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Cornelia Daheim Susanne Feld Alexandra Heising Torsten Pflugmacher ALLES, WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SPRACHE WISSEN WOLLTEN, ABER NIE ZU FRAGEN WAGTEN - SKRIPT ZUM GRUNDKURS LINGUISTIK - Series A: General & Theoretical Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 2007 Paper No. 488 Universität Duisburg-Essen

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Cornelia Daheim Susanne Feld Alexandra Heising Torsten Pflugmacher

ALLES, WAS SIE SCHON IMMER ÜBER SPRACHE WISSEN WOLLTEN, ABER NIE ZU FRAGEN WAGTEN

- SKRIPT ZUM GRUNDKURS LINGUISTIK -

Series A: General & Theoretical Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 2007 Paper No. 488

Universität Duisburg-Essen

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Cornelia Daheim, Susanne Feld, Alexandra Heising & Torsten Pflugmacher

University of Duisburg-Essen (Germany) Alles, was Sie schon immer über Sprache wissen wollten, aber nie zu fragen wagten - Skript zum Grundkurs Linguistik - 9., durchgesehene Auflage

Copyright by the authors Reproduced by LAUD 2007 Linguistic Agency Series A University of Duisburg-Essen General and Theoretical Geisteswissenschaften Paper No. 488 Universitätsstr. 12 D- 45117 Essen

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Inhaltsverzeichnis

Grundlagen .............................................................................................................................4 1. Einführung: Exemplarische Darstellung von drei verschiedenen Arbeitsgebieten der

Sprachwissenschaft - Syntax, Semantik und Pragmatik........................................................4 2. Kurzer Überblick über die Entwicklung der Sprachwissenschaft..........................................7

2.1 Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert ...................................................................................... 7 2.2 Ferdinand de Saussure (1857-1913) ............................................................................................. 9 2.3 Noam Chomsky (*1928)............................................................................................................. 12

3. Zusammenfassung und Ausblick..........................................................................................13 4. Übungsaufgaben ...................................................................................................................15

Phonetik und Phonologie.....................................................................................................16 1. Einleitung .............................................................................................................................16 2. Geschichte der Phonetik und Phonologie.............................................................................17 3. Dialekt, Hochsprache und Normierung................................................................................17 4. Phonetik ................................................................................................................................19 5. Phonologie ............................................................................................................................23 6. Transkribieren.......................................................................................................................26 7. Zusammenfassung ................................................................................................................28 8. Übungsaufgaben ...................................................................................................................28

Morphologie..........................................................................................................................29 1. Einleitung - worum es im dritten Kapitel geht .....................................................................29 2. Kernmorpheme, Flexionsmorpheme und anderes – Buntes aus dem Wörterbaukasten ......30 3. Donaudampfschifffahrtskapitänskajüten und die Wortbildung............................................33 4. Ein kurzer Einblick: Die Bereiche der Morphologie............................................................36 5. Die praktische Anwendung: Konstituentenanalyse..............................................................37 6. Zur Erinnerung. Zusammenfassung .....................................................................................38 7. Übungsaufgaben ...................................................................................................................39

Syntax I..................................................................................................................................40 1. Einleitung .............................................................................................................................40 2. Traditionelle Satzlehre der Latein-Grammatik.....................................................................42

2.1 Wortarten ..................................................................................................................................... 42 2.2 Satzglieder ................................................................................................................................... 45 2.3 Hauptsätze, Gliedsätze und Gliedteilsätze .................................................................................. 55 2.4 Zusammenfassung....................................................................................................................... 56 2.5 Anwendung in der Satzanalyse ................................................................................................... 58

3. Übungsaufgaben ...................................................................................................................58 Syntax II ................................................................................................................................59

1. Dependenzgrammatik...........................................................................................................59 2. Phrasenstrukturgrammatik....................................................................................................64 3. Zusammenfassung und Kritik...............................................................................................67 4. Übungsaufgaben ...................................................................................................................68

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Semantik................................................................................................................................69 1. Einleitung .............................................................................................................................69 2. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks .....................................................................70 3. Bedeutungsbeziehungen zwischen verschiedenen sprachlichen Ausdrücken......................71

3.1 Bedeutungsgleichheit, Gegensatz und Oberbegriff .................................................................... 71 3.2 Denotation und Konnotation....................................................................................................... 72 3.3 Kollokation .................................................................................................................................. 73 3.4 Metaphern.................................................................................................................................... 73 3.5 Wortfelder.................................................................................................................................... 74 3.6 Prototypensemantik..................................................................................................................... 75

4. Bedeutungsveränderungen / Bedeutungswandel..................................................................76 5. Zusammenfassung ................................................................................................................77 6. Übungsaufgaben ...................................................................................................................77

Deutsche Sprachgeschichte .................................................................................................78 1. Einleitung: Sprachgeschichte und Sprachwandeltheorien ...................................................78 2. Auf dem Weg zu einer deutschen Standardsprache .............................................................81

2.1 Allgemeine Vorbemerkungen ..................................................................................................... 81 2.2 Vorgeschichte der deutschen Sprache: Indoeuropäische Sprachen, Germanische Sprachen.... 81 2.3 Frühgeschichte der deutschen Sprache: Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch ..................... 83 2.4 Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch, Heutiges Deutsch........................................................ 87

3. Zusammenfassung ................................................................................................................96 4. Übungsvorschläge ................................................................................................................97

Anhang: Grammatische Grundbegriffe.............................................................................98 Kasus, Numerus und Genus......................................................................................................98 Tempus .....................................................................................................................................99 Genus Verbi (das Geschlecht des Verbs) ...............................................................................100 Modus (Aussageweise)...........................................................................................................101 Infinitive .................................................................................................................................103 Stammformen von Verben......................................................................................................104 Lösungen der Übungsaufgaben ..............................................................................................106

Anhang: Wissenschaftliches Arbeiten..............................................................................107 Bibliographieren .....................................................................................................................107 Zitieren ...................................................................................................................................108 Seminararbeiten......................................................................................................................110 Übungsaufgaben .....................................................................................................................113

Literaturverzeichnis...........................................................................................................114

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Vorwort Diese Einführung in die Linguistik wendet sich an Studienanfängerinnen und -anfänger al-ler Studiengänge mit sprachwissenschaftlichen Anteilen. Sie ist aus der praktischen Arbeit mit mehreren Linguistik-Grundkursen an der Universität Essen entstanden, an denen jeweils einige hundert Erstsemester teilnahmen. Die hier abgedruckten Skripte wurden von Tuto-rinnen und Tutoren verfasst, die diese Grundkurse in kleinen und großen Gruppen (mit zehn bis vierzig Teilnehmern) sowie in zahlreichen persönlichen Gesprächen an der Basis aktiv begleitet haben und deshalb die Lernbedingungen von Studienanfängern besonders gut ken-nen.

Der hier vorgelegte Kursus erhebt nicht den Anspruch, besonders originell zu sein, und er-scheint deshalb auch nicht im Buchhandel. Wie die meisten anderen Einführungen in die Linguistik auch gibt er nur das wieder, was man - mehr oder weniger vielfältig verstreut - in anderen Büchern zur Linguistik schon finden kann. Die Texte gehen aber ganz unmittelbar aus der Lehrpraxis der vergangenen Jahre hervor und sind aufgrund aktueller Erfahrungen mit Studierenden unterschiedlicher Studiengänge (Magister, Lehrämter Primarstufe sowie Sekundarstufe I und II) mehrfach überarbeitet worden. Sie sollen und können in einem Se-mester bewältigt werden.

Ein Dank gebührt allen Studierenden sowie Tutorinnen und Tutoren der letzten Jahre, die allerlei unachtsame, fehlerhafte oder missverständliche Passagen in den früheren Auflagen entdeckten. Der Buchhandel bietet zahlreiche andere Einführungen an, alle mit unterschiedlichen Vorzügen und Schwächen. Als guter Begleiter für das gesamte Grundstudium eignet sich Horst M. Müller (Hg. 2002): Arbeitsbuch Linguistik. Paderborn u.a. (Schöningh, UTB 2169). In 22 Kapiteln gibt es einen ausführlichen und zuverlässigen Einblick in fast alle Gebiete der Sprachwissenschaft. Zur kreativen Arbeit mit dem Internet sei gerade auch Studienanfängern der Linguistik-Server LINSE empfohlen (www.linse.uni-essen.de). Darin steht unter vielem anderen auch eine thematisch geordnete und bewusst kurze Liste „Literatur zur Linguistik“. „LinseLinks“ ist eine recherchierbare Datenbank mit über 3000 kommentierten Links zur Linguistik in aller Welt. Außerdem enthält die LINSE multimediale Lernsoftware zu einigen Abschnitten des vorliegenden Skripts sowie einen umfangreichen Studierplatz mit Arbeitsaufgaben zu diesem Skript (http://www.linse.uni-essen.de/linkolon/index.htm). Das Lehr-/Lernportal PORTALINGUA (www.portalingua.uni-essen.de) versammelt vielfältige weitere Software zum Studium der Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Ulrich Schmitz April 2006

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Grundlagen von Cornelia Daheim

Gliederung 1. Einführung: Exemplarische Darstellung von drei verschiedenen Arbeitsgebieten der

Sprachwissenschaft - Syntax, Semantik und Pragmatik 2. Kurzer Überblick über die Entwicklung der Sprachwissenschaft 2.1 Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert 2.2 Ferdinand de Saussure 2.3 Noam Chomsky 3. Zusammenfassung und Ausblick 4. Übungsaufgaben

1. Einführung: Exemplarische Darstellung von drei verschiedenen Arbeitsge-bieten der Sprachwissenschaft - Syntax, Semantik und Pragmatik Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich mit der Sprache - und all den Bereichen, in denen Sprache wichtig ist.

Ich weiß nicht, ob meine Befürchtung zutrifft, aber ich nehme an, dass Sie diese Aus-sage nicht einen Schritt der Erkenntnis näher gebracht hat, was hier genau auf Sie zukommt. Sie möchten wissen, worum es in diesem Grundkurs gehen wird - und die Antwort „um Sprache“ hilft Ihnen nicht weiter. Was soll man da schon groß zu lernen haben? Schließlich haben Sie alle Abitur, können mit Sprache kommunizieren, lesen und schreiben (hoffe ich). Und wahrscheinlich haben Sie alle recht unangenehme Erinnerungen an Grammatikunter-richt und die vage Angst, dass Sie damit jetzt wieder konfrontiert werden.

Also öde Grammatikpaukerei? Nein. Alles, was mit Sprache zu tun hat - das ist ein weites Feld. Ihre eventuelle Ratlo-

sigkeit bezüglich denkbarer konkreter Inhalte dieses Seminars offenbart schon ein prägen-des Merkmal der Sprache: wir alle können sie benutzen, wir können ihren Regeln folgen, sodass uns andere verstehen, aber unser Wissen um diese Regeln ist oft nicht bewusst. So können wir alle feststellen, dass der Satz:

„Den Mond das Hund bellst an.“ nicht ‘richtig’ ist, doch warum genau dies so ist, was genau nicht richtig ist, können wir meist nicht formulieren. Die Sprachwissenschaft1 versucht unter anderem, diese unbewuss-ten Regeln, die wir anwenden, zu Tage zu bringen, sie gibt uns ein Vokabular an die Hand, mit dem wir solche ‘Regelverstöße’ exakt beschreiben können.

1 Der Begriff Sprachwissenschaft wird oft synonym (gleichbedeutend) mit dem der Linguistik verwendet.

Eigentlich meinte letzterer Begriff eine besondere Art der Sprachbetrachtung, die systemorientiert arbei-tet und sich an die Erkenntnisse de Saussures (vgl. in diesem Kapitel: 2.1) anlehnt. Da aber auch in Frankreich und im anglo-amerikanischen Raum die jeweiligen Begriffe la linguistique bzw. linguistics den Gesamtbereich der Sprachwissenschaft umfassen, schließe ich mich dieser synonymen Verwen-dungsweise der beiden Begriffe an.

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Für die Fehlerhaftigkeit des Satzes Den Mond das Hund bellst an heißt die sprachwissen-schaftlich fundierte Erklärung dann, dass

1) in (deutschen) Aussagesätzen normalerweise zuerst das Subjekt, dann das Prädikat und das Objekt stehen,

2) der bestimmte Artikel sich im Genus nach dem Nomen, auf das er sich bezieht, richtet (Hund ist Maskulinum, also der Hund), und dass

3) das Prädikat sich nach dem Subjekt des Satzes richtet (Subjekt: Singular, 3. Person = Prädikat: 3. Person Singular, der Hund bellt): „Der Hund bellt den Mond an“.

Das Vokabular für diese Erklärung stammt aus der Syntax, dem Gebiet der Linguistik, das sich mit der Struktur von Sätzen, mit den Bestandteilen von Sätzen, mit deren Funktion und Eigenschaften befasst (‘Grammatikpaukerei’). So ermittelt die Syntax z. B. solche Katego-rien wie Subjekt, die die Funktion eines Wortes im Satz beschreiben. Dass ein Subjekt im Deutschen (in einem Aussagesatz) gewöhnlich vor dem Verb steht, ist eine Eigenschaft die-ser Kategorie. Die Syntax befasst sich also mit den formalen Eigenschaften von sprachli-chen Einheiten und Strukturen in Sätzen.

Doch was ist dann mit einem solchen Satz wie „Farblose grüne Ideen schlafen wütend“?

Hier stehen alle Satzteile an „ihrem“ Platz, der Satz ist syntaktisch richtig. Doch er ergibt keinen Sinn - und mit den Fragen des Sinns, der Bedeutung in der Sprache beschäftigt sich die Semantik. So werden z. B. in der Komponentenanalyse die Wörter auf einzelne Be-standteile (Komponenten) ihrer Bedeutung untersucht. Das Wort schlafen trägt z. B. die Be-deutungskomponente lebendig und ist daher nicht kombinierbar mit einem Subjekt, das die Bedeutungskomponente abstrakt und nicht-lebendig trägt. Denn etwas Nicht-Lebendiges kann nicht schlafen2. Die Semantik befasst sich also mit der „Analyse und Beschreibung der sogen. ‘wörtlichen’ Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken“3. Zur Semantik gehören nicht nur die Komponentenanalyse, sondern auch die Untersuchung der Bedeutung von Wörtern und Sätzen in Relation zu anderen Wörtern oder Sätzen (Bsp.: Gegensatzpaare oder Anto-nyme: Mann-Frau), und auch verschiedene weitere Modelle, die sich mit Bedeutung be-schäftigen.

Aber warum betont Hadumod Bußmann den Zusatz „wörtlich“ in ihrer Definition die-ses Untersuchungsgebietes der Sprachwissenschaft? Nun, sprachliche Ausdrücke können auf verschiedene Weisen Bedeutung tragen, wie es sich in dem folgenden Satz zeigt:

„Die Tür ist offen.“ Dieser Satz ist nach seiner wörtlichen Bedeutung eine reine Feststellung, doch er kann (bei einer bestimmten Intonation, in einer bestimmten Situation oder einfach nur mit einem be-sonders leidenden Gesichtsausdruck vorgebracht) auch Aufforderungscharakter haben - mit einem besonders strengen Gesicht sogar Befehlscharakter. Aus dieser Sicht, der Sicht der Pragmatik, geht es um den Kontext einer Äußerung, um die Situation, und um das Ver-hältnis des sprachlichen Zeichens zum Zeichenbenutzer, d. h. zum Sprecher. Die Pragmatik untersucht also das Verhältnis einer sprachlichen Äußerung und ihrer Verwendungssituati-on: Es geht hier, wie in der Semantik auch, um Bedeutung, jedoch unter dem Aspekt der

2 Außer natürlich in metaphorischer Verwendung, wie man sie z. B. oft in Gedichten findet. 3 Bußmann 2002, S. 590.

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spezifischen Situation und der Funktion einer sprachlichen Äußerung. Auch wird hier der Sprachbenutzer mit in die Überlegungen einbezogen, der in den Arbeitsgebieten Syntax und Semantik weitgehend außer Acht gelassen wird. Das Verhältnis dieser drei Arbeitsgebiete der Linguistik kann man in folgendem Schema (nach Morris) darstellen4: Designat

- das, was bezeichnet wird - außersprachliche Welt

semantische

Dimension andere Zeichen sprachliches Zeichen

pragmatische Dimension

syntaktische Dimension

Sprachbenutzer

Hier ergeben sich die drei angesprochenen Teilgebiete der Linguistik aus den Beziehungen, die das sprachliche Zeichen eingeht: zu anderen Zeichen (Syntax), zum Designat, also dem, auf das das sprachliche Zeichen verweist (Semantik), und zu den Sprachbenutzern (Pragma-tik). Wenn man Sprache von diesem Standpunkt aus begreift, ist die Linguistik eine Unter-disziplin der Semiotik, der Theorie und Lehre von den Zeichen und von Zeichenprozessen im Allgemeinen, die sich auch mit nichtsprachlichen Zeichen beschäftigt.

Die Sprache wird hier als ein Zeichensystem betrachtet, wie zum Beispiel auch Ver-kehrsschilder ein eigenes Zeichensystem sind. So, wie wir uns bei einem roten, runden Schild mit einem weißen Balken darauf geeinigt haben, dass dies „Einbahnstraße“ bedeutet, haben wir uns auch darauf geeinigt, dass bestimmte Lautfolgen bestimmte Bedeutungen haben, auf bestimmte Objekte in der ‘Welt’ verweisen. Das Zeichen an sich steht nur für etwas (aliquid stat pro aliquo), es verweist auf ein Objekt (zum Beispiel verweist die Laut-kette /Hund/ auf bestimmte Tiere) oder auf Konzepte bzw. Sachverhalte (die Lautkette /Liebe/ verweist auf ein bestimmtes Gefühl).

„Was die alten Römer vom Gelde sagten, können wir vom Wort Käse sagen: es stinkt nicht. Das Wort Hund beißt nicht, das Wort Pistole schießt nicht. Und daraus leiten wir [...] die Erkenntnis ab: In der Sprache ist die Beziehung zwischen dem Lautbild [...] und der bezeichneten Bedeutung durch Konvention festgelegt und völlig willkür-lich.“5

4 Dieses Schema stellt eine starke Vereinfachung eines Diagramms von Charles Morris dar, der sich mit

der Semiotik, der Lehre von den Zeichen, beschäftigt. Vgl.: Morris 1996, S. 79. 5 Schwanitz 1985, S. 24.

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Wenn diese Erkenntnis vielleicht banal scheint, so ist sie doch recht neu: sie wurde von Ferdinand de Saussure zu Beginn dieses Jahrhunderts „zur Grundlage der Sprachanalyse gemacht“6 (vgl. Abschnitt 2.2 dieses Kapitels). Dass ich Ihre Aufmerksamkeit hier schon auf den Zeichencharakter der Sprache lenke, hat mit unserem eingangs erwähnten Umgang mit Sprache zu tun: wir benutzen sie ständig, und dadurch erscheint sie uns selbstverständ-lich. Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sprache ist es jedoch nötig, Abstand von dieser Selbstverständlichkeit zu nehmen und den Untersuchungsgegenstand, die Sprache, aus einer gewissen Distanz zu betrachten, ihn so ‘neu’ zu erfassen.

Das Modell, das Sie in der obigen Abbildung kennen gelernt haben, stellt also eine ‘moderne’ Herangehensweise dar, die einige Methoden der heutigen Sprachwissenschaft spiegelt - nämlich die Arbeit mit Modellen und die Abgrenzung (und oft auch die Gegen-überstellung) verschiedener Arbeitsgebiete. Die Sprachwissenschaft ist eine relativ junge Disziplin, die sich als eigenständige Wissenschaft erst im 19. und 20. Jahrhundert etabliert hat. Sie fußt aber auf einer langen Tradition der Beschäftigung mit Sprache, die ich im Fol-genden kurz anreißen möchte, um in chronologischer Reihenfolge einige Grundbegriffe der Sprachwissenschaft zu erklären.7 Auch die weiteren Teilgebiete der Linguistik - die sich mit Syntax, Semantik, und Pragmatik natürlich längst nicht erschöpft hat - werden sich dabei ergeben.

2. Kurzer Überblick über die Entwicklung der Sprachwissenschaft

2.1 Von der Antike bis zum 19. Jahrhundert Schon in der Antike befassten sich Philosophen und Grammatiker mit der Sprache. Im Kra-tylos-Dialog des Platon (etwa 427-347 v. Chr.) wird eine Diskussion über die Ursprünge der Sprache und das Wesen der Bedeutung geführt. Zwei Auffassungen werden einander ge-genübergestellt: einerseits die Ansicht, Sprache sei durch eine Übereinkunft zwischen den Menschen entstanden und die Beziehung zwischen Wörtern und Dingen sei somit willkür-lich, andererseits die Überzeugung, Sprache habe einen natürlichen Ursprung, sodass ein natürlicher Zusammenhang zwischen Wörtern und Dingen bestehe. Dabei wird der letzteren Auffassung mehr Raum zugebilligt, und die ganze Debatte wird schließlich weg von der Sprache und hin zur Ideenlehre geführt.

Aristoteles (384-322 v. Chr.) vertritt in De Interpretatione erstere Position. Die Frage nach dem Ursprung der Sprache, nach ihrer Bedeutung und die Beschäftigung damit, ob Sprache willkürlich (arbiträr) sei, also lediglich auf einer Übereinkunft der Menschen beru-he, steht hier im Vordergrund. Auch die Frage, ob das Griechische eher durch Regelmäßig-keit als durch Unregelmäßigkeit geprägt sei (Analogie versus Anomalie) war ein wichtiger Streitpunkt - in der heutigen Sprachwissenschaft dagegen werden diese Prinzipien nicht mehr als gegensätzlich angesehen, sondern werden beide untersucht und als ergänzend für die umfassende Erforschung einer Sprache verstanden.

6 Schwanitz 1985, S. 25. 7 Es sei hier betont, dass dieser Überblick keinesfalls dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht werden

will oder kann - dann wäre diesem Thema ein ganzes Buch zu widmen. Hier sollen nur einige Themen und Traditionen vorgestellt werden. Für eine umfassendere Beschäftigung mit der Geschichte der Sprachwissenschaft sei auf die im Literaturverzeichnis angeführten Titel verwiesen.

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Schon im 3. Jahrhundert v. Chr. legten die Stoiker einige Grundbegriffe der Grammatik fest, indem sie die Wörter in Wortarten einteilten und die verschiedenen Formen gliederten. Dio-nysios Thrax (ca. 100 v. Chr.) erstellte dann die erste systematische griechische Grammatik (eine Laut- und Formenlehre). Diese Art der Sprachbetrachtung wurde zu einem großen Teil von den Römern übernommen und weiterentwickelt. Sie beeinflusst noch heute als „traditi-oneller Ansatz“ die Art und Weise, in der Sprache gelehrt wird - sie wird Ihnen hier noch einmal im Kapitel zur Syntax begegnen. Des Weiteren wurde in der Antike der Sprachwan-del diskutiert - die Veränderung der Sprache wurde als Verfall betrachtet (eine Sichtweise, die auch in der aktuellen Diskussion um Sprache, z. B. in Bezug auf die Rechtschreibre-form, immer wieder vorgebracht wird). So entstand in der Antike die so genannte präskrip-tive Tradition - am Ideal einer richtigen, stilistisch hochwertigen Sprache orientiert wurden Richtlinien für die Sprachbenutzung entwickelt. Präskriptiv heißt vorschreibend, d. h. es wird festgelegt, was in einer Sprache richtig und falsch oder gut und schlecht ist; man be-zeichnet diese Herangehensweise auch als normativ. Das Gegenstück zum präskriptiven (oder normativen) Ansatz ist der deskriptive Ansatz, der eine Sprache beschreiben will, ohne zu bewerten. Heute sind viele Schulgrammatiken, wie sie etwa im Fremdsprachenun-terricht eingesetzt werden, eher präskriptiv, die meisten wissenschaftlichen Grammatiken sind deskriptiv.

Im Mittelalter hatten die Grammatiken der Römer immer noch große Bedeutung und wurden in Lehre und Forschung genutzt. Die Grammatik galt als Grundlage der Wissen-schaft. Mit der Entdeckung der neuen Welt in der Renaissance und der neuen Missionstä-tigkeit kam bis dahin unbekanntes Sprachmaterial in den Blick, sodass auch Grammatiken exotischer Sprachen entstanden und die Sprachforschung eine starke Umwälzung erfuhr. Auch die systematische Untersuchung europäischer Sprachen wurde jetzt betrieben, sodass erste Grammatiken, z. B. des Deutschen, im 16. Jahrhundert verfasst wurden. Auch bildeten sich Akademien, und die Arbeit an Wörterbüchern in mehreren Sprachen begann. In der Sprachphilosophie beschäftigte dann im 18. Jahrhundert vor allem die Frage nach dem Sprachursprung und danach, welche Rolle angeborene Ideen bei der Entwicklung von Spra-che und Denken spielen. Die kartesianische Schule betrachtete angeborene Ideen als Grund-lage des Wissens, wohingegen Locke und Hume ihre Existenz bestritten und der Auffassung waren, Wissen entstehe in der Auseinandersetzung mit der Welt und ihren Phänomenen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstand die vergleichende Sprachwissenschaft, die auch das 19. Jahrhundert beherrschte und sich vor allem mit schriftlichen Zeugnissen und der historischen Analyse von Sprachen befasste.

Prägend war in der Antike somit die Frage nach Ursprung und Wesen der Sprache. Die Sprache wurde kategorisiert, und sie sollte einem Ideal entsprechend genutzt und vor dem Verfall bewahrt werden. Auch später standen sprachphilosophische Fragen und die Grammatik und Rhetorik im Vordergrund, bis sich mit dem Kontakt zu außereuropäischen Sprachen die vergleichende und historische Sprachwissenschaft etablierte, die das 19. Jahrhundert dominierte. Mit Ferdinand de Saussure, dem Begründer des Strukturalis-mus, vollzog sich jedoch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein tief greifender Wandel in der Sprachwissenschaft, und zwar bezüglich der Themen und Methoden, der Definition des ei-genen Arbeitsgebietes und der Definition von Sprache.

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2.2 Ferdinand de Saussure (1857-1913) Ferdinand de Saussure gilt als Begründer der modernen Sprachwissenschaft. Seine Theorie stellt eine radikale Abwendung von der zu seiner Zeit dominierenden historischen Sprach-wissenschaft dar, die vor allem den geschichtlichen Wandel der Sprache beschrieb. Saussu-re betrachtete Sprache als ein relationales (von Beziehungen getragenes) System formaler Elemente. Die Aufgabe der Sprachwissenschaft ist nach Saussure die Erforschung dieses Systems, seiner Struktur und der Art der Beziehungen, die es konstituieren. Er richtet damit das Hauptaugenmerk auf die Sprache als Ganzes und nicht auf den Vergleich verschiedener Sprachen oder die Untersuchungen einzelner Formen und ihrer Entwicklung. Im Folgenden werde ich zentrale Begriffe der Theorie Saussures kurz darstellen.

a) Faculté de langage - langue - parole Die Grundlage der Saussureschen Theorie finden sich im Cours de linguistique générale (dt.: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft). Dieser Text beruht auf Vorlesun-gen, die Saussure in der Zeit von 1907 bis 1911 hielt. Er wurde nachträglich aus Mitschrif-ten der Studenten in diesen Vorlesungen zusammengestellt und 1916, posthum, veröffent-licht. Darin heißt es zur Definition der Sprache (in eckigen Klammern stehen hier die von Saussure im Französischen gebrauchten Begriffe):

„Was aber ist die Sprache [langue]? Für uns fließt sie keineswegs mit der menschlichen Rede [langage] zusammen; sie ist nur ein bestimmter, allerdings wesentlicher Teil davon. Sie ist zu gleicher Zeit ein soziales Produkt der Fähig-keit zu menschlicher Rede und ein Ineinandergreifen notwendiger Konventionen, welche die soziale Körperschaft getroffen hat, um die Ausübung dieser Fähigkeit durch die Individuen zu ermöglichen. Die menschliche Rede, als Ganzes ge-nommen, ist vielförmig und ungleichartig, verschiedenen Gebieten zugehörig, zugleich physisch, psychisch und physiologisch, gehört sie außerdem noch so-wohl dem individuellen als dem sozialen Gebiet an [...].“8

Hier zeigen sich deutlich drei verschiedene Aspekte, unter denen Saussure die Sprache be-trachtet. Die Fähigkeit zur menschlichen Rede allgemein ist die faculté de langage. Das System der Sprache, die langue, ist durch Übereinkunft entstanden, ist gesellschaftlich und konventionell, ein soziales Faktum (fait social). Nach Saussure gehört zur langue auch das Wörterbuch einer Sprache, das den gesamten Zeichenvorrat enthält. Die individuelle Seite, die Saussure hier noch anspricht, ist die parole, sowohl der Akt der Sprachverwendung als auch das Produkt dieses Aktes: hier werden die Regeln der langue angewandt, aus dem ge-meinsamen Zeichenvorrat, dem ‘mentalen Lexikon’ oder ‘Wörterbuch’, werden bestimmte Elemente ausgewählt und nach bestimmten Regeln zusammengestellt.

Wie Sie schon festgestellt haben, gibt es einige Probleme in der Übersetzung der saus-sureschen Terminologie, weshalb sich empfiehlt, die französischen Begriffe zu verwenden. Die langage stellt den Oberbegriff für langue und parole dar, sie ist die Fähigkeit zur menschlichen Rede. Langue meint das sozial vereinbarte, auf Konvention beruhende Sys-tem der Sprache, während parole den individuellen Akt der Anwendung dieses Systems und dessen Produkt meint, einen „individuelle[n] Akt des Willens und der Intelligenz“9.

8 Saussure 1967, S. 11. 9 Ebd., S. 16.

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Nach Saussure soll sich die Sprachwissenschaft mit der Erforschung der langue befas-sen, doch diese ist nur über die parole zugänglich.

Faculté de langage

langue parole

b) Das bilaterale Zeichenmodell Saussure sieht die langue als System von Zeichen. Das Zeichen selbst beschreibt er in einem zweiseitigen (bilateralen) Modell: Es besteht aus Vorstellung und Lautbild. Das Signifiant ist das Bezeichnende oder die Lautkette, mit der das Vorstellungsbild, das Signifié (das Be-zeichnete) assoziiert wird. Die Beziehung zwischen Signifiant und Signifié ist willkürlich (arbiträr). Erst beide Seiten zusammen bilden das sprachliche Zeichen.

Signifié (Inhalt) Vorstellung eines Baumes Zeichen = z.B Signifiant (Ausdruck) Lautkette /baum/

Dieses Modell des sprachlichen Zeichens ist ausdrücklich ein Modell, das sich nur auf die psychische Seite bezieht, denn die Relation des Zeichens zur außersprachlichen Welt ist hier nicht berücksichtigt. Mit Signifié ist nicht der ‘wirkliche’ Baum gemeint, auf den das Zei-chen verweist, sondern nur das Vorstellungsbild, das die Lautkette hervorruft.

c) Diachronie und Synchronie Saussure unterscheidet zwischen zwei verschiedenen sprachwissenschaftlichen Ansätzen: dem diachronischen und dem synchronischen. Der diachronische Ansatz betrachtet Sprache in ihrem historischen Wandel, der synchronische greift einen bestimmten Zeitpunkt, einen bestimmten ‘Zustand’ der Sprache, heraus.

C D = - Achse von Abfolgen (von Zeitpunkt C bis D)

- Diachronie

= - Achse der Gleichzeitigkeit

- Sprachzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt

- Synchronie

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Saussure betont das Primat der Synchronie für die Sprachwissenschaft. Dies ist der ausschlaggebende Punkt für die Veränderung der Sprachwissenschaft durch seine Theorien, denn im 19. Jahrhundert hatte die Sprachwissenschaft ja vorwiegend diachronisch gearbeitet. Strukturalistische Ansätze betrachten Sprache also zu einem bestimmten Zeitpunkt und greifen diesen heraus; geschichtliche Vergleiche werden erst danach und in zweiter Linie angestellt. Saussure begründete das Postulat des synchronischen Arbeitens in der Sprachwissenschaft unter anderem damit, dass die Synchronie immer der Diachronie vorausgehe: man kann die Entwicklung der Sprache von einem Zeitpunkt C zu einem Zeitpunkt D nicht angemessen beschreiben, wenn man nicht weiß, wie die jeweiligen ‘Sprachzustände’ C und D für sich genommen aussehen.

d) Syntagmatisch versus paradigmatisch Für Saussure definiert sich ein Zeichen durch die Beziehungen, die es eingeht, und er sieht die gesamte Sprache als ein System von Beziehungen, ein relationales System. Saussure beschreibt zwei Arten dieser strukturellen Relationen: die syntagmatische meint die Bezie-hungen einer linearen Abfolge, z. B. in einem Satz, die paradigmatische meint die Bezie-hungen der Ersetzbarkeit.

SYNTAGMATISCH

Die Studenten glauben dem Dozenten immer

Die Studenten glauben dem Dozenten nie

Die Studenten glaubten dem Dozenten nie

Sie glaubten dem Dozenten nie

Alle ... ... ...

P A R A D I G M A T I S C H

... ... ... ...

Bei der Betrachtung der paradigmatischen Dimension ergibt sich eine Segmentierung (der Satz wird in bestimmte Elemente unterteilt) und Klassifizierung der sprachlichen Einheiten. Bei der Betrachtung der syntagmatischen Dimension tritt die Funktion der Elemente und deren Zusammenspiel im Satz zutage (z. B. Satzglieder wie Subjekt, Prädikat, Objekt). Die-se Art der Betrachtung von Beziehungen in der Sprache lässt sich nicht nur auf der Ebene des Satzes anwenden, sondern auch auf anderen Ebenen, z. B. in der Phonologie (die Lehre von den Lauten einer Sprache) oder in Bezug auf den Wortschatz. So wird deutlich, was mit der Betrachtung von Sprache als System gemeint ist: Sprache erscheint als „riesiges Ge-flecht zusammenhängender Strukturen und sich gegenseitig definierender Einheiten“10.

Saussure arbeitet mit verschiedenen Dichotomien, d. h. mit Paaren von gegensätzli-chen Begriffen: langue - parole; Diachronie - Synchronie; syntagmatisch - paradigmatisch. Er stellt also oppositionelle Begriffe einander gegenüber, ein Verfahren, das auf das für den

10 Crystal 1993, S. 407.

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Strukturalismus prägende distinktive Prinzip hinweist. Das distinktive Prinzip meint, dass sich ein Element nicht allein durch sich selbst bestimmt, sondern durch das, was es nicht ist, dass ein Element im System und die Position, die es in diesem System einnimmt, nur im Vergleich mit den anderen Elementen definiert werden kann. Im Mittelpunkt des Interesses steht in einem strukturalistischen Ansatz also der formale Bereich der Struktur, und weniger der Bereich des Inhalts oder der Bedeutung.

Saussures sprachtheoretische Überlegungen hatten (und haben) nicht nur großen Ein-fluss auf die Sprachwissenschaft, sondern auch auf die Geisteswissenschaften im Allgemei-nen sowie auf manche Naturwissenschaften - so gibt es auch in der Literaturtheorie und in der Biologie wichtige strukturalistische Ansätze. In der Linguistik entwickelten sich ver-schiedene Strömungen auf der Basis von Saussures Theorie, die sich mit der Phonologie und der Grammatik und Stilistik beschäftigten (Prager und Kopenhagener Schule). Der so genannte amerikanische Strukturalismus fußt vor allem auf Leonard Bloomfields Buch Language und entwickelte sich aus dem in Amerika entstandenen Interesse an den Indianer-sprachen, mit dem präzise Untersuchungsverfahren für gesprochene Sprachen entstanden. Bloomfield betont die Wichtigkeit einer exakten Fachsprache und der Wissenschaftlichkeit in der Sprachwissenschaft.

Der nächste große Umbruch in der Sprachwissenschaft dieses Jahrhunderts vollzog sich dann mit Noam Chomsky.

2.3 Noam Chomsky (*1928) Chomskys Buch Syntactic Structures (erschienen 1957) zeigte, dass frühere Methoden der Analyse von Sätzen unzureichend waren, weil sie bestimmte sprachliche Phänomene nicht angemessen beschreiben konnten. Hier führte Chomsky das Konzept der Oberflächen- und Tiefenstruktur ein, wonach Sätze Tiefenstrukturen (der Sinn eines Satzes) haben, die vom Sprecher in bestimmte Oberflächenstrukturen (äußere Form eines Satzes) transformiert wer-den.

Ich erkläre euch Chomskys Konzept. Chomskys Konzept wird euch von mir erklärt.

Beide Sätze haben die gleiche Tiefenstruktur, werden aber in verschiedenen Oberflächen-strukturen realisiert. Chomsky nimmt an, dass beiden Sätzen ein gleicher Kernsatz zugrunde liegt: sie sind Transformationen eines Kernsatzes. Mit diesem Konzept können Phänome-ne erklärt werden, deren Beschreibung früher Probleme aufwarf. So gibt es auch Sätze, de-ren Oberflächenstruktur gleich ist, denen aber zwei unterschiedliche Tiefenstrukturen zugrunde liegen:

John is eager to please. John is easy to please.

oder im Deutschen Heute wird das Zimmer von Holger geputzt.

Auf dem Prinzip der Transformation beruht die von Chomsky entwickelte generative Trans-formationsgrammatik (gTG). Chomsky stellt die kognitiven Fähigkeiten des Menschen bei seiner Betrachtung der Sprache in den Mittelpunkt. Er unterscheidet dabei zwischen der Kom-petenz, der ‘inneren Grammatik’, und der Performanz, der Anwendung die-

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ser Regeln. Die Kompetenz beschreibt das (unbewusste) Wissen eines Menschen über die Regeln einer Sprache, die Performanz die Anwendung dieses Regelapparats bei der Erzeu-gung von Sätzen. Chomsky betont auch die Performanzbedingungen, das heißt die indivi-duellen und situativen Bedingungen, unter denen eine sprachliche Äußerung getätigt wird und die vor allem als Störfaktoren aufgefasst werden, z. B. die ‘Tagesform’ des Sprechers, besondere Nervosität oder situative Faktoren wie Lärm oder Unterbrechungen. Im Gegen-satz zu Saussures Unterscheidung von langue und parole wird in diesem Konzept der Kreativität und der kognitiven Fähigkeit des Menschen große Wichtigkeit zugespro-chen. Es geht Chomsky im Begriff der Kompetenz vor allem auch darum, dass der Mensch fähig ist, eine unendliche Zahl neuer, ihm bisher unbekannter Äußerungen zu verstehen und zu produzieren (= generieren). Die gTG soll ein Modell dieser Kompetenz sein, sodass sich eine andere Schwerpunktsetzung als bei Saussure zeigt:

„Während der Strukturalismus das Ziel hatte, durch Analysieren von paro-le-Äußerungen das langue-System zu entdecken, ist es das Anliegen eines generativen Sprachmodells, die Kompetenz des Sprechers/Hörers nachzu-bilden. Der Strukturalismus suchte eine unendliche Menge vorliegender Sätze zu beschreiben, die gTG, eine unbegrenzte Menge von Sätzen zu er-zeugen.“11

Im Mittelpunkt stehen hier der Satz und die Fähigkeit des Menschen, aufgrund der Kompe-tenz unendlich viele ‘richtige’ Sätze bilden zu können. Chomsky verlagerte das Interesse also weg von der Sprache als System von Relationen hin zum Satz und den Fähigkeiten des Menschen. Auch begab er sich auf die Suche nach dem Wesen der Sprache, das man durch die Erforschung sprachlicher Universalien (Prinzipien, die es in allen Sprachen gibt) erken-nen könne.

Chomsky hat seine Grammatiktheorie vielfach umgearbeitet und fortentwickelt. Wer sich für den neueren Stand interessiert, sei auf die Darstellung von Grewendorf 2002 ver-wiesen.

3. Zusammenfassung und Ausblick Die Sprachwissenschaft, so sollte sich gezeigt haben, beschäftigt sich mit den unterschied-lichsten Aspekten von Sprache. Im ersten Teil des Kapitels wurden drei verschiedene Ar-beitsgebiete kurz dargestellt: Die Syntax untersucht die Struktur und die Bestandteile von Sätzen. Die Semantik widmet sich der Analyse und Beschreibung der wörtlichen Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. In der Pragmatik geht es um die Relation zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihren Verwendungssituationen.

In einem (sehr) kurzen Überblick über die Entwicklung der Sprachwissenschaft zeig-ten sich weitere Themen der Sprachwissenschaft: die Frage nach dem Wesen und dem Ur-sprung der Sprache oder sprachphilosophische Fragen nach dem Zusammenhang von Spra-che und Denken bzw. Wissen. Die grammatischen und rhetorischen Werke der Antike wa-ren lange die Grundlage für die Beschäftigung mit und die Lehre von Sprache.

Nähere Aufmerksamkeit haben wir dann zwei Sprachwissenschaftlern gewidmet, die ei-ne entscheidende Rolle in der Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft gespielt haben. Saussure wendete sich mit seinem Konzept von Sprache als System ab von der bis da-

11 Pelz 1996, S. 170.

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hin dominierenden vergleichenden Sprachwissenschaft. Er unterschied zwischen langue und parole. Langue ist das ‘Regel- und Wörterbuch’ oder der Zeichenvorrat einer Sprache (das System dieser Elemente und Beziehungen). Parole ist die Anwendung dieser Regeln sowie das Produkt dieser Anwendung (die tatsächliche Äußerung). Saussures bilaterales Zeichen-modell definiert das Zeichen als willkürliche (arbiträre) Verbindung von Signifiant und Signifié, von Lautkette und Vorstellungsbild. Sprache kann diachronisch, in ihrem histori-schen Wandel, betrachtet werden, oder synchronisch, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Spra-che besteht aus einem System von Elementen, die Beziehungen eingehen. Zwei Arten sol-cher Beziehungen wurden hier kurz angesprochen: die syntagmatischen (lineare Abfolge) und die paradigmatischen (Ersetzbarkeit).

Mit Chomsky verlagert sich das Interesse dann auf den Satz, bei dessen Untersuchung er zwischen Tiefen- und Oberflächenstrukturen unterscheidet. Auch betont Chomsky die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, der mittels der Kompetenz (der inneren Grammatik) unendlich viele richtige Sätze produzieren kann. Der Kompetenz gegenüber steht die An-wendung des inneren Regelapparats, die Performanz, die unter bestimmten Performanzbe-dingungen stattfindet.

