FILMDIENST 10/2013

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MUSEUM Deutscher Filmpreis Außerhalb von Komödien haben dicke Darsteller im Kino wenig Karriere-Chancen Stereotypen haben sich gewandelt, aber nicht aufgelöst Mit „Oh Boy“ siegt das junge Kino Jetzt Kommt es DiCK 52 Seiten Fernseh- beilage 10|2013 FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur +++ BURGHART KLAUSSNER +++ APICHATPONG WEERASETHAKUL +++ PARK CHAN-WOOK +++ Neue CDs: Jazz übers Kino TIPPS Marcel Carnés Filmkunst- Klassiker „Die Kinder des Olymp“ SERIE: MAGISCHE MOMENTE EIN ORT FÜRS CHARISMA DES KINOS: DAS EYE-FILMMUSEUM IN AMSTERDAM Eine Augen- weide 4 194963 604507 10 € 4,50 | www.filmdienst.de 66. Jahrgang | 9. Mai 2013

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die neue Ausgabe: Kritiken, Artikel, Dicke im Film, Star Trek

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MUSEUM

DeutscherFilmpreis

• Außerhalb von Komödien haben dicke Darstellerim Kino wenig Karriere-Chancen

• Stereotypen haben sich gewandelt, aber nicht aufgelöst

Mit „Oh Boy“ siegt das junge Kino

JetztKommtesDiCK 52

SeitenFernseh-beilage

10|2013

DE

10|2013

FILMDIENST

Das Magazin für Kinound Filmkultur

+++ BURGHART KLAUSSNER +++ APICHATPONG WEERASETHAKUL +++ PARK CHAN-WOOK +++

Neue CDs:Jazz übers

Kino

TIPPS

Marcel CarnésFilmkunst-

Klassiker

Marcel Carnés

„DieKinderdesOlymp“

SERIE:MAGISCHEMOMENTE

EIN ORT FÜRSCHARISMA DES

KINOS: DASEYE-FILMMUSEUM IN

AMSTERDAM

EineAugen-weide

4 194963 604507

10

€ 4,50 | www.filmdienst.de66. Jahrgang | 9. Mai 2013

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Filmdienst 10 | 20134

Neue Filme auf DVD/Blu-ray S. 48

10ZU BREITFÜR DIE LEINWAND?Übergewichtige Darsteller scheinen inHollywood-Filmen nur dann Chancenauf eine Star-Karriere zu haben, wennsie ins Klischee der dicken Ulknudelpassen. Abseits des Mainstreams siehtes etwas anders aus. Etwa bei UlrichSeidls „Paradies: Liebe“. Eine Kino-Kör-perfett-Analyse.Von Stefan Volk+ Sechs Porträts „dicker“ Darsteller

16DEUTSCHER FILMPREIS 2013Die „fesche Lola“ ist nicht bei allen der„Liebling der Saison“. Der DeutscheFilmpreis sorgt immer wieder fürDebatten: Renommierter Kulturpreisoder verwässerte Branchen-Trophäe?Ein Kommentar zur 63. Verleihung..Von Horst Peter Koll

alle Filme im tVvom 11.5. bis 24.5.

Das extraheft

Kino

Akteure

Bright Star | Bio Pic/Drama12.5. arte

I Am LegendDystopischer Science-Fiction

12.5. ProSieben

The Dark KnightActionfilm

17.5. ProSieben

8 0 . 0 0 0 F i l m - K r i t i k e n u n t e r w w w . f i l m d i e n s t . d e

IM TV

Ständige Beilage

11.5.–25.5.2013

FILM

52 Seiten Extra-Heft: Alle Filme im TV

BRIGHT STAR

12.5. arte

CHERIE – EINE KOMÖDIE

DER EITELKEITEN14.5. WDR

THE DARK KNIGHT

17.5. ProSieben

DAS HAUS DER LADY ALQUIST

12.5. 3sat

BRÜCKEN AM FLUSS

20.5. ARD

DIE_FREMDE

16.5. ARD

Unter Dir die Stadt von Christoph Hochhäusler[12.5. ARd ]

Black Hwak Down von Ridley Scott[15.5. sAt1 ]

Kadisch für einen Freund von Leo Kashin[22.5. ARte ]

I AM LEGEND

12.5. ProSieben

OCEANS’13

11.5. SF2

filmDienst 10 | 2013

18„KINO HAT FÜR MICH MITGEISTERN ZU TUN“Im Rahmen der Kunstbiennale vonDubai hatte unser Autor JensHinrichsen Gelegenheit, sich mit derthailändischen Autorenfilm-IkoneApichatpong Weerasethakul zuunterhalten. Ein Gespräch über Geister,Kino und Science Fiction.

