Enter 009

40
GESCHAFFT 31. März 2011 09

description

Enter - das Engagementmagazin

Transcript of Enter 009

GESCHAFFT

31. März 2011 09

Landtagswahlen Baden-Württemberg 1988

Rezzo Schlauch über denlangen Weg von einem buntenHaufen Bürgerinitiativen zumersten grünen Regierungschef

DIE GROSSE

UMFRAGE

HIER TEIlnEHMEn.

Es ist nicht nur die Kernkraft. Wir schal-ten viel mehr ab. Wir beerdigen das Konzept XXL. Einfamilienhäuser wer-den zu Kraftwerken. Kommunen kau-fen ihre Stadtwerke zurück. In Zukunft wird unsere Versorgung dezentraler. Für die Bürgergesellschaft bedeutet das die größte anzunehmende Heraus-forderung. Es wird nicht mehr genügen, alle 20 Jahre den Bau eines Mega-Kraftwerks mit Staat und Wirtschaft auszufechten. Wutbürgertum droht als Dauerzustand. Die einen demonstrie-ren gegen eine Hochspannungsleitung, die anderen gegen ein Erdkabel. Und plausible Argumente finden beide,

denn eine saubere, gefahrfreie und zugleich landschaftsverträgliche Ver-sorgung gibt es nun einmal nicht. Wir brauchen eine neue Kultur des Kom-promisses. Dabei sind Bürger gefragt. Politik kann und muss da helfen. Es wäre naiv, die wirtschaftlichen Folgen der Energiewende ausgiebig zu disku-tieren und in die gesellschaftlichen Konsequenzen einfach hinein zu stol-pern. Nach dem Atomkonsens muss der Infrastrukturkonsens kommen. Wer die Energiewende will, kann nicht jedes Windrad einzeln diskutieren. Ein sol-cher Konsens kann nur in einem gut organisierten, bundesweiten Beteili-gungsverfahren entstehen. Bürgerbe-teiligung ist kein Luxus mehr. Sie ist lebenswichtig.

Uwe Amrhein ist Herausgeber von ENTER.

D A S E n D E v O n x x l

5

Uwe Amrhein EditorialFo

to: S

tift

ung

Bür

germ

ut. T

itel

fotos:

imag

o / F

otofi

nder

, Mar

tin

Stor

z

Politik, Kultur, Bürgerrechte.

Qualitätsjournalismus kann man kaufen.

www.spredder.de

7

Foto

: im

ago

TREnDS

EnTERTAInER DER WOcHE RAInER BRüDERlE

Nein, hier soll nicht von dem „Schwätzle“ in Sache Atommoratorium die Rede sein. Der Bundeswirtschaftsminister stellte vor wenigen Tagen die Eckpunkte eines Netzausbaubeschleunigungsgesetzes vor. Damit soll der Bau von 3.600 Km

Stromtrassen beschleunigt werden, die für neu ausgerufene Energiewende nötig seien. An sich ein richtiger Schritt - aber bitte nicht, wie geplant, auf Kosten der Bürgerbeteiligung. Lesen Sie zu dem Thema auch das Editorial!

ZITAT DER WOcHE

“Wir halten den Kurs der letzten Jahre!”

AlExAnDER DOBRInDT

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt reagiert auf seine Art auf den Wahlaus-gang in Baden-Württemberg.

WUlFFMORGEnTHAlERcARTOOn DER WOcHE

8

Zahlen, Zitate, FaktenTrends

cARTOOn DER WOcHE

MAp DER WOcHE ARABIScHER FRüHlInG

Schon bei nur kurz zurückliegenden Ereignissen lässt uns oft das Gedächtnis im Stich. Eine beeindru-ckende interaktive Grafik des engli-schen Guardian hilft nun, die zahlrei-chen Ereignisse des arabischen Frühlings zu ordnen. Beginnend mit dem 19. Dezember 2010 in Tunesien sind auf der Zeitleiste verschiedenfar-bige Pins angebracht, die für Protest, Bewegung, Regimewechsel und inter-nationale Intervention stehen. Per Maus wird die Zeitleiste abgefahren.