Die Sprachwissenschaft kann also definiert werden als „wissenschaftliche Disziplin, deren Ziel es ist, Sprache und Sprechen unter allen theoretisch und praktisch relevanten As-pekten und in allen Beziehungen zu angrenzenden Disziplinen zu beschreiben“.12 Man kann die Teilgebiete der Linguistik auf verschiedene Weise gliedern. So kann man sich zum Bei-spiel an den Elementen der Sprache orientieren:

− Mit den kleinsten Elementen der Sprache, den Lauten, beschäftigt sich die Phono-logie.

− Die nächstgrößeren Elemente der Sprache sind die Morpheme, die kleinsten be-deutungstragenden Elemente, mit denen sich die Morphologie befasst. (So besteht das Wort Haustür aus zwei Morphemen, Haus und Tür; aber auch das Wort Türen besteht aus zwei Morphemen, nämlich dem Kernmorphem Tür und dem Plural-morphem -en, das die Bedeutung „Plural“ trägt: Morpheme sind also nicht mit Sil-ben zu verwechseln!)

− Aus Morphemen werden Wörter zusammengesetzt: Wortbildung − Aus Wörtern entstehen Sätze: Syntax − Aus Sätzen entstehen Texte: Die Textlinguistik befasst sich mit dem Aufbau und

der Struktur von Texten. Diese Gliederung Phonologie - Morphologie - Wortbildung - Syntax - Textlinguistik orien-tiert sich an der Hierarchie der sprachlichen Elemente (Phonem – Morphem – Wort – Satz – Text). Als weitere Beschreibungsebenen sind hier noch die Pragmatik, die die sprachliche Äußerung in ihrer Relation zur Verwendungssituation untersucht, und die Semantik, die sich mit der Bedeutung beschäftigt, zu erwähnen.

Es gibt natürlich noch andere Aspekte, unter denen Sprache erforscht werden kann. Einige weitere wichtige Arbeitsgebiete der Sprachwissenschaft, die sich hieraus ergeben, sollen hier abschließend kurz vorgestellt werden:

12 Bußmann 2002, S. 640. Auch die folgende Darstellung der Arbeitsgebiete der Linguistik orientiert sich

an Bußmanns Erläuterungen zur Sprachwissenschaft auf S. 640f.

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− Die Phonetik untersucht die physischen Bedingungen für die Sprachproduktion und Sprachrezeption.

− Die Psycholinguistik und die Neurolinguistik befassen sich mit individuellen Bedingungen der Sprachproduktion und der Sprachwahrnehmung; hierher gehört auch die Erforschung des Spracherwerbs und der Sprachstörungen.

− Die Soziolinguistik klärt den Zusammenhang zwischen Sprache und sozialen bzw. soziologischen Bedingungen.

− In der Angewandten Linguistik geht es zum Beispiel um die Didaktik des Fremd-sprachenunterrichts. Zu ihr gehört auch die Computerlinguistik, die sich mit lin-guistischer Datenverarbeitung, maschineller Übersetzung und der Simulation menschlicher Sprachfähigkeit mit Maschinen beschäftigt.

− Die historische Sprachwissenschaft betrachtet die Sprache in ihrem historischen Wandel und will diesen beschreiben (Diachronie).

Die Linguistik grenzt also an verschiedene andere wissenschaftliche Disziplinen an, z. B. an die Philosophie, die Soziologie, die Psychologie, die Informatik, die Biologie. Da wir all diese hier vorgestellten Bereiche in einem Grundkurs natürlich nicht behandeln können, werden wir uns auf die oben aufgeführten ‘klassischen’ Gebiete (an der Hierarchie der sprachlichen Elemente orientiert) und die Semantik beschränken und uns im letzten Kapitel noch mit der Sprachgeschichte beschäftigen.

4. Übungsaufgaben I. Erklären Sie die Unterscheidung l a n g u e - p a r o l e . II. Erläutern Sie die Begriffe K o m p e t e n z und P e r f o r m a n z . III. Wo setzte Chomsky andere Schwerpunkte als Saussure? IV. Sind die Modelle von Saussure und Chomsky präskriptiv oder deskriptiv? V. Erläutern Sie das Zeichenmodell Saussures. V I . Was meinen die Begriffspaare D i a c h r o n i e - S y n c h r o n i e und s y n t a g m a -

t i s c h - p a r a d i g m a t i s c h ? VII. Was ist das distinktive Prinzip? VIII. Stellen Sie das Prinzip der Oberflächen- und Tiefenstruktur an einem (von Ihnen

gefundenen!) Beispiel dar. IX. Inwiefern kann Linguistik mehr sein als Grammatikpaukerei?

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Phonetik und Phonologie von Alexandra Heising

„Hören Sie nur einmal dieses Geschöpf mit seinem Gassenjargon, einer Sprache, die sie lebenslänglich in der Gosse festhalten wird.“ (Bernard Shaw: Pygmalion)

Gliederung 1. Einleitung 2. Geschichte der Phonetik und Phonologie 3. Dialekt, Hochsprache und Normierung 4. Phonetik 5. Phonologie 6. Transkribieren 7. Zusammenfassung 8. Übungsaufgaben

1. Einleitung Sprechen ist normalerweise ein unbewusster Vorgang: Der Sprecher konzentriert sich auf Bedeutung und Inhalt seiner Sätze, weiß aber nicht, wie viele und welche Sprechwerkzeuge, also z. B. Zähne oder Lippen, beteiligt sind. Ein Muttersprachler - oder ein Fremdsprachler mit guten Kenntnissen einer Sprache - nimmt beim Zuhören (unbewusst) nebenher Dinge wie Akzent und/oder Dialekt wahr, achtet aber vornehmlich auf den Inhalt der Aussage sei-nes Gegenübers. Dies bedeutet kein Defizit, sondern ist wichtig für die Sprachproduktion, denn ohne eine derartige Automatisierung der Informationsselektion ist keine flüssige Spra-che möglich.

Phonetik und Phonologie - zwei ähnlich klingende Begriffe, die häufig im Paar auftre-ten. Beide Bereiche beschäftigen sich mit lautlichen Einheiten. Die Phonologie untersucht die Sprache als abstraktes System von lautlichen Einheiten, die Bedeutung unterschei-den, sowie deren Kombinationsmöglichkeiten. Die Phonetik dagegen hat die konkrete Umsetzung dieser Einheiten, also Produktion, physikalische Beschaffenheit und Rezeption von Schallwellen, zum Thema. Dabei geht es um jeden möglichen Laut, den der Mensch, von der Anlage seiner Sprechwerkzeuge her, hervorbringen kann1. Demgegenüber hat die Phonologie den begrenzten Phonembestand (Lautbestand) einer bestimmten Sprache zum Gegenstand.

Dieses Kapitel will die LeserInnen zum Mitmachen und Ausprobieren einladen, da der Lernerfolg sich so schneller einstellt und nachhaltiger ist. Die Erfahrung zeigt, dass zu An-fang bei den meisten Menschen eine gewisse Hemmschwelle gegenüber der lauten Artikula-

1 Jedes Kind testet im Spracherwerbsprozess seine Artikulationsmöglichkeiten und äußert dabei auch

Laute, die für andere Sprachen relevant sind, aber nicht in der Sprache vorkommen, in die es hinein-wächst. Wenn das Kind dann die Sprache seiner Umwelt übernimmt, verlernt es die Laute, die es für die Muttersprache nicht benötigt. Für den erwachsenen Fremdsprachenlerner ist es dann oft mühsam, diese Laute wieder hervorzubringen.

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tion einzelner Laute besteht, die sich aber schnell verliert. Bei den Anmerkungen in den Fußnoten handelt es sich zum größten Teil um weiterführende Bemerkungen, teilweise aber auch um Erklärungen und Literaturhinweise. Die Geschichte der Phonetik und Phonologie soll einen kleinen Einblick in den Hintergrund bieten.

Zum besseren Verständnis sei an dieser Stelle noch angemerkt, dass es sich bei Anga-ben in Schrägstrichen (/a/) um Laute oder Lautketten handelt. Grapheme, also Buchstaben, werden durch spitze Klammern gekennzeichnet (<a>).

2. Geschichte der Phonetik und Phonologie Die Phonetik ist eine alte Wissenschaft2, deren Wurzeln sich bis ins Indien des 7. Jahrhunderts v. Chr. zurückverfolgen lassen. In Europa wurde der Arzt Galen, der dem heutigen Literaturliebhaber vor allem durch seine Humoraltheorie bekannt ist, in der Phone-tik wichtig. Mit ihm erreichte das Wissen der Antike über diesen Bereich im 2. Jahrhundert einen Höhepunkt. 1775 produzierte Joshua Steele die erste Umschrift eines Intonationsver-laufes, der im 19. Jahrhundert die intensive Erforschung von Sprechen und Hören auf na-turwissenschaftlicher Basis folgte. Die Wende zum 20. Jahrhundert brachte mit Henry Sweet einen herausragenden Phonetiker hervor, der Bernard Shaw als Vorbild für Professor Higgins im Pygmalion diente. In den 30er Jahren unterschied erstmals T r u b e t z k o y die Sprechaktlautlehre (Phonetik) von der Sprachgebildelautlehre (Phonologie), was eine Aus-differenzierung der alten Phonetik in die beiden erwähnten Bereiche, nämlich einen natur-wissenschaftlichen (Phonetik) und einen geistes-wissenschaftlichen (Phonologie), zur Folge hatte; die beiden Bereiche bedingen sich aber gegenseitig. Die Entwicklung technischer Ge-räte zur Erforschung der Phonetik ist in den seitdem vergangenen Jahren immer weiter fort-geschritten. Es besteht eine Kooperation mit anderen Gebieten wie der Physiologie, der Physik und der Elektronik. Auch mit Experten der Arbeitsgebiete Computerlinguistik und künstliche Intelligenz wird zusammengearbeitet, um ‘sprechende Maschinen’ und solche Maschinen, die aufschreiben können, was sie hören, zu entwickeln. Dazu bilden die Faszi-nation solcher Maschinen und die kommerziellen Möglichkeiten, die sich den Herstellern eröffnen, den Antrieb. Die Erkenntnisse, die die Phonetik gewinnt, kommen wiederum an-deren Wissenschaften zugute. Zu einem großen Teil profitiert der Fremdsprachenunterricht von den Ergebnissen der Phonetik und Phonologie, da nun eine präzisere und leichtere Vermittlung der Aussprache möglich ist. Ein Schwerpunkt der modernen Phonetik stellt das Aufnehmen von Dialekten und indigenen3 Sprachen dar, die bisher nur in mündlicher Form existierten und endlich schriftlich niedergelegt werden können.

3. Dialekt, Hochsprache und Normierung Die Linguistik beschäftigt sich zu einem großen Teil mit geschriebener Sprache. Neue Ent-wicklungen betreffen aber immer erst die gesprochene Sprache und werden dann gegebe-nenfalls in die Schriftsprache übernommen. Außerdem stand/steht am Anfang jeder Sprach-entwicklung die mündliche Sprache. Zusätzlich verwischt die Schriftsprache einige Phäno-mene; so ist z. B. die Endung <-en> Bestandteil vieler Wörter, wird jedoch auf unterschied-

2 Linke/Nussbaumer/Portmann 1994, S. 461f, und Clark/Yallop 1995, S. 6f; zur Normierung von Sprache

vgl. Kohler 1977, S. 28ff. 3 Bei indigenen Sprachen handelt es sich um Kommunikationssysteme, die in abgeschlossenen Räumen

existieren und noch keine Verschriftlichung erfahren haben.

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liche Weise ausgesprochen, nämlich /en/, /n/4 oder /n/5. Daher wird der Beschäftigung mit der mündlichen Sprache seit einiger Zeit zu Recht mehr Bedeutung als zuvor beigemessen.

Sprache kann nur funktionieren, wenn alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft be-stimmte Normen anerkennen. Wer seine eigenen Normen aufstellt, wird bald bemerken, dass ihn niemand verstehen kann. Aber auch leichte Abweichungen von der Norm, z. B. die eines Dialektsprechers von der Hochsprache, werden im nicht-häuslichen, formalen Kontext negativ sanktioniert; dies kann von sozialer Geringschätzung, bei ländlichen Dialekten ver-knüpft mit dem Bild des rückständigen Menschen, bis zu geringen Aufstiegschancen im Beruf reichen6. Normen einer mündlichen Hochsprache werden kaum schriftlich niederge-legt; der Mensch wächst in die Gesellschaft hinein und kopiert dabei deren Sprachgebrauch. Somit sind soziale und berufliche Möglichkeiten häufig von der Umgebung, in der ein Kind bzw. ein Jugendlicher aufwächst, abhängig. Die Sprache derjenigen Gruppe einer Gesell-schaft, der das höchste Prestige zuerkannt wird, avanciert zur Hochsprache und wird von den anderen Gesellschaftsschichten nachgeahmt. Niedergelegte sprachliche Normen ent-sprechen nicht ohne weiteres der sprachlichen Realität, die einem ständigen Wandel unter-worfen ist. Theodor S i e b s legte 1898 mit seinem Werk Deutsche Bühnenaussprache sol-che Normen vor, zunächst auf die verhältnismäßig kleine Gruppe der Schauspieler zielend. Das Buch erhielt bei seiner Neuauflage 1922 den Titel Deutsche Bühnensprache - Hoch-sprache, der einen erweiterten Anspruch signalisiert. Siebs nennt als Grund für das breitere Publikum die Notwendigkeit der Herausbildung einer Nationalsprache, welche die nun ge-einte Nation, die kürzlich eine genormte Orthographie erhalten hatte, weiter verbinden soll-te7; dieser Hinweis wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gestrichen. Die 19., umgearbeitete Auflage, die 1969 durch die Herausgeber de Boor, Moser und Winkler auf den Markt ge-bracht wurde, heißt sogar nur noch Siebs Deutsche Aussprache. Einen wichtigen Beitrag zur realen Vereinheitlichung der Aussprache - denn wie viele Sprecher des Deutschen haben Siebs’ Buch gelesen? - leisteten und leisten Rundfunk und Fernsehen. Die Kehrseite ist dar-in zu sehen, dass u. a. diese Medien zur Abnahme der Zahl der Dialektsprecher beigetragen haben und damit wertvolles Wissen um Varietäten der Sprache verloren gegangen ist8. Das, was heute als Dialekt bezeichnet wird, ist häufig nur noch regionale Umgangssprache, d. h. durch die Hochsprache beeinflusster Dialekt, der außerdem moderne Fremdwörter wie Computer in seinen Wortbestand aufgenommen hat. Eine solche regionale Umgangssprache wird auch von geschulten Sprechern in informellen Situationen, wie dem häuslichen Be-reich, gesprochen. Am meisten decken sich formale und informelle Sprache in Deutschland im Raum Hannover.

4 In der unbetonten Endsilbe wird das <e> zum Murmelvokal Schwa abgeschwächt, vgl. gehen. 5 Es besteht also eine Divergenz zwischen schriftlicher und gesprochener Sprache. Zusätzlich haben sich

einige Sprachen nach der normierten Verschriftlichung von der Schreibung wegentwickelt; ein extremes Beispiel dafür ist das Englische, in dem, aufgrund des Great Vowel Shifts, die in einem Wort geschrie-benen Vokale nicht mehr mit den gesprochenen übereinstimmen.

6 Man sollte sich bewusst machen, dass keine Varietät, i. e. Variante, einer Sprache schlechter ist als die anderen. Der Status wird einer Varietät durch die Gesellschaft zugesprochen.

7 Erst auf der Rechtschreibkonferenz 1901 wurde die deutsche Orthographie vereinheitlicht. Der Sekretär der Konferenz, Konrad Duden, sorgte für die Veröffentlichung.

8 Teilweise unterstützen Fernsehen und Rundfunk aber auch diese Varietäten, nämlich durch die Aus-strahlung von in Dialekt gesprochenen Beiträgen.

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4. Phonetik Im Bereich der Phonetik unterscheidet man die artikulatorische, die akustische und die auditive Phonetik. Zunächst geht es um die Frage nach der Produktion von Sprache, ver-bunden mit der Anatomie der Sprechorgane und ihrer jeweiligen Funktion (artikulatorische Phonetik). Ferner werden die entstehenden Schallwellen und deren Übertragung untersucht (akustische Phonetik). Schließlich interessiert man sich für die Vorgänge bei der Rezeption von Sprachschall (auditive Phonetik). Ein Sprecher möchte etwas mitteilen; es wird in Spra-che codiert, übertragen und vom Hörer decodiert. Ein unterschiedlicher Code führt zu ge-genseitigem Nicht-Verstehen der Gesprächspartner. Die Schallwellen, die beim Sprechen entstehen, können mithilfe eines speziellen Schreibgerätes aufgezeichnet werden, wobei ein Oszillogramm entsteht, das jeden Laut mit vielen Ausschlägen, die ein An- und Abschwel-len des Tones anzeigen, abbildet9.

Der Mensch bedient sich zum Sprechen der Sprechwerkzeuge, deren Primärfunktion in der Atmung und Verdauung liegt: Lunge, Kehlkopf, Zunge, Zähne, Lippen etc. Diese Sprechwerkzeuge können eingeteilt werden in bewegliche/aktive - z. B. die Zunge - und unbewegliche/passive Werkzeuge, wie die Zähne. Der Phonationsstrom, also der Luft-strom, der zur Erzeugung von Tönen notwendig ist, wird im Mundraum modifiziert. Dies ist sowohl beim Ausatmen (exhalatorisch), als auch beim Einatmen (inhalatorisch) möglich; die meisten Sprachen machen sich aber nur die ausströmende Luft zunutze10. Die Benen-nung der einzelnen Mundregionen und Sprechwerkzeuge ist aus der unten stehenden Zeich-nung zu ersehen. Man kann ihre Lage genau zuordnen und memorieren, indem man ganz bewusst mit der Zunge durch den Mundraum fährt.

9 Das menschliche Gehör ist so feinsinnig, dass es beim bloßen Hören einer Stimme bereits beim dritten

Ausschlag des ersten Lautes erkennt, ob es sich beim Sprecher um einen Mann oder eine Frau handelt. Der vierte Ausschlag macht klar, ob die Person bekannt ist oder nicht. Am Telefon dauert der Erken-nungsvorgang bisweilen etwas länger, weil das Gerät die höchsten und tiefsten Frequenzen nicht über-trägt.

10 Inhalatorisch artikulierte Wörter signalisieren im Deutschen, wie in vielen anderen Sprachen, lediglich den Unwillen des Sprechers.

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Abbildung: Querschnitt durch den Mund- und Rachenraum11

Die bekannteste Einteilung von Lauten ist die in Vokale (selbstklingende Laute; lat. vox = die Stimme) und Konsonanten (lat. con-sonare = mitklingen). Bei Vokalen kann der Phonations-strom ungehindert durch den Mundraum fließen. Zur Artikulation von Konsonanten dagegen werden Hindernisse aufgebaut. Außerdem gibt es bei letzteren zumeist zwei Phonationsvari-anten: eine stimmhafte - z. B. /b/ - und eine stimmlose - hier /p/ -, wobei der Ort, an dem das Hindernis aufgebaut wird, derselbe ist12. Die folgenden Beschreibungen können besser nach-vollzogen werden, wenn man die entsprechenden Laute ganz bewusst und laut artikuliert. Die nun vorzustellende Klassifizierung erfolgt nach der Artikulationsart. Bei Plosiven / Ver-schlusslauten (z. B. /p/) wird ein Hindernis aufgebaut, das den Luftstrom zunächst unterbindet und das dann ‘explodiert’, ‘weggesprengt wird’. Frikative / Reibelaute (z. B. /f/) werden durch einen Luftstrom erzeugt, der an einem nicht ganz geschlossenen Hindernis vorbeifließt. Ist der Mundraum geschlossen, so entweicht die Luft durch die Nase, und es entstehen die Nasale. Andere Konsonanten können bei geschlossenem Mundraum nicht artikuliert werden. /n/, /m/ und der velare Nasal, wie er z. B. im Wort Finger erscheint - das /g/ wird in der Kom-bination /n/ + /g/ nur andeutungsweise gesprochen -, können bei geschlossenem Mundraum und zusätzlich zugehaltener Nase, durch die die Luft eigentlich entweichen muss, auch nicht mehr artikuliert werden. Als Liquide werden die Laterale und Vibranten zusammengefasst. Laterale (/l/) werden gebildet, indem der vordere Zungenteil

11 Volmert 1995, S. 66. 12 Da die stimmhaften Konsonanten den Vokalen ähnlicher sind als den stimmlosen Konsonanten, treffen

einige Phonetiker nicht die Unterscheidung in die ‘klassischen’ Kategorien Vokale und Konsonanten, sondern in Vokoide (Vokale und stimmhafte Konsonanten) und in Kontoide (stimmlose Konsonanten). Diese Einteilung geht auf den amerikanischen Phonetiker Kenneth Pike zurück.

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unter den Zahndamm geschoben wird. Die Luft kann leichter ausströmen als bei den Frika-tiven. Zur Bildung von Vibranten (/r/) vibriert ein Sprechwerkzeug, nämlich entweder das Zäpfchen beim standarddeutschen /r/ oder die Zungenspitze beim /r/ der süddeutschen Dia-lekte und romanischen Sprachen. Die letzte wichtige Gruppe - einige Einteilungen kennen allerdings noch weitere Untermengen - sind die Affrikaten (z. B. /ks/), die durch eine Kombination aus Plosiv und Frikativ entstehen. Zusätzlich zur gerade beschriebenen Klassi-fizierung nach der Artikulationsart werden K o n s o n a n t e n durch die Angabe des Artiku-lationsortes, also der Benennung der Stelle im Mund- oder Rachenraum, an der das Hin-dernis aufgebaut wird, und durch die Angabe stimmhaft/stimmlos definiert:

/p/ bilabialer (mit beiden Lippen gebildeter) Plosiv, stimmlos

Plosive Frikative Nasale Laterale Vibranten Affrikaten bilabial p b m

labio-dental f v (<w>) pf

alveolar t d s (<ß>)

z (weiches <s>)

n l r (Reibe –r)

ts

palato-alveolar (<sch>)

(Garage)

palatal (ich)

j

velar k x (ach)

(velarer Nasal, s.o.)

ks

uvular (Zäpfchen –r)

glottal (Knacklaut)

h

Abbildung: Tabelle der im Deutschen auftretenden Konsonanten13

Für die Klassifizierung von V o k a l e n werden der sich am höchsten befindliche Zungen-teil (Vorder-, Mittel-, Hinterzunge), die Zungenhöhe im Mundraum (geschlossen [die Zun-ge liegt unter dem Gaumen], halb-geschlossen, halb-offen, offen [die Zunge liegt entspannt im Mund]) sowie die Lippenstellung (gerundet, ungerundet/gespreizt) angegeben.14 Bedeu-

13 Auf der linken Seite steht jeweils die stimmlose, rechts die stimmhafte Variante eines Lautes. Lediglich

bilabiale und labio-dentale Laute werden ohne Zungenbeteiligung gebildet. /t∫/ und seine stimmhafte Variante treten im Deutschen lediglich in Fremdwörtern auf (z. B. Cha-cha-cha). Außerdem besteht die Diskussion, ob es sich bei /tr/ und /dr/ um eigenständige Phoneme (vgl. Abschnitt Phonologie) handelt. /v/ entspricht der Lautung des dtn. <w>, zu dessen Bildung die Unterlippe die Schneidezähne berührt. /w/, das in dieser Tabelle nicht erscheint, ist das phonetische Symbol für das englische bilabiale <w>. Im Englischen sind /v/ und /w/ Laute, die bedeutungsunterscheidende Funktion besitzen (wine (der Wein) - vine (die Rebe)); zur bedeutungsunterscheidenden Funktion vgl. Kap. Phonologie). Da es im Deutschen diese Unterscheidung nicht gibt, sprechen deutsche Muttersprachler im Englischen zunächst sowohl für <w> als auch für <v> das neuerlernte /w/. Es bedarf gezielter Übungen, dies zu unterbinden. /ts/ ist die deutsche Lautung des Buchstabens <z>. Für das stimmlose <s> steht das Symbol /s/, für das stimmhafte <s> dagegen das Symbol /z/.

14 Durch Ausprobieren ist leicht nachzuvollziehen, dass der einzige Unterschied zwischen /i:/ und /y:/ (= <ü>) in der Lippenstellung liegt. Die Position der Zunge im Mundraum muss nicht verändert werden, sondern einzig die bei /i:/ gespreizten Lippen müssen zum /y:/ gerundet werden.

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tungsunterscheidung entsteht in vielen Sprachen nicht nur durch die Veränderung der Stel-lung der Sprechwerkzeuge, sondern auch durch die Quantität, d. h. die Länge bei der Arti-kulation, vgl. dt. kann (/kan/) und Kahn (/ka:n/). Hier liegt der gleiche Vokal vor, aber die unterschiedliche Länge wirkt bedeutungsunterscheidend.

Im Vokaltrapez werden die für die Erzeugung der Vokale notwendigen Zungenhöhen dargestellt. Das Trapez symbolisiert den Mundraum, wobei die Seite, die als höchsten Punkt das /i:/ trägt, die den Zähnen zugewandte ist. Da sich die Vokale in verschiedenen Sprachen nie hundertprozentig decken, sondern jeweils etwas höher bzw. etwas tiefer liegen15, hat der Phonetiker Daniel J o n e s acht Kardinalvokale festgelegt, bei denen es sich um genau de-finierte Punkte handelt, die nicht einer bestimmten Sprache entstammen und die als Fix-punkte dazu dienen, die Lage der Vokale in den Sprachen in Relation zu diesen Punkten festzulegen. Zum besseren Nachvollziehen des Vokaltrapezes ist es hilfreich, zunächst ein /i:/ zu bilden und anschließend die Zunge immer tiefer sinken zu lassen. Es entsteht ein klangliches Kontinuum, das mit einem /a/ endet. Das Gleiche sollte im Anschluss im hinte-ren Teil des Mundes ausprobiert werden, wo das Kontinuum von /u/ über /o/ zu /a/ führt. Nun gibt es im Sprachgebrauch auch Laute, die aus mehr als einem Vokal bestehen (z. B. /a°/ in Baum), genauer: zu deren Bildung von einem Vokal zu einem anderen ‘geglitten’ wird; diese Kombinationen heißen daher auch Gleitlaute oder Diphthonge (Doppellaute). Der zweite Teil des Diphthonges erhält weniger Gewicht und Länge als der Erste. Im Vo-kaltrapez werden Doppellaute durch Pfeile von der ersten zur zweiten Komponente darge-stellt. Einzelne Vokale werden als Monophthonge bezeichnet.

Artikulationsart

vorn zentral/neutral hinten

Lippen-beteiligung

ungerundet gerundet

[i:] bieten [y:] fühlen [u:] Ruhm

hoch [I] bitten [y] füllen

[] Rum

eng, geschlossen

[e:] beten [Ø:] Öl [o:] rot

mittel

[ə] murmeln mittel

[ε] Betten [œ] Götter [] Rotte

[ε:] bäten

tief [γ] Uhr offen

[a] Ratte [a:] Rat

Abbildung: Vokaltrapez16

Wenn ein Mensch spricht, so artikuliert er nicht einzelne, voneinander abgesetzte Laute, sondern einen kontinuierlichen Redefluss, innerhalb dessen sich die einzelnen Laute gegen-seitig beeinflussen. Niemand sagt /u --- m/, wenn er das Wort um sprechen möchte. Wäh- 15 Hierin liegt einer der Gründe für das Entstehen eines Akzentes beim Erlernen einer Fremdsprache. 16 Volmert 1995, S.72.

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rend der Artikulation verschiebt sich das /u/ zum /m/ hin. So werden beim Wort Senf von den meisten Menschen /n/ und /f/ zu /mf/ verschliffen. Das geschieht aus sprachökonomi-schen Gründen, denn /m/ und /f/ liegen näher beieinander als /n/ und /f/, sodass der Wech-sel schneller erfolgen kann. Ein solches Verschieben von Lauten, das beim Artikulieren von Lautketten erfolgt, wird als Koartikulation bezeichnet. Auch andere Phänomene sind in diesem Zusammenhang zu beobachten: Bei lachen wird häufig das <e> in der unbetonten Schlusssilbe zum // (Schwa), einem Laut, der auch entsteht, wenn man einfach nur den Mund öffnet, ohne eine bestimmte Artikulationsabsicht zu haben und ohne den Phonations-strom zu modifizieren, oder es entfällt ganz.

Die Beschäftigung mit nicht-indoeuropäischen Sprachen hat zu einer größeren Beach-tung der zusätzlichen Merkmale, die für eine Äußerung von Bedeutung sind, geführt. Das Chinesische, das hier als Beispiel dienen soll, gehört zu den Tonsprachen. Diese unterschei-den Bedeutung auch durch Tonhöhe17. Das kantonesische Chinesisch kennt sechs Tonhö-hen, die einem ansonsten gleich lautenden Wort eine je andere Bedeutung geben. Für Nicht-Muttersprachler des Chinesischen, die nicht in dieses Tonsystem hineingewachsen sind, ist es sehr schwer, Bedeutungsunterschiede zu erkennen. In unserem Raum ist die Intonation ‘nur’ wichtig für die Übermittlung von Emotionen und für grammatische Kontraste, also zur Kennzeichnung von Einheiten wie den Satzteilen. Außerdem wird so die Mitteilungsstruk-tur - welche Information in einem Satz neu ist, welche alt - deutlich und Sinneinheiten beim Vorlesen längerer Texte werden gekennzeichnet. Der Tonhöhenverlauf gehört zu den so genannten Suprasegmentalia, also Aussprachemerkmalen, die größere Einheiten berühren als einzelne Phoneme. Insgesamt bestimmen sie die Prosodie. Das sind sprachliche Eigen-schaften wie Sprechtempo, Rhythmus, Quantität, Akzent und Lautstärke, die sich über mehr als ein einzelnes Element erstrecken. Damit vermittelt der Sprecher dem Hörer zusätzlich zum Inhalt der Aussage eine Intention.

5. Phonologie Wie bereits erwähnt, beschäftigt sich die Phonologie mit dem Lautbestand einer einzelnen Sprache. Dabei wird ein Laut, der in einer bestimmten Sprache bedeutungsunterscheidend ist - in einer anderen Sprache muss er es nicht zwangsläufig auch sein18 - Phonem genannt. Phoneme werden als die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten definiert. Ein Phonem ist eine abstrakte Einheit, eine Art Idealtypus eines Lautes, der existiert, weil ihn alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft anerkennen. Nach Saussures Konzept ist das Pho-nem der langue-Ebene zuzuordnen. Sobald ein Phonem artikuliert wird, entspricht es nicht mehr diesem Idealtypus, denn jeder Mensch spricht einen bestimmten Laut etwas anders aus, und selbst er äußert denselben Laut in seinem ganzen Leben nie zweimal auf die exakt gleiche Weise. Ein solcher geäußerter Laut heißt folglich auch nicht mehr Phonem, son-dern Phon19. Bei Saussure ist er der parole-Ebene zuzuordnen. Phone werden deshalb von

17 Der Fachterminus dafür lautet musikalischer Akzent. Die indoeuropäischen Sprachen kennen nur den

dynamischen Akzent, also die Betonung von wichtigen Silben und Satzteilen durch größere Lautstär-ke, wodurch aber nicht Bedeutung unterschieden wird.

18 In den afrikanischen indigenen Sprachen z. B. bilden Schnalzlaute, die im Deutschen nur Ausdruck von Stimmungen oder Aufforderungen an Pferde sind, eigene Phoneme.

19 Möchte man einen bildlichen Vergleich wagen, so bietet sich der mit dem Zusammenspiel eines Orches-ters an: Die langue entspricht / die Phoneme entsprechen der Partitur, die das Gerüst für das Funktionie-

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der Phonetik untersucht. Manchmal stößt man auf Laute, die zwar verschieden klingen, aber nicht bedeutungsunterscheidend sind, wie es bei ich-Laut (// ; Lautung von <ch> in sich) und ach-Laut (/x/; Lautung von <ch> in Bach) der Fall ist. Die beiden Laute sind komple-mentär verteilt, nämlich in Abhängigkeit von ihrer Umgebung; so steht /x/ mit dunklen Vo-kalen (/a/, /o/, /u/) in Verbindung, während // nach hellen Vokalen (/i/, /e/) gesprochen wird. Hält man sich nicht an diese Regel, wird man als Dialektsprecher oder als Nicht-Muttersprachler identifiziert, aber trotzdem gut verstanden.20 Solche unterschiedlich klin-genden, aber nicht bedeutungsunterscheidenden Laute heißen Allophone21 (allo- = ver-schiedenartig).

Der Strukturalismus geht davon aus, dass alles nur in Opposition zu etwas anderem e-xistieren kann. Ein Phonem kann nur als solches erkannt werden, weil es durch ein be-stimmtes Merkmal von einem anderen Phonem, durch andere Merkmale von wieder ande-ren Phonemen abgrenzbar ist. So unterscheidet sich das Phonem /b/ vom Phonem /p/ durch Stimmhaftigkeit, von /n/ durch Artikulationsort und -art etc. Daher wird das Phonem auch als Bündel distinktiver - unterscheidender - Merkmale angesehen. Das Phoneminventar einer Sprache, d. h. die Summe aller bedeutungsunterscheidenden Einheiten, die einer be-stimmten Sprache zugrunde liegen, kann durch Segmentieren ermittelt werden. Die Struk-turalisten wollten die Indianersprachen Nordamerikas nicht mehr auf dem Hintergrund der lateinischen Schulgrammatik untersuchen.22 So fragten sie nicht nach der Bedeutung der Worte, sondern schrieben Lautketten in phonetischer Umschrift auf, die sie zu segmentieren suchten (hier ein deutsches Beispiel):

/ maιn’ha°sιst’gryn / (Mein Haus ist grün.) / maιn’ha°sιst’bla° / (Mein Haus ist blau.)

Den beiden Äußerungen ist der erste Teil gemeinsam, während der zweite verschieden ist, der nun von den Strukturalisten durch Striche abgetrennt wurde.

ren des Zusammenspiels bildet / bilden, während die tatsächliche Aufführung des Stückes für die parole / die Phone steht.

20 Durch Hören erwirbt sich der Sprecher eine Kompetenz für die Distribution (lat. distribuere = vertei-len), also die Verteilungs-/ Kombinationsmöglichkeiten von Phonemen in einer Sprache.

21 In einen bildlichen Vergleich umgesetzt, könnte man sich eine Party der germanistischen Linguistik vorstellen. Einladungen sind nur an die StudentInnen der germanistischen Linguistik verschickt worden, und das Studium dieses Faches ist auch Voraussetzung für den Einlass. Die abstrakte Voraussetzung, StudentIn der germanistischen Linguistik zu sein, entspricht dem P h o n e m . An der Eingangstür zum Partyraum herrscht starkes Gedränge. Nun werden die StudentInnen der germanistischen Linguistik, die eine konkrete Manifestation der abstrakten Voraussetzung sind und somit dem P h o n entsprechen, ein-gelassen, während alle anderen den Abend vor der Tür verbringen müssen - sie gehören nicht zur Men-ge der Phone StudentIn der germanistischen Linguistik. Betrachtet man die StudentInnen im Partyraum genauer, so wird man feststellen, dass sie zwar dasselbe Fach studieren, aber unterschiedlich weit im Studium fortgeschritten sind. In einer Ecke des Raumes gruppieren sich die StudentInnen, die sich im Grundstudium befinden, während sich diejenigen, die das Grundstudium bereits abgeschlossen haben, in der gegenüberliegenden Ecke sammeln. Die ‘Phone’ StudentIn der germanistischen Linguistik verteilen sich also komplementär im Raum; insofern sind sie mit den Allophonen zu vergleichen.

22 Vor der Entdeckung des Sanskrit betrachtete man das Lateinische als die reinste und ursprünglichste Sprache. Folglich versuchte man, alle anderen Sprachen in das Korsett der lateinischen Grammatik zu zwängen, was zu solchen Absurditäten wie einem deutschen Vokativ (o Tisch!) führte. Mit Beginn der Erforschung anderer Sprachsysteme nahm man davon Abstand.

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/ maιn’ha°sιst|’gryn| / / maιn’ha°sιst|’bla°| /

Ein Informant, ein Muttersprachler, wurde anschließend befragt, ob die segmentierten Teile für sich selbst etwas bedeuteten. Dieses Segmentierungsverfahren wurde fortgesetzt, bis man zu den kleinsten lautlichen Einheiten gelangt war und so alle Phoneme der Sprache ermittelt hatte: Einzelne Phoneme können durch Minimalpaarbildung erschlossen werden, also indem man kleine Lautketten vergleicht, die sich in nur einem einzigen Laut unter-scheiden. Dabei werden die Minimalpaare nicht von Wörtern, sondern von Lauten gebildet.

/ |m|aιn / (mein) / |h|a°s / (Haus) / |d|aιn / (dein) / |l|a°s / (Laus)

Gibt der Informant nun wiederum an, es handle sich bei den Lautketten um verschiedene Wörter, so kann man sicher sein, dass die Laute /m/ und /d/ bzw. /h/ und /l/, die nun durch Segmentierung abgetrennt werden, in seiner Sprache bedeutungsunterscheidend und damit Phoneme sind.

In jeder Sprache gibt es bestimmte Regeln dafür, wie Laute kombiniert werden kön-nen. Diese Regeln sind nicht für alle Sprachen deckungsgleich. Der Zweig der Linguistik, der sich mit diesen Regeln beschäftigt, wird Phonotaktik genannt. Die einfachste mögliche Kombinationsstruktur für Laute besteht aus Konsonant und Vokal. Im Deutschen treten häufig Konsonantenanhäufungen, so genannte Konsonanten-Cluster, auf, wie in /akst/ (Axt). Diese sind für Muttersprachler von Sprachen, die derartige Cluster nicht enthalten, äußerst schwierig zu artikulieren und sogar zu hören. Sowohl japanische als auch türkische Kinder haben deshalb in der Schule häufig Rechtschreibprobleme. So schreiben sie, da sie deutsche Wörter analog zu ihrer Muttersprache rezipieren, beim Diktat *Bulume23 statt Blume. Hier kann die Phonologie der Lehrerin bzw. dem Lehrer helfen, sich selbst genauso wie dem Kind oder dem Jugendlichen diese Probleme zu veranschaulichen und sie zu überwinden.

Ein relativ neues Interesse der Phonologie gilt nicht mehr nur dem einzelnen Phonem, sondern auch der Silbe, wie sie in einer bestimmten Sprache auftreten kann. Die Silbe ist die „[p]honetisch-phonologische Grundeinheit des Wortes bzw. der Rede, die zwar intuitiv nachweisbar ist, wissenschaftlich aber nicht einheitlich definiert wird“24. Sie kann in Sil-benkopf, Silbenkern und Silbenkoda (Silbenende) eingeteilt werden. Der Silbenkern (Vokal) besitzt die größte Schallfülle und wird von schallschwächeren Marginalphonemen umgeben. Die Quantität des Vokals bestimmt die Schwere der Silbe. In der Silbe /kan/ (kann) bildet /k/ den Silbenkopf, /a/ den Silbenkern und /n/ die Silbenkoda. Der kurze Vokal besitzt geringe Quantität.

Ein interessantes Phonem des Deutschen ist der glottale Plosiv, auch als Glottis-verschluss oder Knacklaut bezeichnet. Weil man ihn nicht einzeln artikulieren kann, wird er häufig übersehen. Wenn man zunächst die Worte der Adler wie gewohnt ausspricht und dabei die Hand auf die Kehle legt, wird man vor der Artikulation des Wortes Adler ein leichtes Knacken im Hals spüren können. Ein bewusstes Entfallenlassen dieses Knacklautes führt zu einer Bedeutungsänderung: aus /dea’⎫a:dlea/ wird /dea’ra:dlea/ (der Radler). 23 Ein hochgestelltes Sternchen vor einem Wort deutet entweder an, dass das Wort falsch ist, oder dass es

sich um ein rekonstruiertes Wort aus einer nicht aus Quellen belegten Sprachstufe, wie dem Indoeuropä-ischen, handelt. Eindeutig als richtig identifizierbare Wörter aus nicht verschrifteten Sprachen, z. B. den indigenen der heutigen Zeit, erhalten kein Sternchen.

24 Bußmann 2002, S. 600.

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6. Transkribieren Nicht immer entspricht ein Buchstabe (Graphem) einem Laut (Phonem). Manchmal bedarf es einer ganzen Buchstabenfolge, um einen einzigen Laut darzustellen, wie es beim Laut // vorkommt, der durch <sch> wiedergegeben wird. Genauso kann der umgekehrte Fall eintre-ten: Ein Buchstabe, z. B. <z>, steht für eine Lautfolge, in diesem Fall /ts/. Hinzu kommt, dass viele Buchstaben in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgesprochen werden. Also suchte man nach einem System, mit dessen Hilfe Laute unabhängig von der lateini-schen Alphabetschrift sowie überhaupt von der Umsetzung von Lauten in Schrift in einer bestimmten Sprache dargestellt werden können. Es wurden analphabetische Transkrip-tionssysteme entwickelt, wie das von Jespersen aus dem Jahre 188925. Diese Systeme wur-den noch lange weiterentwickelt - so gibt es noch einen Versuch von Pike aus dem Jahre 1943 -, konnten sich aufgrund ihres Schwierigkeitsgrades und ihrer Komplexität jedoch nicht durchsetzen. Erfolgreicher waren die alphabetischen Systeme, z. B. das von Bell, der so einen Beitrag zur besseren Schulung Gehörloser leisten wollte. Die meisten der alphabe-tischen Transkriptionssysteme entstanden auf der Grundlage des lateinischen Alphabetes, so auch das der IPA (International Phonetic Association), einer 1886 von Fremdsprachenleh-rern gegründeten Gruppe, die unter Mitwirkung von Phonetikern wie Sweet und Jespersen ein phonetisches Umschriftsystem entwickelten, das dem Erlernen von Fremdsprachen und dem Notieren von mündlichen Sprachen zuträglich sein sollte. 1888 erschien die erste Fas-sung des IPA (International Phonetic Alphabet), das immer wieder erweitert wurde und auch heute noch in Lehrbüchern für den Fremdsprachenunterricht verwendet wird. Das Sys-tem bedient sich, zusätzlich zur lateinischen Basis26, griechischer Buchstaben, Runenzei-chen27, Neuschöpfungen und diakritischer Zeichen; letztgenannte sind Symbole zur Kenn-zeichnung von Länge, Betonung, Nasalierung etc. Ein Name, den man sich in diesem Zu-sammenhang merken sollte, ist Daniel Jones. Dieser Phonetiker legte 1956 eine Fassung des IPA vor, die weitgehend der heutigen entsprach. Sie wurde 1962 noch einmal durch Arnold Gimson modifiziert und wird seitdem fast unverändert verwendet. Leider sind im Verlauf der Entwicklung des IPA teilweise spontane Änderungen vorgenommen worden, die der Systematik des Systems streckenweise abträglich sind.