21IN MEMORIAMNachrufe auf die Kinokünstler JessFranco, Bigas Luna und Les Blank

22HITCHCOCKS ERBENKOMMEN AUS SÜDKOREA!Dass sich Hollywood verstärkt für Film-talente aus Südkorea interessiert, hatseinen Grund: Dort sorgen versierteRegisseure für eine Blüte des hartenSuspense-Kinos.Von Jörg Gerle+ DVD/BD-Tipps

24POESIE UND HUMORzeichnen die Arbeiten der RegisseurinAlla Churikova aus, die zauberhaftanimierte Kurzfilme (nicht nur) fürKinder erschafft. Ein Porträt.Von Horst Peter Koll+ Weitere Kinderfilm-Neuigkeiten

nicht nur in„the artist“beweist Johngoodmanschauspieler-Formatjenseits desgardemaßes.

alla Churikovabringt in „emilie“

gänse zum singenS. 24

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Filmdienst 10 | 2013 5

42 BB King: The Life of Riley [9.5.]39 Iron Man 3 [1.5.]38 Love Alien [16.5.]45 MansFeld [16.5.]47 No place on Earth [9.5.]42 Off the Beaten Track [9.5.]47 Out in the Dark [9.5.]41 Schimpansen [9.5.]47 Selam [18.4.]42 Smashed [9.5.]37 Starlet [9.5.]36 Star Trek: Into Darkness [9.5. ]42 Stoker [9.5.]

47 The End of Time [9.5.]44 Tilt [9.5.]46 Das weiterleben der Ruth Klüger [9.5.]47 voices of Transition [2.5.]42 woodstock in Timbuktu [16.5.]

Kritiken und Anregungen?

RUBRIKENEditorial 3Inhalt 4Magazin 6E-Mail aus Hollywood 27Im Kino mit ... 50Vorschau 51Impressum 51

In Cannes flaniert Mitte Mai dieArthouse-Elite über den rotenTeppich. Das Kinopublikumdaheim kann sich derweil mitdem Start in die Franchise-Sai-son behelfen. Und mitFilmperlen wie „Stoker“ und

„Paradies: Hoffnung“.

+ ALLE STARTTERMINE

Neue Filme26KINO WIRD MUSIKZwei außergewöhnliche Jazz-CDshuldigen dem Film.Von Ulrich Kriest

28EIN „EYE“ FÜRS KINODas Filmmuseum Amsterdam hat sichnicht nur der Kino-Schaulust verschrie-ben; es ist selbst auch eine architekto-nische Augenweide.Von Niels Daniel Peiler

32FILME DENKEN, DENKENDFILMENFrieda Grafe war eine der großendeutchen Filmpublizistinnen. IhreArbeit wird mit einer Buch- undFilmreihe gerade neu entdeckt.Von Claus Löser

34MAGISCHE MOMENTEDas Kino verbeugt sich vor demTheater und schafft einen Klassiker:Marcel Carnés „Kinder des Olymp“.Von Rainer Gansera

Film-Kunst

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S. 40 PARADIES: HOFFNUNG[16.5.]

Drama von Ulrich Seidl

der katholischen Filmkritik

Kinotipp

Hollywood-KorrespondentFranz Everschor überTV-Serien, die berüchtigtenKino-Mördern huldigen

norman Batesund hanniballecter sindwieder da!

s.40PARADIES: HOFFNUNG[stARt 16.5.]

s.36STAR TERK: INTO DARKNESS[stARt 9.5.]

s.42STOKER[stARt 9.5.]

Ikone des französischen Kunstkinos:„Kinder des Olymp“.

Wenn er nur seine„Avengers“-Kollegen dabeihätte! Im Soloauftritt „IronMan 3“ geht es Tony Stark

beinahe ans Leben.

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Zu breit für die

Filmdienst 10| 201310

Dicke Superhelden? Höchstens, wenn man

über sie lachen darf!

Das Mainstream-Kino ist einem Körperbild

verpflichtet, das dicken Darstellern fast

nur ein Nischen-Dasein in der Komö-

dienecke erlaubt – bis aufweni-

ge Ausnahmen, wie Ulrich

Seidls neuer Film „para-

dies: Hoffnung“. Eine

Bestandsaufnahme.

