorial

Der Präsident & «The Lancet»Dioxinentgiftung entschlüsselt 07

Einsatzort:der menschliche Körper

Unsere Gesundheit und wie wir die-se erhalten, fördern oder – wennssein muss – wiederherstellen kön-

nen, ist ein Thema, das vermutlich vieleLeserInnen der EmpaNews nicht unmit-telbar mit der Empa in Verbindung brin-gen. Doch bei genauerem Hinsehen erken-nen sie: In der modernen Medizin sindhäufig spezielle Materialien und Systemegefragt, vom Ersatz «ausgefallener» Orga-

ne oder von Gewebe – Gelenke, Knochen, Sehnen – bishin zu eher klassischen medizinaltechnischen Anwen-dungen – wie etwa der neuartige Lattenrost für Pflegebet-ten des Empa-Spin-off «compliant concept» (S. 18). Es ver-steht sich von selbst, dass dafür profundes materialwis-senschaftliches Know-how vonnöten ist.

Daneben haben die innovativen Technologien, diewir im aktuellen «Fokus» vorstellen, noch etwas ge-meinsam: Die Teams, die sie entwickelt haben, sindhochgradig interdisziplinär. Zellbiologinnen und Toxi-kologen arbeiten Hand in Hand mit Biotechnologen, Na-nowissenschaftlerinnen und Oberflächenphysikern,und diese wiederum mit Chemikern, Ingenieurinnenund Elektrotechnikern – und vielen anderen. Sonst wür-den sich derartige Projekte nicht realisieren lassen. Undgerade deswegen sind sie «typisch Empa».

Genau wie unser Bestreben, auch die Auswirkungenneuer Technologien zu berücksichtigen, etwa auf die Um-welt oder die Gesellschaft, beispielsweise bei den ThemenRessourcenverbrauch und Elektroschrott und auch bei derNanotechnologie, die Lösungen für zahlreiche künftigeHerausforderungen verspricht (S. 24 bis 27).

Michael HagmannLeiter Kommunikation

Titelbild

Strömungsanalyse um das Stadion ArenAin Amsterdam: Untersucht wurden, wieangenehm der Wind auf dem ArenABoulevard ist, die Windbelastung auf dasbewegliche Dach, die Windbedingungen fürSportanlässe innerhalb des Stadions unddas natürliche Ventilationspotenzial währendeines Konzerts. (© J. Persoon, T. van Hooff,B. Blocken, J. Carmeliet und M. de Wit, 2008)

Page 3: EmpaNews Oktober 2009

Inhalt // 03

Ideenmarktplatz & DialogplattformHerausforderungen anpacken –mit Nano 26

Knochengewebe & BiosensorenStammzellen im Dienst derMaterialentwicklung 10

Smart Materials & PflegebettEin «intelligentes Bett»verhindert Wundliegen 18

Forschung und Entwicklung

04 «Blowin’ in the Wind»

Forschung und Entwicklung

07 Tagebuch einer Dioxinvergiftung

Fokus: Materialien für ein besseres Leben

10 Stammzellen als Materialprüfer

13 Zellen auf den richtigen Weg schicken

14 Immunreaktion auf Nanomaterialien?

16 Anforderungsprofil für Nanotransporter

17 Die Zerreisprobe bestehen

18 Wie man sich bettet …

Wissens- und Technologietransfer

20 Ein Vorhang, der nie schlecht riecht

Wissens- und Technologietransfer

22 Mit Schwitzarm und «SAM» zur eigenen Firma

Dienstleistungen

23 Computersimulation spart Materialtests

Im Dialog

24 Aufruf zu neuem Wirtschaftssystem

Im Dialog

25 Besuche aus Peru und Russland

Im Dialog

26 NanoConvention 2009 – Dialogplattform zum Dritten

28 Veranstaltungen

Impressum

HerausgeberinEmpaÜberlandstrasse 129CH-8600 Dübendorfwww.empa.ch

Redaktion & GestaltungAbteilung Kommunikation

KontaktTelefon +41 44 823 47 33Telefax +41 44 823 40 [email protected]/empanews

Erscheint viermal jährlich

ISSN 1661-173X

COC-100246 FSC Mix

Page 4: EmpaNews Oktober 2009

04 // Forschung und Entwicklung

«Blowin’ inthe Wind»

Städte sind deutlich wärmer als ihr ländliches Umland. Durch die globaleErwärmung und die fortschreitende Urbanisierung wird sich dies weiterhinverstärken. Um unsere Städte vor Überhitzung zu bewahren, müssen dieWechselwirkungen zwischen Meteorologie und dem städtischen Klima ge-nauer untersucht werden. Jan Carmeliet, seit Juni 2008 an der ETH Zürichund an der Empa tätig, will dies tun, um so mitzuhelfen, Komfort undLuftqualität und damit die Lebensqualität in den Städten zu erhöhen, beigleichzeitiger Reduktion des Energieverbrauchs der Gebäude.

TEXT: Beatrice Huber, Simon Berginz

1

Jan Carmeliet und sein Bild «Under the cross» (Akryl auf Leinwand): Dies ist eine freieInterpretation des Werks «Descent from the Cross» des flämischen Malers Roger van der Weyden(ca. 1435, Museo Prado in Madrid) und zeigt die ohnmächtige Jungfrau Maria (in blau),den heiligen Johannes (in orange) und zwei Halbschwestern Marias. (Fotos: Andreas Rubin)

Page 5: EmpaNews Oktober 2009

Forschung und Entwicklung // 05

>>

Professor zu sein ist normal im «Carmeliet-Clan». Jan Carmeliet verliess 2008 die Ka-tholieke Universiteit im belgischen Leuven,

um die Doppelposition als Professor für Bauphysikan der ETH Zürich und als Leiter der Empa-Abtei-lung «Bautechnologien» zu übernehmen. Es sindjedoch noch einige Carmeliets in seiner akademi-schen Heimat verblieben. Sowohl sein Bruder Pe-ter als auch seine Schwester Geert haben eine Pro-fessur an der medizinischen Fakultät, folgen alsoden Fussstapfen ihres Vaters, Edward Carmeliet.

Statt die Medizinertradition weiter zu füh-ren, studierte Jan Carmeliet Architektur-Ingenieurwissenschaften.«Ich tat dies, weil mir die Kombination von Kunst und Wissen-schaft sehr zusagte», erklärt er. Nach dem Abschluss standen ver-schiedene Möglichkeiten offen. Nachdem er einen Monat bei einemArchitekten gearbeitet hatte, wurde ihm klar, dass dies nichts für ihnwar. Er hatte jedoch grosses Interesse an Bauphysik. Darum wurdeer zum Architektur-Ingenieur-Wissenschaftler – eine Entscheidung,die er nicht bereut hat.

Insbesondere nicht nach seinem Wechsel in die Schweiz. Sei-ne derzeitige Anstellung vereint das «Beste aus beiden Welten».«Einerseits legt die Empa einen starken Fokus auf angewandteForschung und den Technologietransfer und verfügt zudem übererstklassige Forschungseinrichtungen – kurz: der ideale Ort, umunseren Windkanal zu bauen», so Carmeliet. Zudem könnten sei-ne Forscher und DoktorandInnen vom ausgezeichneten Experten-wissen der Empa-Techniker profitieren. «Andererseits bietet mirmeine Position an der ETH die Freiheit, ‹riskantere› Grundlagen-forschung zu betreiben, was mir zusagt.» Jan Carmeliet kann dankseiner Doppelfunktion direkt mitverfolgen, wie seine Forschungs-resultate zu Anwendungen in der Praxis für einige der heute drin-gendsten Probleme führen.

Obwohl Jan Carmeliet bereits seit Sommer 2008 in derSchweiz arbeitet, hatte er im vergangenen Jahr noch seine sechsin Leuven verbliebenen Doktoranden dort zu betreuen. Denn fürCarmeliet gehört die Ausbildung von Studierenden nicht nur zueiner seiner wichtigsten Aufgaben, sie ist ihm auch eine Bereiche-rung. Deshalb brachte er auch bereits Bachelor- und Masterstu-dierende der ETH in seine Empa-Labors, um ihren Horizont zu er-weitern und sie Baumaterialien «spüren» zu lassen. «Sie waren be-geistert; die Mischung aus Kursen an der ETH und Praktika an derEmpa war für sie sehr spannend.»

Forschungsschwerpunkt «Urban Physics»In seiner neuen Position hat Jan Carmeliet schon ambitioniertePläne. Der neue Forschungsschwerpunkt seiner Abteilung liegtauf dem Gebiet der «Urban Physics». Unsere Welt verstädtert zu-nehmend; heute lebt bereits die Hälfte der Weltbevölkerung instädtischen Gebieten, bis 2050 dürften es 70 Prozent sein. Carme-

liet ist daher überzeugt, dass «Urban Physics»zunehmend wichtiger wird. Ein Beispiel ist dieNachhaltigkeit von Städten. «Alle sprechen vonnachhaltigen Städten und über die Ziele des Kyo-to-Protokolls, obwohl immer noch riesige Lü-cken im Verständnis der zugrunde liegendenphysikalischen Phänomene bestehen», bemerktCarmeliet. So untersuchen etwa Meteorologen,wie sich das Wetter durch den zu erwartendenKlimawandel generell verändern wird; und Bau-techniker beispielsweise streben danach, einzel-ne Gebäude energieeffizienter zu machen. Doch

WIE all diese Veränderungen die Städte beeinflussen, sei zumgrössten Teil noch «Terra incognita».

«Städte in der Schweiz und in anderen Ländern sind einigeGrade wärmer als ihr ländliches Umland», erklärt Carmeliet. Wis-senschaftler sprechen deshalb von «Heat Islands». Die globale Kli-maerwärmung dazu genommen, wird schnell klar, dass der städ-tische Energieverbrauch für Kühlung kaum abnehmen wird – ge-nauso wenig wie die steigenden Komfortbedürfnisse der Bewoh-ner. Pro jedes Grad Celsius Erwärmung wird mit einem bis zu achtProzent höheren Stromverbrauch für die Kühlung gerechnet. Zu-dem tendieren die urbanen Hitzeinseln dazu, sich auszudehnenund so das regionale Klima und die Windströmungsmuster zu ver-ändern, was wiederum grossen Einfluss auf die Energiebedürfnis-se ganzer Regionen hat.

Es ist also keineswegs einfach, eine ganze Stadt zu kühlen.Aktive Kühlungssysteme wie Klimaanlagen sind ungeeignet, dasie Abwärme produzieren und so die Umgebung zusätzlich auf-heizen. Mehr Erfolg versprechen kühlende Oberflächen, wie ak-tuelle Studien zeigen. Dazu zählen Grünflächen in Form von Parksoder begrünten Hausdächern, Bepflanzungen im Strassenraum,die durch Verdunstung und Beschattung kühlen, aber auch be-netzbare Materialien oder helle Anstriche, die das Sonnenlicht re-flektieren.

Alternativ kann der Wind genutzt werden, um kühlere Luft indie Stadt oder heisse hinaus zu transportieren. Unglücklicherwei-se stellt die dichte Bauweise der meisten Städte ein Hindernis fürdiese Windkühlung dar. «Es sind noch einige Anstrengungen nö-tig, damit die Prinzipien der ‹Urban Physics› in der Städtebaupla-nung bekannt und auch angewendet werden», sagt Carmeliet.

Neue Versuchsanlage zur UnterstützungUm das Verhalten von Windströmungen in Städten besser zu ver-stehen und simulieren zu können – und dadurch die Wissenslü-cken zumindest teilweise zu schliessen –, wird in der Bauhalle derEmpa zurzeit ein mehr als 25 Meter langer und bis zu vier Meterhoher Windkanal eingerichtet. Das Besondere an dieser Anlage istdie Messmethode namens PIV (Particle Image Velocimetry). Da-mit lassen sich schnelle Luftbewegungen präzise in Raum und Zeit

Page 6: EmpaNews Oktober 2009

06 // Forschung und Entwicklung

bestimmen. Mikrometergrosse Partikel werden der Luft im Wind-kanal beigemischt und mit Laserimpulsen beleuchtet. Aus zweiaufgenommenen Bildern kann mit einer speziellen Software, diedie Bilder erfasst, speichert und auswertet, das gesamte Strö-mungsmuster im Windkanal bestimmt werden.

«Im Moment führen wir noch Vorbereitungs- und Änderungs-arbeiten in der Halle durch, damit der Windkanal eingebaut wer-den kann», so Jan Carmeliet zum Stand der Arbeiten. «Eine der-artige Versuchsanlage benötigt einiges an Platz.» Die aus demWindkanal gewonnenen Daten werden eingesetzt, um die Strö-mung von Luft und Schadstoffen in Strassenzügen und um Häu-serblocks zu untersuchen. Zudem können damit bereits erstellteComputermodelle zur Strömungssimulation validiert werden, ummit diesen die Strömungscharakteristika im Detail analysieren zukönnen.