Bei der Durchführung einer Transkription ist zu beachten, dass nicht jeder Laut für sich artikuliert wird, sondern Teil eines Kontinuums ist. Daher wird z. B. ein Vokal, wenn er nicht Haupttonvokal, also Vokal in der betonten Silbe eines Wortes, ist, nicht in seiner vollen Quan-tität und Qualität gesprochen. Im Satzzusammenhang können unbetonte Vokale, mit Ausnah-me des /ι/, sogar zum // werden, dem Laut, der in der Mitte des Vokaltrapezes zu finden ist und von dem aus der Artikulationsfluss schnell zu allen anderen Lauten hingelenkt werden kann. Im Deutschen wird außerdem das /r/ in der Silbenkoda nicht mehr gesprochen. Gängig ist die Andeutung des Lautes durch ein kleines hochgestelltes <a>. Da die

25 Wem eine der frühen Verfilmungen von Bernard Shaws Pygmalion bekannt ist, wird sich an die phone-

tischen Zeichen erinnern, die Professor Higgins’ Wände zieren: Versuche, durch einen senkrechten Strich die Zungenstellung im Mund, der durch einen Bogen symbolisiert wird, zu Papier zu bringen.

26 Die Zeichen besitzen nicht durchgängig den gewohnten Lautwert. 27 Die englische Schrift hatte auf der Entwicklungsstufe des Altenglischen einige keltische Runenzeichen,

bei denen ursprünglich jedes einen Gegenstand symbolisierte, z. B. den heiligen Baum Esche, als Schriftzeichen integriert. Im Altenglischen standen diese Zeichen nicht mehr für einen Gegenstand, sondern nur noch für einen Laut. Das thorn (//) z. B., das Runenzeichen für den Dorn, stellte nun das stimmlose <th> dar. In dieser Funktion ist das Zeichen auch in das IPA eingegangen.

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zweite Komponente eines Diphthonges weniger Gewicht erhält, wird sie ebenfalls durch einen kleinen hochgestellten Buchstaben symbolisiert. Auch hier decken sich nicht immer Buchstabe und Laut: <au> wird im Standarddeutschen /a°/ gesprochen. Beim Transkribie-ren ist außerdem zu berücksichtigen, dass das Deutsche keine stimmhaften Plosive, Frikati-ve und Affrikaten in der Silbenkoda kennt, was als Auslautverhärtung bezeichnet wird: die Bänder (/d/) - das Band (/t/)28.

Die Haupttonsilbe eines Wortes wird mit einem hochgestellten kleinen Strich markiert, Nebentonsilben, d. h. Silben in mehr als zweisilbigen Wörtern, die auch eine (schwächere) Betonung erhalten, mit einem tiefgestellten Strich:

/’le:amιtl,ra°m/ (Lehrmittelraum)

Ein langer Vokal erhält einen nachgestellten Doppelpunkt, ein halblanger Vokal nur den oberen Punkt des Doppelpunktes, ein kurzer Vokal wird gar nicht weiter gekennzeichnet. Bei diesen Symbolen handelt es sich um diakritische Zeichen. Da die Länge des Vokales damit deutlich wird und Doppelkonsonanten nicht als solche gesprochen werden, sondern hauptsächlich dazu dienen, die Länge des vorhergehenden Vokales zu definieren, werden sie in der Umschrift lediglich als einfache Konsonanten vermerkt.

Wie beschrieben, äußert kein Mensch einen Laut zweimal auf dieselbe Weise. Der Hö-rer ist aber in der Lage, zu abstrahieren und das im Hintergrund stehende Phonem, sozusa-gen als Muster, zu erkennen. Für die Dialektologie und andere Forschungsgebiete ist es wichtig, Unterschiede wie verschiedene Aussprachemöglichkeiten des <r>, das stimmhafte frikative <g> im Berliner Dialekt („Sagen [y] Se mal“) oder stellungsbedingte Allophone wie // oder /x/ exakt zu dokumentieren, während für eine Transkription für den Fremd-sprachenunterricht die Wiedergabe der Abstraktion, die jeder Hörer für sich leistet, sinnvoll ist29. Die genaue Niederschrift der Aussprache bezeichnet man als enge oder allophonische Transkription; sie wird durch eckige Klammern ( [x] ) gekennzeichnet. Im Gegensatz zum Gebrauch in den meisten Fremdsprachenlehrbüchern wird die abstrahierte, weite oder pho-nematische Transkription durch Schrägstriche ( /x/ ) markiert. Die Schrägstriche oder Klammern stehen am Anfang und am Ende des transkribierten Wortes bzw. Textes, sie werden nicht um jedes einzelne Lautsymbol herum platziert. Bei der Transkription kann der Tonhöhenverlauf fakultativ durch auf- und absteigende Pfeile angedeutet werden.

28 Im Mittelhochdeutschen wurden die Wörter mit Auslautverhärtung noch mit dem entsprechenden

stimmlosen Konsonanten geschrieben (e. g. tac - tages (Tag- Tages)), was aber in der Schreibung per Analogieausgleich - Varianten desselben Wortes sollten leichter als solche erkannt und daher analog geschrieben werden - bereinigt wurde.

29 Hier werden sowohl ich- als auch ach-Laut durch ein /x/ wiedergegeben.

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7. Zusammenfassung Die frühesten Nachweise phonetischer Beschäftigung stammen bereits aus vorchristlicher Zeit; bei der heutigen Differenzierung in Phonetik und Phonologie jedoch handelt es sich um eine relativ junge Einteilung, die Anfang dieses Jahrhunderts entstand. Die naturwissen-schaftlich orientierte P h o n e t i k beschäftigt sich mit den physikalischen Voraussetzungen von Sprache im Allgemeinen, ihre Ergebnisse haben also Gültigkeit für alle Sprachen. Selbstverständlich können aber auch Einzelsprachen phonetisch betrachtet werden. Man unterscheidet die artikulatorische, die akustische und die auditive Phonetik. Zum Sprechen bedient der Mensch sich seiner Sprechwerkzeuge. Die dabei entstehenden Laute können in Vokale und Konsonanten eingeteilt werden, wobei erstere nach zur Artikulation eingesetz-tem Zungenteil, Zungenhöhe, Lippenstellung und Quantität bestimmt werden. Konsonanten werden nach Artikulationsort, Artikulationsart und Stimmhaftigkeit klassifiziert.

Die P h o n o l o g i e , die geisteswissenschaftlich orientiert ist, deckt das begrenzte Ge-biet des Phoneminventars einer bestimmten Sprache und dessen Kombinations-möglichkeiten (Arbeitsgebiet der Phonotaktik) ab. Trotzdem kann sich die Phonologie auch mit mehreren Sprachen befassen, z. B. im Vergleich. Die Phonetik bezieht sich auf die paro-le, und damit auf die Wirklichkeit des Sprechens. Die Phonologie hingegen bewegt sich auf der Ebene der langue, betrachtet also die Möglichkeiten der Sprache. Beide Ebenen bedin-gen einander. Während es sich beim Phonem, das kraft Anerkennung einer Sprachgemein-schaft existiert, als Bündel distinktiver Merkmale definiert und durch Minimalpaarbildung erschlossen wird, um ein Element der langue handelt, ist das Phon der konkret geäußerte Laut auf der parole-Ebene. Die Allophone sind unterschiedlich klingende Laute, die zum Teil in ihren Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Lauten festgelegt sind, aber nicht be-deutungsunterscheidend wirken.

Zur phonetischen Umschrift wurden verschiedene Systeme entwickelt. Es setzte sich schließlich das IPA (International Phonetic Alphabet) durch.

8. Übungsaufgaben I. Unterscheiden Sie Phonetik und Phonologie. II. Worin besteht der Unterschied zwischen Phonem und Phon? III. Welchen Arbeitsbereich deckt die Phonotaktik ab? IV. Bestimmen Sie die Konsonanten: /b/, /f/, /n/. V. Zeichnen Sie ein Vokaltrapez und ordnen Sie die Haupttonvokale folgender Wörter

zu: Universität, Germanistik, Aktenordner, Unwissenheit. VI. Transkribieren Sie Ihren Namen.

(Während Aufgaben I-III Beispiele für mögliche Klausuraufgaben sind, sollen IV-VI die Möglichkeit bieten, einmal selbstständig und spielerisch mit dem dargebote-nen Stoff umzugehen. Die für die letzten drei Aufgaben erforderlichen Kenntnisse müssen nicht auswendig gelernt werden.)

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Morphologie

von Alexandra Heising

”it out-herods Herod” (William Shakespeare: Hamlet)

Gliederung 1. Einleitung - worum es im dritten Kapitel geht 2. Kernmorpheme, Flexionsmorpheme und anderes – Buntes aus dem Wörterbaukasten 3. Donaudampfschifffahrtskapitänskajüten und die Wortbildung 4. Ein kurzer Einblick: Die Bereiche der Morphologie 5. Die praktische Anwendung. Konstituentenanalyse 6. Zur Erinnerung. Zusammenfassung 7. Übungsaufgaben

1. Einleitung - worum es im dritten Kapitel geht Neben der Syntax, der Lehre vom Bau der Sätze einer Sprache, handelt es sich bei der Mor-phologie um den ältesten Bereich der Grammatik. Der Begriff Morphologie wurde von Goethe geprägt und bezog sich zunächst lediglich auf den naturwissenschaftlichen Sektor. Dort bezeichnete er die Lehre von den Formen, also die Lehre vom Aufbau von Pflanzen und Tieren. Im 19. Jahrhundert in die Sprachwissenschaft übertragen, beinhaltet die Mor-phologie nun auch die Lehre vom Aufbau der Wörter.

Am geläufigsten ist die Aufteilung von Wörtern in Sprechsilben. Ein spontan um die Einteilung des Wortes Hunde gebetener Nicht-Linguist wird die Aufspaltung in /hun/ (Hun-) und /d/ (-de) vornehmen. Allerdings wird damit nicht dem Inhalt Genüge getan. Vielmehr trägt der Teil /hunt/ (Hund) die eigentliche Bedeutung, während // (-e) den Plural signalisiert. Es geht in der Morphologie also darum, Wörter in Einheiten zu zerlegen, die Bedeutung tragen.

Der Leserin / dem Leser wird das oben stehende Zitat aus Hamlets Rede an die Schau-spieler aufgefallen sein. Ein Substantiv, sogar ein Name, wird als Verb verwendet. Zugrun-de liegt die Problematik des Aufbaus von Wörtern, d. h. des Zusammenfügens von Wort-bausteinen und Wörtern zu neuen Wörtern. Auch dies ist ein Arbeitsgebiet der Morpholo-gie.

Dieses Kapitel will in die Grundbegriffe der Morphologie einführen. Außerdem soll anhand praktischer Beispiele und Übungsaufgaben zur Konstituentenanalyse die praktische Anwendung demonstriert werden. Kenntnisse der Morphologie kann man z. B. gut einset-zen, wenn man Fremdsprachenlernern den Sprachbau der Zielsprache näher bringen möch-te.

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2. Kernmorpheme, Flexionsmorpheme und anderes – Buntes aus dem Wörterbaukasten Wie bereits gezeigt, entspricht die kleinste Einheit in der Morphologie nicht notwendiger-weise einer Silbe. Manchmal kann sie mit einer Silbe zusammenfallen, wie es z. B. bei und der Fall ist. Genauso gut kann diese Einheit aber auch mehrere vollständige Silben umfassen (Feuer) oder eine Silbengrenze überschreiten: geben lässt sich einteilen in die Silben ge- und -ben, wobei man dem Sprechrhythmus folgt, oder morphologisch in die Einheiten

geb Besitzwechsel / neutral bezüglich Zeitweiligkeit / neutral bezüglich Gegenleistung / vom Subjekt weg1

und en gibt die grammatische Form an: Infinitiv bzw. 1./3. Person Plural. Die Morphologie beschäftigt sich also mit den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten der Sprache. Diese nennt man Morpheme2. Weiterhin wurde bereits gezeigt, dass es lexikalische Morpheme gibt, nämlich solche, die eine inhaltliche Bedeutung tragen, und grammatische Morpheme, die die grammatische Form eines Wortes anzeigen (-en im obigen Beispiel den Infinitiv oder die 1./3. Ps. Pl.). Parallel zum Phonem in der Phonologie handelt es sich bei einem Morphem um eine idealtypische Einheit auf der langue-Ebene3. Und auch in der Morphologie gibt es, wie in der Phonologie, eine eigene Bezeichnung für die realisierte Einheit, die der parole-Ebene angehört: Morph. Ein gutes Beispiel für ein Allomorph (Parallele zum Allophon), das bei unterschiedlicher äußerer Gestalt den gleichen Inhalt aufweist, ist das Pluralmorphem; der Plural zu Kammer lautet Kammern , der zu Hund Hunde, -s macht aus einem Auto mehrere Autos, und Wagen behält im Plural gar die gleiche Gestalt (es wird ein Nullmorphem angehängt)4. Alle diese verschiedenen Allomorphe transportieren aber die Information Plural. Der Gebrauch eines bestimmten Plural-Allomorphs ist vom Klang des lexikalischen Morphems, dem das Allomorph angefügt wird, und damit den phonotaktischen Regeln einer Sprache5, abhängig. Die „Gesamtheit aller Umgebungen, in denen ein Element vorkommt”6, nennt man Distribution7. Der Muttersprachlerin / dem Muttersprachler sowie geübten FremdsprachlerInnen sind die Distributionsregeln intuitiv bekannt.

1 Bsp. aus: Bergenholtz/Mugdan 1979, S. 41. 2 Vorsicht vor Verwechslungen mit den kleinsten bedeutungsu n t e r s c h e i d e n d e n Einheiten der

Sprache, den Phonemen! 3 Vgl. Kap. Phonetik und Phonologie, Abschnitt 5. 4 Das Nullmorphem kann verschiedene Bedeutungen tragen, nicht nur Plural: z. B. die Milch (Nominativ

Sg.), der Milch (Genitiv Sg.), der Milch (Dativ Sg.), die Milch (Akkusativ Sg.). Auch das Wort Bruder bildet, wie viele andere Wörter der deutschen Sprache, seinen Plural mit Hilfe eines Nullmorphems, lautet jedoch seinen Stammvokal um (Brüder). Das rührt von einem sprachgeschichtlichen Phänomen her: Ursprünglich stand an Stelle des unbetonten // in der zweiten Silbe im Plural ein <i>. Aus sprachökonomischen Gründen hat dieses /ι/ (<i>) zur Anhebung des /u:/ (<u>) zu /y:/ (<ü>) geführt. Das <ü> ist noch heute erhalten, das <i> aber dem Sprachwandel zum Opfer gefallen. Zunächst erscheint es erstaunlich, dass Null / Nichts ein Morphem sein kann. Dabei ist aber im Kopf zu behalten, dass Saussure in Gegensätzen dachte. Das Nullmorphem wird also im Gegensatz zu etwas anderem beschrieben. Strukturalistisch gedacht ist ein Stuhl auch das, was die anderen Dinge, z. B. ein Tisch, nicht sind, denn Wörter geben nicht das Wesen der Dinge wieder, sondern die Differenz eines Objektes zu anderen.

5 Vgl. Kap. Phonetik und Phonologie, Abschnitt 5. 6 Bergenholtz/Mugdan 1979, S. 74. 7 Vgl. Kap. Phonetik und Phonologie, Abschnitt 5.

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Es ergeben sich folgende Entsprechungen aus Morphologie und Phonologie, die das Memorieren der Begriffe erleichtern:

Morphologie Phonologie langue-Ebene Morphem Phonem parole-Ebene Morph Phon unterschiedliche, umgebungs- abhängige Ausprägung

Allomorph8 Allophon

Phoneme können zusammengesetzt werden zu Morphemen, Morpheme wiederum zu Wörtern. Aus Wörtern kann man Sätze bilden (Arbeitsgebiet Syntax), aus Sätzen Texte (Textlinguistik).

Gewöhnlich trifft man nicht auf einzelne Morpheme, sondern muss sie erst erschlie-ßen. Das geschieht, wie in der Phonologie, durch Segmentierung9, die so lange durchge-führt wird, bis man zur kleinsten bedeutungstragenden Einheit gelangt. Im folgenden Bei-spiel ergibt sich aus der Segmentierung ein lexikalisches Morphem:

|woll|en |woll|te

ge|woll|t Daraus, dass die gleiche Lautfolge, die eine lexikalische Bedeutung trägt, immer wieder erscheint, kann man schließen, dass es sich um ein Morphem handelt. Auch grammatische Morpheme können auf diese Weise identifiziert werden:

frag|en| modernisier|en| hab|en|10

Das im Zusammenhang mit verschiedenen lexikalischen Morphemen auftretende -en kann als Morphem mit grammatischer Bedeutung festgehalten werden.

Morpheme können nach i n h a l t l i c h e n und f o r m a l e n G e s i c h t s p u n k t e n noch einmal in verschiedene Klassen unterteilt werden. Dabei unterscheidet man zwischen freien und gebundenen Morphemen. Freie Morpheme können selbstständig als Wort auftreten. Gebundene Morpheme dagegen sind auf andere Morpheme angewiesen, ohne die sie nicht selbstständig ein Wort bilden können. Zu den f r e i e n M o r p h e m e n werden gezählt:

Freie Kernmorpheme: Es handelt sich hierbei um Morpheme, die lexikalische Bedeutung tragen und alleine auftreten können, aber oft auch von anderen Morphemen - weiteren freien und/oder gebundenen Morphemen - begleitet werden (z. B. Bohne; mit freiem Morphem: Strauchbohne; mit gebundenem Morphem: Bohnen; mit freiem und gebundenem Morphem: Strauchbohnen). Kernmorpheme können in Adjektiven, Verben und Substantiven auftreten.

Partikelmorpheme (Partikel = unveränderliche ‚kleine‘ Wörter) tragen lexikalische Bedeutung. Sie stehen stets allein und nehmen keine weiteren Morpheme zu sich: und, weil, denn etc.

8 Da das Allomorph, ebenso wie das Allophon, der langue zuzurechnen ist, müsste es eigentlich Allo-

morphem heißen. Die gängige Bezeichnung zeugt von einer gewissen Unsicherheit über die Zuordnung. 9 Vgl. Kap. Phonetik und Phonologie, Abschnitt 5. 10 Bspe. aus: Bergenholtz/Mugdan 1979, S. 38ff.

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Pronominalmorpheme kommen lediglich in Pronomina vor. Sie transportieren lexikalische Bedeutung: welch, mein, niemand, irgendein, sämtlich u. a.

G e b u n d e n e M o r p h e m e lassen sich wie folgt unterteilen:

Gebundene Kernmorpheme tragen, wie die freien Kernmorpheme, lexikalische Bedeutung, können aber nicht alleine auftreten (z. B. Torwart11).

Unikale Morpheme sind solche, die nur in einer bestimmten Kombination auftreten und dort lexikalische Bedeutung tragen. In anderen Umgebungen, also kombiniert mit anderen Morphemen, ergeben sie keinen Sinn. Die ursprüngliche Bedeutung ist nicht mehr bekannt (z. B. Himbeere, Schornstein).

Derivationsmorpheme (Ableitungsmorpheme) überführen ein Kernmorphem von einer Wortart in eine andere (z. B. -keit: aus dem Adjektiv langsam wird das Nomen/Substantiv Langsamkeit).

Flexionsmorpheme: Dies sind die bereits genannten Morpheme, die die grammatische Funktion eines Wortes anzeigen (z. B. die Kinder )12.

Eine andere, von der gerade vorgestellten Klassifizierung von Morphemen nach inhaltlichen Kriterien unabhängige Einteilung, ist diejenige nach der O b e r f l ä c h e n s t r u k t u r 13. Sie fragt nach der Position von Morphemen im Wort. Dabei ist die Affigierung zu nennen. Affigierung ist der allgemeine Begriff, der das Anhängen eines Affixes an ein Kernmorphem bezeichnet. Diese Morpheme sind stets gebundene. Es gibt drei Gruppen von Affixen14:

Das Präfix (lat. prae = vor) steht vor einem Kernmorphem: entgegen.

Suffixe (auch Postfixe; lat. post = nach) stehen hinter einem Kernmorphem: Gesundheit, merklich.

Ein Zirkumfix (lat. cirka = um, herum) umrahmt ein Kernmorphem; als Beispiel kann das zweiteilige Affix für das Partizip Präteritum dienen: ge- + -t ( gefragt).

11 Bsp. aus: Volmert 1995, S. 96. 12 Flexionsmorpheme existieren nicht in allen Sprachen der Welt, sondern lediglich in den, wie der Name

schon sagt, flektierenden Sprachen, die die Wortendungen im Satzzusammenhang grammatisch verändern. Diese werden noch einmal unterteilt in die synthetischen und die analytischen Sprachen. Als synthetisch (syn- = zusammen) werden die Sprachen bezeichnet, die möglichst viele lexikalische und grammatische Informationen auf ein Wort vereinen, wie es das Lateinische tut (amavit = er hat geliebt). Analytisch nennt man Sprachen wie das Deutsche, die die gleichen Informationen in vielen einzelnen Wörtern vermitteln (er hat geliebt). Außerdem gibt es noch agglutinierende Sprachen. Zu dieser Gruppe wird das Türkische gezählt. Alle Informationen werden an ein Wort angehängt, sodass teilweise ein ganzer Satz aus nur einem einzigen Wort bestehen kann. Das Gegenteil geschieht in den isolierenden Sprachen, in denen die Informationen in morphologisch unveränderten Wörtern einfach unverbunden hintereinander gestellt werden. Das Chinesische z. B. kennt ein Schriftzeichen für gehen, stellt dahinter eines für ich, dann eines für die grammatische Bedeutung Vergangenheit usw.

13 Bspe. aus: Volmert 1995, S. 94f. 14 Ein viertes Affix, das I n f i x , kommt im Deutschen nicht vor. Hierbei wird ein Wortbildungsmorphem

in den Stamm eingefügt (Bsp. m in lat. rumpo (ich breche) vs. ruptum (gebrochen)); vgl. auch Bußmann 2002, S. 52 u. S. 304f.

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3. Donaudampfschifffahrtskapitänskajüten und die Wortbildung Bisher haben wir uns mit den Bausteinen von Wörtern befasst, jetzt geht es um die Bildung von Wörtern, also um das Zusammensetzen der Bausteine. Regeln, die die Bildung von Wörtern betreffen, sind der langue-Ebene zuzuordnen.

Die Gesellschaft ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Tätigkeiten und Be-dürfnisse der Menschen ändern sich, und aus diesen Veränderungen ergibt sich die Notwen-digkeit, neue Dinge und kulturelle Gegebenheiten zu benennen. Woher aber kommen all’ die neuen Wörter, mit denen wir immer wieder konfrontiert werden? Der Mensch besitzt offensichtlich die Fähigkeit, seine Sprache, entsprechend seinen Bedürfnissen, weiter aus-zubauen. Außerdem ist er in der Lage, Wörter, die aus bereits vorhandenen gebildet wurden, problemlos zu verstehen. So zögerte die Touristin, die aufgefordert wurde, für ein Erinne-rungsfoto in Paris ’einen Napoleon zu machen’, nicht lange, sondern schob prompt die rech-te Hand unter die Jacke15. Und dass eine ’Elefantenpostkarte’ eine ziemlich große sein muss, kann sich jeder denken, bei Goethes Neologismus (Wortneubildung) Knabenmorgen-blütenträume (in einer Version des Prometheus) allerdings wird es schon etwas schwieriger. Welche verschiedenen Arten der Wortbildung sind also zu unterscheiden? Und nach wel-chen Regeln funktionieren sie? Um diese Fragen zu beantworten, werden nun die grundle-genden morphologischen Strukturen von Wörtern sowie diejenigen der Wortbildung erläu-tert.

Das Simplex enthält ein freies Kernmorphem und möglicherweise ein Flexionsmor-phem (Hund; Hunde). Das Derivat dagegen besteht aus einem Kernmorphem und mindes-tens einem Derivationsmorphem, das das Kernmorphem in eine andere Wortart überführt; außerdem sind eventuell ein oder mehrere Flexionsmorpheme angefügt (aufmerksam > Aufmerksamkeit; Aufmerksamkeiten)16. Der Vorgang dieser Wortbildung wird als Derivati-on bezeichnet. Bei der Betrachtung eines Derivates ist festzustellen, welche Wortart in wel-che andere überführt worden ist. Ein aus einem Adjektiv entstandenes Nomen heißt dead-jektivisches Nomen, ein aus einem Verb abgeleitetes Nomen deverbales Nomen, ein aus ei-nem Nomen gebildetes Verb denominales Verb etc. Die gleichen Bezeichnungen gelten für die Konversion (s.u.).

Die dritte Gruppe, die Komposita (Sg. Kompositum), setzt sich zusammen aus min-destens zwei Kernmorphemen und möglicherweise einem oder mehreren Derivations- und/oder Flexionsmorphemen (Donaudampfschiff; Donaudampfschiffe). Manchmal ist da-bei ein Fugenelement nötig, das die Aussprache erleichtert: Donaudampfschifffahrt-s-kapitän. Fugen werden nicht als Morpheme betrachtet, da sie weder lexikalische noch grammatische Bedeutung tragen, also nicht unter die Definition kleinste bedeutungstragen-de Einheit fallen. Nomen, Adjektive und Verben können sich in allen möglichen Kombina-tionsvarianten zu Komposita verbinden.

Die Kombinationsmöglichkeiten mit einem Nomen als erste Variante sind (1) Nomen + Nomen: Wandschrank (2) Nomen + Verb: Rad fahren und (3) Nomen + Adjektiv: marineblau.

15 Bsp. nach: Aitchison 1987. 16 Zurzeit ist das Suffix -mäßig bei Derivationen, als deren Ergebnis Adjektive entstehen, sehr produktiv:

Airbag serienmäßig / er bewegt sich entenmäßig / „Bitte packen Sie das Buch geschenkmäßig ein.“ / etc.

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Determinatum = Grundwort

Determinans = Bestimmungswort

Der zweite, rechte Bestandteil bestimmt jeweils die Wortart. Wir haben es hier also mit (1) einem Nominalkompositum, (2) einem Verbalkompositum und (3) einem Adjektiv-kompositum zu tun. Die erste (linke) Worthälfte in dem neuentstandenen Kompositum ist dabei das Bestimmungswort / Determinans, das das rechte Wort, das Grundwort / De-terminatum näher erläutert. Daher wird diese Art von Kompositum auch als Determina-tivkompositum bezeichnet. + Schreib- + tisch Ess- + tisch Küche -n17- + tisch

lind- + grün gras + grün gift + grün

Ferner existieren Kopulativkomposita, die zwei gleichwertige Komponenten enthalten, von denen nicht eine die andere bestimmt. Ihre Reihenfolge ist durch gesellschaftliche Konvention festgelegt wie bei süßsauer18, schwarz-weiß. Auch Possessivkomposita (engl. possess = besitzen) werden als eigene Kategorie betrachtet. Eine charakterisierende Eigenschaft wird herausgegriffen und dient der Benennung des gesamten Objektes (pars pro toto): Kahlkopf bezeichnet nicht nur den Kopf eines bestimmten Menschen, sondern den ganzen Menschen, der diesen Kopf ’besitzt’19 (Milchgesicht, Trotzkopf20). Der Vorgang, bei dem alte, bekannte Wörter zu neuen zusammengesetzt werden, ist die Komposition.

Neue Wörter entstehen auch durch Konversion; dabei werden Wörter ohne morpho-syntaktische Veränderungen in eine andere Wortart überführt. Ein Wort ändert sich inhalt-lich - und damit auch in seiner grammatischen Funktion im Satz -, die äußere Form bleibt jedoch erhalten: hoch / [das] Hoch, arbeiten / [das] Arbeiten.

Manchmal bedient Sprache sich zur Bildung neuer Wörter des Suppletivismus (lat. suppletio Ergänzung). Ein sozusagen defektes Flexionsparadigma wird dann durch Kern-morpheme mit anderem Ursprung, aber ähnlicher Bedeutung ergänzt. Dies ist etwa bei den Konjugationsformen von sein der Fall (bin, ist, war, gewesen) und bei den Steigerungsfor-men von gut (besser, am besten).21

Auch die Substitution (Ersetzung) ist für die Wortbildung in der deutschen Sprache von Bedeutung: Ein Teil des Wortstamms wird ersetzt. Oft geschieht dies durch Ablautung des Vokals: Präsens spring- / Präteritum sprang.

17 Fugenelement 18 Bsp. aus: Volmert 1995, S. 109. 19 Vgl. Volmert 1995, S. 106ff. 20 Beispiele aus: Bußmann 2002, S. 361. 21 Das komplette Flexionsparadigma kann man auch als Wortstamm bezeichnen: alle tatsächlich vorhan-

denen Wortformen mit der gleichen lexikalischen Bedeutung. Die Verschiedenheit liegt in der gramma-tischen Bedeutung (Numerus, Person, Tempus etc.). Sind und bin unterscheiden sich in der grammati-schen Bedeutung, aber nicht in der lexikalischen. Insofern gehören sie dem gleichen Wortstamm an.

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Die Wortkürzung wird ebenfalls zu den Wortbildungsprozessen gerechnet. Man unter-scheidet drei Untergruppen22:

Kürzung / Clipping: Ein Teil des Wortes wird ’abgeschnitten’: Prof für Professor, Uni für Universität, Bus für Omnibus

Kontamination / Blending: Brunch: Die beiden Komponenten, breakfast und lunch, werden miteinander verschmolzen.

Akronyme / Abkürzungswörter: Wörter werden zu Buchstaben abgekürzt: UNICEF, NATO, O.K., SPD; manche dieser Kombinationen werden wieder wie Wörter gelesen, bei anderen spricht man die Buchstaben einzeln.

Wörter können auf verschiedene Weise neu entstehen. Durch Wortschöpfung gelangt man zu völlig neuen Wörtern. Diese sind zumeist in der Werbebranche anzutreffen (Raider) oder in der Literatur, wo bewusst Regeln durchbrochen werden. Den größeren Teil neuer Wörter jedoch bringt die beschriebene Wortbildung hervor.

Eine Gelegenheitsbildung oder okkasionelle Bildung, die nur in einem bestimmten Zusammenhang verstanden werden kann, wird oftmals nur einmal ausgesprochen und gerät dann in Vergessenheit, so z. B. Schröders 1994 geäußerte Bezeichnung Brampel für die Bremer Ampelkoalition23. Innerhalb einer Gruppe aber können diese Bildungen bestehen bleiben, da sie den sozialen Zusammenhalt fördern24. Sie werden dann zu usuellen (ge-bräuchlichen) Bildungen, haben also Bestand und werden auch in anderen inhaltlichen Zu-sammenhängen, eventuell sogar von der gesamten Gesellschaft, verwendet25. Dieser als Le-xikalisierung bezeichnete Vorgang bringt eine Idiomatisierung mit sich. Der Rezipient analysiert das Wort nicht länger nach seinen einzelnen Bestandteilen, sondern erfasst es als Ganzes und ordnet ihm eine Bedeutung zu. Diese Art von neuen Wörtern entstammt häufig der Werbesprache. Vor einigen Jahren begann z. B. ein namhafter Limonadenhersteller, sei-ne Flaschen als unkaputtbar anzupreisen. Nicht lange danach waren in der Mensa der Uni Essen einige StudentInnen zu beobachten, die über ihren liebsten Fußballverein als unab-steigbar (Parallelbildung zu unkaputtbar) sprachen. Diese Bildung hat sich nicht durchge-setzt. Eine andere Bildung allerdings, die der Verfasserin aus der Jugendarbeit bekannt ist und die in einem verregneten Sommerlager entstand, hat sich hartnäckig gehalten. Die Kin-der, denen der Regen aufs Gemüt drückte, erfanden für den Schokoladen-Brotaufstrich den Namen Schokomocke (Mocke = ruhrdeutsch aufgeweichter Lehm). Innerhalb der Gruppe ist Schokomocke nun eine usuelle Bildung.

Nicht vergessen werden soll, dass viele Wörter, die wir heute selbstverständlich ver-wenden, durch keinen der beschriebenen Prozesse entstanden, sondern aus einer anderen Sprache stammen. Fremdwörter nennt man dabei jene Wörter, die unverändert ins Deut-sche übernommen worden sind (z. B. Computer), Lehnwörter diejenigen, die nicht mehr auf den ersten Blick als aus einer anderen Sprache übernommene Wörter identifizierbar sind (lat. murus > dt. Mauer). Bei Lehnübersetzungen ist ein Wort Glied für Glied ins Deutsche übertragen worden (engl. pocket-book > dt. Taschenbuch). Eine Lehnbedeutung schließlich

22 Vgl. Welte 1988, S. 202ff. 23 Bsp. aus: Volmert 1995, S. 102. 24 Gruppen bilden häufig eigene Sprachen aus, vgl. Jugendsprache oder Soldatensprache. 25 Alle usuellen Bildungen waren einmal okkasionell, jedoch werden nicht alle okkasionellen Bildungen

usuell.

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ist eine Bedeutung, die einem Wort unter dem Einfluss einer anderen Sprache hinzugefügt wurde (dt. buchen = in ein Rechnungsbuch eintragen erhielt zusätzlich, unter dem Einfluss des englischen to book = einen Platz bestellen ebendiese Bedeutung)26.

Nun bleibt nur noch zu klären, welche Prozesse in unserem Shakespeare-Zitat am An-fang dieses Kapitels stattgefunden haben. Die Leserin / der Leser wird gebeten, einen Au-genblick innezuhalten und zurückzublättern, um diese Frage selbst zu beantworten. Die Antwort kann am Ende dieses Kapitels überprüft werden.

4. Ein kurzer Einblick: Die Bereiche der Morphologie Nach der Entdeckung und morphologischen Untersuchung des Sanskrit27 übertrug man die Methode der morphologischen Beschreibung auf andere Sprachen. Es entstand ein System von Bezeichnungen, das immer weiter entwickelt wurde. An dieser Entwicklung waren Wissenschaftler wie W. von Humboldt und Ch. Hockett beteiligt. Letzterer gab 1954 den drei Bereichen der Morphologie ihre heutigen Namen: Kombinationsmorphologie, Prozess-morphologie und Paradigmenmorphologie.

Die K o m b i n a t i o n s m o r p h o l o g i e will für jede Sprache die Morpheme, Allo-morphe und die Kombinationsmöglichkeiten der Allomorphe feststellen. Ein Arbeitsbereich ist z. B. die Untersuchung der Verteilung der verschiedenen Plural-Allomorphe: Welches lässt sich mit welchen vorhergehenden Kernmorphemen kombinieren? Schwierigkeiten be-reiten hier spontane Veränderungen wie ungewöhnliche Pluralbildungen, die sich nicht in ein Schema einordnen lassen. Auch die strukturalistische Morphologie ist Kombinations-morphologie, denn sie segmentiert und klassifiziert die Morpheme; außerdem stellt sie Re-geln für die Verkettung von Morphemen auf.

Die P r o z e s s m o r p h o l o g i e leitet demgegenüber komplexe Formen aus einfachen Formen (Wurzeln / Kernmorphemen) und abstrakten Markierungen ab. Außergewöhnliche Formen und Veränderungen bereiten bei dieser Betrachtungsweise keine Probleme, denn /ne:m/ (nehm-) + Prät (Präteritum / Vergangenheit) => /na:m/ (nahm-) kann nach der glei-chen Logik behandelt werden, wie die regelmäßige Bildung einer Vergangenheitsform (z. B. /sa:g/ (sag-) + Prät => /sa:gt/ (sagt-)).

Der Arbeitsbereich P a r a d i g m e n m o r p h o l o g i e schließlich betrachtet nicht das Morphem als Grundlage aller Untersuchungen, sondern das Wort. Alle traditionellen Theo-rien bis zum Aufkommen des Strukturalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendeten diese Betrachtungsweise. Die Anhänger dieser Richtung, die es auch heute noch gibt, be-gründen ihre Vorgehensweise mit dem Argument, der Mensch spreche in Wörtern, die er durch Hören erlernt habe und die er nach grammatischen Regeln umforme, nicht aber in Präfixen, Suffixen und Kernmorphemen28.

26 Die letzten beiden Bsp. aus: Stedje 1994, S. 24.

Wörter, die ursprünglich zu einer Sprache gehören, nennt man Erbwörter. 27 Das Sanskrit ist eine heilige Sprache aus Indien, deren Wurzeln weit vor die des Lateinischen und

Griechischen zurückreichen. Ihr Aufbau und ihr grammatisches System sind sehr kompliziert. 28 Vgl. Hoffmann 1996, S. 405ff.

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5. Die praktische Anwendung: Konstituentenanalyse Zur morphologischen Untersuchung eines Wortes bedient man sich der Konstituenten-analyse. Dabei werden, wie der Begriff bereits andeutet, die Konstituenten, also die Bau-steine, eines Wortes untersucht. Zunächst entscheidet man, welche Komponenten eines Wortes am engsten verbunden sind. Bei Klassenzimmerstuhl (s. u.) sind Klasse und Zimmer, wie jeder Sprecher des Deutschen intuitiv bemerkt, enger verbunden - da sie oft in dieser Kombination auftreten - als Zimmer und Stuhl. Also erfolgt die erste Segmentierung des Wortes zwischen den Komponenten Zimmer und Stuhl. Es dürfen immer nur zwei Kompo-nenten segmentiert werden. Die einzige Ausnahme bildet das Fugenelement, das als dritte Einheit auf einer Ebene abgespalten werden darf; der Grund dafür ist darin zu sehen, dass das Fugenelement nicht als Morphem definiert ist. Dazu wird unter dem Kompositum ange-geben, welcher Schritt von der darunter liegenden zweiten Ebene, die man nun notiert hat, zur ersten Ebene, hier dem noch gar nicht unterteilten Wort, geschehen ist. In diesem Fall handelt es sich um eine Komposition. Ebenso könnte auch eine Derivation, Konversion oder Flexion stattfinden. Der Begriff Simplex findet in der Konstituentenanalyse keine Verwen-dung, weil er keinen Wortbildungsprozess bezeichnet. Morpheme, also nicht weiter unter-teilbare Elemente, werden durch geschweifte Klammern als solche gekennzeichnet und müssen, wie unten zu sehen, nach funktionalen und inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmt werden29. Freie Morpheme werden dabei in großen Buchstaben verzeichnet, gebundene in kleinen. Bei der Unterteilung deuten durchgezogene schräge Striche an, wie bei der Analyse vorgegangen wurde. Lediglich die Verbindungslinien zu Fugenelementen verlaufen senk-recht und sind gestrichelt. Handelt es sich um ein flektiertes Wort, so wird zunächst das Fle-xionsmorphem abgetrennt, denn es ist am lockersten mit dem Wort verbunden. Bei einer Derivation muss genau bestimmt werden, von welcher Wortart das Wort in der nächsthöhe-ren Ebene abgeleitet ist (vgl. zweites Bsp., Anmerkung 3). Ist man sich einmal nicht sicher, welche Wortart zuerst existiert hat, dann ist es ratsam, ein etymologisches Lexikon zu kon-sultieren. Dieses Herkunftswörterbuch zeigt die Entwicklung von Wörtern auf30. Der letzte Schritt bei der Durchführung einer Konstituentenanalyse ist die Angabe der Verzweigungs-art. Wörter, deren Verzweigungsschwerpunkt bei einer Analyse auf der linken Seite zu fin-den ist, wie es in den Beispielen der Fall ist, heißen linksverzweigend, solche mit Schwer-punkt auf der rechten Seite rechtsverzweigend. Kann kein Schwerpunkt ermittelt werden, da die Verzweigung sich zu gleichen Teilen auf beide Seiten verteilt, so spricht man von einer binären Struktur.

29 Bei der hier beschriebenen Art der Konstituentenanalyse handelt es sich um eine von mehreren konven-

tionell festgelegten Möglichkeiten. Auch andere Vorgehensweisen sind legitim, solange man sich durchgängig an eines der vereinbarten Systeme hält.

30 Es ist spannend, einfach einmal einen Blick in ein solches Lexikon zu werfen. Der Ursprung mancher Wörter ist überraschend!

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5 {- n-}

1) Komposition 2) Kernmorphem, frei 3) Komposition 4) Kernmorphem, frei 5) Fugenelement 6) Kernmorphem, frei linksverzweigend 1) Flexion 2) Flexionsmorphem 3) Derivation (denominales Adjektiv) 4) Kernmorphem, frei 5) Derivationsmorphem linksverzweigend

6. Zur Erinnerung. Zusammenfassung Parallel zur Phonologie ist festzuhalten, dass Morpheme (Parallele: Phoneme), die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, die oftmals nicht mit Silben identisch sind, Teil der Mög-lichkeiten einer Sprache, Morphe (Parallele: Phone) aber Teil der Wirklichkeit des Spre-chens innerhalb dieser Sprache sind. Parallel zu den Allophonen existieren Allomorphe, stellungsbedingte Varianten mit gleicher Bedeutung. Morpheme können in lexikalische und grammatische eingeteilt werden. Außerdem können Morpheme frei oder gebunden sein so-wie nach inhaltlichen und formalen Kriterien unterschieden werden. Auch eine Einteilung aufgrund der Position von Morphemen im Wort (Präfixe, Suffixe, Zirkumfixe) wird vorge-nommen.

Die wichtigsten Worttypen sind das Simplex (freies Kernmorphem + evtl. Flexions-morphem), das Derivat (Kernmorphem + mindestens ein Derivationsmorphem + evtl. Fle-xionsmorphem) und das Kompositum (mindestens zwei Kernmorpheme + evtl. Derivati-onsmorphem + evtl. Flexionsmorphem). Als wichtigste Wortbildungsarten sind Derivation, Komposition, Konversion (Überführung eines Wortes in eine andere Wortart ohne Verände-rung der äußeren Wortstruktur) und Wortkürzung zu nennen. Dabei ist zwischen okkasio-nellen und usuellen Bildungen zu differenzieren. Neue Wörter gelangen hauptsächlich durch Wortbildung in eine Sprache, aber auch durch Wortschöpfung und durch Übernahme von Wörtern aus anderen Sprachen.

