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Kapitel 2 Felder, Gradient, Kurvenintegral 2.1 Partielle Differentiation 2.1.1 Funktionen mehrerer Variabler Eine Funktion kann von mehr als einer Variablen abh¨ angen. Zum Beispiel k¨ onnte f (x, y) das ohenrelief eines Gebirges darstellen. In diesem Fall gibt f (x, y) f¨ ur jeden Punkt (x, y), der etwa durch die geographische Breite x und die geographische L¨ ange y definiert ist, die H¨ ohe ¨ uber dem Meeresspiegel an. Im Allgemeinen versteht man unter einer Funktion von zwei unabh¨ angigen Va- riablen eine Vorschrift, die jedem geordneten Zahlenpaar (x, y) aus dem Definitionsbereich genau ein Element z aus dem Wertebereich zuordnet: z = f (x, y). (2.1) (Diese Definition kann direkt auf eine beliebige Zahl von Argumenten ¨ ubertragen werden.) So wie eine Funktion y = f (x) in einem kartesischen Koordinatensystem einen Kurve definiert (den Funktionsgraphen), definiert eine Funktion z = f (x, y) in einem dreidimensionalen Koordinaten- system eine Fl¨ ache. Diese Fl¨ ache entsteht dadurch, dass jedem Punkt in der xy-Ebene eine gewisse ohe senkrecht zur xy-Ebene zugeordnet wird. Die Fl¨ ache besteht also aus allen Zahlentriplets (x, y, z = f (x, y)). Beispiel: Die durch die Funktion f (x, y)= y 2 - x (2.2) definierte Fl¨ ache ist in Abb. ?? graphisch dargestellt. Die Funktionsfl¨ ache ist ein f¨ ur fallende Werte von x ansteigendes Tal. F¨ ur x = const erhalten wir eine Schar von Parabeln, z = y 2 - const, und ur y = const eine Schar von Geraden mit Steigung -1, z = const - x. 2.1.2 Partielle Ableitung Wir k¨ onnen nun die Funktion f (x, y) nach einer der beiden Variablen ableiten und dabei die andere Variable als konstant betrachten: ∂f (x, y) ∂x = lim Δx0 f (x x, y) - f (x, y) Δx (y = const). (2.3) Genauso k¨ onnen wir die Funktion nach y ableiten: ∂f (x, y) ∂y = lim Δy0 f (x, y y) - f (x, y) Δy (x = const). (2.4) Solche Ableitungen nennt man partielle Ableitungen, da die Funktion nur nach einer der Varia- blen abgeleitet wird, also nur “zum Teil”, und alle anderen Variablen festgehalten werden. Um 33

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Kapitel 2

Felder, Gradient, Kurvenintegral

2.1 Partielle Differentiation

2.1.1 Funktionen mehrerer Variabler

Eine Funktion kann von mehr als einer Variablen abhangen. Zum Beispiel konnte f(x, y) dasHohenrelief eines Gebirges darstellen. In diesem Fall gibt f(x, y) fur jeden Punkt (x, y), der etwadurch die geographische Breite x und die geographische Lange y definiert ist, die Hohe uber demMeeresspiegel an. Im Allgemeinen versteht man unter einer Funktion von zwei unabhangigen Va-riablen eine Vorschrift, die jedem geordneten Zahlenpaar (x, y) aus dem Definitionsbereich genauein Element z aus dem Wertebereich zuordnet:

z = f(x, y). (2.1)

(Diese Definition kann direkt auf eine beliebige Zahl von Argumenten ubertragen werden.) Sowie eine Funktion y = f(x) in einem kartesischen Koordinatensystem einen Kurve definiert (denFunktionsgraphen), definiert eine Funktion z = f(x, y) in einem dreidimensionalen Koordinaten-system eine Flache. Diese Flache entsteht dadurch, dass jedem Punkt in der xy-Ebene eine gewisseHohe senkrecht zur xy-Ebene zugeordnet wird. Die Flache besteht also aus allen Zahlentriplets(x, y, z = f(x, y)).Beispiel:Die durch die Funktion

f(x, y) = y2 − x (2.2)

definierte Flache ist in Abb. ?? graphisch dargestellt. Die Funktionsflache ist ein fur fallende Wertevon x ansteigendes Tal. Fur x = const erhalten wir eine Schar von Parabeln, z = y2 − const, undfur y = const eine Schar von Geraden mit Steigung -1, z = const− x.

2.1.2 Partielle Ableitung

Wir konnen nun die Funktion f(x, y) nach einer der beiden Variablen ableiten und dabei die andereVariable als konstant betrachten:

∂f(x, y)∂x

= lim∆x→0

f(x + ∆x, y)− f(x, y)∆x

(y = const). (2.3)

Genauso konnen wir die Funktion nach y ableiten:

∂f(x, y)∂y

= lim∆y→0

f(x, y + ∆y)− f(x, y)∆y

(x = const). (2.4)

Solche Ableitungen nennt man partielle Ableitungen, da die Funktion nur nach einer der Varia-blen abgeleitet wird, also nur “zum Teil”, und alle anderen Variablen festgehalten werden. Um

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34 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

Abbildung 2.1: Darstellung der Funktion z = f(x, y) = y2 − x in einem dreidimensionalen kartesi-schen Koordinatensystem.

den Unterschied zur Differentiation einer Funktion einer einzelnen Variablen zu betonen, verwen-den wir fur die partielle Ableitung das geschwungene Delta: ∂. Alternativ zur Notation mit demgeschwungenen Delta ∂ findet auch die folgende Schreibweise mit Indizes Verwendung:

fx =∂f

∂x(2.5)

fy =∂f

∂y. (2.6)

Fur partielle Ableitungen gelten dieselben Rechenregeln wie fur die Differentiation einer Funktioneiner einzelnen Variablen.

