Faktenbox Psychotherapie bei Depressionen - Weisse Liste · Risiken und Nachteile • Die Wirkung...

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1 Was passiert bei einer psychotherapeutischen Behandlung? Bei einer Psychotherapie finden regelmäßig Einzel- oder Gruppen- gespräche, meist wöchentlich, mit einem Psychotherapeuten statt. Eine Psychotherapie hilft, sich selbst besser zu verstehen. Eigene Stärken können erkannt und aufgebaut werden und Behandlungs- methoden und Ziele individuell gestaltet werden. Auch Entspan- nungstechniken oder Verhaltensübungen können eingesetzt werden. Für wen kommt eine Psychotherapie in Frage? Der Nutzen von Psychotherapie allein (ohne Medikamente) ist vor allem für Patienten mit leichten und mittelgradigen Depres- sionen belegt. Bei schwer ausgeprägten Symptomen ist die psychotherapeutische Behandlung allein oft nicht ausreichend. Eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten zeigt dann eine bessere Wirkung. Welche Therapieformen gibt es? Es gibt verschiedene Psychotherapieverfahren. Die Kosten werden von den Krankenkassen für Verhaltenstherapie, Psychoanalytische Therapie und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie übernommen. Welche Therapieform hilft mir? Alle von den Krankenkassen bezahlten Verfahren können bei Depressionen wirksam sein. Die meisten Untersuchungen zur Wirksamkeit gibt es bei der Verhaltenstherapie, die wenigsten zur Psychoanalytischen Therapie. Welche Therapieform zum Einsatz kommt, hängt von den Problem- bereichen und Vorlieben des Patienten ab und den Methoden, die der Therapeut anbietet. Eine wichtige Voraussetzung einer Psychotherapie ist – unabhängig vom Verfahren – das Vertrauen zwischen Patient und Therapeut. Es hat einen großen Einfluss auf das Behandlungsergebnis. Nutzen und Vorteile In 16 internationalen Studien [1-16] haben depressive Patienten (meist mit mittelgradigen Depressi- onen) entweder Verhaltenstherapie oder eine Behandlung mit Antidepressiva erhalten. Die Behand- lung dauerte 8 bis 26 Wochen. Faktenbox Psychotherapie bei Depressionen Nutzen und Risiken im Überblick

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Was passiert bei einer psychotherapeutischen Behandlung?

Bei einer Psychotherapie finden regelmäßig Einzel- oder Gruppen-gespräche, meist wöchentlich, mit einem Psychotherapeuten statt. Eine Psychotherapie hilft, sich selbst besser zu verstehen. Eigene Stärken können erkannt und aufgebaut werden und Behandlungs-methoden und Ziele individuell gestaltet werden. Auch Entspan-nungstechniken oder Verhaltensübungen können eingesetzt werden.

Für wen kommt eine Psychotherapie in Frage?

Der Nutzen von Psychotherapie allein (ohne Medikamente) ist vor allem für Patienten mit leichten und mittelgradigen Depres-sionen belegt. Bei schwer ausgeprägten Symptomen ist die psychotherapeutische Behandlung allein oft nicht ausreichend. Eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten zeigt dann eine bessere Wirkung.

Welche Therapieformen gibt es?

Es gibt verschiedene Psychotherapieverfahren. Die Kosten werden von den Krankenkassen für Verhaltenstherapie, Psychoanalytische Therapie und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie übernommen.

Welche Therapieform hilft mir?

Alle von den Krankenkassen bezahlten Verfahren können bei Depressionen wirksam sein. Die meisten Untersuchungen zur Wirksamkeit gibt es bei der Verhaltenstherapie, die wenigsten zur Psychoanalytischen Therapie.

Welche Therapieform zum Einsatz kommt, hängt von den Problem-bereichen und Vorlieben des Patienten ab und den Methoden, die der Therapeut anbietet.

Eine wichtige Voraussetzung einer Psychotherapie ist – unabhängig vom Verfahren – das Vertrauen zwischen Patient und Therapeut. Es hat einen großen Einfluss auf das Behandlungsergebnis.

Nutzen und Vorteile In 16 internationalen Studien [1-16] haben depressive Patienten (meist mit mittelgradigen Depressi-onen) entweder Verhaltenstherapie oder eine Behandlung mit Antidepressiva erhalten. Die Behand-lung dauerte 8 bis 26 Wochen.

Faktenbox Psychotherapie bei Depressionen Nutzen und Risiken im Überblick

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Bei wie vielen Patienten, die die Behandlung zu Ende geführt haben, haben die Erkrankungs-symptome nachgelassen?

Bei 52 von 100 Patienten haben nach Ende der Verhaltenstherapie die Erkrankungssymptome nachgelassen.

Verhaltenstherapie

Bei 47 von 100 Patienten haben nach Ende der Behandlung mit Antidepressiva die Erkrankungssymptome nachgelassen.

