Filmdienst 14 2014

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film Dienst 14 2014 4 194963 604507 14 Das Magazin für Kino und Filmkultur 3. Juli 2014 € 4,50 67. Jahrgang www.filmdienst.de roBert gWisDeK SCHAUSPIELER, SÄNGER & SCHRIFTSTELLER: ROBERT GWISDEK IST EIN „GANZHEITLICHER“ KÜNSTLER. „monsieur grimace“ STAR-KOMIKER LOUIS DE FUNÈS WÄRE 100 GEWORDEN. EINE HOMMAGE. franzÖsische KomÖDien SEIT „ZIEMLICH BESTE FREUNDE“ BOOMT IN FRANKREICH DIE SOZIALKOMÖDIE. WARUM?

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Alle neuen Kinofilme. Französische Komödien. Louis de Funès. Christian Clavier. Brendan Gleeson. Robert Gwisdek. Set-Fotografie.

Transcript of Filmdienst 14 2014

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DE FUNESDE FUNESDE FUNES

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Das Magazin für Kinound Filmkultur

3. Juli 2014€ 4,50

67. Jahrgang

www.filmdienst.de

roBert gWisDeKSCHAUSPIELER, SÄNGER &SCHRIFTSTELLER:ROBERT GWISDEK IST EIN„GANZHEITLICHER“ KÜNSTLER.

„monsieur grimace“STAR-KOMIKER LOUIS DE FUNÈSWÄRE 100 GEWORDEN. EINE HOMMAGE.

franzÖsischeKomÖDienSEIT „ZIEMLICH BESTEFREUNDE“ BOOMTIN FRANKREICH DIESOZIALKOMÖDIE. WARUM?

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Neue Filme auf DVD/Blu-ray S. 48

10franZÖsisCHe komÖDienDer Gott des Humors muss ein Franzose sein.Zumindest was die bürgerlichen Sozialkomö-dien angeht, die aus unserem cinephilen Nach-barland kommen, sich aber nicht immer alsExportschlager erweisen.Von Andrea Dittgen

14CHristian ClaVierDer französische Schauspiel-Star im Interviewüber regional-spezifischen Humor, kultur-über-greifende Ehen und den Erdrutschsieg des„Front National“.VonWolfgang Hamdorf

16louis De funÈsWie auf Sprungfedern geschnallt, tobte sich derfranzösische „Monsieur Grimace“ auch ins Herzder deutschen Kinogänger. Vom Publikumgeliebt, von der Kritik misstrauisch beäugt,genießt sein Slapstick bis heute Kultstatus.Von Nils Daniel Peiler

Alle Filme im tVvom 5.7. bis 18.7.

Das extraheft

Kino Akteure

Ziemlich beste Freunde7.7. Das Erste

Herr Zwilling und Frau Zuckermann15.7. rbb Fernsehen

Schlafkrankheit18.7. zdf.kultur

Alle Filme im tV

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BrenDan GleesonMit seinem ausgeprägtenKörper und Akzent stander auf den Besetzungslistennicht immer ganz oben.Nun hat der Ire mit„Die große Versuchung“ein wahres Pfund in dieWaagschale geworfen.Von Jörg Gerle

22literaturDer SchauspielerArmin Mueller-Stahl erinnertsich in seinem autobiografischenBuch „Dreimal Deutschlandund zurück“.

23in memoriamThilo Graf Rothkirch entzückte Kinder mitseinen Animationsfilmen. Karlheinz Böhmsetzte seine Popularität seit „Sissi“ fürsoziale Projekte ein. Zwei Nachrufe.