Beispiel:Die Funktion

f(x, y) = xy2 + 4x5y + 16x (2.7)

kann sowohl nach x als auch nach y differenziert werden:

∂f

∂x= y2 + 20x4y + 16, (2.8)

∂f

∂y= 2xy + 4x5. (2.9)

Durch wiederholtes partielles Ableiten lassen sich partielle Ableitungen hoherer Ordnung (hohere

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2.2. FELDER 35

Ableitungen) bilden:

∂2f

∂x2=

∂x

(∂f

∂x

)= fxx, (2.10)

∂2f

∂y∂x=

∂y

(∂f

∂x

)= fxy, (2.11)

∂2f

∂x∂y=

∂x

(∂f

∂y

)= fyx, (2.12)

∂2f

∂y2=

∂y

(∂f

∂y

)= fyy. (2.13)

Beispiel: MechanikAus der potentiellen Energie U(x, y, z) kann die Kraft, die auf einen gewissen Korper wirkt, durchpartielle Ableitung berechnet werden:

~F =

Fx

Fy

Fz

=

−∂U∂x

−∂U∂y

−∂U∂z

. (2.14)

In Analogie zum Differenzial lassen sich auch partielle Differenziale definieren:

∂xf(x, y) =∂f(x, y)

∂xdx (2.15)

und

∂yf(x, y) =∂f(x, y)

∂ydy. (2.16)

Das totale Differenzial (auch vollstandiges Differenzial genannt) ergibt sich aus der Summeder partiellen Differenziale:

df(x, y) =∂f

∂xdx +

∂f

∂ydy. (2.17)

Das totale Differenzial, das in der Fehlerrechnung und in der Thermodynamik von Bedeutung ist,gibt an, um wie viel sich die Funktion f(x, y) andert, wenn wir ihre Argumente um dx und dyverschieben.

2.2 Felder

Im Folgenden werden wir uns mit Vektoranalysis beschaftigen. Dabei geht es um die mathema-tische Beschreibung von Feldern im dreidimensionalen Raum. Fur die Beschreibung von Skalar-feldern ist der Begriff des Gradienten von zentraler Bedeutung.

2.2.1 Skalarfelder

Betrachten wir als Beispiel die Atmosphare uber einem bestimmten Gebiet, sagen wir uber Wien.Es ist ein sonniger Tag und die Sonnenstrahlen erwarmen Straßen, Hauser, etc. Die Temperaturder Luft uber dem Boden hangt nur von der Beschaffenheit des Bodens ab. Wahrend dunklerAsphalt die Sonnenstrahlen absorbiert und dadurch die daruber liegende Luft erwarmt, bleibt dieLuft uber begrunten Flachen eher kuhl. Am kuhlsten bleibt es in beschatteten Bereichen. Fernerhangt die Lufttemperatur von der Hohe uber dem Boden ab: je hoher wir steigen, umso kuhler

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36 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

wird es. Durch Messung mit einem Thermometer konnen wir die Temperatur an jedem durch dieKoordinaten (x, y, z) beschriebenen Punkt bestimmen und erhalten

T (x, y, z). (2.18)

Da die Temperatur auch von der Tageszeit abhangt, konnen wir auch die Zeit t in die Variablenlisteaufnehmen:

T (x, y, z, t). (2.19)

Dies ist ein Beispiel fur ein zeitabhangiges, skalares Feld. Das Feld T (x, y, z, t) heißt deshalbskalar, weil die Temperatur T eine skalare Große ist. Im Allgemeinen ordnet ein Skalarfeld jedemPunkt (x, y, z) eines raumlichen (oder ebenen) Bereichs in eindeutiger Weise einen Skalar A zu(siehe Abb. ??):

A(x, y, z) = A(~r). (2.20)

Abbildung 2.2: Ein Skalarfeld ordnet jedem Punkt ~r in der Ebene (~r = (x, y), links) oder im Raum(~r = (x, y, z), rechts) eine skalare Große A(~r) zu.

Das Feld A(x, y, z) kann man sich mit Hilfe der Flachen veranschaulichen, auf denen die skala-re Große einen konstanten Wert hat: A(x, y, z) =const. Man nennt diese Flachen Niveau- oderAquipotenzialflachen. In der Ebene definiert die Bedingung A(x, y) =const Niveaulinien (oderAquipotenziallinien). Solche Niveaulinien kennen wir von topographischen Karten, in denen siePunkte gleicher Meereshohe verbinden, oder vom Wetterbericht, wo in der Temperaturkarte fureinen diskreten Satz von Temperaturen Punkte gleicher Temperatur durch Niveaulinien miteinan-der verbunden sind. Ein weiteres 2D-Beispiel ist eine metallische Platte, die an einer Ecke erhitztund an den gegenuberliegenden Seiten gekuhlt wird (siehe Abb. ??).

2.2.2 Vektorfelder

In anderen Fallen ist es notwendig, an jeder Stelle x, y, z einen Vektor zu definieren. So mochteman beispielsweise zusatzlich zur Temperatur auch die Windgeschwindigkeit ~v als Funktion desOrtes angeben:

~v(x, y, z). (2.21)

Da sich Windgeschwindigkeit und Windrichtung mit der Zeit andern, konnen wir auch in die-sem Fall die Zeit t in die Liste der Argumente aufnehmen und erhalten damit ein zeitabhangigesGeschwindigkeitsfeld:

~v(x, y, z, t). (2.22)

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2.2. FELDER 37

Abbildung 2.3: Eine metallische Platte wird an der rechten hinteren Ecke erwarmt und gleichzei-tig an der linken und der vorderen Kante gekuhlt. Dadurch stellt sich ein Zustand ein, bei demdie Temperatur der Platte vom Ort abhangt. Orte gleicher Temperatur sind durch so genannteNiveaulinien miteinander verbunden.