Therapie mit Antidepressiva

Sowohl Verhaltenstherapie als auch Antidepressiva sind wirksam: Bei beiden Behandlungen sind die Symptome wie zum Beispiel gedrückte Stimmung, Interessenverlust, erhöhte Ermüdbarkeit bei ca. der Hälfte der Patienten komplett zurückgegangen.

Wie viele Patienten blieben nach Abschluss der Behandlung ohne Rückfall?

Die Patienten wurden sechs Monate bis zwei Jahre nach der Beendigung einer 8- bis 20-wöchigen Behandlung befragt [17].

Psychotherapie hilft langfristig: Im Vergleich zur medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva erkranken Betroffene nach Ende einer Psychotherapie seltener wieder.

73 von 100 Patientenblieben nach Beendigung der

Psychotherapie ohne Rückfall.

Psychotherapie

43 von 100 Patientenblieben nach Beendigung der Therapie mit Antidepressiva ohne Rückfall.

Therapie mit Antidepressiva

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Risiken und Nachteile • Die Wirkung tritt erst nach ungefähr acht bis zehn Wochen ein.

• Psychotherapie beansprucht Zeit und Energie (wöchentliche Termine, eigene Mitarbeit).

• Manchmal werden Sie mit Sichtweisen auf das eigene Leben konfrontiert, die zunächst unange-nehm sein können. Es kann daher vorkommen, dass sich die Beschwerden vorübergehend verschlimmern.

• Wenn Sie in einer Psychotherapie Ihr Verhalten verändern, kann dies – neben positiven Auswirkungen – auch zu Konflikten in Ihrem Umfeld führen.

• Oft haben Psychotherapeuten lange Wartezeiten, sodass die Behandlung nicht sofort begonnen werden kann. Lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Oft müssen Sie mehrere Therapeuten anrufen, bevor Sie einen Platz finden.

Welche andere Behandlungen kommen noch infrage?

Bei Patienten mit leichten Depressionen kann auch das sogenannte „Beobachtende Abwarten“ gewählt werden. Dabei beginnt zunächst keine Behandlung, ein Arzt beobachtet regelmäßig, ob sich die Beschwerden verändern. Bei leichten Depressionen können zunächst auch unterstützende Gespräche, eine allgemeine Beratung, Aufklärung über die Erkrankung, angeleitete Selbsthilfe, z.B. durch Selbsthilfebücher oder Online-Programme sowie Problemlöseansätze angeboten werden, bevor eine Pharmakotherapie oder Psychotherapie begonnen wird. Bei mittelschweren Depressionen kommt – alternativ zu einer Psychotherapie - auch eine alleinige Behandlung mit Antidepressiva infrage. Bei schweren Depressionen ist die Kombination aus medikamentöser Behandlung und Psychotherapie am besten geeignet. Weiterhin gibt es ergänzende Behandlungsformen wie Bewe-gung bzw. Sport, Lichttherapie, Wachtherapie und Unterstützung durch Selbsthilfegruppen.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse • Psychotherapie ist wirksam und hilft langfristig.• Eigene Stärken können erkannt und ausgebaut werden.

• Kurzfristig ist Psychotherapie ähnlich wirksam wie Antidepressiva.• Bei schweren und auch bei chronischen Depressionen ist oft die Behandlung mit Psychothe-

rapie allein nicht ausreichend. Eine zusätzliche Behandlung mit einem Antidepressivum ist empfehlenswert.

• Bei mittelgradigen bis schweren Depressionen setzt die Wirkung einer psychotherapeuti-schen Behandlung in der Regel später ein als bei einer Behandlung mit Medikamenten.

• Psychotherapie beansprucht Zeit und Energie.• Vorübergehend können sich die Beschwerden verschlimmern.

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Eine Entscheidungshilfe, die Sie Schritt für Schritt bei der Wahl der für Sie richtigen Behandlung unterstützt, finden Sie auf den Seiten von psychenet.de: http://entscheidungshilfen.psychenet.de

Zusätzliche Informationen

Diese Faktenbox wurde erstellt in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie sowie psychenet – Hamburger Netz psychische Gesundheit – gefördert vom Bundesbildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – Förderkennzeichen 01KQ1002B.

Autoren

Sarah Liebherz (Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin) Dr. Jörg Dirmaier (Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut) Prof. Dr. Dr. Martin Härter (Arzt, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut) Dr. Alessa von Wolff (Diplom-Psychologin)

Angaben zur Aktualität und Gültigkeit

Diese Faktenbox wurde im Februar 2014 erstellt und im Juni 2015 aktualisiert. Die nächste Aktualisie-rung ist für Juni 2017 geplant.

Weiterführende Informationen

www.psychenet.de www.versorgungsleitlinien.de/patienten/pdf/nvl-depression-patienten.pdf www.gesundheitsinformation.de/depression.2125.de.html

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Verwendete Quellen

Alle Informationen entsprechen dem aktuellen Stand der Forschung und wurden aus den aktuellen Versorgungsleitlinien (http://www.depression.versorgungsleitlinien.de) entnommen, die von Vertretern vieler Fachgesellschaften erarbeitet wurde [18,19]. Ergänzend wurden weitere aktuelle wissenschaftliche Arbeiten einbezogen, die nach dem Erscheinen der Leitlinie veröffentlicht wurden.