http://www.guardian.co.uk/world/

interactive/2011/mar/22/middle-

east-protest-interactive-timeline

9

Zahlen, Zitate, Fakten Trends

BRAvO

Die Bravo steht traditionell nicht im Verdacht, irgendeinen politischen oder gesellschaftlichen Anspruch zu haben. Doch in der vergangenen Woche prä-sentierte sie nicht etwa den gewohnten Starschnitt in der Heftmitte, sondern überrascht mit einem „Atomkraft? Nein danke!”-Poster. Chefredakteur Philipp Jessen erklärte dazu: „Unsere Leser sind die Generation, die mit den Folgen

unserer heutigen politischen Entschei-dung Pro oder Contra Atomkraft leben müssen.“ Na, wenn das so ist, sind wir gespannt auf die Poster gegen Stu-diengebühren, für Grundeinkommen, gegen Castortransporte und Gen-Mais…

http://www.bravo.de/specials/

bravo-akion-mach-was

HElD DER WOcHE

10

Zahlen, Zitate, FaktenTrends

ZAHl DER WOcHE

Gerade einmal 21 Prozent der Baden-Württemberger glauben, dass Stutt-gart 21 einen großen Einfluss auf die Landtagswahlen hatte, sagt das Forsa-Institut. Wer hätte das im letzten Sommer gedacht!

%2111

Zahlen, Zitate, Fakten Trends

vOlkSBEGEHEREnS-BERIcHT 2010

Gerade hat Mehr Demokratie! seinen Volksbegehrens-Bericht 2010 vorgelegt. Enter sprach mit Pressesprecherin Lynn Gogolin über die Highlights des vergan-genen Jahres und die Trends des laufenden.

InTERvIEW DER WOcHE

War 2010 ein gutes Jahr für die direkte Demokratie in Deutschland?

Mit vier Volksbegehren und zwei Volks-entscheiden ist das Jahr 2010 kein schlechtes für die direkte Demokratie gewesen. Noch nie haben Volksent-scheide zeitlich so eng hintereinander stattgefunden und noch nie haben Volksentscheide eine so intensive Debatte über die direkte Demokratie ausgelöst – noch angeheizt durch Stuttgart 21. Der Ruf ist bis heute deutlich zu hören: mehr Mitbestim-mung!

Wie aktiv waren 2010 Bürger in Sachen Volksgesetzgebung verglichen mit den Vorjahren?

Es wurden 16 direktdemokratische Verfahren auf Landesebene neu gestar-tet, fünf mehr als im Vorjahr. Insgesamt gab es 30 laufende Verfahren, fünf weniger als im Vorjahr. Die Motivation, eine Initiative zu starten, war also etwas höher als 2009.

Haben die erfolgreichen Volksentscheide in Bayern und Hamburg für einen Schub in Sachen Volksinitiativen gesorgt?

An den Zahlen sieht man das noch nicht. Es gab zwar fünf mehr neu gestartete Initiativen als im Vorjahr, das ist aber nicht ungewöhnlich, da

die Zahlen seit 1990 zwar steigen, aber von Jahr zu Jahr sehr schwanken. Das Bewusstsein, dass Demokratie Mit-bestimmung heißt, ist aber deutlich gewachsen.

Gibt es einen Trend für 2011? Einen Trend bei der Praxis kann man jetzt noch nicht ausmachen. 2011 könnte aber ein Jahr der Reformen werden. Die Landtagswahlen bieten die Chance auf reformwillige Regie-rungen. Beispielsweise in Baden-Württemberg könnte es nach diesem Wahlergebnis zu einer deutlichen Stärkung der Mitbestimmungsrechte kommen.

Wie sind derzeit die Chancen für die Einführung eines Volksentscheids auf Bundesebene?

Es ist Bewegung drin. Bei SPD, Grünen, Linken und FDP werden Demokratie-Reformen diskutiert. Alle vier Parteien haben schon eigene Gesetzentwürfe zur Einführung bundesweiter Volks-entscheide vorgelegt. Nur die CDU/CSU steht weiter auf der Bremse. Die Rechtfertigung dieser Blockade fällt der Union aber immer schwerer. Denn auch die Bevölkerungsmehrheit ist für den bundesweiten Volksentscheid.