Neben Untersuchungen im Windkanal gehen Jan Carmelietund sein Team weitere Forschungsfelder an. «Letztendlich wollenwir neue und verbesserte Materialien für innovative Bautechno-logien entwickeln. Dazu beabsichtigen wir unter anderem, nano-poröses Material, beispielsweise Aerogele, in Baumaterialien ein-zusetzen, um so gute Isolationsmaterialien zu erhalten», erklärtCarmeliet. Ausserdem müsste die Schweiz, wie auch andere Län-der, grössere Anstrengungen unternehmen, um alte Gebäudeenergieeffizienter zu machen, beispielsweise durch bessere Isola-tion und die Nutzung von Sonnenenergie.

Doch nicht nur der nachhaltige Umgang mitwertvollen Ressourcen liegt Jan Carmeliet amHerzen. So sollen Vakuumverglasungen – beidenen im Scheibenzwischenraum der Luftdrucksoweit gesenkt wird, bis der Wärmeverlust sig-nifikant reduziert ist – und andere innovativeBautechnologien zu einer höheren Wohn- unddamit Lebensqualität für die Bewohner führen.

Jan Carmeliet ist stets auf der Suche nach neu-en Dingen, um ihnen auf den Grund zu gehen.Deshalb lädt er gerne akademische Gäste an dieETH oder Empa ein und besucht seinerseits ande-re Forschungsinstitute. Im Jahr 2007 verbrachte erseinen Sabbatical an der University of Illinois inUrbana-Champaign und im «Los Alamos NationalLaboratory», New Mexico. Sein Interesse an neu-en Herausforderungen war auch der Grund für sei-nen Weggang aus Belgien. «Ich wollte etwas Neu-es und Herausforderndes», sagt er.

MalereiFür seine neue Heimat findet Jan Carmeliet nur Lob, vor allem fürdie hohe Lebensqualität. «Im internationalen Massstab ist Zürichzwar klein, aber es bietet alle Vorzüge einer grossen Stadt», äus-sert er sich begeistert. Hier in Zürich will er nochmals einenSchritt vorwärts machen – nicht nur in wissenschaftlicher Hin-sicht, sondern auch in seinem Hobby, der Malerei. «Für mich istdie Malerei eine Entdeckungsreise in die Welt der Farben, Formenund Kompositionen. Wenn ich male, verliere ich das Zeitgefühl»,bekennt Carmeliet.

Kunst und Wissenschaft haben für Jan Carmeliet durchausGemeinsamkeiten. «Beim Malen habe ich eine Idee im Kopf. Dannbringe ich Farbe auf die Leinwand und während des Malens ent-decke ich immer weitere Ideen und arbeite an diesen, bis sich dasBild herauskristallisiert.» Dieser Erkundungsprozess sei ebenauch eines der Kennzeichen wissenschaftlicher Forschung. //

1Strömungsanalyse um dasStadion ArenA in Amsterdam:Untersucht werden, wieangenehm der Wind auf demArenA Boulevard ist, die Wind-belastung auf das beweglicheDach, die Windbedingungenfür Sportanlässe innerhalb derArena und das natürlicheVentilationspotenzial währendeines Konzerts. (© J. Persoon,T. van Hooff, B. Blocken,J. Carmeliet und M. de Wit, 2008)

2Windgeschwindigkeitsmusterum ein kubisches Gebäudeherum, gemessen durch einehochauflösende PIV (ParticleImage Velocimetry). Gut sichtbarist ein stehender Wirbel vor demGebäude. Die Zoombilder (untereBildhälfte) zeigen den stehendenWirbel sowie sekundäre Wirbel.(© T. Defraeye und J. Carmeliet)

>>

1

2

Page 7: EmpaNews Oktober 2009

Forschung und Entwicklung // 07

2004 erlitt der heutige Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko, eine schwereDioxinvergiftung. Empa-Forscher analysierten über einen längeren Zeitraum mehrals 100 Proben aus dem Körper des Politikers, unter anderem um erstmals dieEntgiftungsmechanismen des menschlichen Körpers für das hochgiftige Dioxin zuentschlüsseln. Sie identifizierten dabei verschiedene Abbauprodukte. Ihre Resultatestellten sie kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift «The Lancet» vor.

TEXT: Beatrice Huber

Viktor Juschtschenko ist seit bald fünfJahren Präsident der Ukraine. Doches hätte auch anders kommen kön-

nen. Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfsfiel der Politiker wegen einer mysteriösen Er-krankung aus. Die Ärzte tappten lange imDunkeln. Spekulationen liefen heiss, Ver-schwörungstheorien und politische Intrigenhatten Hochkonjunktur. Schlussendlichwurde die Substanz identifiziert und eineVergiftung bestätigt: Es handelte sich um rei-nes TCDD, auch bekannt als Seveso-Dioxin(s. Kasten, S. 9). Die Konzentration im BlutJuschtschenkos lag über 50000-mal höherals im Bevölkerungsdurchschnitt. Auf dierichtige Spur geführt hatte die berüchtigteChlorakne, die sich nach einigen Wochen imGesicht manifestierte. Wäre Juschtschenkokurz nach der Vergiftung gestorben, hätten

die Gerichtsmediziner die Ursache der «Er-krankung» vermutlich nie gefunden; auf Di-oxin werden ungeklärte Todesfälle norma-lerweise nicht untersucht, zu exotisch ist dieSubstanz.

Empa-Experten gefragtNach seinem Zusammenbruch und erstenUntersuchungen in Wien (s. Chronologie,Seite 8) begab sich Juschtschenko ab De-zember 2004 in die Obhut der Genfer Uni-versitätsklinik, wo er vom DermatologenJean-Hilaire Saurat und dessen Team be-treut wurde. Juschtschenko stimmte aus-serdem einer wissenschaftlichen Beglei-tung seiner Therapie zu. Daraufhin such-ten die Genfer Ärzte Fachleute, die Dioxinzuverlässig analysieren konnten. «So ka-men wir ins Spiel, wohl aufgrund unserer

>>

Tagebuch einerDioxinvergiftung

langjährigen Erfahrung mit Dioxinen», er-klärt Markus Zennegg das Engagement derEmpa. Zennegg arbeitet in der Abteilung«Analytische Chemie» der Empa und führteden grössten Teil der Analysen durch.

Über drei Jahre entnahmen Ärzte inGenf und in der Ukraine Juschtschenkomehr als 100 Proben von Blut, Urin, Stuhl,Schweiss, Haut, Hautzysten und Fettgewe-be. Die ersten Ergebnisse der Analysen zeig-ten überraschenderweise, dass nur rund 60Prozent der aus dem Körper total eliminier-ten Menge TCDD sich mit Ausscheidungenüber Stuhl, Urin oder Schweiss erklärenliess. Wo war der Rest geblieben? Antwort:Er wird im Körper von Stoffwechselenzymenum- und abgebaut. «Wir konnten beim Men-schen erstmals Dioxinabbauprodukte identi-fizieren und diese auch quantifizieren», fasst

1Aufnahme von 8. Juni 2006in Amsterdam: Die Chlorakneim Gesicht Juschtschenkos istauch knapp zwei Jahre nachseiner Vergiftung noch gutsichtbar. (Bildquelle: Muumi)

2Aufnahme vom 15. Mai 2009an der Universität Zürich:Dank der Behandlung amUniversitätsspital Genf sinddie Zeichen der Dioxinver-giftung aus dem GesichtViktor Juschtschenkosverschwunden. (Bildquelle:Jürg Vollmer / maiak.info)

1

2

Page 8: EmpaNews Oktober 2009

08 // Forschung und Entwicklung

Zennegg die Resultate der Analysen zu-sammen, die das Empa-Team zusammenmit ihren Genfer Kollegen Anfang Augustin der Fachzeitschrift «The Lancet» veröf-fentlichten.

Konkret fanden die Empa-Expertenzwei TCDD-Abbauprodukte. Diese warendadurch entstanden, dass die Stoffwechsel-enzyme an zwei unterschiedlichen Stellendes ursprünglichen TCDD-Moleküls eineso genannte Hydroxygruppe anbringenkonnten. Durch diese Modifikation wirddas Molekül wasserlöslich und kann des-halb wesentlich schneller als das unverän-derte TCDD ausgeschieden werden. AlsHauptausscheidungsweg ermittelten dieForscher den Verdauungstrakt, was sichmit Erkenntnissen aus Tierversuchen

deckt. Im Weiteren fanden sie eine deutlichverkürzte Halbwertszeit des Gifts immenschlichen Körper von knapp 16 Mona-ten statt der bislang bekannten fünf biszehn Jahre. Die extrem hohe Dosis hatteden Körper offenbar veranlasst, die Pro-duktion der für den Dioxinabbau verant-wortlichen Enzyme zu erhöhen.

Nachweis des TherapieerfolgsDass der «Fall Juschtschenko» es erstmalsermöglichte, den Dioxinabbau im mensch-lichen Körper über längere Zeit zu beob-achten, erwies sich als regelrechter Glücks-fall – sowohl für Analytiker und Medizinerals auch für Viktor Juschtschenko. «MitHilfe unserer Analysen konnten die Ärztein Genf die Wirksamkeit ihrer Therapie

>>

Chronologie der Ereignisse

Im Herbst / Winter 2004 ist das ukrainische Volk zur Wahl eines neuen Präsidenten auf-gerufen. Der bisherige Präsident Leonid Kutschma schlägt seinen Premierminister ViktorJanukowytsch als Kandidaten vor. Dieser gilt als pro-russisch. Aussichtsreichster Gegen-kandidat ist Viktor Juschtschenko, Vorsitzender des pro-westlichen Oppositionsblocks «Unsere Ukraine». Der Wahlkampf wird von der «Erkrankung» Juschtschenkos überschat-tet. Die Chronologie der Ereignisse:

05.09.2004 Dinner von Viktor Juschtschenko mit dem ukrainischen Inlandsgeheim-dienst in Kiew; in der Nacht erste Symptome (Bauch- und Kopfschmerzen,Erbrechen, …).

06.09.2004 Verschlimmerung der Symptome, Einlieferung ins Spital.10.09.2004 1. Spitalaufenthalt im Wiener Rudolfinerhaus.01.10.2004 Chlorakne im Gesicht;

2. Spitalaufenthalt im Wiener Rudolfinerhaus. 31.10.2004 1. Wahlgang für das Präsidentenamt:

Juschtschenko 39,87 Prozent,Janukowytsch 39,32 Prozent;eine Stichwahl wird nötig.

21.11.2004 1. Stichwahl: Opposition und internationaleWahlbeobachter sprechen von Unregelmässigkeiten;Start von wochenlangen Massenprotesten.

23.11.2004 Erster Verdacht auf Dioxinvergiftung(John Henry, St. Mary’s Hospital, London).

24.11.2004 Offizielles Ergebnis der Stichwahl:Janukowytsch 49,42 Prozent,Juschtschenko 46,69 Prozent;ukrainische Opposition, EU und USA anerkennendas Ergebnis nicht, Russland dagegen schon.

03.12.2004 Oberstes Gericht der Ukraine erklärt 1. Stichwahl für ungültig und ordneteine weitere Stichwahl an.

10.12.2004 Hohe Dioxinkonzentrationen im Blut nachgewiesen (Abraham Brouwer,BioDetection Systems, Amsterdam).

17.12.2004 Bestätigung durch zwei unabhängige Labors; nur reines TCDD gefunden.26.12.2004 2. Stichwahl: Juschtschenko 51,99 Prozent.23.01.2005 Viktor Juschtschenko als neuer Präsident der Ukraine vereidigt.