1 Klassenzimmerstuhl

3 Klassenzimmer

2 {STUHL}

4 {KLASSE}

6 {ZIMMER}

1 [eine] haarige [Sache]

3 haarig

2 {-e}

4 {HAAR}

5 {-ig}

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7. Übungsaufgaben I. Definieren Sie die Begriffe Morphem, Morph und Allomorph. II. Wie heißt ein von einem Adjektiv abgeleitetes Verb? III. Um welche Art von Wortkürzung handelt es sich?

OPEC, Intro, Chunnel, Workaholic, EU, Mathe IV. Führen Sie eine Konstituentenanalyse durch:

Schreibmaschinenkoffer, Aktentasche, [die] gängige [Methode].

Zum Shakespeare-Zitat: [To] out-herod [Herod] enthält zunächst eine Konversion: das Nomen Herod wird ohne Veränderung der morphosyntaktischen Struktur zum Verb herod (denominales Verb). Anschließend erfolgt eine Komposition.

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Syntax I von Susanne Feld

Gliederung 1. Einleitung 2. Traditionelle Satzlehre der Lateingrammatik

2.1 Wortarten 2.2 Satzglieder 2.3 Hauptsätze, Gliedsätze und Gliedteilsätze 2.4 Zusammenfassung 2.5 Anwendung in der Satzanalyse

3. Übungsaufgaben

1. Einleitung Im ganzen - haltet Euch an Worte! Dann geht Ihr durch die sichre Pforte [...] Mit Worten läßt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte läßt sich trefflich glauben, Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

Mephistopheles in: Faust, Der Tragödie erster Teil1

Syntax ist die Lehre vom Bau des Satzes. Was ein Satz in der deutschen Sprache ist, w i s -s e n wir als Muttersprachler oder geübter Fremdsprachler intuitiv. Wie stellt es sich aber dar, wenn wir eine uns unbekannte Sprache hören? Können wir dann sicher die Grenzen zwischen Sätzen ausmachen? Noch extremer tritt dieses Problem bei der Erforschung von so genannten indigenen Sprachen zutage, also solchen Sprachen, die bisher nicht verschrift-licht wurden und nur in abgeschlossenen Gemeinschaften gesprochen werden. Wie durch Segmentierung erst einmal Phoneme, Morpheme und Wörter identifiziert werden müssen2, hat dies auch mit Sätzen zu geschehen. Was aber ist eigentlich ein Satz? Definitionen, was ein Satz sei, gibt es viele. Zutreffend sind sie meist nur bedingt. Seit der Antike ist mehr als zweihundert Mal versucht worden, eine in jedem Fall gültige Definition aufzustellen, aller-dings waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt.

Hier seien nur zwei Beispiele erwähnt: Nach der aristotelischen Logik besteht ein Satz mindestens aus einem Subjekt und ei-

nem Prädikat. Bloomfield dagegen beschreibt einen Satz als „eine unabhängige sprachliche Form, die durch keine grammatikalische Konstruktion in eine größere sprachliche Form eingebettet ist.“3 Diese beiden Definitionsversuche können aber beispielsweise einen Satz wie (2) nicht erfassen:

(1) Wer war am Telefon? (2) Eine Schulfreundin.

1 Goethe 1986, Vers 1990/1991 und 1997-2000. 2 Siehe hierzu auch Kapitel Phonetik und Phonologie, unter Punkt V. 3 Bloomfield 1933, S. 170. Zitiert nach: Crystal 1993, S. 94.

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Ganz offensichtlich hängt die Antwort von der Frage ab, und ein Satz kann unter Umständen auf bestimmte Bestandteile, z. B. ein Prädikat, verzichten. Solche verkürzten Sätze bezeichnet man als elliptisch.4 Dies soll nur als Beispiel dafür dienen, welche Probleme bei der Definition des Satzes auftreten können. In der modernen Satzlehre steht dieses Unterfangen auch nicht mehr im Vordergrund; vielmehr ist das Ziel, die Konstruktion von Sätzen und die Regularitäten, nach denen sie vorgenommen wird, zu analysieren und zu verstehen.

Da Syntax im Deutschunterricht meist nur sehr knapp behandelt wird, ist vielen Stu-denten vielleicht gar nicht bewusst, dass es nicht d i e allgemein gültige Satzlehre gibt, son-dern mehrere Modelle, die von unterschiedlichen Perspektiven an das Untersuchungsobjekt herangehen und (mehr oder weniger) gleichberechtigt in der Forschung nebeneinander ste-hen. In den Schulen gelehrt wird immer noch die traditionelle Satzlehre, die der lateinischen und griechischen Grammatik entstammt. Mit dem Einzug des Strukturalismus in die Sprachwissenschaft entstand eine ganz neue Untersuchungsweise. Als damit die jahrhunder-tealte Tradition vorwiegend diachroner und präskriptiver Sprachwissenschaft gebrochen war, konnten sich (vor allem im 20. Jahrhundert) neue Denkansätze, Modelle und Methoden etablieren, und die Linguistik wurde reich an unterschiedlichen Perspektiven, was sich auch in der Satzlehre niederschlug.

Durch die Darstellung einiger Syntax-Modelle (einschließlich der traditionellen Satz-lehre) soll hier der/die Studierende in die Lage versetzt werden, quasi ‘von außen’ auf das Untersuchungsobjekt und auch auf die Untersuchungsmethoden zu schauen, kritisch die Erklärungsansätze zu bewerten und neu zu überdenken. Nicht zuletzt soll der/die Studieren-de nach Bearbeitung der Kapitel Syntax I und II befähigt sein, entsprechend den verschie-denen Theorien Satzanalysen durchzuführen, und dazu gehört selbstverständlich auch die sichere Beherrschung der traditionellen Methode.

Die Sprachwissenschaft unterscheidet sich in einem grundlegenden Aspekt von ande-ren Wissenschaften: Das Untersuchungsobjekt deckt sich mit dem Beschreibungsmedium. Wir versuchen also, Sprache mit Sprache zu erklären. Hinzu kommt, dass (fast) jeder Mensch Zugang zu bzw. Erfahrungen mit dem Untersuchungsobjekt hat und sich somit in der Lage glaubt, adäquate Aussagen darüber machen zu können. Außerdem stellt es ein gro-ßes Problem dar, Vorgänge, die im menschlichen Geist bzw. in der Psyche geschehen, zu erklären. Wir können nicht die Schädeldecke öffnen und zuschauen, wie ‘da drin’ ein Satz gebildet wird, oder die Mechanismen sehen, die ein Kind in die Lage versetzen, so etwas Komplexes wie eine Sprache innerhalb weniger Jahre zu lernen und dies auch noch (annähernd) ohne das zu tun, was wir ‘Bewusstsein’ nennen. Bei der Erforschung der Spra-che sind wir lediglich auf die Resultate, die uns täglich begegnen, angewiesen. Mit ihnen müssen wir arbeiten und sie auswerten. Dazu gehört es vor allem auch, wie bei jeder wis-senschaftlichen Arbeit, zunächst eine Hypothese aufzustellen und Methoden zu entwickeln, mit denen man Ergebnisse erzielen kann, die für die Fragestellung relevant sind.

4 Vgl. Bußmann 2002, S. 187.

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2. Traditionelle Satzlehre der Latein-Grammatik Ursprünglich hat die lateinische Satzlehre die Bestandteile eines Satzes in die aus der grie-chischen Logik übernommenen Einheiten Subjekt und Prädikat unterteilt, in den Gegens-tand einer Aussage (Subjekt) und das, was darüber ausgesagt wird (Prädikat).

Außerdem wurden Einteilungen der Wörter in Wortarten vorgenommen. In der heuti-gen Schulgrammatik werden sowohl Wortarten identifiziert als auch Satzglieder bestimmt. Die Unterscheidung zwischen Wortarten und Satzgliedern fällt vielen Menschen schwer. Wortarten sind kategoriale Größen. Ein Wort ist aufgrund eines ihm inhärenten Merkmals einer Kategorie von Wörtern zugeordnet, die nur Wörter umfasst, denen dieses Merkmal fest zukommt. Satzglieder dagegen sind relationale Größen; das heißt, sie sind nur durch die Beziehungen, die sie zu den übrigen Teilen eines Satzes haben, existent. Um welches Satzglied es sich handelt, hängt von der Art der Beziehung ab. Ein Beispiel soll diese abs-trakten Erklärungen verdeutlichen:

Eine Frau oder ein Mann zu sein, 30 Jahre alt, deutsch oder türkisch zu sein sind kate-goriale Merkmale eines Menschen. Er ist jederzeit und überall Träger dieser Eigenschaften; sie haften ihm an. Das ist vergleichbar der Tatsache, Nomen, Adjektiv oder Präposition zu sein. Dagegen sind Tante, Ausländer oder Fachmann zu sein relationale Merkmale, die ei-nem Menschen in Abhängigkeit von der Beziehung oder Situation zukommen, in der er sich gerade befindet. Das ist wie Prädikat, Subjekt oder Objekt zu sein. Bestimmte kategoriale Merkmale sind natürlich notwendige Voraussetzungen für relationale Merkmale (so, wie ein Zusammenhang besteht dazwischen, welches Geschlecht man besitzt und ob man demnach Tante oder Onkel wird, so existiert auch ein Zusammenhang zwischen Verb und Prädikat), aber sie müssen strikt unterschieden werden, „im Leben wie in der Syntax“.5

Zum Verständnis dieses Kapitels werden die im Anhang erläuterten grammatischen Grundbegriffe vorausgesetzt. Die Lektüre sei denjenigen empfohlen, die sich nicht sicher fühlen auf dem Terrain der Deklination und Konjugation.

2.1 Wortarten Die traditionelle Grammatik kennt drei Kriterien, nach denen Wörter bestimmten Wortarten zugeordnet werden.

Morphologisches Kriterium: Hierbei werden zunächst flektierbare von unflektierbaren Wörtern unterschieden. Die flektierbaren Wörter gliedern sich in die deklinierbaren und die konjugierbaren; von den deklinierbaren können die Adjektive zusätzlich kompariert (gesteigert) werden.

Syntaktisches Kriterium: Dieser Aspekt geht von der Funktion im Satz aus, die ein Wort einnehmen kann, und den Beziehungen, die es dadurch zu anderen Worten eingeht. Beispielsweise kann nur ein Verb die Funktion des Prädikats erfüllen, und im Unterschied zum Pronomen (Fürwort) kann ein Nomen einen Artikel zu sich nehmen.

Semantisches Kriterium: Beim semantischen Kriterium ist die Bedeutung eines Wortes entscheidend. So be-zeichnen z. B. Adjektive Eigenschaften, Verben Tätigkeiten oder Zustände etc.

5 Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2004, S. 90.

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Die Uneinheitlichkeit der Kriterien, die sich manchmal sogar widersprechen, führt in eini-gen Fällen dazu, dass die Zuordnung eines Wortes zu einer Wortart nicht ganz eindeutig ist und auf Konvention beruht.

Bei den fünf Wortarten Verb, Nomen, Adjektiv, Pronomen und Artikel stellt die Zuordnung im Wesentlichen kein Problem dar. Nach dem morphologischen Kriterium ge-hören sie alle fünf zu den flektierbaren Wörtern:

Verben werden konjugiert (morphologisches Kriterium). Nur Verben können im Satz die Funktion des Prädikats übernehmen (syntaktisches Kriterium). Außerdem können Verben, als infinite Formen, auch andere Satzglied-funktionen innehaben (Schwimmend erreichte er die Insel. Ein Boot zu bauen, hätte zu viel Zeit beansprucht.). Verben drücken Handlungen, Abläufe und Zustände aus (semantisches Kriterium). kochen, regnen, wohnen

Dekliniert werden Nomen, Adjektive, Artikel und Pronomen (morphologisches Kriterium).

Nomen sind die Bezeichnungen für Lebewesen, Dinge, Sachverhalte und abstrakte Vorstel-lungen (semantisches Kriterium). Sie haben ein festgelegtes Genus. Hund, Tisch, Diebstahl, Idee

Adjektive zeichnen sich durch ihre Komparierbarkeit aus (morphologisches Kriterium), sofern nicht die Bedeutung eines Adjektivs gegen eine Steigerung spricht (wie bei ein-zig). Sie beschreiben die Eigenschaften der Einheit oder des Sachverhalts, die/der durch ein Nomen oder ein Verb bezeichnet wird (semantisches Kriterium). traurig, schnell, einzig Adjektive haben kein eigenes Genus, sondern richten sich in diesem nach ihrem Bezugswort.

Pronomen (lat. pro = für) stehen für Nomen oder begleiten sie (syntaktisches Kriterium). diese, er, mein, wer? Es gibt mehrere Unterarten6 von Pronomen, die verschiedene Funktionen erfüllen: Personalpronomen (z. B. ich), Indefinitpronomen7 (z. B. manche), Relativpronomen (z. B. der), Demonstrativpronomen (z. B. dieser), Interrogativpronomen (z. B. wer?), Possessivpronomen (z. B. mein), Reflexivpronomen (z. B. sich).

Artikel zeigen das grammatische Geschlecht eines Nomens an. Sie sind entweder bestimmt (der, die, das) oder unbestimmt (ein, eine, eines).

Im Gegensatz zu diesen flektierbaren Worten werden die unflektierbaren oft unter dem Beg-riff Partikel zusammengefasst, der wie eine ‚Mülltonne‘ alle schwierig zuzuordnenden Wörter aufnehmen kann. Allerdings ist gerade Partikel ein nicht konsequent definierter Begriff; zudem werden bei einer so groben Einteilung verschiedenartige Wörter wie durch, dort, gerade, und, weil, oh zusammengefasst, die sich ganz offensichtlich voneinander un-terscheiden. Insbesondere gehören dazu Präpositionen, Konjunktionen, Adverbien und Interjektionen.

6 Zu der Darstellung der Pronomenarten vgl. Bußmann 2002. 7 Bußmann (2002) weist darauf hin, dass z. B. jeder, alle, niemand semantisch nicht indefinit sind. Jeder

weiß, dass man bei Rot halten muss. Trotzdem tun es manche nicht.

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Präpositionen geben Relationen an (semantisches Kriterium); sie fügen nominale Glieder in den Satz ein (syntaktisches Kriterium) und fordern zu diesem Zweck von ihrem Be-zugswort einen bestimmten Kasus (Rektion; morphologisches Kriterium), vgl.

„durch, für, ohne + Akkusativ, gegenüber, vor, zwischen + Dativ, außerhalb, zugunsten, infolge + Genitiv“8.

Manche Präpositionen können mit unterschiedlichen Kasus stehen, dabei ändert sich häufig die Bedeutung, vgl. Dativ (Lage; wo?): an dem Baum, Akkusativ (Richtung; wohin?): an den Baum.9 Meist stehen die Präpositionen, wie der Name sagt, v o r dem Bezugswort, in einigen Fällen folgen sie aber auch dem Bezugswort (eigentlich ‘Postpositionen’) oder umschließen es gar (eigentlich ‘Circumpositionen’).

− Voranstehende Präpositionen: in, durch, auf, an. Sie ging in das Haus. − Nachstehende 'Prä'positionen: entlang, entgegen. Sie ging die Straße entlang. − Umschließende 'Prä'positionen: um ... willen. Sie heiratete ihn um seiner

Kochkünste willen. Präpositionen für sich allein können nicht Satzglieder sein.

Konjunktionen verbinden Wörter, Satzglieder und Sätze miteinander (syntaktisches Krite-rium) und geben Relationen an (semantisches Kriterium). Nach der syntaktischen Funktion unterscheidet man zwischen beiordnenden (koordinieren-den/parataktischen) Konjunktionen (und, oder, sowohl als auch, aber etc.) und unter-ordnenden (subordinierenden/hypotaktischen) Konjunktionen (weil, damit, als, dass etc.). Konjunktionen können keine Satzglieder sein.

Adverbien (= Adverben) kennzeichnen Umstände. Semantisch sind sie wie folgt klassifi-ziert:

temporal (zeitlich): heute lokal (räumlich): innen kausal (ursächlich): darum modal (Art und Weise bezeichnend, auch Maße): gern, sehr Adverbien können Satzgliedstatus haben.

Unterklassen der Adverbien sind z. B. die Interrogativadverbien (warum? wieso? wie? wann? wo? etc.), die nach bestimmten Umständen fragen. Auch die Pronominaladver-bien gehören dazu (darauf, dorthin, deswegen etc.), die eine Zusammensetzung bilden aus Adverb (da, hier etc.) und Präposition (auf, nach, hinter etc.). Sie können vor- o-der nachstehende Präpositionalgruppen ersetzen (es geschah nach dem Fest vs. es ge-schah danach).

Interjektionen drücken Gefühlszustände aus (z. B. Ekel - iii!, Überraschung - oh!); sie die-nen auch zur Aufforderung (z. B. zur Ruhe - pssst!) und zum Anruf (z. B. hallo!).

8 Bußmann 2002, S. 529. Fremdsprachler müssen die jeweiligen Kombinationen oft einzeln auswendig

lernen. In den verschiedenen Sprachen sind die Kasusrektionen der Präpositionen häufig ganz verschie-den.

9 Vgl. Duden 1973, S. 333.

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45

Gegenüber der in der traditionellen Grammatik vertretenen 10-Wortartenlehre fehlt hier die Kategorie ‘Numerale’. Diese Wortart ist nur durch semantische Merkmale begründet und fasst morphologisch und syntaktisch völlig unterschiedliche Wörter zusammen:

Nomen (Tausende von Menschen), Adjektive (die Freundschaft zweier Menschen, das doppelte Lottchen), Indefinitpronomen (manche Leute, wie viele auch immer) und Adver-bien (Sie zog zweimal um). Zwar betrifft die Uneinheitlichkeit der Kriterien, wie oben be-schrieben, auch andere Wortarten; die Numerale sind jedoch in ihrem Status als eigene Wortart derart umstritten, dass sie hier nicht als solche akzeptiert werden und stattdessen nach ihren morphologischen und syntaktischen Merkmalen der jeweiligen Kategorie zuge-ordnet sind. Syntaktische und morphologische Kriterien werden hier höher bewertet als se-mantische.

Aus Crystal 1993, S. 99

2.2 Satzglieder Ein Satzglied ist eine relationale Einheit, es besteht also nur durch die Beziehung zu ande-ren Satzgliedern. Jedes Satzglied erfüllt eine Funktion im Satz, insofern ist es auch eine funktionale Einheit.

Weil das analytische Verfahren der Schulgrammatik zur Ermittlung der Satzglieder nicht verabsolutiert werden soll, wird zusätzlich ein operationales Verfahren, die Verschie-beprobe, vorgestellt. Die Anwendung der operationalen Verfahren auf die deutsche Spra-che geht auf Hans Glinz zurück.

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Die Verschiebeprobe (auch: Umstellprobe) dient dabei der Ermittlung der Satzgliedgren-zen. In einem gegebenen Satz werden alle Teile so verschoben, dass noch ein grammatisch korrekter Satz daraus resultiert. Die Wörter oder Wortblöcke, die (gemeinsam) verschoben werden können, stellen die Satzglieder dar.

Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters. In den Osterferien renoviert die ganze Familie das alte Gartenhaus des Großvaters. Das alte Gartenhaus des Großvaters renoviert die ganze Familie in den Osterferien. Das alte Gartenhaus des Großvaters renoviert in den Osterferien die ganze Familie. Renoviert die ganze Familie das alte Gartenhaus des Großvaters in den Osterferien?

Ungrammatisch wäre beispielsweise folgende Variante: *In den Osterferien renoviert ganze des Großvaters das Gartenhaus alte die Familie.

Aus der Verschiebeprobe ergeben sich diese Satzglieder: Die ganze Familie / renoviert / in den Osterferien / das alte Gartenhaus des Großva-ters.

Problematisch ist aber die Verschiebeprobe vor allem dann, wenn es Satzglieder gibt, die offensichtlich eine hierarchische Binnenstruktur besitzen, wie die ganze Familie und das alte Gartenhaus des Großvaters. Beim Verschieben können dann auch folgende, gramma-tisch völlig korrekte Sätze entstehen:

Die ganze Familie des Großvaters renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus. Oder Die Familie renoviert in den Osterferien das ganze alte Gartenhaus des Großva-ters. (Hierbei ist die Interpunktion allerdings nicht korrekt; nach ‘ganze’ fehlt ein Komma).

Der Sinn ist in diesen Fällen verändert, die Grammatikalität bleibt jedoch erhalten. Auch die Umstellung zum Fragesatz ist - in kommunikativer Hinsicht - eine über bloße Verschiebung hinausgehende Veränderung. Es muss also zusätzlich ein verschärftes S i n n k r i t e r i u m angewandt werden.

Das analytische Verfahren arbeitet mit Hilfsfragen. Es werden nicht nur - wie bei der Verschiebeprobe - die Satzgliedgrenzen ermittelt, sondern es wird auch bestimmt, um wel-ches Satzglied es sich handelt.

a) „Wer oder was ist es / tut es / geschieht?”10 b) „Was wird getan / geschieht?“ c) „Wen oder was betrifft es?”11 d) „Wem geschieht es / gehört es?”12 e) „Wessen (erinnert er sich)?“ f) „Wann / wohin / auf was / womit / wie geschieht es? Weitere mögliche Fragen

sind: wozu / wofür / wodurch / wie lange / wo? u. a.”13 Um einen Satz in seine Glieder zu zerlegen, fragt man mit dem Satz selbst nach diesen:

10 Bünting/Bergenholtz 1979, S. 54. 11 Ebd. 12 Bünting/Bergenholtz 1979, S. 54. 13 Ebd.

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(1) Wer renoviert das alte Gartenhaus des Großvaters in den Osterferien? − Die ganze Familie. Subjekt

(2) Was tut die ganze Familie? − Sie renoviert das alte Gartenhaus des Großvaters in den Osterferien.

Prädikat (in einem weiten Prädikatsbegriff) (3) Was renoviert die ganze Familie in den Osterferien?

− Das alte Gartenhaus des Großvaters. Akkusativobjekt (4) Wann renoviert die ganze Familie das alte Gartenhaus des Großvaters?

− In den Osterferien. adverbielle Bestimmung der Zeit Mit den Fragen (3) und (4) wurden aus dem weiten Prädikatsbegriff das Akkusativobjekt und die adverbielle Bestimmung herausgelöst und durch dieses Ausschlussverfahren das Prädikat in seinem engen Begriff isoliert - nämlich renoviert. Graphisch lassen sich die Stufen in einem Kasten darstellen:

Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters

1. Stufe: Subjekt und Prädikat im Verbund werden ermittelt. 2. Stufe: Das Akkusativobjekt und die adverbielle Bestimmung werden bestimmt, und dadurch wird das Prädikat isoliert. Die Satzglieder sind hiermit ermittelt.

Auf die Binnenstruktur von Satzgliedern werde ich noch zurückkommen. Zunächst werden die Satzglieder erläutert und ihre Erscheinungsformen dargestellt. Satzglieder und somit selbstständige Teile des Satzes sind Subjekt, Prädikat, adverbielle Bestimmung und Objekt. Objekte kommen vor als Akkusativobjekt, Genitivobjekt, Dativobjekt und Präpositionalobjekt.

Das Subjekt Das Subjekt eines Satzes steht im Nominativ und wird durch die Frage wer? oder was? gefunden. In dieser Position kann ein Nomen ohne oder mit Begleiter (Artikel, Pronomen) und ohne oder mit Attribut (eine Nominalgruppe) stehen. Als Stellvertreter von Nomen kann hier auch ein Pronomen stehen; Infinitive kommen ebenfalls - allerdings selten - als Subjekt vor. Außerdem kann die Funktion des Subjekts von einem Gliedsatz erfüllt werden.

Nominalgruppe: Der blaue Pullover liegt im Schrank. Pronomen: Sie geht in die Schule.

Subjekt Infinitiv: Rauchen ist ungesund.

Gliedsatz: (1) Ein Boot zu bauen, hätte zu viel Zeit beansprucht. (2) Wer kein Auto besitzt, kann die Bahn benutzen.

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Wird die Funktion des Subjekts von einem Gliedsatz14 erfüllt, so heißt dieser Subjektsatz. F o r m a l kann ein Subjektsatz eine Infinitivkonstruktion (1), ein Konjunktionalsatz

oder ein Relativsatz (2) sein. In der Position des Subjekts kann auch das expletive es und es als vorläufiges

Subjekt auftreten. Das expletive es besitzt keinen semantischen Inhalt und keine Referenz (bezieht sich also nicht auf Vor- oder Nachgenanntes). Es kommt vor mit Verben bestimmter Bedeutung, z. B. Witterung (es stürmt), sinnliche Wahrnehmung (es schmeckt nach) oder Befinden (es freut mich). Als vorläufiges Subjekt bezeichnet man das es, wenn es als Platzhalter für einen nachfolgenden Subjektsatz oder ein nachfolgendes nominales Subjekt verwendet wird:

Das Prädikat Wie bereits erwähnt wurde, kann die Stelle des Prädikats nur von einem Verb eingenommen werden. Es kann entweder als allein stehende finite Verbform15 vorhanden sein oder mit mehreren Bestandteilen. Diese Bestandteile können trennbare Präfixe: Er lädt sie zu seinem Geburtstag ein, Hilfsverben, Vollverben und Modalverben sein: Ich werde arbeiten müssen. Alle möglichen Kombinationsformen haben eine wichtige Gemeinsamkeit: Es gibt immer nur e i n e finite Verbform. Für die deutsche Sprache typisch ist die Prädikatsklammer. Sie tritt auf, wenn das Prädikat aus mehreren Bestandteilen besteht.

Du musst von morgens bis abends hart arbeiten.

Prädikatsklammer

Ich werde nicht durch den Park nach Hause gehen.

Prädikatsklammer Komplexe Verbformen können außer aus den beschriebenen Bestandteilen auch aus festen, idiomatischen Verbindungen bestehen:

Leine ziehen, sich vom Acker machen - 'sich davonmachen, verschwinden'16 den Löffel abgeben - 'sterben'

Diese Zusätze bilden mit der finiten Verbform ebenfalls eine Prädikatsklammer.

14 Gliedsätze sind Nebensätze, die Satzgliedfunktion erfüllen; siehe zu den Begrifflichkeiten und Definiti-

onen auch Kap. 2.3. 15 Zur Erklärung von finite Verbform: siehe Anhang. 16 Bsp. vgl.: Bergmann et al. 1992, S. 57.

Nachfolgender Subjektsatz

Es stimmt, dass Hans die Fahrprüfung bestanden hat. Es ist unklar, ob dieses Buch lieferbar ist.

Nachfolgendes nominales Subjekt

Es agierten auf der Bühne nie mehr als zwei Schauspieler. Es kräht der Hahn im Hof.

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Ich mache mich jetzt sofort vom Acker. In der Satzanalyse muss vermerkt werden, dass es Prädikatsklammer sich hierbei um eine idiomatische Wendung

handelt.

Kopula und Prädikativum Manche Verben der deutschen Sprache können nicht alleine das Prädikat bilden. Solche Verben sind z. B. sein, werden, heißen17, bleiben, (er)scheinen. Zum Prädikat gehört in diesen Fällen noch das Prädikativ; die Verben werden dann Kopula genannt.

Er ist Student. Meine Mutter heißt Gisela. Kopula Prädikativ Kopula Prädikativ

Prädikat Prädikat Häufig trifft man andere Begriffe, die ebenfalls das Prädikativ bezeichnen. Prädikatsnomen, Prädikatsadjektiv und Prädikatsadverb sind formale Bezeichnungen und beziehen sich auf die Wortart, der das Prädikativ angehört. Prädikativ

Prädikatsnomen Prädikatsadjektiv Prädikatsadverb

Tina ist Geschäftsfrau. Tina ist tüchtig. Tina ist hier.

Da der Begriff Prädikativ alle auftretenden Formen bezeichnet, soll dieser in der Satzanalyse Verwendung finden. Formal kann das Prädikativ auch ein Gliedsatz sein: Tina ist nun, was sie immer sein wollte. Dieser Gliedsatz heißt dann Prädikativsatz.

Bei den Kopulaverben betrifft das Prädikativ das Subjekt, es handelt sich hierbei um das Subjektsprädikativ. Sofern das Subjektsprädikativ einen Kasus tragen kann (ein Nomen ist), steht es im Nominativ.18 Aber die Prädikation, die Zuordnung von Eigenschaften, muss sich nicht zwingend auf das im Nominativ stehende Subjekt des Satzes beziehen. Bei Verben wie nennen, heißen19, schimpfen, finden, schelten, halten für bezieht sich die Prädikation auf das Objekt, daher wird es Objektsprädikativ genannt. Ist das Objektsprädikativ ein Nomen, so trägt es den Akkusativ.

Subjekts- prädikativ

Tom wird Schreiner. Meine Mutter heißt Gisela. Er bleibt zuhause. Sie erscheint müde.

Objekts- Prädikativ

Sie nannten ihn Taugenichts. Ich finde den Film langweilig. Vater heißt gut, was ich tue. Wir halten ihn für einen guten Schriftsteller.

17 In der Bedeutung ‘einen Namen tragen’. 18 Daher findet man häufig hierfür auch den Begriff Gleichsetzungsnominativ. 19 In diesem Fall in einer anderen Bedeutung, siehe Fußnote 17.

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Akkusativobjekt Das Akkusativobjekt antwortet auf die Frage wen? oder was? und steht im Akkusativ.20 Als Akkusativobjekt kann eine Nominalgruppe fungieren. Wie beim Subjekt können in der Funktion des Akkusativobjekts wiederum Pronomen, Infinitive und auch Gliedsätze vorkommen.

Nominalgruppe: Die Mutter wickelt das schreiende Baby.

Pronomen: Das Kind grüßte sie. Akkusativ- objekt

Infinitiv: Ich versuche zu schlafen.

Gliedsatz: (1) Wir teilen dir mit, wann wir ankommen. (2) Wir teilen dir mit, wohin wir fahren. (3) Sie fragt sich, ob sie richtig entschieden hat. (4) Sie wünschte, sie wäre daheim. (5) Sie wünschte, in Rom zu sein.

Wird die Funktion des Akkusativobjektes durch einen Gliedsatz erfüllt, so heißt dieser Objektsatz. Wie die Beispiele zeigen, kann dieser Objektsatz formal unterschiedliche Ausprägung haben: Er kann durch ein Pronomen (wann) oder Adverb (wohin) eingeleitet sein (Relativsatz), er kann auch durch eine Konjunktion (ob) eingeleitet sein (Konjunktionalsatz), er kann uneingeleitet (wie im vierten Beispielsatz) oder auch eine Infinitivkonstruktion sein (wie im fünften Beispielsatz).

Genitivobjekt Selten ist das Genitivobjekt, das mit wessen? und dem Prädikat des Satzes zu erfragen ist:

Du gedenkst deiner Großmutter. Wessen gedenkst du? - Deiner Großmutter. Genitivobjekt Ich erinnere mich des Jubiläums. Wessen erinnerst du dich? - Des Jubiläums. Genitivobjekt

Häufig wird anstatt des Genitivobjekts ein Präpositionalobjekt gebraucht. Ich erinnere mich an das Jubiläum.

20 Häufig findet man für das Akkusativobjekt auch die Bezeichnung direktes Objekt. Dieser Begriff ist

semantisch begründet und bezeichnet “das Ziel bzw. das Ergebnis der im Prädikat ausgesagten Handlung.”(Volmert (Hg.) 1995, S. 135) Da eine solche Aussage unpräzise ist und bei bestimmten Verben das direkte Objekt auch in einem anderen Kasus (Genetiv oder Dativ) stehen kann, wird hier der Begriff Akkusativobjekt vorgezogen.

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Nominalgruppe: Wir gedenken unserer Vorfahren.

Pronomen: Wir bedürfen seiner. Genitiv- Objekt

Infinitv: Er konnte sich nicht enthalten zu lachen.

Gliedsatz: (1) Ich bin mir nicht sicher, die Türe abgeschlossen zu haben. (2) Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.21 (3) Der Boxer rühmt sich, daß er unschlagbar sei.22

Auch in der Funktion des Genitivobjekts kann ein Gliedsatz (Objektsatz) stehen: als Infinitivkonstruktion (1), als Relativsatz (2), als Konjunktionalsatz (3).

Dativobjekt Auf die Frage Wem geschieht es/gehört es? antwortet das Dativobjekt. Folgende Einheiten können die Funktion eines Dativobjekts übernehmen:

Dativ- objekt

Nominalgruppe:

Pronomen:

Gliedsatz:

Er ähnelt seinem Vater.

Sein Sohn winkt ihm. Der Film gefällt ihr.

Andy hilft, wem er helfen kann.

Im Gegensatz zum Akkusativobjekt und Genitivobjekt kann als Dativobjekt niemals ein Infinitiv fungieren!

Der Objektsatz als Dativobjekt kann nur ein R e l a t i v s a t z sein! (Siehe Beispielsatz). Es kann also in der Funktion des Dativobjekts kein erweiterter Infinitiv, kein uneingeleiteter Nebensatz und kein Konjunktionalsatz erscheinen.

Präpositionalobjekt Präpositionalobjekte werden mit ihrer Präposition plus wessen/wem/wen/was? erfragt: Sie denkt an ihre Freundin. An wen denkt sie? An ihre Freundin.

Ein Präpositionalobjekt ist nicht durch einen bestimmten Kasus markiert. Im obigen Beispiel steht das Präpositionalobjekt im Akkusativ, es kann aber ebenfalls durch den Dativ oder Genitiv markiert sein. Der Kasus des Bezugswortes hängt von der Präposition ab (Rektion23). Daher wird bei einem Präpositionalobjekt immer der Kasus mit angegeben: Präpositionalobjekt im Akkusativ, im Dativ oder im Genitiv.

Während die Präposition den Kasus des Bezugswortes determiniert, wird sie selbst von der Rektion des Verbs bestimmt. So fordert das Verb denken die Präposition an, und legen fordert auf etc. Es gibt auch Verben, die mit unterschiedlichen Präpositionen vorkommen

21 Matth. 12, 34. 22 Bsp. aus: Duden 1973, S. 536. 23 Siehe auch unter Präpositionen.

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können, was dann meist mit einer anderen Bedeutung einhergeht: Sie freuen sich über die Blumen. Sie freuen sich auf die Gäste. Sie freuen sich an der guten Musik.24

Das Präpositionalobjekt kann als Präposition mit Nominalgruppe auftreten: Sie denkt an ihre Freundin.

oder als Präposition mit Pronomen: Die Kinder reden mit ihr.

Adverbielle Bestimmungen (= Adverbialbestimmung = Adverbial) Adverbielle Bestimmungen sind Umstandsbestimmungen, die semantisch klassifiziert wer-den. Es sind Umstandsbestimmungen der Zeit (temporal), des Ortes (lokal), der Art und Weise (modal), der Ursache (kausal), des Zweckes (final), der Bedingung (konditional), der Einräumung (Gegengrund, konzessiv) und der Folge (konsekutiv). Adverbielle Bestimmun-gen charakterisieren die im Prädikat ausgesagte Handlung, den Vorgang oder Zustand nä-her; sie geben die Umstände an, unter denen etwas geschieht. Sie beziehen sich direkt auf das Prädikat oder auf den ganzen Satz. Adverbielle Bestimmungen können fakultativ oder obligatorisch sein. Ein Beispiel für eine obligatorische adverbielle Bestimmung ist diejenige beim Verb wohnen: Sie wohnt in Essen. Das Verb wohnen benötigt eine adverbielle Be-stimmung, die allerdings nicht zwangsläufig lokal sein muss (Sie wohnt beengt.). Vielfältige Erscheinungsformen von adverbiellen Bestimmungen kommen vor, von denen nur einige hier vorgestellt werden sollen.

1) eine Präpositionalgruppe als adv. Best.: Er schreibt in großer Eile einen Brief. 2) ein Adverb als adv. Best.: Ich gehe heute ins Kino. 3) ein unflektiertes Adjektiv als adv. Best.: Das neue Auto fährt schnell. 4) Gliedsätze als adv. Best., die dann Adverbialsätze heißen: Sie schwamm im See,

obwohl es schon sehr kalt geworden war. (Konzessiver Adverbialsatz, Einräu-mung)

Adverbielle Bestimmungen zeigen oft große Ähnlichkeit mit Präpositionalobjekten! Da die traditionelle Satzlehre keine ausreichenden Verfahren zur Unterscheidung und sicheren Identifikation sowohl der einen wie der anderen zur Verfügung stellt, gibt es zwangsläufig in manchen Fällen Abgrenzungsprobleme.

Bünting schlägt eine semantische Unterscheidung vor: „Objekte beziehen sich auf Per-sonen oder Sachen, adverbielle Bestimmungen auf Ort und Raum, Zeit und Dauer, Art und Weise.“25

Wöllstein-Leisten et al. setzen als Unterscheidungskriterium an, dass „Objekte [...] in der Regel durch Pronomina, Adverbialbestimmungen dagegen durch Adverben substituiert werden [können].“26

24 Bspe. aus: Volmert, J. (Hg.). 1995, S. 136. Der Bedeutungsunterschied zwischen sich freuen über und

sich freuen auf ist leicht ersichtlich; sich freuen auf referiert auf etwas in der Zukunft Eintreffendes. Der Unterschied zwischen sich freuen über und sich freuen an ist hingegen nicht so einfach nachzuvollzie-hen; hier ist für die Erklärung eine etymologische Recherche notwendig.

25 Bünting/Bergenholtz 1979, S. 78. 26 Wöllstein-Leisten et al. 1997, S. 40. Adverbialbestimmung ist gleichbedeutend mit adverbielle Bestim-

mung, ebenso Adverben mit Adverbien.

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Beispiele:

Präpositionalobjekt - Ich trinke auf das Brautpaar. Das Präpositionalobjekt bezieht sich auf Personen und genügt damit Büntings Definition; außerdem ist es durch ein Prono-men (plus Präpositionen) ersetzbar (Ich trinke auf sie.), entspricht also ebenfalls der Definition von Wöllstein-Leisten et al.

Adverbielle Bestimmung (als Präpositionalgruppe) - Ich trinke in der Kneipe. Die adver-bielle Bestimmung bezieht sich auf den Ort der Handlung (Definition nach Bünting) und ist durch ein Adverb ersetzbar: Ich trinke dort.

Attribute [lat. attribuere = hinzufügen] Bei der Ermittlung der Satzglieder ist bereits aufgefallen, dass es solche Satzglieder gibt, die eine Binnenstruktur aufweisen. Innerhalb des Satzgliedes herrscht eine Hierarchie. Welcher Art diese Rangordnung ist, kann man durch analytische Fragen und durch ein weiteres operationales Verfahren, die Weglassprobe, ermitteln.

Ich greife hier den oben zerlegten Beispielsatz wieder auf, bei dem folgende Satzglieder identifiziert wurden:

Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters

Die mehrgliedrigen Satzglieder die ganze Familie (Subjekt) und das alte Gartenhaus des Großvaters (Akkusativobjekt) werden der Weglassprobe unterzogen:

(1) Die (...) Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters. *Die ganze (...) renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters. Die ganze Familie renoviert (...) das alte Gartenhaus des Großvaters.

(2) Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das (...) Gartenhaus des Großvaters. *Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte (...) des Großvaters. Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus (...).

Durch die Probe erweisen sich die Wörter ganze und alte sowie die Nominalgruppe des Großvaters als weglassbar. Zur Erfüllung der Satzgliedfunktion werden sie nicht benötigt. Sie sind also dem nominalen Satzglied, auf das sie sich beziehen, untergeordnet. Attribute dienen der näheren Bestimmung eines Satzgliedes; sie sind n i c h t s e l b s t s t ä n d i g und im Normalfall nur mit ihrem Bezugswort verschiebbar.27 Attribute können jedem Satzglied außer dem Prädikat beigefügt sein. Sie werden auch, im Gegensatz zu den Satzgliedern erster Ordnung (Subjekt, Prädikat, Objekt(e), adverbielle Bestimmung(en)), Satzglieder zweiter Ordnung genannt.

Mithilfe der analytischen Fragen kommt man zu den gleichen Ergebnissen, jedoch müssen die Fragen sehr genau auf die semantischen Verhältnisse abgestimmt sein (vgl. (1) und (2), die beide nach einem Adjektivattribut fragen).

27 Die oben durchgeführte Verschiebeprobe am Beispielsatz hat gezeigt, dass grammatisch korrekte Sätze

entstehen können, obwohl das Attribut einem anderen Bezugswort zugeordnet ist. Dies gelingt aber nur unter der Voraussetzung, dass die geforderte Kongruenz (zufällig) gegeben ist. In diesem Fall sind dann semantische Kriterien anzusetzen.

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(1) Welcher Anzahl ist die Familie? Es ist die ganze Familie. Adjektivattribut zum Subjekt

(2) Welcher Art ist das Gartenhaus? - Es ist alt. Adjektivattribut zum Akkusativobjekt

(3) Wessen altes Gartenhaus ist es? - Des Großvaters. Genitivattribut zum Akkusativobjekt

Die oben begonnene Strukturanalyse wird also folgendermaßen fortgeführt: In der 3. Stufe werden die Satzglieder nach zugehörigen Attributen untersucht, und diese werden bestimmt.

Die ganze Familie renoviert in den Osterferien das alte Gartenhaus des Großvaters

Der Artikel, bestimmt oder unbestimmt, ist kein Attribut. Er vollzieht keine semantische Charakterisierung des Nomens; darüber hinaus „kann der Artikel nicht zusammen mit Pro-nomen auftreten“28: *die manche Leute, *das sein Auto. Außerdem verändert der Artikel, je nachdem, ob bestimmt oder unbestimmt, die Deklinationsform von Adjektiven: das große schnelle Raumschiff - ein großes schnelles Raumschiff Er ist nicht ohne weiteres wie ein Attribut weglassbar und gehört direkt zum Nomen.29

*(...) ganze Familie renoviert in den Osterferien (...) alte Gartenhaus des Großvaters. Attribute kommen häufig vor:

a) als Adjektivattribute: Das Adjektiv ist kongruent mit seinem Bezugswort und steht vor ihm (1). Bei gleichzeitigem Auftreten eines Artikels folgt das Adjektivattribut diesem nach (2). Brave Mädchen kommen in den Himmel. (2) Das neue Buch ist spannend.