12

Zahlen, Zitate, FaktenTrends

InTERvIEW DER WOcHE

13

Zahlen, Zitate, Fakten Trends

WElTBEWEGER DER WOcHE

14

MusiktempelWeltbeweger

14

Rund um die Uhr dröhnt Musik aus den 100 Probenräumen des sieben-stöckigen Betonbaus mitten im Indus-triegebiet. Ein Paradies für Bands und Musiker, ein Zentrum subkultureller Kreativität, das 2004 kurz vor dem Aus stand. „Nur durch die Beharrlich-keit der Musiker wurde es gerettet“, freut sich Pressesprecher Andreas Otto.Brandschutzmängel hatten die Treu-hand-Liegenschaftsgesellschaft (TLG) 2004 veranlasst, den Musikern ihre zum Teil aufwendig hergerichteten Probenräume zu kündigen. Der Kampf begann. Am Ende stand 2006 der Kauf des Hauses, in dem bis zur Wende der Filmehersteller „ORWO“ Fotos entwi-ckelt hatte. Voraussetzung war die Gründung eines Vereins, der heute für die Bewirtschaftung und Vermietung der Immobilie zuständig ist.Mit einem Kredit von der Sozialbank, einer Finanzspritze des Landes und mehr als einer Million Euro von der

Stiftung Deutsche Klassenlotterie kaufte der Verein das Gebäude, beseitigte die Brandschutzmängel und begann mit den nach wie vor andauernden Sanierungsmaßnah-men.Neben Probenräumen gibt es ein Ton-studio. Aus den Mieteinnahmen bezahlt der Verein fünf Stellen auf 400-Euro- und Honorarbasis. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Und es gibt prominente Fürsprecher und Nutzer wie „Silbermond“. Für die Deutschrock-Stars ist das Haus „ein wichtiger Pfeiler in der musikali-schen Zukunft Berlins“. Denn neben dem Probenbetrieb bietet das ORWO-haus eine ideale Plattform für Events, Konzerte und kollegiales Netzwer-ken. http://www.orwohaus.de

Rund 200 Berliner Bands machen sich um ihren Proberaum keine Gedanken mehr: Sie haben einen Verein gegründet und ein siebenstöckiges Haus gekauft. Für sie ist es die lauteste Platte der Stadt: Das ORWOhaus in Marzahn.

DER WAHRScHEInlIcH GRöSSTE MUSIkTEMpEl DER WElT

Orw

o-Haus

D A S

S y S T E M

H A T S I c H

v E R ä n D E R T ,

n I c H T

W I RFoto

: Im

ago

17

Schlauch Titel

Herr Schlauch, „mit dem Begriff Junior-partner bin ich nicht einverstanden“, haben Sie 1984 in einem SPIEGEL-Interview gesagt, damals waren Sie Fraktionschef im baden-württembergi-schen Landtag. Das klang noch größen-wahnsinnig, jetzt ist Grün-Rot Realität. Haben Sie das damals tatsächlich für möglich gehalten?

Sonst hätte ich es nicht so gesagt. Natürlich war ich immer etwas expan-siv in meinen Äußerungen. Mir war aber vor dem Hintergrund der Wahlerfolge im Land damals schon klar, dass die Grünen in Baden-Württemberg einen fruchtbaren Boden vorfinden und dass sie, wenn sie ihn richtig beackern, die Chance haben, das Erbe der Liberalen anzutreten und auch die SPD anzugrei-fen, die hier traditionell nie stark war.

Sie haben sich also damals schon vor-stellen können, selbst einmal Minister-präsident zu werden?

Das wäre zu hoch gegriffen. 1984 bin ich in Stuttgart zum ersten Mal ange-treten und hatte für damalige Verhält-nisse schon sehr gute Ergebnisse. Das hat sich im Laufe der Jahre immer gesteigert. Der Höhepunkt war 1996 bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. Da war ich nahe dran an einem Spitzenwahlamt.

Das scheiterte daran, dass die SPD nicht bereit war, ihren Kandidaten zu Ihren Gunsten zurückzuziehen. Ist der Wahlsieg vom Sonntag für Sie ein Fall von Rache ist Blutwurst?

Länger als 30 Jahre hat es gedauert, bis in Baden-Würt-temberg aus einer bunten Sammlung von Bürgerinitia-tiven eine grün geführte Regierung wurde. Wenn Win-fried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt wird, ist das ein bedeu-tendes politisches Ereignis in der Geschichte der Bun-desrepublik, das grundsätzli-che Fragen aufwirft.