24roBert GWisDek sPieltAls misanthropischer Rollstuhl-Fahrer in„Renn, wenn du kannst“ trumpft das Multi-Talent ebenso auf wie als Musiker undLiterat. Ein wahrhaft „Spielwütiger“ inunserer Porträt-Reihe.Von AlexandraWach

26roBert GWisDek sCHreiBtUnd das mit viel Verständnis für Spracheund den Schmerz seiner Hauptfigur. Mitseinem Erstlingsroman „Der unsichtbareApfel“ überzeugt Gwisdek auch abseits vonKamera und Mikrofon.Von Horst Peter Koll

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ZwischenKonzentration und

der nächstenWutattacke:

Louis de Funèsin einer frühen

Rolle alsSittenwächter in

„Die Knallschote“(1955)

„The Guard“

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39 2 automnes 3 hivers [3.7.]45 Art’s Home Is My Castle [10.7.]45 Begegnungen nach

Mitternacht [10.7.]43 Ferner schöner Schein [10.7.]45 Eine ganz ruhige Kugel [3.7.]47 Goal of the Dead [19.6.]45 Grosse Jungs [3.7.]47 Die große Versuchung [10.7.]41 Jack und das

Kuckucksuhrherz [3.7.]37 Die Karte meiner Träume [10.7.]47 Die Mamba [3.7.]44 Millionen [3.7.]47 Mistaken for Strangers [10.7.]46 Nebenwege [3.7.]42 Qissa - Der Geist ist ein einsamer

Wanderer [10.7.]40 Rico, Oskar und

die Tieferschatten [10.7.]47 The Kings of Summer [12.6.]45 The Signal [10.7.]38 The Unknown Known [3.7.]47 Umsonst [10.7.]44 Verführt und verlassen [10.7.]47 Von der Beraubung der Zeit [3.7.]42 Wara No Tate -

Die Gejagten [10.7.]45 Wüstentänzer [3.7.]as Wüstentänzer [3.7.]

Kritiken und Anregungen?

ruBrikenEditorial 3Inhalt 4Magazin 6DVD-Kritiken 48DVD-Perlen 50Vorschau 51Impressum 51

+ alle starttermine

Neue Filme

28stanDfotoGrafieAm Set fangen sie Filmszenen in eindrücklichenTableaus ein, den so genannten Filmstills: dieStandfotografen, deren Beruf bedroht ist.Ein Plädoyer für die Kamera neben der Kamera.Von Jens Hinrichsen

31stePHan raBolDDer Set-Fotograf spricht über die Zukunft derStandfotografie, die Bilder-Fundgrube von „DerMedicus“ und seine Arbeit mit den kleinen Darstel-lern von „Rico, Oskar und die Tieferschatten“.Von Jens Hinrichsen

34maGisCHe momenteIn seinemMénage-à-trois-Film „Die Träumer“blickte Bernardo Bertolucci ins Herz der Jugendre-volte von 1968 und schuf eine magische Metapher.Von Rainer Gansera

Film-Kunst

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Kritiker

den Strom

36 Der wundersame Katzenfisch[10.7.]

Debütfilm von Claudia Sainte-Luce

der katholischen Filmkritik

KinotiPP

s. 37Die karte meiner trÄume

s. 40riCo, oskar unD Die tiefersCHatten

s. 42Qissa -Der Geist ist ein einsamer WanDerer

großartige junge Darsteller sind in dreineuen Filmen voller Fantasie und erzähl-freude zu entdecken: Auf die Spuren vonhoch- und etwas weniger hochbegabtenJungen begeben sich Jean-Pierre Jeunets„Die Karte meiner träume“ und „Rico,oskar und die tieferschatten“.im indischen gesellschaftsdrama „Qissa“wiederum wird ein Mädchen im glaubenaufgezogen, dass es ein Junge sei.

Hollywood-KorrespondentFranz Everschor überdie Flut belangloser Filme,die über AmerikasArthouse-Kinoshereinbricht (S. 27).