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KinoDicke im Film

ie Leinwand?Von Stefan Volk

Filmdienst 10 | 2013 11

Waschbär-Bauchstatt Waschbrettbauch

,

aber trotzdem das Format eines Helden:

„Die Unglaublichen“

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Filmdienst 10| 201312

Kino Dicke im Film

bolen, in den (dicke) Körper im Filmgesperrt werden, kommen noch nichteinmal die fantastischen Körper ani-mierter Kunstwesen heraus.

1. Besonders eng ist esfür FrauenFür Frauen, die im Weltkino die Rolledes „schönen Geschlechts“ einfachnicht loswerden, ist der körperlicheSpielraum besonders schmal. Währendsich beleibtere Schauspieler wie Jan-nings, Fröbe oder Axel Prahl auch ananspruchsvolleren Charakterrollen be-weisen durften, und die Karriere fürStars wie Marlon Brando oder GérardDepardieu mit ein paar Pfund mehr aufden Rippen erfolgreich weiterlief, suchtman solche Vorbilder für Schauspiele-rinnen fast vergeblich. Jenseits derKlischees – der herzensguten schwar-zen Südstaaten-Mami, der Ulknudel, derresoluten Alten oder der fiesen Fetten– ist für übergewichtige Darstellerinnenauf der Leinwand kaum Platz. Als dieBritin Keira Knightley rank und schlanknach Hollywood kam, stöhnte sie: „Ichbin hier doppelt so dick wie die anderenSchauspielerinnen.“ Fülligere, rund-lichere oder auch nur normalgewichtigeNachwuchsdarstellerinnen haben inHollywood kaum eine Chance. Selbst

Für Filme lässt sich die Frage, warumjemand dick ist, recht einfach beantwor-ten: weil der Regisseur das so wollte.Körper fungieren im Kino in der Regelals Ausdrucksmittel; Wörter aus Fleischund Blut, soziokulturell und psycholo-gisch kodierte Chiffren. Ihr Übergewichtvisualisiert Charaktereigenschaften;nicht selten Schwächen. Dicke sind impopulären Kino (und Fernsehen) entwe-der lustig, Witzfiguren wie Oliver Hardy,John Candy, Bud Spencer (und OttfriedFischer), oder fies wie Gert Fröbe alsKindermörder („Es geschah am helllich-ten Tag“) und Bond-Schurke („Goldfin-ger“). Gelegentlich sind sie auch beides;wie Emil Jannings als Gymnasialprofes-sor Rath in „Der blaue Engel“: Dass derüberkorrekte, kauzige Lehrer am Endelüstern und eifersüchtig der „feschenLola“ verfällt, ist typisch für die fil-mische Darstellung von Dicken. Nichtnur beim Essen sind sie maßlos. Imbesten Fall eignen sie sich zum gemüt-lich-genießerischen Balu-Bär, dem mitseinem runden Bauch gern auch müt-terliche Attribute zugeschrieben wer-den. Im schlechtesten Fall wird ausihnen ein Jabba the Hutt („Star Wars“):ein triebgesteuerter, sadistischer Fett-wanst. Aus dem engen Käfig aus Sym-

Um „Bridget Jones“zu

besetzen, musste erst

ein dünner Star

aufgepäppelt

werden

Gewichtige Konkurrenz für

Charlie Chaplin: Roscoe

„Fatty“ Arbuckle

edes Mal, wenn ich fetteLeute sehe, essen sie. Diesollen mir nur keine Scheißeerzählen von wegen Stoff-wechselprobleme. Es liegt amEssen. Sie sind fett, weil sie

das Falsche essen. Zuviel und ohneUnterbrechung.“ Als Eva (Tilda Swin-ton) das beim gemeinsamen Minigol-fausflug zu ihrem Sohn sagt, ahnt sienoch nicht, dass es schon bald auf siezurückfallen wird. Du bist für dein Le-ben selbst verantwortlich, lautet dieBotschaft ihrer Worte in dieser Szeneaus „We Need to Talk About Kevin“. Giltdas dann auch für Kevin (Ezra Miller),wenn er in der Highschool Amok läuft?Sind es also nicht die Gene, die ausKevin einen Massenmörder geformthaben? Sind es seine Entscheidungen,ist es ihre Erziehung? Die Übergewich-tigen vom Minigolfplatz müssen fürdiese zentralen Fragen des Films bloßals Vergleichsgrößen herhalten. Sieselbst bleiben namenlos im Bildhinter-grund. Um sie geht es nicht. Nur umdas, was sie symbolisieren. Das istnichts Neues. Dicke sind es längst ge-wohnt, sich auf der Leinwand so wie-derzufinden.