überprüfen», erwähnt Peter Schmid, derebenfalls seitens der Empa an den Analy-sen beteiligt war. Und die Therapie warüberaus erfolgreich. «Heute habe ich ge-mäss den Erkenntnissen der Klinik nurnoch fünf Prozent der ursprünglichen Do-sis Dioxin in meinem Organismus. Zu Be-ginn der Behandlung hatte man nicht damitgerechnet, dass es möglich sein würde, ei-nen derart grossen Teil des Giftes zu extra-hieren», zeigte sich Juschtschenko in ei-nem Interview mit der «NZZ» entsprechendzufrieden.1 //

1 Interview mit Viktor Juschtschenko in der «NZZ»vom 16. Mai 2009: http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ein_beitritt_zur_eu_oder_zur_nato_wird_durch_referendum_entschieden_1.2564467.html

An der Empa wurden die Proben aufbereitet und mitGaschromatografie und hochauflösender Massenspektrometrieanalysiert. (Foto: Ruedi Keller)

Video-PodcastSchauen Sie den Video-Podcast zur Analyse derDioxinvergiftung unter www.empa.ch/EmpaTV-Dioxin

Page 9: EmpaNews Oktober 2009

Forschung und Entwicklung // 09

Dioxin – Berüchtigter Vertretervom «dreckigen Dutzend»

Dioxine gelten als extrem giftige Umweltschadstoffe, die nur sehr langsam abgebaut werden.Sie entstehen als unerwünschte Nebenprodukte bei Verbrennungsprozessen, beispielsweise inder Kehrichtverbrennung. Bewusst hergestellt werden Dioxine nur in Labors, die diese als Re-ferenzsubstanzen für chemische Analysen benötigen. Die Dioxine bilden eine ganze Substanz-gruppe; 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin (kurz TCDD) ist der giftigste Vertreter. Dioxine ge-hören zum «dreckigen Dutzend», einer Gruppe langlebiger organischer Schadstoffe wie etwaPestizide, deren Herstellung und Verwendung 2001 durch ein internationales Abkommen, dieStockholmer Konvention, verboten wurden. Im Blut von Viktor Juschtschenko wurde lediglichreines TCDD nachgewiesen, was eine absichtliche Vergiftung mit synthetisch hergestelltem Di-oxin nahe legt.

Chemieunfall von Seveso und Agent Orange Die Hintergründe und die extrem hohe Dosis machen den Fall Juschtschenko einzigartig. DerPolitiker ist jedoch keineswegs das erste beziehungsweise einzige Dioxinopfer. Die Weltge-sundheitsorganisation WHO kennt einige Vorfälle mit verunreinigten Lebensmitteln. Ursachendafür waren meist Pflanzenschutzmittel mit Spuren von Dioxin oder verseuchte Böden. Zudemsind Dioxinvergiftungen nach Produktionsunfällen bekannt wie derjenige in einer Chemiefabrikim norditalienischen Seveso im Jahr 1976. Dabei verseuchte eine Chemikalienwolke, die grosseMengen an TCDD enthielt, ein Gebiet von 15 Quadratkilometern, in dem rund 37000 Men-schen lebten. TCDD ist seither umgangssprachlich auch als Sevesogift bekannt. Die Sanierungund Aufarbeitung des Unfalls waren aufwändig und dauerten Jahre. Der Inhalt des Reaktor-kessels, der beim Unfall explodiert war, wurde erst 1985 in Basel verbrannt. In Tests hatten Ex-perten – auch der Empa – zuerst nachweisen müssen, dass beim Verbrennen kein Dioxin durchdie Abluft entweichen konnte. Eine grossflächige Kontamination mit Dioxinen erfolgte ausser-dem im Vietnamkrieg, als die US-Luftwaffe das stark mit Dioxin verunreinigte Entlaubungsmit-tel «Agent Orange» grossflächig einsetzte.

TCDD und seine beiden Abbauprodukte im menschlichen Körper: Stoffwechselenzymengelingt es, eine Hydroxygruppe (-OH) ans TCDD-Molekül anzubringen. Dadurch wird dieseswasserlöslich und kann so besser ausgeschieden werden.

Empa-Geige übertrifft Stradivari

Einen sensationellen Erfolg hat Empa-Forscher Francis Schwarze zu verzeich-nen. Wie bereits angekündigt (siehe Em-paNews Nummer 24) trat die von ihmmitentwickelte pilzbehandelte Geigenun zum ersten Blindtest an und bestanddiesen mit Bravour. Der britische Star-violinist Matthew Trusler spielte hintereinem Vorhang auf insgesamt fünf ver-schiedenen Geigen: seiner Stradivari ausdem Jahr 1711 sowie vier Instrumentendes Schweizer Geigenbaumeisters Mi-chael Rhonheimer, zwei aus pilzbehan-deltem Holz, zwei aus unbehandeltem.Eine Fachjury und das Publikum beur-teilten anschliessend die Klangqualitätder Geigen. Das Resultat war klar: 90von 181 Stimmen aus dem Publikum wieauch die Fachjury setzen die pilzbehan-delte Geige «Opus 58» auf Platz 1. DerenBodenplatte war während neun Mona-ten mit dem Holz zersetzenden Pilz derGattung Xylaria longipes behandelt wor-den. Die Stradivari erhielt nur 39 Stim-men. Gar 113 Personen aus dem Publi-kum (unter ihnen auch Francis Schwar-ze selber) hielten das pilzbehandelteModell für die Stradivari.

Der Starviolinist Matthew Trusler beim Blindversuch(Foto: Egmont Seiler)

Audio-PodcastHören Sie den Audio-Podcast zum Blindtest mitder pilzbehandelten Geige unter www.empa.ch/EmpaAudio-Stradivari

Page 10: EmpaNews Oktober 2009

Stammzellen alsMaterialprüferStammzellen haben die Fähigkeit, sich in zahlreicheunterschiedliche Zelltypen zu entwickeln. Welchen«Entwicklungspfad» sie einschlagen, hängt unteranderem stark vom Substrat ab, auf oder in dem siesich befinden. Empa-ForscherInnen nutzen Stamm-zellen, um neue biokompatible Materialien –beispielsweise für Gelenkimplantate – zu entwickeln,zu testen und zu verbessern.

TEXT: Beatrice Huber

Page 11: EmpaNews Oktober 2009

Fokus: Materialien für ein besseres Leben // 11

Künstliche Gelenke sind heute Routine. Pro Jahr erhalten al-leine in der Schweiz rund 20 000 Menschen ein neues Hüft-gelenk. Mit dem Einsetzen ist es allerdings nicht getan. Im-

plantate, die nicht zementiert werden, müssen nach der Operationmit dem Oberschenkelknochen verwachsen. Ob und wie gut diesgelingt, hängt stark von der Oberfläche des Implantats ab. «For-schungen an adulten Stammzellen haben gezeigt, dass sich dieZellen abhängig von der Oberfläche sehr unterschiedlich verhal-ten», meint Katharina Maniura von der Abteilung «Materials-Bio-logy Interactions». Ihre Gruppe und diejenige ihres Kollegen ArieBruinink befassen sich denn auch mit den vielfältigen Wechsel-wirkungen zwischen Zellen und unterschiedlichen Materialien.Die zentrale Frage lautet: Wie müssen Materialien für medizini-sche Anwendungen beschaffen sein, damit sich die Stammzellendarauf «richtig» entwickeln, sich also in den gewünschten Zelltyp– etwa eine Knochenzelle – differenzieren? Denn nur dann kann– wie im Fall des künstlichen Hüftgelenks – das Implantat mit demKnochen verwachsen und der/die PatientIn wieder beschwerde-frei gehen.

Den genauen Ablauf der Zelldifferenzierung verstehenEine Stammzelle entwickelt sich in zahlreichen komplexen Ein-zelschritten bis zur ausgereiften Zelle. Diese lassen sich in dreiPhasen gruppieren: Migration, Proliferation und Differenzierung.Zuerst wandern Stammzellen aus dem Knochenmark – wo sichdie meisten Stammzellen beim Erwachsenen befinden – dorthin,wo sie gebraucht werden. Dann vermehren sich diese Zellen, be-vor sie sich in der letzten Phase zum gewünschten Zelltyp «um-wandeln», das heisst differenzieren. Ob und wann welcher Ein-zelschritt erfolgt, wird sehr genau durch das Genom reguliert undist auch durch äussere Faktoren beeinflussbar. Ein wichtiges Zielder Empa-ForscherInnen ist es, die verschiedenen Ausseneinflüs-se und die Reaktion der Zellen darauf zu verstehen. Arie Bruininkbeschreibt dies in der Sprache der Mathematik: «Wir wollen die

>>

Biosensoren: EinzelneStammzellen, die inVertiefungen platziertsind, werden in ihrerEntwicklung beobachtet.Die unterschiedlichenFarben und derenIntensität lassenRückschlüsse zu aufden Stand derZelldifferenzierung.(Foto: Markus Rottmar)

Page 12: EmpaNews Oktober 2009

12 // Fokus: Materialien für ein besseres Leben

Algorithmen kennen, nach denen sich eine Stammzelle beispiels-weise zu einer Knochenzelle entwickelt.» Die Oberfläche, auf derdie Stammzellen leben, ist einer dieser äusseren Faktoren, der dieEntwicklung beeinflusst. Woraus soll sie bestehen, wie soll siestrukturiert sein? Möglich wären mikrometergrosse hügelartigeFormen oder auch Textilien. Das Team von Arie Bruinink unter-sucht den Einfluss solcher Strukturen auf Stammzellen.

Magnetische ImplantateMagnetische Kräfte beeinflussen als äussere Faktoren möglicher-weise ebenfalls die Zellentwicklung. Ob dies der Fall ist, unter-sucht Bruininks Gruppe im Rahmen des erst kürzlich angelaufe-nen Projekts «Magister». Dieses von der EU geförderte Projekt be-fasst sich mit Möglichkeiten, wie dem Patienten injizierte kleineTeilchen, beispielsweise magnetische Nanopartikel, mit Hilfe vonexternen Magneten zu «Implantaten» zusammenfinden. So liessensich beispielsweise Knochendefekte während des Heilungsprozes-ses fixieren. Diese Nanopartikel dürfen jedoch weder toxisch aufdie Stammzellen wirken (und generell auf das Gewebe) noch de-ren Entwicklung negativ beeinflussen.

Lebenden Zellen zuschauenDie Arbeit mit adulten Stammzellen dient nicht nur der Verbesse-rung medizinaltechnischer Materialien, sondern auch dazu, geeig-nete Methoden zu finden, um die Materialien effektiv zu testen.Klassische zellbiologische Methoden liefern zwar aussagekräftigeResultate zu einem Merkmal des Zustands der Zellen, jedoch werdendie Zellen dabei in der Regel getötet. Wie die Entwicklung der Zelleweiterginge, lässt sich also nicht mehr beobachten. Katharina Ma-niura und ihre MitarbeiterInnen arbeiten deshalb auch an Metho-den, um lebende Zellen in Zellkultur über mehrere Stunden oderTage in Echtzeit zu beobachten. «Dadurch erhalten wir exakte Infor-mationen unter anderem über den Differenzierungszustand sowohlder gesamten Zellkultur als auch einzelner Zellen», so Maniura.

Die Grundidee ist dabei recht einfach: Die ForscherInnen bauenden Zellen «Lampen» ein, die «angeknipst» werden, sobald ein be-stimmtes Gen aktiv ist oder – anders gesagt – sich die Zelle in einembestimmten Entwicklungszustand befindet. Dazu werden Gene, diedie Information für fluoreszierende Proteine (also die Lampen) ko-dieren, zuvor in die Zellen eingeschleust. Erste Experimente sind vielversprechend. So konnte in Echtzeit beobachtet werden, wie sich imLaufe der Differenzierung die Zellarchitektur ändert. //

Anwendungsgebiet: Wirkstofftests

Ein weiteres mögliches Anwendungsgebiet für Stammzellen istihr Einsatz als so genannte Biosensoren. Will eine Pharmafirmabeispielsweise ein neues Medikament entwickeln, das das Kno-chenwachstum fördert, sind eingehende Tests des Wirkstoffsvorgeschrieben. Bevor es hierfür zu Tierversuchen und späterzu klinischen Versuchen am Menschen kommt, sind Tests mitZellkultursystemen gängige Praxis. Dabei geht es unter ande-rem um Fragen der Toxizität des Wirkstoffs. Für solche Tests istein hoher Mengendurchsatz wichtig, das heisst, viele Test sol-len pro Zeiteinheit gemacht werden können, und ausserdemeine möglichst physiologische Zellumgebung.«Als Modell für diese Tests stellen wir uns Polymersubstrate mitwinzigen Vertiefungen vor, in die die Stammzellen – pro Vertie-fung jeweils nur eine Zelle beziehungsweise eine kleine Anzahlvon Zellen – platziert werden», erzählt Katharina Maniura. DieVertiefungen sollten so ausgestaltet sein, dass sie der natürli-chen Umgebung der Zellen möglichst genau entsprechen. An-schliessend folgen die zu testenden Wirkstoffe, und es wird be-obachtet (auch in Echtzeit, siehe Haupttext), wie sich die Zellenverhalten, wie sie sich auf der Unterlage andocken, ob sie über-leben und sich – für das Beispiel eines Knochenmedikaments– zu Knochenzellen entwickeln. Die Empa forscht an diesem Bio-sensoren zusammen mit der ETH Zürich und den AO Davos, finan-ziert vom Kompetenzzentrum CCMX Matlife. Das System soll sicheinmal auch für schnelle Tests von sehr vielen Substanzen eignen,die nicht nur potenziell nützlich sind wie ein Knochenmedika-ment, sondern auch potenziell schädlich sein können.