Wie oben beschrieben, determiniert die Art des Artikels die Deklinationsform des Adjektiv-attributs.

b) als Genitivattribute: Sie sind Nomen und stehen - wie der Name schon sagt - im-mer im Genitiv. Sie können sowohl vor dem Bezugsnomen stehen oder ihm fol-gen. Sie führen stets einen Artikel oder ein Pronomen mit sich; lediglich, wenn es sich um Eigennamen handelt, ist ein Artikel nicht nötig. Vor dem Bezugswort ste-hende Genitivattribute sind meist Eigennamen. Oft geben Genitivattribute Besitz-verhältnisse an. Der Mythos der Medea Des Kaisers neue Kleider Salomes Tanz

c) als Attributsätze: Attributsätze können formal unterschiedlich ausgeprägt sein. Häufig sind • Relativsätze mit einleitendem Pronomen oder Adverb. • Die Sportler, die sich jede Woche auf dem Sportplatz treffen, bereiten sich auf

den Wettkampf vor. • Auch Konjunktionalsätze (Die Hoffnung, dass ich eines Tages im Lotto gewin-

nen werde, lässt mich jede Woche das Geld investieren.) und

28 Volmert 1995, S. 144. 29 Vgl. ebd., S. 144f.

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• erweiterte Infinitive (Die Absicht, diese Prüfung zu bestehen, rief plötzlich Ei-fer hervor.) kommen als Attributsätze vor.

Attribute können außerdem realisiert sein als: Adverbattribut (Der Stuhl hier ist noch frei!) Präpositionalattribut (der Tisch aus Stein) Apposition (Picard, der Kommandant der Enterprise,... / Dr. Wagner) Partizipialattribute (die schlafende Katze (Part. I) /der gekochte Reis (Part. II)) Infinitiv ohne Erweiterung (die Lust zu leben)

2.3 Hauptsätze, Gliedsätze und Gliedteilsätze Komplexe Sätze können entweder als Reihung von Hauptsätzen (Parataxe) oder als Satzge-füge mit übergeordneten Haupt- und abhängigen Glied(teil)sätzen (Hypotaxe) vorkommen.

Zur Aneinanderreihung von Hauptsätzen werden beiordnende Konjunktionen (und, oder, denn, sowohl ... als auch etc.) gebraucht oder Kommata bzw. Semikola (Strichpunk-te): Er saß in der warmen Morgensonne, und dabei hatte er die Augen geschlossen; er dachte wohl an seine Heimat.

Häufig findet man für abhängige Sätze in Satzgefügen den Begriff Nebensatz30, den ich hier nicht verwenden möchte. Die Bezeichnungen Gliedsatz und Gliedteilsatz ziehe ich vor, da sie die syntaktische Ungleichwertigkeit von Satzgliedern und Attributen widerspie-geln.

Gliedsätze erfüllen Satzgliedfunktion, “während Gliedteilsätze alle Typen von Attri-butsätzen umfassen; sie beziehen sich stets auf ein Bezugselement im übergeordneten Satz und sind daher nur „Teil“ eines Satzglieds“31. Es gibt drei Kriterien, hinsichtlich derer Glied(teil)sätze betrachtet werden können: Form, Funktion (syntaktischer Aspekt) und Be-deutung (semantischer Aspekt).

Nach ihrer Form und Funktion lassen sich alle Gliedsätze und Gliedteilsätze klassifi-zieren; nach semantischem Aspekt können allerdings nur Adverbialsätze differenziert wer-den.

F o r m a l werden Gliedsätze (GS) und Gliedteilsätze (GTS) unterschieden in uneingeleitete GS und GTS (ohne Einleitungswort) Konjunktionalsätze (mit einer Konjunktion als Einleitungswort) Relativsätze (mit einem Relativ- oder Interrogativpronomen oder einem Adverb

eingeleitet) satzwertige32 Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen (mit einer infiniten Verb-

form33, z. B. erweiterter Infinitiv)

Nach s y n t a k t i s c h e m (Funktion) Aspekt unterteilt kommen Gliedsätze vor als Subjektsätze Prädikativsätze

30 Er ist quasi (m. E. unspezifischer) Oberbegriff für Gliedsatz und Gliedteilsatz. 31 Bußmann 2002, S. 255. 32 Sie werden satzwertig bzw. Nebensatzäquivalente genannt, weil sie kein finites Verb besitzen (daher

lehnen viele Grammatiker es ab, sie mit „echten“ Sätzen gleichzusetzen). 33 Zur Erinnerung: Dazu gehören auch die Partizipien!

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Objektsätze Adverbialsätze,

während Gliedteilsätze immer Attributsätze sind.

Adverbialsätze sind Satzglieder und als solche adverbielle Bestimmungen. Sie geben also die Umstände an, unter denen etwas geschieht oder sich befindet. Dementsprechend werden sie nach s e m a n t i s c h e n Kriterien eingeteilt:

Temporalsatz (Zeitpunkt oder -dauer; bevor, bis, nachdem etc.): Er ging nach Hause, bevor er die Arbeit beendet hatte. Ich werde im Bett liegen bleiben, bis das Frühstück fertig ist.

Lokalsatz (Ort; wo etc.): Stell deine Schuhe hin, wo sie hingehören! Modalsatz (Art und Weise; indem etc.): Ich bildete mich, indem ich las. Kausalsatz (Ursache; weil etc.): Er ist in den See gefallen, weil du ihn gestoßen

hast. Konsekutivsatz (Folge; sodass, weshalb etc.): Anne ist gerannt, sodass sie den

Bus noch erreichte. Konzessivsatz (Gegengrund, Einräumung; obwohl etc.): Es gelingt nicht, obwohl

Andy sich bemüht. Konditionalsatz (Bedingung; falls, wenn etc.): Wenn ich genug Geld habe, mache

ich eine Weltreise. Ein Konditionalsatz muss nicht mit einer Konjunktion eingelei-tet werden; er kann auch uneingeleiteter Gliedsatz sein: Hätte ich genug Geld, machte ich eine Weltreise. Die finiten Verbformen stehen dann im Konjunktiv.

Finalsatz (Zweck; damit etc.): Die Studenten bereiten sich auf das Seminar vor, damit sie die Klausur bestehen. Auch ein Finalsatz muss von der Form her kein Konjunktionalsatz sein, sondern kann auch als Infinitivkonstruktion mit ‘um...zu’ vorkommen: Die Studenten bereiten sich auf das Seminar vor, um die Klausur zu bestehen.

Die Einteilung nach den Faktoren Form und Funktion schließt sich nicht gegenseitig aus. Da jeder Gliedsatz und jeder Gliedteilsatz eine Form besitzt, kann man ihn formal klassifi-zieren. Ebenfalls kann jeder GS und GTS nach seiner Funktion (ein bestimmtes Satzglied oder Beifügung zu sein) analysiert werden. Allerdings können nur Adverbialsätze (= Funk-tion) neben der formalen Einteilung auch noch einer semantischen Analyse unterzogen werden.

Zur Erinnerung: Ein Subjektsatz (Funktion) kann formal als Konjunktionalsatz, Rela-tivsatz oder Infinitivkonstruktion in Erscheinung treten, desgleichen Objektsätze, die die Funktion des Genitiv-, Präpositional- oder Akkusativobjekts einnehmen können. Ein Ob-jektsatz als Akkusativobjekt kann zusätzlich noch in der Form eines uneingeleiteten Glied-satzes auftreten. Als Dativobjekt kann ein Objektsatz aber nur in der Form eines Relativsat-zes erscheinen, nicht in einer anderen Form! Adverbialsätze kommen meist als Konjunktio-nalsätze vor, es gibt aber auch andere Möglichkeiten (siehe Konditional- und Finalsatz).

2.4 Zusammenfassung In der traditionellen Satzlehre werden Worte Wortarten zugeordnet und Sätze in ihre Satz-glieder zerlegt. Wortarten sind Kategorien, und Satzglieder sind relationale und funktionale

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Größen. Von den neun Wortarten sind die Verben, Nomen, Adjektive, Pronomen und Artikel flektierbar, dagegen sind Adverbien, Konjunktionen, Präpositionen und Inter-jektionen nicht flektierbar. Satzglieder sind selbstständige Einheiten eines Satzes; sie kön-nen mit analytischen Fragen erfragt oder mit operationalen Verfahren34, z. B. der Verschie-beprobe, ermittelt werden. Man unterscheidet folgende Satzglieder: Prädikat, Subjekt, Ob-jekte und adverbielle Bestimmungen. Objekte können als Akkusativobjekt, Genitivob-jekt, Dativobjekt und Präpositionalobjekt in Erscheinung treten. Adverbielle Bestim-mungen geben Umstände an und werden nach semantischen Gesichtspunkten klassifiziert (temporal, lokal, kausal etc.). Als Beifügungen zu den Satzgliedern (außer zum Prädikat) können Attribute vorkommen.

In der folgenden Tabelle soll noch einmal der Zusammenhang von Form und Funkti-on deutlich gemacht werden. Form bedeutet dabei entweder Wortart oder Wortgruppe, die als Nominal- oder Präpositionalgruppe oder als Gliedsatz auftreten kann. Nominalgruppen sind einzelne Nomen oder Nomen mit Artikel oder Pronomen; Präpositionalgruppen sind Nominalgruppen mit Präposition.

Funktion meint diejenige als selbstständiges Satzglied; Attribute werden in dieser Ta-belle nicht erwähnt.

Funktion Form

Prädikat Subjekt Prädikativ (jeweils mit Kopulaverb)

Akkusativ-objekt

Genitiv-objekt

Dativobjekt Präpositio-nalobjekt

adverbielle Bestim-mung

Finites Verb *

Nominalgruppe * * * * *

Präpositional-gruppe * *

Pronomen * * * *

Infinitiv * * * *

Infinitivkon-struktion * * * * * *

Relativsatz * * * * * *

Konjunktional-satz * * * * *

Uneingeleiteter Gliedsatz * *

Adverb * * (Pronomi-naladverb)

*

Unflektiertes Adjektiv * *

34 Zur Erinnerung: Die operationalen Verfahren stammen nicht aus der traditionellen Grammatik, sondern

gehen auf den deutschen Sprachwissenschaftler Hans Glinz zurück.

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2.5 Anwendung in der Satzanalyse Bei der Satzanalyse werden sowohl die Wortarten als auch die Satzglieder angegeben. Gibt es Attribute, so muss mit Pfeilen deutlich gemacht werden, worauf sie sich beziehen. Von möglicherweise vorkommenden Glied- oder Gliedteilsätzen werden die formalen und funk-tionalen Eigenschaften und, wenn es sich um Adverbialsätze handelt, ebenfalls die semanti-schen Merkmale benannt. Präp. = Präposition, Pron. = Pronomen, adv. Best. = adverbielle Bestimmung

Artikel Adjektiv Nomen Präp. Pron. Eigenname / Nomen Verb

Das graue Giebelhaus, in dem Johannes Friedemann aufwuchs, adv. Attribut zu Best. Subjekt des Gliedteilsatzes Prädikat des lokal Gliedteilsatzes direkte Verbindung Attributsatz zu „Giebelhaus“ als uneingeleiteter Gliedteilsatz

SUBJEKT des Hauptsatzes

Verb Präp. Adjektiv Nomen Artikel Adjektiv Adverb Adjektiv Nomen lag am nördlichen Tore der alten, kaum mittelgroßen Handelsstadt. Attribut zu Attribut zu Attribut zu „Handelsstadt“ Attribut zu „Handelsstadt“ direkte Verbindung Genitivattribut zu „Tore“ (obligatorische) adverbielle Bestimmung des Ortes (lokal) Prädikat

3. Übungsaufgaben I. Worin unterscheiden sich Gliedsätze und Gliedteilsätze? II. Welche Wortarten sind flektierbar und welche nicht? III. Was ist der wesentliche Unterschied zwischen Wortarten und Satzgliedern? IV. Führen Sie eine Satzanalyse durch: V. ...und einmal, als Mahlke schon schwimmen konnte, lagen wir neben dem

Schlagballfeld im Gras.35

35 Grass 1994.

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Syntax II von Susanne Feld

Gliederung 1. Dependenzgrammatik 2. Phrasenstrukturgrammatik 3. Zusammenfassung und Kritik 4. Übungsaufgaben

1. Dependenzgrammatik Als Begründer der Dependenzgrammatik gilt der Franzose Lucien Tesnière. Sein Haupt-werk Grundzüge der strukturalen Syntax erschien 1959, fünf Jahre nach seinem Tod, und liegt seit 1980 auch in der deutschen Übersetzung vor.

Tesnière legt strukturalistische Vorannahmen zugrunde, die Heringer et al. folgender-maßen formulieren:

„Die Beschreibung der Struktur von Sätzen muß auf bestimmte [sic!] Relationen [Hervorhebung von mir, S.F.] basieren. Denn jede Struktur besteht in einer Men-ge von Gegenständen, die durch Relationen geordnet ist. Die reine Idee des Strukturalismus geht sogar davon aus, daß die Gegenstände nichts anderes sind als Variablen, deren Wert sich bestimmt durch die verschiedenen Relationen zu anderen Variablen [...].“1

Elemente eines Satzes sind demzufolge nicht nur die Wörter in ihm, sondern auch die Ver-bindungen, die zwischen diesen Wörtern bestehen und sie erst zu einem zusammengehöri-gen Ganzen machen. Diese Verbindungen nennt Tesnière Konnexionen.

„Daraus folgt, daß ein Satz vom Typ Alfred spricht nicht aus zwei Elementen – nämlich erstens Alfred und zweitens spricht – besteht, sondern aus drei Elemen-ten: erstens Alfred, zweitens spricht und drittens der Konnexion, die sie verbindet und ohne die kein Satz bestünde. Wer sagt, daß ein Satz wie Alfred spricht nur zwei Elemente enthalte, der hat oberflächlich und rein morphologisch analysiert und das Wesentliche – die syntaktische Verbindung – übersehen.“2

Die syntaktische Verbindung geht im Normalfall einher mit einer semantischen Verbin-dung; eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellen die Anaphernwörter dar.3

In Tesnières graphischen Darstellungen von Sätzen (Stemma) sind die Konnexionen durch so genannte Konnexionsstriche verdeutlicht.

Tesnière setzt weiterhin voraus, dass das Verb das übergeordnete Element im Satz ist; von ihm sind alle anderen Elemente direkt oder indirekt abhängig. Diese Abhän-gigkeitsbeziehungen sind die wichtigsten Elemente, von denen er in seiner Theorie der Satz-

1 Heringer et al. 1980, S. 119. 2 Tesnière 1980, S. 26. 3 In der Literaturwissenschaft, i. e. S. der Rhetorik, wird der Begriff Anapher zur Beschreibung eines

Stilmittels gebraucht: Eine Anapher ist die Wiederholung desselben Wortes bzw. derselben Wortgruppe am Beginn zweier (oder mehrerer) aufeinanderfolgender Verse, Strophen oder Sätze. In der Linguistik hat der gleiche Begriff eine andere Bedeutung, auf die ich noch zurückkommen werde.

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struktur ausgeht. Daher kommt auch der Name Dependenzgrammatik, ‘Abhängigkeits-grammatik’.

Die hierarchischen Beziehungen in einem Satz stellt Tesnière in einem Baumgraphen, dem Stemma, dar:

schläft

Konnexion

Thomas

Das übergeordnete Element heißt Regens, das untergeordnete Dependens. Das im Satz al-len anderen Elementen übergeordnete Regens ist das Verb. Von ihm hängen die Aktanten (die Handelnden) und die Circonstanten (die Umstände) ab. Die Aktanten entsprechen in der traditionellen Satzlehre dem Subjekt und den Objekten; den Circonstanten kommen die adverbiellen Bestimmungen gleich. Die Anzahl der Aktanten in einem Satz ist festgelegt, wohingegen die Anzahl der Circonstanten unbegrenzt ist. Tesniére billigt dem Subjekt nicht die Sonderstellung zu, die es in der traditionellen Satzlehre besitzt. Er stellt das Subjekt den Objekten gleich und spricht von Ergänzungen im Nominativ, im Akkusativ, im Dativ und im Genitiv. Nach Tesnière können in einem Satz nur drei Arten von Aktanten vorkommen:

1. Aktant im Nominativ (traditionelle Bezeichnung: Subjekt) 2. Aktant im Akkusativ (trad. Bez.: Akkusativ-Objekt) 3. Aktant im Dativ oder Genitiv (trad. Bez.: Dativ- bzw. Genitiv-Objekt)

In dieser Reihenfolge werden sie von links nach rechts notiert; ganz rechts werden die Cir-constanten aufgetragen. Aktanten und Circonstanten werden alle auf der gleichen horizonta-len Ebene angesiedelt, und von ihnen können wiederum andere Elemente, Beiwörter, ab-hängen (diese entsprechen den Attributen in der traditionellen Syntax). Die Zahl der Bei-wörter ist unbeschränkt. Aktanten sind obligatorisch, Circonstanten sind fakultativ.

Aktanten und Circonstanten können zugleich Dependens und Regens sein. Meine Schwester kauft unserer Mutter gelbe Rosen.

kauft Zentralnucleus

Regentien/ Schwester Rosen Mutter Aktanten Dependentien

Dependentien meine gelbe unserer Beiwörter

1. Aktant = Ergänzung im Nominativ (ENOM): Schwester 2. Aktant = Ergänzung im Akkusativ (EAKK): Rosen 3. Aktant = Ergänzung im Dativ (EDAT): Mutter

In diesem Beispiel ist Schwester Dependens zu kauft und gleichzeitig Regens von meine. Ebenso sind Rosen und Mutter Dependentien zu kauft und Regens von gelbe bzw. unserer.

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Analog zu dem Begriff Stemma, der den ganzen Baumgraphen meint, wird jedes Regens mitsamt seinen Dependentien als Nucleus4 bezeichnet. Der höchste Nucleus ist das Verb, von dem direkt oder indirekt alle Elemente des Satzes abhängen. Daher wird er auch Zentralnucleus genannt. Aber auch ein Aktant oder Circonstant ist Nucleus, sofern er ein oder mehrere Dependentien besitzt (im Beispielsatz Schwester, Rosen, Mutter). Ein Regens wird im Stemma mit einem Rahmen versehen.

schreibt ENOM: Stefanie EAKK: einen Brief

Stefanie einen Brief Beiwörter: langen, sehr

langen

sehr

In diesem Beispielsatz ist der Aktant im Nominativ, Stefanie, kein Nucleus, weil er keine Dependentien besitzt. Das Beiwort langen bildet aber sehr wohl einen Nucleus und ist damit auch Regens, weil von ihm ein weiteres Beiwort, nämlich sehr, abhängt. Beiwörter können als abhängige Glieder weitere Beiwörter bei sich haben. Wie steht es aber mit einem Satz wie:

Oma und Opa haben sich über das Geschenk gefreut.? Hierbei gibt es offensichtlich mehrere Schwierigkeiten:

1) wie wird mit einem mehrteiligen Verb verfahren? 2) gelten Präpositionen und Artikel auch als Beiwörter? 3) wie wird die gleichordnende Verbindung Oma und Opa beschrieben? 4) wird die Verbindung zwischen sich und Oma und Opa erfasst? 5) wenn Aktanten nur - traditionell gesprochen - Subjekt, Akkusativ-, Dativ- und Ge-

nitivobjekt sein können, was sind dann solche Wortgruppen wie über das Ge-schenk?

Für Tesnière gibt es zwei Arten von Wörtern, volle Wörter und leere Wörter. Volle Wör-ter sind semantisch gefüllt, tragen eine Bedeutung (Haus, Brief, laufen, schön, ganz). Er unterscheidet vier Unterarten von vollen Wörtern: Verb, Adverb, Nomen und Adjektiv. Diese Einteilung begründet er mit den Begriffen Substanz, Prozess, konkret und abstrakt. Substantive bezeichnen eine Substanz konkret, Adjektive bezeichnen sie abstrakt, ein Pro-zess wird durch ein Verb konkret bezeichnet und durch ein Adverb abstrakt.5

Substanz Prozess Konkret Substantiv Verb Abstrakt Adjektiv Adverb

4 Es existiert für die Benennung dieses Sachverhalts auch noch der Terminus Nexus; ich greife aber hier

auf die Begrifflichkeit Nucleus und Zentralnucleus zurück, die Weber in seinem Arbeitsbuch Depen-denzgrammatik verwendet und die m. E. verständlicher sind.

5 Diese Wortklassen und ihre Herleitung werden oft zu Recht von anderen Linguisten kritisiert, gehören jedoch zum Modell der Dependenzgrammatik und werden von Tesnière vorausgesetzt.

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Leere Wörter sind solche, die nur eine grammatische Rolle spielen, also keine Bedeutung transportieren (und, für, dass, der, ein). Leere Wörter können in einem Satz weder Regens noch Dependens sein; sie sind immer einem vollen Wort zugeordnet und bilden mit diesem zusammen ein syntaktisches Wort. Syntaktische Wörter sind nach Tesnière die Bestandtei-le eines Satzes. Sie bestehen immer „aus mindestens einem vollen Wort und fakultativ aus einem leeren.“6 Demgegenüber nennt er einzelne Wörter, die in der Schriftsprache durch ein Leerzeichen von anderen Wörtern abgetrennt werden, morphologische Wörter. 1) Demnach handelt es sich bei mehrteiligen Verben um ein syntaktisches Wort, das aus

mehreren morphologischen Wörtern besteht:

haben gefreut

2) Ebenso verhält es sich mit Artikeln und Präpositionen; da sie keinen semantischen Inhalt transportieren, bilden sie mit ihrem Nomen (oder Pronomen) ein syntaktisches Wort:

ein Bild der Lehrer über das Geschenk 7

Insofern sind sie keine Beiwörter.

3) Gleichgeordnete syntaktische Wörter, in obigem Beispielsatz Oma und Opa, bilden eine Junktion. Dies ist eine horizontale syntaktische Relation, die mithilfe von Junktoren (Konjunktionen: und, oder etc.) geknüpft wird. Junktionen können nicht nur zwischen Aktanten, sondern auch zwischen Verben, Adjektiven und Circonstanten bestehen. Sie werden im Stemma durch ein Dreieck dargestellt.

essen putzt und wischt

Oma und Opa Mutter

Betrifft die Junktion Satzteile in der Funktion Aktant, so repräsentiert die komplette Junkti-on nur einen Aktanten. Es handelt sich also im Beispiel Oma und Opa nicht um zwei Aktan-ten, sondern um einen einzigen, nämlich um die Ergänzung (den Aktanten) im Nominativ.

4) Wie bereits erwähnt, decken sich im Normalfall die syntaktischen Konnexionen mit den semantischen. Bei Anaphernwörtern ist dies nicht der Fall, hierbei ist nur eine semanti-sche Verbindung vorhanden. Eine Anapher verweist auf eine andere sprachliche Einheit, z. B. sind Possessivpronomen Anaphern. Herr Meier repariert sein Auto. Sein ist eine Anapher und verweist auf Herr Meier; wäre Frau Meier die Eigentümerin des Wagens, so müsste die Anapher auf sie verweisen und dementsprechend ihr lauten. Die Anapher wird im Stemma durch eine gestrichelte Linie dargestellt.

6 Clément 1996, S. 62. 7 Der elliptische Rahmen soll nur die Zusammenfassung mehrerer morphologischer Wörter zu einem

syntaktischen Wort graphisch darstellen, unabhängig davon, ob es sich um einen Nucleus handelt oder nicht.

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mögen helfe

Stefanie und Christian sich ich Bruder

meinem

5) Nach Tesnière handelt es sich bei den - traditionell gesprochen - ‘Präpositionalobjekten’ nicht um Aktanten, sondern um Circonstanten, die Umstände des Geschehens angeben. Als Circonstanten sind sie freie Satzteile.

Der Satz: Oma und Opa haben sich über das Geschenk gefreut. wird im Stemma so darge-stellt:

haben gefreut

Oma und Opa sich über das Geschenk

ENOM: Oma-und-Opa, Junktion EAKK: sich (Anapher zu ENOM) Circonstant: über das Geschenk

Ein Verb hat eine bestimmte Wertigkeit, die Valenz. Die Valenz eines Verbs ist eine Eigen-schaft von diesem und haftet ihm, laut Tesnière, immer an. Ein Verb eröffnet eine definierte Anzahl an Leerstellen um sich, die gefüllt werden müssen, damit der Satz grammatisch ist. Diese Anzahl der geforderten Ergänzungen ist die Wertigkeit (Valenz). Fordert also ein Verb nur eine Ergänzung, so ist es einwertig, fordert es zwei Ergänzungen, so ist es zwei-wertig usw. Ein einwertiges Verb ist demnach eines, das nur eine Ergänzung im Nominativ benötigt, um einen grammatisch korrekten Satz zu bilden. Ein zweiwertiges Verb braucht eine Ergänzung im Nominativ und eine weitere Ergänzung, und ein dreiwertiges Verb be-sitzt alle drei Arten von Aktanten, die es - laut Tesnière - gibt.

Einwertiges/Monovalentes Verb: Sie schläft. Zweiwertiges/Bivalentes Verb: Er schreibt einen Aufsatz. Dreiwertiges/Trivalentes Verb: Ich gebe meinem Freund die Zeitung.

Mehr als drei Leerstellen kann ein Verb nicht eröffnen. Allerdings existieren auch Verben, die keiner Ergänzung bedürfen; es handelt sich da-

bei um so genannte unpersönliche Verben. Dies sind vor allem die Witterungsverben reg-nen, schneien etc. Das es ist kein Aktant, da es nicht semantisch gefüllt ist (expletives es).

Solche Verben sind nullwertig/avalent: Es donnert. Zu den obligatorischen Ergänzungen, die ein Verb braucht, um einen grammatischen

Satz zu bilden, können noch fakultative Ergänzungen kommen. Er schreibt ihm einen Brief. Die Valenz eines Verbs ist eine semantische und eine syntaktische Eigenschaft.

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2. Phrasenstrukturgrammatik Die Phrasenstrukturgrammtik ist ein Grammatikmodell des amerikanischen Strukturalismus und im Wesentlichen auf ZELLIG HARRIS zurückzuführen. Ausgangspunkt ist nicht das Verb, wie in der Dependenzgrammatik Tesnières, sondern der ganze Satz. Beide Ansätze haben gemeinsam, dass sie eine hierarchische Struktur von sprachlichen Äußerungen zugrunde legen. Diese hierarchische Struktur soll in der Phrasenstrukturgrammatik durch die Konstituentenanalyse oder IC-Analyse8 („immediate constituents“, unmittelbare Kon-stituenten9) aufgedeckt werden. Bei diesem Verfahren wird der Satz schrittweise segmen-tiert, und zwar immer in zwei Teile. Wo die Segmentierungsgrenzen liegen sollen, kann mithilfe des Kommutationstests (Ersatzprobe) ermittelt werden. Man nimmt eine Segmen-tierungsgrenze an und ersetzt jeden der beiden Teile durch andere Elemente aus der glei-chen Konstituentenklasse. Zum Verständnis des Begriffs Konstituentenklasse rufen Sie sich bitte die Erläuterungen im ersten Kapitel zu den paradigmatischen Beziehungen zurück. Die Elemente einer Konstituentenklasse sind gegenseitig ersetzbar; sie stehen in paradigmati-schen Beziehungen zueinander.

Wurde die Segmentierungsgrenze richtig angesetzt, so sind folgende Kriterien er-füllt10:

1. Die Teile sollen möglichst unabhängig sein. 2. Die Teile sollen unter Bewahrung ihrer Bedeutung in möglichst vielen anderen

Umgebungen verwendet werden können. 3. Die Teile sollen Elemente einer Konstituentenklasse sein, die möglichst viele Ele-

mente umfasst.11 Wichtig ist, dass jede Konstituente durch ein Wort ersetzt werden kann (wobei sich natür-lich die Bedeutung - möglicherweise stark - verändert).

Der Satz Die Professorin hält einen Vortrag.12

könnte z. B. segmentiert werden in: * Die Professorin hält | einen Vortrag.

Bei dem Versuch, jede ‘Konstituente’ durch ein Wort zu ersetzen, wird man bald feststellen, dass der erste Teil Die Professorin hält nicht durch nur ein Wort repräsentiert werden kann. Er ist auch nicht möglichst unabhängig, kann nicht in vielen anderen Umgebungen verwen-det werden und gehört auch nicht einer Konstituentenklasse an, die möglichst viele Elemen-te enthält. Demnach ist diese Segmentgrenze abzulehnen. Zieht man die Segmentierungs-grenze zwischen Professorin und hält,

Die Professorin |hält einen Vortrag. gelingt die Ersatzprobe: Sie |doziert.

Im ersten Segmentierungsschritt erhält man zwei Konstituenten, die den in der traditionellen Grammatik postulierten Satzteilen Subjekt und weites Prädikat entsprechen. Von dieser 8 Diese Begriffe sind gleichbedeutend. 9 Konstituente = Bestandteil, sprachliche Einheit 10 Diese Kriterien gelten bei jedem Teilungsschritt! 11 Pelz 1996, S. 156. 12 Bsp. aus: Bußmann 2002, S. 371.

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Terminologie distanziert sich der amerikanische Strukturalismus13 und führt die Begriffe Nominalphrase und Verbalphrase ein. Die Phrasenstrukturgrammatik geht davon aus, dass jeder Satz zwei unmittelbare Konstituenten hat: eine Nominalphrase im Nominativ und eine Verbalphrase, die den Rest des Satzes umfasst14.

Im Folgenden wird - wie in der Fachliteratur üblich - Nominalphrase mit NP und Ver-balphrase mit VP abgekürzt. Die Segmentierung wird so weit fortgeführt, bis die Mor-phem-Ebene erreicht ist; damit ist der Zusammenhang zwischen dem Morphem als der kleinsten bedeutungstragenden Einheit und dem Satz hergestellt. Die stufenweise Segmen-tierung und somit die Hierarchie im Satz wird durch einen abstrakten Phrasenstruktur-baum dargestellt, an den die konkreten Konstituenten angehängt werden.

Die Professorin hält einen Vortrag. Satz NP VP ART N V NP ART N die Professorin hält einen Vortrag

Die|Professor|in|hält|ein|en|Vor|trag15

Wie das Beispiel zeigt, sind sowohl NP als auch VP oft noch weiter segmentierbar. Mindes-tens ist die NP durch ein Nomen oder Pronomen und die VP durch ein Verb repräsentiert. Unter anderem werden folgende Abkürzungen in den abstrakten Phrasenstrukturbäumen be-nutzt:

N V ART ADJ

= Nomen = Verb = Artikel = Adjektiv

PRO = Pronomen ADV = Adverb PRÄP = Präposition KONJ = Konjunktion

PP NPnom NPakk NPdat

= Präpositionalphrase = Nominalphrase im Nominativ = Nominalphrase im Akkusativ = Nominalphrase im Dativ

Zur Verdeutlichung des abstrakten Phrasenstrukturbaumes ein weiteres Beispiel: 13 Nicht nur der amerikanische Strukturalismus distanziert sich hiervon, auch der europäische tut dies; aber

auf den amerikanischen Zweig kommt es an dieser Stelle an. 14 Dieser Rest des Satzes entspricht in der traditionellen Grammatik dem weiten Prädikat (das Prädikat mit

allen Objekten und adverbiellen Bestimmungen). 15 Die Morphemanalyse erfolgt basierend auf den Erkenntnissen des Kapitels Morphologie.

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Der kleine Fridolin erzählt seiner Mutter haarsträubende Geschichten aus dem Kindergarten Satz

NPnom

VP

ART NPnom

V NP

ADJ Nnom NPdat

NP

PRO Ndat NPakk

PP

ADJ Nakk PRÄP NPdat

ART

Ndat

Der kleine Fridolin erzählt seiner Mutter haarsträubende Geschich-ten

aus dem Kindergarten

Morphemfolge: Der|klein|e|Fridolin|erzähl|t|sein|er|Mutter|haar|sträub|en|d|e|Geschichte|n|aus|dem|Kind|er|garten

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3. Zusammenfassung und Kritik Sowohl in der Dependenzgrammatik als auch in der Phrasenstrukturgrammatik wird davon ausgegangen, dass ein Satz ein hierarchisches Gebilde ist. Die Art der Hierarchie wird aber unterschiedlich erfasst.

Die Dependenzgrammatik legt das Verb als übergeordneten Teil des Satzes zugrunde, von dem alle anderen Elemente direkt oder indirekt abhängen. Die dem Verb direkt unter-geordneten Elemente sind die Aktanten und die Circonstanten, wobei die Aktanten obligato-risch, die Circonstanten fakultativ sind. Von diesen können jeweils weitere Dependentien abhängen. Die Stemmata der Dependenzgrammatik stellen Teil-Teil-Beziehungen dar (jedes Wort kommt im Stemma nur an einer Stelle vor). Mit der Überordnung des Verbs gibt Tes-nière die Subjekt-Prädikat-Beziehung und die Sonderstellung des Subjekts in der traditio-nellen Grammatik auf.

In der Phrasenstrukturgrammatik werden Teil-Ganzes-Beziehungen aufgedeckt; Aus-gangspunkt der Untersuchung ist der ganze Satz, der zunächst in Nominalphrase und Ver-balphrase segmentiert wird. Die Prozeduren der Konstituentenstrukturanalyse sind die be-reits aus der Phonologie und der Morphologie bekannten Verfahren der Segmentierung und Klassifizierung, die sich ihrerseits operationaler Verfahren bedienen (z. B. Ersatzprobe). Die Segmente heißen Konstituenten; auf der ersten Ebene werden die unmittelbaren Konstituen-ten (immediate constituents) NP und VP analysiert. Obwohl sich der amerikanische Struktu-ralismus explizit von der traditionellen Terminologie distanziert und neue Begriffe prägt, spiegelt sich in dieser Unterteilung das traditionelle Subjekt-Prädikat-Grundgerüst wider.

Tesnière schreibt jedem Verb eine bestimmte Valenz, Wertigkeit, zu; diese Valenz be-ruht auch auf semantischen Gegebenheiten, die einen wichtigen Einfluss auf die syntakti-schen Strukturen haben. Die Phrasenstrukturgrammatik dagegen will allein mit formalen Mitteln die Strukturen in einem Satz ergründen und orientiert sich strikt an der Oberflächen-struktur; die Untersuchung semantischer Verbindungen lehnt sie ausdrücklich ab. Dadurch gelingt es ihr - selbstverständlich - nicht, Zusammenhänge zu erschließen, die hauptsächlich semantischer Art sind. So bleiben z. B. Mehrdeutigkeiten (die Entdeckung des Schülers), diskontinuierliche Elemente (... trage ... vor), Referenz auf Vor- oder Nachgenanntes u. a. unentdeckt.

Besonders problematisch ist in der Dependenzgrammatik die Unterscheidung der Aktanten als obligatorischen Satzgliedern und der Circonstanten als fakultativen Satzgliedern. Man gerät sehr schnell an Fälle, in denen diese strikte Unterscheidung nicht greift:

Sie wohnt in Rom. Ich fliege nach Mallorca. Nach Tesnière sind die Satzglieder in Rom und nach Mallorca fakultativ, können also weg-gelassen werden. Ist der Satz aber dann noch grammatisch? Es ist Tesnière und seinen Schülern nicht gelungen, diese Lücke zu schließen. Laut Heringer hat Tesnière eine große Zahl von Sprachen seiner Grammatik zugrunde gelegt. Dadurch blieben ihm aber auch „ge-naue Einsichten in die Struktur einzelner Sprachen verschlossen“.16

Die traditionelle Grammatik geht im Gegensatz zu diesen vorgenannten Ansätzen da-von aus, dass der Satz im Wesentlichen eine lineare Struktur ist. Mittelpunkt dieses Modells ist die Lehre von den Wortarten und Satzgliedern.

16 Heringer 1973, S. 21.

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Wie bereits in der Einleitung zu Syntax I angekündigt, zeigt sich, dass keines der Modelle unfehlbar ist und Sätze in all ihren Erscheinungsformen erfassen kann. Offenbar geht jeder Ansatz von starken Vorannahmen aus. Es wird außerdem deutlich, dass die Sprachwissen-schaft ganz anders arbeiten muss als die Naturwissenschaften,

„wo man ja wirklich mit einigem Recht annehmen kann, daß die Natur für uns Menschen nur so weit strukturiert sein kann, wie uns diese Struktur zugänglich ist. [...] Diese Ansicht ist aber nicht auf das Objekt der Linguistik, die menschli-che Sprache, übertragbar. Denn Sprachen sind nicht naturgegeben, sondern von Menschen gemacht und insofern intentionale Objekte, die mit bestimmten Ab-sichten geschaffen wurden und ständig mit bestimmten Absichten verändert wer-den.“17

4. Übungsaufgaben I. Worin unterscheiden sich Dependenzgrammatik und Phrasenstrukturgrammatik

gemeinschaftlich von der traditionellen Grammatik? II. Wie werden in der Phrasenstrukturgrammatik die ‘Teile’ eines Satzes genannt und

wie werden sie ermittelt? III. Fassen Sie die Grundgedanken der Dependenzgrammatik zusammen und benutzen

Sie hierzu die Fachtermini. IV. Was ist der Unterschied zwischen vollen und leeren Wörtern und zwischen morpho-

logischen und syntaktischen Wörtern? V. Was ist ein Nucleus? VI. Erklären Sie Valenz. VII. Führen Sie jeweils eine dependenzgrammatische und eine phrasenstrukturgramma-

tische Satzanalyse durch: Dieser klassische Roman wurde mit Lieschen Müller in der Hauptrolle verfilmt.

Welche Probleme ergeben sich jeweils?

17 Heringer 1980, S. 121.

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Semantik von Alexandra Heising

Verdaustig wars, und glasse Wieben Rotterten gorkicht im Gemank; Gar elump war der Pluckerwank, Und die gabben Schweisel frieben. (Lewis Carroll: Der Zipferlake, 1. Strophe, in: Alice hinter den Spiegeln, über-setzt von Christian Enzensberger)

Gliederung: 1. Einleitung 2. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks 3. Bedeutungsbeziehungen zwischen verschiedenen sprachlichen Ausdrücken 3.1 Bedeutungsgleichheit, Gegensatz und Oberbegriff 3.2 Denotation und Konnotation 3.3 Kollokation 3.4 Metaphern 3.5 Wortfelder 3.6 Prototypensemantik 4. Bedeutungsveränderungen / Bedeutungswandel 5. Zusammenfassung 6. Übungsaufgaben

1. Einleitung Manch eine(r) wird beim Lesen des Zipferlake vielleicht an ihren bzw. seinen Deutsch-kenntnissen gezweifelt oder sich gefragt haben, ob das Gedicht wirklich in deutscher Spra-che vorliegt. Der Leserin / dem Leser sei gesagt, dass derartige Zweifel unnötig sind. Viel-mehr wird die Irritation dadurch hervorgerufen, dass die meisten der verwendeten Lautket-ten im Deutschen keine Bedeutung tragen, sodass die Zuordnung einer Bedeutung / eines Inhalts zu der Ausdrucksseite der Wörter nicht möglich ist. Trotzdem sind die Lautketten morphologisch und syntaktisch korrekt miteinander verbunden, was zunächst eine Bedeu-tungsseite vermuten lässt. Genau damit aber beschäftigt sich die Semantik: mit Bedeutung. Sie will erforschen, welcher Ausdruck welche Bedeutung trägt und welche Beziehungen - z. B. Gegensätze - sprachliche Ausdrücke zueinander eingehen können. Im Gegensatz zu den bisher bearbeiteten Gebieten der Linguistik, die sich mit der äußeren Form von Wörtern beschäftigen, geht es hier um die inhaltliche Seite der sprachlichen Zeichen.

Die Semantik bildet noch nicht lange eine eigene Disziplin der Linguistik. Dennoch warfen Vorformen schon lange ihre Schatten voraus: Platons Dialog Kratylos beschäftigte sich ebenso in gewissem Rahmen mit Wörtern und ihrer Bedeutung wie dies auch die Inter-pretation von Texten, im europäischen Kulturkreis zuerst die der Bibel, schon getan hatte. Auch die Lexikographie - das Wörterbuchschreiben - und die Übersetzungskunst können als Vorläufer der Semantik betrachtet werden. Bedeutungsforschung im engeren Sinne wurde dann ab dem 19. Jahrhundert mit der Etymologie betrieben, die sich mit Herkunft und Ge-

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schichte sowie der Bedeutung von Wörtern befasst. Jedoch wurde die Semantik in ihrer heutigen Gestalt erst im Zuge des Strukturalismus geboren.1

Aliquid stat pro aliquo (eines steht für etwas anderes) - dieser vielzitierte Satz bringt zum Ausdruck, was für die Semantik wesentlich ist. Zu einem sprachlichen Ausdruck ge-hört immer ein Referenzobjekt, auf das er sich bezieht; dabei kann es sich um Gegenstände, Sachverhalte, Personen, Gedanken, Begriffe, Ereignisse etc. handeln. Ein Problem ergibt sich für die Semantik, da die Bedeutung eines Wortes mit gleichen Mitteln, also mit anderen Wörtern, erklärt werden muss. Außerdem ist Bedeutung nicht exakt wissenschaftlich über-prüfbar, da sie einem sprachlichen Ausdruck vom Sprecher intuitiv und oftmals individuell leicht abweichend zugeordnet wird.

2. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks Die Semantik definiert ein Wort als Bündel von Bedeutungsmerkmalen. Diese machen zu-sammen die Bedeutung eines Wortes und seine Abgrenzbarkeit von anderen Wörtern aus. Die Bedeutungsmerkmale nennt man Seme. Man kann sie sich wie kleine Bedeutungsatome vorstellen, die, je nach Zusammenstellung, ein anderes Wort ergeben. Kombiniert man die Seme orange, rund, mittelgroß, essbar, schälbar, so erhält man Orange. Tauscht man nun das Sem mittelgroß durch klein aus, so spricht man nicht mehr von einer Orange, sondern von einer Mandarine. Jedes Wort enthält unendlich viele Seme, man zählt jedoch nur dieje-nigen auf, die zu einer Definition des Wortes, das heißt zur Abgrenzung von anderen Wör-tern, notwendig sind. Das können, je nach Vergleichswort, unterschiedliche Bedeutungs-merkmale sein. Der Vorgang der Betrachtung der Seme ist die Komponentenanalyse. Da-bei werden die Merkmale durch positiv [(+)] und negativ [(-)] unterschieden.

Strom: (+) konkret, (-) menschlich, (+) nass, (+) fließend Strom: (+) konkret, (-) menschlich, (-) nass, (+) fließend2

Es ist im Rahmen einer Komponentenanalyse nicht legitim, die Unterscheidung zu treffen, indem man

Strom: Gewässer Strom: Elektrizität

schreibt. Die Seme müssen wie oben gezeigt mit (+) und (-) in direktem Vergleich unter-schieden werden.

