ERINNERUNGEN Ein Priesterleben · rechtler Hans Barion. Auch der Braunsberger Kirchenhi-storiker...

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Gerhard ReifferscheidEin Priesterleben

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Titelabbildung: Gerhard Reifferscheid, Portrait in Tuschevon Anatolij Sokolov, Kunstschule Sokolov, Paul-Kemp-Str. 36,53! 73 Bonn. Originalgröße 29,8 x 21 cm, Oktober 2001

Herausgeber: Karl-5i m rock-Forschung, Postfach 20 11 42,D-53141 BonnDruck: 1/2002numrnerierte Erstauflage: 250Einzelpreis: 5,- €Luthe-Verlag, KölnGesamtherstellung: Luthe Druck und Medienservice KQ, KölnISBM: 3-922 727-74-3

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Aus dem Inhalt

Jugendjahre in Berlin 6

Studium in Freiburg im Breisgau 7

Ins Ermland nach Ostpreußen 8

Erste Kaplansjahre 9

In Königsberg 10

Tauffeiern 13

Eheschließungen 14

Im Geiste der Schönstattfamilie 14

Friestersoldat 15

Westwärts 18

Erste Religionslehrerstelle 20

Heisterbacher Festspiele 20

Berufung an das Beethovengymnasium Bonn 22

Separate religiöse Erziehung 22

Weitere Universitätsstudien 24

Un-Ruhestand 25

Ermländerseelsorger 25

Wallfahrten 26

Am Ort meiner Priesterweihe 27

Anhang 30

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Vorwort

Gerhard Reifferscheid steht im 89. Lebensjahr undim 64. Jahr seines Friestertums. Es ist der Herbst des ir-dischen Daseins und zugleich die Zeit froher Erwartung,nahe vor der Aufnahme ins Reich Gottes zu sein.

Hier liegt nun eine kurze Autobiographie vor, in derin einfachen Worten das Wirken als Seelsorger geschil-dert ist und auch erhellt wird, in welch dunkle politischeJahre die Anfänge fallen.

Der Rheinländer Reifferscheid wurde im Dom zuFrauenburg/Ostpreußen im Bistum Ermland zum Prie-ster geweiht.

Das Ermland ist der [Same einer Landschaft in Ost-preußen. Sie umfaßt die Kreise Braunsberg, Heilsberg,Röj3el, Allenstein Stadt und Land. Es ist auch der Marneder größten vier preußischen Diözesen, die l 243 er-richtet wurden und deren Grenze ab 1929 deckungs-gleich war mit der Provinz Ostpreußen. Das Ermlandwar ein eigenständiges weltliches Herrschaftsgebiet, indem der Bischof zugleich als Landesherr residierte(1254-1772).

Die Karl-Simrock-Forschung ist gerne dem Wunschnachgekommen, diese Schrift im selben Jahr herauszu-geben, in dem sein Urgroßvater Karl Simrock (siehe Sei-te 50) 200 Jahre alt wird.

Bonn im Januar 2002

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Jugendjahre in Berlin

Am 6. März 1913 wurde ich in Berlin-Wannsee gebo-ren. Mein Vater Heinrich Reifferscheid, Kind rheinischerEltern aus Breslau, wirkte als Maler und Professor an derBerliner Kunstakademie. Meine Mutter Margarete vonNeufforge war Tochter eines Arztes in Mülheim a. d.Ruhr, dessen Ahnen aus Eifel und Ardennen stammten.Wannsee gehörte zur Kuratiegemeinde Nowawes, einerbei Potsdam gelegenen ehemaligen WebersiedlungFriedrichs des Großen. In dieser damals härtesten Dias-pora des Großraums Berlin erschien der Geistliche nuralle 14 Tage zum Gottesdienst in der Schulaula. Dort be-reiteten mein Bruder und ich als ungelernte Ministran-ten einen Zeichentisch für die Feier der hl. Messe. DasKatheder war der Beichtstuhl. Eine Katechetin erteilteuns vier katholischen Schülern nachmittags den erstenReligionsunterricht. Am Realgymnsasium von Nowawesführte uns der Pfarrer wöchentlich einmal nach denSchulstunden anhand der Religionsbücher des Han-stein-Verlages in die Glaubens- und Sittenlehre sowie indie Kirchengeschichte der katholischen Kirche ein. Anallen evangelischen und katholischen Feiertagen erhiel-ten wir schulfrei, ebenso, wenn der Lehrer im Ge-schichtsunterricht die Reformationszeit behandelte.

Im Jahre 1929 entstand in Wannsee an der alten Kö-nigsstraße, welche Berlin mit Potsdam verband, dieschöne St. Michaelkirche. Seit dieser Zeit nahmen wirintensiver am Leben der Berliner Katholiken mit ihren66 Pfarrgemeinden teil. Der Studentenseelsorger Dr.Carl Sonnenschein, ein Bekannter meiner Eltern,sprach in Wannsee geistvoll über den Prolog des Johan-nesevangeliums. Ich erinnere mich noch, wie er zumEntsetzen von uns Meßdienern einmal nach dem sakra-mentalen Segen in Gedanken vertieft auf das zur Erdegefallene Velum trat. Es war nicht ungewöhnlich, wenner nachts mit seinen Studenten auf dem Wege vonNeubabelsberg nach Berlin auf der Suche nach einemQuartier bei uns erschien. Begeistert lasen wir als Jun-gen seine sonntäglichen Notizen im Berliner Kirchen-blatt. Er begründete das Kirchenblatt.

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Studium in Freiburg im Breisgau

Hach der Reifeprüfung zog ich im Jahre 1931 auf dieFreiburger Universität, ohne zu wissen, was ich studie-ren sollte. Durch die Bekanntschaft meiner Eltern mitdem Ausgräber von Pergamon, Professor Theodor Wie-gand, aus Bendorf bei Koblenz stammend und dann inBerlin zu höchsten Ehren gekommen, tendierte ich zurArchäologie; die väterlichen Werke weckten mein Inte-resse für die Kunstgeschichte. So studierte ich nebendiesen Disziplinen Philosophie, Geschichte und alteSprachen. In dieser Zeit entstand in mir, angeregt durcheinen Mainzer Geistlichen, den späteren Professor Lud-wig Lenhart, der Wunsch, Priester zu werden.

Ich legte am Freiburger Bertholdsgymnasium eine er-gänzende Reifeprüfung in Griechisch und Hebräisch abund hörte Christliche Archäologie bei Josef Sauer, Kir-chengeschichte bei Emil Göller, Altes Testament bei Ar-thur Allgeier und Neues Testament bei Alfred Wiken-hauser. Mit Begeisterung arbeitete ich in der Akademi-schen Vinzenzkonferenz unter dem temperamentvol-len, aus Köln stammenden CaritasbibliotheksdirektorHeinrich Auer. In dieser trafen sich Studenten aller Fa-kultäten, vor allem Theologen. Die wöchentlichen Fami-lienbesuche mit der anschließenden Beratung stelltendie beste Einführung in die Pastoral dar. In Freiburg lern-te ich auch den Braunsberger Subregens Paul Keuchelkennen. Er schilderte mir seine ermländische priesterli-che Heimat und weckte in mir wohl das erste Interesse,dort auch mal tätig werden zu können. Dies erinnertemich auch an einen alten Bekannten von zuhause, anFranz Sander aus Koblenz, späterer Domprobst in Frau-enburg.