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schwimmen gegen

„Blow-Up“

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Knapp zehn Millionen Franzosenbegeisterten sich seit April für dieKomödie „Monsieur Claude und seineTöchter“, die im Original „Qu’est-cequ’on a fait au Bon Dieu?“ heißt: „Washaben wir dem guten Gott getan?“ Undtäglich werden es mehr Zuschauer. DasPhänomen erinnert an die Erfolgsge-schichte von „Willkommen bei denSch’tis“ (2008), den ebenfalls Wochefür Woche immer mehr Franzosensahen, bis am Ende mit 20,5 Mio.Zuschauern ein neuer Allzeitrekord auf-gestellt war. Geboren wurde damals einneues Subgenre, das es in Frankreichzuvor nicht gab: die bürgerliche Sozial-komödie, in der ein gesellschaftlichesTabu ebenso gnadenlos wie liebevollausgereizt wird.In „Willkommen bei den Sch’tis“ machtman sich über die rückständigen Pro-vinzler im Norden Frankreichs lustig, woniemand freiwillig hinzieht. Außerdemreden die Menschen dort so komisch,und ein bisschen verrückt sind sie oben-drein. Aber das sagt man nicht, das istpolitisch unkorrekt, gerade vor demHintergrund, dass die Zentralregierungin Paris sich so krampfhaft bemüht, dieRegionen zu stärken. Genau deshalbtrafen die „Sch’tis“ den Nerv der Zeit.Bei „Ziemlich beste Freunde“ (19,5 Mio.Zuschauer) funktionierte es ganz ähn-lich. Über einen Schwerbehindertenmacht man keine Witze, erst recht setztman ihn keinem schwarzen Pflegerwider Willen aus, der überdies ein Kri-mineller ist, zumal sich die Regierung soheftig um die Integration des Millionen-heers der Einwanderer bemüht.Mit „Monsieur Claude und seine Töch-ter“ (dt. Kinostart: 24.7.) erreicht dieEntwicklung der bürgerlichen Sozialko-mödie nun einen neuen Höhepunkt,geht es doch gleich um fünf Ethnien.Welcher gutbürgerliche, katholischeFranzose wünschte sich denn nicht,dass seine Kinder in der eigenen„Kaste“ verbleiben? Wenn die Töchterstattdessen einen Chinesen, einen Mus-lim, Juden und gar einen Schwarzenheiraten, dann sind nicht nur Konfliktemit den Eltern vorprogrammiert. Wie in„Sch’tis“ und „Ziemlich beste Freunde“werden auch in „Monsieur Claude undseine Töchter“ gnadenlos alle Vorurteileim Angesicht der Betroffenen ausge-sprochen, nachdem man sich zuvor

DergottDeshumors

in Frankreich eilt das neue genre derbürgerlichen Sozialkomödie von erfolg zu erfolg.Doch warum ist das so?

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krampfhaft bemüht hat, genau das zuvermeiden. Wie das eben guterzogeneFranzosen so tun.

Die Komödien sind imfranzösischen Alltag verwurzelt.

Das Geheimnis dieser drei Kassenschla-ger liegt in ihrer gewissen Eleganz undLeichtigkeit. Plumpe Witze unter dieGürtellinie, wie sie derzeit in Hollywoodüblich sind, sucht man hier vergeblich.In den Louis-de-Funès-Komödien der1970er- und 1980er-Jahre gab es dasdurchaus, auch bei den „Asterix“-Komödien mit Christian Clavier undGérard Depardieu um die Jahrtausend-wende. Parodien (wie in Deutschlandbei Bully Herbig) oder Filmzitate, dieunabhängig von der Handlung aufLacher zielen, tauchen ebenfalls nichtauf. Das haben die neuen Sozialkomö-dien nicht nötig: Sie sind im franzö-sischen Alltag verwurzelt.An die Grenzen des Erträglichen stoßensie dort, wo Selbstverliebtheit undManierismen überhandnehmen. Wasangesichts der Tatsache, dass Autor,Regisseur und Hauptdarsteller häufigein und dieselbe Person sind, dann aberrecht häufig passiert. Besonders über-kandidelt gab sich Guillaume Galliennein „Maman und ich“ (2,8 Mio.Zuschauer), was daher rührt, dass derFilm auf einem Theaterstück fußt. Aufder Bühne sorgte die autobiografischeOne-Man-Show über ein Muttersöhn-chen, das sich der Mama zuliebe wie einMädchen kleidet und verhält, ehe es mit30 seine Männlichkeit entdeckt, durch-aus für Lacher. Auch Regisseur, Dreh-buchautor und Hauptdarsteller DanyBoon ist nicht frei davon, sich als Über-Ich zu inszenieren. Die beiden Komö-dien, die Boon nach seinem phänome-nalen Erfolg mit „Willkommen bei denSch’tis“ drehte, waren dennoch erfolg-reich: „Nichts zu verzollen“ (8 Mio.) und„Super-Hypochonder“ (5 Mio.) sind frei-lich klassische Situationskomödien.Immerhin hat Boon erkannt, wann einThema ausgereizt ist. Auch das zeichnetdie neue französische Sozialkomödieaus: Obwohl die Zuschauerzahlen hochsind, werden keine Fortsetzungengedreht.Auch wird Hollywood nicht imitiert. DieKomödien-Spezialisten setzen lieber auf