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Referenzen

[1] Bagby MR, Quilty LC, Segal ZV et al. Personality and Differential Treatment Response in Major Depression: A Randomized Controlled Trial Comparing Cognitive-Behavioural Therapy and Pharmacotherapy. The Canadian Journal of Psychiatry 2008; 53: 361-370

[2] Blackburn IM, Bishop S, Glen AI et al. The efficacy of cognitive therapy in de-pression: a treatment trial using cognitve therapy and pharmacotherapy, each alone and in combination. The British Journal of Psychiatry 1981; 139: 181-189

[3] Blackburn IM, Moore RG. Controlled acute and follow-up trial of cognitive therapy and pharmacotherapy in out-patients with recurrent depression. The British Journal of Psychiatry 1997; 171: 328-334

[4] David D, Szentagotai A, Lupu V et al. Rational Emotive Behavior Therapy, Cognitive Therapy, and Medication in the Treatment of Major Depressive Dis-order: A Randomized Clinical Trial, Posttreatment Outcomes, and Six-Month Follow-Up. Journal of Clinical Psychology 2008; 64: 728-746

[5] DeRubeis RJ, S.D. H, Amsterdam JD et al. Cognitive Therapy versus Medi-cations in the Treatment of Moderate to Severe Depression. Archives of General Psychiatry 2005; 62: 409-416

[6] Dimidjian S, Hollon SD, Dobson KS et al. Randomized trial of behavioral activation, cognitive therapy, and antidepressant medication in the acute treatment of adults with major depression. Journal of Consulting and Clinical Psychology 2006; 74: 658-670

[7] Elkin I, Shea MT, Watkins JT et al. National Institute of Mental Health Treat-ment of Depression Collaborative Research Program. General effectiveness of treatments. Archives of General Psychiatry 1989; 46: 971-982

[8] Hautzinger M, de Jong-Meyer R, Treiber R et al. Wirksamkeit Kognitver Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie und deren Kombination bei nich-tendogenen, unipolaren Depressionen. Zeitschrift für Klinische Psychologie 1996; 25: 130-145

[9] Hollon SD, DeRubeis RJ, Evans MD et al. Cognitive Therapy and Pharma-cotherapy for Depression. Singly and in Combination. Archives of General Psychiatry 1992; 49: 774-781

[10] Jarrett RB, Schaffer M, McIntire D et al. Treatment of Atypical Depression With Cognitive Therapy or Phenelzine. A Double-blind, Placebo-Controlled Trial. Archives of General Psychiatry 1999; 56: 431-437

[11] Miranda J, Chung J, Y., Green BL et al. Treating Depression in Predominantly Low-Income Young Minority Women. A Randomized-Controlled Trial. JAMA 2003; 290: 57-65

[12] Murphy GE, Carney RM, Knesevich MA et al. Cognitive Behavior Therapy, Re-laxation Training, and Tricyclic Antidepressant Medication in the Treatment of Depression. Psychological Reports 1995; 77: 403-420

[13] Murphy GE, Simons AD, Wetzel RD et al. Cognitive Therapy and Pharmacothe-rapy. Singly and Together in the Treatment of Depression. Archives of General Psychiatry 1984; 41: 33-41

[14] Thompson LW, Coon DW, Gallagher-Thompson D et al. Comparison of Desipramine and Cognitive/Behavioral Therapy in the Treatment of Elderly Outpatients With Mild-to-Moderate Depression. Archives of General Psychi-atry 2001; 9: 225-240

[15] Konarski JZ, Kennedy SH, Segal ZV et al. Predictors of nonresponse to cogni-tive behavioural therapy or venlafaxine using glucose metabolism in major depressive disorder. Journal of Psychiatry & Neuroscience 2009; 34: 175-180

[16] Segal ZV, Kennedy SH, Gemar M et al. Cognitive Reactivity to Sad Mood Provocation and the Prediction of Depressive Relapse. Archives of General Psychiatry 2006; 63:749-755

[17] CDe Maat S, Dekker J, Schoevers R et al. Relative efficacy of psychotherapy and pharmacotherapy in the treatment of depression: A meta-analysis. Psychotherapy Research 2006; 16: 566-578

[18] DGPPN, BÄK, KBV et al. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression - Kurzfassung. 1. Auflage 2009. Berlin, Düsseldorf: DGPPN, ÄZQ, AWMF

[19] DGPPN, BÄK, KBV et al. PatientenLeitlinie zur Nationalen VersorgungsLeitli-nie Unipolare Depression, Version 1.0 24. August 2011

Die dargestellten Informationen wurden sorgfältig recherchiert. Ein Dokument mit einer ausführlichen Beschreibung der Referenzen finden Sie auf der Seite www.faktencheck-depression.de/faktenboxen unter der jeweili-gen Faktenbox zum Herunterladen.