Florian Trabert, Mara Stuhlfauth-Trabert, Johannes … H. C. Artmanns Frankenstein in Sussex...

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Florian Trabert, Mara Stuhlfauth-Trabert, Johannes Waßmer (Hg.)Graphisches Erzählen

Lettre

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Florian Trabert,Mara Stuhlfauth-Trabert,Johannes Wassmer (Hg.)

Graphisches ErzählenNeue Perspektiven auf Literaturcomics

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Inhalt

Vorwort. Graphisches Erzählen in LiteraturcomicsMara Stuhlfauth-Trabert/Florian Trabert | 9

Mediale Reflexionen

Nicolas Mahlers LiteraturcomicsMonika Schmitz-Emans | 19

»Das nicht, bitte das nicht!« Körperdarstellung in Comicversionen von Schnitzlers Fräulein Else und Kafkas Die VerwandlungTorsten Hoffmann | 43

Die Geschichte meines Lebens. Comicversionen von Helen Kellers berühmter AutobiographieOle Frahm | 65

MetacoMics

›Doing literature while talking about it.‹ Literatur/Comics lesen lernen mit The UnwrittenPeter Scheinpflug | 89

»Comics sind gefährlich!« Flix’ Don Quijote als MetacomicFlorian Trabert | 109

»Was lesen wir denn da?« – Über Nicolas Mahlers visuelle Verdichtung und intertextuelle Fortschreibung von H. C. Artmanns Frankenstein in SussexWolfgang Reichmann | 125

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ModeRnisieRungen

Erotisches Spiel mit Außen- und Innenwelt. Jakob Hinrichs’ Traumnovelle nach Arthur SchnitzlerDietrich Grünewald | 145

Gregor Samsa als Bug Boy. Eine japanische Kafka-Adaption unter den Vorzeichen des Hikikomori-DiskursesJoanna Nowotny/Bettina Jossen | 171

Interkulturelle Stereotype und Klischees in Flix’ Faust und Posy Simmonds’ Gemma BoveryMara Stuhlfauth-Trabert | 189

Ist Wien Kakanien? Die Comicadaption des Mann ohne Eigenschaften von Magdalena SteinerGiovanni Remonato | 207

VeRMittlung

»Am Ende war das Wort« – und am Anfang das Vertrauen in Karl Kraus. Zu David Bollers und Reinhard Pietschs Vermittlung von Die letzten Tage der Menschheit Johannes Waßmer | 229

Goethe als Bastelei – Literaturrezeption im Medium ComicSebastian Tupikevics | 245

Comics im Mittelalter – Mittelalter in Comics. Zur Verbildlichung des Sagenstoffs von Dietrich von Bern Svenja Fahr | 263

studieRendenbeitRäge

Transformationstechniken und intermediale Zitate in Karasiks und Mazzucchellis Paul Austers Stadt aus GlasRobin-M. Aust | 285

Die Panelstruktur kann eigene Geschichten erzählen. Analyse von Paul Karasiks und David Mazzucchellis Paul Austers Stadt aus GlasLisa-Carolin Krause | 301

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Stimmung und Kolorierung in Ricards und Maëls Kafka-Comic In der StrafkolonieSascha Winkler | 309

Vom Kreistanz zur modernen Weltgeschichte. Der Comic Reigen von Birgit Weyhe als Adaption von Arthur Schnitzlers gleichnamigem TheaterstückAnja Joszt | 317

Mythos und Moderne: Zwei Welten in Manuele Fiors IkarusDenise Pfennig | 327

HinteR deR Kulisse

Huck Finn – Vom Mississippi an die Saale. Ein WerkstattberichtOlivia Vieweg | 339

Autorinnen und Autoren | 345

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Vorwort. Graphisches Erzählen in Literaturcomics