Vor sechs Jahren griffDany Boon in seinerErfolgskomödie„Willkommen bei denSch’tis“ die Vorurteilegegenüber dem angeblichrückständigen NordenFrankreichs auf und schufdaraus eine amüsanteGroteske übereingefahrene Klischees.Seitdem boomt inFrankreich ein neuesSubgenre: die bürgerlicheSozialkomödie.In ihr verbinden sichLeichtigkeitund Eleganz mit einersoliden Verwurzelungim französischen Alltag.Ein Erfolgsrezept –zumindest in unseremcinephilen Nachbarland.Von Andrea Dittgen

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typisch französische Themen und Vor-lieben, etwa aufs Kochen wie in „DieKöchin und der Präsident“ (2012) vonChristian Vincent, auf einen verklären-den Retro-Blick wie in „Camille – ver-liebt nochmal“ (2012) von NoémieLvovsky oder auf lange philosophie-rende Diskussionen, etwa in „Der Vor-name“ (2010) von Matthieu Delaporteoder „Molière auf dem Fahrrad“ (2013)von Philippe Le Guay.Überraschend viele Regisseure verlie-ßen sich in den letzten Jahren auf dieStärke von Frauen, die über sich hinaus-wachsen wie in den Gangstergeschich-ten „Le vilain“ (2009) und „9 moisferme“ (2013) von Albert Dupontel, derRentnerinnenkomödie „Paulette“ (2012)von Jérôme Enrico, im Liebesmärchen„Unter dem Regenbogen“ (2013) vonAgnès Jaoui, in „La liste de mes envies“(2014) von Didier Le Pêcheur oder„Sous les jupes des filles“ (2014) vonAudrey Dana. Selbst in Paarkomödienwie „Eyjafjallajökull“ (2013) von Ale-xandre Coffre oder „BeziehungsweiseNew York“ (2013) von Cédric Klapischliegt der Fokus auf Frauen, die Männerzu tragischen Figuren machen.

Mehr als die Hälftealler französischen Filme gibtsich komödiantisch.In Frankreich kommt das gut an, auchwenn die anspruchsvolleren Komödienan der Kasse immer wieder von der-beren Späßen geschlagen werden. VierMillionen Besucher für die blödelndeSchulklamotte „Les profs“ (2013) – dasist ein Schlag in die Magengrube. In die-sen Regionen bewegen sich mit schönerRegelmäßigkeit auch die Proll-Komö-dien von Eric und Ramzy. Dass in Frank-reich nach wie vor auch noch diedümmlichste Komödie den Weg insKino findet, liegt daran, dass man imZweifelsfall aus finanziellen Gründen(nur jeder zehnte Film spielt seineKosten wieder ein) lieber auf Komödiensetzt. Von den 270 französischen Pro-duktionen des Jahres 2013 (darunter236 Spielfilme) war knapp ein ViertelKomödien.Rechnet man die „comédies drama-tiques“, Filme mit humoristischen Ele-menten wie etwa Michel Hazanavicius’„The Artist“ (2011) sowie die neuenSozialkomödien dazu, ist man schnellbei einem Anteil von mehr als 50 Pro-

franzÖsische KomÖDienin Deutschen Kinos:

„eine ganz ruhige Kugel“von Frédéric Berthe (Start:3.7.2014, Kritik in dieser Ausgabe)

„grosse Jungs“von Anthony Marciano (Start:3.7.2014, Kritik in dieser Ausgabe)

„eyJafJallaJÖKull –Der unaussPrechlicheVulKanfilm“von Alexandre Coffre(Start: 31.7.2014)

„Der Kleine nicKmacht ferien“von Laurent Tirard(Start: 2.10.2014)

„monsieur clauDe unDseine tÖchter“von Philippe de Chauveron (Start:24.7.2014, Kritik in FD 15/14)

„gemma BoVery“von Anne Fontaine(Start: 18.9.2014)