Ein solches Feld nennt man ein Vektorfeld. Im Allgemeinen ordnet ein Vektorfeld jedem Ort(x, y, z) eines Bereichs und (falls notig) auch jedem Zeitpunkt aus einem bestimmten Intervalleinen Vektor zu:

~A(x, y, z) = ~A(~r). (2.23)

In der Ebene ist ein Vektorfeld ~A(x, y) analog definiert (siehe Abb. ??). Beispiele fur Vektorfeldersind das elektrische Feld, das magnetische Feld und das Geschwindigkeitsfeld einer stromendenFlussigkeit.

Abbildung 2.4: Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt ~r (hier in der Ebene) einen Vektor ~A(~r) zu.

Vektorfelder kann man mit Feldlinien veranschaulichen. Das sind Linien, fur die in jedem Punktder dortige Feldvektor tangential zur Linie ist. Feldlinien konnen sich nicht schneiden, da in jedemPunkt der Feldvektor eine eindeutige Richtung hat. Wurden sich Feldlinien unter einem Winkelschneiden, gabe es an einem Punkt zwei verschiedene Feldvektoren, was jedoch nicht zulassig ist.Felder, die sich zeitlich nicht andern, nennt man stationar. Die Dichte der Feldlinien ist ein Maßfur die Starke des Vektorfeldes.Einige Felder von besonderer Bedeutung sind:

• Homogene Felder:

In einem homogenen Feld hat der Feldvektor uberall die gleiche Richtung und den gleichenBetrag. Ein homogenes Feld kann geschrieben werden als

~A(x, y, z) = (cx, cy, cz), (2.24)

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38 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

Abbildung 2.5: Ein Vektorfeld (hier das zweidimensionale Geschwindigkeitsfeld einer Stromung umeine Scheibe) kann mit Hilfe von Feldlinien, zu denen die Feldvektoren tangential sind, dargestelltwerden.

wobei cx, cy, cz Konstanten sind.

• Kugelsymmetrische Felder (Zentralfelder):

Abbildung 2.6: Ein kugelsymmetrisches Vektorfeld.

Der Feldvektor zeigt in jedem Punkt radial nach außen oder innen, also vom Ursprung wegoder zum Ursprung hin. Der Betrag hangt nur vom Abstand r vom Zentrum ab. Ein kugel-symmetrisches Feld lasst sich ausdrucken als:

~A(~r) = A(r)~r

r, (2.25)

wobei r = |~r| der Abstand des Punktes vom Ursprung ist. Beispiele fur ein kugelsymmetri-sches Feld sind das Gravitationsfeld der Erde und das elektrische Feld einer Punktladung.

• Zylinder- oder axialsymmetrische Felder:

Der Feldvektor zeigt radial von einer Achse weg und hat keine Komponente in Achsenrich-tung. Der Betrag hangt nur vom Abstand des Punktes zur Achse ab. Ein zylindersymmetri-sches Feld lasst sich schreiben als:

~A(~r) = A(ρ)~eρ. (2.26)

Hier ist ρ der Normalabstand zur z-Achse und ~eρ der Einheitsvektor normal zur z-Achse inRichtung zum Punkt ~r.

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2.3. GRADIENT 39

Abbildung 2.7: Ein zylindersymmetrisches Vektorfeld.

2.3 Gradient

2.3.1 Definition

Betrachten wir ein Skalarfeld A(x, y, z) im dreidimensionalen Raum (zum Beispiel die TemperaturT (x, y, z) eines ungleichmaßig erwarmten Korpers). Wir fragen uns nun, wie sich die skalare GroßeA andert, wenn wir uns vom Punkt ~r = (x, y, z) leicht wegbewegen, wenn wir also von ~r = (x, y, z)auf ~r + d~r = (x + dx, y + dy, z + dz) ubergehen. In linearer Naherung (fur sehr kleine dx, dy unddz) ist die Anderung dA in der Große A gegeben durch

dA =∂A

∂xdx +

∂A

∂ydy +

∂A

∂zdz. (2.27)

(Dies ist einfach das bereits bekannte totale Differenzial der Funktion A(x, y, z).) Wir konnendie rechte Seite der obigen Gleichung als das Skalarprodukt des Vektors d~r = (dx, dy, dz) mit demVektor (∂A/∂x, ∂A/∂y, ∂A/∂z) betrachten. Dieser im Allgemeinen ortsabhangige Vektor ist derGradient des Skalarfeldes A(x, y, z). Wir schreiben dafur

grad A =

∂A∂x∂A∂y∂A∂z

= ∇A(x, y, z). (2.28)

∇A(x, y, z) nennt man auch das Gradientenfeld von A(x, y, z), ein Vektorfeld.Das Symbol ∇ ist der Nabla-Operator, der in der Vektoranalysis eine zentrale Rolle einnimmtund formal als Vektor geschrieben werden kann:

∇ =

∂∂x∂∂y∂∂z

. (2.29)

Der Nabla-Operator ∇ (auf Englisch auch “del” genannt) wurde zum ersten Mal vom irischen Phy-siker William Rowan Hamilton (1805-1865) verwendet. Das Wort “Nabla” bezeichnet eine antikeHarfe und wurde vermutlich wegen der Ahnlichkeit des Symbols ∇ mit einer Harfe eingefuhrt.Der Gradient des Skalarfeldes A(x, y, z) ist also ein Vektorfeld, dessen Komponenten die partiellenAbleitungen von A(x, y, z) nach den Raumkoordinaten sind. Der Gradient von A entsteht durchAnwendung des Nabla-Operators auf A. Man kann den Gradienten auch mit Hilfe der Basisvektoren~ex, ~ey, ~ez ausdrucken:

grad A = ∇A =∂A

∂x~ex +

∂A

∂y~ey +

∂A

∂z~ez. (2.30)

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40 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

Auch die Schreibweise

∇A =∂A

∂~r(2.31)

wird oft verwendet.