Fahrt nach Rom

Durch Seminarübungen bei Sauer über altchristlicheSarkophage mit vielen Empfehlungen für Rom und eineAudienz im Vatikan ausgerüstet, unternahm ich mit be-freundeten Studenten eine Rad- und Zugfahrt in die Hei-lige Stadt. Wir staunten über ihre Schönheiten und dran-

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gen mit Entdeckerfreude bis zu den Wurzeln unsererKirche vor. Wie leutselig unterhielt sich Papst Pius XI. indeutscher Sprache mit uns drei Studenten inmitten ei-nes Empfangs junger Ehepaare über unsere Herkunft!

Ins Ermland nach Ostpreußen

An der Katholisch-Theologischen Fakultät vonBraunsberg setzte ich mein Studium fort. Da ein Teil derProfessoren der ostpreußischen Hochschule Mitgliedder PiSDAP war und sich durch verschiedene Aktionen,wie Gutachten zur Sterilisation, für das Dritte Reich en-gagierte, sahen Papst Pius XI. sowie die Bischöfe Maxi-milian Kailer (Ermland} und Eduard Graf O'Rourke (Dan-zig) die rechtgläubige Ausbildung des kommenden Kle-rus von Memei, Ermland, Danzig und der Grenzmark Po-sen-Westpreußen gefährdet und suspendierten denDogmatikprofessor Karl Eschweiler und den Kirchen-rechtler Hans Barion. Auch der Braunsberger Kirchenhi-storiker Joseph Lortz fand mit den Thesen seiner 1933und 1934 erschienenen Broschüre „Katholischer Zu-gang zum Nationalsozialismus, kirchengeschichtlich ge-sehen" bei uns Studenten sowie in der ermländischenBevölkerung entschiedene Ablehnung.

In der Ferien wanderte ich mit meinen Kommilitonendurch die einzigartige Landschaft Ost- und West-preußens mit ihren Seen, Nehrungen, Burgen, Schlös-sern, Kirchen und den alten Städten Danzig und Königs-berg. In Heilsberg lernte ich den Diözesanpräses der Ju-gend des Bistums Ermland Joseph Lettau kennen.Geistliches und organisatorisches Zentrum seiner Ar-beit war das dortige ehemals bischöfliche Schloß.

Meine Gründung einer AkademischenV/inzenzkonferenz

Die Vinzenzarbeit an den Hochschulen von Freiburgund Bonn regte mich zur Gründung einer BraunsbergerAkademischen Vinzenzkonferenz an. Zum großen Er-

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staunen - damals wie heute - genehmigte die Leitungdes Friesterseminars, in welchem die Studenten vomersten bis letzten Semester zusammenlebten, trotzHausordnung eine derartige caritative Arbeit. Wir be-suchten nämlich wöchentlich sozial und moralisch innot geratene Familien.

Erste Kaplansjahre

nach der Priesterweihe, welche Bischof Kaller am 6.März 1938 uns 28 Diakonen im Dom zu Frauenburgspendete, erhielt ich meine erste Kaplansstelle in Hein-rikau inmitten des bäuerlichen Ermlandes. Hier schiendie Welt trotz des längst auf dem Höhepunkt angelang-ten Kirchenkampfes noch in Ordnung. Ein gütiger Land-pfarrer, bei dem ich mittags speisen durfte, trat mir ge-genüber weniger als Vorgesetzter denn als Mitbruderauf. Die erste und letzte Stunde Religionsunterricht ineiner Volksschule hatte ich während der pastoralen Aus-bildung im Jahre 1937 für eine Braunsberger Klasse ge-halten.

Seelsorge ohne festen Ort

Mit dem seit Mai 1937 für das Gebiet Ostpreußens,also des Bistums Ermland, geltenden Verbots jeglicherVereinsarbeit vom Jungmännerverband bis zum Kir-chenchor wurde auch der gesamte Religionsunterrichtan Volks- und Berufsschulen unterdrückt. Deshalb ka-men nun nach einem sofort von Bischof Kailer durch-geführten pastoralen Plan die Kinder jahrgangsweise zuden Kinderseelsorgestunden und die Jugendlichen zuGruppenstunde in die Räume unserer Schwesternstati-on, in private Räume der Bauern und in meine Woh-nung. Mittwochs früh um 6.00 Uhr hielt ich für die Ju-gendlichen eine gut besuchte Gemeinschaftsmesse.Anhand der Bücher von Fius Parsch führte ich sie in denReichtum der Meßliturgie ein. In zwei Dörfern, die zurPfarrgemeinde Heinrikau gehörten, hielt ich Glaubens-stunden für die Jugend ab. In der Kapelle des Dorfes

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Kleefeld veranstaltete ich Mai- und Rosenkranzandach-ten und erteilte Konvertitenunterricht.

Anzeige wegen Erntedankpredigt

Pfarrer von Heinrikau war Anton Krause, auch Leiterdes Katholischen Siedlungsdienstes im Bistum Erm-land.

Dessen Rat zur Vorsicht gegenüber den Mationalso-zialisten der Gemeinde Heinrikau, einem Gastwirt, einerHebamme, welche gleichzeitig ein Taxiunternehmenbetrieb, und einem Lehrer, bewahrte mich vor üblenKonsequenzen. Wegen einer Erntedankpredigt erfolgtedennoch eine Anzeige. In ihr hatte ich neuheidnischeTexte des NS-Schu!ungsbriefes zitiert und deren anti-christliche Aussagen gekennzeichnet.

Die gesamte Gemeinde, abgesehen von ganz gerin-gen Ausnahmen, beteiligte sich bewußt am Leben derKirche. Beweis für das treue Festhalten am katholischenGlauben, den Geboten Gottes und der Kirche waren diesonntägliche Mitfeier der von allen besuchten hl. Messe,der Empfang der hl. Sakramente und die Verwurzelungim Kirchenjahr mit seinen Fest- und Bußzeiten. Ein aus-wärtiger Geistlicher oder Ordensmann hielt in der Wo-che vor dem jeweiligen Monatssonntag der Stände derMänner, Frauen, Jugendlichen und Kinder eine Predigtund bot Beichtgelegenheit. Diese Form der Fastoral galtwie für Heinrikau ebenso für St. Adalbert in Königsbergund für St. Johannis in Wormditt. In die letztgenanntenGemeinden sandte mich der Generalvikar 1939-43 zurVertretung eines kranken Kaplans bzw. eines als Kriegs-pfarrer einberufenen Geistlichen.