„JacKy im KÖnigreichDer frauen“von Riad Sattouf(Start: 2.10.2014)

„samBa“von Eric Toledano undOlivier Nakache (Start: 8.1.2015)

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zent – womit sich die Vielfalt an The-men und die Suche nach neuen Genre-Mischformen fast automatisch erklärt.Meistens reicht es, wenn ein oder zweibekannte Darsteller mitspielen, um eineMillion oder mehr Zuschauer anzuzie-hen (was etwa ein Dutzend Komödienpro Jahr schaffen). Auffällig ist, dass dieHälfte der Komödien-Darsteller und-Regisseure einen migranten Hinter-grund haben, zumeist kommen sie ausdem Maghreb. Doch es müssen nichteinmal Komiker wie Dany Boon, AlainChabat, Christian Clavier oder KadMerad sein: Komödien-Darsteller/innenwie Gérard Jugnot, Jean Dujardin,Jamel Debbouze, Denis Podalydès,Franck Dubosc, Fabrice Luchini, VincentLindon, Gad Elmaleh, Pascal Légitimus,Michèle Laroque, Josiane Balasko oderCatherine Frot drehen auch Dramen,Thriller und Historienfilme. Das machtsie einem großen Publikumskreisbekannt.Der Komödien-Regisseur Pierre Salva-dori („Bezaubernde Lügen“, „Dans lacour“) behauptet sogar: „Die größtenSchauspieler in französischen Komödiensind keine reinen Komödiendarsteller.Ich denke an Gérard Depardieu, einender komischsten Darsteller der letztenJahre. Als ich ,Alle lieben Blanche‘drehte, hat mich das komische Talentvon Daniel Auteuil sprachlos gemacht.“Fragt man nach den Chancen franzö-sischer Komödien im Ausland, stößtman an Grenzen. Unifrance-PräsidentJean-Paul Salomé mutmaßt als dasgroße Problem dieser Filme gar nichtihre Themen oder ihren spezifisch fran-zösischen Humor: „Die Schauspielerge-neration nach Belmondo, de Funès,Deneuve, Pierre Richard und AlainDelon ist in Europa nicht bekannt, nureinige Frauen wie Juliette Binoche,Sophie Marceau oder Audrey Tautou. Esist schwer, Schauspieler nach Deutsch-land zu bringen, um einen französischenFilm zu promoten.“Das gilt erst recht für Regisseure: Werkennt hierzulande schon Namen wieMichel Hazanavicius, Dany Boon undNakache? Oder auch Jean-PierreMocky? Diesem mittlerweile 80-jährigenAnarchisten der französischen Komödieund einsamen Rekordhalter widmet dieCinémathèque française derzeit einegroße Retrospektive – immerhin drehteMocky seit 1959 mehr als 60 Komödienals Autor, Regisseur und Darsteller.

aKtuelle KomÖDien-stars:

Dany Boon (* 26.6.1966): „Micmacs – Unsgehört Paris!“ (2009) „Nichts zu verzollen“ (2010),„Eyjafjallajökull“ (Dt. Kinostart: 31.7.2014)

KaD meraD (* 27.3.1964): „Willkommen bei denSch’tis“ (2008), „Fasten auf italienisch“ (2010),„Super-Hypochonder“ (2013)

PatricK Bruel (* 14.5.1959): „Affären à laCarte“ (2009), „Paris Manhattan“ (2012),„Der Vorname“ (2012)

catherine frot (* 1.5.1956): „Odette Toule-monde“ (2007), „Willkommen in der Bretagne“(2012), „Die Köchin und der Präsident“ (2012)

omar sy (* 20.1.1978):, „Ziemlich beste Freunde“(2011), „Ein Mordsteam“ (2012), „Samba“(Dt. Kinostart: 8.1.2015)

gÉrarD Jugnot (* 4.5.1951): „Boudu“ (2005),„Paris, Paris – Monsieur Pigoil auf dem Weg zumGlück“ (2008), „Väter und andere Katastrophen“(2011)

ValÉrie lemercier (* 9.3.1964): „Die Besu-cher“ (1993), „Das verflixte 3. Jahr“ (2012), „Derkleine Nick macht Ferien“ (Dt. Kinostart: 2.10.2014)