2.3.2 Eigenschaften

Der Gradient steht senkrecht auf die Aquipotenzialflachen (Niveauflachen), auf denen A = const.Um das einzusehen, betrachten wir die Anderung dA, die durch Verschiebung des Ortsvektors~r(x, y, z) um d~r = (dx, dy, dz) entsteht:

dA = ∇A · d~r. (2.32)

Ist d~r tangential zur Niveauflache, bleibt A konstant und wir haben:

dA = ∇A · d~r = 0. (2.33)

Das bedeutet, dass ∇A senkrecht auf die Flachen mit A = const steht. In der Ebene konnen wiruns das fur das Temperaturfeld T (x, y) leicht veranschaulichen: Auf diesen Linien ist T konstant.Das heißt, wenn wir auf ihnen entlangfahren, andert sich die Temperatur nicht. Wenn wir d~r inRichtung einer solchen Linie wahlen, muss daher fur kleine d~r gelten: dA = 0. Das Differenzial dAist aber das Skalarprodukt von d~r und ∇A: dA = ∇A · d~r. Daher haben wir ∇A · d~r = 0. Somit ist∇A orthogonal zu d~r und, da d~r tangential an die Niveaulinie ist, auch orthogonal zur Niveaulinieselbst. Analog gilt das auch in hoheren Dimensionen.

Abbildung 2.8: Der Gradient ∇A eines skalaren Feldes A(~r) (hier das Temperaturfeld von Abb.??) steht normal zu den Niveaulinien des Feldes.

Der Gradient∇A zeigt in die Richtung, in der die Funktion A(x, y, z) am schnellsten anwachst.Man kann dies zum Beispiel mit Hilfe der Lagrangeschen Multiplikatoren beweisen, woraufwir aber hier nicht eingehen konnen. Anschaulich ist dies plausibel, da wir naturlich am schnellstenvon einer Niveaulinie (oder Niveauflache) zur nachsten kommen, wenn wir uns senkrecht dazu, alsoin Richtung des Gradienten, bewegen. (Denken Sie zum Beispiel an die Hohenschichtenlinien aufeiner Wanderkarte.) Der negative Gradient zeigt in die Richtung der schnellsten Abnahme derFunktion A(x, y, z). Der Betrag des Gradienten ist die Steigung (oder Ableitung) der Funktionin der Richtung ihres starksten Zuwachses.

Beispiel:Betrachten wir das Gravitationspotenzial, das von einer Masse M im Ursprung erzeugt wird:

u(x, y, z) = − GM√x2 + y2 + z2

= −GM

r. (2.34)

Hier ist r der Abstand einer Probemasse m vom Ursprung und mu(x, y, z) ist die potentielle Ener-gie dieser Probemasse. G ist die Gravitationskonstante. Der Gradient des Gravitationspotenzials

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2.3. GRADIENT 41

lautet:

∇u =

∂u∂x∂u∂y∂u∂z

= −

− 12

GM

(x2+y2+z2)32· 2x

− 12

GM

(x2+y2+z2)32· 2y

− 12

GM

(x2+y2+z2)32· 2z

=GM

(x2 + y2 + z2)32·

x

y

z

=

GM

r3

x

y

z

=

GM

r2~er. (2.35)

Die Aquipotenzialflachen dieses Feldes sind konzentrische Kugeln und ∇u ist orthogonal zur ent-sprechenden Kugeloberflache. Die Kraft auf die Probemasse m

~F (~r) = −m∇u = −GMm

r2~er (2.36)

zeigt zum Ursprung und ist somit attraktiv.

Beispiel:Das Feld

u(x, y) = x2 + y2 (2.37)

hat den Gradienten

∇u =

(∂u∂x∂u∂y

)=

(2x

2y

). (2.38)

2.3.3 Richtungsableitung

Die Ableitung der Funktion A(x, y, z) in Richtung eines beliebigen Vektors ~a lasst sich ebenfallsmit Hilfe des Gradienten ausdrucken:

∇A(x, y, z) · ~a

|~a| = ∇A · ~ea. (2.39)

Die Große nennt man die Richtungsableitung in Richtung des Vektors ~a. Man erhalt sie durchProjektion des Gradienten ∇A auf den normierten Richtungsvektor ~ea = ~a

|~a| . Die Richtungsablei-tung ist in Richtung des Gradienten am großten.

2.3.4 Rechenregeln

Fur den Gradienten gelten folgende Rechenregeln:

• Fur ein konstantes Feld A(~r) = c folgt: ∇A = 0,• Summenregel: ∇(A + B) = ∇A +∇B,• Faktorregel: ∇(αA) = α∇A,• Produktregel: ∇(AB) = A∇B + B∇A.

Diese Regeln folgen aus den Regeln fur die partielle Differentiation.

Zusammenfassend halten wir fest:

• Der Gradient von A(~r) ist ein Vektor (eigentlich ein Vektorfeld), dessen Kompo-nenten die partiellen Ableitungen nach den Koordinaten sind.

• Der Gradient entsteht durch Anwendung des Nabla-Operators auf A(~r).• ∇A steht orthogonal zu den Niveauflachen.• ∇A zeigt in Richtung des starksten Zuwachses von A(~r).• ∇A · ~ea = ∇A · (~a/|~a|) ist die Richtungsableitung von A in Richtung von ~a.