In Königsberg

Die kurze Vertretung des Jahres 1939 in der Königs-berger Diasporagemeinde St. Adalbert umfaßte nebennormaler Pfarrseelsorge typische Großstadtproblemewie Sanierung von Mischehen, Besuch abständiger Ka-

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tholiken und Konvertitenunterricht. In der Pfarre mitihren Stadtteilen Amalienau und Auf den Hufen begeg-neten mir fast alle 1935-35 in den Städten und Kreisendes Crmlandes abgesetzten Beamten, Landräte undBürgermeister, ein Reservoir gediegener, junger und ak-tiver Katholiken und potentieller Widerständler, die mitihren Familien im Schatten der Großstadt ein Domizilaufgeschlagen hatten. Da das Betreten der Jungengym-nasien für Geistliche verboten war, erteilte ich auch hierden Schülern den Religionsunterricht im Pfarrhaus. Diewenigen katholischen Mädchen eines nahegelegenenLyzeums durfte ich im Schulgebäude zur Katechesesammeln. Unter den Schülern waren prächtige Kerle,welche es als ihre Ehre ansahen, den Altardienst feier-lich zu gestalten. Diese 16-18jährigen Ministranten leg-ten auf solche Weise ein sichtbares Christuszeugnis ab.Aus ihren Reihen gingen nach dem Kriege mehrer Prie-ster hervor.

Zurück ins ErmlandDie Jahre 1940-43 boten in Wormditt ausreichend

Gelegenheit zum Aufbau einer intensiven Kinder- undJugendseelsorge, Da meine Mitkapläne durch Einberu-fung zum Sanitätsdienst und durch Versetzung häufigwechselten, konzentrierte sich in diese überwiegendvon Katholiken bewohnten ermländischen Kleinstadtviel Arbeit auf den Erzpriester, d. h. den Dechanten, undmich. Das schon erwähnte Verbot des gesamten katho-lischen Vereinslebens in Ostpreußen führte nach demAufbau der Bischöflichen Arbeitsstellen Braunsberg,Frauenburg und Heilsberg zu einer immer vollkomme-neren Entfal tung der in naturstände gegliederten Pfarr-seelsorge, der nach dem Plan des Meilsberger KaplansPaul Filibrandt entworfenen Kinderseelsorgestundenund der Jugendpastoral.

Fruchtbare Arbeit

Zwei Engpässe mußten wir allerdings bei der Aus-führung dieses Programms überwinden. Eine 7.000

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Seelen zählende Gemeinde bedurfte einer genügendgroßen Zahl an Katecheten und Räumen, da wir die Kin-der der vielen Schulklassen meist unmittelbar nachihrem schulischen Unterricht, somit oft gleichzeitig, zuuns Kommen ließen. Deshalb bildeten wir Katechetenaus. Auch das DiÖzesanKatechismusamt des Bistumshalf diesem Mangel ab und veranstaltete in den Städtender Diözese Ausbildungskurse für Laienreligionslehrer.Als Räume für die Kinderseelsorgestunden verwandtenwir außer dem Gotteshaus die Sakristei, die Wohnungender Kapläne, deren größtes Zimmer für diesen Zweckausgeräumt und bestuhlt wurde, und das Arbeitszim-mer des Erzpriesters. Hierhin kamen nach ihrem Unter-richt auch die Schüler und Schülerinnen des Städti-schen Gymnasiums, zu dem wir selbstverständlich kei-nen Zutritt erhielten. Kinderseelsorgestunden fandenebenfalls in den drei zur Pfarrgemeinde gehörendenDörfern Krickhausen, Wagten und Tüngen statt. In letz-terem stand eine Kapelle, in welcher wir mittwochs undsonntags Stationsgottesdienste feierten. Eine Bauern-tochter dieser Ortschaft übernahm als bewährte Laien-Katechetin mit großem Erfolg Unterricht und Jugend-stunden. Eine besondere Hilfe bereitete uns das amt-lich nicht erlaubte Entgegenkommen vieler katholi-scher Lehrer und Lehrerinnen unserer Volksschulen,welche die Klassen vollzählig zu den Kinderseelsorge-stunden entsandten.

Die uns nicht wollte

Allerdings bekam ich auch von einer Lehrerin einenorthographisch fehlerhaften, massiven Drohbrief, aisich den Müttern des Dorfes Wagten Dias vom Euchari-stischen Kongreß 1938 in Budapest zeigte. Sie behaup-tete, ich hintertriebe als „Dunkelmann" die dem Führerin treuer Gefolgschaft anhangende Einheit des deut-schen Volkes.

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Beten und Arbeiten

Gleichzeitig mit dem Beicht- und Kommunionsunter-richt hielt ich Gesprächsrunden für die Eltern. Wegender Kriegszeit waren es fast nur die Mütter, welcheabends unsere Kirche füllten. Ich benutzte das Werk-buch „Lasset die Kinder zu mir kommen!", das BrunoLaws, ein Priester der Diözese, mit engagierten Mütternerarbeitet hatte. Die letzten Zusammenkünfte unsererMütter dienten gemeinsamer Werkarbeit, bei der diesedie Zeichen der Eucharistie, Kelch, Ähre, Traube undKreuz aus rotem und goldenem Papier ausschnitten undauf die Kerzen hafteten. Es war verständlich, daß beidieser Gelegenheit ausgiebige Gespräche über Erzie-hung, Glaube, Familienprobleme und christliche Ge-staltung des Erstkommuniontages geführt wurden.

Tauffeiern

In ähnlicher Weise bemühte ich mich, die Feier derSakramente der Taufe und Ehe mit den Gläubigen, denEltern, Paten und Brautleuten vorzubereiten. Zur Spen-dung der Taufe lud ich die ganze Gemeinde ein, beson-ders auch jene, die einmal eine Patenschaft übernom-men hatten, um ihr Tauf- und Patenamt zu erneuern.nach Begrüßung am Eingang und Salbung in der Mittedes Gotteshauses traten die Paten mit den Täuflingen ineinem Halbkreis um den Hochaltar, so daß alle Gläubi-gen die hl. Handlung mit Auge und Herz aufnehmenkonnten. Für diese Tauffeiern gestaltete unsere Jugendeinen der rlebenaltäre zu einem ständigen Tauftisch.Auf ihm befanden sich die Symbole der Taufe, eine ge-malte Weihwasserflasche, eine Taufkerze mit den vonden Jugendlichen auf ihr angebrachten Zeichen des Hl.Geistes und des Wassers, das Taufkleid für Mädchenund das Tauftuch für Jungen mit ähnlichen Symbolenund den eingestickten Daten der Taufe, Buße, Euchari-stie, Firmung, Ehe oder Priesterweihe, ein ebenfallshandgefertigter Patenbrief mit den Flamen der Elternund Paten sowie eine Taufurkunde, wie sie seinerzeitder Christophorus-Verlag herausgab. Diese sollte ge-

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rahmt über dem Bett des Täuflings hängen. Die Be-schäftigung der Jugendlichen in Kunstschrift, im Nähenvon Kleid und Tauftüchlein gab über Stunden hinausreichlich Gelegenheit und Anstoß für intensive Glau-bensgespräche und zur Vertiefung des Taufbewußt-seins.