J

Das Grauen im „Fat Suit“:

„Big Mamas Haus 2“

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in den Filmen von Florian Baxmeyerzwar gelegentlich wegen seiner angeb-lichen Leibesfülle aufgezogen, ist aberaugenscheinlich ein ganz normalge-wichtiger Junge. Wie müssen sich diewirklich dicken Kinder im Zuschauer-raum dabei vorkommen? Vielleicht soverunsichert wie die kleine Olive aus„Little Miss Sunshine“, als ihr dämmert,dass sie für eine Kinder-schönheitsköni-gin womöglich ein bisschen zuviel Ba-byspeck mit sich herumschleppt. Mitihrer liebenswerten Kritik an hierarchi-schen Körperbildern bilden die Regis-seure Jonathan Dayton und ValerieFaris im Filmgeschäft eine Ausnahme

alle waren auch schon in den Buchvor-lagen fies und fett. Trotzdem hätten dieFilmemacher das nicht gedankenlosübernehmen müssen. Noch ärgerlicherist es, dass in der Adaption von PaulMaars „Lippels Traum“ die Rolle einesbrutalen dicken Schulhofrabauken extrahinzuerfunden wird. Bedenklich ist au-ßerdem, dass selbst die wenigen dickenHelden, die es in der Kinderliteraturgibt, in der Verfilmung oft von dünnenDarstellern verkörpert werden. Somachte Wolfgang Petersen aus demdicken Bastian in „Die unendlichenGeschichte“ einen schlanken Bastian.Und Justus Jonas, der geniale pumme-lige erste Detektiv der „Drei ???“, wird

die wenigen Rollen in ihren Gewichts-klassen werden von Schauspielerinnenbesetzt, die erst einmal mühsam 15 Kilozulegen müssen, um auszusehen wieandere nach einer Abmagerungskur –siehe „Bridget Jones“.Die unrealistischen Vorbilder, die diesesrigide Schönheitsideal vermittelt, gehenHand in Hand mit Vorurteilen gegen-über denjenigen, die es nicht erfüllen.

2. schon kindern werdenklischees eingebläutBesonders problematisch ist das imkommerziellen Kinder- und Familienki-no. Wenn dicke Jungen auf die Rolledes Fieslings oder Klassenclowns fest-gelegt werden und dicke Mädchen sogut wie gar nicht in Erscheinung treten,fehlt es übergewichtigen Kindern anpositiven Identifikationsfiguren. Anschlechten Beispielen herrscht dagegenzumindest für stämmige Jungs keinMangel. Bei „Laura‘s Stern“ gibt esden gemeinen Harry, bei den„Wilden Kerlen“ den „dickenMichi“, bei „Harry Potter“ denverwöhnten, feigen Dudley. Sie

Für Frauen ist derkörperliche spielraumbesonders schmal.

Ungewöhnliche

„Oscar“-Kandidatin:

Gabourey Sidibe in

„Precious“

Oliver Hardy (r.) als rundesGegenstück zum „halbenHemd“ Stan Laurel

John Candy in „Allein mit

Onkel Buck“

Wirtschaftswunder-Ikone

Heinz Erhardt in„Ach Egon“

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Filmdienst 10| 201314

Zweifel. Außerhalb Hollywoods stehendie Chancen auf subversive Körper-bilder naturgemäß besser. Percy Adlons„Out of Rosenheim“ oder MichaelSchorrs „Schultze gets the blues“ grei-fen die Klischees von den schrulligenDicken zwar auf. Sie reduzieren ihreCharaktere aber nicht darauf. Vielmehrerheben sie Marianne Sägebrecht bzw.Horst Krause zu Hauptfiguren, fotogra-fieren sie mit Respekt und ohne sie zudiffamieren.

4. körperbilder sind ge-sellschaftlich konnotiertSoziale Stereotypen, die mit Überge-wicht verbunden werden, haben sich im

3. alternativen jenseitsdes MainstreamGanz allein stehen sie damit aber nicht.Auf den ersten Blick scheinen auch dieFarrelly-Brüder in der Hollywoodkomö-die „Schwer verliebt“ den kalifornischenKörperkult zu konterkarieren. Immerhinliebt ihr Held seine Rosemary auchnoch, als er aus der Hypnose erwachtund sich die Gwyneth-Paltrow-Elfe als3-Zentner-Weib entpuppt. Allerdings istder von Jack Black verkörperte Heldselbst ein kleines Dickerchen. Die „Häss-lichen“ bleiben gewissermaßen untersich. Und daran, dass Dicke in den Au-gen der Regisseure hässlich sind, lässtder derbe Humor des Films keinen