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42 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

2.4 Kurvenintegrale

2.4.1 Einleitung

Im Kapitel 1.1.1 haben wir gesehen, dass wir die bei der Verschiebung eines Korpers verrichteteArbeit mit Hilfe des Skalarproduktes der angewendeten Kraft ~F und der vektoriellen Verschiebung~r ausdrucken konnen:

W = ~F · ~r. (2.40)

Wenn wir jedoch den Korper nicht auf einer geraden Linie bewegen beziehungsweise die Kraftentlang des Weges nicht konstant ist, konnen wir diesen einfachen Ausdruck nicht mehr verwenden(siehe Abb. ??). Das ware etwa bei einem auf einem kurvigen Gleis gezogenen Fahrzeug odereiner Seilbahn der Fall. Wenn wir die gesamte Strecke jedoch in kleine, annahernd gerade Stuckezerlegen, konnen wir die in jedem kleinen Intervall verrichtete Arbeit mit Hilfe von Gleichung (??)berechnen.

Abbildung 2.9: Verschiebung eines Korpers entlang eines geradlinigen (links) und eines gekrummtenWeges (rechts).

Die Gesamtarbeit ergibt sich dann aus der Summe aller Arbeiten in den Teilstucken. Im Grenzfallunendlich kleiner Intervalle wird diese Prozedur exakt und fuhrt uns auf den Begriff des Kur-venintegrals. Auf ahnliche Weise konnen wir zum Beispiel auch den Fluss durch eine gekrummteFlache als Summe der Flusse durch viele kleine, annahernd ebene Flachenelemente ausdrucken undgelangen so zum Flachenintegral.

2.4.2 Definition

Ein wichtiges Beispiel fur ein Kurvenintegral ergibt sich bei der Berechnung der Arbeit, die geleistetwird, wenn ein Korper in einem Kraftfeld entlang einer gegebenen Kurve verschoben wird. Wirbetrachten ein Kraftfeld ~F (~r), zum Beispiel das Gravitationsfeld, das die Kraft beschreibt, die imPunkt ~r auf einen Korper wirkt. Wir stellen uns nun vor, dass in diesem Kraftfeld der Korper aufeiner vorgegebenen Kurve C vom Punkt ~ra zum Punkt ~rb verschoben wird (siehe Abb. ??).

Abbildung 2.10: Ein Korper wird im Kraftfeld ~F (~r) entlang eines gekrummten Weges von ~ra nach~rb verschoben.

An jedem Punkt entlang dieses Weges herrscht eine bestimmte Kraft ~F , die Arbeit verrichtet.Zur Berechnung dieser Arbeit konnen wir nun nicht den Ausdruck W = ~F · ~s aus Kapitel 1.1.1verwenden, weil sich die Kraft sowohl in Betrag als auch in Richtung entlang des Weges andernkann und der Weg im Allgemeinen nicht geradlinig ist. Um die gesamte Arbeit zu ermitteln, die

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2.4. KURVENINTEGRALE 43

bei Verschiebung des Korpers von ~ra nach ~rb geleistet wird, zerlegen wir den Weg C in N kleine,gerade Stucke ∆~ri, die sich aus den Differenzen ∆~ri = ~ri+1 − ~ri, i = 0, . . . N − 1 auf der Kurveliegender Punkte ~ri ergeben (siehe Abb. ??). Durch Wahl einer genugend großen Zahl N kann dieKurve C durch die geraden Segmente ∆~ri beliebig gut angenahert werden.

Abbildung 2.11: Durch Zerlegen des Weges in viele kurze und annahernd gerade Teilstucke ∆~ri

konnen wir die geleistete Arbeit als ein Wegintegral ausdrucken.

Fur eine genugend feine Zerlegung, das heißt, fur genugend kleine Kurventeilstucke ∆~ri, konnenwir die Kraft ~F in jedem Teilstuck als konstant betrachten. Daher kann die im Teilstuck i geleisteteArbeit ∆Wi als das bekannte Skalarprodukt der Kraft ~F (~ri) am Ort ~ri mit der kleinen Verschiebung∆~ri geschrieben werden:

∆Wi = ~F (~ri) ·∆~ri. (2.41)

Die insgesamt geleistete Arbeit ist die Summe der in den Teilstucken geleisteten Arbeiten ∆Wi

W ≈N−1∑

i=0

∆Wi =N−1∑

i=0

~F (~ri) ·∆~ri. (2.42)

Im Grenzwert unendlich kleiner (und unendlich vieler) Wegstucke ∆~ri erhalten wir den exaktenWert der im Kraftfeld ~F (~r) auf dem vorgegebenen Weg geleisteten Arbeit:

W = limN→∞

N−1∑

i=0

~F (~ri) ·∆~ri =∫

C

~F (~r) · d~r. (2.43)

Wir nennen dies das Kurvenintegral (oder Linienintegral) des Vektorfeldes ~F langs der Raum-kurve C. (Wir konnen das Kurvenintegral fur ein beliebiges Vektorfeld definieren, nicht nur fur dieKraft ~F .) Oft schreibt man fur das Kurvenintegral auch:

W =

~rb∫

~ra

~F (~r) · d~r oder W =

~rb∫

~ra,C

~F (~r) · d~r. (2.44)

Abbildung 2.12: Bei einem geschlossenen Weg C sind Ausgangspunkt ~ra und Endpunkt ~rb identisch:~ra = ~rb.

Falls ~ra = ~rb, die Kurve C also geschlossen ist (siehe Abb. ??), schreibt man fur das Integral∮

C

~F (~r) · d~r = Zc (2.45)

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44 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

und nennt es die Zirkulation von ~F entlang C oder auch das geschlossene Kurvenintegraloder Ringintegral.