Eheschließungen

In analoger Weise schufen die Mädchen in Brautleu-tekreisen die Symbole des Ehesakramentes zur Her-richtung eines immerwährenden Ehealtars in der Kir-che. Dazu gehörten die Brautkerze mit den aufgehefte-ten Ringen, die sich über einem Christuszeichen kreuz-ten, die Ringe, der Brautschleier, das Wandkreuz, dasWeihwasserbecken und der Brautschwur des Konverti-ten Reinhard Johannes Sorge „Wir haben uns verspro-chen zum heile ungebrochen für alle Ewigkeit". Am Ver-lobungstag oder während der Brautzeit lud die Familiemich ein, um die Brautleute und die Gegenstände zuweihen. Deshalb behandelten die Jugendstunden in Ge-sprächskreisen die Themen Leben und Liebe, Leib undSeele, Selbsterziehung und persönliches Ideal, Tempe-ramente, Ehe und Familie, Kindererziehung und Glau-be, Sakramente und Gebote, nach Eph. 5,21 ff deuteteunser Brautunterricht die Ehe als Hauskirche, als Teilder großen Kirche bzw. Ehe des Bräutigams Christus mitder seinen Erlösungsruf annehmenden Menschheit. Ineinigen Landgemeinden des Dekanates Wormditt um-schritten am Hochzeitstag nach alter Sitte die Bräuteund jungen Ehemänner mit den gleichaltrigen Jungfrau-en den Hochaltar als Zeichen ihres ehelichen Friester-tums.

Im Geiste der Schönstattfamilie

Die Jugendgruppen erhielten Leiter und Leiterinnen,welche wir in einer eigenen kleinen Gemeinschaft imGeiste der Schönstattfamilie und ihres Gründers PaterJoseph Kentenich für ihre Aufgabe formten. Diese stan-

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den mit anderen ermländischen Schönstattgruppen inAllenstein und Rößel in Verbindung und sparten für eineFahrt nach Vallendar. Auf dem Wege dorthin machtensie bei meinen Eltern am Rhein Station.

Samstagsabends traf sich die Jugend zur Kompletnach dem Text des Düsseldorfer Kirchenlieds im Got-teshaus. Diese schloß ich mit einer Einführung in diesonntägliche Liturgie. Höhepunkte unserer Jugendar-

J beit waren Vorbereitung und Durchführung des Gottbe-kenntnissonntags und des Christkönigsfestes in unsererWormditter Pfarrkirche, wozu wir die Jugend des Deka-nates versammelten.

Priestersoldat

Diese Überschrift empfinde ich bis heute als Wider-spruch. Denn wir wußten fast alle, daß es sich bei Hitlerum eine Diktatur und bei seinem Krieg nicht um eineAbwehr handelte, sondern um einen Angriff, wir uns -wenn auch gezwungen - eine-unmoralischen Tun zurVerfügung stellten. Laut Berichten ost preußisch er Ge-stapostellen zielte das Programm parteipolitischer Ar-beit darauf ab, den Einfluß des katholischen Klerus aufdie Bevölkerung zu vermindern oder zu unterbinden.Als Mittel zu diesem Zweck dienten Anzeigen, Schutz-haft, Prozesse und Einziehung zur Wehrmacht mit derabsurden Begründung, während die Amtsleiter derMSDAP an der Front stünden - das Gegenteil war näm-lich der Fall -, verdürben die zuhause bleibenden Geist-lichen das Volk. Die Wormditter Kaplanstellen warenschon um zwei als Soldaten eingezogene Priester be-raubt worden.

Die Musterungsstelle stufte mich als „garnisonsver-wendungsfähig Heimat" (gvH) ein, so daß aufgrund ei-nes Antrags der Pfarrgemeinde an das Wehrkreiskom-mando meine Unabkömmlich-Stellung (uk) erfolgte. ImSommer 1943 erhielt ich plötzlich die Mitteilung, diesesei aufgehoben, in nächster Zeit müßte ich mit der Ein-berufung rechnen. Einem Pfarrangehörigen, welcher

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den Fall klären wollte, teilte das zuständige Braunsber-ger Wehrkreiskommando mit, es sei nicht an meinerEinziehung interessiert. Es läge jedoch eine Anordnungder Qestapoleitstelle Königsberg vor, welche meine Ein-berufung verlangte. Die wegen der Predigten erfolgtenAnzeigen - zuletzt wegen Defätismus - mögen die Akti-vität der Geheimpolizei beschleunigt haben.

Einberufung

Am 12. September 1943 fand ich mich beim Sa-nitätsersatztruppenteil in Tapiau ein. Der dreimonati-gen infanteristischen Ausbildung folgte die weitere zumSanitätsdienstgrad in den Reservelazaretten Königs-bergs. Die Ausbildung der ersten Monate vollzog sich inder Mischung aus Drill sowie geist- und sittenloser Ver-achtung der Menschenwürde. Wir drei Katholiken in derGruppe konnten die Gemeinheit sogenannter Witzekaum mildern, wohl unseren Unwillen dem ausbilden-den Unteroffizier äußern. Der eine von uns, ein Amts-richter aus dem Rheinland, fiel wie ich wegen derBücher im Spind ständig beim Appell auf.

Schikanen

Er mußte deshalb für den Spieß tausendmal ab-schreiben, er hab sein Gewehr in Ordnung zu halten.Mir gegenüber schrie der besagte Vorgesetzte vor ver-sammelter Mannschaft auf dem Kasernenhof laut auf,als er erfuhr, daß ich katholischer Priester sei, undbrachte alles das hervor, was Hitler, Rosenberg undGoebbels über Geistliche dachten. Da ich an einemdienstfreien Sonntag die Kaserne verlassen hatte, umzu zelebrieren, ergoß sich die ganze Härte schikanöserBestrafung im Sonderexerzieren über mich, bei dem ichteilweise auf dem Boden liegend und auf dem Koppel-schloß kreisend mit aufgesetzter Gasmaske und Stahl-heim pausenlos Befehle eines Feldwebels auszuführenhatte.

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Halb Sanitäter, halb Priester

Zu dieser Zeit erlebte ich die Treue meiner Pfarrju-gend in Besuchen und Geschenken, an denen meineKameraden gern partizipierten. Vor allem spürte ich dieFestigkeit einer religiösen Bindung über die Grenzender Pfarrgemeinde hinaus. Mein Rundbrief sorgte fürdas gemeinsame Gebet in der Trennung und für dengeistigen Zusammenhalt in der Heimat während der Sa-nitätsschulung zu Königsberg wie auch beim Lazarett-dienst in Pillau. Als die Front sich Ostpreußen näherte,eröffnete sich mir ein weites Feld seelsorglicher undpflegerischer Aktivitäten bei Verwundeten, kranken Sol-daten, beim Pflegepersonal, bei Ordens- und Rote-Kreuz-Schwestern sowie bei den Flüchtenden über dasnoch zugefrorene Frische Haff, ich konnte die Hl. Messelesen, die Beichte und Kommunion abnehmen sowieKonvertitenunterricht erteilen und so in einer neuenWeise und unter manchmal entsetzlichen Umständenals Geistlicher wirken. Außerhalb des Dienstes trafenwir uns mit Soldaten und Studenten in der Theater-straße 8, der Königsberger Jesuitenresidenz, mit der imUntergrund immer noch fortgesetzten Akademiker-seelsorge.