Mara Stuhlfauth-trabert/florian trabert

Wenngleich Text und Bild schon seit jeher auf das engste miteinander verflochten sind und sich im Laufe der gemeinsamen Geschichte dieser Medien so unterschied-liche Kunstformen wie Illustrationen oder Emblemata herausgebildet haben, stellt die Verbindung der Künste Literatur und Comic, denkt man in kulturgeschichtli-chen Maßstäben, ein vergleichsweise junges Phänomen dar. Zurückzuführen ist dies natürlich in erster Linie auf den Umstand, dass sich der Comic erst im Laufe des 20. Jahrhunderts als eigenständige Kunstform etabliert hat. Aber auch die un-terschiedliche kulturelle Wertschätzung, die diesen beiden Kunstformen lange Zeit entgegengebracht wurde, hat dazu geführt, dass das Verhältnis zwischen ›hoher‹ Literatur und ›trivialem‹ Comic lange Zeit distanziert blieb, obwohl zwischen den Künsten vor allem aufgrund der narrativen Elemente viele Analogien bestehen.1 Beispiele für frühe Comicadaptionen literarischer Texte lassen sich gleichwohl nennen: so die Bände der zwischen 1941 und 1971 bestehenden Reihe Classics Illustrated, die sich durch die relativ simple didaktische Zielsetzung auszeichnen, junge Leser an ›hohe‹ Literatur heranzuführen,2 aber auch viele Geschichten der im Entenhausen-Kosmos angesiedelten und seit 1967 erscheinenden Lustigen Ta-schenbücher, in denen die überwiegend aus Italien und Skandinavien stammenden Zeichner die unterschiedlichsten literarischen Stoffe mit zumeist parodistischer Intention umgesetzt haben.3

1 Vgl. Monika Schmitz-Emans: Literatur-Comics. Adaptationen und Transformationen der Weltliteratur, Berlin/Boston 2012, S. 7f.

2 Urs Hangartner: Von Bildern und Büchern. Comics und Literatur – Comic-Literatur, in: Text+Kritik, Sonderband: Comics, Mangas, Graphic Novels (2009), S. 35-56, hier S. 39.

3 Eine Besonderheit im deutschsprachigen Raum stellen zudem Erika Fuchs’ Übersetzungen der Entenhausen-Comics von Carl Barks dar, die mit Anspielungen auf die klassische deutsche Literatur gespickt sind.

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In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich das Verhältnis zwischen Literatur und Comic indes grundlegend geändert. Literaturcomics, hier verstanden als Comic-adaptionen literarischer Texte, haben sich innerhalb weniger Jahre zu einem Gen-re entwickelt, das sich durch eine enorm hohe Dynamik auszeichnet. Auch wenn es sicherlich problematisch ist, den Beginn dieser Entwicklung an ein bestimmtes Werk zu knüpfen, ist in Paul Karasiks und David Mazzucchellis 1994 publizierter Umsetzung von Paul Austers Roman Stadt aus Glas sicherlich eines der frühe-sten Beispiele für einen Literaturcomic zu sehen, der seinen Rang als eigenstän-diges Kunstwerk neben der Vorlage zu behaupten vermag.4 Bedeutsam ist dabei auch, dass Karasiks und Mazzucchellis Literaturcomic als erster Band der von Art Spiegelman und Bob Callahan herausgegebenen Reihe »Neon Lit« erschien. Spiegelman, der mit seinen wenige Jahre zuvor publizierten Maus-Comics einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Nobilitierung der Kunstform Comic gelei-stet hatte, sah das Ziel darin, »keine stumpfsinnigen ›Illustrierten Klassiker‹« zu publizieren, »sondern visuelle ›Übersetzungen‹ – tatsächlich lesenswert für ein erwachsenes Publikum«5.

Tatsächlich sind die meisten Literaturcomics, die den Gegenstand dieses Sam-melbands bilden, nach der Jahrtausendwende oder sogar erst in diesem Jahrzehnt entstanden. Das zunehmende Selbstbewusstsein der Kunstform Comic lässt sich dabei auch an dem Umstand ablesen, dass die Zeichner oftmals literarische Texte adaptieren, die sich aufgrund ihrer sprachlichen Komplexität und ihres essayisti-schen Charakters einer Umsetzung in das Medium Comic zu entziehen scheinen: Zu verweisen wäre hier auf Stéphane Heuets seit 1998 entstehende Comicadap-tion von Marcel Prousts Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, aber auch auf den erstaunlichen Umstand, dass von Robert Musils umfangreichem Zeitroman Der Mann ohne Eigenschaften und Karl Kraus’ nicht minder sperrigem Lesedrama Die letzten Tage der Menschheit in den letzten Jahren jeweils zwei Adaptionen entstanden sind, die sich durch vollkommen unterschiedliche Ansät-ze auszeichnen.6 Die obligatorischen Klagen über das Comic-›Entwicklungsland‹ Deutschland sind angesichts der Wertschätzung, die Comics in Ländern wie Bel-gien, Frankreich, den USA und Japan genießen, nicht vollkommen obsolet ge-worden; sie verlieren aber angesichts der wachsenden Zahl von Zeichnern aus

4 Vgl. Andreas Platthaus: Im Comic vereint. Eine Geschichte der Bildergeschichte, Frankfurt a.M./Leipzig 2000, S. 75-98; Hangartner: Von Bildern und Büchern, S. 40.