JoHn goodMan

Zu seinen erfolgreichsten Parts zählen der gut-mütige Ehemann der komischen Kratzbürste„Roseanne“ in der gleichnamigen TV-Serie undseine ähnlich gelagerte Rolle als Oberhaupt der„Familie Feuerstein“. Dass sein schauspiele-risches Spektrum Facetten aufweist, die weitüber das dort umspielte Bild des sympathisch-sonnigen Dickerchens hinausgehen oder es sogarkonterkarieren, verdankt Goodman nicht zuletztden Gebrüdern Coen, für die er seit „Arizona Ju-nior“ (1986) immer wieder vor der Kamera standund schräge Charaktere zwischen Jovialität undWahnsinn zum Leben erweckte - in „The Big Le-bowski“ sorgt seine Figur sogar noch in absentiafür einen der besten Lacher, wenn nach ihremTod die Freunde die Asche des Verblichenenausstreuen wollen und der Wind dabei aus derfalschen Richtung kommt. Dass Goodman auchjenseits komischer Rollen zu beeindrucken ver-steht, hat er schon in den 1980er-Jahren im Kri-mi-Klassiker „The Big Easy“ bewiesen und in sei-ner folgenden Karriere nicht allzu oft, aber dochimmer wieder gezeigt. Derzeit dreht er mit Geor-ge Clooney in Berlin „The Monument‘s Men“.

W.c. fieLds

Mit dem Klischee vom dicken Komiker als lie-benswerter Gute-Laune-Knuddelbär hat W.C.Fields nur die kräftige Statur gemein. Ansonstengilt: Dieser Bär hat Zähne. Und Haare darauf. Wiedie anderen großen Stars der frühen US-Komö-die begann Fields seine Karriere im Vaudeville;seinen Ruhm als Filmkomiker erlangte er vorallem in den frühen Tonfilmkomödien der1930er-Jahre, die er zunächst für Paramount,später für Universal drehte (und z.T. auch selbstDrehbücher dazu beisteuerte). In seiner Lein-wandpersona kondensierte sich in schwarzhu-moriger Weise sozusagen der ganze Pessimis-mus der Zeit nach der Weltwirtschaftkrise. DerMann mit der fleischigen Nase und dem rundenBäuchlein verkörperte meist genervte Bürgeroder kleine Betrüger, die der alltägliche Kampfums Geldverdienen und mit einer Terror-Brigadenamens „Familie“ zu grummeligen Misanthropenund Trunkenbolden gemacht hat; im Kampf umein Restchen Glück schrecken sie vor nichts zu-rück. Ein unwiderstehlicher Ausbund schlechterEigenschaften, dessen Werk in Deutschland un-bedingt neu entdeckt werden sollte.

HeinZ erHardt

Mit seiner pummeligen Physis war der Komikermit der dicken Hornbrille sozusagen die Verkör-perung der Wirtschaftswunderjahre der BRD:Wenn er im Kino oder auf der Bühne den harm-losen Spießbürger und Pantoffelhelden gab,konnte die Nation, die sich aus den Trümmernder Nachkriegsjahre aufgerappelt hatte, getrostlachen. Und lachte, wenn Erhardt zur Hochformauflief, doch immer auch über sich selbst, dennErhardts Houmor beruhte darauf, seinen Zeitge-nossen den satirischen Spiegel vorzuhalten. Seinzentrales Ausdrucksmittel war die Sprache: Mitihr veranstaltete er Spielereien, deren Akrobatikder größtmögliche Kontrast zu seiner tapsigenKörperkomik war. Mit Filmen wie „Witwer mitfünf Töchtern“, „Immer die Radfahrer“, „Natür-lich die Autofahrer“, „Der Haustyrann“ und „AchEgon“ festigte er seinen Star-Ruhm auch als Ki-no-Ikone; seine Meisterstücke waren freilich sei-ne Gedichte. Selbst wenn viele der Filme, in de-nen er mitwirkte, über das Prädikat „harmloseBlödelei“ nicht hinauskommen, profitierten sievon Erhardts linkisch-liebeswertem Charme undhintergründigem Witz.

S TA R S I N Ü B E R G R Ö S S E

sozialestereotypenhaben sichgewandelt,aber nichtaufgelöst.