In einem Kreis katholischer und evangelischer Geist-licher lasen wir an verschiedenen Orten das Trostbuchder alten Kirche, die Geheime Offenbarung, nun dieGnadenquelle der jungen Kirche vor dem physischenUntergang Ostpreußens. Am dichtesten und schwerstengestalteten sich der Dienst und die Seelsorge in denletzten Wochen vordem Fall Königsbergs und Pilaus, alsich im Feldlazarett 256 für die aus Ostpreußen zu spätevakuierte Bevölkerung und für die Verwundeten gleich-zeitig tätig war, ohne Verbandszeug, nur mit Papierbin-den, Ohne Medikamente, ohne Meßtasche, allein mitStola und Burse und schließlich bei zerschossenen undabgebrannten Baracken. Alsbald setzten Schiffsverla-dungen über die Ostsee ein.

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Westwärts

Hach langer Reise über das Meer erreichten wir mitca. 350 Verwundeten Warnemünde bei Rostock. Es warFrühling, und das Ende des Krieges schien nahe. Dochschnell erreicht mich ein neuer, nicht mehr ausführba-rer Marschbefehl zum Einsatz beim Regiment Teld-herrnhalle" in Berlin. Im Lazarett zu Meide in Holstein er-kannte ich in der leitenden Rote-Kreuz-Schwester eineWormditter Schülerin wieder. Der Tag der bedingungs-losen Kapitulation, der 8. Mai 1945, brachte trotz Prote-stes beim britischen Offizier Keine befreiende Entlas-sung, wohl die wunderbare Möglichkeit, als Geistlicherin der kleinen, nun mit Katholiken aus Flucht, Vertrei-bung und Gefangenschaft überfüllten Diasporakirche ingeliehenem Anzug wirken zu können. Mit einem Mari-nesanitäter, Zisterzienser aus Marienstatt, hielt ich Mis-sion, gab Kommunionsunterricht, fuhr mit dem Fahrradin die evangelischen Nachbarkirchen, um die hl. Messefür Flüchtlinge und Soldaten zu feiern, polnische Kinderzu taufen und viele Ermländer ohne allen Besitz, aberreich an Gaben des Hl. Geistes, wiederzusehen. Es wardie Zeit eines geistlichen Frühlings, des in doppelterWeise neugeschenkten Lebens, seelsorglicher Blüteund Ernte zugleich.

Im Rheintand

Der „Frühling" in britischer Internierung und schles-wig-holsteinischer Diaspora fand nach der Heimkehr indas durch Kriegseinwirkungen beschädigte elterlicheHaus in Niederdollendorf bei Königswinter am Rheinwährend des August 1945 eine jähe Unterbrechung.Mein Vater war nach schwerer Krankheit im April heim-gegangen, so daß ich ihn nicht wiedersah. Im zertrüm-merten Köln sagte mir der als Generalvikar amtierendeDompropst, es gäbe genügend Priester, man brauchemich nicht.

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Zwischenstation Köln

So kehrte ich zu meiner Mutter zurück, um mich, daich in Ostpreußen alles verloren hatte, nach einem An-zug, Mantel und Talar umzusehen und Urlaub zu ma-chen, nach einiger Zeit kam die Bitte aus dem KölnerQeneralviKariat, dem gütigen Dechant Wilhelm Scheier-rnann an St. Peter in Köln-Ehrenfeld als Aushilfe beizu-stehen. Die Kirche war völlig zerstört. Ich wohnte in ei-ner freien Kaplanswohnung und aß mittags im Franzis-Kushospital. Letzteres wurde nicht nur für mich, auchfür alle sich beim mir meldenden Jugendlichen ausdem ostpreußischen Wormditt zu einem rettenden Re-fugium. Diese Ankömmlinge aus Vertreibung, Gefan-genschaft und sowjetischer Verschleppung durften erstfür ein Dach über dem Kopf Kartoffeln schälen, Kohlenabladen, schließlich aber eine Lehre oder einen Pflege-,Büro- oder Kindergartendienst beginnen. Ebenso mel-deten sich bei meiner Mutter aus Lagern entlassene Fa-milien, nach der Sowjetunion verschleppte Mädchenund Frauen, entlassene Marinehelfer und Arbeitsdienst-ler, Es ging uns zunächst um soziale Eingliederung,Wohnungssuche und Berufsfindung, des weiteren aberum den Aufbau neuer Jugendgemeinschaften.

Elternhaus als Jugendheim

nach baldiger Versetzung in die Gemeinde St. Lau-rentius zu Oberdollendorf, wo ich die Kaplanstelle zurAushilfe im Movember 1945 übernahm, diente dasMaus meiner Eltern als Kapfanei und Jugendheim. Meß-diener, Jugendliche und entlassene Soldaten trafen sichbei mir und bildeten nach einer Reihe von Gruppen-stunden die ersten festgeformten Kreise von Jungenund Mädchen, ließen die in der NS-Zeit verbotene Kol-pimjfamilie Wiederaufleben und schufen die Spielge-meinschaft St. Michael. Bald gab es gute Pfarrjugend-führer und -führerinnen. Mit ihnen bildeten wir Grup-penleiter aus, damit auch die Jüngeren bald eine Hei-mat in bereitstehenden Kreisen erhielten, neben derreligiösen Schulung bauten wir einen Caritasdienst auf.

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So brachten die Kolpingsöhne im Winter den in die Ge-meinde integrierten Vertriebenen Holz, welches sie imPfarrwald geschlagen und gespalten hatten. Ebenso be-reiteten die Mädchen Geschenke und Backwaren vor,für die sie die Zutaten von Tür zu Tür in der Gemeindeerbettelt hatten, um sie den Bedürftigen und Flüchtlin-gen am Heiligen Abend zu überreichen.

Erste Religionslehrerstellen

Auch der Schulunterricht begann. Ich erinnere mich,von Haus zu Haus gegangen zu sein, um Unterschriftenfür die Wiedereröffnung der katholischen Schule einzu-holen. Heben diesen Stunden mußte ich auch in der Be-rufsschule von Oberkassel bei Bonn Unterricht erteilen.1950 bat mich Weihbischof Wilhelm Cleven zusätzlichum Übernahme der Religionslehrerstelle am Mädchen-gymnasium in Königswinter. An der Universität in Bonnsollte ich mich auf das Referendar- und Assessorex-amen vorbereiten.