5 Art Spiegelman: Stadt aus Bildern statt aus Worten: Stadt aus Glas, in: Paul Karasik/David Mazzucchelli: Paul Austers Stadt aus Glas, Berlin 2004, S. 3-5, hier S. 4.

6 Vgl. hierzu die Beiträge von Giovanni Remonato, Monika Schmitz-Emans und Johannes Waßmer in diesem Band.

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dem deutschsprachigen Raum zunehmend an Berechtigung.7 Zudem stellt sich die Frage, welchen Sinn derartige nationale Perspektiven überhaupt noch ha-ben, da gerade Literaturcomics an dem Goethe’schen Projekt der ›Weltliteratur‹ partizipieren:8 Viele der hier untersuchten Comics praktizieren oder thematisieren kulturelle Austauschprozesse, indem sie literarische Texte aus anderen Kulturkrei-sen adaptieren bzw. interkulturelle Begegnungen zu einem zentralen Handlungs-moment werden lassen.9

Im Anschluss an die grundlegenden Arbeiten von Monika Schmitz-Emans werden Literaturcomics hier als Comics verstanden, die sich »auf einen literari-schen Text (oder mehrere) in einer Weise bezieh[en], die der Beziehung zwischen Hypertext und Hypotext im Sinne Gérard Genettes analog ist«10. Der zur Benen-nung des Verhältnisses von Hypertext und Hypotext, also Vorlage und Umsetzung, oft verwendete Begriffe ›Adaption‹ bzw. ›Adaptation‹ ist indes nicht ganz unpro-blematisch; es erscheint notwendig in den Blick zu nehmen, welche Aspekte am Phänomen der Literaturcomics dieser Begriff möglicherweise unterdrückt. Dass der Comiczeichner Flix für seine Umsetzungen literarischer Texte ins Medium Comic den Begriff »Neuinszenierung«11 bevorzugt, hat durchaus auch sachliche Gründe. Während der Begriff ›Adaption‹ zumindest aufgrund seiner Etymologie – das lateinische Verb ›adaptare‹ bedeutet ›anpassen‹ – ein eher statisches Ver-hältnis zwischen Hypertext und Hypotext impliziert, deutet der Begriff ›Neuin-szenierung‹ an, dass sich dieses Verhältnis oft weitaus dynamischer gestaltet, und die Comicfassung somit als ›neues‹ und eigenständiges Werk zu gelten hat. Als weitgehend obsolet und im wahrsten Sinne des Wortes ›konservativ‹ erweist sich die Vorstellung, dass Literaturcomics den Gehalt der Vorlage im Sinne der ›Werk-treue‹ möglichst verlustfrei in das neue Medium transportieren. Zudem betont der Begriff ›Neuinszenierung‹ die Nähe vieler Literaturcomics zu Literaturverfilmun-gen oder auch zu den in letzter Zeit auf vielen Bühnen sehr populären Dramatisie-rungen von Erzähltexten. Ein entscheidender Unterschied ist allerdings darin zu

7 Vgl. hierzu auch Dietrich Grünewald: Zur Comicrezeption in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 64 (2014), H. 33-34, S. 42-48.

8 Vgl. Monika Schmitz-Emans: Der Comic als ›übersetze Literatur‹? Literaturcomic, Übersetzung und Kulturtransfer bei Tezuka Osamu, in: Hiroshi Yamamoto/Christine Ivanovic (Hg.): Übersetzung – Transformation. Umformungsprozesse in/von Texten, Medien, Kulturen, Würzburg 2010, S. 123-142.

9 Vgl. hierzu die Beiträge von Joanna Nowotny/Bettina Jossen und Mara Stuhlfauth-Trabert in diesem Band.

10 Schmitz-Emans: Literatur-Comics, S. 11f.

11 Frank Schirrmacher: Ich sehe was, was Du nicht siehst, in: Flix: Don Quijote, Hamburg 2012, S. 12.

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sehen, dass der Text bei Literaturcomics mit der visuellen Dimension eine Einheit bildet, bei Verfilmungen und Dramatisierungen hingegen in gesprochene Sprache und die vielfältigsten inszenatorischen Parameter umgesetzt wird.