2.4.3 Eigenschaften

Da im oben definierten Kurvenintegral der Ausdruck, uber den integriert wird, ein Skalarproduktist, ist das Kurvenintegral selbst auch ein Skalar.Wenn man bei einem Kurvenintegral den Integrationsweg umkehrt (also den Integrationsweg inumgekehrter Richtung durchlauft), andert sich das Vorzeichen des Integrals

C

~F (~r) · d~r = −∫

−C

~F (~r) · d~r, (2.46)

wobei −C den in umgekehrter Richtung durchlaufenen Integrationsweg bezeichnet. Diese Eigen-schaft folgt daraus, dass bei einer Umkehrung des Integrationsweges alle ∆~ri ihr Vorzeichen wech-seln und somit das Kurvenintegral selbst auch sein Vorzeichen wechselt.

Abbildung 2.13: Der Weg C besteht aus den beiden Teilwegen C1 und C2.

Ferner ist das Kurvenintegral additiv, das heißt das Kurvenintegral uber einem aus zwei TeilstuckenC1 und C2 bestehenden Weg C ist die Summe der Kurvenintegrale uber C1 und C2:

C

~F (~r) · d~r =∫

C1

~F (~r) · d~r +∫

C2

~F (~r) · d~r. (2.47)

Wenn also die Zirkulation ZC entlang eines geschlossenen Weges C verschwindet, sind die Kur-venintegrale entlang der beiden Kurven C1 und C2, die die beiden Punkte ~ra und ~rb miteinanderverbinden, gleich (siehe Abb. ??):

ZC =∮

C

~F (~r) · d~r =∫

C1

~F (~r) · d~r +∫

−C2

~F (~r) · d~r =∫

C1

~F (~r) · d~r −∫

C2

~F (~r) · d~r. (2.48)

Da aber ZC = 0, folgt:∫

C1

~F (~r) · d~r =∫

C2

~F (~r) · d~r. (2.49)

2.4.4 Berechnungsverfahren

Um Kurvenintegrale auszuwerten, fuhren wir sie auf gewohnliche Integrale zuruck. Falls die KurveC in Parameterform gegeben ist, das heißt, falls der Ortsvektor

~r(t) =

x(t)y(t)z(t)

(2.50)

als Funktion eines Parameters t im Bereich ta ≤ t ≤ tb gegeben ist, konnen wir das Kurvenintegralin ein einfaches Integral uber den Parameter t verwandeln. In diesem Fall entspricht jeder Punkt~ri in der Zerlegung der Kurve einem bestimmten Parameterwert ti. Die beiden Randpunkte derKurve, ~ra und ~rb, erhalten wir fur die Parameterwerte ta und tb:

~ra = ~r(ta) und ~rb = ~r(tb). (2.51)

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2.4. KURVENINTEGRALE 45

Abbildung 2.14: Die Punkte ~ra und ~rb liegen auf einer geschlossenen Kurve. Man kann sowohl uberdie Kurve C1 als auch uber die Kurve C2 von ~ra nach ~rb gelangen.

Jedes gerade Teilstuck ∆~ri = ~ri+1 − ~ri entspricht dann einem Teilintervall ∆ti = ti+1 − ti desParameters. In der Summe in Gleichung (??) dividieren und multiplizieren wir nun jeden Termmit ∆ti und erhalten dadurch:

W ≈N−1∑

i=0

~F (~ri) ·∆~ri =N−1∑

i=0

~F (~ri) · ∆~ri

∆ti∆ti. (2.52)

Im Grenzfall N →∞ wird aus ∆~ri/∆ti die Ableitung des Ortsvektors nach dem Parameter t:

limN→∞

∆~ri

∆ti=

d~r(t)dt

. (2.53)

Damit wird das Linienintegral zu

W =

tb∫

ta

~F (~r(t)) ·(

d~r

dt

)dt. (2.54)

Dieses Integral ist ein gewohnliches Integral, dessen Integrand, der Skalar ~F (~r(t)) · (d~r/dt), eineFunktion des Parameters t ist. Dabei beinhaltet der Vektor d~r(t)/dt, der in jedem Punkt tangen-tial zur Kurve ist, die Information uber den Verlauf der Kurve (siehe Abb. ??). (Wenn man denVektor d~r(t)/dt normiert, erhalt man den Tangentialvektor ~t = (d~r(t)/dt)/|d~r(t)/dt|.) Falls t dieZeit ist, ist d~r(t)/dt = ~v(t) die Geschwindigkeit des Korpers, der sich gemaß ~r(t) entlang C bewegt.

Abbildung 2.15: Der Geschwindigkeitsvektor d~r(t)/dt ist tangential zur Kurve ~r(t).

Aus dieser Darstellung des Linienintegrals ergibt sich folgendes Rezept zur Berechnung von Li-nienintegralen in Parameterform:

1. Zunachst drucken wir den Feldvektor ~F (~r) durch Einsetzen der parameterabhangigen Koor-dinaten x(t), y(t) und z(t) als Funktion des Parameters t aus.

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46 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

2. Dann differenzieren wir den Vektor ~r(t) nach t und bilden das Skalarprodukt ~F (~r(t))·(d~r/dt).

3. Schließlich integrieren wir dieses Skalarprodukt, das nur mehr eine Funktion von t ist, in denGrenzen von ta bis tb.

Beispiel:

Abbildung 2.16: Eine Kraft ~F (~r) verrichtet Arbeit entlang einer Parabel.