Es sind Fragen, die sich jeder irgendwann stellen muss, der tatsächlich etwas verändern will. Wie sehr muss sich eine Bewegung anpassen, um so weit in die Mitte der Gesell-schaft vorzudringen? Was ist übrig von den Idealen von damals? Frisst der Erfolg die guten Vorsätze?

Wir diskutieren mit Rezzo Schlauch, einem der wichtig-sten Grünen in Baden-Würt-temberg, der seit Jahrzehnten auf die Regierungsbeteiligung hingearbeitet hat und um klare Worte noch nie verlegen war.

Interview: Sebastian Esser

18

RezzoTitel

Nee, das ist zu lange her. Die SPD hat dafür, insbesondere in Stuttgart, über lange Jahre sehr geblutet. Und dieser Fehler schwingt bis heute mit. Es ist ein Fehler, den die SPD bei nachfolgen-den Wahlen in einer unverständlichen Art und Weise immer wieder wiederholt hat. Für mich ist diese Geschichte aber längst abgeschlossen.

Nach 30 Jahren bekommt Baden-Würt-temberg nun tatsächlich einen grünen Ministerpräsidenten. Sind Sie zu früh aus der Politik ausgestiegen?

Überhaupt nicht. Ich spüre tiefe Genug-tuung und große Freude über diesen Wahlerfolg und natürlich auch ein bisschen Stolz darauf, dass ich jemand war, der zusammen mit anderen – und da war Kretschmann auch immer dabei – Fundamente für diesen Wahlsieg gelegt hat. Ich war immer ein Vertreter derjenigen, die Brücken in das soge-nannte bürgerliche Lager geschlagen haben – übrigens ein politischer Kampf-begriff der Konservativen, insbesondere der Liberalen, den ich immer für däm-lich und lächerlich gehalten habe.

Weil Sie sich selbst als bürgerlich bezeich-nen würden?

Auch das, aber vor allem, weil die Grü-nen von Anfang an eine bürgerliche Herkunft hatten und bürgerlich sozia-lisiert waren. Für mich als Grünen ist dieser Begriff nicht negativ besetzt, weil das aufgeklärte Bürgertum, wie zum Beispiel 1848, auch immer Träger von grundlegenden Veränderungen war.

Insofern habe ich immer versucht, den Begriff des Bürgertums nie den ande-ren zu überlassen.

Dennoch waren die Grünen, als sie 1980 zum ersten Mal in den Landtag einzogen, eine andere Partei als heute. Wie würden Sie diese Veränderungen beschreiben?

Na ja – waren sie eine andere Partei? 1980 war der jetzige designierte Minis-terpräsident schließlich schon dabei. Die baden-württembergischen Grünen hatten immer schon ein eigenes Profil im Vergleich zu den Nord-West-Grünen oder den norddeutschen Grünen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir uns in den nordisch dominierten Bun-desparteitagen der 80er Jahre zwar nicht als Fremdkörper, aber als Außen-seiter vorkamen. Eine Veränderung: Am Anfang gab es diesen Spruch von Standbein und Spielbein: Das Standbein waren die Bürgerinitiativen, die außer-parlamentarischen Bewegungen, das Spielbein das Parlament. Das hat sich schnell grundlegend gewandelt. Das Parlament haben wir nicht mehr nur als Bühne betrachtet, um die Forde-rungen der Bürgerinitiativen dort zu präsentieren und zu diskutieren, son-dern wir haben das Parlament und den Parlamentarismus ernst genommen und die Regeln der parlamentarischen Demokratie insgesamt ausgefüllt.

Aber 1980 sprachen die Grünen noch davon, die „Kapitalakkumulation“ sei die Ursache des „Wachstumsirrglaubens“, die „Befreiung vom Zwang zur Lohnar-

19

Schlauch Titel

“Damals war man ungestümer.”

20

RezzoTitel

R E z z o S C H l A u C H war als Ober-Realo einer der Weg-

bereiter der ersten grünen Regierung

in Baden-Württemberg. Als Chef der

grünen Regierungsfraktion im Bun-

destag wurde er bundesweit bekannt.