Damit ist die für viele Beiträge dieses Bandes leitende Fragestellung nach dem Verhältnis von literarischer Vorlage und Neuinszenierung im Medium Comic an-gesprochen, wobei das Spektrum von eng an die literarische Vorlage angelehnten Umsetzungen bis zu den Hypotext hochgradig verfremdenden Adaptionen reicht. Prinzipiell lässt sich konstatieren, dass sich die meisten Literaturcomics an einen (impliziten) Leser wenden, dem die Vorlage bekannt ist, da der spezifische Reiz der ›Neuinszenierung‹ gerade aus dem Spannungsverhältnis zu der Vorlage resul-tiert und sich zumeist nicht auf einen didaktischen Vermittlungsaspekt begrenzt. Hieraus ergibt sich zudem, dass Literaturcomics immer auch Interpretationen ih-rer Vorlagen darstellen – der Neuinszenierung entspricht die Neudeutung. Eine besonders offenkundige Form dieser Neudeutung stellt die Verlegung des Stoffes in die Gegenwart dar, wie sie sich etwa exemplarisch bei den beiden Literaturco-mics von Flix, Faust und Don Quijote, beobachten lässt, deren Handlung nicht mehr in der frühen Neuzeit, sondern im Berlin der Gegenwart situiert ist. Wie Andreas Platthaus am Beispiel von Karasiks und Mazzucchellis Paul Austers Stadt aus Glas ausgeführt hat, ist die mit dem Medienwechsel verbundene In-terpretation aber durchaus auch kritisch zu werten: Literaturcomics vereinfachen und vereindeutigen ihre literarische Vorlage, da die interpretatorische Leistung des Zeichners der des Rezipienten bereits vorausgegangen ist.12 Auch wenn diese Tendenz sicherlich bei vielen Literaturcomics zu beobachten ist, sollte dabei nicht vergessen werden, dass durch die Hinzufügung der visuellen Dimension prinzi-piell auch neue interpretatorische Herausforderungen entstehen können; dies ist etwa der Fall, wenn Text und Bild in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinan-der stehen oder der Zeichner auf textliche Elemente nahezu vollständig verzichtet – wofür der erste Abschnitt von Nicolas Mahlers Der Mann ohne Eigenschaften ein gleichermaßen virtuoses wie provozierendes Beispiel darstellt.13

Diese Überlegungen verdeutlichen, dass sich die beschriebene interpretato-rische Qualität vieler Literaturcomics gerade aus den medialen Differenzen der beiden Kunstformen Literatur und Comic ergibt. Aus intermedialitätstheoretischer Perspektive sind Literaturcomics hochinteressant, da sie durch eine mehrfache mediale Hybridisierung gekennzeichnet sind: Stellen Comics prinzipiell eine Text-Bild-Komposition dar, so gewinnt das Verhältnis zwischen diesen beiden

12 Vgl. Platthaus: Im Comic vereint, S. 82; vgl. hierzu auch den Beitrag von Torsten Hoffmann in diesem Band.

13 Vgl. Nicolas Mahler: Der Mann ohne Eigenschaften, Berlin 2014, S. 9-28; vgl. hierzu auch den Beitrag von Monika Schmitz-Emans in diesem Band.

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Medien in Literaturcomics durch den intertextuellen Bezug auf die literarische Vorlage eine zusätzliche Dynamik. Die Annahme einer größeren Textlastigkeit von Literaturcomics im Vergleich zu anderen Comics ist zwar naheliegend, aber keinesfalls grundsätzlich zutreffend; nicht selten dominiert in Literaturcomics die visuelle Dimension, die durch interpikturale14 Bezüge auf materielle pictu-res und immaterielle images15 sowie die Auseinandersetzung mit der gleichfalls hochgradig hybriden Kunstform Film eine zusätzliche Komplexität erhält.16 Aus diesem Grund erscheint es auch zu reduktionistisch, sich bei der Analyse von Li-teraturcomics auf den binären Vergleich zwischen Vorlage und Comicadaption zu beschränken, da eine solche Betrachtungsweise gerade dem Anspielungsreichtum der visuellen Ebene nicht gerecht wird. Insgesamt partizipieren Literaturcomics an einem auch in anderen Gegenwartskünsten zu beobachtenden Trend, der sich als ›Referenzialismus‹ bezeichnen lässt: Gemeint ist hiermit, das Verweise auf andere Werke »zum Movens und formgebenden Verfahren künstlerischer Arbei-ten avancieren«17. Indem Literaturcomics somit komplexe Verweissysteme bilden, welche die unterschiedlichsten Künste einbeziehen, dekonstruieren sie zugleich die (vermeintliche) Differenz zwischen ›hoher‹ und ›niedriger‹ Kultur. Ein an-schauliches Beispiel für diesen Vorgang ist das Bildzitat von Goyas berühmter Graphik El sueño de la razón produce monstruos, das sich gleichermaßen in den Literaturcomics Alte Meister von Nicolas Mahler und Don Quijote von Flix fin-det: Im Kontext der beiden Comics ist das Bildzitat nicht nur ein Verweis auf ein kanonisches Werk der europäischen Kunstgeschichte, sondern zugleich auf ein Ikon der Populärkultur, nämlich das Batman-Symbol.18