Die strukturale Semantik, die auf A. J. Greimas zurückgeht, zeigt, wie ein Wort im Kontext monosemiert wird. Die von Greimas angeführten Beispielsätze

Le chien aboie. (Der Hund bellt.) und Le commissaire aboie. (Der Kommissar zetert.)3

bedienen sich beide des Verbes aboie (er/sie/es bellt, schreit, zetert). Jedoch weiß man als kompetenter Sprecher einer Sprache intuitiv, welche Seme für den jeweiligen Kontext von Bedeutung sind ((+) tierisch / (-) tierisch), und aktiviert sie, d. h. man liest das Wort unter dem entsprechenden Aspekt. Dieser Vorgang der Auswahl der richtigen Seme eines Wortes

1 Vgl. Linke/Nussbaumer/Portmann 2004, S. 150f. 2 Bsp. aus: Volmert 1995, S. 157. 3 Greimas 1971, S. 42ff.

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in einem bestimmten Kontext wird als Monosemierung bezeichnet. Die Gesamtheit der richtig ausgewählten Seme nennt man Semem (oder Sem-Bündel bzw. Merkmalsbündel).4

Außerdem spricht Greimas von der Isotopie, die er als homogene (einheitliche, zu-sammenhängende) semantische (inhaltliche) Ebene definiert, die sich durch den Text zieht5. Nur, wenn diese Ebene eingehalten wird und keine falsche Monosemierung eintritt (z. B. die Rede ist von einem Kommissar, und das Verb aboie wird als bellt monosemiert), kann der Text Sinn machen6.

3. Bedeutungsbeziehungen zwischen verschiedenen sprachlichen Ausdrü-cken Sprachliche Beziehungen zwischen einzelnen Wörtern kennt jeder aus der Alltagssprache. Fällt einem Sprecher z. B. das Wort Apfelsine nicht ein, so wird er stattdessen Orange sa-gen. Beide Wörter bezeichnen den gleichen Gegenstand, werden aber durch eine unter-schiedliche Lautkette gebildet. Anders als im angeführten Beispiel für Wörter, die das Glei-che bezeichnen, enthält die Sprache auch Wörter, die genaue Gegensätze benennen wie tot und lebendig. Wieder andere Wörter sind Oberbegriffe zu anderen wie Baum zu Eiche. Für alle diese sprachlichen Beziehungen gibt es in der Linguistik Fachwörter.

3.1 Bedeutungsgleichheit, Gegensatz und Oberbegriff Geben zwei Wörter die gleiche Bedeutung wieder, liegt also Bedeutungsgleichheit vor, so spricht man von Synonymie. Die einzelnen Wörter werden als Synonyme bezeichnet. Die Inhaltsseite dieser Wörter ist gleich, die Ausdrucksseite jedoch verschieden.

anfangen – beginnen Monitor - Bildschirm

Homonyme klingen gleich (sie sind homophon) und weisen die gleiche Schreibung auf (sie sind homograph). Trotzdem bezeichnen sie Unterschiedliches. Sie besitzen den gleichen Ausdruck, aber unterschiedlichen Inhalt. Die Relation der Homonyme untereinander nennt man Homonymie.

Tor - Tor Tau – Tau

Es besteht aber auch die Möglichkeit der nur homophonen oder nur homographen Homonyme: Waise – weise das Band – die Band

4 Eine sehr einfach zu lesende Zusammenfassung von Greimas’ Ideen befindet sich in Schulte-

Sasse/Werner 1977, S. 63ff, hier allerdings unter literaturwissenschaftlichem Blickwinkel. 5 Vgl. Greimas 1971, S. 60ff. 6 Schulte-Sasse/Werner konstatieren aus literaturwissenschaftlicher Sicht zum Bruch der Isotopie-Ebene:

Die literarische Kleinform des Witzes gewinnt ihren witzigen Effekt sehr häufig daraus, dass zwei Ge-sprächspartner in einem Semem unterschiedliche Seme dominant setzen [d. h., die Isotopie-Ebene wech-seln, d. V.]. [...]

„Herr Apotheker, Sie haben ja meiner Frau Strychnin gegeben, statt...“ - „Oh, entschuldigen Sie, dann bekomme ich noch 1,50 mehr.“ (Schulte-Sasse/Werner 1977, S. 69).

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Polysemie bezeichnet einen Sachverhalt, bei dem ein Wort mehrere Bedeutungen trägt. Das Polysem hat also bei gleichem Ausdruck unterschiedliche Inhalte, die über zumindest ein Sem miteinander verbunden sind.

Schlange: kriechendes Tier (lang, spitzzüngig) Menschenkette (lang) abwertende Bezeichnung für ein Mädchen oder eine Frau (spitzzüngig)7

Wörter dagegen, die entgegengesetzte Bedeutung tragen, nennt man Antonyme, ihre sprachliche Beziehung Antonymie8. Ausdruck und Inhalt decken sich nicht.

nass – trocken weiblich - männlich

Oberbegriffe zu anderen Wörtern nennt man Hyperonyme, die ihnen untergeordneten Begrif-fe Hyponyme. So ist Hund das Hyperonym zu Schäferhund, gleichzeitig aber auch das Hy-ponym zum Hyperonym Tier. Hyponyme sind speziellere Wörter als die zugehörigen Hype-ronyme und vereinen daher eine größere Anzahl von Semen auf sich. Auf gleicher Ebene an-gesiedelte Wörter wie Schäferhund, Bobtail, Collie, Boxer, Dogge stellen Kohyponyme dar.

3.2 Denotation und Konnotation Jedem Wort ist eine Grundbedeutung zu Eigen, die Denotation. Bei vielen Wörtern allerdings schwingen noch Assoziationen mit, die nicht in der Grundbedeutung des Wortes angelegt sind. Das, was von der Sprecherin / vom Sprecher bei einem Wort assoziiert wird, nennt man Konnotation. So bedeutet Haus zunächst einmal, in der Denotation, nur ein Gebäude,

7 Vgl. Volmert 1995, S. 162. Bisweilen ist ein Blick in ein etymologisches Lexikon (Herkunftswörterbuch) notwendig, um zu

entscheiden, ob es sich bei einem gleichlautenden (homophonen) und gleichgeschriebenen (homographen) Begriffspaar um Homonyme oder Polyseme handelt. Bank (auf der man sitzt) und Bank (die für die Geldgeschäfte zuständig ist) würden die meisten Menschen vermutlich als Homonyme bezeichnen. Das etymologische Lexikon sagt dazu jedoch:

Bank - ‘Geldinstitut’: Italienische Geldwechsler und Kaufleute standen an der Wiege des modernen europäischen Bankwesens. [...] Es [das Wort Bank, d. V.] ist seinem Ursprung nach identisch mit Bank ‘Sitzbank’, dessen germanische Vorformen früh ins Roman. [= Romanische, d. V.] entlehnt wurden (it. banca, banco). Aus dem Italienischen wurde das Wort mit der dort entwickelten Bedeutung ‘langer Tisch des Geldwechslers’ im 15. Jh. rückentlehnt, einer Bedeutung, die noch in mhd. wehselbanc vor-liegt. Erst im 17./18. Jh. bildete sich die endgültige Form heraus, nicht zuletzt unter dem Einfluss von frz. banque (woraus engl. bank), das auch für den Genuswechsel [= Wechsel des grammatischen Ge-schlechts des Wortes, d. V.] des Wortes bestimmend war.

(Herkunftswörterbuch 1989, S. 61). Es zeigt sich also, dass Bank und Bank sprachgeschichtlich zusammenhängen und daher Polyseme sind

(vgl. auch Volmert 1995, S. 162). 8 Antonyme können noch einmal in drei Gruppen unterteilt werden. Komplementäre Antonyme be-

zeichnen absolute Gegensätze, z. B. verheiratet - ledig. Trifft das eine nicht zu, so muss das andere zu-treffen. Konträre Antonyme dagegen, wie warm - kalt, sind abstufbar. Man kann durchaus von ein bisschen kalt oder fürchterlich heiß reden, ohne irgendwelche Naturgesetze zu durchbrechen. Ein biss-chen tot zu sein allerdings ist schon schwieriger. Die dritte Gruppe der Antonyme, die hier genannt wer-den soll, ist die der konversen. Sie beschreiben, aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, denselben Sachverhalt: Ehefrau - Ehemann.

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das vier Wände und ein Dach aufweist und das Wohn-, Aufenthalts- oder Arbeitsraum für Menschen bietet. Es schwingen aber noch Assoziationen mit wie Schutz vor Regen und Käl-te, Geborgenheit u. Ä.. Dies macht die Konnotation des Wortes Haus aus. Konnotation ist einerseits kulturabhängig, andererseits aber auch innerhalb desselben Kulturkreises indivi-duell leicht verschieden. Die hier vorliegende Beziehung verläuft nicht zwischen zwei Wör-tern, sondern innerhalb eines Wortes, nämlich zwischen seiner Grundbedeutung und dem, was hinzugedacht wird.

3.3 Kollokation Kollokation bedeutet das Zusammen-stehen-Können von Wörtern. Der Stein fällt. ist ein semantisch, also inhaltlich, richtiger Satz. Bei Der Stein trinkt. ist keine Kollokation gege-ben, denn die Kombination von Stein und trinkt ist zwar grammatikalisch, nicht aber inhalt-lich richtig. Stein und trinkt enthalten keine gemeinsamen Seme.

3.4 Metaphern Die allseits bekannte Metapher kann hier unter einem neuen Gesichtspunkt betrachtet wer-den: Was geschieht, semantisch betrachtet, bei der Verwendung einer Metapher wie Lilien-hände? Es werden die Seme weiß und zierlich von Lilie (Bildspender) auf Hände (Bildemp-fänger) übertragen.

Lilie Hände weiß, zierlich => weiß, zierlich

Eine Metapher ist normalerweise eine ungewöhnliche Zusammenstellung, die bei der Rezi-pientin / dem Rezipienten Erstaunen hervorruft und zum Nachdenken auffordert. Es gibt jedoch auch tote Metaphern. Hierbei handelt es sich um Zusammenstellungen, die inzwi-schen so geläufig geworden sind, dass uns nicht mehr bewusst ist, dass es sich um Meta-phern handelt. Ein gutes Beispiel für eine tote Metapher ist Bergrücken. Ein anderes Bei-spiel, an dem man sich diese Zusammenhänge deutlich machen kann, stammt aus der Bibel. Hirte als Metapher für Gott, der für die Menschen sorgt und sie schützt, begegnet der Lese-rin / dem Leser hier immer wieder (z. B. Psalm 23). Natürlich handelt es sich um eine Me-tapher, aber um eine tote, denn sie ist uns so geläufig, dass wir sie nicht mehr als solche identifizieren.

Metaphern sind kein Phänomen allein der Literatursprache, vielmehr durchziehen sie auch unseren Alltag. Oftmals sind wir uns dessen nicht bewusst. George Lakoff und Mark Johnson weisen in ihrem Werk Metaphors we live by auf eindrucksvolle Weise nach, wie unser Leben von Metaphern beeinflusst wird. Sie können u. a. zeigen, wie die Metapher argument is war (Diskussion ist Krieg) alles beeinflusst, was mit Diskussion in Verbindung steht9:

He a t t a c k e d e v e r y w e a k p o i n t in my argument. (Er griff jeden schwachen Punkt in meiner Argumentation an.)

His criticisms were r i g h t o n t a r g e t . (Seine Kritik traf direkt ins Ziel.)

I d e m o l i s h e d his argument. (Ich zerstörte seine Argumentation.)

9 Lakoff/Johnson 1984, S. 3ff.

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I’ve never w o n an argument with him. (Ich habe niemals eine Diskussion mit ihm gewonnen.)

He s h o t d o w n all of my arguments. (Er machte alle meine Argumente nieder.)

Eine Argumentation entspricht also Angriff und Gegenangriff. Diese Sicht beeinflusst unser Vorgehen bei einem Streitgespräch. Die hier verwendeten Metaphern sind uns ebenfalls nicht mehr als solche bewusst.

3.5 Wortfelder Bei den Wortfeldern handelt es sich um einen weiteren Versuch, Wörter in Beziehungen einzubetten. Als Erster schrieb Gunther Ipsen 1924 über Felder als Bedeutungsgruppen. Die Grundideen, die Voraussetzung für diese Theorie waren, stammen von Humboldt und Her-der. Jost Trier zeigte 1931 die Einteilung von Wörtern des Mittelhochdeutschen in verschie-dene Bedeutungsfelder und deren Wandel. Es wird klar, „daß Felder keine starr begrenzten Dauereinheiten sind, [...] sondern daß sie ihr Wesen haben in der Gliederung übergeordneter größerer Bereiche, deren Gliederungsgrund und deren Binnengrenzen daher geschichtlich so wandelbar sind wie diejenigen des Feldes.“10

Leo Weisgerber schließlich entwickelte das Wortfeld. Es stellt den Versuch dar, Wör-ter, die fast Synonyme sind, zumindest aber sehr viele gemeinsame Seme enthalten, in Krei-sen anzuordnen. Dabei wird ein zentrales Wort in die Mitte gesetzt, und andere werden dar-um angeordnet. Ob sie näher am oder weiter vom zentralen Wort stehen, hängt davon ab, wie viele Seme sie mit letzterem gemeinsam haben. Weisgerber geht davon aus, dass sich der gesamte Wortschatz in derartigen Feldern anordnen lässt.

Abbildung: Wortfeld von Leo Weisgerber (1968)

Ein solcher Kreis spiegelt eine Lückenlosigkeit der Sprache vor, die in der Realität nicht gegeben ist. Außerdem wirkt er in sich abgeschlossen, während aber durchaus noch Verbin-dungen zu anderen Wörtern bestehen. Zusätzlich vermischen sich in dem angeführten Bei-spiel verschiedene Stilebenen.

10 Hoffmann 1996, S. 648.

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3.6 Prototypensemantik „Nennen Sie spontan die typischen Merkmale eines Vogels!“ Dieser Aufforderung werden die meisten Mitteleuropäer nachkommen, indem sie antworten: „Federn, klein, runder Kör-per, fliegt“. So sieht für die Angesprochenen also ein typischer Vogel aus. Nach einer be-stimmten Vogelart befragt, werden sie mit „Spatz“, „Meise“, „Amsel“ oder „Taube“ ant-worten. Diese Vögel entsprechen den eben aufgezählten Kriterien. Sie sind für Mitteleuro-päer Prototypen von Vögeln, denn sie entsprechen dem typischen Vorstellungsbild. Ein wenig prototypischer Vogel für den mitteleuropäischen Raum ist der Pinguin. In Versuchen wurde nachgewiesen, dass ein Mitteleuropäer (in Millisekunden gerechnet) wesentlich län-ger benötigt, um einen Pinguin als Vogel einzustufen, auf den weder die Kategorie klein und rund, noch fliegt zutrifft, als eine Amsel. Der Pinguin besitzt zwar Federn, aber auch das ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es gibt also „bad birds and better birds“ (schlechte Vögel und bessere Vögel), wie Jean Aitchison formuliert11. Oder: die verschie-denen Vögel sind in ein Beziehungsgeflecht eingebunden, wobei einige Vogelarten zentra-ler anzusiedeln sind als andere. Diejenigen, deren Einstufung als Vogel am längsten dauert, haben die wenigsten Seme mit dem Prototypen gemeinsam. Das unten stehende Schema wurde nach einer Umfrage in Amerika entworfen, wo Rotkehlchen als prototypische Vögel gelten. Prototypen sind kulturabhängig. Ein Afrikaner sähe vielleicht im Strauß den proto-typischen Vogel, ein am Südpol lebender Mensch womöglich im Pinguin.

Wenn wir ein Exemplar einer bestimmten Kategorie sehen, dann vergleichen wir es mit dem Prototypen, den wir als Konzept im Kopf haben. Dabei müssen, wie beschrieben, nicht alle Seme vorhanden sein. Ein prototypischer Tiger enthält die Seme groß, kräftig, gestreift mit Braun und läuft auf vier Pfoten. Trotzdem aber sind wir in der Lage, den alten, schwachen Albino-Tiger im Zoo nebenan, der sich nur noch von Suppe ernährt und bei ei-nem Unfall ein Bein verloren hat, als Tiger zu benennen. Die Zuordnung eines Objekts zu einem Prototypen wird jedoch schwierig, wenn die Übergänge fließend sind: Wo hört die Schale auf und wo beginnt die Vase? Hier wird jeder Sprecher individuell Akzente setzen, wobei aber auch der Gebrauch des entsprechenden Gegenstandes eine Rolle spielt.

11 Aitchison 1987, S. 51.

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Abbildung: Prototypenschema für Vögel aus nordamerikanischer Sicht

4. Bedeutungsveränderungen / Bedeutungswandel Während des Sprachwandels innerhalb der Sprachgeschichte haben viele Wörter ihren In-halt geändert. Ein Beispiel für eine radikale Veränderung ist unser Wort brav, das zunächst wild bedeutete, dann in treu, mutig mündete12 und schließlich seine heutige Bedeutung er-hielt. Man unterscheidet vier Kategorien des Bedeutungswandels:

Eine Bedeutungserweiterung setzte bei dem mhd. (mittelhochdeutschen) Wort fro-uwe (adlige Dame) ein. Frau meint heute allgemein weibliches Geschöpf, erwachsen. Der Bedeutungsumfang hat sich also zum allgemeineren Inhalt hin erweitert, die Anzahl der Seme hat sich dabei aber entsprechend verringert. Beim entgegengesetzten Vorgang, der Bedeutungsverengung, werden Seme hinzugefügt, und das Wort erhält eine spezifischere Bedeutung. hôchgezît, das sich im Neuhochdeutschen zu Hochzeit verengt hat, stand im Mittelhochdeutschen für jede Art von Fest.

Ein anderer Vorgang, der sich im Laufe der Sprachgeschichte abspielt, ist die Bedeu-tungsverbesserung. Mhd. arebeit, das mit Mühe konnotiert war, erhielt mit Luther eine positive Konnotation. Der umgekehrte Prozess der Bedeutungsverschlechterung lässt sich an Pfaffe nachvollziehen. Das mhd. neutrale Wort für Landgeistlicher wird heute als Schimpfwort benutzt.13

12 Diese Bedeutung spiegelt sich noch heute in engl. brave (mutig). Da sich die englische und die deutsche

Sprache aus derselben Wurzel entwickelt haben, besteht in vielen Wörtern eine Verwandtschaft. 13 Bspe. aus: Volmert 1995, S. 160f.

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5. Zusammenfassung Die Semantik untersucht Sprache unter inhaltlichen Gesichtspunkten. Aus diesem Blick-winkel sind Wörter aus vielen Bedeutungsmerkmalen, den Semen, zusammengesetzt. Seme werden durch die Komponentenanalyse untersucht. Doppeldeutige Wörter müssen im Kon-text monosemiert werden.

Wörter gehen nicht nur äußerlich (grammatikalisch und morphologisch), sondern auch inhaltlich Beziehungen zu anderen Wörtern ein. So können sie das gleiche aussagen wie andere Wörter (Synonyme) oder deren Gegenteil (Antonym) sein. Manchmal klingen Wör-ter gleich, bedeuten aber Unterschiedliches; dann handelt es sich entweder um Homonyme, bei denen keine übereinstimmenden Seme vorliegen, oder um ein Polysem, das verschiede-ne, miteinander verwandte Bedeutungen trägt. Zu einem Oberbegriff (Hyperonym) gehört ein untergeordneter Begriff (Hyponym); letzterem können häufig auf gleicher Ebene ver-wandte Begriffe beigeordnet werden (Kohyponyme).

Wörter haben eine Grundbedeutung (Denotation) und eine mitschwingende, assozia-tive Bedeutung (Konnotation). Außerdem kann nicht jedes Wort mit jedem beliebigen an-deren Wort in Beziehung treten; den Regeln der Kollokation muss Rechnung getragen wer-den. Metaphern, die auch unseren Alltag durchziehen, arbeiten mit einer Semübertragung vom Bildspender auf den Bildempfänger. Oft sind Wörter sich inhaltlich ähnlich, sodass man sie Bedeutungsgruppen oder Wortfeldern zuordnen kann. In der Mitte eines Wortfeldes steht gewöhnlich ein Prototyp.

Bedeutung ist nicht stabil, sondern kann sich im Prozess des Sprachwandels verän-dern, erweitern, verengen, verbessern oder verschlechtern. Damit ändern sich auch die Be-ziehungen, die das betreffende Wort zu anderen Wörtern eingeht.

6. Übungsaufgaben I. Was bedeutet Synonymie (mit Beispielen)? II. In welcher Bedeutungsbeziehung stehen Blatt (am Baum) und Blatt (aus Papier)

zueinander? III. Zeigen Sie die Bedeutung von Denotation und Konnotation anhand eines Beispiels. IV. Welchen Vorgang beschreibt die Bedeutungsverengung? V. Führen Sie eine Komponentenanalyse durch:

Messer; Lampe; Kleiderschrank vs. Küchenschrank

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Deutsche Sprachgeschichte von Torsten Pflugmacher

ALTHOCHDEUTSCH: Ik gihorta dat seggen, dat sih urhettun aenon muotin Hiltibrant enti Hadubrant untar heriun tuem.1 (Anfang des Hildebrandslieds, um 810)

GLIEDERUNG 1. Einleitung: Sprachgeschichte und Sprachwandeltheorien 2. Auf dem Weg zu einer deutschen Standardsprache

2.1 Allgemeine Vorbemerkungen 2.2 Vorgeschichte der deutschen Sprache: Indoeuropäisch und Germanisch 2.3 Frühgeschichte der deutschen Sprache: Althochdeutsch und

Mittelhochdeutsch 2.4 Frühneuhochdeutsch - Neuhochdeutsch - Heutiges Deutsch

3. Zusammenfassung 4. Übungsvorschläge

1. Einleitung: Sprachgeschichte und Sprachwandeltheorien Heutzutage gilt es als linguistische Binsenweisheit, dass es d i e e i n e deutsche Sprache nicht gibt. Wenn man von Hochdeutsch als Standardsprache spricht, muss man bedenken, dass es sich dabei um ein theoretisches Konstrukt handelt und nicht um die Sprache, die alle Deutschen gleichermaßen sprechen. Denn die Vielförmigkeit des Deutschen beginnt mit den regionalen Umgangssprachen wie Bairisch, Sächsisch, Schwäbisch oder Ruhrdeutsch (u. a.) und geht weiter mit den noch zahlreicheren Dialekten (Mundarten).2 Eine 'waschech-te' Kölnerin und ein alteingesessener Münchner hätten wohl zunächst erhebliche Schwierig-keiten, einander zu verstehen. Es ist noch nicht allzu lange her, dass sich ein überregionales Deutsch entwickelt hat, zu dem unsere beiden Gesprächspartner überwechseln können und einander dann wesentlich leichter verstehen werden. Man nennt diesen Vorgang code swit-ching. Warum aber hat sich ausgerechnet ein bestimmter mitteldeutscher Dialekt - nämlich das so genannte Meißnische Deutsch - (und nicht ein anderer) zu dieser Ausgleichssprache entwickelt?

1 Ich hörte das sagen, Daß sich Ausfordrer einzeln trafen, Hildebrand und Hadubrand, zwischen zwein Heeren. (Übersetzung von Friedrich von der Leyen in Wolff 1989.) 2 Wenn zwischen Umgangssprachen und Dialekten unterschieden wird, dann stellen Umgangssprachen

die weiträumigeren Ausgleichssprachen zwischen Dialekt und Standardsprache dar, während die Dia-lekte regionaler begrenzt sind und wesentlich geringere Übereinstimmungen mit der Standardsprache haben (z. B. Nordbairisch, Mittelbairisch und Südbairisch als Dialektbezeichnungen und Bairisch als Umgangssprache).

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Sie sehen: Deutsch ist eine vielgestaltige Sprache, die in verschiedenen Varietäten (= Existenzformen einer Sprache, auch Subcodes genannt) erscheint. Es gibt allerdings noch viel mehr als die soeben angeführten regionalen Varietäten: lokale Varietäten wie Berlinisch (Stulle); staatliche wie Österreichisch (Jänner statt Januar); politische wie z. B. den Alternativjargon der Grünen oder, ganz anders, das Nazideutsch; funktionale Varietä-ten wie linguistische Fachsprache (Kasusabsorption, Possessivkompositum) oder Compu-terterminologie (scannen, Browser, chatten); situative Varietäten wie Plauderton und Wahl-redestil, weitere Gruppensprachen (soziale Varietät im weiteren Sinne) wie die in ständi-ger Bewegung befindliche Jugendsprache (angraben, Ische, Schuppen) Bundeswehrjargon (Stuffz, Z-Sau) und Studentensprache (Abkürzungswörter wie Uni, Prof usw., uneingeleite-tes Duzen untereinander). Gruppensprachen sind oft altersabhängig.

All diese Varietäten des Deutschen stehen miteinander in Verbindung und beeinflus-sen sich gegenseitig, weil die Sprecher über die Möglichkeit verfügen, in der jeweiligen Si-tuation die angemessene Varietät zu wählen. Die Sprecher verfügen über eine innere Mehrsprachigkeit. Dort, wo es sprachliche Ausdrucksm ö g l i c h k e i t e n gibt, bestehen auch Normen, die deren A n w e n d u n g regeln. Solche Anwendungsregeln ändern sich weitaus leichter und häufiger als Laute, Buchstaben oder Bedeutungen. Wandel beginnt dort, wo ein Sprecher Normen bricht, wenn er zum Beispiel gruppensprachliche Normen in offiziellen Situationen verwendet (den Lehrer duzen). Bestimmte historische Bedingungen der Gesellschaft begünstigen den Normbruch.

Sprachgeschichte ist kein Sammelsurium von Wortabstammungserläuterungen (das ist Aufgabe der Etymologie). Sprachgeschichte ist ebenso wenig Depot zur Ablage vergan-gener Aussprachen, Buchstaben, Satzmuster und Wortschätze.

Sprachgeschichtsforschung kreist meist um zwei Fragestellungen, die recht unter-schiedliche Antworten nach sich ziehen:

1. Wie haben unsere Vorfahren gesprochen und welche Veränderungen hat es seither gegeben?

2. Warum sprechen wir so, wie wir heute sprechen? Aus diesen beiden Fragestellungen ergibt sich eine Arbeitsteilung in Bezug auf den Unter-suchungsgegenstand: Mit der ersten Frage rekonstruiert man, w a s früher gesprochen wur-de und w i e ( i n w e l c h e r W e i s e ) es sich gewandelt hat. Im Mittelpunkt der zweiten Frage steht das Interesse an dem W a r u m , dem G r u n d von Sprachwandel. Man fragt zunächst nach den a l l g e m e i n e n Bedingungen, die zu Veränderungen in der Sprache führen k ö n n e n , dann versucht man die k o n k r e t e n historischen Bedingungen zu re-konstruieren, die zu dem unter der ersten Fragestellung herausgearbeiteten Wandel (zu ge-nau diesem Zeitp u n k t und keinem anderen!) geführt h a b e n .

Die Antwort auf die erste Frage ist eine Beschreibung, diejenige auf die zweite ist ei-ne Erklärung. Das Vorgehen ist zunächst e m p i r i s c h (konkretes Sprachmaterial wird untersucht), dann t h e o r e t i s c h ( Überlegungen zu Eigenschaften von Sprache werden i n t e r p r e t a t i v entwickelt) . Schließlich sucht man generelle Antworten auf die Fragen: Wer verändert die Sprache? Warum? Wie geht das? Oder ist Sprachwandel reiner Zufall? usw.

Sprachveränderungen sind äußerst schwierig zu b e o b a c h t e n . In der Rückschau sieht man die jüngere und die ältere Variante. Wenn man Glück hat, findet man beide in dem gleichen untersuchten Zeitabschnitt. Nicht aber sieht man den Sprecher, der die Spra-

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che benutzt, auch nicht seine Intentionen oder den Grund bzw. Anlass für den Wandel. Hat er sich irgendwann entschieden, etwas anders zu sagen, als es die Tradition vorschreibt? Unterliegt die Sprache seinem Willen oder unterliegt der Sprecher der Sprache? Hier stoßen wir wieder auf die soziale, überindividuelle Eigenart von Sprache, die Saussure mit dem Begriffspaar langue/parole zu fassen sucht.

Häufig entsteht die Möglichkeit, eine Sache auf zwei verschiedene Weisen auszuspre-chen oder auszudrücken. Der Sprecher kann - zumindest unbewusst - zwischen zwei Vari-anten wählen. Es kann dazu kommen, dass immer mehr Sprecher sich immer häufiger für die eine Variante und gegen die andere entscheiden. Irgendwann ist dann eine der Varianten verschwunden, weil sie nicht mehr benutzt und damit vergessen wird. Auf diese Weise hat der Computer den Rechner im Deutschen nahezu verdrängt. Ist das eine Erklärung? Nein, denn jetzt muss man fragen: 1. Wieso kommt es zu Varianten? 2. Warum benutzt ein Spre-cher (oder: benutzen mehrere Sprecher) die eine Variante ab einer bestimmten Zeit häufiger als die andere?

Martinet3 hat den ersten Schritt zur Lösung zumindest der zweiten Frage geliefert, in-dem er interne und externe Faktoren des Sprachwandels unterschieden hat. Die internen beziehen sich auf die Psychologie und Physiologie des Sprechens sowie das System der Sprache, die externen auf die konkreten Lebensbedingungen der Sprecher, durch die be-stimmte Kommunikationsbedürfnisse hervorgerufen werden. Zwischen beiden Faktoren sieht Martinet einen produktiven Gegensatz (einen 'Antriebsmotor' des Sprachwandels), aus dem heraus sich die Sprache verändert: Jeder Mensch trage in sich den Widerspruch zwi-schen möglichst geringem geistigen und körperlichen 'Kraft'aufwand (Sprachökonomie) einerseits und andererseits dem Bedürfnis, sich den anderen gegenüber so genau wie mög-lich auszudrücken, um verstanden zu werden: Maschine zum Waschen => Waschmaschine, haben => ham, Akkumulator => Akku. Hat der Sprecher Varianten zur Verfügung, ent-scheidet er sich für die kürzere, solange er noch verstanden werden kann. Da der Hörer den Kontext kennt oder der Sprecher noch andere, nichtsprachliche Ausdrucksmittel verwendet, kann der Sprecher sogar ziemlich faul oder eilig sprechen, denn der Hörer denkt und inter-pretiert mit: Ws hs gsgt, m?4 Ein unterstützender Beleg für diese Theorie ist die Tatsache, dass die meistverwendeten Wörter der Sprache auch die kürzesten sind.

Der folgende, kurze Abriss der deutschen Sprachgeschichte versucht, Wandelbeispiele aus den verschiedenen Komplexitätsebenen der Sprache zu entnehmen: Prosodie (supra-segmentale Aussprachemerkmale); Phonologie (Lautungssystem); Orthographie (Schrift-sprachregelung); Flexion (Beugung von Wortstämmen); Wortbildung (Wortstrukturmuster); Morphosyntax (Flexionsauswirkung auf Satzstruktur); Syntax (Wortstellungsregeln); Lexik (Wortschatz); Semantik (Bedeutung); Textsorten (Typen und Struktur der Textebene).

3 Martinet 1963. 4 Was hast Du gesagt, emhh?

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2. Auf dem Weg zu einer deutschen Standardsprache

2.1 Allgemeine Vorbemerkungen Die Einteilung eines zeitlichen Kontinuums in Epochen ist stets eine problematische Ange-legenheit. An dieser Stelle werden die unterschiedlichen Kriterien nicht diskutiert, obwohl es dazu viel zu sagen gäbe. Es sei nur vorausgeschickt: Epochen gibt es nicht. Sie werden mehr oder weniger willkürlich von Sprachhistorikern gesetzt. Sprecher des Althochdeut-schen haben ihre Sprache nie Althochdeutsch genannt. Ein solches Sprachbewusstsein gibt es erst seit mittelhochdeutscher oder frühneuhochdeutscher Zeit, und auch die Sprecher aus diesen Zeiten haben ihre Sprache weder Mittelhochdeutsch noch Frühneuhochdeutsch ge-nannt.

2.2 Vorgeschichte der deutschen Sprache: Indoeuropäische Sprachen, Germanische Sprachen

INDOEUROPÄISCH

Im 19. Jahrhundert interessierte sich die Sprachforschung für die Verwandtschaft der Spra-chen untereinander. Die Entdeckung von Gemeinsamkeiten vieler europäischer und anderer Sprachen mit dem altindischen Sanskrit diente als Anstoß, weitere Vergleiche zu ziehen: In Wortvergleichen stellte man fest, dass das Deutsche zu der - der Sprecherzahl nach - größ-ten von neun bekannten Sprachfamilien überhaupt gehört: dem Indoeuropäischen. Außer der Feststellung, dass Sprachgruppen wie Indoiranisch, Germanisch, Keltisch, Slawisch, Griechisch, Italisch und Baltisch einen etymologisch oft verwandten Grundwortschatz auf-weisen, versuchte man sich auch an der Rekonstruktion der gemeinsamen Ursprache, von der keine Schriftzeugnisse existieren: Deutsch Vater Name drei ist Klassisches Griechisch:

patér

ónoma treís estí

Sanskrit: pitár náman tráyas ásti Latein: pater nómen tres est Gotisch: fadar namó preis ist Altirisch: athir trí as Eskimo: ataataq Daraus ergab sich z. B. für dt. Vater die Vorstufe indoeuropäisch. *ptér5 usw.

Mit dem Wortschatzvergleich dieser Tochtersprachen kann man auch gewisse Rück-schlüsse auf die Kultur und die Sozialstruktur der Indoeuropäer ziehen. So kann man davon ausgehen, dass die Indoeuropäer Viehzucht betrieben haben und in patriarchalischen Groß-familien mit differenzierten Verwandtschaftsverhältnissen gelebt haben.

Zeitlich werden die Indoeuropäer um 4000 v. Chr. eingeordnet.

5 „*“ bedeutet hier, dass es sich um die Rekonstruktion eines Wortes handelt. Diese Form ist als Beleg nie

gefunden worden. „´“ ist ein Akzent und bedeutet eine Vokallängung.

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Über den Wortschatz hinaus weiß man, dass Indoeuropäisch eine formenreiche flektierende Sprache mit stark synthetischem6 Sprachbau ist und über 8 Kasus, 3 Numeri und 3 Genera verbi verfügt (Flexion). Wichtig für die deutsche Sprachgeschichte ist noch, dass der in-doeuropäische Wortakzent frei, also nicht an bestimmte Silben gebunden ist (Prosodie).

GERMANISCH

Atta unsar in himinam, weihnai namô thein. Gotisch, 4. Jh.

Auch vom Germanischen ist nur wenig überliefert; es musste rekonstruiert werden. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass es nur e i n Urgermanisch gegeben hat, denn die Loslösung vom Indoeuropäischen findet in einer Zeit starker Wanderungsbewegungen statt, etwa von 2000 v. Chr. bis 500 n. Chr. Wahrscheinlich waren die Stämme ursprünglich um die westli-che Ostsee angesiedelt, von wo aus sie Skandinavien, Mitteleuropa und die Nordseeinseln besiedeln und viele verschiedene germanischen Sprachen bilden, von denen alle heutigen germanischen Sprachen abstammen.

PROSODIE: Der im Indoeuropäischen ursprünglich freie Wortakzent (vgl. lat. róma, románus, roma-nórum) wird in den germanischen Sprachen auf die Wurzelsilbe (Stammsilbe) festgelegt (Germanischer Akzentwandel). Dies spielt eine wichtige Rolle für die Abschwächung unbetonter Silben im In- bzw. Auslaut der Silben, die schließlich ganz abgestoßen werden (Synkope bzw. Apokope). Bsp.: lat. Colonia => dt. Köln.

FLEXION: Der Akzentwandel führt zu einem Schwund von Flexionsformen. Betroffen sind Flexions-morpheme z. B. des Vokativs, des Ablativs und des Lokativs in der Deklination, deren Funktion vom Nominativ bzw. Dativ übernommen wird.

Im Germanischen erhalten sich nur zwei Tempusformen: Präsens und Präteritum.

MORPHOSYNTAX: Der Verlust an Ausdrucksmöglichkeiten durch den Endungsverfall bei der Flexion wird mithilfe von Präpositionen, Hilfsverben und Personalpronomina ausgeglichen. So entstehen mit dem Verlust synthetischer Bautypen analytische7 Sprachformen.

PHONOLOGIE: Jacob Grimm fand 1822 heraus, dass alle germanischen Sprachen einen lautlichen Unter-schied zu den romanischen Sprachen aufweisen. Man nennt die diesem Befund zugrunde liegende Veränderung erste oder germanische Lautverschiebung. Sie besagt Folgendes:

6 Synthese: Verbindung von mehreren Teilen zu einem Ganzen. In der Sprache: Die grammatische Funk-

tion des Wortes wird in einem in dem Wort enthaltenen Wortbestandteil ausgedrückt. Gegensatz zu syn-thetischem Sprachbau ist der analytische Sprachbau (s. Anm. 7).

7 Analyse: Zerlegung einer Verbindung in zwei oder mehrere Komponenten. In der Sprache: Der Aus-druck einer grammatischen Funktion eines Wortes wird von einem anderen Wort übernommen.

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1. LAUTVERSCHIEBUNG

stimmlose Plosive => stimmlose Frikative [p] lat. pater => [f] got. fadar, eng. father, dt. Vater [t] lat. tu => [] got. u, eng. thou, dt. du [k] lat. rectus => [x] engl. right, dt. recht stimmhafte Plosive => stimmlose Plosive [b] lat. labi => [p] got. slepan, eng. sleep, (dt. schlafen) [d] lat. edere => [t] got. idan, eng. eat, (dt. essen) [g] lat. genu => [k] got. kniu, eng. knee, dt. Knie8 Das germanische Lautsystem erweitert sich um zwei Laute, die Spiranten f und ch.

LEXIK: Es treten neue Wortfelder auf, die eine 'verbesserte' Lebensweise und den germanischen Lebensraum widerspiegeln:

Kampf: helm, heri (Heer), folk (Kriegerschar, Volk), brand (Schwert) Wohnumfeld: Wörter für Bett, Stuhl, Wiege, Säge, Kuchen, Mus, Hemd, Rock, Hose Arbeit: Wörter für Schiff, Segel, Dorsch Sozialordnung: *kuningaz (König) *sakó (Rechtssache); Wörter für Erbe, schwören.

Spätestens ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. werden die Germanen vom römischen Impe-rium beeinflusst, was sich an der Übernahme lateinischer Wörter (über 500) zeigt und als erste lateinische Welle bezeichnet wird:

Aus lat. caesar, campus, palatium, via strata, schola, speculum, porta, vinum werden germanische Lehnwörter gebildet, die sich (in weiter veränderter Form) bis in das heutige Deutsch erhalten haben: Kaiser, Kampf, Palast, Straße, Schule, Spiegel, Pforte, Wein. Kai-ser gilt als die älteste Lehnprägung.

2.3 Frühgeschichte der deutschen Sprache: Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch

ALTHOCHDEUTSCH (750 - 1050)

Fater unsêr, thû in himilom bist, giuuîhit si namo thîn.

Erst seit dem 8. Jahrhundert gibt es eine Sprache, die man heute als Althochdeutsch be-zeichnet. Alt- steht für den ältesten Zeitabschnitt, -hoch- für die Region, in der die Sprache gesprochen wird, -deutsch bezeichnet die Sprache. Althochdeutsch ist keine einheitliche Sprache, sondern setzt sich aus den Dialekten Alemannisch, Bairisch (beide Oberdeutsch), Fränkisch, Thüringisch und Langobardisch zusammen (Sächsisch bildet den niederdeut-schen und niederländischen Sprachraum). Für den Beginn der Epoche werden die ersten Schriftfunde (Inschriften und Handschriften) als zeitliche Grenze angesehen, demgegenüber

8 Einige systematische Ausnahmen davon können hier nicht besprochen werden.

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die Grenze zum Mittelhochdeutschen verschieden definiert wird und recht willkürlich er-scheint.

Die lockeren Sippenverbände werden von großen Stammeseinheiten abgelöst, die von Fürsten oder Königen regiert und von den Franken Stamm für Stamm unterworfen werden. Karl der Große (768-814) beendet als deutscher Kaiser den Prozess der Christianisierung, der um 500 begonnen hatte. Er bestimmt, dass grundlegende christliche Texte wie das Vater Unser in die Volkssprache übersetzt werden. Schriftsprache der Verwaltung bleibt aber das Lateinische. Lesen und schreiben können nur die Kleriker.

PROSODIE: Die Betonung des Anfangsakzents setzt sich weiter durch.

PHONOLOGIE: Wieder entsteht eine Verschiebung im Lautsystem der Konsonanten, wobei drei neue Laute (die Affrikaten) entstehen:

2. LAUTVERSCHIEBUNG

Germanisch Althochdeutsch stimml. Plosive => stimml. Affrikaten/Frikative [p] engl. apple => [pf] ahd. apful nl. open => [ff] ahd. offan [t] engl. tongue => [ts] ahd. zunga engl. eat => [ss] ahd. ezzan [k] engl. thank => [kx] alem. dankche engl. book => [x] ahd. buoh, nhd. Buch

Diese so genannte zweite (hochdeutsche) Lautverschiebung trennt das Hochdeutsche endgültig als selbstständige Sprache von den anderen germanischen Sprachen (Englisch, Nordisch, Friesisch, Niederländisch, Niederdeutsch) ab. Die Entwicklung beginnt im Al-pengebiet um 500 und weitet sich nach Norden bis zur so genannten Benrather Linie (ma-chen/maken) oder Uerdinger Linie (ich/ik) aus, der Grenze zum Niederdeutschen.

Auch bei den Vokalen treten Veränderungen auf, die das Althochdeutsche von dem Niederdeutschen und anderen germanischen Sprachen unterscheiden: Die germ. Langvokale [o:] und [e:] werden zu [uo], [ia] diphthongiert (altsächs. brodar => ahd. bruoder); [a] wird in bestimmten Fällen zu [e] umgelautet (gasti zu gesti 'Gäste').

ORTHOGRAPHIE: Die Orthographie ist im Althochdeutschen nicht geregelt, damals muss die Umsetzung von volkssprachlichen Lauten in Buchstaben erst e r p r o b t werden. Das übernommene lateini-sche Alphabet kann nicht alle Laute des Althochdeutschen repräsentieren.