2002 wechselte er als Parlamentar-

ischer Staatssekretär ins Arbeits-

und Wirtschafsministerium. Heute

arbeitet Schlauch wieder als Anwalt

und berät Wirtschaftsunternehmen. Foto

: Fot

ofind

er, M

arti

n St

orz

21

Schlauch Titel

beit“ sei segensreich, die Schule „ent-fremde Natur und Arbeit“ und Kinder sollten für drei Monate im Jahr auf den Bauernhof oder in die Fabrik.

Natürlich waren wir in der Wortwahl noch sehr nah an der etwas kruden Begrifflichkeit der 68er. Aber den Kern dieser Forderungen finde ich nicht abseitig. Die Grünen waren immer auch eine Avantgarde – und zwar eine Avant-garde des Bürgertums. Sie waren die Vertreter der Citoyens.

In der Regierung sind Sie nicht mehr Avantgarde, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie haben Sie sich in diesen 30 Jahren persönlich verändert?

Damals war man ungestümer. Damals war man natürlich von einem unbän-digen Veränderungswillen gegenüber einem viel starreren System geprägt.Und ich glaube, das System der for-mierten Gesellschaft, das wir ange-troffen haben, hat sich viel mehr in Richtung einer pluralen Gesellschaft verändert als die Akteure selbst. Natür-

lich war der revolutionäre Gestus, auch die radikale Rhetorik, sehr viel stärker ausgeprägt. Aber eine große Verände-rung in den Kernansichten sehe ich eigentlich nicht. Das kann aber daher rühren, dass ich, bevor ich in die Politik ging, schon einen bürgerlichen Beruf und einen bürgerlichen Status hatte...

... als Rechtsanwalt ...... und in diesem Beruf mit knallharten Realitäten konfrontiert war. Die wollte ich zum Besseren ändern, aber deshalb

hatte ich immer einen realistischen Blick auf den Gegner. Natürlich war man damals einem anderen Erfah-rungshorizont nahe: Man war nicht sehr nahe an der Wirtschaft. Man hat wenig Kontakt mit Unternehmen gehabt. Das war fremdes oder unbekanntes Terrain. Es hat sich an einem wichtigen Punkt dann etwas geändert: In dem Moment, in dem man in die Regierungsverant-wortung eintritt – das habe ich zuerst als Fraktionsvorsitzender einer Regie-rungsfraktion und später als parlamen-tarischer Staatssekretär der rot-grünen

“Damals war man natürlich voneinem unbändigen Veränderungs-willen gegenüber einem viel star-reren System geprägt.”

22

RezzoTitel

Bundesregierung getan –, erfordert das Veränderungen im Stil und in der Kommunikation nach außen. Das war für mich ungewohnt. Das konnte ich innerlich schwer akzeptieren. Ich konnte nicht mehr so frei von der Leber reden, sondern musste eine bestimmte Dis-ziplin einhalten, die das Regieren mit sich bringt.

Die ersten Monate der rot-grünen Koa-lition in Bonn waren turbulent – Kosovo-Krieg, Lafontaine-Rücktritt, Sie mitten-drin. Könnte Baden-Württemberg etwas Ähnliches bevorstehen?

Es ist immer schwer, wenn sich die Rollen verändern. Die Opposition tritt, damit sie überhaupt gehört wird, von einem großen Gestus begleitet auf. In der Regierung muss man sich zurück-nehmen, disziplinierter sein, zurück-haltender agieren. Da wird es zu Anfang Reibungsverluste geben. Wenn ich mir das Personal angucke, muss ich aber sagen: Das sind alles sehr erfahrene Kommunalpolitiker, die Politik von der Pike auf gelernt haben. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass dieser Rollen-wechsel nicht so schwierig ist, wie er für uns 1998 war.

Die großen Knackpunkte sind nun Stutt-gart 21 und EnBW. Sie waren bis vor Kurzem Berater von EnBW für erneuer-bare Energien. Nun gehört der Konzern dem Land und Kretschmann hat bereits angekündigt, ihn umzubauen. Wie rea-listisch ist es, aus einem Atom-Konzern eine Ökoenergie-Firma zu machen?