Karin ViarD (* 24.1.1966): „So ist Paris“(2008), „Das Schmuckstück“ (2010),„Mein Stück vom Kuchen“ (2011)

alain chaBat (* 24.11.1958) : „Lust aufAnderes“ (2000), „Asterix & Obelix: MissionCleopatra“ (2001), „Große Jungs“ (2013)

kinoKomödien aus Frankreich

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Familienmitglied entlastet undüberdies in die Rolle einer fürsorg-lichen Mutter schlüpft. So kannsich Claudia den Respekt und dieZuneigung der Kinder erwerbenund dadurch auch die sonnigenSeiten eines Familienlebens genie-ßen.Die von der Kamerafrau AgnèsGodard komponierten Bilder sindsprechend, intensiv und präzise.Virtuos imitiert die bewegteKamera, wie Claudia zunächst irri-tiert, befremdet, ja überwältigt aufeinen Haushalt reagiert, in dem esoffensichtlich drunter und drübergeht, in dem Lärm und Stille untereinem Dach hausen. Zumeistbewegt sich die Kamera dabei inden Innenräumen; die Weite ver-heißt alles andere als Selbstbe-stimmung; draußen lauert dieGefahr. Wenn die Familie mitMartha doch einmal an die Seefährt, treiben sie Quallen, Insek-tenstiche und ein Sonnenbrandschnell wieder in den Schutz ihrerBehausung zurück. Die Kameraversteht es vorzüglich, die Stim-mungen der Figuren einzufangenund die Dynamik in deren Bezie-hungen aufzunehmen. Ungeschönt

zeigt sie Marthas Symptome, hältsich aber zugleich auch respekt-voll zurück.Man kann die behutsame Darstel-lung vom Finden einer Familie unddavon, wie sich Krankheit auf dasLeben einer Familie auswirkt,durchaus als Sinnbild für die krän-kelnden sozialen Verhältnisse inMexiko lesen. Mit AIDS ist Marthavon einer Krankheit befallen, die indem katholischen Land als Zei-chen des Sittenverfalls gilt, da sieangeblich auf einen promiskui-tiven Lebensstil oder auf homose-xuelle Beziehungen hinweise. Manduldet dies zwar, aber man sprichtnicht darüber, und so reicht mandie Krankheit ungeschützt weiter.Andererseits verkörpert Marthamit ihrer Lebensfreude, ihrerWärme, Großzügigkeit und Leich-tigkeit all jene Eigenschaften, dieder Film als förderlich für diegesellschaftliche Gesundungherauskehrt. Denn es ist Martha,die eine stabile soziale Formationermöglicht, mit ihrer Familie alsKeimzelle einer solidarischenGesellschaft.Zwar klammert diese Familie auch,und man muss sich buchstäblich

Man hat sich im Kino darangewöhnt, dass die mexikanischeJugend in einem wirtschaftlichinstabilen und sozial herunterge-kommenen Land wenig Zukunfthat. Die Filmemacherin ClaudiaSainte-Luce hält sich in ihrem opti-mistischen Debüt jedoch nichtallzu lange mit der Misere auf, son-dern hilft ihrer Heldin aus trüberSchwere heraus.Die 22-jährige Claudia ist ganz aufsich selbst gestellt. Ihren Vaterkennt sie nicht, und ihre Mutter hatsie im zarten Alter von zwei Jah-ren im Stich gelassen. Gleich demenervierend leckenden Wasser-hahn tropft die Zeit in ClaudiasLeben schwer dahin und verkün-det zugleich ihr erbarmungslosesVerstreichen. Offenbar hat Claudiakaum eine Wahl. So muss es schonals kleine Freiheit betrachtet wer-den, wenn sie morgens die unge-liebten lilafarbenen Pops aus denFrühstücksflocken aussortierenkann.Es ist ein schmaler Grat, auf demClaudia balanciert. Sie arbeitet ineinem Supermarkt auf Provisions-basis, aber das Geschäft gehtschlecht; erfolglos dient sie den