So kommt es zu erheblichen Schreibunsicherheiten: Für gilouben (nhd. glauben) wird chilauban, gelauppen, geloiban, glouben, kalaupan, kiluben geschrieben.

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FLEXION: Die durch den Akzentwandel bedingte Endsilbenabschwächung wirkt weiter fort. Das rei-che Formensystem in Deklination, Konjugation und Komparation nimmt mit dem Verlust der Endsilben ab, in Folge des Vokalwandels von a, o, u zu e und dem so genannten Schwa-Laut9 (z. B. auch im schnell ausgesprochenen haben => habm).

MORPHOSYNTAX: Grammatische Bedeutungen werden daher zunehmend analytisch hergestellt. Erstmals tau-chen Artikel auf (der, diu, daz), die aus Demonstrativpronomen bzw. dem Numeral ein ent-stehen.

Dem Verb wird aus dem gleichen Grunde immer häufiger das Personalpronomen hinzugefügt. Bestimmte neue Zeitformen werden in Anlehnung an das Lateinische um-schrieben: Perfekt mit sein und haben, Passiv mit sein oder werden, Futur als Präsens oder zusammen mit den Verben sollen, wollen, oder müssen (ih scal lësan nhd. ich werde lesen, vgl. eng. I shall read). An diesen V e r s u c h e n mit neuen Zeitformen zeigt sich das Interes-se an einer genaueren Differenzierung bei der Erfassung und Beschreibung von Vorgängen.

SYNTAX: Der Relativsatz entsteht, ferner der dass-Satz nach bestimmten einleitenden Verben: Ik gi-horta dat seggen, dat sih urhettun aenon muotin.

Die Wortstellung im Aussagesatz ist ziemlich frei.

LEXIK: Die zweite lateinische Welle um 700 n. Chr. bringt den lat.-christlichen Wortschatz und sein Umfeld ins Deutsche. Hier einige Beispiele:

Lehnwörter: opfern, predigen, Papst, Pilger, Kreuz, schreiben, Tafel, Mantel, Salbei Lehnübersetzungen: Gewissen (lat. conscientia), Wohltat (lat. beneficium) Lehnschöpfung: findunga für experimentum, unmezwizzo für philosophus Verdrängungen: Besonders heidnische Wörter verschwinden im Umbau des althoch-deutschen Wortschatzes, z. B. galan (Zaubersprüche singen), erhalten in Nachtigall.

TEXTSORTEN: Abgesehen von vorchristlichen Inschriften findet man althochdeutsches Schriftgut in Zu-sammenhang mit Übersetzungen aus dem Lateinischen. Es hat mit einer gesprochenen Volkssprache wenig zu tun. Althochdeutsch findet man in Glossen und Glossaren (als Über-setzungshilfen, oft am Rand des lateinischen Textes), in Namen, in lateinischen Rückent-lehnungen, den Übersetzungen und wenigen selbstständigen Dichtungen.

MITTELHOCHDEUTSCH (1050-1350)

Wir der abbet Bertholt von Murbach tun kunt allen, die disen brief / Sehent oder horent lesen...

Deutsch bezeichnet die damalige Sprache in zweierlei Hinsicht: einerseits als Sprache der höfischen Oberschicht, andererseits als Sammelbegriff der vielen Mundarten im Hochmit-telalter.

9 Der Schwa-Laut ist ein stark reduziertes e: [].

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Der Zeitraum von 1050-1350 wird von vielen Sprachhistorikern gewählt, weil damals eine weltliche und deutschsprachige Literatur entsteht, für die eine überregionale Schreibsprache verwendet wird. Eine allerorten gesprochene, überregionale Sprache gibt es nicht.

Die Grenze zum Frühneuhochdeutschen wird mit einigen Daten gerechtfertigt, die den Untergang der Ritterkultur und das Aufstreben der Städte signalisieren.

PROSODIE: Mit der Stammsilbenbetonung geht die Abschwächung der Auslautvokalbetonungen (in offener Silbe) weiter: ahd. namo mhd. nâme, erda => erde, gilaubiu => geloube.

Einige Präfix-Vokale werden im mhd. zu tonlosem e abgeschwächt: ahd. gibirgi => mhd. gebirge. Dieses wird in der Folgezeit bei manchen Wörtern ganz ausgestoßen: mhd. arebeit nhd. arbeit (Synkope). Es treten auch Zusammenziehungen auf: ze wáre => zwar.

PHONOLOGIE: Es gibt viele Diphthonge: líèbe gúòte brüèder10. Der Umlaut ü entsteht, damals geschrieben iu: ahd. huti, zu mhd. hiute. Ebenfalls neu ist das sch aus ahd. sk in mhd. schoene.

ORTHOGRAPHIE: Die Orthographie ist recht willkürlich, oft mit verschiedenen Varianten innerhalb eines Tex-tes. Aus diesen Übertragungsschwierigkeiten der Sprechsprache in die Schreibsprache las-sen sich indirekt Rückschlüsse auf das gesprochene Mittelhochdeutsch ziehen: Beispiels-weise wird die für das Hochdeutsche typische Auslautverhärtung (b, d, g zu p, t, k) ortho-graphisch angezeigt: tages - tac, stoubes - stoup, râdes - rât.

FLEXION: Die Vereinfachung der Deklinationsendungen aufgrund der Endsilbenabschwächung geht weiter. Ähnliches gilt für die Konjugation der Verben.

MORPHOSYNTAX: Adjektiv und Artikelendung übernehmen die Deklination des dazugehörigen Substantivs: ahd. heiligemo geiste mhd. dem heiligen geiste.

Vorvergangenheit drückt man entweder wie im heutigen Perfekt oder mit der Zusam-mensetzung ge + Präteritum aus: ê daz was geschehen und die er noch nie gesach. Futur wird wie im Althochdeutschen umschrieben. Erst im Spätmittelalter konjugiert man ver-mehrt das Verb werden und verwendet es zunächst zusammen mit dem Partizip Präsens, bevor sich die Sprachengemeinschaft im Frühneuhochdeutschen für den Infinitiv entschei-det: er wirt mich sehende.

SYNTAX: Es häufen sich sog. feste Formeln: Wortfolgen, die immer wieder verwendet werden.

Aus der althochdeutschen Verneinung (ich en weiz) bildet sich die doppelte Vernei-nung (ich enweiz niht), welche schließlich zur einfachen Verneinung reduziert wird, wie wir sie heute noch verwenden (ich weiz niht).

10 Die Akzente sind zur Verdeutlichung der Betonung nachträglich den Schriftzeichen hinzugefügt wor-

den.

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TEXTSORTEN: Neben der Übersetzung geistlicher Schriften werden nun auch eigenständige Dichtungen verfasst, deren Vortrag in der höfischen und später städtischen Oberschicht einen hohen Rang einnimmt: geistliche Versdichtung und Predigten, Ritterepen, höfische Lyrik, Erbau-ungsliteratur des Spätmittelalters, dazu Urkunden in Landessprache statt in Latein.

LEXIK: Der überlieferte Wortschatz wird von zwei sozialen Bereichen geprägt: einerseits von der christlichen Laienkultur, andererseits von der höfischen Ritterkultur, in der ein Tugendka-non entworfen wird, dessen B e g r i f f e sich bis heute erhalten haben, auch wenn sich B e -d e u t u n g e n gewandelt haben, z. B. mâze (Mäßigkeit), staete (Stetigkeit), zuht.

Manche Redensarten aus dem Mittelalter haben sich erhalten: jemanden in Harnisch bringen. Lehnwörter werden insbesondere aus dem Französischen übernommen, weil die französi-sche Ritterkultur als vorbildlich angesehen wird: aventiure, turnei, tanz; hövesch ist eine Lehnprägung nach courtois.

Nach französischem Vorbild beginnt man, soziale Unterschiede mit verschiedenen Anredepronomen auszudrücken, und führt die zweite Person Plural Ihr als Höflichkeitsform neben dem Gebrauch des bisherigen du ein.

2.4 Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch, Heutiges Deutsch

FRÜHNEUHOCHDEUTSCH (1350-1650)

Germania tot habet dialectos, ut in triginta miliaribus homines se mutuo non intelligant. Ich habe mich des geflissen ym dolmetzschen, das ich rein und klar teutsch geben moechte.

Martin Luther11

Übersetzungen von frühneuhochdeutschen Texten in das heutige Deutsch sind zwar zu ih-rem Verständnis nicht mehr notwendig, dennoch ändert sich zwischen 1350 und heute in der deutschen Sprache noch einiges. In frühneuhochdeutscher Zeit wird über den Umweg zu einer mehr oder weniger allgemeinen Schriftsprache der Weg zu einer späteren überregiona-len mündlichen Standardsprache geebnet.

S c h r e i b e n und S p r e c h e n müssen im Frühneuhochdeutsch getrennt voneinander beschrieben werden. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung kann schreiben. In dieser Zeit nimmt die Verbreitung von Schriften dennoch enorm zu. Alle Städte - ihre Zahl erhöht sich laufend - geben Latein als Schriftsprache auf und lassen ihre Kanzleien im regionalen deut-schen Dialekt schreiben. Der Handel zwischen den Städten blüht auf, sodass überregionale Ausgleichssprachen zur Verständigung der Kaufleute nötig werden. Mit Beginn des Buch-drucks 1455 und dem Ersatz des Pergaments durch wesentlich billigeres Papier kommen die verschiedenen Druckersprachen hinzu, die in zunehmend marktorientiertem Blickwinkel auch an weiter entfernte Kunden denken und sich um eigenen Einfluss oder Anpassung an andere Druckersprachen bemühen. Diese Epoche deutscher Sprache ist daher von sprachli-chen Konkurrenzkämpfen geprägt.

11 Deutschland hat so viele Dialekte, dass die Leute in einem Abstand von dreißig Meilen einander nicht

verstehen.

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Gegen Ende des 16. Jahrhunderts orientieren sich die meisten Stadtkanzleien und Drucker an den beiden großen Druckersprachen, entweder an dem von der kaiserlichen Kanzlei ver-wendeten Gemeinen Teutsch oberdeutscher Herkunft oder an dem Ostmitteldeutsch (Meißnisches Deutsch), das in Wittenberg geschrieben und gedruckt wird.

Den entscheidenden Einfluss auf die Durchsetzung einer der beiden Schreibsprachen hat die Bibelübersetzung (1522/1534) von Martin Luther, die schnell weite Verbreitung findet. Luther wählt die ostmitteldeutsche Schreibsprache und trifft eigene stilistische Ent-scheidungen, die sich dann in Deutschland ausbreiten und Nachahmer finden. Sein eigener Beitrag besteht vornehmlich darin, den lateinisch geprägten Satzbau der Kanzleisprache abzuweisen und vielmehr volkssprachliche Elemente (einfacher Satzbau, Partikeln, Sprich-wörter) aufzunehmen. Die Wirkung „seiner Werke könnte [...] mit einem heutigen Massen-medium verglichen werden.“12

Mit der Textsortenzunahme geht auch die Entstehung von Sonder- und Fachwort-schätzen einher.

Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und England, in denen eine zentrale nationa-le Einheit auf politischer Ebene schneller zu einheitlichen Nationalsprachen geführt hat, fehlt im deutschen Sprachraum noch immer eine Zentralgewalt.

PROSODIE: Keine nennenswerten Neuerungen.

PHONOLOGIE: In frühneuhochdeutscher Zeit finden drei Abwandlungen im Vokalsystem statt. Diese sind die frühneuhochdeutsche Diphthongierung, die mitteldeutsche Monophthongierung und die Vokaldehnung.

FRÜHNEUHOCHDEUTSCHE DIPHTHONGIERUNG: Mittelhochdeutsch Frühneuhochdeutsch [i:] mîn => ei mein [y:] nîuwez => eu neues [u:] hûs => au Haus13

MITTELDEUTSCHE MONOPHTHONGIERUNG: Mittelhochdeutsch Frühneuhochdeutsch ie lieben => [i:] liebe uo guoten => [u:] gute üe brüeder => [y:] Brüder14

12 Stedje 1994, S. 126. 13 Das Niederdeutsche und Teile des Alemannischen haben diese Diphthongierung nicht mitgemacht. So

spricht man in der Schweiz noch heute uf Schwyzerdütsch, nicht auf Schweizerdeutsch. 14 Im Bairischen, Alemannischen und Niederdeutschen kommt es nicht zu der Monophthongierung (darum

wird sie mitteldeutsch genannt): liab, guat; lieb, guet; lef, got.

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VOKALDEHNUNG Kurze Vokale in offener Silbe werden beim Aussprechen gedehnt: Mittelhochdeutsch Frühneuhochdeutsch [a] faren => [a:] fahren [e] nemen => [e:] nehmen [o] vogel => [o:] Vogel [u] kugel => [u:] Kugel

ORTHOGRAPHIE: Die Interpunktion ist sehr einfach, nämlich auf Virgel (Schrägstrich) und Punkt begrenzt. Die Großschreibung nimmt zu. Silben werden beliebig getrennt. Die Zusammenschreibung von Wörtern verläuft nicht nach festen Regeln: zuuerteutschen, zu rissen. Konsonanten wer-den in dekorativer Manier gehäuft: todt, funffczig, köppfen.

FLEXION: Mit dem weiteren Wegfall der Kasusendungen in der Deklination werden die Endungen für die Kennzeichnung des Numerus frei.

MORPHOSYNTAX: Präpositionale Fügungen gleichen wieder die Endungsverluste aus. Der Genitiv wird in den Mundarten durch Dativkonstruktionen ersetzt: die Frau von meinem Bruder oder minge Broder sin Frou, (Köln).

Starke Verben werden zunehmend auch schwach konjugiert.

SYNTAX: Hier finden seitdem Differenzierungen statt, mit denen komplexere Sichtweisen und Inhalte ausdrückbar werden. Die Satzgliedpositionen im Hauptsatz werden festgelegt: Es gilt die Zweitstellung des Verbs, übrige Satzglieder sind nach ihrer Wichtigkeit geordnet statt wie bisher bloß aneinander gereiht. Vermutlich ist die zunehmende Verwendung von Subjekt-pronomen (in Erststellung) seit dem Mittelhochdeutschen dafür ein Anlass.

LEXIK: Man spricht von der dritten lateinischen Welle in frühneuhochdeutscher Zeit, die im Zuge des Humanismus gemeinsam mit dem Griechischen zur Gebersprache des Deutschen wur-de. Zunächst waren Fachsprachen davon betroffen, die mit dem Handwerk und den Wissen-schaften entstanden:

Mathematik: multiplizieren, Problem; Grammatik: Konjugation, Konsonant; Drucker-sprache: Fraktur, Korrektur, Format.

Viele Neubildungen werden von Luther geschaffen oder in seinen Schriften besonders häufig verwendet: Sündenbock, Lückenbüßer, Lästermaul; Schimpfwörter wie Papist, Arschhummel, Modalwörter wie ja, doch, denn, nur, allein; Redensarten wie ein Dorn im Auge sein, mit Blindheit geschlagen sein.

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SEMANTIK: Wenn Territorialsprachen aufeinandertreffen, kommt es manchmal zu Heteronymen, d.h. unterschiedliche Bezeichnungen existieren eine Zeit lang nebeneinander: nhd. Pferd, mhd. Gaul, od. Ross. Später folgt dann oft ein Bedeutungswandel: Gaul verschlechtert, Ross ver-bessert seine Bedeutung.

TEXTSORTEN: In frühneuhochdeutscher Zeit tauchen bei zunehmender Verstädterung und Alphabetisie-rung eine Menge neue und alte deutschsprachige Textsorten auf, die hier nur ausschnitthaft genannt werden können: Akten, Urkunden, Chroniken, Bibelübersetzungen, Zeitsatiren, Volksbücher, Kirchenlieder, Sachliteratur, Privattexte, Flugschriften usw.

NEUHOCHDEUTSCH (1650-1920)

Unsere Teutsche Sprache ist weit/raeumig / tief/rein und herzlich / voller Kunst und Geheimnissen / und wird nicht nach dero grundmessigen Vermoegen / slumpsweis aus dem gemeinen Winde / ersnappet: Schottelius 1663 Die verwickeltsten Aufgaben muß das Genie mit anspruchsloser Simplicität und Leichtigkeit lösen; das Ey des Columbus gilt von jeder genialischen Entscheidung. Schiller 1795 Auf Hollfelds wachsbleicher, glatter Stirn erschienen plötzlich zwei häßliche Falten. Seine Lippen preßten sich aufeinander, und die Farbe trat für einen Augenblick aus seinen Wangen. E. Marlitt 1866 Als Beginn der neuhochdeutschen Sprachepoche werden das Ende des dreißigjährigen Krieges 1648 und die Veröffentlichung von Werken ü b e r die deutsche Sprache (Schotteli-us 1631, 1663, Harsdörffer 1644) gesetzt. Diese Werke bekräftigen, dass sich das Meißni-sche Deutsch (Omd.) als deutsche Schriftsprache endgültig durchgesetzt hat.

Die weitere Untergliederung dieser Epoche erfolgt nach äußeren Kriterien und sieht in jedem Sprachgeschichtswerk anders aus. Oft werden literaturgeschichtliche Periodisie-rungsgrenzen übernommen: 1650-1770 (Barock und Aufklärung), 1770-1830 (Klassik und Romantik), 1830-1920 (Bürgerkultur und Realismus). Zu einer einheitlichen deut-schen U m g a n g s s p r a c h e kommt es in dieser Epoche allerdings immer noch nicht.

Im 17. Jahrhundert werden Sprachgesellschaften gegründet (Fruchtbringende Gesell-schaft, 1617), deren Mitglieder das Deutsch verbessern und von überhand nehmenden Fremdwörtern 'reinigen' wollen. Den barocken Tendenzen sprachlicher Überfrachtung ge-genläufig versuchen die Sprachpfleger der Aufklärung (Gottsched), die Sprache zu verein-fachen und von regionalen oder personalen Eigenarten zu befreien.

Im 18. Jahrhundert entsteht eine deutsche Dichtung, deren Sprache zunehmend als Vorbild und Standard für eine gesprochene Hochsprache gilt (Weimarer Klassik).15

Man bemüht sich mit der Anlehnung an die Literatursprache um Abgrenzung von den Mundarten. So wird außerhalb der Schweiz16 und von Süden nach Norden zunehmend die

15 Beweis von der Wirkkraft der klassischen deutschen Literatur sind die 1864 erschienenen „Geflügelte

Worte“ von Georg Büchmann, der in diesem Wörterbuch die Literaturzitate verzeichnet, die in die ge-hobene Standardsprache eingeflossen sind.

16 In der Schweiz werden die Dialekte und die schweizerdeutsche Umgangssprache bis heute als gespro-chene Sprache von der gesamten deutschsprachigen Bevölkerung gesprochen. Hochdeutsch (=Standarddeutsch) wird dort treffend als Schriftdeutsch bezeichnet, weil es in der Schule mehr oder weniger gut gelernt wird und von der Sprechsprache wesentlich weiter entfernt ist als die Mundarten in anderen deutschsprachigen Regionen.

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Distanz zwischen Hochsprache und Mundart größer und übernimmt nun die Funktion sozia-ler Abgrenzung der Oberschicht gegenüber gesellschaftlich tiefer stehenden Bevölkerungs-kreisen.

Die eng begrenzten Mundarten bekommen im 19. Jahrhundert Konkurrenz von den neu entstehenden großräumigeren Umgangssprachen (z. B. Rheinisch, Schwäbisch, Säch-sisch, Ruhrdeutsch), die im Zeitalter der Industrialisierung und im Zuge der Landflucht als städtische Ausgleichssprachen der mittleren Bevölkerungsschichten dienen. Typisch für das 19. Jahrhundert ist daher die innersprachliche Zweisprachigkeit, entweder durch Beherr-schung von Mundart und Umgangssprache oder von Umgangssprache und Hochdeutsch.

Immer größere Bevölkerungskreise werden alphabetisiert, was ein Erfordernis der rasch entstehenden Industriegesellschaft ist. Der Schulbesuch verstärkt zumindest das p a s -s i v e Beherrschen einer überregionalen deutschen Sprechsprache,17 die vor allem von der bürgerlichen Schicht geprägt und verwendet wird.

PROSODIE: Das von der Literatur zunehmend geprägte überregionale Hochdeutsch beeinflusst auch die Sprechsprache. 1898 erscheint Theodor Siebs Deutsche Bühnenaussprache, die über lange Zeit die öffentliche Aussprache normiert.

PHONOLOGIE: Keine nennenswerten Änderungen.

ORTHOGRAPHIE: Frage- und Ausrufezeichen werden eingeführt, ansonsten gibt es bis 1901 (erste Recht-schreibkonferenz) keine verbindliche Norm, nur Normierungsversuche (Orthographisches Wörterbuch von Konrad Duden 1880).

In der Bürgerkultur und dem Realismus beginnt der Streit um die verschiedenen or-thographischen Prinzipien, die zu verschiedenen Schreibweisen führen: soll man historische Ableitungen oder die morphologische Verwandtschaft kenntlich machen, oder soll man eher versuchen, den Lauten möglichst genau entsprechende Buchstaben zuzuordnen?

FLEXION: In neuhochdeutscher Zeit ist der lange Grammatikwandelprozess beendet bzw. stark ver-langsamt, was vor allem hinsichtlich des Flexionswandels gilt. Die verwendeten Formen werden in den Grammatiken seit der Aufklärung kodifiziert festgelegt.

Bei einigen Verben ist die Übergangstendenz zur schwachen Konjugation noch heute nicht abgeschlossen: hängen: hing und hängte; schaffen: schuf und schaffte

MORPHOSYNTAX: Die Annäherung von Indikativ- und Konjunktivformen durch die frühere Endsilbenab-schwächung führt zu einer verstärkten Verwendung des analytisch gebildeten Konjunktivs: ich würde essen statt ich äße, sowie zu anderen Umschreibungsformen.

17 In Regionen, in denen Niederdeutsch gesprochen wird, ist die Berührung mit der hochdeutschen Schrift-

sprache besonders schwierig. Vielen Schülern muss sie noch bis in das vergangene Jahrhundert als Fremdsprache erschienen sein. Dies erklärt auch, warum bis heute die Aussprache um Hannover als die beste gilt: Dort muss man Hochdeutsch nicht nur schreiben, sondern auch sprechen lernen, wobei man-gels Tradition das Sprechen an der Schrift besonders stark orientiert ist.

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Genitive und Dativobjekte werden immer seltener verwendet. Stattdessen werden Ersatz-formen im Akkusativ und vor allem das Präpositionalobjekt gebildet:

Er vergaß seiner Pflichten. => Er vergaß seine Pflichten. Bring unsern Nachbarn bitte diesen Brief. => Bring bitte diesen Brief zu unsern Nachbarn .

Die intensiven Wortbildungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dienen einer öko-nomischeren Ausdrucksweise: Krankenhaus der Stadt => städt. Krankenhaus => Stadt-krankenhaus. Auch die Doppelpräfigierungen stammen aus diesem Zeitraum: vereinnah-men, beanspruchen, benachteiligen.

SYNTAX: Die Satzlänge nimmt in der gehobenen Schriftsprache des Barock enorm zu (bis über

100 Wörter), in der Aufklärung dann wieder auf Satzlängen von 30 bis 40 Wörtern ab (Les-sing).

In der Aufklärung werden häufiger Funktionsverbgefüge verwendet (in Erfahrung bringen statt erfahren, Dank sagen statt danken).

Die Satzkonstruktionen mit abhängigen Nebensätzen werden, da sie differenzierte Sichtweisen syntaktisch auszudrücken vermögen, seit dem Barock, und in der Verwaltungs-sprache bis heute, wo dieser hypotaktische Satzbau allerdings ausufern kann, wenn der Le-ser oder Hörer zeilenlang auf das Prädikat warten muss, immer häufiger genutzt.18

Die Tendenz in der Verwaltungssprache, drei- bis viergliedrige Zusammensetzungen zu bilden, ist übrigens eine Gegenbewegung gegen den 2000 Jahre alten Trend zum analyti-schen Sprachbau: Anstalt, wo kleine Kinder aufbewahrt werden => Anstalt zur Bewahrung kleiner/von kleinen Kindern => Kleinkindbewahranstalt.

Im 19. Jahrhundert wird das literarische Sprachideal des individuellen, wohlgeform-ten Ausdrucks hinterfragt und teilweise durch das oft beklagte Zeitungsdeutsch ersetzt. Anstelle von Satzgefügen werden in den Medien (und nicht nur dort) häufig Einfachsätze verwendet.

LEXIK: Im Gegensatz zur Grammatik beginnt der Wortschatz, sich stark und rasch zu verändern, was vor allem die Neuaufnahmen im 19. Jahrhundert betrifft. Epocheprägende Leitwörter entstehen, die etwa den heutigen Schlagwörtern aus Politik und Medien entsprechen:

Bildung, Humanität, Freiheit (Aufklärung); Genie, Original (Sturm und Drang), Stun-denlohn, Klassenkampf, Reichstag (Bürgerkultur, Realismus); Fremdwörter: Aufklärung: Madame, Gelée, Friseur, Papa, Mama, Cousin Lehnwörter: Aufklärung: Energie, Marmelade, Onkel, Tante Lehnschöpfungen: Aufklärung: Mundart für Dialekt, Menschentum für Humanité, Verfasser für Autor. Viele Verdeutschungsversuche haben sich nicht halten können, wie Zitterweh für Fieber, Gesichtserker für Nase (Barock), Süßchen für Bonbon (Auf-klärung).

18 Der Satz ist sein eigenes Beispiel.

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Zur einflussreichsten Gebersprache rückt im 19. Jahrhundert Englisch auf, teils durch Lite-ratur (Humor, Pudding) und Politik (Parlament, Opposition), dann als Konversationsspra-che der adeligen Oberschicht (fashionable (fesch), shocking, last not least), vor allem aber durch Entlehnungen aus englischen Fachsprachen wie dem Sport. Die Wörter aus dem Fuß-ball sind eingedeutscht (Fußball, Strafstoß), während im Tennis oder Golf viele Begriffe als Fremdwort verwendet werden (Green, Advantage).

Englisch rückt auch in der Wissenschaftssprache neben Griechisch und Latein zur Ge-bersprache für international verwendete Fachbegriffe auf.

Übergänge aus dem Fachwortschatz in die Standardsprache verlaufen oft über eine metaphorische Verwendung: Dampf machen, Dampf ablassen, die Notbremse ziehen, unter Hochdruck arbeiten, den Anschluss verpassen, entgleisen, Schmalspurakademiker, Puffer-staat, in ein Unternehmen einsteigen. Ähnliches gilt für den Bereich der Elektrizität.

TEXTSORTEN: Ein breites Lesepublikum gibt es in Barock und Aufklärung noch nicht, auch wenn es e-norm zunimmt. Die Veröffentlichungssprache für wissenschaftliche Texte wechselt im Ver-lauf des 18. Jahrhunderts von vorwiegend Lateinisch zu vorwiegend Deutsch. Neben ver-schiedene Dichtungsformen treten zunehmend moralisierend-erbauliche Schriften.

Im 19. Jahrhundert steigt die Zahl der Fachtexte an. In bürgerlichen Kreisen kommt die Massenmode auf, Briefe und Tagebücher zu schreiben. Neue Druckverfahren und die zunehmende Alphabetisierung der Bevölkerung sind Faktoren für die rapide Zunahme der publizistischen Textsorten: Meldung, Nachricht, Bericht, Kommentar, Broschüre, Flug-schrift, Wahl- und Werbeplakate stehen im Dienst der Massenmedien (vor allem Zeitun-gen), des politischen Engagements und der breiten Konsumorientierung.

HEUTIGES DEUTSCH/GEGENWARTSDEUTSCH (1920 BIS ZUR GEGENWART)

Der ägyptische Staatspräsident Saddat ist am Dienstag bei einem Attentat getötet worden. Dies wurde am Nachmittag in Kairo offiziell bestätigt. F.A.Z. 1981 Wenn man vom Neuhochdeutschen nochmals einen Zeitraum abtrennt und diesen der Ge-genwartssprache vorbehält, so bedarf das einer Rechtfertigung. Schließlich hat sich in Syn-tax (Sprachstruktur) und Wortschatz seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts zumindest nichts grundlegend Neues auf der formalen Seite mehr ergeben, wenn man von der rasanten Zunahme des Wortschatzes einmal absehen mag. Das liegt vor allem an der unvergleichba-ren Zunahme des Schriftverkehrs, der stark genormt und deshalb wenig veränderlich ist. Veränderungen haben sich aber vor allem beim Sprachgebrauch ergeben. Seit den 20er-Jahren, spätestens aber nach den Fluchtbewegungen in Folge des 2. Weltkrieges, kann man davon ausgehen, dass es kaum einen deutschsprachigen Sprecher gibt, der nicht zumindest annäherungsweise die Standardsprache aktiv und passiv beherrscht. Meist ist die Ausspra-che allerdings umgangssprachlich geprägt. Viel dazu beigetragen haben die das 20. Jahrhundert so kennzeichnenden Massenmedien, vor allem Rundfunk (seit den 20er-Jahren) und Fernsehen (seit den 50er-Jahren). In diesen Medien musste nun d e r j e n i g e Schritt zu einer mündlichen Ausgleichssprache vollzogen werden, der im Schriftdeutsch der Druckwerke schon im 17. Jahrhundert vollzogen worden war. Auch der flächendeckende Schulbesuch hat seinen Beitrag zur Vereinheitlichung des Mündlichen geleistet.

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Ein anderes Kennzeichen der Sprache seit 1920 ist sicherlich der zunehmende Gebrauch von Sprache als Massenmanipulationsmittel, sei es in politischem Wahlkampf, faschisti-scher Propaganda und Gleichschaltungsversuchen, sei es in der öffentlichen politischen Sprache zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen Ost und West oder besonders intensiv in der 'Alles ist supergut'-Sprache der Werbung.

Während die regionalen Begrenzungen zwischen den Mundarten verschwimmen und diese zunehmend aus der Sprachlandschaft verschwinden, nimmt die Zahl anderer Varietä-ten und die Geschwindigkeit ihrer Veränderungen mit dem Wandel von Technik und Ge-sellschaft enorm zu. Die innersprachliche Barriere zwischen verschiedenen sozialen Schich-ten (sie zeigt sich beispielsweise in mangelnder Vertrautheit mit der Verwaltungssprache, wodurch soziale Nachteile entstehen können) scheint sich aufzulösen bzw. umzugestalten. Immer mehr Deutschsprachige müssen über die Fähigkeit verfügen, zwischen immer mehr ihnen zur Verfügung stehenden Varietäten des Deutschen situationsgemäß hin und her zu wechseln (code switching, s. o.). Dabei muss noch zwischen aktiver und passiver Beherr-schung der Varietäten unterschieden werden. Die elektronischen Medien scheinen die pas-sive Kompetenz zu fördern, während die Fähigkeit zu aktivem Sprechen bei abnehmenden Sprechgelegenheiten zurückzugehen scheint.

PROSODIE: Die verschiedenen Normierungsversuche zu einer Standardlautung des Deutschen gehen an der Sprechpraxis vorbei.

Das Endsilben-e geht immer mehr zurück: laufn, sprechn.

PHONOLOGIE: Keine nennenswerten Änderungen.

ORTHOGRAPHIE: Die Rechtschreibung ist seit der 1. Orthographischen Konferenz von 1901 normiert. Still-schweigend wurden seitdem neue Varianten der Schreibung in den Rechtschreib-Duden19 aufgenommen. 1998 wurden neue Rechtschreibregeln eingeführt, die nach einer Über-gangszeit ab Juli 2005 in allen Schulen und Behörden verbindlich gelten.

FLEXION: Die Deklinationssuffixe verschwinden weiter, der jeweilige Kasus wird analytisch über den Artikel o. Ä.. ausgedrückt: sich am Automat(en) bedienen (Dativ), auf den Präsident(en) hören (Akkusativ).

Weniger gebrauchte starke Verben werden aus Unkenntnis häufig schwach gebeugt, sodass die Abweichung irgendwann zur Variante und schließlich zum Normalfall wird (saugte statt sog, backte statt buk).

MORPHOSYNTAX: Die Möglichkeiten der Wortbildung werden wie nie zuvor verwendet. In der Zusammenset-zung von neuen Wörtern aus alten gilt die deutsche Sprache als einzigartig. Hier werden nur die Varietäten gekennzeichnet, wo viele der Wortbildungen entstehen: Belletristik (Indivi-dualstil von Grass: Filzkultur, planetengläubig), Presse (prägnante Verkürzung in Über-

19 Der Duden ist nicht staatliches Regelwerk, sondern wird von einem Verlag erarbeitet und herausgege-

ben.

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schriften: Lehrstellenangebot zugenommen), Werbung (auffällige, mehrgliedrige Adjektive: erntefrisch), Verwaltungssprache (Bandwurmwörter: Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft, Flachdach-Deckenkonstruktion). So, wie hier Sätze verkürzt werden, werden Wörter zu Abkürzungen verkürzt, die man erst in diesem Jahrhundert wie selbstständige Wörter spricht (APO, Agfa, aber SPD).

Zur Kennzeichnung von Zukünftigkeit ersetzt das Präsens zunehmend Futur I und II. Vorvergangenheit wird immer seltener durch Plusquamperfekt ausgedrückt, häufiger mit Präteritum und Perfekt.

SYNTAX: Die Satzlänge nimmt weiter ab. 13 bis 16 Wörter sind in Zeitungen normal (BILD: 6 bis 8). Mehr unvollendete Sätze in der Schriftsprache.

Die Sätze werden häufiger parataktisch aneinander gereiht, die abhängigen Informa-tionen werden nicht mehr so häufig in speziellen Nebensatzkonstruktionen untergebracht, die genaue Beziehung zwischen Nebensatzinhalt und Hauptsatzinhalt geht dabei verloren. 20

Der Nominalstil wird häufig verwendet, weil das Bedürfnis gewachsen ist, die Satz-aussage zu verdichten und syntaktisch zu vereinfachen (= weil das Bedürfnis nach Verdich-tung und Verkürzung der Satzaussage gewachsen ist).21

In manchen Textsorten passt sich die Schriftsprache dem einfacher gebauten Sprechen an.

LEXIK: Der Wortschatz nimmt zu wie nie zuvor. Dies gilt für fast alle modernen Sprachen von Ge-sellschaften, die am Fortschritt in Wissenschaft und Technik teilhaben: Tankstelle, Atomre-aktor, Satellitenfoto, Chancengleichheit, Radikalenerlass, Sozialstaat, Währungsunion sind nur einige wenige 'Zeitspiegelwörter'. Neben den Fachsprachen ist der Sport einer der größten Wortspender für den Allgemeinwortschatz: Halbzeit, starten, spurten, dazu meta-phorisch Tiefschlag, Sprungbrett.

Neben angloamerikanischen Fachwörtern tauchen seit 1945 besonders viele Fremd- und Lehnwörter auf, die aus Prestigegründen entlehnt werden und etwas bezeichnen, was schon vorher einen Namen hatte: Hit, Drink, Job, Meeting etc. Einige der vermeintlichen Fremdwörter existieren paradoxerweise gar nicht in der Gebersprache: Pullunder, Show-master, Handy. In der DDR gibt es ebenfalls viele Anglizismen, die vor allem in der Ju-gendsprache auftauchten. Aber auch von offizieller Seite werden englische Fremdwörter gebraucht, z. B. Dispatcher.

Vor allem die Sonderwortschätze unterscheiden sich in den beiden deutschen Staaten stark voneinander.

Neben der rasanten Zunahme des Wortschatzes verschwinden Wörter (oder Bedeutun-gen) aus dem Deutschen, wenn auch ungleich weniger, als neue hinzukommen. Warum? Dies liegt nicht nur daran, dass manche Referenten (Gegenstände oder Sachverhalte) aus der außer-sprachlichen Umwelt verschwinden, sondern meist an der Konkurrenz von verschiedenen Wörtern für den gleichen Referenten oder an der ständigen Suche nach g e f ü h l s s t ä r -

20 Diese Sätze sind Beispiele für das, wofür sie stehen, und sind daher kursiv gedruckt. 21 Diese Aussage stellt keine Erklärung des Wandelphänomens dar, denn sie erklärt nicht, warum das Be-

dürfnis gewachsen ist!

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k e r e n Ausdrücken in der Jugend- und Werbesprache, der den älteren Ausdruck als ver-braucht erscheinen lässt (total, Super-, Mega-, Hyper-).

TEXTSORTEN: Auf die beispiellose Vervielfachung der Textsorten in diesem Jahrhundert kann hier nur hingewiesen werden. Vor allem appellative Textsorten (Werbung, Wahlpropaganda) mit charakteristischer Kennzeichnung durch Formelhaftigkeit und Aufwertung (Frauen tragen Gallus, superrein) sind ein Zeichen des Wandels. Der mengenmäßigen Zunahme von Tex-ten und Texttypen steht allerdings die häufig vernehmbare Klage über eine Verringerung der Lesekultur gegenüber, zumindest hinsichtlich der Lektüre von Belletristik.

3. Zusammenfassung Die Sprachgeschichtsforschung versucht, vergangene Sprachzustände zu erfassen, die Ü-bergänge zu beschreiben. Um Sprachwandel zu erklären, müssen auch verschiedene gesell-schaftliche Faktoren jenseits der Sprache selbst berücksichtigt werden.

Das heutige Deutsch ist mit den meisten europäischen Sprachen verwandt, wobei auf-grund bestimmter Gemeinsamkeiten und Unterschiede die historischen Zeiträume, in denen sich die Sprachen auseinander entwickelt haben, rekonstruierbar sind. Nacheinander haben Latein, Französisch und Englisch großen Einfluss auf Wortschatz und Grammatik der deut-schen Sprachen ausgeübt. Die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache sind immer differenzierender geworden, den Kommunikationserfordernissen der Zeit jeweils entspre-chend. Wandlungen haben auf allen Ebenen stattgefunden. Es gibt Tendenzen, die seit 2000 Jahren anhalten (Endsilbenverfall und Trend zum analytischen Satzbau), andere haben nur zu einer bestimmten Zeit stattgefunden (neuhochdeutsche Diphthongierung). Schreibspra-chen und Drucksprachen haben die Entwicklung zu einer einheitlichen deutschen Sprache beschleunigt und den Grammatikwandel gebremst. Ein ostmitteldeutscher Dialekt hat sich gegenüber oberdeutschen und niederdeutschen Verkehrssprachen in Folge der lutherischen Bibelübersetzung als überregionale Sprache durchgesetzt. Eine von allen Sprechern be-herrschte überregionale Umgangssprache existiert erst mit den Massenmedien und den Wanderungsbewegungen nach dem 2. Weltkrieg. In der gleichen Zeit nehmen der Wort-schatz mit der Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie die Zahl der Varietäten rapide zu. Im Gegenzug gibt es immer weniger Sprecher, die noch eine reine Mundart be-herrschen.

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4. Übungsvorschläge I. Erstellen Sie eine Tabelle der Entlehnungsperioden in der deutschen Sprachge-

schichte. Erwähnen Sie je ein Beispiel, den Zeitraum und die Gebersprache, evtl. auch die Motivation für die Entlehnung.

II. Fertigen Sie einen Zeitstrahl mit den Epochen der deutschen Sprache an. Nennen Sie Zeitraum, Abgrenzungskriterien, Sprachraum, typische Veränderungen und Neuerungen.

III. Im Wandel der deutschen Sprache hat es langfristige Tendenzen gegeben, die teil-weise bis heute nicht beendet sind. Nennen Sie einige davon.

IV. Was ist der Unterschied zwischen internen und externen Sprachwandelfaktoren? Nennen Sie Beispiele.

V. Welches Phänomen, das die deutsche Sprache bis heute prägt, ist durch die Festle-gung des Wortakzentes bereits in früherer Zeit eingeleitet worden? Handelt es sich hier um eine Beschreibung oder eine Erklärung eines sprachgeschichtlichen Phä-nomens?

VI. Welche kulturellen Entwicklungen lassen sich an den lateinischen Lehnwörtern im Germanischen erkennen?

VII. Was bedeutet das Hoch- in Hochdeutsch? VIII. Am Ende dieser Einführung kann man auch eine Gegenfrage stellen: Welche Be-

dingungen müsste eine Gesellschaft und ihre Sprache erfüllen, damit ein Wandel der Sprache unterbleibt?

IX. Nennen Sie einige Sprachwandelphänomene der deutschen Sprachgeschichte, die unter den Gesichtspunkt der sprachlichen Ökonomie fallen.

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Anhang: Grammatische Grundbegriffe von Susanne Feld

Gliederung Nomen

Kasus, Numerus und Genus Verb

Tempus Genus Verbi Modus Infinitive Stammformen von Verben

Bibliographie Lösungen der Übungsaufgaben Die einfachste Einteilung der Wörter in einem Text ist die nach veränderbaren und unver-änderbaren Worten. Die Veränderung (im Dt. Beugung) von Worten nennt man Flexion bzw. die Tätigkeit flektieren. Dies kann auf zwei verschiedene Weisen geschehen: entweder durch die Deklination oder durch die Konjugation. Welche dieser beiden Möglichkeiten verwandt wird, ist nicht willkürlich. Wörter, die eine Tätigkeit (z. B. laufen) oder einen Zu-stand (z. B. wohnen) angeben (Verben) werden konjugiert und Nomen (Substantive1), Für-wörter (Pronomen) und Eigenschaftswörter (Adjektive) werden dekliniert.

Die Kriterien für die Deklination von Nomen, Pronomen und Adjektiven sind

Kasus, Numerus und Genus Die deutschen Bezeichnungen dafür sind Fall, Anzahl und Geschlecht.

1. Numerus (pl. Numeri) Im Deutschen (und in vielen anderen Sprachen) gibt es zur Angabe der Anzahl zwei grammatische Kategorien, Singular (Einzahl) und Plural (Mehrzahl). [Es gibt auch Sprachen mit vier Numeri, zu den auch im Deutschen vorkommen-den treten noch Dual und Trial (z. B. auf der Insel Annatom in Melanesien).]2

2. Genus (pl. Genera) Das Geschlecht von Nomen und Pronomen kann feminin (weiblich), maskulin (männlich) oder neutral (sächlich) sein. Adjektive haben kein ‚eigenes‘ Ge-schlecht, sie richten sich nach dem Nomen, dem sie beigefügt sind.