Heisterbacher Festspiele

In derselben Zeit hatte sich unsere Spielschar derar-tig entwickelt, daß wir eine Reihe von Laienstücken vonLuserke und Kadow und zur Weihnachtszeit eine Her-bergssuche als Mysterienspiel in der OberdollendorferPfarrkirche aufführen konnten, nun entstand bei unsbald der Plan, in der Chorruine von Heisterbach den„Pilger zum Weltgericht" von Wilhelm Hünermann zuzeigen. In frohem Arbeitseinsatz bauten wir in die ein-zigartige, doppelstöckige Apsis eine Bühne hinein,während wir auf der großen Wiese vor ihr einfache Bän-ke zimmerten.

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Spielstück: „Der Mönch von Heisterbach"

nach dem großen Erfolg unserer Spielschar St. Mi-chael erhielt ich von einer Bonner Schriftstellerin, Leo-nie Meurin, die dichterische Übertragung der Sage desMönchs von Heisterbach in unsere Machkriegssituation.Hermann Wedekind, Spielleiter der Bonner Bühnen, er-klärte sich bereit, mit unseren Laienspielern dieses inzwei Zeitebenen komponierte Stück einzuüben. Der Zu-spruch aus Qodesberg und Bonn war so rege, daß nichtnur Mitglieder der Bundesregierung, wie FinanzministerSchäffer mit Frau, kamen; selbst aus dem Ausland, z.B.aus den USA, gingen Anfragen nach weiteren Spielter-minen der Heisterbacher Festspiele ein. Tief ergriffenwaren die zahlreichen Zuschauer mit den Schwesterndes Heisterbacher Mutterhauses, wenn unsere Spielerals Mönche des mittelalterlichen Zisterzienserklostersden Choral intonierten und aus dem Umgang in dasFresbyterium einzogen, während sich auf Ruine undPublikum die abendliche Dämmerung niedersenkte,der Ruf des Käuzchens im Wald erklang und der Mondüber den sieben Bergen aufging.

Spielstück: „Mord im Dom" von T. 5. Eliot

Im Jahre 1951 wurde Bundeskanzler AdenauerSchirmherr der Festspiele. Wir wagten uns an das My-sterienspiel T. S. Eliots, den „Mord im Dom", heran. Dieletzte Szene dieses Dramas um den Märtyrertod des hl.Thomas Becket, das Gericht, zeigten wir auf der Altaneder Rhöndorfer Villa vor Adenauer und seiner Familie.Außer unserer Kolpingfamilie spielten bei diesen Auf-führungen ganze Scharen von Männern und Frauen ausunserer wie aus den nachbargemeinden mit. Dochblieb unsere Gemeinschaft immer eine geistliche, reli-giöse Bewegung, die das Innere der Pfarren formte, ob-wohl sie eine Einladung zum internationalen Treffen eu-ropäischer Laienspielgruppen auf dem Felsen der Lore-ley erhielt und auf den Trümmern vor dem zerstörtenDom in Münster/Westf. die Aufführung wiederholte.

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Berufung an dasBeethovengymnasium Bonn

Zwei Komponenten bestimmten meine pastorale Ar-beit neben der Ffarrseelsorge seit dem Kriegsende vorallem: die Schule und die Aufarbeitung der MS-Zeit. DieBildung des jungen Menschen stand mit meinem Eintrittin das Königswinterer und der Berufung an das BonnerBeethovengymnasium im Jahre 1956 im Mittelpunktmeiner Arbeit. Während der Jahre 1960-80 erlebte ichdie langsame Umwandlung des Gymnasiums vom altenTyp einer streng humanistischen Schule zum in Kurseaufgelösten System.

Diese Entwicklung bedeutete, gemessen an Wissen,sittlicher Reife und Bildung der Schüler, einen ständigenRückschritt. Hinzu kamen zur gleichen Zeit die Ein-brüche der ARO-Bewegung in die Schulen mit den ver-heerenden Folgen wie Rauschgiftgenuß, Schwächungder Arbeitswilligkeit, Rückgang der Disziplin und Auflö-sung des Familienzusammenhalts. Gegenläufig läßtsich seit ungefähr 1978, wenigstens parallel, im schuli-schen Bereich eine positive Tendenz feststellen. Die Ar-beitshaltung bessert sich, die Schüler sehnen sich nachder Geborgenheit des alten Klassensystems mit derüber Jahre hinaus bleibenden Bindung an dieselbenSchüler und den sie durch die Jahrgangsstufen beglei-tenden Lehrer. Sie verlangen nach intensiverem Ge-schichtsunterricht und besserem Religionsunterrichtanstelle einer unverbindlichen „Sozialkunde", Wenn ih-re Lehrer sehr jung, progressiv und parteipolitisch ex-trem links eingestellt sind, neigen sie eher zum Konser-vativismus.

Separate religiöse Erziehung

Deshalb suchte ich neben dem Schulalltag eineGruppe von Schülern zu bilden, welche bereit waren,sich über den Religionsunterricht hinaus für die Kirchezu engagieren. Es gab außerschulische Bindungen einer

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Reihe von Gymnasiasten zu Säkularinstituten und ande-rer geistlicher Gemeinschaften. Sie orientierte sich viel-fach über die Orden, besuchten daher die Benediktiner,Zisterzienser, Trappisten, Dominikaner, Franziskaner,Minoriten, Pallotiner, Redemptoristen, Steylerund Mont-fortaner und veranstaltete Einkehrtage in den Klösterndieser Gemeinschaften. Diese Begegnungen begeister-ten die Schüler ebenso wie die Ausflüge ins Kölner Prie-sterseminar, zur Priesterweihe in den Kölner Dom odernach St. Augustin bei Siegburg, nach Maria Laach undnach Steyl mit Besuch der Druckerei und des Museums.Aus dieser Gemeinschaft, sie nannte sich Missionsgrup-pe, gingen im Laufe der Jahre mehrere Priester hervor,die heute zum Teil hohe Ämter in der Kirche sowie inkirchlichen Einrichtungen begleiten.

Caritative Tätigkeit

Wöchentlich trafen wir uns am nachmittag. Schülerhielten Referate über Missionsgebiete und über im Un-terricht nicht behandelte Themen, verlosten Marken fürdie Mission, bereiteten den Missionstag der ganzenSchule vor und ließen Missionare aus Indien, Südameri-ka etc. sprechen. In der Adventszeit besuchten wir dieBonner Krankenhäuser, sangen, trugen Gedichte undbiblische Texte vor, musizierten auf Violine, Flöten undTrompete und gingen an die Krankenbetten. Die Patien-ten brachten ihre Dankbarkeit in rührender Weise zumAusdruck und spendeten spontan für die Mission.

Was ich pädagogisch als notwendiges Ziel ansah,aber, abgesehen von der soeben erwähnten Schüler-gruppe, noch nicht zu erreichen vermochte, war dieAufgabe einer stärkeren praktischen, sozialen, caritati-ven und pfarrlichen Betätigung der 13- bis 16jährigen.In diesen Jahren müßten diese neben ihrem geistigenEngagement im Religionsunterricht und neben allensonstigen religiösen Anregungen zu Tätigkeiten geführtwerden, welche den ganzen jungen Menschen bean-spruchen und eine gegengewichtige Grundlage zur spä-ter eintretenden reifen, kritischen Urteilsfähigkeit Reli-

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gion und Kirche gegenüber legen. Diese Erfordernis ver-langt auch eine ausgedehntere tätige Mitbeteiligung derjungen Menschen an der Feier der hl. Messe.