Osteoblasten(knochenbildende Zellen)

Regulation

Mesenchymale Stammzellen

Knochenzellen

Knorpel

Muskeln

Haut

Fettgewebe

Empa-ForscherInnen untersuchen, wie Materialien für medizinischeAnwendungen beschaffen sein müssen, damit sich Stammzellen daraufin den gewünschten Zelltyp – etwa eine Knochenzelle – differenzieren.Denn nur so kann ein Implantat mit dem Knochen verwachsen.1: Fluoreszenzaufnahme von Knochenzellen (grün: Mikrotubuli(Teil des Zytoskeletts), rot: Adhäsionsprotein Vinculin, blau: Zellkerne).2: Schema der Zelldifferenzierung. 3: Eine Elektronenmikroskopaufnahmezeigt, wie Knochenzellen an einem Implantat haften. (Bilder: Empa)

1

2

3

100 µm

Implantatmaterial

Knochenzelle

>>

Page 13: EmpaNews Oktober 2009

Zellen auf denrichtigen Weg schicken

Frau Maniura, Sie arbeiten mit Stammzel-len. Was ist so speziell an diesen Zellen?

Stammzellen besitzen die Fähigkeit,eine Entwicklung zu durchlaufen. Dasheisst, aus ihnen können ganz unterschied-liche organspezifische Zelltypen entstehen.Somit haben sie die besten Voraussetzun-gen, sich zu Ersatzgewebe für Organe zuentwickeln, deren Gewebe sich nur schlechtoder gar nicht regenerieren kann. Diesmacht sie für die Forschung interessant.«Unsere» Stammzellen – es handelt sich umZellen von erwachsenen Menschen – kön-nen sich unter anderem zu Knochen-, Knor-pel-, Muskel-, Haut- oder Fettzellen entwi-ckeln. Im menschlichen Körper werden siebeispielsweise dann aktiv, wenn ein Knochenbruch heilen soll.Wir wollen verstehen, auf welchen Materialoberflächen sich dieseZellen am besten entwickeln und was genau sind die Faktoren,die diese Entwicklung beeinflussen.

Woher bekommen Sie Ihre Zellen?Wir erhalten Knochenmarkproben vom Kantonsspital St. Gal-

len. Dieses Knochenmark wurde PatientInnen entfernt, um eineHüftgelenkendoprothese einzupassen – es wird normalerweiseentsorgt. Wir isolieren daraus so ge-nannte mesenchymale Stammzellen.Die «Spenderpersonen» haben ihrEinverständnis gegeben, dass ihreZellen für die Forschung genutzt wer-den dürfen. Die Zusammenarbeit mitdem Kantonsspital besteht schon seiteinigen Jahren und funktioniert sehrgut.

Wodurch zeichnen sich diese Zellen aus? Da die Zellen immer wieder von anderen Menschen stammen,

sind sie von Probe zu Probe nicht identisch. Eine Wiederholungvon Tests mit einer Mehrzahl von Patientenproben kann für dieBevölkerung relevante Ergebnisse gut abbilden. Die Personen sindnicht nur unterschiedlich alt und unterschiedlichen Geschlechts,

sondern haben auch unterschiedliche Le-bensstile. Sie könnten zudem an bestimmten– auch genetischen – Krankheiten leiden.Dies stellt ein potentielles Infektionsrisikodar, dem wir mit den nötigen Sicherheits-massnahmen begegnen, wie dies beispiels-weise auch ein Labor im Spital tun muss.

Dank der direkten Zusammenarbeit mitdem Kantonsspital und den idealen Kno-chenmarkproben können wir die Bedingun-gen, wie die Zellen kultiviert werden, genaubestimmen und beeinflussen. Dies war wäh-rend der Etablierung der Arbeiten an derEmpa zwar sehr aufwendig, hat sich aberaus meiner Sicht gelohnt. Bei kommerziellerhältlichen Stammzellen lassen sich die Be-

dingungen nicht nur nicht wählen, sondern sind oft sogar ein Ge-heimnis der anbietenden Firma und würden somit eine unkontrol-lierbare Komponente in unseren Versuchsabläufen darstellen.

Stammzellen, vor allem embryonale, rufen wegenihres Ursprungs grosse ethische Bedenken hervor.Wie stehen Sie zu embryonalen Stammzellen?

Wir beobachten die Forschung auf diesem Gebiet mit grossemInteresse, setzen aber bewusst adulte Stammzellen ein. Für unsere

Forschung sind diese Zellen geradedeshalb relevant, weil adulte – undnicht embryonale – Stammzellen dasAnwachsen beispielsweise eines Im-plantats vermitteln oder auch Chancenfür zellbasierte Therapiekonzepte dar-stellen.

Verschiedene Forschungsgruppenweltweit suchen derzeit intensiv nach

Wegen, wie Stammzellen mit embryonalem Charakter aus Zelleneiner erwachsenen Person gezüchtet werden können, ohne dassdafür Embryonen eingesetzt werden müssen. Das würde dieStammzellenforschung ethisch deutlich «entlasten». Aber generellmüssen neue mögliche Grenzen diskutiert werden: Wie weitmöchte letztlich die Gesellschaft mit neuen Behandlungskonzep-ten gehen? //

Fokus: Materialien für ein besseres Leben // 13

«Für unsere Forschungsind adulte Stammzellenrelevant.»

Die Empa-Zellbiologin Katharina Maniura.

Stammzellen sind spannende Forschungsobjekte. Sie lösen bei Ethikern und derBevölkerung aber auch Bedenken aus, da embryonale Stammzellen aus «überschüssigen»menschlichen Embryonen gewonnen werden. Die Empa-Zellbiologin Katharina Maniura,die mit adulten Stammzellen arbeitet, über den Stand der Forschung.

INTERVIEW: Beatrice Huber / FOTO: Ruedi Keller

Page 14: EmpaNews Oktober 2009

14 // Fokus: Materialien für ein besseres Leben

Der menschliche Körper besitzt ein hochspezialisiertes Im-munsystem, um sich vor potenziell gefährlichen Mirkoor-ganismen und fremden Substanzen zu schützen. «Es ist

jedoch noch kaum bekannt, was die Auswirkungen von neuen,synthetisch hergestellten Nanomaterialien auf dieses Abwehrsys-tem sind», gibt Harald Krug, Leiter der Empa-Abteilung «Materi-als-Biology Interactions» zu bedenken. Werden diese als Fremd-körper erkannt und aus dem Organismus entfernt? Oder beeinflus-sen sie eventuell die Abwehr gegen andere Eindringlinge? «Im in-terdisziplinären und internationalen Forschungsprojekt ‹Nanom-mune› untersuchen wir nun diese und viele weitere Fragen», soKrug weiter.

In «Nanommune», das von der EU im 7. Forschungsrahmen-programm finanziert wird, sind neben Forschungsgruppen ausSchweden, Deutschland, Finnland, Grossbritannien und derSchweiz auch erstmals Partner aus den USA eingebunden, waseine spezielle Herausforderung an das gesamte Konsortium dar-stellt. «So hatte die EU beispielsweise gar keine Vorstellung da-von, wie die rechtlichen Beziehungen der Partner aussehen könn-ten, da die amerikanischen Partner kein EU-Recht anerkennendürfen», erzählt Harald Krug.

Um ein ganzheitliches Bild zu gewinnen, wie synthetische Na-nomaterialien auf das Immunsystem wirken, bearbeiten verschie-dene Arbeitsgruppen des Konsortiums jeweils unterschiedlicheTeilaspekte. Beteiligt sind Fachleute auf den Gebieten Material-wissenschaft, Zellbiologie, Toxikologie, Immunologie, aber bei-spielsweise auch Statistik. Die Empa untersucht nun die Auswir-kungen von Nanopartikeln auf die verschiedenen Zelltypen des

Immunreaktionauf Nanomaterialien?

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Dies gilt prinzipiell auch für die Nanotechnologie.Um den sicheren Einsatz dieser Technologie zu garantieren, sollten daher frühzeitigauch mögliche Risiken untersucht werden. Empa-Forscherinnen und -Forscherbefassen sich im Rahmen des EU-Projekts «Nanommune» mit den Auswirkungenvon freien Nanopartikeln aufs Immunsystem.

TEXT: Beatrice Huber / FOTOS: Empa

2 µm

1Die Aufnahme zeigt eine Fresszelle(Makrophage), die mit Core-Shell-Nanopartikeln, das heisst Nanopartikelnmit Eisenoxid-Kern und einer Hülleaus Siliziumdioxid, behandelt wurde.Um die Nanopartikel eindeutig zuidentifizieren, wurde ein Bereich des Bildesvergrössert. Makrophagen gehören zuden Immunzellen, die für eine unspezifischeImmunantwort zuständig sind.

2Wirkung von Kohlenstoff-Nanoröhrchenauf das Zellskelett von T-Lymphozyten:Die Zellen wurden mit oder ohne Kohlen-stoff-Nanoröhrchen in Kultur gehalten.Anschliessend wurden das Aktin- (rot) undTubulin-Zellskelett (grün) sowie die DNA(blau) angefärbt. Die Nanoröhrchen zeigenkeine Auswirkungen auf das Zellskelett.T-Lymphozyten gehören zu denImmunzellen, die für eine spezifischeImmunantwort zuständig sind.

1

Page 15: EmpaNews Oktober 2009

Fokus: Materialien für ein besseres Leben // 15

Immunsystems. Bei der Forschung geht es um Fragen wie: Teilensich die verschiedenen Zellen unseres Immunsystems bei Anwe-senheit von Nanopartikeln immer noch normal? Oder kommt eshäufiger zu programmiertem Zelltod, der Apoptose? Wie werdentote Zellen beseitigt? Was passiert in der Kommunikation zwi-schen den Zellen?

Zellen reagieren gelassen«Die ersten Experimente haben gezeigt, dass die Apoptose durchdie bisher untersuchten Materialien nicht ausgelöst wird», berich-tet Harald Krug zum Stand der Forschung. Auch spezialisierte Im-munzellen, so genannte dendritische Zellen, reagierten eher ge-lassen auf die Behandlung mit Nanopartikeln. «Es bleibt nun ab-zuwarten, ob es aus der Vielzahl der zu untersuchenden Materia-lien tatsächlich einige geben wird, die Reaktionen in Immunzellenauslösen.» Von Zinkoxid-Partikeln sind solche Reaktionen bereitsbekannt. Dies ist allerdings nicht weiter verwunderlich, da Zinkfür Immunzellen ein spezielles Element darstellt. Zum einen ist eslebensnotwendig, das heisst, der Körper und im Besonderen dieImmunzellen benötigen eine bestimmte Menge dieses Elementespro Tag, um ihren Stoffhaushalt zu decken und so zu überleben.Zum anderen ist eine Überdosierung für die Zellen aber auch kri-tisch, und sie reagieren darauf oft mit dem Zelltod. Andere derar-tige Elemente, zum Beispiel Eisen oder Kupfer, zeigen ähnlicheWirkungen. Die Effekte, die durch die Zink-Nanopartikel ausge-löst werden, treten nicht bei normalen, sondern erst bei sehr ho-hen, unrealistischen Konzentrationen auf. Weitere Informationen:www.nanommune.eu. //

Internationale Allianz fürstandardisierte Testverfahren

Aktuell publizierte Studien zu den biologischen Auswirkungenvon Nanopartikeln führen zu teils widersprüchlichen Aussagenbetreffend der potenziellen Gefahren, da meist eine ausrei-chende Charakterisierung der Nanopartikel fehlt, und sind des-halb unbrauchbar. Während der 2. Internationalen Konferenzzu Nanotoxikologie, 2008 in Zürich, wurde die IANH (Interna-tional Alliance for Nano Environmental and Health Safety Har-monization) gegründet. Ziel der Allianz ist es, robuste Metho-den und Standard-Arbeitsvorschriften für die Bestimmung dermöglichen Gefährdung durch Nanopartikel zu etablieren. Nam-hafte Institute aus Europa, Nordamerika und Japan – darunterdie Empa – führen unabhängig, das heisst durch eigene Mittelfinanziert, Ringversuche durch. Die Partner stellen die Erkennt-nisse über Publikationen, aber auch über verschiedene interna-tionale Organisationen wie OECD oder ISO, einem möglichstbreiten Publikum zur Verfügung. So sollen Unsicherheiten fürHersteller, Konsumenten und Behörden eliminiert und der Na-notechnologie Nachhaltigkeit verschafft werden.