Kunden an einem Stand Würst-chen an. Doch ihr Schicksal wen-det sich zum Guten, als sie miteiner Blinddarmentzündung insHospital kommt und dort die anAIDS erkrankte Martha mit ihrendrei Töchtern und ihrem kleinenSohn kennenlernt. Fortan nimmtder Film den kleinen sozialen Ver-band in den Blick und beobachtetsorgfältig, wie er sich gegenüberder einsamen jungen Frau verhält.Denn obwohl Claudia von der tod-kranken, aber sehr lebensbeja-henden Martha ganz selbstver-ständlich im Kreis ihrer Familiewillkommen geheißen wird, siehtsie sich bald mit dem Argwohnund Neid der Töchter konfrontiert.Immerhin ist sie eine weitere Kon-kurrentin um die Gunst der Mutter,die durch ihre Krankheit nichtmehr so viel Raum für die Sorgenihrer Kinder hat.Die Inszenierung zeichnet ein ein-drückliches Bild davon, wieMarthas Krankheit die Familieständigem Stress aussetzt, wie sieihr keine Ruhe und Sicherheitgönnt. Gleichwohl tritt bei denKindern nach und nach auchErleichterung ein, da sie das neue

Optimistisches Drama über Krankheit und Lebensfreude

Der wundersame Katzenfisch

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neue Filmeim Kino

LOS INSÓLITOS PECES GATO. Mexiko/Frank-reich 2013

Regie, Buch: Claudia Sainte-Luce

Kamera: Agnès Godard

Musik: Madame Recamier

Schnitt: Santiago Ricci

Darsteller: Lisa Owen (Martha), XimenaAyala (Claudia), Sonia Franco (Alejandra),Wendy Guillén (Wendy), Andrea Baeza (Ma-riana), Alejandro Ramírez-Muñoz (Armando)

Länge: 89 Min. | Kinostart: 10.7.2014

Verleih: Arsenal | FD-Kritik: 42 446

Eine vereinsamte 22-jährige Mexikane-rin lernt bei einem Krankenhausaufent-halt eine an AIDS erkrankte Mutter mitdrei Töchtern und ihrem Sohn kennen.Sie wird in die Familie aufgenommen,was ihre unerfüllte Sehnsucht nachLiebe und Fürsorge etwas stillt. Als siedie Aufgaben der Mutter übernimmt,gewinnt sie das Vertrauen der zunächstmisstrauischen Kinder. Ein optimisti-sches Filmdebüt, das präzise und mitmeisterhaften Bildkompositionen dieAuswirkungen einer Krankheit aufeinen Familienverband registriert. Erstganz am Ende kippt der ernste undgleichzeitig leichtfüßige Ton zu sehr insSentimentale. – Ab 14.

BeweRtung DeR FiLMKoMMiSSion

den beengten Raum eines gelbenVW-Käfers miteinander teilen,doch dafür kann man sich auchauf ihre Wohlfahrt und Zuwen-dung verlassen. Allerdings wirdhier wieder einmal das Vermögen,Gemeinschaft und Beziehung zustiften, an die Frauen delegiert.Schade ist, dass die Filmemache-rin am Ende doch noch zu einersentimentalen Deutlichkeit greift,wenn Martha im Voice-Over ihrVermächtnis an die Kinder weiter-gibt. Da macht sie es den Männerndann doch allzu leicht, sich weiteraus der Verantwortung zu stehlen.Heidi Strobel

L‘EXTRAVAGANT VOYAGE DU JEUNE ETPRODIGIEUX T.S. SPIVET

Scope. Frankreich/Kanada 2013

Regie: Jean-Pierre Jeunet

Buch: J.-P. Jeunet, Guillaume Laurant

Kamera: Thomas Hardmeier

Musik: Denis Sanacore

Schnitt: Hervé Schneid

Darsteller: Kyle Catlett (T.S. Spivet), HelenaBonham Carter (Dr. Clair), Callum Keith Ren-nie (Vater), Judy Davis, Niamh Wilson

Länge: 105 Min. | FSK: ab 0; f

Verleih: DCM | Kinostart: 10.7.2014

FD-Kritik: 42 447

Ein hochbegabter Junge, der in Montanaauf einer Farm lebt, schlägt sich aufeigene Faust quer durch die halbe USAbis nachWashington durch, um einenWissenschaftspreis in Empfang zunehmen. Unterwegsmuss er sichmitSchuldgefühlen herumschlagen, da ersich für den Tod seines Zwillingsbrudersverantwortlich fühlt. Visuell überborden-de, poetisch-verschrobene Adaptioneines Jugendromans, in dem sich derProtagonist von seiner Herkunft emanzi-pierenmuss. Die familiären Konfliktewerden etwas zu leichtfertig gelöst,insgesamt aber gelingt ein komplexesDrama für Jung und Alt. – Ab 10.