Gymnasialpfarrer

Durch die Vorbereitung auf die Referendar- und As-sessorprüfungen in Religion und Philosophie und meineMitarbeit am Staatlichen Früfungsamt der UniversitätBonn fand ich reichlich Gelegenheit zum Kontakt mitden Mitgliedern der Fakultäten, vor allem mit den Theo-logen und Historikern wie Hubert Jedin, Bernhard Sta-siewski, Eduard Hegel, Konrad Repgen und Walter Hu-batsch. Ich unterrichtete Katholische Religionslehre,Philosophie und Geschichte und war gleichzeitig zumGymnasialpfarrer bestellt.

Weitere Universitätsstudien

Ein besonderes Anliegen, wegen meiner Erfahrun-gen in Braunsberg und mit der Gestapo Ostpreußens,war für mich die Erforschung der NS-Zeit im Hinblick aufStellung, Haltung, Verfolgung und den Widerstand derkatholischen Kirche. Deshalb bat ich Prof. Stasiewskivon der Rheinischen Friedrich-Wilhelrns-UniversitätBonn um ein Thema aus diesem Bereich. Die Bearbei-tung unter dem Titel „Das Bistum Ermland und das Drit-te Reich" ließ mich nicht nur die gesamte Sekundärlite-ratur kennenlernen; sie führte mich auch zu den Quel-len im Staatlichen Archivlager Göttingen, wo u.a. dasOstpreußische Gauarchiv verwaltet wird, im Bundesar-chiv Koblenz mit den Akten der Reichsministerien, imPreußischen Geheimen Staatsarchiv mit den früherenPolizei- und Gestapoakten und in den Bistumsarchiven.Einen großen Teil dieser staatlichen und kirchlichenQuellen konnte ich für meine Arbeit ausschöpfen. Ichbin jedoch der Ansicht, daß trotz der mannigfaltigenTeiluntersuchungen, die Repgen u.a. innerhalb des Be-reiches Kirche und PiS-Zeit anregte, eine gründliche ka-tholische Gesamtdarstellung, sowohl nach dem Stand

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der Aktenunterlagen als auch grundsätzlich, immernoch aussteht und unbedingt erforderlich ist. Begegnetuns doch in Tagespresse, Wochenblättern, Taschen-buchliteratur und Medien stets das einmal fixierte, abernicht begründete Urteil von einer mit dem Nationalso-zialismus zusammenarbeitenden Kirche. 1973 erlangteich den Doktorgrad.

Un-Ruhestand

Mach der Pensionierung 1983 habe ich noch einigeJahre am Beethovengymnasium ausgeholfen, um„Löcher zu stopfen", d.h. Unterricht in Klassen zu über-nehmen, in welchen er sonst ausgefallen wäre. So feier-te ich noch über viele Jahre hinweg dort wöchentlichdie Schulmesse, da die Schule vier Laientheologen,aber keinen Priester als Religionslehrer erhielt. In denGemeinden Ober- und Miederdollendorf half ich alsSubsidiar dem Pfarrer, welcher beide Gemeinden leitenmußte. Vor allem aber stehe ich bis heute dem Päpstli-chen Visitator für die Ermländer zur Seite und erfülleseit 1945 die Wünsche der heimatvertriebenen Ost-preußen nach Gottesdiensten, soweit es meine Kräftenoch erlauben.

Ermländerseelsorger

Jährlich hielt ich mehrere Tagungen mit Vorträgenund Einkehrtagen für Ermländer. Die Frauentagung fan-den im Maximilian-Kaller-heim zu Helle bei Balve/Sau-erland während der Passionszeit statt, welche nun vonanderen Priestern geleitet werden. Unter den Teilneh-merinnen waren viele 1945 unter entsetzlichen Bedin-gungen bis vier Jahren in die Sowjetunion verschlepptworden. Es ist verständlich, daß manche dieser Trauenüber die schrecklichen Schicksale schwiegen. Für dieFamilien mit ihren Kindern stand ich in den Kar- undOstertagen zur Verfügung. Diese bildeten für die teil-nehmenden Jugendlichen und Kinder eine liturgischeHoch-Zeit und eine Prägung für das ganze Leben. Viele

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fungierten als Ministranten und erlebten das TriduumSacrum aus allernächster Mähe mit. Im Sommer trafensich alte und junge Ermländer wieder, um gemeinsameErholungszeit mit täglicher Meßfeier zu verbringen. Da-bei wurden Vorträge von einigen Referenten, auch vonmir, angeboten und Abende mit Aussprache und Frage-stunden veranstaltet. An vielen Sonntagen im Jahr ver-sammelten sich die einzelnen ostpreußischen Pfarrge-meinden in einem Ort der Bundesrepublik, um gemein-sam das hl. Meßopfer zu feiern, sich wiederzusehenund am nachmittag die deutsche Vesper zu singen. Die-se schlössen mit den ermländischen Fürbitten und demsakramentalen Segen. Es hat sich nichts verändert; ichfreue mich darüber.

Wallfahrten

Das größte dieser Treffen, zu welchem die Wallfahreraus ganz Deutschland kommen, findet noch immer inWer! statt. Der erste Maisonntag führt Tausende Ermlän-der vor dem Gnadenbild der Gottesmutter zusammen.Selten findet man in Deutschland eine so große Zahlvon Jugendlichen zu einem Gottesdienst versammeltwie dort. Alle zwei Jahre veranstaltete ich eine Wallfahrtan die Gnadenorte der ermländischen Heimat.

Bei diesen Reisen ging es nicht um touristische Zieleund Bedürfnisse. Deshalb bereitete ich den Weg zu denHei l ig tümern Ostpreußens mit den Teilnehmern mona-telang intensiv vor. Die großen Intentionen unserer bis-herigen Wallfahrten waren der Dank für den katholi-schen Glauben, das Gebet für den Frieden der Völkerund deren Freiheit und Menschenrechte, für den Papst,die Weltkirche und ihre Missionare, für den Bestand un-serer Familien und für die Zukunft der Kirche, für dieKinder und die Jugend. Diese Anliegen wurden auf dieverschiedenen Wallfahrtskirchen im Ermland bezogenund bestimmten die Auswahl der Schrifttexte, Meßge-bete und Lieder. Die zwei bis vier Priester bereitetensich mit den Lektoren und Ministranten auf die Texteund Predigten an den Wallfahrtsorten vor. Eine Gruppe

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von Jugendlichen begleitete das ermländische Liedgutund die Vespern auf der langen Hinreise wie auf derRückfahrt und in den Gotteshäusern mit ihren Instru-menten. Sie gestalteten die letzte hl. Messe in der älte-sten Kirche Posens selbständig als Dankgottesdienst.Auch Ordensfrauen aus der im 16. Jh. entstandenenGemeinschaft der Katharinerinnen sowie der GrauenSchwestern der hl. Elisabeth kamen aus verschiedenenHäusern der damaligen Bundesrepublik mit. In diesesind inzwischen viele Mädchen aus deutschen Bistü-mern eingetreten. Die erste hl. Messe feierten wir vordem Hochaltar mit dem Sarkophag des ersten Missio-nars der Preußen, des hl. Adalbert, im Dom zu Gnesen.Die Klause der hl. Dorothea von Montau, welche Polenund Deutsche verbindet, war das nächste Wallfahrtszielim Dom von Marienwerder.