Odyssee eines Arbeiterhelden:Gerard Depardieu in „Mammut“

Die Wirtschaftswunder-Ikone mit GuntherPhilipp in „Ach Egon“

Kratzbürste Fields in „My Little Chickadee“;sein toughes Gegenüber ist Mae West

In „The Artist“ mimt John Goodman einRegie-Schwergewicht der „Goldenen Ära“

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KinoDicke im Film

roBBie coLtrane

Den jüngerern Kinozuschauern wird der britischeMime vor allem als voluminöser Hagrid aus der„Harry Potter“-Reihe vertraut sein: Eine typischeDicken-Rolle, in der Coltrane als sympathischerHalbriese für komische Akzente sorgt, wobei sichhinter der enormen ruppigen Fassade ein wei-ches Herz und ein kindliches Gemüt verbergen.Dass Coltrane auch ganz anders kann, hat er inden 1990er-Jahren in der legendären Krimiserie„Cracker“ („Für alle Fälle Fitz“) bewiesen: Darinspielt er einen faszinierend vielschichtigen Poli-zeipsychologen, der den brillanten Geist einesSherlock Holmes mit dem abgebrühten, leichtasozialen Gestus einer Noir-Helden verbindetund bei allem analytischen Verstand selbst einenHang zu exzessiven Ausschweifungen - Alkohol,Glücksspiel, Ehebruch - aufweist. Hauptrollenvon diesem Format hat ihm das Kino, sei es nundas britische Arthhouse-Kino (zuletzt z.B. in„Große Erwartungen“) oder das US-Kino leiderkaum zu bieten. Da bleiben neben interessantenNebenrollen doch nur wieder die komischenLachnummern à la „Nonnen auf der Flucht“(1990).

KatHy Bates MeLissa MccartHy

Sie ist derzeit das Schauspieler-Pendant zu Sän-gerin Beth Ditto: Die Alibi-Dicke, über die imZuge ihrer ersten Kinohauptrolle in „Voll abge-zockt“ sogar Glamour-Blätter wie die „Gala“ be-richten und stolz vermelden, dass man es mit Ta-lent auch dann schaffen kann, wenn man nichtgängigen Schönheitsidealen entspricht. Talenthat Melissa McCarthy tatsächlich, vor allem einMundwerk, das ihren Leibesumfang an Größe lo-cker in den Schatten stellt. In „Brautalarm“ wieauch in „Voll abgezockt“ besticht nicht zuletzt,mit welcher Nonchalance die Figuren auftretenund wie entwaffend selbstbewusst-ehrlich siesich geben - selbst wenn es sich wie in „Voll ab-gezockt“ um eine notorische Schwindlerin han-delt. Während die Körper-Komik dieser Filmeeher ins Peinliche tendiert, schlägt sich McCarthyauf dem Feld des trockenen Wortwitzes hervor-ragend. Ob ihr allerdings jenseits des Stereotypsder beleibten Ulknudel Raum gegeben wird, sichdarstellerisch zu entfalten, wird sich zeigen. Ihrenächsten Parts, ob in „Hangover 3“ oder PaulFeigs Cop-Komödie „Taffe Mädels“, bleiben je-denfalls dem Image verpflichtet.

Lauf der Zeit zwar gewandelt, abernicht aufgelöst. Eine Figur wie der vonMario Adorf gespielte, korpulente undschmierige Baulöwe Schuckert in RainerWerner Fassbinders „Lola“ (1981) ist immodernen Kino schwer vorstellbar. DerTypus des fetten Bonzen, des Zigarrerauchenden, dickwanstigen Kapitalisten,wie ihn z.B. Gert Fröbe als Generaldirek-tor Preysing in „Menschen im Hotel“(1959) verkörperte, ist Kino- und Kultur-geschichte. Stattdessen hat sich dasImage des dicken Losers verhärtet.Dem begegnet man z.B. in Lee Daniels’„Precious“. Die übergewichtige Titelhel-din wächst in kaum erträglichen famili-ären Verhältnissen auf, der Vater verge-

waltigt sie, die Mutter ist depressiv.Allerdings bewahren Darstellerin GaboureySidibe und Regisseur Daniels „Precious“vorm Absturz ins Klischee, indem sie sie alseine bewundernswert starke Persönlichkeitzeichnen.Gegen die diskriminierenden Klischees undKörperideale der westlichen Konsumge-sellschaft inszeniert auch der österrei-chische Filmemacher Ulrich Seidl an. In„Paradies: Liebe“ versucht eine fülligeFünfzigjährige, dem Schlankheitsdiktat zuentfliehen, indem sie sich im Keniaurlaubdie Illusion von Liebe erkauft. Seidl setztden Körper Margarethe Tiesels ebensoungeschönt wie unverblümt in Szene, ohnesie dabei bloßzustellen. In „Paradies: Hoff-