Weitere Informationen: http://nanoehsalliance.org/

20 µm

100 nm

Unbehandelt

Kohlenstoff-

Nanoröhrchen

Durchlicht Aktin Tubulin Aktin/Tubulin/DNA

2

Page 16: EmpaNews Oktober 2009

HydrophilerKopf

HydrophoberSchwanz

WässrigeLösung

16 // Fokus: Materialien für ein besseres Leben

So genannte Mizellen könntenKandidaten als Transportmittel fürMedikamente sein. Diese Aggregatesollen sich auflösen, nachdemsie den Wirkstoff bei den betroffenenZellen abgeladen haben.

Anforderungsprofilfür NanotransporterNeben anderen Bereichen flirtet auch die Medizin immer intensiver mit Nanopartikeln.Die Teilchen sollen beispielsweise als Transportvehikel Medikamente exakt zudenjenigen Organen, Geweben oder Zellen bringen, die den Wirkstoff benötigen.Die Aussichten dieser als «Drug Delivery» bekannten Idee sind verlockend, doch esgibt auch offene Fragen: Was passiert mit den Nanopartikeln, nachdem sie ihre«Ware» im Körper abgeliefert haben? Werden sie vom Körper abgebaut? Schadensie dem Körper etwa mehr, als dass sie ihm nützen?

TEXT: Beatrice Huber, Simon Berginz / ILLUSTRATION: André Niederer

Nanopartikel sind keineswegs ein-fach nur heilbringende Wunder-mittel. So sieht es auch Peter

Wick, Nanotoxikologe an der Empa in St.Gallen: «Als Transportmittel für Medika-

mente werden sich nur diejenigenPartikel durchsetzen, die auch re-

sorbierbar sind – sprich: vomKörper abgebaut werden kön-nen – und keine uner-wünschten Reaktionen pro-vozieren.» Am liebsten wä-ren Wick so genannte Mi-zellen, die sich auflösen,

nachdem sie den Wirkstoff beiden betroffenen Zellen abgeladen

haben. Mizellen sind Aggregate ausMolekülen, die sowohl hydrophile (was-serliebende) und hydrophobe (wasserab-stossende) Teile besitzen und sich deshalbbeispielsweise im Wasser spontan zusam-menfinden. Von diesen «Soft-Nanoparti-keln» verspricht sich Wick einiges. Oder

von (Bio)Polymeren. «Es gibt bereits so ge-nannte Nanocontainer aus unterschiedli-chen Polymeren mit einer Grösse von biszu einem Mikrometer. Diese können ausge-rüstet werden, um exakt den Zelltyp zu er-kennen, den sie ‹therapieren› müssen, undsind ebenfalls abbaubar.»

Es gibt eine Ausnahme für den Einsatzvon nicht abbaubaren Nanopartikeln ausSicht des Nanotoxikologen: die Krebsbehand-lung. «Einen Tumor erfolgreich bekämpfenzu können, ist grundsätzlich das höhere Ziel,als letztendlich alle Nanopartikeln wieder ausdem Körper entfernt zu haben.»

Die Empa-Forscher um Wick sind nichtim eigentlichen Bereich «Drug Delivery» ak-tiv; sie erforschen vielmehr, wie das mensch-liche Immunsystem oder unsere Nervenzel-len mit Nanopartikeln umgehen. Diese Er-kenntnisse sind wichtig für die weitere Ent-wicklung von Nano-Transportern. Denn alssolche sind nur Nanopartikel interessant, dieals ungefährlich erkannt werden. //

Foto: iStock

Page 17: EmpaNews Oktober 2009

Fokus: Materialien für ein besseres Leben // 17

Die Zerreissprobe bestehen Um gerissene Sehnen zu heilen, verwenden Chirurgen immerhäufiger künstliche Materialien. Biologinnen, Ingenieureund Textilwissenschaftlerinnen der Empa entwickelnzurzeit eine Sehne aus Bikomponentenfasern, die vom Körperabgebaut wird, wenn sie ihre Funktion erfüllt hat.

TEXT: Martina Peter / ILLUSTRATION: André Niederer

Sehnen sind für Materialwissenschaft-ler ungeheuer aufschlussreich», sagtManfred Zinn, Leiter des Empa-For-

schungsprojekts «PHATendon», «denn sieleisten Enormes.» Eine Achillessehne bei-spielsweise kann das Zehnfache des Kör-pergewichts tragen. Um ihre Materialeigen-schaften genau zu bestimmen, haben Zinnund seine Kollegen in der Literatur recher-chiert, Medizinfachleute befragt und Achil-lessehnen von Schafen in Zugprüfständeeingespannt. «Dadurch konnten wir diemechanischen Parameter für neuartigekünstliche Sehnen festlegen.»

Dank ausgezeichneter Biokompatibili-tät und optimierten Materialeigenschaftenwie Festigkeit und Belastbarkeit soll dieseEmpa-Sehne als Platzhalter fungieren. Zu-dem soll sie auch das Zusammenwachsender verletzten Sehne beschleunigen, indemsie als Andockstelle für körpereigene Zel-len dient. Und als letztes soll die Empa-Sehne vom Körper in angemessener Zeitauch wieder abgebaut werden können.

Polymere von Bakterien erzeugt undzu Fasern gesponnenFür den passenden Werkstoff sorgen Bak-terien. In einem Bioreaktor züchten Zinnund sein Team aus der Abteilung «Bioma-terialien» die Mikroorganismen, die natür-liche Biopolyester (Polyhydroxyalkanoate,PHA) produzieren. Diese Biopolymerekönnen, je nachdem welche Spezies vonBakterien verwendet und welche Fettsäu-ren ihnen verfüttert werden, ganz spezifi-sche Eigenschaften aufweisen. Im Fall derkünstlichen Sehnen muss das Material bio-verträglich sein, Festigkeit und Elastizitätbesitzen und auch entsprechend verarbeit-bar sein.

Die gereinigten und aufbereiteten Biopolymere werden in der Schmelzspinn-anlage der Empa-Abteilung «Advanced

Fibers» zu Fasern gesponnen. «Unsere Me-thode erlaubt uns, Filamente aus mehrerenKomponenten herzustellen», führt Faser-spezialist Rudolf Hufenus aus. «So ‹verhei-raten› wir verschiedene Biopolyester mitganz unterschiedlichen Eigenschaften.»Daraus resultieren für mechanische Einsät-ze bereitstehende Fasern, die zudem vonGewebezellen besiedelt werden können.

Günstig verlaufene Tests inBiokompatibilität und MechanikEine Biokompatibilitätsstudie in vitro mitmenschlichen Zellen, so genannten Fibro-blasten, hat Katharina Maniura von der Ab-teilung «Materials-Biology Interactions»durchgeführt. Sie wies nach, dass die Bikom-ponentenfasern keine negativen Auswirkun-gen auf die ursprünglich im Bindegewebevorkommenden Zellen zeigen. Die Fibro-blasten hafteten an den Fasern und wuchsenan ihnen entlang, um sie schliesslich nachein paar Tagen gänzlich zu umhüllen.

Die zu Textilgewirken verarbeitetenFasern wurden schliesslich in der Abtei-lung «Mechanical Systems Engineering»mechanischen Belastungstests unterzogen.In denselben Vorrichtungen, in denen dieAchillessehnen von Schafen untersuchtworden waren, wurden Stücke der Gewir-ke eingespannt und auf Elastizität, Dehn-barkeit und Reissfestigkeit getestet. Mit Er-folg: Sie konnten mit natürlichen Sehnenmithalten.

Als nächstes stehen Versuche in vivoan. Der Projektpartner AO Davos pflanztRatten die Biopolymersehnen ein; die Ge-webereaktion wird dann von der Ludwig-Maximilians-Universität in München un-tersucht. «Wenn die Tests mit den Rattenpositiv verlaufen, können wir die künstli-che Sehne mit einem interessierten Indus-triepartner gezielt weiterentwickeln», istZinn optimistisch. //

1Die Biopolymere werden inder Schmelzspinnanlagezu Fasern gesponnen undanschliessend zu Textiliengewirkt.

2Biokompatibilitätsstudienzeigten, dass Fibroblastenauf den Bikomponenten-fasern haften und sichdarauf vermehren können.

5 mm

100 µm

Fersenknochen

Achillessehne

MedialerWadenmuskel

LateralerWadenmuskel

1

2

Page 18: EmpaNews Oktober 2009

18 // Fokus: Materialien für ein besseres Leben

Wie man sich bettet …

Im Kampf gegen das im Volksmund als Wundliegenbekannte Problem haben Forscher des Empa-Spin-off«compliant concept» ein Pflegebett entwickelt, dasdie aufwändige Pflege von bettlägerigen Patientendeutlich vereinfachen und in Zukunft auch bezahlbarmachen soll. Druckgeschwüre, oder Dekubitus,so der Fachausdruck, sind in allen Spitälern und Pflege-einrichtungen ein Dauerthema, da sie grosse Schmerzenund einen enormen Pflegeaufwand verursachen.

TEXT: Daniel Ochs

Ein gesunder Mensch wechselt mehr-mals pro Stunde seine Schlafpositi-on. Dies ist ein unbewusster Schutz-

mechanismus. Bettlägerige Menschen hin-gegen sind aufgrund ihrer körperlichenVerfassung in der Regel dazu nicht mehr inder Lage. Wenn auf einer Körperstelle übereinen längeren Zeitraum Druck durch daseigene Körpergewicht lastet, entsteht da-durch ein «Dekubitus», also ein Druckge-schwür. Das Blut kann in dieser Körperre-gion kaum mehr zirkulieren, das Gewebewird nicht mehr ausreichend mit Sauer-stoff versorgt und stirbt schliesslich ab.Das Fatale: Druckgeschwüre sind schwerheilbar und äusserst schmerzhaft. Imschlimmsten Fall ist die Wunde so tief,dass Knochen oder innere Organe freilie-gen, dann können sie sogar lebensbedro-hend sein.

Um Wundliegen vorzubeugen, müssenbeispielsweise PatientInnen in Pflegehei-men alle zwei bis drei Stunden in eine an-dere Lage gebracht werden. Doch das stän-dige Umbetten ist für das Pflegepersonaleine enorme körperliche Belastung undverursacht bei vielen Pflegenden Muskel-

1Kaum merkliche, aberbeständige Umlagerung:Der Proband lag absolutregungslos, währendsich die Unterlage bewegte.(Foto: Empa)

2Das «nachgiebige Bett» von«compliant concept» kommtmit weniger Einzelteilen alsherkömmliche Pflegebettenund ohne wartungsauf-wändige Mechanik aus.(Illustration: Empa)

1

2

Page 19: EmpaNews Oktober 2009

schmerzen und Rückenprobleme. Um eine70 Kilogramm schwere bettlägerige Personzu wenden, braucht es neben einer speziel-len Technik auch sehr viel Kraft.

Mangel an ausgebildetemPflegepersonal Laut einer neuen Studie des Schweizeri-schen Gesundheitsobservatoriums (Ob-san) und der Stiftung «Careum» fehlen imJahr 2030 im Gesundheitswesen bis zu190 000 Arbeitskräfte. Bereits jetzt mangeltes an Pflegepersonal. Oder anders ausge-drückt: Das vorhandene Personal musssich um zu viele PatientInnen kümmern,was für Bettlägerige äusserst gravierendeFolgen haben kann. Etwa in Form vonDruckgeschwüren, die bereits in wenigenStunden entstehen können.

Zwar existieren auf dem Markt bereitseinige Hilfsmittel zur Prävention und The-rapie, doch diese haben entscheidendeNachteile: Entweder sind sie sehr pflege-aufwändig und/oder sie beeinflussen dieWahrnehmung und das Körpergefühl nega-tiv, was zu einer weiteren Desorientierungund Demobilisierung des Patienten führt.

Der Empa-Spin-off«compliant concept»

Der Empa-Spin-off «compliant con-cept» arbeitet mit einem interdisziplinä-ren Team, dem unter anderem der eme-ritierte Medizinprofessor Walter O. Seilerangehört, an der Entwicklung einesneuen Pflegebetts. Für den Forschungs-und Entwicklungsteil sind die ehemali-gen Forscher der Empa zuständig; dieHochschule für Technik Rapperswil, dieFirmen Composites Busch SA und FestoAG stellen die Prototypen her. Das prak-tische Know-how liefert die OBA AG,eine Spezialistin für Matratzen in derPflege. Im medizinischen Bereich wirddie «compliant concept» von demSchweizer Paraplegiker-Zentrum, demUniversitätsspital Basel sowie dem Al-terszentrum «Im Geeren», Seuzach, be-raten, im technischen Bereich von derEmpa sowie der ETH Zürich.