Wie das Beispiel zeigt, führt die Auseinandersetzung mit anderen Medien bei den Literaturcomics auch zu einer erhöhten Reflexion der eigenen Medialität. Ein wenig zugespitzt ließe sich sagen, dass viele Literaturcomics auch Metacomics sind. Ein besonders auffälliges Indiz für diese Tendenz zur medialen Reflexion

14 Die synonymen Begriffe ›Interpikturalität‹ und ›Interikonizität‹ sind in Analogie zum schon länger gebräuchlichen Begriff ›Intertextualität‹ gebildet worden (vgl. Valeska von Rosen: Interpikturalität, in: Ulrich Pfisterer (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, S. 208-211).

15 Vgl. zu dieser Unterscheidung: W.J.T. Mitchell: Metabilder, in: ders.: Bildtheorie, Frankfurt a.M. 2008, S. 172-233, hier S. 174.

16 Vgl. hierzu die Beiträge von Dietrich Grünewald und Peter Scheinpflug in diesem Band.

17 Isabelle Graw/Stefanie Kleefeld/André Rottmann: Vorwort, in: Texte zur Kunst 71 (2008), S. 4-6, hier S. 6; vgl. zudem Frédéric Döhl/ Renate Wöhrer: Einleitung, in: dies.: Zitieren, appropriieren, sampeln. Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten, Bielefeld 2014.

18 Vgl. hierzu die Beiträge von Monika Schmitz-Emans und Florian Trabert in diesem Band.

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sind bestimmte emblematische Figuren, die in den unterschiedlichsten Litera-turcomics auftreten und sich dabei – wie einige Beiträge dieses Sammelbandes zeigen – als Inkarnationen der genannten Prozesse der Hybridisierung, Transfor-mation und Selbstreflexion deuten lassen: Zu nennen wären hier das reichhaltige Figurenarsenal aus den Alice-Erzählungen von Lewis Carroll, Gregor Samsa aus Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung19, das als Chiffre für Montage-Verfah-ren der unterschiedlichsten Art fungierende Frankenstein-Monster oder auch die Don Quijote-Figur.20

Nicht zuletzt die Gründung der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) im Jahr 2005 hat zu einer Ausdifferenzierung der Comicforschung im deutschsprachi-gen Raum beigetragen. Der vorliegende Sammelband folgt dieser Entwicklung, indem er ausführliche Analysen zu Literaturcomics bietet, zu denen bisher kaum Forschungsliteratur vorliegt; er baut dabei auf den grundlegenden Publikationen von Monika Schmitz-Emans zu diesem Thema auf,21 unterscheidet sich aber von diesen durch einen stärkeren Fokus auf die deutschsprachige Literatur sowie auf in den letzten Jahren publizierte Literaturcomics. Die Beiträge dieses Sammel-bandes sind nach übergeordneten Gesichtspunkten gegliedert. Die in der ersten Abteilung versammelten Beiträge gehen schwerpunktmäßig den Fragen der me-dialen Reflexion nach, die für das Phänomen Literaturcomic charakteristisch sind. Während Monika Schmitz-Emans in ihrem Beitrag den karikierenden und reduk-tionistischen Stil in Nicolas Mahlers drei großen Literaturcomics analysiert, stellt

19 Vgl. hierzu die Beiträge von Dietrich Grünewald und Monika Schmitz-Emans in die-sem Band.

20 Vgl. hierzu die Beiträge von Wolfgang Reichmann, Peter Scheinpflug, Monika Schmitz-Emans und Florian Trabert in diesem Band.

21 Vgl. Monika Schmitz-Emans: Literatur-Comics sowie dies. (Hg.): Comic und Literatur: Konstellationen, Berlin u.a. 2012.

links: Goya: El sueño de la razón produce monstruos; mitte: Mahler: Alte Meister, S. 27; rechts: Flix: Don Quijote, S. 16.