S E C H S P O R T R Ä T S

nung“, dem Abschlussfilm der „Paradies“-Trilogie, schickt er seine 13-jährige Prota-gonistin zwar in ein Diätcamp. DassMelanie mollig ist, spielt in dem Coming-of-Age-Drama dennoch nur eine Neben-rolle. Seidl inszeniert das Mädchen alsvielschichtigen Menschen, er reduziert esnie auf seine Maße. „Du bist voll hübsch“,findet Melanies Freundin, und als Melaniedamit hadert, zu dick zu sein, tut sie dasmit einem entschiedenen „so ein Blödsinn“ab.Mit so einem Blödsinn aber, das zeigtSeidls Film auch, muss man sich als über-gewichtiger Teenager unentwegt herum-schlagen. Nicht nur in einem Bootcamp fürBeleibte, sondern auch im Kino.

Eine ihrer ikonischsten Rollen jagt einem dieGänsehaut über den Rücken: Kathy Bates war dieirre Krankenschwester in der Stephen-King-Ver-filmung „Misery“, die aus Liebe zu einer Roman-figur deren Schöpfer, einen Schriftsteller, durchdie Hölle gehen ließ. Eigentlich eine üble Rolle:das Klischee einer dicken, frustrierten, sich in ei-ne Fantasiewelt flüchtenden Matrone. Batesmachte daraus trotzdem ein Kinoerlebnis. Wasder Schauspielerin an Mainstream-kompatiblerSchönheit fehlt, macht sie nicht nur hier an ener-getischer Präsenz wett - und lässt sich auf keinGenre festlegen: Komödiantische Tonarten be-herrscht ebenso wie das große Drama; sie wardie frustrierte Hausfrau in „Grüne Tomaten“, dieburschikose neureiche Amerikanerin mit demHerz auf dem rechten Fleck in „Titanic“ und dieliebestolle Geschiedene in „About Schmidt“. ImGrunde hat Kathy Bates in ihrer Karriere die gan-ze Klaviatur weiblicher Dickenklischees rauf undrunter gespielt. Weil sie mit ihrer starken persön-lichen Ausstrahlung aber stets über die Rolle hi-nauswuchs, fällt das im Nachhinein kaum nochauf..

Von Bates‘ lebenslustiger Figur kann JackNicholson in „About Schmidt“ einiges lernen

Als Fernseh-Polizeipsychologe „Fitz“ gelangteColtrane auch hierzulande zu Star-Ruhm

Hollywoods derzeitige Comedy-Queen, trick-und temporeich in „Voll abgezockt“

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Das Weiterleben der Ruth Klüger von Renata Schmidtkunz [stARt 9.5.] S. 46

Filmdienst 10 | 2013

StokerMystery-Horror[start 9.5.]

Love Alien von Wolfram Huke [stARt 16.5.] S. 38

Woodstock in Timbuktu von Désirée von Trotha [stARt 16.5.] S. 42

FILMDIENST

ALLENEUEN FILME

8 0 . 0 0 0 F i l m - K r i t i k e n u n t e r w w w . f i l m d i e n s t . d e

Paradies: HoffnungDrama[start 16.5.]

TiltComing-of-Age-Film[start 9.5.]

Iron Man 3Actionfilm[start 1.5.]

SO WERTET FILMDIENSThanDWerK

Die Qualität vonRegie, Schnitt,Kamera, Musik.

Je Kategorie vergibt die Redaktion von FILMDIENST max. 5 Punkte

InhaltThema und Ge-

halt der erzähltenGeschichte.

DarstellerDie Leistungen

derSchauspieler.

Page 11: FILMDIENST 10/2013

FILMDIENST 10 | 201336

Grundkenntnisse in GeneRoddenberrys Science-Fic-tion-Universum sind nötig,um J.J. Abrams liebevolleNeuinterpretation würdigenzu können. Deren Herzstückbleibt die spannungsreiche

„Bromance“ zwischen Kirkund Spock, die in Abramszweitem Ausflug ins „StarTrek“-Universum wiedermit- und gegeneinander umden richtigen Kurs für die