Als «smart» oder zu Deutsch intelligent werden Materialienbezeichnet, die sich der Umgebung je nach Situation opti-mal anpassen können. Mit einem Reiz von aussen etwa än-dern sie ihre physikalischen, chemischen oder biologi-schen Eigenschaften; sobald der Reiz wegfällt, kehren siewieder in den ursprünglichen Zustand zurück. NachgiebigeSysteme (engl. compliant systems), wie sie beispielsweisefür das Pflegebett verwendet werden (siehe Hauptartikel),gehören dazu, aber auch elektroaktive Polymere (EAP).Diese sind in der Lage, elektrische Energie direkt in mecha-nische Arbeit umzuwandeln, und werden daher oft als«künstliche» Muskeln bezeichnet.

Künstliche Muskeln für «schwimmende» LuftschiffeEAP treiben sogar Luftschiffe an, so genannte Blimps. Diein der Abteilung «Mechanical Systems Engineering» entwi-ckelten Gebilde schwimmen eher durch die Lüfte, als dasssie fliegen, denn sie ahmen den Flossenschlag einer Forellenach. An der Hülle und den «Flossen» des Blimp befindensich EAP-Aktuatoren. Durch An- und Abschalten einerelektrischen Spannung dehnen sich diese aus und ziehensich wieder zusammen. So entsteht der Schwanzflossen-schlag. Das Luftschiff bewegt sich geräuschlos und sanft

durch die Luft mit einer Geschwindigkeit von einem Meterpro Sekunde, das heisst im Schritttempo. Solche Blimpswürden sich eignen, um Wildtiere zu beobachten oderFernerkundungen durchzuführen.

Investition in «smart materials» lohnt sichDas Thema «Intelligente Materialien und Systeme» hat Zukunft– darüber sind sich Wissenschaftler und Politikerinnen grund-sätzlich einig. Doch viele Schweizer Unternehmen investierenin Zeiten der Krise nur zurückhaltend in Forschung und Ent-wicklung. Um dies zu ändern, lud die Förderagentur für Inno-vation KTI zusammen mit der Empa Mitte August zum natio-nalen Innovations-Briefing «Smart Materials». Das Interessewar riesig: 200 Gäste aus Industrie und Forschung kamen, umsich über das Nationale Forschungsprogramm «IntelligenteMaterialien» (NFP 62) zu informieren, dessen Projekte im Ja-nuar 2010 starten sollen. Das Besondere an dem vom Schwei-zerischen Nationalfonds (SNF) geförderten NFP 62: Erweisensich die Projekte nach der Startphase als marktfähig, werdensie der KTI zur weiteren Förderung in einem Folgeprojekt mitIndustriepartnern empfohlen. So soll sichergestellt werden,dass die Forschungsresultate auch tatsächlich ihren Weg inden Markt finden. //

«smart materials» – grosses Potenzial

Mit «smarten» Materialien demWundliegen vorbeugenDer Empa-Spin-off «compliant concept» hatnun ein neuartiges Pflegebett entwickelt, dasdie Bewegung eines gesunden Menschenwährend des Schlafens imitiert und damit diePatientinnen und Patienten in Spitälern undPflegeeinrichtungen vor dem Wundliegen be-wahren soll. Ein ausgeklügeltes System, beste-hend aus einem aktiven Lattenrost aus «intel-ligenten» Strukturen sowie aus einer speziel-len Matratze, sorgt dafür, dass bettlägerigePersonen nicht zu lange in derselben Positionim Bett verharren, sondern kaum merklich,aber beständig umgelagert werden. Dadurchwird das Wundliegen verhindert. Zudem be-steht so die Möglichkeit, die verbleibende Be-weglichkeit zu fördern. Das von «compliantconcept»-Forschern in Zusammenarbeit mitder Hochschule für Technik Rapperswil, pri-vaten Firmen und mit finanzieller Unterstüt-zung der Förderagentur für Innovation (KTI)entwickelte Bett dürfte den Pflegeaufwandbeim Umbetten erheblich reduzieren. DasPflegepersonal erhält somit mehr Zeit, sich an-deren Aufgaben zu widmen und sich intensi-ver um die PatientInnen zu kümmern. //

Page 20: EmpaNews Oktober 2009

20 // Wissens- und Technologietransfer

Ein Vorhang,der nie schlecht riecht

Schlechte Gerüche wie Rauch einfach durch Heimtextilien, etwaVorhänge, neutralisieren? Das kann bald schon Realität werden.Voraussetzung sind Titandioxid-Partikel in den Textilfasern,die – angeregt durch UV-Licht – geruchstragende Moleküle chemischabbauen. Die Empa hat zusammen mit Industriepartnern im KTI-Projekt«Nanodor» solche photokatalytisch wirkenden Fasern entwickelt.

TEXT: Martina Peter / FOTOS: Empa2

1

Page 21: EmpaNews Oktober 2009

Wissens- und Technologietransfer // 21

1Die Textilproben werdenZigarettenrauch ausgesetzt.

2Ein tiefgefrorener undwieder aufgetauterMeerhecht lässt dieTextilien übel riechen.

3Für die Tester einLeichtes: Nanodor-Textilienzu identifizieren.

Heimtextilien sind massgeblich für ein angenehmes Raumklimaverantwortlich. «In unseren Wohnungen hängen wir Vorhän-ge auf und legen Teppiche aus. Und unterwegs setzen wir uns

im Auto, Bus oder Flugzeug gerne auf Sessel mit Stoffbezug», so derChemiker Felix Reifler aus der Empa-Abteilung «Advanced Fibers».

Geruchstechnisch wäre eine Inneneinrichtung ohne Textilien je-doch vorteilhafter. Denn schlechte Gerüche können sich in Textilienfestsetzen. Oft lassen sie sich erst durch gründliches Lüften vertreibenoder müssen mit Duftstoffen übertönt werden. Der Grund: Textilienfungieren als «Senke», das heisst sie adsorbieren flüchtige Substanzenaus der Umgebung. Die aufgenommenen Gerüche geben sie dann zeit-lich verzögert wieder ab. «Da uns im Alltag Textilien wie Vorhänge,Möbelbezüge und Teppiche umgeben, sind sie ganz zentral verant-wortlich für die Luftqualität in unseren Räumen», erklärt Faserspezia-list Reifler.

Der Trick heisst PhotokatalyseIm KTI-Projekt «Nanodor» entwickelten Empa-Wissenschaftler zusam-men mit Industriepartnern aus der Textil- und Kunststoffbranche einePET-Faser, die Geruchsimmissionen gar nicht erst entst ehen lassen:«Wir zerstören die Geruchsmoleküle, bevor sie von den Textilien wie-der abgegeben werden», führt Reifler aus. Das Prinzip dahinter ist diePhotokatalyse: Der Abbau der Geruchsmoleküle wird mit Hilfe vonLicht stark beschleunigt. Die in die neu entwickelten PET-Fasern ein-gearbeiteten Titandioxid-Nanopartikel (TiO2) erhalten durch das Ta-geslicht – durch dessen ultravioletten Anteil – die nötige Energie, umals Katalysatoren zu fungieren. In einer Reihe von chemischen Reak-tionen zersetzt sich jedes Geruchsmolekül schrittweise auf der Faser-oberfläche auf ganz spezifische Weise; im Idealfall bis hin zu den End-produkten Kohlendioxid und Wasser. TiO2 selbst wird dabei nicht ver-braucht.

Die Nanopartikel werden im Schmelzspinnverfahren in die Faserneingearbeitet. Diese Fasern besitzen Vorteile gegenüber oberflächlichbeschichteten, bereits auf dem Markt erhältlichen Textilien. Durch Ab-rieb wird einfach die nächste Faserschicht freigelegt, in der sich eben-falls TiO2-Partikel befinden. Deshalb eignen sich Textilien aus den neu-en PET-Fasern auch für strapaziöse, längere Einsätze; sie können be-liebig oft gewaschen werden. Albert Gunkel, CEO der Weberei Keller,die letzte Textilherstellerin im Zürcher Oberland und Industriepartne-rin im «Nanodor»-Projekt, bestätigt: «Die Vorhänge in unserer Kantine,wo auch geraucht wird, wurden im vergangenen Jahr alle drei Monategewaschen. Das Resultat war verblüffend: Die Luft riecht überhauptnicht nach Rauch, sondern neutral.»

Wirksamkeit von Titandioxid erhöhenAls Material bietet TiO2 viele Vorteile: Es ist stabil, ungiftig, korrosi-onsbeständig, preisgünstig. Es wird bereits als photokatalytisch aktivesMaterial zur Luft- und Wasserreinigung eingesetzt oder auch, um Bak-terien zu eliminieren, und Glasflächen verleiht es selbstreinigende Ei-genschaften.

Weniger vorteilhaft ist die Tatsache, dass reines TiO2 lediglich aufUV-Licht reagiert. Der UV-Anteil im Tageslicht macht nur drei bis fünfProzent aus. Das reicht zwar für Fenstervorhänge, doch zu Textilienhinter stark filternden Scheiben – etwa in Flugzeugen, Autos, Bussenoder der Bahn – dringt praktisch kein UV-Licht mehr durch und derphotokatalytische Effekt bleibt aus. Und gerade die öffentlichen Ver-kehrsmittel wären wichtige potenzielle Einsatzgebiete.

«Daher wollen wir die photokatalytische Aktivität der Partikel er-höhen und auch das sichtbare Licht nutzen», sagt Gi useppino Fortu-nato, der das im August angelaufene Folgeprojekt leitet. Mit ihm zu-sammen machen sich Empa-WissenschaftlerInnen aus den Abteilun-gen «Hochleistungskeramik», «Festkörperchemie und Katalyse» und«Funktionspolymere» zur Lösung Gedanken. Einer ihrer Ansätze: Siefügen den TiO2-Partikeln Fremdatome bei. Damit werden die Teilchennicht nur durch UV-Licht aktiviert, sondern entfalten ihre katalytischeAktivität bereits bei sichtbarem Licht mit Wellenlängen oberhalb von400 Nanometer. Auch TiO2-Gehalt, Dispersionsmethoden und Nach-behandlung der Fasern sind Gegenstand des jetzigen Projekts. Ausser-dem soll untersucht werden, wie sich die Fasern beim Verarbeiten undin der Praxis verhalten. Beteiligt sind der Faserhersteller Tersuisse Mul-tifils SA aus Emmenbrücke und die Christian Eschler AG, Herstellervon Funktionstextilien im ausserrhodischen Bühler, sowie wiederumdie Weberei Keller, die bereits mit der Produktion von Nanodor-Tex-tilien begonnen hat. //

Wie sich Gerüche «messen» lassen

Wie lässt sich messen, ob TiO2-haltige Nanodor-Textilien tatsächlich schlechteGerüche vertreiben? Das Nanodor-Team musste auch hier Innovationsgeist be-weisen. Es entwickelte verschiedene Methoden, um die photokatalytische Ak-tivität nicht nur von Partikeln, sondern auch von Fasern, Geweben und Gewir-ken quantitativ zu beurteilen. Zum Einsatz kamen Textilproben, die mit einfachen organischen Verbindungenwie Nikotin, 3-Methyl-2-hexensäure («Schweisssäure») oder Formaldehyd inKontakt gebracht wurden. Im Labor wurden sie während einer bestimmten Zeiteiner definierten Lichtquelle ausgesetzt. Die Forscher massen entweder dieMenge an Kohlendioxid, die während dieser Zeit entstand, oder ermittelten,welcher Anteil der ursprünglich eingesetzten Menge an organischen Verbin-dungen nach der Belichtungszeit noch nicht zersetzt war. Beim Kontakt mit Na-nodor-Geweben im Breitband-UV-Licht – so zeigte sich – wurden während derBelichtungszeit doppelt so viele Formaldehyd-Moleküle zersetzt wie beim Kon-takt mit entsprechenden Geweben ohne TiO2. Um festzustellen, ob Nanodor-Textilien Gerüche tatsächlich eliminieren kön-nen, wurden auch Riechtests durchgeführt, da die menschliche Nase empfind-licher als jedes Messgerät reagiert. Textile Proben verschiedener Provenienz –mit und ohne Titandioxidpartikel – lagen während 24 Stunden in einem Behäl-ter mit einem zuerst tief gefrorenen und dann aufgetauten Meerhecht. AndereProben wurden zwei Stunden lang Zigarettenrauch ausgesetzt. Die ProbandIn-nen konnten nach der Belichtung meistens genau riechen, bei welchen Probenes sich um Nanodor-Textilien handelte.