BeweRtung DeR FiLMKoMMiSSion

wirklich-unwirkliche Inszenierung.Während auf der Ranch niemandahnt, womit sich der Jungebeschäftigt, vermutet in Washing-ton niemand, dass der Preisträgerein Zehnjähriger ist.Der Weg einmal quer bis zur Ost-küste ist weniger ein Road Movieals eine Art Entwicklungsroman.Heimlich, mit einem Güterzug,flieht der Junge. Es ist auch eineFlucht vor der eigenen Schuld, daer glaubt, mit seinen ballistischenExperimenten seinen Bruder getö-tet zu haben. In Washington will ernicht nur den Preis abholen, son-dern auch Vergebung erhalten. Inder Hauptstadt ist dieser Parzivalder Wissenschaft ein gefundenesFressen für die PR des Smithso-nian Instituts, für die Bildungspoli-tik und für die Medien.Der Film komprimiert die Ereig-nisse auf zwei Schlüsselszenen:Eine hysterische Museumsdirekto-rin und ein skrupelloser Talkmasterstehen stellvertretend für unserePotemkinsche Demokratie. Die Art,wie beide eine Abfuhr erhalten, istfür einen französischen Regisseurziemlich amerikanisch geraten,aber immerhin bekommt derJunge das, was er gesucht hat:nämlich eine Absolution.Man mag sich vielleicht daran stö-ren, dass die Adaption des außer-gewöhnlichen Debütromans von

Reif Larsen etwas großzügig aufein Happy End zuläuft. Reichlichschweres familiäres Konfliktpoten-tial wird in den letzten Minuten mitleichter Hand weggeräumt. Ande-rerseits ist es ein Film, der auch fürKinder zugelassen und ästhetischzugänglich ist, ohne für Erwach-sene langweilig zu werden. DiesenSpagat zu bewältigen, eineordentliche Geschichte sauber zuerzählen und gleichzeitig dieSchaueffekte nicht für Mätzchenzu missbrauchen, ist etwas, wasman in der heutigen Kinoland-schaft durchaus schätzen sollte.

Frédéric Beigbeder, Roy Anders-son, Jean-Pierre Jeunet und MarcCaro: der Weg von der Werbungzur Filmregie ist in gewissemSinne eine Rückkehr des Kinos derAttraktionen. In diese Reihe passtder jüngste Film von Jean-PierreJeunet. „Die Karte meiner Träume“ist in 3D konzipiert, ohne dieüblichen Spielereien, dafür aberals Tor zur Welt eines zehnjährigenNerds. Kyle Catlett spielt den Jun-gen, der sich mehr für Ballistik alsfür wirkliche Winchester-Gewehreinteressiert. Er wächst in Montanaauf einer Ranch in einer ziemlichschrägen Familie auf. Der Vater istein schweigsamer Rancher, dieMutter eine verbohrte Insektologin,die Schwester will Schönheitsköni-gin werden, und der Bruderschießt auf alles, was sich bewegt.Der hochbegabte Junge nervt denörtlichen Lehrer, gewinnt aber denWissenschaftspreis des Smithso-nian Instituts, mit einem magne-tischen Perpetuum mobile, das400 Jahre lang laufen soll.In der Welt der Werbung geht esschrill und plakativ zu, wie in denTräumen eines Zehnjährigen oderin unserer medial durchgestyltenWelt. Daraus saugt der Film seinevisuelle Kraft. Während das Lebenauf der Ranch ein unwirklich-wirk-licher Kindertraum ist, erscheintdas Dasein in Washington wie eine

Überbordende Jugendbuch-Adaption in 3D

Die Karte meiner Träume

Thomas Brandlmeier

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