Das ist ein ganz harter Brocken und ein dickes Ei, das der Vorgänger der neuen Regierung ins Nest gelegt hat. Wenn Sie sich als Anteilseigner eines solchen Konzerns, der zu 50 Prozent von AKW abhängig ist, sofort radikal von Atom-energie verabschieden – was das Ziel ist und das Ziel sein muss –, dann vernichten sie Kapital, um es mal öko-nomisch hart zu sagen. Deshalb wird es eine Herkules-Aufgabe sein, so schnell wie möglich das Potenzial der Regenerativen auszubauen und auf-zubauen, um einen Gegenwert zu schaffen.

Und es wird Geld kosten.Natürlich wird es Geld kosten, das man nicht ohne Weiteres dem Steuerzahler aufbürden darf. Ich traue den handeln-den Personen gerade im Energie-Bereich viel zu. Selbst wenn sich erstmal eine Wand auftürmt, glaube ich, sie werden diesen Parforce-Ritt erfolgreich voll-enden.

Wäre das nicht eine Aufgabe, die auf Sie zugeschnitten ist? Bei EnBW gäbe es zum Beispiel bald ein paar Aufsichts-ratsposten zu besetzen.

Ich habe mich aus dieser Diskussion herausgehalten und habe gerne ein paar Wahlkampftermine für ein paar Freunde gemacht. Aber ich habe keinen Ehrgeiz, in irgendeiner Weise einge-bunden zu werden.

Und wenn man Sie fragen würde?No comment.

23

Schlauch Titel

für kleine Projekte –mit wenig viel erreichen

Marketing

MARKETING FÜR KLEINE PROJEKTE

25

Akademie

A k A d e m i e

L e k t i o n 6

So unterschiedlich gemeinnützige Projekte,

Initiativen und Verbände auch sind – eines

haben sie in der Regel gemeinsam: Der

Enthusiasmus ist groß, aber das Budget

klein. Wie gelingt es, mit wenig Geld Unter-

stützer zu mobilisieren, Spenden zu sam-

meln und die konkrete Projektarbeit zu leis-

ten? Gemeinnützige Organisationen sollten

sich nicht davor scheuen, von dem Wissen

zu profitieren, mit dem bereits viele Unter-

nehmen erfolgreich arbeiten. Was bei der

Bindung von Kunden funktioniert, lässt sich

hervorragend übertragen auf die Kommu-

nikation mit Unterstützern von gemeinnüt-

zigen Projekten. Die Enter-Akademie macht

vor, wie es geht: Schritt für Schritt in den

kommenden zwölf Ausgaben.

26

MARKETING FÜR KLEINE PROJEKTEAkademie

Marketing für das Gute:1 x 1 für BloggerBlog – in dem Wort steckt Web genauso wie Logbuch. Es ist ein Tagebuch, ein Journal,

eine Kolumne, eine subjektive Sicht auf die Welt und das Ganze eben im Netz. Es gibt

professionelle Blogger, die eine Website betreiben, die nur aus dem Blog besteht. Aber

es gibt auch zahlreiche Unternehmen, Initiativen und Projekte, die ein Blog auf ihre

Homepage einbinden. Hier können dann Neuigkeiten genauso Platz finden, wie per-

sönliche Einblicke, Meinungen, Stellungnahmen. Zwischen der Website, die oft eher

belastbare Fakten präsentiert und dem Blog, auf dem experimentiert und ausprobiert

werden kann, besteht eine klare Trennung. Ein Blog hat zudem ganz andere Möglich-

keiten der Vernetzung mit dem Rest des WWW. Auf vielfältige Weise verknüpft man

sich mit anderen Blogs, zitiert sich gegenseitig, kommentiert und erreicht eine ganz

andere Reichweite als nur mit der Website.