3

Page 22: EmpaNews Oktober 2009

22 // Wissens- und Technologietransfer

Mit Schwitzarm und «SAM»zur eigenen Firma Der Empa-Spin-off Humanikin entwickelt fürFirmen und Forschungsinstitutionen so genannteManikins, die das menschliche Schwitzen bzw.die Thermoregulation möglichst realitätsnahimitieren. Und derart helfen, bessere funktionaleBekleidung für Sport oder extreme Arbeitseinsätzezu entwickeln.

TEXT: Simon Berginz / FOTO: Empa

Bereits seit einigen Jahren baut die Empa für den Eigengebrauch«Manikins», die beispielsweise zur Beurteilung von Bekleidungund Schutzausrüstung zum Einsatz kommen. Angefangen hat-

te die Imitation menschlicher Körperteile mit einem Hautmodell, spä-ter wurde daraus ein «Schwitzarm». Über die Jahre kamen dann im-mer grössere und anspruchsvollere Manikins hinzu, etwa ein Schwitz-torso, um Schlafsackmaterialien zur beurteilen, oder auch derSchwitzkopf namens «Alex» für die Klimaprüfung in einem Helm.

Den bisherigen Höhepunkt der Entwicklungen bildet eine anato-misch geformte Puppe mit den Abmessungen eines Mannes: «SAM»,das «Sweating Agile thermal Manikin», ist ein bewegliches undschwitzendes Ganzkörpermodell, mit dem sich Hitzeverlust,Schweissproduktion und Bewegungen des Menschen realistisch simu-lieren lassen.

Erstmals objektive Beurteilung möglichIm «Manikin-Business» von Anfang an dabei war der gebürtige BriteMark Richards. Ende der Neunzigerjahre kam er an die Empa, wo ermit der Entwicklung menschlicher Simulatoren begann. Die Manikinserlaubten es erstmals, Funktionsbekleidung unter Laborbedingungenreproduzierbar zu bewerten und zu vergleichen. Zuvor dienten diesubjektiven Eindrücke von Probanden als Beurteilungsgrundlage, diejedoch weder neutral noch wissenschaftlich nachvollziehbar waren.

Die Manikins, allen voran SAM, waren ein Erfolg: Schon baldwollten Firmen und Forschungsinstitute nicht einfach nur die Analy-sen und Testergebnisse der Empa auf diesem Gebiet, sie interessiertensich vielmehr für die Simulatoren an sich, um eigene Tests an neu ent-wickelter Bekleidung durchführen zu können.

Von der Geschäftsidee zum Spin-offFür eine Forschungsinstitution wie die Empa kam jedoch eine ArtSerienproduktion der Manikins für Dritte nicht in Frage. Für MarkRichards hingegen schon; die Idee für einen Spin-off war geboren.

Im Januar 2009 verliess Richards die Empa, mietete beim «tebo»geeignete Räumlichkeiten und begann mit dem Aufbau seiner Firma,der Humanikin GmbH. Innerhalb eines Jahres wandelte er sich vomerfahrenen Wissenschaftler zum Jungunternehmer.

Ideen zum Bau von intelligenten thermischen Steuerungen hatRichards viele, einige davon sind bereits zum Patent angemeldet.

Zum Beispiel soll SAM eine verbesserte Haut bekommen, damit dieWärmeabgabe genauer gemessen werden kann. Richards will Sys-teme entwickeln, die das lokale dynamische Schwitzverhalten unddie Hauttemperatur besser imitieren. Dafür bekommt SAM auchein anatomisch geformtes Gesicht sowie Hände und Füsse. So wirdSAM noch «menschlicher»!

Abnehmer für «SAM, v2.0» sind neben der Empa auch andereForschungsinstitutionen und Firmen aus der Textilindustrie. DieHumanikin GmbH will die Manikins allerdings nicht selber produ-zieren, sondern innovative Ideen entwickeln und mit Industrie-partnern zusammenarbeiten, die die Manikins oder Komponentendazu produzieren und verkaufen.

Bedarf besteht nicht nur für ganze Manikins – zur Prüfung undBeurteilung von Helmen genügt beispielsweise ein Kopfmodell.Geplant ist auch ein Mini-Computertomograph, der auf einerkünstlichen Hautplatte mit Hilfe von Röntgenstrahlen die physika-lischen Vorgänge in den Bekleidungsmaterialien genau untersucht.So lässt sich beobachten, was mit Körperschweiss und -wärme inder Kleidung passiert.

Gute Chancen rechnet sich Richards auch für den kürzlich einge-reichten Antrag zum EU-Forschungsprojekt «Prospie» (Protective re-sponsive outer shell for people in industrial environments) aus. Dieseswill Arbeitskleidung mit einem integrierten thermischen Warnsystementwickeln, wobei Humanikin für die passenden Sensoren und dieElektronik in der Bekleidung verantwortlich ist. In diesem For-schungsprojekt arbeitet Richards Firma in einem Konsortium mit 16Partnern aus ganz Europa zusammen – inklusive der Empa. //

Eine Schwitzpuppe namens SAM

Das Ganzkörpermodell SAM wird auf 34 Grad Celsiusaufgeheizt. Elektromotoren bringen ihn in Bewe-gung, wodurch Gehen im Schritttempo simuliertwerden kann. Sein Schwitzen ist mit demjenigen ei-nes Menschen vergleichbar – von leichtem Schwitzenim Ruhezustand bis zur Extremsituation, zum Beispielin einem brennenden Haus. Neben Strom- und Steue-rungsanschlüssen am Kopf befindet sich dort auch eineWasserleitung, die das Wasser für den «künstlichen»Schweiss liefert.

Page 23: EmpaNews Oktober 2009

Dienstleistung // 23

Computersimulationspart Materialtests«Auftrag abgeschlossen!», hiess es kürzlich an der Empa. Und diesfrüher als geplant. Ingenieure sollten die Festigkeit eines Anlegergehäusesuntersuchen, eine Komponente des neuen Sammelhefters einesIndustriekunden. Dank Computersimulation und Finite-Element-Analysegelang dies sogar ohne mechanische Prüfungen «am Objekt».

TEXT: Simon Berginz

Die Schweissnähte werden so geringbelastet, dass weiterführende Un-tersuchungen nicht erforderlich

waren», so Projektleiter Roland Koller, derdas neue Gerät der Müller Martini Druck-verarbeitungssysteme AG auf die Belast-barkeit der Schweissnähte überprüft hat.Die Zofinger Firma ist weltweit führend inder Herstellung hochkomplexer Druckwei-terverarbeitungssysteme. Etwa ein neuerSammelhefter, dessen Anlegergehäuse dieBögen einer Broschüre stapelweise auf-nimmt und einen Bogen via Sammelkettezum nächsten Anleger transportiert, derdann den folgenden Bogen hinzufügt. Sindalle Bögen beisammen, werden sie zur Bro-schüre geheftet und geschnitten.

Selbst Gutes kann verbessert werdenSo gut ein Produkt auch sein mag, so wichtigist es, dieses technologisch weiterzuentwi-ckeln und zu optimieren. Beim Versuchsbe-trieb des neuen Hefters traten beispielsweiseVibrationen auf. Deshalb wollte der Herstel-ler von der Empa wissen, ob dadurch mit derZeit Ermüdungsrisse an den Schweissnähtendes Anlegergehäuses entstehen könnten.

Bevor also das Gerät in die Serienferti-gung ging, wurde die Neukonstruktion vonRoland Koller und seinen Kollegen GaborPiskoty und Luc Wullschleger genauestensunter die Lupe genommen. Das Team er-mittelte am Computer die zu erwartendenWellen- und Spannrollenlagerkräfte. DieseKräfte wurden dann für die Finite-Element-Analyse verwendet, ein im Ingenieurwesenverbreitetes, modernes Simulationsverfah-ren, das in diesem Fall die im Anlegerge-häuse auftretenden Beanspruchungen be-rechnet.

Zeit ist GeldNach der Analyse der Computerdaten warklar: Die Belastungen im Gehäuse sind der-art gering, dass die bereits geplanten Vibra-tionsmessungen an einem echten Anlegersowie eine mechanische Untersuchung derSchweissverbindungen nicht mehr nötigwaren. Besonders erfreulich für den Kun-den: Durch den geringeren Aufwand wur-den Kosten eingepast – und Müller Martinikonnte termingerecht mit der Serienpro-duktion beginnen. //

1Läuft wie geschmiert:Die Anlegerstrasse einesneu entwickeltenSammelhefters der FirmaMüller Martini.(Foto: Müller Martini)

2Die mechanisch amstärksten beanspruchteMontagestelle desAnlegergehäuses(mit Kreis markiert).Hierfür galt es, dieBelastungen mitHilfe der Finite-Element-Methode genaunachzurechnen.(Illustration: Empa)

21

Page 24: EmpaNews Oktober 2009

24 // Im Dialog

Aufruf zu neuemWirtschaftssystem

Am 15. und 16. September trafen sich führendeFachleute aus aller Welt zum ersten «World Re-sources Forum» (WRF) zeitgleich in Davos und

im japanischen Nagoya. Ziel war es, Wege aus der Über-nutzung natürlicher Ressourcen zu finden. Heutzutageentnimmt die Menschheit pro Jahr der Erde rund 60 Mil-liarden Tonnen Rohstoffe. Das sind 50 Prozent mehr alsvor 30 Jahren. Die Teilnehmenden am WRF sahen dieÜbernutzung der natürlichen Ressourcen denn auch alsHauptursache für wachsende Störungen und Destabili-sierungen im Ökosystem, was sich unter anderem imKlimawandel spiegelt.

Zum Abschluss des WRF verabschiedeten die Teil-nehmenden eine Deklaration mit Vorschlägen, wienachhaltiger mit den natürlichen Ressourcen umgegan-gen werden kann. Einer der Kernpunkte: In internatio-nalen Übereinkommen sollen weltweite Pro-Kopf-Zielefür die Ausbeutung und den Verbrauch natürlicher Res-sourcen festgelegt werden. Das Hauptziel dieser Über-einkommen bestehe darin, die ökonomische Entwick-lung und der Ressourcenverbrauch vollständig zu ent-

koppeln. Zudem soll mit politischen Massnahmen wiehöheren Steuern der Ressourcenverbrauch massiv ge-senkt, das heisst, die Ressourcenproduktivität drastischerhöht werden. Im Weiteren verlangt die Deklaration,dass die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so neugestaltet werden, dass sie die Knappheit der natürlichenRessourcen berücksichtigen.

WRF – von der Empa mitorganisiertDie Empa hatte das WRF federführend mitorganisiert.Um Interkontinentalflüge der Teilnehmenden – Haupt-ursache für die Umweltbelastungen wissenschaftlicherKongresse – zu minimieren, fanden die Veranstaltungensowohl in Europa als auch in Japan statt; via Videotech-nologie waren beide Orte in «real time» miteinander ver-bunden, sodass die Teilnehmenden über sieben Zeitzo-nen direkt miteinander diskutieren konnten. Eine Öko-bilanzstudie soll im Nachgang klären, wie viel der Um-welt tatsächlich erspart geblieben ist.

Die komplette Deklaration (in Englisch) kann unterwww.worldresourcesforum.org abgerufen werden.

Wissenschaftsapéro: Erdöl aufgebraucht – und was dann?

Bereits zum 41. Mal lud die Empa Ende August zu einem Wissenschaftsapéro; aktuellesThema diesmal: «Was kommt nach dem Öl?» Rund 140 Interessierte kamen und betei-ligten sich an einer lebhaften Diskussion. Daniele Ganser, Historiker an der UniversitätBasel, zeigte eindrücklich, wie stark wir heute vom Erdöl abhängig sind. Die Schweizalleine verbraucht täglich rund 38 Millionen Liter. Dabei hätten mehr als die Hälfte dererdölfördernden Länder ihren «Peak Oil», das heisst den Zeitpunkt der maximalen För-dermenge, bereits überschritten. Einzig die Länder im Nahen Osten seien noch in der Lage,die Fördermenge zu erhöhen. «Die Gefahr von kriegerischen Auseinandersetzungen umdiese Ölfelder könnte in absehbarer Zukunft steigen, wenn es nicht gelingt, die Erdölab-hängigkeit zu überwinden», meint Ganser.