Am Ort meiner Priesterweihe

Höhepunkte unserer Reisen waren die Gottesdienstein der Frauenburger Kathedrale des Bischofs Kalier, inder ältesten Marienkirche Ostpreußens zu rleiligelindeund in Dietrichswalde, dem Ort der Erscheinungen Ma-riens im Jahre 1877. Aber auch die Gnadenstätten derKreuzkirche bei Braunsberg, von Krossen, Stegmanns-dorf, Springborn und Glottau fehlten nicht als Statio ge-meinsamen Betens. Haben doch die Ermländer am En-de des vergangenen Jahrhunderts in Glottau denKreuzweg mit Hand- und Spanndiensten errichtet! Eshandelt sich dort um eine auf die Mitte des 14. Jahr-hunderts zurückgehende Sühne und Verehrung des hei-ligsten Sakramentes. Die Wallfahrer hatten jeweils füreinen bis zwei Tage Gelegenheit, in ihre Heimatgemein-den zu gehen, in welchen heute polnische Familienwohnen. Trotz sprachlicher Verständigungsschwierig-keiten war diese Begegnung immer ein überwältigendesErlebnis für beide Seiten. Die polnischen Familien bo-ten alles auf, was Küche und Keller hergaben.

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Freude über mitgebrachte Geschenke

Die Ermländer brachten ihre Geschenke mit, ange-fangen von Kleidung und Schuhwerk über Kaffee undandere Lebensmittel bis hin zu Fahrrad und Autoreifen.Die Folge dieser Herzlichkeit waren Einladungen für dienächsten Jahre, welche sich leider nur einspurig inWest-Ost-Richtung erfüllen ließen, da die Ausreise fürPolen ohne Devisen unmöglich war. Oft erklärten dieneuen Bewohner der Höfe und Häuser, wie gern sienach Lemberg und Wilna zurückzögen, wenn sie es ver-möchten. Dann sollten die Ermländer doch auch in ihreHeimat heimkehren. Derartige Besuche führten zu ei-nem regen Schriftwechsel, wobei beide Seiten Laien-dolmetscher und die englische Sprache als Medium be-nutzten. Unsere ermländischen Pfarrgemeinden nah-men meist die Sorgen der polnischen Pfarrer um Aus-stattung der Kirchen mit Fenstern, Anstrich, Heizung,akustischen Geräten und anderem notwendigen Kir-cheninventar mit auf den Heimweg und sammelten beiihren hiesigen Zusammenkünften überaus eifrig für ihreeinstigen Gotteshäuser. So erhielt seinerzeit der polni-sche Dekan in Wormditt neben der Lautsprecheranlageund einer neuen elektrischen Einrichtung Orgelersatz-teile und ein Auto zum Besuch seiner Filialen.

Heue Wege an Unterstützung

Heute sieht das Maß an Unterstützung erheblich an-ders aus. Sie ist zum Teil umfangreicher, aber auchsachlicher geworden. So konnten allein im Oktober2001 über einen Hilfsdienst 4 Lkw-Ladungen mit ca. 50t Gütern nach Königsberg transportiert werden. In derdortigen Armenküche werden täglich 170 Menschenmit einer warmen Mahlzeit kostenlos versorgt.

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Schluß

ich habe mein Leben in den Dienst der katholischenKirche gestellt und bin daher diesen Weg gegangen.

Bonn-Bad Godesberg im November 2001

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Urgroßvater:Kar/ Simrock (geb. in Bonn 28.8.1802, gest. in Bonn

18.7.1876}Universitätslehrer, Poet, Germanist und Erneuerer

von Volkspoesie und älterer Mationalliteratur.86 bibliographisch erfaßte Werke.Darunter: Das Nibelungenlied, Das malerische und

romantische Rheinland, Lauda Sion (altchristliche Kir-chenlieder und geistliche Gedichte).

Großvater:August Reifferscheid (geb. in Bonn 3.10.1835, gest.

in Straßburg 10.1 1.1887), verehelicht mit Anna Mariageb. Simrock.

Professor für Klassische Philologie und Eloquenz inBreslau und Straßburg.

Übersetzte bedeutende alte christliche Schriften wieArnobius v. Sicca und Tertullian.

Vater:Heinrich Reifferscheid (geb. in Breslau 3.1.1872,

gest. in Miederdollendorf bei Königswinter 8.4.1945)Kunstprofessor an den Akademien Berlin und Düs-

seldorf, Ausstellerkollege von Lovis Corinth, Käthe Koll-witz, Max Liebermann u.a..

Schuf das Primizbild für seinen Sohn Gerhard.

Gerhard Reifferscheid(geb. in Berlin-Wannsee 6.3.1913)Studium in Freiburg {ab 1931), später Studien in

Braunsberg/Ostpreußen und Bonn.Priesterweihe im Dom zu Frauenburg in Ostpreußen

(1938),Kaplansjahre, Priestersoldat, Internierung, Heimkehr

ins Rheinland, Promotion zum Dr. theol., Gymnasial-pfarrer, Konsistorialrat. Reichhaltige Literatur (Bildbän-de) zu kirchlichen Stätten Ostpreußens. TheologischeFachaufsätze.

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Seele Christi, heilige mich.Leib Christi, rette mich.Blut Christi, tränke mich.Wasser der Seite Christi, wasche mich.Leiden Christi, stärke mich.O guter Jesus, erhöre mich.Birg in deinen Wunden mich.Von dir laß nimmer scheiden mich.Vordem bösen Feind beschütze mich.In meiner Todesstunde rufe mich,zu dir zu kommen heiße mich,mit deinen Meiligen zu loben dichin deinem Reiche ewiglich. Amen.

Anima Christi, sanctifica me1314/20 in England. Verfasser unbekannt,kurz darauf am Rhein bezeugt.Eines der beliebtesten Gebete im Mittelalter.Später auch von lynatius von Loyola übernommen.

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Gerhard ReifferscheidEin Priesterleben - ErinnerungenHerausgeber: Karl-Simrock-Forschung

BonnNummerierte Erstauflage -

Luthe-Verlag KölnBonn 2001

© Karl-Simrock-Forschung Bonnwww.karl-simrock-forschung.de

Mit freundlicher Genehmigung derKarl-Simrock-Forschung Bonn

übernommen in unserVirtuelles Brückenhofmuseum

www.virtuelles.brueckenhofmuseum.de