Wir bestimmen das Integral des Feldes ~F (x, y) = (2x + y, x) entlang der in Parameterform gege-benen Kurve ~r(t) = (t, t2) (das ist eine Parabel) zwischen den Punkten, die zu den Parameternta = 0 und tb = 1 gehoren. Die Kurve beginnt im Ursprung, ~r(ta = 0) = (0, 0), und endet imPunkt ~r(tb = 1) = (1, 1). Der Feldvektor als Funktion von t ist gegeben durch:

~F (x(t), y(t)) =

(2x(t) + y(t)

x(t)

)=

(2t + t2

t

). (2.55)

Ableitung des Ortsvektors nach t liefert

d~r

dt=

(12t

)(2.56)

und somit

~F · d~r

dt=

(2t + t2

t

)·(

12t

)= 2t + t2 + 2t2 = 2t + 3t2. (2.57)

Das Kurvenintegral ist deshalb gegeben als:

C

~F (~r) · d~r =

tb∫

ta

(~F · d~r

dt

)dt =

1∫

0

(2t + 3t2)dt =2t2

2+

3t3

3

∣∣∣∣1

0

= 1 + 1 = 2. (2.58)

Falls die Integrationskurve C nicht in Parameterform vorliegt, konnen wir folgendermaßen vorge-hen. In der Summe in Gleichung (??) lasst sich jedes Teilstuck und der dazugehorige Vektor ~F (~ri)in Komponenten zerlegen:

∆~ri = ∆xi~ex + ∆yi~ey + ∆zi~ez (2.59)

und

~F (~ri) = Fx(~ri)~ex + Fy(~ri)~ey + Fz(~ri)~ez. (2.60)

Das Skalarprodukt ~F (~ri) ·∆~ri konnen wir somit schreiben als

~F (~ri) ·∆~ri = Fx(~ri)∆xi + Fy(~ri)∆yi + Fz(~ri)∆zi (2.61)

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2.4. KURVENINTEGRALE 47

und die Summe in Gleichung (??) besteht somit aus drei Termen, die zu den drei Koordinaten-richtungen gehoren:

W ≈∑

Fx(~ri)∆xi +∑

Fy(~ri)∆yi +∑

Fz(~ri)∆zi. (2.62)

Im Grenzwert einer unendlich feinen Zerlegung des Integrationsweges in Teilstucke erhalten wirdaraus die Summe dreier gewohnlicher Integrale:

W =

xb∫

xa

Fx(~r)dx +

yb∫

ya

Fy(~r)dy +

zb∫

za

Fz(~r)dz

=

xb∫

xa

Fx(x, y, z)dx +

yb∫

ya

Fy(x, y, z)dy +

zb∫

za

Fz(x, y, z)dz. (2.63)

Abbildung 2.17: Raumliche Kurve und ihre Projektion in die xy-Ebene. Bei der Berechnung von∫Fx(~r)dx mussen sowohl y als auch z als Funktion von x ausgedruckt werden.

Das Problem ist hier, dass die Integranden von allen drei Variablen x, y und z abhangen und nichtnur von der jeweiligen Integrationsvariablen. Betrachten wir zum Beispiel das erste Integral. Hiergehoren zu jedem x-Wert auch wohldefinierte Werte von y und z (siehe Abb. ??). Diese hangenvon der Gestalt der Integrationskurve ab. Falls wir nun y und z mit Hilfe der Kurve als Funktionvon x ausdrucken, erhalten wir fur das erste Integral

xb∫

xa

Fx(x, y(x), z(x))dx, (2.64)

ein gewohnliches Integral uber x. (Falls wir y und z aus Eindeutigkeitsgrunden nicht als Funktionvon x ausdrucken konnen, zerlegen wir die Integrationskurve in Teilbereiche, sodass dies moglichist.)Mit den anderen beiden Integralen verfahren wir analog und erhalten schließlich

W =

xb∫

xa

Fx(x)dx +

yb∫

ya

Fy(y)dy +

zb∫

za

Fz(z)dz, (2.65)

wobei Fx(x) = Fx(x, y(x), z(x)), Fy(y) = Fy(x(y), y, z(y)) und Fz(z) = Fz(x(z), y(z), z). DieInformation uber die Gestalt der Kurve C ist nun in den Funktionen Fx(x), Fy(y) und Fz(z)enthalten.

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48 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

Beispiel:Wir berechnen wieder das Kurvenintegral aus dem letzten Beispiel. Hier war

~F (x, y) = (2x + y, x) (2.66)

und die Kurve war gegeben durch ~r(t) = (t, t2) oder, in nichtparametrischer Form, durch y = x2.Fur das Kurvenintegral haben wir also:

W =

xb∫

xa

Fx(x, y)dx +

yb∫

ya

Fy(x, y)dy, (2.67)

wobei gemaß Angabe xa = ya = 0 und xb = yb = 1. Da wir mit y = x2 keine Eindeutig-keitsprobleme haben, konnen wir im ersten Term y und im zweiten Term x durch die jeweiligeIntegrationsvariable ausdrucken:

W =

xb∫

xa

Fx(x, x2)dx +

yb∫

ya

Fy(√

y, y)dy. (2.68)

Unter Berucksichtigung von ~F (x, y) = (Fx(x, y), Fy(x, y)) = (2x + y, x) erhalten wir

W =

1∫

0

(2x + x2)dx +

1∫

0

√ydy =

(2x2

2+

x3

3

) ∣∣∣∣1

0

+23y

32

∣∣∣∣1

0

= 1 +13

+23

= 2, (2.69)

was mit dem Resultat aus dem vorherigen Beispiel, bei dem eine Parameterdarstellung der Kurveverwendet wurde, ubereinstimmt.