Dies zu erreichen, ist eines der Ziele des Empa-Forschers Andreas Züttel. «Wasserstoffals Energieträger bietet die Möglichkeit, in naher Zukunft die Abhängigkeit von Öl, Gasund Kohle zu überwinden», ist er überzeugt. Technisch gesehen lassen sich Fahrzeuge be-reits heute mit Wasserstoff betreiben. Bis zur Serienreife seien jedoch noch einige Hürdenzu überwinden, gibt Züttel zu. So etwa das Problem der Wasserstoff-Speicherung, an demder Forscher und sein Team intensiv arbeiten (siehe dazu EmpaNews Nummer 26).

1Videotechnologie spartInterkontinentalflüge:Das WRF fand zeitgleichin Davos und imNagoya (Japan) statt.(Foto: Empa)

2Eine geglückte Premiere:Dennis Meadows(rechts), Mitautor der«Club of Rome»-Studie«Die Grenzen desWachstums», bedanktsich bei Xaver Edelmann,Präsident des WRF undDirektionsmitglied derEmpa, und dessen Team.(Foto: Empa)

1 2

Audio-PodcastHören Sie das Interview mit Xaver Edelmann,Präsident des WRF und Mitglied der Empa-Direktion, unterwww.empa.ch/EmpaAudio-WRF

Page 25: EmpaNews Oktober 2009

Im Dialog // 25

Russische Delegation informiertsich über Technologietransfer

Im Juli gab es an der Empa Besuch ausder Russischen Föderation. RanghoheRegierungsvertreter aus mehreren Teilre-publiken und Gebieten – auch aus Sibi-rien – waren für eine Woche in derSchweiz, um sich über mögliche wirt-schaftliche Zusammenarbeiten zu infor-mieren. So kam die Delegation auch andie Empa um sich über deren Tätigkeitenzu Wissens- und Technologietransfer insBild setzen zu lassen. Dabei stiessen vorallem die beiden Technologiezentren –tebo in St. Gallen und glaTec in Düben-dorf – auf grosses Interesse. Die russi-sche Delegation erhielt zudem – am Bei-spiel der Tensairity-Technologie (s. Em-paNews Nr. 26) – einen direkten Einblickin die Forschung und Entwicklung an derEmpa. Einige Teilrepubliken und Gebieteder Russischen Föderation sind relativunabhängig und pflegen Kontakte insAusland. So arbeitet beispielsweise dieStandortförderung des Kantons Zürich,die den Besuch an der Empa organisierthatte, bereits seit einigen Jahren am Auf-bau möglicher wirtschaftlicher Koopera-tionen.

PeruanischerUmweltministeran der Empa

Am 21. August besuchteder peruanische Umwelt-minister Antonio Brack

die Empa und liess sich dabeiüber neueste Forschungs- undEntwicklungsprojekte im BereichRessourceneffizienz und Ökobi-lanzen informieren. Am gleichenTag unterzeichnete AntonioBrack zudem ein Abkommen, dasdie Zusammenarbeit zwischenPeru und der Schweiz für eineumweltverträgliche und ressour-censchonende Beseitigung vonElektroschrott (e-Waste) festlegt. Ein Ziel ist es, die Frei-setzung toxischer Substanzen, die durch unsachgemässeBehandlung von Batterien, Isoliermaterial oder Bildschir-men geschieht, zu minimieren und so die Gesundheit derArbeiter sowie die Umwelt zu schützen. Zudem eröffnetdas Recycling von Elektroschrott neue Geschäftsmöglich-keiten und schafft wertvolle Arbeitsplätze.

Breites Know-how über e-Waste-Recycling Die Schweiz finanziert bereits seit 2003 internationaleWissenspartnerschaften mit China, Indien und Südafrika.Nun kommt Südamerika dazu. Die Empa verfügt dankverschiedener Forschungsprojekte sowie durch die tech-nische Kontrolle der schweizerischen e-Waste-Recycling-betriebe bereits über langjährige Erfahrung bei der Um-setzung umweltverträglicher Recyclingmassnahmen undist für Leitung und Durchführung der Schweizer Projekteverantwortlich. «Die Knappheit und Endlichkeit vielerStoffe wird der Gesellschaft gerade durch die Elektronik,die heutzutage einen Grossteil der chemischen Elementeeinsetzt, deutlich gemacht und zwingt sie, sich auch mitihren Abfällen zu befassen», so der Projektverantwortli-che Heinz Böni, Leiter der Empa-Gruppe «sustec – sustai-nable technology cooperation».

Antonio Brack ist der erste Umweltminister Perus.Der promovierte Biologe mit deutschen und österrei-chischen Wurzeln hat unzählige Bücher und Artikel zuBiodiversität und nachhaltiger Entwicklung verfasst so-wie eine Sendung im peruanischen Fernsehen geleitet.Peru ist sowohl flächen- als auch bevölkerungsmässig derdrittgrösste Staat Südamerikas. Seine Geografie ist durchdie Anden sowie die Nebel- und Regenwälder des Ama-zonas geprägt. //

Die Gäste aus Russland liessen sich in die Prinzipien undVorzüge der Tensairity-Technologie einführen. (Foto: Beat Geyer)

1Interessierter Gast: Derperuanische BotschafterAntonio Brack liess sichüber neuste Projekte imBereich Ressourcen-effizienz und Ökobilanzeninformieren. (Foto: RuediKeller)

2Umweltverträgliche undressourcenschonendeBeseitigung von Elektro-schrott eröffnet neueGeschäftsmöglichkeitenund schafft Arbeitsplätze.(Foto: Empa)

2

1

Page 26: EmpaNews Oktober 2009

26 // Im Dialog

Ob Medizin, nachhaltige Energieversorgung oder Umweltschutz, ohne Nano-technologie lassen sich die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern.Parallel dazu gelte es aber auch, potenzielle Risiken – etwa von freien Nano-partikeln – unter die Lupe zu nehmen, so das Fazit der NanoConvention 2009.

TEXT: Beatrice Huber / FOTOS: Ruedi KellerTEXT: Simon Berginz / FOTO: Empa

Fast schon in «guter, alter Tradition» lud dieEmpa dieses Jahr bereits zum dritten Mal zurNanoConvention ein. Rund 170 Nano-Interes-

sierte aus Forschung, Industrie, Verwaltung und demFinanzsektor folgten dem Ruf und trafen sich am 6. Juli in Zürich. Ziel der NanoConvention sei es, eine

sichere und nachhal-tige Nanotechnologieals Innovationsmotorfür die SchweizerWirtschaft und Ge-sellschaft zu etablie-ren. «Ausserdem hatuns die Vergangen-heit gelehrt, dassneue Technologien

auch immer den Weg aus dem Elfenbeinturm auf dieStrasse – also zu den Menschen – finden müssen», er-klärte Hans Hug, Leiter des Empa-Forschungspro-gramms «Nanotechnologie». Ein früher, offener undmöglichst breiter Dialog über Chancen und Risiken seidaher notwendig.

Im Dialog ist Wolfgang Heckl, Generaldirektor desDeutschen Museums in München, schon seit längeremgeübt. «Einerseits sind die Menschen fasziniert von

‹verborgener› Forschung», so Heckl an der NanoCon-vention. Dies gelte ganz speziell auch für die Nano-technologie, die sich ja im unsichtbar Kleinen abspie-le. Andererseits seien viele aber auch durch «Informa-tionssplitter» aus den Medien darüber beunruhigt, wasNanotechnologie angeblich alles anrichten könne. Umdie Nanowissenschaften transparenter zu machen,richtete das Deutsche Museum, das grösste naturwis-senschaftlich-technische Museum der Welt mit rund1,5 Millionen BesucherInnen jährlich, ein gläsernesNano-Labor ein. Ab November arbeiten Physikerin-nen, Chemiker, Molekularbiologinnen und Material-forscher im neu erbauten «Zentrum Neue Technolo-gien» unter realen Bedingungen – und bringen Besu-cherinnen und Besuchern Nanotechnologie näher.Heckl ist überzeugt, dass Glaubwürdigkeit und Ver-trauen nur dann entstehen, wenn «die Menschen nichtnur die Nanoforschung, sondern auch die Forschen-den im wahrsten Sinn des Wortes begreifen können.»

Nano schon heute im EinsatzDie verschiedenen Beiträge zeigten, dass Nanotechno-logie schon heute in vielen Bereichen wie IT/Elektro-nik, Medizin oder Energie- und UmwelttechnologieEinzug gehalten hat. Referenten aus Wissenschaft und

«Die Menschen sindfasziniert von‹verborgener› Forschung.»Wolfgang Heckl, Deutsches Museum München

NanoConvention 2009 –

Page 27: EmpaNews Oktober 2009

Im Dialog // 27

Industrie präsentierten Beispiele von nanotechnologi-schen Methoden für Diagnose und Behandlung beiDickdarmkrebs beziehungsweise Hirntumoren. Aus-serdem sollen Nanoschichten Solarzellen besser, dasheisst effizienter, machen, und dank Membranen mitnanometergrossen Poren kann selbst Abwasser oderSalzwasser zu trinkbarem Wasser aufbereitet werden.

Wie die Gesellschaft mit neuen Technologien um-geht, welche ethischen und gesellschaftlichen Konse-quenzen etwa die Nanotechnologie nach sich zieht,damit beschäftigt sich Alfred Nordmann, Philosoph ander TU Darmstadt. Er warnte vor einer allzu weit vorausschauenden, fast schon «futuristischen» oder«spekulativen» Ethik, die bereits sämtlichen mögli-chen und auch unmöglichen Anwendungen Rechnungträgt. «Anstatt alle vorstellbaren Anwendungen undderen Auswirkungen abzuwägen, sollten wir uns lie-ber mit Fragen beschäftigen, die schon heute Einflussauf die Forschung in der Nanotechnologie haben», soNordmann.

Standardisierte Verfahren sind gefragtBei aller Euphorie dürfen also Fragen zur Sicherheitnicht vergessen gehen. Für eine zufrieden stellende Si-cherheitsforschung fehlten bislang allerdings standar-

disierte Verfahren, so dieEins chätzung von HaraldKrug, Leiter der Empa-Ab-teilung «Materials-BiologyInteractions». «Jeder hat ge-testet, was und wie er woll-te. Das erklärt die zum Teilhöchst widersprüchlichenErgebnisse.» Doch es tut sicheiniges. So leitete HaraldKrug das Projekt «NanoCare», das neben Untersu-chungen darüber, wie gesundheitsrelevant gängigeNanopartikel sind, auch einheitliche Prüfmethoden er-arbeitete.

Den Nano-Forschern geht also die Arbeit in nächs-ter Zeit kaum aus. Dass sich der Aufwand lohnt, da-rüber herrschte an der NanoConvention Einstimmig-keit. Denn: «Nanotechnologie ist nicht DIE Lösung fürdie grossen Probleme der Zukunft, sicher aber eine da-von», brachte es Péter Krüger von der Bayer Materi-alScience AG in seinem Vortrag an der NanoConven-tion auf den Punkt.

Informationen zu den einzelnen Referaten undmehr zur NanoConvention gibt es auch im Internet:www.empa.ch/nanoconvention. //

«Nanotechnologie istnicht DIE Lösung fürdie grossen Problemeder Zukunft, sicheraber eine davon.»Péter Krüger, Bayer MaterialScience AG

Dialogplattform zum Dritten

Page 28: EmpaNews Oktober 2009

Veranstaltungen3. und 4. November 2009Titan-Anwenderseminar Für Interessierte aus Technik, Metallkundeund IngenieurwissenschaftenEmpa, Dübendorf

9. November 2009 Das Potenzial für erneuerbare Energienin der SchweizTechnologie-Briefing im Rahmen der nationalen Tageder Technik 2009 vom 5. bis 15. November Empa, Dübendorf

18. November 2009Neue Schweizer Normen für AbdichtungenFür Bauherren, Planerinnen, Unternehmerund MaterialherstellerinnenEmpa, Dübendorf

24. November 2009Empa-Kolloquium: How scientific is science?Prof. Dr. Ernst Peter Fischer, Universität Konstanz (DE)Empa, Dübendorf

1. Dezember 2009Biomaterialien – heute und morgenFür die polymerverarbeitende IndustrieEmpa, Dübendorf

Details und weitere Veranstaltungen unterwww.empa-akademie.ch

Ihr Zugang zur Empa:

Die Empa hat das inhalt-

liche Format, um eine

so wichtige und zukunfts-

weisende Veranstaltung

wie das ‘World Resources

Forum’ überhaupt

erst möglich zu machen.

Prof. Dr. Ernst Ulrich von WeizsäckerUNEP International Panel forSustainable Resource Management

Meinung

Ernst Ulrich von Weizsäcker

[email protected] +41 44 823 44 44www.empa.ch/portal