3. Kasus (pl. Kasus) Es gibt im Deutschen vier Kasus3:

1 Beide Begriffe sind gleichbedeutend; ich werde hier Nomen verwenden, da somit die Gefahr der Ver-

wechslung mit dem später auftauchenden Begriff Subjekt nicht gegeben und auch die Bezeichnung Pro-nomen verständlicher ist.

2 Vgl. Crystal 1993, S. 92. 3 Im Finnischen gibt es fünfzehn Kasus; die uns unbekannten drücken im Wesentlichen das aus, was im

Deutschen mit einer Präpositionalkonstruktion beschrieben wird. Vgl. dazu auch: Crystal 1993, S. 92.

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1. Fall Nominativ (Wer?) 2. Fall Genitiv (Wessen?) 3. Fall Dativ (Wem?) 4. Fall Akkusativ (Wen? Was?)

Mit den so genannten W-Fragen, die in Klammern angegeben sind, kann man in einem Satz die entsprechenden Kasus erfragen. Der Kasus, in dem ein Wort steht, ist eng mit der Funk-tion, die es im Satz einnimmt, verbunden. Jedes Pronomen, Nomen und Adjektiv befindet sich immer in einem Kasus, Numerus und Genus. Sie können also nicht wie ein Verb infinit, unbestimmt nach gewissen Kriterien, sein.

Nomen und Pronomen haben zwingend ein Geschlecht. Dieses ist bei den Nomen im Deutschen an den bestimmten Artikeln zu erkennen (der, die, das) bzw. es bereitet Nicht-Muttersprachlern manchmal Schwierigkeiten, Nomen den richtigen bestimmten Artikel und somit das richtige Geschlecht zuzuordnen (im Englischen haben Nomen natürlich auch ein Geschlecht, aber der bestimmte Artikel ist für alle gleich – the)

Adjektive richten sich nicht nur, wie bereits erwähnt, im Genus nach dem Nomen, das sie ergänzen, sondern auch in Numerus und Kasus. Diese Übereinstimmung in Kasus, Nu-merus und Genus wird KNG-Kongruenz genannt.

Übung 1: Kennzeichnen Sie in den folgenden Sätzen alle deklinierten Wörter und geben Sie jeweils Kasus, Numerus und Genus an. Die Stadt, kurz vor Herbst noch in Glut getaucht nach dem kühlen Regensommer dieses Jahres, atmete heftiger als sonst. Ihr Atem fuhr als geballter Rauch aus hundert Fabrik-schornsteinen in den reinen Himmel, aber dann verließ ihn die Kraft, weiterzuziehen.4

Verben werden konjugiert nach Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus Verbi. Es gibt jeweils im Singular und Plural drei Personen:

Singular Plural 1. Person ich wir 2. Person du ihr 3. Person er, sie, es sie

Zwischen dem Nomen im Nominativ und dem Verb in einem Satz muss Kongruenz im Numerus bestehen.

Tempus Tempus ist das lateinische Wort für Zeit. Das Verb gibt also - unter anderem - die Zeitstufe an, auf die sich die Aussage bezieht. Im Deutschen gibt es drei Zeitstufen: die Gegenwart, die Zukunft und die Vergangenheit. Für die Gegenwart gibt es ein Tempus, die Zukunft wird durch zwei Tempora ausgedrückt und die Vergangenheit durch drei Tempora:

4 Wolf 1987, S. 7.

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Dt. Ausdruck Fachausdruck (lat.) Beispiel (Alle Beispiele im Indikativ; s. u.)

Gegenwart Präsens Ich lese. Einfache Zukunft Futur I Ich werde lesen. Vollendete Zukunft Futur II Ich werde gelesen haben. Einfache Vergangenheit Präteritum Ich las. Vollendete Vergangenheit Perfekt Ich habe gelesen. ‘vor’ der vollendeten Ver-gangenheit

Plusquamperfekt Ich hatte gelesen.

Für die Bildung der Tempora der Zukunft und von Perfekt und Plusquamperfekt werden Formen der Verben sein und haben gebraucht, die in diesem Fall sog. Hilfsverben sind. Die zusätzlich für Futur II, Perfekt und Plusquamperfekt gebrauchte Verbform ist das Parti-zip II (im Beispiel: gelesen). [Zu den Partizipien mehr unter Infinitive.]

Zeitverhältnis - Gleichzeitigkeit, Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit Zwei Geschehnisse im gleichen Tempus sind gleichzeitig, zwei Geschehnisse in unterschiedlichen Zeitstufen sind zueinander vor- bzw. nachzeitig. Vergangenheit ist vorzeitig zur Gegenwart, die Gegenwart ist vorzeitig zur Zukunft. Diese wiederum verhält sich nachzeitig zur Gegenwart und diese nachzeitig zur Vergangenheit. Aber auch innerhalb einer Zeitstufe kann es solche Zeitverhältnisse geben. Für die Gegenwart trifft dies nicht zu, denn sie wird nur durch ein Tempus ausgedrückt. In der Vergangenheit verhalten sich die Tempora aber folgendermaßen zueinander: Das Plusquamperfekt ist vorzeitig zum Perfekt und zum Präteritum. (Ich hatte das Buch zu Ende gelesen, bevor ich ein neues gekauft habe.) Ebenso ist es beim Futur: Futur I ist vorzeitig zu Futur II bzw. Futur II ist nachzeitig zu Futur I. (Ich werde am Montag mit der Arbeit beginnen, am Freitag werde ich das Ikea-Regal zusammengebaut haben.)

Genus Verbi (das Geschlecht des Verbs) Tätigkeiten oder Zustände können im Deutschen sprachlich von zwei Seiten wiedergegeben werden, die zueinander im Gegensatz stehen: im Aktiv und im Passiv.5

Das Wort Aktiv legt nahe, dass diese Ausdrucksweise immer den Täter einer Hand-lung beschreibt. Bei manchen Verben ist dies auch der Fall (Er verfolgt den Dieb.), aber auch Verben, die z. B. einen Zustand angeben, werden im Aktiv ausgedrückt (Sie schläft. Das Gras wächst schnell.). Also ist der Begriff Aktiv unabhängig von der Bedeutung eines Verbs.

Demgegenüber steht die Ausdrucksweise Passiv, bei der das Subjekt oft als ‚leidend‘ bezeichnet wird. Dass dies nur in wenigen Fällen tatsächlich so ist, zeigen folgende Beispie-le:

Das Kind wird verprügelt. Der Gefangene wird gefoltert. Aber: Der Sieger wird gefeiert.6 Das Haus wird renoviert. Diese Sendung wird von Millionen Fernsehzuschauern gesehen.

5 Vgl. Duden 1973, §197-199, S. 91-92. 6 Duden 1973, §197-199, S. 91.

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Einige Sätze können sowohl im Passiv als auch im Aktiv ausgedrückt werden, manche je-doch nicht. (Ich kratze mich. *Ich werde von mir gekratzt.)7

Modus (Aussageweise)8 Die verschiedenen Modi im Deutschen sind Indikativ, Imperativ und Konjunktiv.

Indikativ – Wirklichkeitsform Er sagt die Wahrheit. (Präs. Indikativ Aktiv) Er wird die Wahrheit sagen. (Fut. I Indikativ Aktiv) Er sagte die Wahrheit. (Präter. Indikativ Aktiv)

Imperativ – Aufforderungs-(Befehls-)form Sag die Wahrheit! Sagt die Wahrheit! Bei der Betrachtung des Imperativs wird schon klar, dass dieser Modus nur bei Verben in der 2. Person Singular und Plural (siehe Bsp. oben) oder in der 3. Person Plural auftreten kann, weil für die Aufforderung oder den Befehl ein direkt Angesprochener vonnöten ist. Beim Imperativ in der 2. Person wird meist das Personalpronomen (du, ihr) weggelassen, sofern es nicht zur besonderen Betonung dient. Der Imperativ kommt in der dritten Person Plural vor, wenn Personen angesprochen werden, denen gegenüber die Höflichkeitsform benutzt wird; hierbei steht das Pronomen hinter der finiten Verbform:

Nehmen Sie Platz, Gnädigste! Nehmen Sie Platz, meine Damen und Herren!

Diese finite Verbform wird gebildet wie die Form der 3. Person Plural Konjunktiv I (Seien Sie ruhig! im Ggs. zu Sind Sie ruhig! [Indikativ, umgangssprachl.])

Veraltet ist die Anredeform in der 3. Person Singular, zu finden z. B. in klassischer Li-teratur:

Lass Er uns allein, Wurm.9 Trete Sie näher, mein Kind!10 Bleib Er! Schweig Er! und streich Er Sein Geld ein!11

Da eine Aufforderung nur in der Gegenwart sinnvoll ist, gibt es im Imperativ keine Vergan-genheitsformen.

Konjunktiv – Möglichkeitsform Er sage die Wahrheit, behauptet er. (Konjunktiv Präsens Aktiv = Konj. I)

Er sagte die Wahrheit, ließe man ihn. (Konjunktiv Präteritum Aktiv = Konj. II) Er werde die Wahrheit sagen, kündigte er an. (Konjunktiv Futur Aktiv)

7 Die Zeichen * und ? vor einem Satz sind in der modernen Sprachwissenschaft wichtige Kennzeichnun-

gen von ungrammatischen (*) bzw. zweifelhaften (?) Sätzen oder Teilen von Sätzen. Zweifelhaft bedeu-tet, dass eine so gekennzeichnete Äußerung zwar umgangssprachlich vorkommt, aber doch dem Mutter-sprachler intuitiv klar ist, dass sie grammatisch nicht korrekt ist.

8 Vgl. zum Modus: Duden 1973, § 216-269, S. 96-118. 9 Schiller [o. J.] 1. Akt, 7. Szene, S. 16. 10 Ebd., 4. Akt, 7. Szene, S. 62. 11 Ebd., 5. Akt, 5. Szene, S. 81.

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Mit dem Konjunktiv verhält es sich – vor allem im mündlichen Sprachgebrauch – nicht so einfach. Bei vielen Verben sind die Formen des Konjunktiv I und II nicht mehr gebräuch-lich und teilweise auch gar nicht mehr bekannt. Oft stimmen sie auch mit der Verbform im Indikativ überein, sodass die Bedeutung aus dem Kontext erschlossen werden muss (Er sag-te die Wahrheit, fragte man ihn.) Meist wird in der Umgangssprache der Konjunktiv mit den Hilfsverben haben, sein oder werden ausgedrückt: Konjunktiv II von haben, sein oder werden + Infinitiv oder Partizip II.

Sie hätte das Haus verlassen, wäre nicht die Tür versperrt gewesen. Ich würde nach Rom reisen! Wenn er sich nicht verspätet hätte, wäre er jetzt angekommen.

Der Konjunktiv I wird nach dem Präsensstamm (Indikativ; 1. Stammform) gebildet, der Konjunktiv II nach dem Stamm des Präteritums (Indikativ; 2. Stammform). (Beispiele in der dritten Person Singular, da hier die Unterschiede am ehesten zu sehen sind.)

Präsens Aktiv Präsens Passiv Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv Er fängt Er fange Er wird gefangen Er werde gefangen Sie zieht Sie ziehe Sie wird gezogen Sie werde gezogen Es ist Es sei - - Er hat Er habe - -

Präteritum Aktiv Präteritum Passiv Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv Er fing Er finge Er wurde gefangen Er würde gefangen Sie zog Sie zöge Sie wurde gezogen Sie würde gezogen Es war Es wäre - - Er hatte Er hätte - -

Futur (I) Aktiv Futur (I) Passiv Indikativ Konjunktiv Indikativ Konjunktiv Er wird fangen Er werde fangen Er wird gefangen

werden Er werde gefangen werden

Sie wird ziehen Sie werde ziehen Sie wird gezogen werden

Sie werde gezogen werden

Es wird sein Es werde sein - - Er wird haben Er werde haben - - 12 Ein häufiger Gebrauch des Konjunktiv ist bei der indirekten Rede zu finden.

Während der Gerichtsverhandlung sagte der Angeklagte, er habe nicht aus Habgier gehandelt. Seine Tat sei nötig geworden durch eine extreme finanzielle Notlage, aus der er sich nicht anders zu befreien gewusst habe. Er fange ein neues, arbeitsames Leben an, be-teuerte er, und ziehe weg aus dieser Stadt.

Ansonsten kommt der Konjunktiv vor allem in festen Fügungen vor (Das möge Gott verhüten! Wie dem auch sei, zu ändern ist es eh nicht. Komme, was wolle, ich bleibe dabei.)

12 Beispiele nach: Rothenburg 1997, S. 6.

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und als Ausdruck der Höflichkeit und Unverbindlichkeit (Ich würde ihnen dieses Buch emp-fehlen. Da wären wir!).

Der Gebrauch des Konjunktiv wird in vielen Fällen vermieden. Stattdessen wird der Indikativ mit modaler Färbung benutzt; diese modale Färbung kann durch verschiedene Me-thoden erreicht werden:

1. durch modale Adverbien: sicher (-lich), vielleicht, möglicherweise, womöglich, wohl, bestimmt etc.

2. durch modale Wortgruppen: meiner Meinung nach, meines Erachtens etc. 3. durch Modalverben: können, mögen, sollen, dürfen, müssen, wollen 4. durch bestimmte Verben des Glaubens und Meinens im übergeordneten Satz: ver-

muten, glauben, meinen, wünschen etc. Ich wünsche mir, dass wir morgen etwas unternehmen.

Infinitive Verben, die konjugiert sind, also Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus Verbi angeben, sind finit, d. h. sie sind (eben nach diesen Kriterien) bestimmt. Demgegenüber gibt es Verbformen, die nicht nach allen diesen Kriterien festgelegt sind, die Infinitive (Unbe-stimmte). Infinitive haben keine Person, keinen Numerus und keinen Modus. Sie sind nur nach Tempus und Genus Verbi bestimmt. Infinitiv Präsens

Aktiv (zu) waschen (zu) beschimpfen

Infinitiv Perfekt Aktiv

gewaschen (zu) haben beschimpft (zu) haben

Infinitiv Präsens Passiv

gewaschen (zu) werden beschimpft (zu) werden

Infinitiv Perfekt Passiv

gewaschen worden (zu) sein beschimpft worden (zu) sein

Infinitive im Futur lassen sich auch bilden, sind de facto aber konstruierte Formen und nicht gebräuchlich.

Infinitive werden z. B. gebraucht für Bildungen mit sog. Modalverben: Sie kann nicht schwimmen. Du willst nicht essen? Ihr müsst Steuern zahlen. Er soll seine Hausaufgaben machen. Du darfst mein Buch ausleihen. Ich mag nicht aufräumen. Müssen, sollen, können, dürfen, wollen, mögen sind also Modalverben (modale Hilfs-verben).

Bestimmte Verben können/müssen ein anderes Verb im Infinitiv zur Ergänzung heranzie-hen oder ganze Nebensätze können mit einer infiniten Form gebildet werden:

Ich glaube zu wissen, dass er lügt. Du forderst mich auf, zu handeln. Ich bitte dich, mir dein Auto zu borgen. Ich gebe es dir aber nur, um nach Hause zu fahren!

Der Infinitiv Präsens Aktiv eines Verbs, auch Grundform genannt, ist die Form, in der ein Verb im Wörterbuch eingetragen ist. Außerdem ist er die erste Stammform. (Zu Stammfor-men siehe unten.)

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Auch die Partizipien sind infinite Verbformen. Wie oben bereits erwähnt, wird das Parti-zip II gebraucht, um die Tempora Futur II, Perfekt und Plusquamperfekt zu bilden. Außer-dem ist es durch die Partizipien (I und II) möglich, das Verb attributiv oder adverbial zu gebrauchen, d. h. als Eigenschaftswort zu einem Nomen oder zu einem anderen Verb.

Partizip I Beispiele: Partizip I von lesen ist lesend.

Ich verbrachte die letzten Stunden lesend. (adverbialer Gebrauch, lesend beschreibt verbrachte näher) Ich beobachtete das lesende Mädchen. (attributiver Gebrauch, lesend beschreibt Mädchen)

Partizip II Beispiele: Partizip II von sprechen ist gesprochen.

Das gesprochene Wort (attributiver Gebrauch) Partizipien können also wie Adjektive gebraucht werden und müssen somit auch KNG-kongruent zu dem Nomen, das sie beschreiben, sein. Daher müssen sie dekliniert werden können.

Deklination von Partizipien Partizip I von sprechen Singular Plural Nominativ Der sprechende Hund Die sprechenden Hunde Genitiv Des sprechenden Hundes Der sprechenden Hunde Dativ Dem sprechenden Hund Den sprechenden Hunden Akkusativ Den sprechenden Hund Die sprechenden Hunde

Partizip II von sprechen Singular Plural Nominativ Das gesprochene Wort Die gesprochenen Worte Genitiv Des gesprochenen Wortes Der gesprochenen Worte Dativ Dem gesprochenen Wort Den gesprochenen Worten Akkusativ Das gesprochene Wort Die gesprochenen Worte

Partizipien ersetzen einen Relativsatz: Ich stahl den Hund, der sprechen kann. Ich stahl den sprechenden Hund.

Stammformen von Verben Wer schon eine oder mehrere Fremdsprachen gelernt hat, weiß, dass man unregelmäßig ge-bildete Verben mit ihren Stammformen lernt, damit man auch die anderen Tempora – außer des Präsens – bilden kann.

Bsp.: stehlen – stahl – gestohlen bringen – brachte – gebracht essen – aß – gegessen fangen – fing – gefangen schwimmen – schwamm – geschwommen

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Dass die erste Stammform der Infinitiv Präsens Aktiv ist, habe ich schon erwähnt. Die zwei-te Stammform ist die Form der 3. Person Singular Präteritum Indikativ Aktiv (er stahl, sie brachte, es aß etc.). Die dritte Stammform ist das Partizip II.

Übung 2: Kennzeichnen Sie alle finiten und infiniten Verbformen als solche und bestimmen Sie sie. Bsp: lachend – Partizip I; wir gingen – 1. Person Plural Präteritum Indikativ Aktiv Also kehrten wir zu unserer alltäglichen Arbeit zurück, die wir für Augenblicke unterbrochen hatten, der nüchternen Stimme des Radiosprechers lauschend und mehr noch den unhörba-ren Stimmen sehr naher Gefahren, die alle tödlich sind in dieser Zeit. Für diesmal waren sie abgewendet. Ein Schatten war über die Stadt gefallen, nun war sie wieder heiß und lebendig, sie gebar und begrub, sie gab Leben und forderte Leben, täglich.13 Du hast heute bei Tisch gesagt, Martinus, wenn du noch mal freien würdest, dann wolltest du dir ein Weib aus Stein hauen, sonst müßtest du am Gehorsam aller Weiber verzweifeln. Hatte es mit den Gelübden nicht ein Ende, als ich das Kloster verließ? [...] Für Armut ist gesorgt. Zähl die Häupter an deinem Tisch!14

13 Wolf 1987, S. 7. 14 Brückner 1986, S. 31.

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Lösungen der Übungsaufgaben Zu Übung 1: Die Stadt Nominativ Singular, feminines Nomen Herbst Dativ Singular, maskulines Nomen (..kurz vor d e m Herbst..) Glut Akkusativ Sing., fem., (in w e n oder w a s getaucht?) dem kühlen Regensommer Dativ Sing., maskulines Nomen, demnach befindet sich das Adjektiv ‘küh-

len’ auch in der maskulinen Form. Wäre der Nominalgruppe kein Artikel vorangestellt, müsste die En-dung des Adjektivs den Kasus angeben (kühlem).

dieses Jahres Genitiv Sing., neutrales Nomen, demnach das Demonstrativpronomen auch in der neutralen Form.

Ihr Atem Nominativ Sing., maskulines Nomen, Possessivpronomen ebenfalls maskulin. geballter Rauch Nom. Sing., mask. Fabrikschornsteinen Dat. Plural, mask. den reinen Himmel Akk. Sing., mask. ihn Akk. Sing., mask. die Kraft Nom. Sing., fem. Zu Übung 2: kehrten...zurück 1. Person. Plural Präteritum Indikativ Aktiv unterbrochen hatten 1. Person Plural Plusquamperfekt Indikativ Aktiv lauschend Partizip I sind 3. Person Plural Präsens Indikativ Aktiv waren...abgewendet 3. Person Plural Plusquamperfekt Indikativ Aktiv war...gefallen 3. Person Singular Plusquamperfekt Indikativ Aktiv war 3. Person Singular Präteritum Indikativ Aktiv gebar 3. Person Sing. Präteritum Ind. Akt. begrub 3. Ps. Sing. Prät. Ind. Akt. gab 3. Ps. Sing. Prät. Ind. Akt. forderte 3. Ps. Sing. Prät. Ind. Akt. hast...gesagt 2. Person Singular Perfekt Indikativ Aktiv freien würdest 2. Person Sing. Präteritum Konjunktiv (II) Aktiv wolltest...hauen 2. Person Sing. Präteritum Konjunktiv (II) Aktiv müsstest...verzweifeln 2. Person Sing. Präteritum Konjunktiv (II) Aktiv Hatte 3. Person Sing. Präteritum Indikativ Aktiv verließ 1. Person Sing. Präteritum Ind. Akt. ist gesorgt 3. Person Sing. Perfekt Ind. Akt. Zähl 2. Person Sing. Präsens Imperativ Aktiv

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Anhang: Wissenschaftliches Arbeiten von Alexandra Heising

Der Leserin / dem Leser, die / der ein Fachbuch zur Hand nimmt, werden bestimmte Konventi-onen nicht entgehen. Einiges, z. B. das Zitieren, wird in vereinfachter Form bereits in der Schu-le gelehrt, anderem begegnet man an der Universität zum ersten Mal. Im Folgenden soll in die wichtigsten Übereinkünfte für das wissenschaftliche Arbeiten eingeführt werden. Bei weiterem Interesse sei auf die Fachliteratur, die speziell zu diesem Thema erschienen ist, verwiesen.

Bibliographieren Das Erstellen einer Bibliographie meint eine Auflistung aller für eine Arbeit verwendeten Bücher. Dazu gibt es verschiedene Methoden, die offiziell anerkannt sind. Wichtig ist, egal, welcher von ihnen man sich bedient, durchgängig dasselbe System zu benutzen. Es soll nun eine dieser Möglichkeiten vorgestellt werden.

Zunächst gibt man den Autor oder Herausgeber - Letzterer hat ein Buch nicht (vollstän-dig) selber verfasst, sondern gibt eine Sammlung von Aufsätzen verschiedener Autoren heraus - an:

Muster, Peter oder Muster, Peter (Hg.)

wenn es sich um eine Herausgeberschrift handelt. Ein von einem einzigen Autor verfasstes Buch nennt man Monographie. Der Vorname kann in der Bibliographieangabe auch abge-kürzt werden, wichtig ist dabei aber, sich bei allen Angaben für die gleiche Notierweise zu entscheiden. Dann folgen Buchtitel, Verlag (nicht unbedingt notwendig), Erscheinungsort und Erscheinungsjahr, wobei zwischen den letzten beiden kein trennendes Komma steht.

Muster, Peter: Ein schönes Buch. Beispiel-Verlag, Essen 2003 oder Muster, P.: Ein schönes Buch. Beispiel-Verlag, Essen 2003

Der Buchtitel kann entweder durch Unterstreichen oder durch Kursivdruck gekennzeichnet werden; wichtig ist die Einheitlichkeit der Markierungsweise1. Dies gilt auch für Buchtitel, die man im Fließtext nennt. Bezieht man sich auf einen Aufsatz aus einer Herausgeber-schrift, so wird dieser folgendermaßen angegeben:

Müller, Lieschen: Über wissenschaftliches Arbeiten. In: Muster, Peter (Hg.): Ein schö-nes Buch. Beispiel-Verlag, Essen 2003, S. 25-41

Hervorgehoben wird wieder der B u c h t i t e l , nicht der Aufsatztitel, denn ein Leser, der etwas in diesem Aufsatz nachlesen möchte, wird nicht den Aufsatz, sondern das Buch in der Bibliothek suchen müssen. Gewöhnlich befinden sich die meisten der notwendigen Anga-ben auf der ersten Seite des Buches, während das Erscheinungsjahr auf der zweiten Seite verzeichnet ist. Manche Werke tragen noch zusätzlich einen Untertitel; dieser wird, durch einen Punkt abgetrennt, hinter dem Titel angegeben und ebenfalls wie Letzterer gekenn-zeichnet:

Muster, Peter: Ein schönes Buch. Über den Durchschnittsrezipienten wissenschaftli-cher Literatur in der Postmoderne. Beispiel-Verlag, Essen 2003

1 Bei handschriftlicher Aufführung eines Buchtitels bedient man sich der Unterstreichung.

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Wurde ein Buch von mehreren Autoren verfasst, so gibt man sie in alphabetischer Reihen-folge an:

Muster, Peter / Normalverbraucher, Otto: ..... Es ist auch möglich, lediglich den Nachnamen des ersten Autors vor seinem Vornamen zu nennen, denn nur sein Name dient der alphabetischen Einordnung:

Muster, Peter / Otto Normalverbraucher / ... : ..... Erscheint eine so große Reihe von Autoren als Verfasser, dass man sie nicht alle nennen kann, so ist eine Abkürzung gebräuchlich:

Muster, Peter et al.: ... et al. steht für et alii, also lateinisch und andere. Mehrere Herausgeber werden einfach durch Hg. - oder Hgg., eine Konvention, die den Plural deutlich macht -, hinter dem letzten Namen gekennzeichnet.

Ist es von Bedeutung, die Auflage anzugeben, so geschieht dies mit einer kleinen, hochgestellten Zahl vor dem Erscheinungsjahr:

52003 In manchen Büchern finden sich keine Angaben über den Erscheinungsort oder das Er-scheinungsjahr. An der entsprechenden Stelle in der bibliographischen Angabe wird dann o. O. (ohne Ort) bzw. o. J. (ohne Jahr) eingefügt.

Zitieren Auch hier ist es wieder wichtig, eines von mehreren möglichen Systemen durchgängig zu verwenden. In verschiedenen Büchern finden sich unterschiedliche Zitierweisen; hier kann nur eine vorgestellt werden. Jeder hat sicher schon einmal einen Satz zitiert und anschlie-ßend in Klammern die entsprechende Seitenzahl angegeben. In wissenschaftlichen Arbeiten wird die Quellenangabe oft als Fußnote unter die entsprechende Seite gesetzt; dabei muss man nicht die gesamte Bibliographieangabe notieren, sondern kann sich einer Kurzform aus dem Nachnamen des Autors und dem Erscheinungsjahr des Buches bedienen:

Muster 2003, S. 85 In dieser Kurzform kann die Quelle auch in Klammern in den fortlaufenden Text eingefügt werden, wenn man Fußnoten vermeiden will. Benutzt man mehrere Bücher desselben Au-tors mit gleichem Erscheinungsjahr, so ist es sinnvoll, diese durch 2003a und 2003b oder durch die Angabe eines Titelstichwortes (Kurztitel) zu unterscheiden.

Bei unmittelbar aufeinander folgenden Zitaten aus derselben Quelle muss nur das erste Zitat wie beschrieben belegt werden; die nachfolgenden können mit ebd., S. 85 (ebenda) angegeben werden. Es ist allerdings Vorsicht geboten, wenn man sich dieser Methode be-dient und später noch ein aus einem anderen Werk entnommenes Zitat einfügt. In diesem Fall muss selbstverständlich die nachfolgende Fußnote von ebd. in eine genaue Angabe des Werkes verändert werden. Ein Zitat, das eine Seitengrenze überschreitet, erhält ein f (fol-gende; S. 85f) hinter der Seitenzahl; nimmt man Bezug auf mehr als zwei Seiten, dann fol-gen der Seitenangabe zwei f (S. 85ff).

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Ein zitierter ganzer Satz kann entweder fließend in den Text eingebaut oder in Klammern hinter den Bezugssatz gestellt werden. Auch zitierte Teilsätze können in den eigenen Text eingebaut werden, z. B. so:

Viele StudentInnen reden über richtiges Zitieren, jedoch „sieht man immer wieder, dass die Regeln nicht richtig angewandt“ werden.

Auch hier erfolgt das Zitat, wie auch in allen folgenden Fällen, selbstverständlich unter ge-nauer Angabe der Quelle.

Zitate sollen möglichst unverändert übernommen werden; manchmal lassen sie sich dann aber nicht in einen Satz einbauen. Eckige Klammern kennzeichnen in diesem Fall die vorgenommenen Veränderungen der Endungen bzw. der Großschreibung zur Kleinschrei-bung, wenn das Zitat einem Satzanfang entnommen wird:

Quellentext: Viele StudentInnen wissen um die richtige Anwendung der Zitationsregeln. Trotzdem zitieren sie nicht richtig. Sie wenden die unvollständigen Regeln an, die sie in der Schule erlernt haben. Eigener Text: Vielen StudentInnen ist klar, wie man richtig zitiert, aber „[t]rotzdem zitieren sie nicht richtig“. Die Defizite entstehen durch die Verwendung der „unvollständigen Regeln“, wie sie von den StudentInnen „in der Schule erlernt“ worden sind.

Manchmal muss ein Zitat aus dem Textzusammenhang herausgerissen werden; die dadurch entstehenden Unklarheiten werden durch Erklärungen in eckigen Klammern beseitigt:

„Sie [die StudentInnen] wenden die unvollständigen Regeln an, die sie in der Schule erlernt haben.“

Auch das Weglassen von Teilen eines wörtlichen Zitates wird durch eckige Klammern an-gezeigt:

„Sie wenden die [...] Regeln an, die sie in der Schule erlernt haben.“ Es gibt auch die Möglichkeit, Teile eines Zitates zu betonen; in diesem Falle muss die Lese-rin / der Leser darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Betonung nicht dem Original-text entstammt, sondern nachträglich hinzugefügt wurde:

„Sie wenden die Regeln an, die sie i n d e r S c h u l e [meine Markierung, d. V.] erlernt haben.“

d. V. steht für die Verfasserin / der Verfasser und kann auch durch die Initialen der / des Betreffenden ersetzt werden:

[meine Markierung, A. H.] oder auch [Hervorh. A. H.]

Da Zitate wörtlich übernommen werden, dürfen auch Druckfehler nicht verändert werden. Um aber zu zeigen, dass es sich um einen aus der Vorlage übernommenen Fehler handelt, setzt man hinter das entsprechende Wort ein [sic], lateinisch so.

„Sie Wenden [sic] die unvollständigen Regaln [sic] an“

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Ein Zitat im Zitat, d. h. ein Zitat, das sich in einer zu zitierenden Passage befindet, wird durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet2:

„Die StudentInnen arbeiten sehr fleißig, denn ‚sie wollen die Klausur bestehen‘.“ Ein Zitat im Fließtext sollte zwei Zeilen nicht überschreiten. Muss eine längere Passage zi-tiert werden, so ist es üblich, sie einzurücken und nicht, wie den Rest der Arbeit, 1½-zeilig zu setzen, sondern einzeilig. Manche Autoren ändern für diese Zitate noch zusätzlich die Schriftart (z. B. Times New Roman für den eigenen Text, Arial Round für die eingerückten Zitate) oder die Schriftgröße (12 für den eigenen Text, 10 für die Blockzitate). Blockzitate werden nicht in Anführungszeichen gesetzt, denn sie sind bereits durch die Einrückung als Zitate kenntlich.

Die Studentin lernte den ganzen Tag. Abends war sie daher sehr müde. Sie hatte den Stoff als sehr schwierig empfunden und lange gebraucht, bis sie alles verstanden hatte.

Nun aber, da es endlich so weit war, hatte sie Freude an den Theorien gefunden. Daher arbeitete sie trotz der Müdigkeit noch etwas weiter.

Auch Blockzitate können mitten im Satz an den Text anschließen: Nachdem die Studentin den ganzen Tag gelernt hatte, war sie abends sehr müde. Weil der Stoff für sie sehr schwierig gewesen war, hatte sie

lange gebraucht, bis sie alles verstanden hatte. Nun aber, da es endlich so weit war, hatte sie Freude an den Theorien gefunden.

Es kommt vor, dass in einem Buch ein anderer Autor zitiert wird. Möchte man dieses Zitat für seine eigene Arbeit verwenden, sollte man sich die Mühe machen, das Original heraus-zusuchen. Ist es nicht verfügbar, so kann das Zitat aus dem vorliegenden Buch übernommen werden. Dies wird mit nach deutlich gemacht:

Helene Meier, nach Muster 2003, S. 209 Insgesamt ist anzumerken, dass eine Argumentation immer gut belegt sein muss, ein Text mit einer zu großen Menge an Zitaten jedoch überfrachtet und leserunfreundlich wirkt. Au-ßerdem wird auf diese Weise die Eigenleistung vermindert. Es ist also sinnvoll, öfter indi-rekt zu zitieren, also etwas mit eigenen Worten wiederzugeben und nur die besonders wich-tigen Stellen direkt zu zitieren. Indirekte Zitate werden mit

vgl. Muster 2003, S. 268 belegt.

Seminararbeiten Seminararbeiten werden in Schriftgröße 12 und 1 1/2-zeiligem Abstand erstellt. Dieser Ab-stand zwischen den Zeilen ist leserfreundlich und erleichtert das Korrigieren. Zu Korrektur-zwecken ist außerdem darauf zu achten, dass sich auf der rechten Seite ein ausreichender Rand von etwa 2 oder 3 cm befindet. Soll die Arbeit geheftet werden, so muss der Rand auf der linken Seite dafür ausreichend Platz bieten.

2 Auch die Kenntlichmachung eines Wortes als Ironie erfolgt durch einfache Anführungszeichen:

Er war stets besonders ‘pünktlich’.

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Auf der ersten Seite einer Seminararbeit, dem Deckblatt, müssen sich Angaben zum Verfas-ser der Arbeit (Name, evtl. Adresse und/oder Matrikelnummer), der Name der Universität, der Titel des Seminars mit Angabe des Seminarleiters und des Semesters sowie der Titel der Arbeit befinden. Mit dem Computer lässt sich diese Seite kreativ gestalten. Es ist sinnvoll, für den Titel der Arbeit eine größere Schriftgröße zu verwenden als für den Rest der Anga-ben.

Die Gliederung wird auf die zweite Seite gesetzt. Hier erhält der Leser Informationen über den Inhalt der Arbeit unter Angabe der Seitenzahlen. Zusammengehörende Themenbe-reiche stehen unter demselben Gliederungspunkt und werden als verschiedene Unterpunkte angeführt:

Gliederung: I) Einleitung . . . . . . . . S. 1 II) Verschiedene Diglossie-Modelle . . . . S. 2

A) Modelle vor Ferguson . . . . . S. 2 B) Fergusons begründende Theorie . . . . S. 4 C) Modelle, die auf Fergusons Theorie aufbauen . . S. 6

a) Fishman . . . . . . . S. 6 b) Kloss . . . . . . . S. 8 c) Fasold . . . . . . . S. 9

III) Diskussion der Modelle . . . . . S. 11 IV) Ergebnisse . . . . . . . S. 14 Bibliographie . . . . . . . S. 15

Die Titel, unter der die einzelnen Passagen in der Gliederung, die ebenso mit Inhalt tituliert werden kann, verzeichnet sind, müssen als Überschriften mit den entsprechenden Ziffern im Text der Arbeit wieder erscheinen. Statt römischer Zahlen und des lateinischen Alphabetes kann auch das Dezimalsystem (1; 2.1; 2.2.1) verwendet werden; in diesem Fall erhält die Einleitung häufig die Ziffer 0.

Gliederung: 0. Einleitung . . . . . . . . S. 1 1. Verschiedene Diglossie-Modelle . . . . S. 2

1.1 Modelle vor Ferguson . . . . . S. 2 1.2 Fergusons begründende Theorie . . . S. 4 1.3 Modelle, die auf Fergusons Theorie aufbauen . . S. 6

1.3.1 Fishman . . . . . . . S. 6 1.3.2 Kloss . . . . . . . S. 8 1.3.3 Fasold . . . . . . . S. 9

2. Diskussion der Modelle . . . . . . S. 11 3. Ergebnisse . . . . . . . S. 14

4. Bibliographie . . . . . . . S. 15

In der E i n l e i t u n g wird kurz der Hintergrund beschrieben und/oder ein Fallbeispiel ange-führt. Anschließend erfährt der Leser etwas zum Inhalt der vorliegenden Arbeit: Die Verfasse-rin / der Verfasser erläutert ihre / seine Leitfrage(n). In den E r g e b n i s s e n werden noch einmal die wichtigsten Punkte und Diskussionsergebnisse der Arbeit zusammengefasst; dieser Punkt wird daher manchmal auch mit Zusammenfassung bezeichnet. Die Ergebnisse müssen mit der Einleitung abgestimmt werden, denn sie sollen die aufgestellte(n) Leitfrage(n) beant-worten. Die Arbeit wird abgeschlossen durch das Literaturverzeichnis / die B i b -

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l i o g r a p h i e , innerhalb derer die Verfasser- und Herausgebernamen der verwendeten Werke in alphabetischer Reihenfolge geordnet sind.

Nicht nur die Quellen von Zitaten gehören in die Fußnoten, sondern auch Randbemer-kungen, die von Bedeutung sind, aber nicht direkt in Verbindung mit dem Argumentations-fluss stehen. Dabei ist zu beachten, dass die Fußnoten nicht tragend für den Inhalt sein dür-fen, denn eine Arbeit muss stets auch unter Nichtbeachtung der Fußnoten lesbar sein.

Beim Verfassen von Seminararbeiten ist darauf zu achten, ungenaue Begriffe wie et-wa, wohl, vermutlich oder wahrscheinlich zu vermeiden. Sie können ein Gefühl der Unsi-cherheit vermitteln, wenn sie nicht genau überdacht sind, dem Leser aber soll der Inhalt des Aufsatzes möglichst überzeugend näher gebracht werden. Daher sind auch Phrasen wie ich denke oder meiner Meinung nach, die dem Text etwas vom Eindruck seiner Allgemeingül-tigkeit nehmen, zu vermeiden. Sollte die Kennzeichnung einer Angabe als eigene Meinung einmal wirklich nicht vermeidbar sein, so greifen viele Autoren zu Ausdrücken wie nach Kenntnis der Verfasserin / des Verfassers. Nach Möglichkeit ist eine Nennung der eigenen Person, einschließlich ebengenannter Phrasen, jedoch zu umgehen, wenn es sich nicht wirk-lich um eine - dann gut zu begründende - persönliche Stellungnahme handelt, deren Kenn-zeichnung als solche der Verfasserin bzw. dem Verfasser wichtig ist. In diesem Falle hat sich in den letzten Jahren die Benutzung des Wortes ich immer weiter durchgesetzt.

Die Abschnitte einer Seminararbeit dürfen nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern müssen durch Überleitungen verknüpft werden. Trotz der Unterbrechung des Tex-tes durch Überschriften, die den Beginn eines neuen Unterthemas anzeigen, muss für die Leserin / den Leser eine Verbindung zwischen den einzelnen Textabschnitten deutlich wer-den.

Absätze, die aus nur einem Satz bestehen, finden sich häufig in Seminararbeiten, sind jedoch nach Möglichkeit zu vermeiden, da sie als schlechter Stil gelten. Im Text werden außerdem Zahlen bis zwölf in Worten geschrieben, Zahlen ab 13 können in Ziffern ver-merkt werden.

Es ist besser, z. B. von Werken als von Büchern zu sprechen, denn man trifft eine Aus-sage zum Inhalt der entsprechenden Schrift. Das Buch ist lediglich das Medium, das den Inhalt transportiert.

M e t a s p r a c h e wird typographisch hervorgehoben, nämlich entsprechend der Her-vorhebung der Buchtitel. Man muss unterscheiden zwischen Objektsprache, d. h. Sprache über die Objekte in der Welt, und Metasprache, i. e. Sprache über Sprache.

Essen ist schön. In diesem Satz geht es um die Stadt Essen, es handelt sich demnach um Objektsprache. In dem Satz

Essen hat fünf Buchstaben. geht es um das W o r t Essen, das demnach als Metasprache gekennzeichnet werden muss. Die meisten Menschen setzen die betreffenden Wörter intuitiv in Anführungszeichen3.

Nun bietet es sich an, Überschriften in Fettdruck oder anderer Schriftgröße zu set-zen und Betontes zu s p e r r e n . Wörter, die aus einer anderen Sprache stammen und ohne Veränderung der Endung und der Kleinschreibung (bei Substantiven) in einen Text integ-

3 Beispiele für Metasprache befinden sich auch in diesem Text, z. B. „et al. steht für et alii, also lateinisch

und andere“; hier wird über die kursiv gesetzten Wörter gehandelt.

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riert werden - z. B. „Er folgte der strata bis zu ihrem Ende.“ – müssen bei kursiver Meta-sprache und kursiven Buchtiteln unterstrichen bzw. bei unterstrichenen Buchtiteln und un-terstrichener Metasprache kursiv gesetzt werden. Eine andere Variante sieht vor, sowohl ebengenannte Wörter als auch Betontes kursiv zu setzen.

Manchmal möchte man bewusst ein grammatikalisch oder morphologisch falsches Beispiel geben. Dieses wird dann durch ein hochgestelltes Sternchen als falsch gekenn-zeichnet:

* Heute ich gehen zur Uni. * Vereinheitlichkeit

Die gleiche Kennzeichnung erfahren Wörter aus rekonstruierten Sprachstufen: Aus z. B. dem Indoeuropäischen sind uns keine schriftlichen Zeugnisse überliefert, die Wissenschaft hat aber Versuche unternommen, diese Sprache zu rekonstruieren:

* ptér (Vater)

Eine gute Arbeit gibt nicht nur den Inhalt einiger Bücher oder Aufsätze wieder. Sie zeigt, dass sich die Verfasserin / der Verfasser mit den Theorien auseinandergesetzt hat und kri-tisch mit ihnen umgehen kann. Nicht alles, was schwarz auf weiß in einem Buch steht, ist richtig oder sinnvoll. Außerdem kann es zu ein und demselben Thema verschiedene Theo-rien, Modelle oder Herangehensweisen geben, die es zu vergleichen und zu hinterfragen gilt.

Übungsaufgaben I. Wählen Sie einige linguistische Fachbücher aus der Bibliothek aus und erstellen Sie

eine Bibliographie für eine mögliche Seminararbeit, in der Sie sich einiger Mono-graphien und verschiedener Aufsätze aus Herausgeberschriften bedienen.

II. Suchen Sie in den Büchern nach Beispielen für verschiedene Zitierweisen. III. Erstellen Sie probeweise eine Gliederung zu einem beliebigen linguistischen The-

ma.

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114

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