WORDPRESS, BLOGSPOT, LIVE SPACEWas Blogs zudem besonders attraktiv macht: Sie sind im Handumdrehen ein-gerichtet und funktionsfähig. Dabei helfen fertige Blogsysteme, wie etwa Wordpress. Dieses stellt Neulingen eine komplette – und in der Basisvariante kostenlose – Bloginfrastruktur zur Verfügung. Hierzu meldet man sich bei Wordpress an, wählt eine Schablone für seinen Blog und kann sofort mit dem Schreiben des ersten Beitrags beginnen. Eine eigene URL führt direkt zu die-sem Blog. Auf diesem Weg kann man mit dem Editor vertraut werden, lernt Fotos einzubinden oder Links zu setzen. Wordpress ist aber auch eine Anwen-dung für professionelle Webentwickler. Wie man Blogs selbst hosten kann oder ganze Websites Wordpress-basiert aufzieht, stellen wir in einer später Akademie-Lektion vor. Ähnlich einfache Systeme wie Wordpress bietet Google mit seinem System Blogspot oder Tumblr. Live Space von Microsoft hingegen wurden inzwischen wieder eingestellt. www.wordpress.com

www.blogspot.com

www.tumblr.com

Im Folgenden einige Tipps für Einsteiger ins Blogging:

MARKETING FÜR KLEINE PROJEKTE

27

Akademie

ÜBERSCHRIFTENBei Blogs ist es nicht anders als bei einer Zeitung. Ob ein Artikel gelesen wird, hängt von der Überschrift ab. Mit dieser einen Zeile müssen Sie für den Inhalt Ihres Textes Interesse wecken und begeistern. Sprechen Sie ein Thema an, das Ihre Leser interessiert! Im besten Fall erkennen diese einen konkreten Mehrwert, zum Beispiel: die zehn besten Websites zum Fundraising. Oder Sie stellen eine provozierende Frage: „Wer glaubt noch an das Ehrenamt?“ Auch können Sie eine Neuigkeit ankündigen. Blog-Profis achten darauf, dass die Überschrift auch von Suchmaschinen optimal gefunden wird. In dem Fall wer-den wichtige Schlüsselworte in der Überschrift verwendet.

KOMMENTARE SCHREIBEN UND BEKOMMENJeder Blogartikel hat eine angehängte Kommentarfunktion. Kommentare auf verwandten Blogs zu hinterlassen, kann für mehr Besucher sorgen. Insbeson-dere, wenn Sie einen Link auf Artikel von befreundeten Blogs erwähnen (und umgekehrt), entsteht nicht nur ein engmaschiges Netzwerk, sondern ihre Position in der Blogosphäre wird stärker. Dieses Verfahren nutzt die Track-back-Funktion von Blogs, die es auch erlaubt zu verfolgen, auf welchen ande-ren Blogs meine Beiträge erwähnt wurden.

Und wie bekomme ich Kommentare auf mein Blog? Das Einfachste ist, eine Frage an die Leser zu stellen oder explizit zum Hinterlassen von Kommenta-ren aufzurufen. Wichtig ist, dass Sie auf Kommentare reagieren. Ihre Leser wollen ernst genommen werden, und Sie haben die Chance, eine echte Dis-kussion zu starten, in die sich im besten Fall noch weitere Leser einklinken.

KATEGORIEN & TAGSEs gibt zwei Möglichkeiten, die einzelnen Artikel auf Ihrem Blog zu systemati-sieren: Kategorien und Tags. Kategorien sorgen für eine klare Zuordnung der Artikel. Die Kategorien können als Menüpunkte eingeblendet werden, jeder Klick auf die Kategorie zeigt dann alle Artikel an, die dieser Kategorie zugeord-net sind. Die Kategorien lassen sich mithilfe von Unterkategorien weiter sys-tematisieren. Eine übersichtliche Struktur wird hier übrigens von den Such-maschinen belohnt.

28

MARKETING FÜR KLEINE PROJEKTEAkademie

Tags sind Schlüsselwörter, die jedem Artikel zugewiesen werden können. Sie helfen bei der Orientierung auf der Seite (wenn eine so genannte Tag Cloud dargestellt wird) und führen zu verwandten Artikeln, die ebenso getaggt sind. Darüber hinaus werden Artikel auch über Blogsuchmaschinen, wie Technorati, gefunden und dienen bei Social-Bookmark-Diensten zur Gruppierung. Wich-tig: immer dieselben Begriffe und keine Variationen verwenden.