„Enterprise“ ringen. Nach-dem ein dubioser Ex-Agentnamens John Harrison fastdie ganze Führungsspitzeder Sternenflotte eliminierthat, lässt sich Kirk für dieRacheaktion anwerben: Ersoll mit der „Enterprise“und neuartigen Torpedosden Planeten Kronos an-steuern, auf den sich Harri-son geflüchtet hat. DasProblem: Ein offizieller An-griff wäre eine Provokationfür die Klingonen, zu deren

neue filme im Kino

Ausführliche Kritiken zu jedem Film Online unter www.filmdienst.de

sondern den neuen „StarTrek“-Film obendrein in 3Dgedreht. Das Resultat sindschwindelerregend schöneBilder fremder Planeten,futuristischer Metropolenund gigantischer Schiffe inden Weiten des Alls. DieseBilder bekommen Raumzum Atmen, ohne dass dieAction zu kurz kommt oderdie Figuren aus dem Blickverloren werden. Auffälligviele Nahaufnahmen lassendie Gesichter der Protago-nisten das vermitteln, wasdie Story antreibt und erdet:die inneren Konflikte. WieDrehbuch und Regie oben-drein allen Crew-Mitgliedernschöne Auftritte verschaf-fen, ohne die Story zerfa-sern zu lassen, ist ein Kunst-stück für sich. Der Reise „indie Dunkelheit“ zum Trotzwird dabei der utopischeTon der Fernsehserie be-wahrt: Den Glauben ansentwicklungsfähige Gute imMenschen (und Alien) kannauch der charismatischsteSchurke nicht klein kriegen.Sein Heil sucht der Filmnicht in den Extremen, son-dern in der Balance: inhalt-lich zwischen Kirk undSpock, zwischen Idealismusund Vernunft, stilistischzwischen Spektakel undIntimität, zwischen Herois-mus und Humor.Felicitas Kleiner

Mit Gefühlen tut sich Mr.Spock schwer. Das gilt fürdas „Bauchgefühl“, dasseinen Captain James T.Kirk öfters zu unlogischenEntscheidungen motiviert,aber auch für seine eigenenemotionalen Regungen, dieSpock trotz seines Glaubensan die kühle Vernunft mit-unter heimsuchen. Wenneinem dann auch noch derWARP-Antrieb kaputt geht,während man sich auf feind-lichem Gelände befindet,und man nicht weiß, werGegner und wer Verbünde-ter ist, wenn man zu Welt-raumschrott zerschossen zuwerden und seinen bestenFreund zu verlieren droht,dann ist das auch für einenHalbvulkanier schlicht zumHeulen.Diejenigen, für die das allesklingonisch klingt, werdenan „Star Trek: Into Darkness“nur den halben Spaß haben:

Reich der Planet gehört;also ist die Enterprise ingeheimer Mission unter-wegs. Auf Kronos kommt estatsächlich zum Showdown

mit Harrison; doch der ver-läuft anders als geplant –und zwingt die „Enterprise“auf eine Odyssee, bei dersie zwischen zwei mäch-tigen Gegnern aufgeriebenzu werden droht.J.J. Abrams hat nicht nur mitIMAX-Kameras gearbeitet,

Vulkanier weinen nichtIm neuen „Star Trek“-Film erwartet Mr. Spock & Co. eine Reise ins Ungewisse

STAR TREK: INTO DARKNESS [9.5.]

USA 2013

Regie: J.J. AbramsBuch: Roberto Orci, Alex Kurtzman,Damon Lindelof, nach der Fernseh-serie von Gene Roddenberry

Kamera: Dan MindelMusik: Michael GiacchinoSchnitt: Maryann Brandon, Mary JoMarkeyDarsteller: Chris Pine (James T.

Kirk), Zachary Quinto (Spock), Bene-dict Cumberbatch (John Harrison /Khan), Zoe Saldana (Nyota Uhura),Alice Eve (Dr. Carol Marcus), SimonPegg (Scotty), Karl Urban (Bones)

Länge: 129 Min.

Verleih: ParamountKinostart: 9.5.2013FD-Kritik: 41 694

HANDWERK INHALT DARSTELLER

Fortführung des „Star Trek“-Re-launches von J.J. Abrams. DieCrew um Captain Kirk soll einendubioser Ex-Agenten der Ster-nenflotte stellen, der ein Attentatverübte. Doch hinter diesemVerbrechen stehen weitreichen-dere Verwicklungen, in denen die

„Enterprise“ aufgerieben zuwerden droht. Der Film hält dieBalance zwischen schauträch-tigem Spektakel und Figuren-zentriertem Drama, balanciertHeroismus mit Humor aus undbewahrt den optimistischen Tonder Fernsehserie. – Ab 14.

BEWERTUNG DERFILMKOMMISSION

mit Harrison; doch der ver