2.4.5 Kurvenintegrale uber Gradientenfelder

Kurvenintegrale der Form∫

C~F (~r) · d~r hangen im Allgemeinen sowohl vom Vektorfeld ~F als auch

von der Integrationskurve C ab (insbesondere von deren Anfangs- und Endpunkt). Unter gewissenUmstanden kann es jedoch vorkommen, dass das Kurvenintegral

∫C

~F (~r) · d~r nur vom Kraftfeldselbst und den Endpunkten ~ra und ~rb abhangt, nicht aber von der Form des Weges, der ~ra und ~rb

verbindet. Wir wollen uns in diesem Abschnitt mit der Frage beschaftigen, unter welchen Bedin-gungen dies der Fall ist.Als Beispiel betrachten wir das Linienintegral im Kraftfeld ~F (~r) = 2~r = (2x, 2y, 2z) und verbindenden Anfangspunkt ~ra = (0, 0, 0) mit dem Endpunkt ~rb = (1, 1, 1) durch drei unterschiedlicheKurven C1, C2 und C3 (siehe Abb. ??):

C1: Gerade von (0,0,0) nach (1,1,1),C2: Polygonzug (0, 0, 0) → (1, 0, 0) → (1, 1, 0) → (1, 1, 1),C3: Parabelbogen von (0,0,0) nach (1,1,1).

Fur die Kurve C1 ist die Parameterdarstellung

~r(t) = (t, t, t) also istd~r

dt= (1, 1, 1) und ta = 0, tb = 1. (2.70)

Das Kurvenintegral lautet somit

C2

~F (~r) · d~r =

1∫

0

2t

2t

2t

·

111

dt =

1∫

0

6tdt =6t2

2

∣∣∣∣1

0

= 3. (2.71)

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2.4. KURVENINTEGRALE 49

Abbildung 2.18: (a) Integrationsweg C1, (b) Integrationsweg C2 und (c) Integrationsweg C3.

Entlang der Kurve C2 erhalten wir

C2

~F (~r) · d~r =

1∫

0

2xdx

︸ ︷︷ ︸~r(x)=(x,0,0)

x als Parameter

+

1∫

0

2ydy

︸ ︷︷ ︸~r(y)=(1,y,0)

y als Parameter

+

1∫

0

2zdz

︸ ︷︷ ︸~r(z)=(1,1,z)

z als Parameter

= 32x2

2

∣∣∣∣1

0

= 3. (2.72)

Die Parabel C3 ist in Parameterform gegeben durch: ~r(t) = (t, t, t2), d. h. d~rdt = (1, 1, 2t) und somit

gilt

C3

~F (~r) · d~r =

1∫

0

2t

2t

2t2

·

112t

dt =

1∫

0

(4t + 4t3)dt

=4t2

2+

4t4

4

∣∣∣∣1

0

= 2 + 1 = 3. (2.73)

Das heißt, fur alle drei Wege C1, C2 und C3 erhalten wir den selben Wert fur das Kurvenintegral.Das ist im Allgemeinen immer dann der Fall, wenn namlich das Vektorfeld ~A als Gradient einesskalaren Feldes dargestellt werden kann, das heißt, wenn ~A = grad φ, dann gilt fur das Kurvenin-tegral:

~rb∫

~ra,C

~A(~r) · d~r =

~rb∫

~ra,C

grad φ · d~r =

~rb∫

~ra,C

dφ = φ(~rb)− φ(~ra). (2.74)

Das Integral hangt somit nur vom Anfangs- und vom Endpunkt ab.Es laßt sich uberdies zeigen, dass die Wegunaghangigkeit ausschließlich im Fall von Gradientenfel-dern gegeben ist.Es gilt also der folgende Satz:Kurvenintegrale uber ein Vektorfeld ~A(~r) sind genau dann (und nur dann) vom Weg unabhangig,wenn eine Funktion φ(~r) existiert, sodass ~A = grad φ. Legt man φ an einer Stelle ~ra fest, ist φeindeutig bestimmmt.Die Funktion φ wird Potenzial genannt (in der Physik bezeichnet man meistens −φ als dasPotenzial. Die potentielle Energie in der Mechanik ist ein Beispiel dafur.). Das Feld ~A nennt manauch ein konservatives Vektorfeld. Wie man einem Vektorfeld ~A ansehen kann, ob wir es alsGradientenfeld darstellen konnen, werden wir spater sehen.Aus dem obigen Satz folgt, dass genau dann geschlossene Kurvenintegrale uber das Vektorfeld ~Averschwinden, wenn sich das Vektorfeld ~A als Gradient eines skalaren Feldes φ darstellen lasst.Das Ringintegral

∮C

~A(~r) · d~r kann namlich durch Wahl zweier beliebiger Punkte ~ra und ~rb auf derKurve C in zwei Teile zerlegt werden, die den Wegen C1 und C2 entsprechen (siehe Abb. ??):

C

~A(~r) · d~r =∫

C1

~A(~r) · d~r +∫

C2

~A(~r) · d~r. (2.75)

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50 KAPITEL 2. FELDER, GRADIENT, KURVENINTEGRAL

Abbildung 2.19: Durch Wahl zweier Punkte ~ra und ~rb zerlegen wir das Ringintegral in zwei Linien-integrale entlang C1 und C2.

Wir durchlaufen nun C2 in entgegengesetzter Richtung und drehen damit das Vorzeichen deszweiten Integrals um:

C

~A(~r) · d~r =∫

C1

~A(~r) · d~r −∫

−C2

~A(~r) · d~r. (2.76)

Da aber C1 und −C2 Anfangs- und Endpunkt gemeinsam haben und laut Voraussetzung dasKurvenintegral uber ~A nicht von der Form des Weges abhangt, sind die beiden Integrale auf derrechten Seite der obigen Gleichung gleich. Demzufolge verschwindet das Ringintegral:

C

~A(~r) · d~r = 0. (2.77)