ANBINDUNG AN SOCIAL MEDIATwitter beispielsweise ist eine schöne Möglichkeit, den Leserkreis eines Blogs zu erweitern. Beschreiben Sie auf 140 Zeichen, was sie zuletzt gebloggt haben und setzen Sie einen Link. Gut wäre es, wenn Sie viele Retweets bekämen. Retweets sind Tweets, die von anderen übernommen und die eigenen Follower weitergereicht werden. Retweeten Sie Beiträge von anderen, dann werden Sie auch selbst zitiert. Fragen Sie Freunde ganz direkt, ob sie nicht hin und wieder Beiträge von Ihnen in ihr Netzwerk tragen. Sie sollten außerdem beobachten, welche Themen gerade im Twitter-Universum groß sind. Schalten Sie sich in diese Debatten ein!

EIGENER STIL UND EIGENE SPRACHEVergessen Sie neben den vielen Möglichkeiten, sich optimal im Web zu vernet-zen, nicht, interessante, qualitativ hochwertige Inhalte zu posten. Was gute Blogger zudem auszeichnet, ist ein unverwechselbarer Stil. Bei einem Blog-beitrag geht es nicht darum, möglichst korrekt Fakten zu referieren und sach-lich korrekt zu schreiben. Experimentieren Sie ein wenig, seien Sie provokant und beziehen Sie Stellung. So machen Sie am effektivsten auf sich aufmerk-sam.

In der kommenden Woche: Mit Fotos & Videos punkten

MARKETING FÜR KLEINE PROJEKTE

29

Akademie

30

Integrations-Preis DFB

Integration durch Sport funktioniert ohne staatliche Programme – auf Bolzplätzen, Schulhöfen und in Stadien. Zum vierten Mal hat der Deutsche Fußball-Bund seinen Integrationspreis vergeben. Die Sieger fahren nun mit einem Kleintransporter des Sponsors zu Auswärtsspielen.

InTEGRATIOnS-

kIck

Preisträgerin Sylvaina Gerlich und Oliver Bierhoff

31

Integrations-PreisDFB

InTEGRATIOnS-

kIckDFB NationalspielerCelia Okoyino und Cacau

32

Integrations-Preis DFB

In der Kategorie „Verein“ machte das Rennen: die Spielvereinigung Kaufbeuren.

33

Integrations-PreisDFB

34

Integrations-Preis DFB

Sieger in der Kategorie „Schule“: die Gesamtschule Horst aus Gelsenkirchen

35

Integrations-PreisDFB

36

Integrations-Preis DFB

Der „Sonderpreis“ ging an den Verein FAIR e.V. aus Ellwangen.

37

Integrations-PreisDFB

W E T T B E W E R BWie gemeinnützige Initiativen vom Know-how erfolg-reicher Unternehmen lernen können, zeigt seit 2001 der startsocial e.V. Bis zum 31. Mai 2011 können sich Projekte jetzt wieder für ein dreimonatiges Beratungsstipendium bewerben.www.startsocial.de

T V - T I P PDas Verhältnis von Politik und Internet ist von Versprechen, Missverständnissen und wenigen Er-folgsmeldungen geprägt. Das 3sat-Magazin „neues“ beleuchtet das schwierige Verhältnis.3Sat, 3.4.2011, 16.30h

V E R A N S T A L T U N GDas Fachforum “Alles 2.0!? Junges Engagement im neuen Jahrzehnt. Erfahrungen und Impulse aus drei Jahren PlusPunkt KULTUR” findet am 14.04.2011 im Berliner HBC statt. Anmeldung unter:http://plus-punkt-kultur.de

D E M O K R A T I E - P R E I SUnter diesem Motto wird erstmals der Reinhard Mohn Preis vergeben. Derzeit werden die Finalisten, besonders innovative Projekte aus aller Welt, auf der Website der Initiative vorgestellt und können kommentiert werden. Der Preis wird im Juni 2011 von der Bertelsmann Stiftung übergeben.http://www.vitalizing-democracy.org

TIppS & TERMInE

38

31. März - 6. AprilAgenda

Impressum

IMPRESSUM Herausgeber: Uwe AmrheinRedaktion: Henrik Flor, Sebastian Esser Design: Markus Nowak, Supermarkt Studio

Propstraße 110178 BerlinTelefon +49 / 30 24 08 31 53Telefax +49 / 30 88 16 70

[email protected]

ENTER erscheint in Kooperation mit der Stiftung Bürgermut.

www.entermagazin.de