Freie und Hansestadt Hamburg - Berlin2015 wurde Ihnen am 15. Juni 2015 zugestellt. Die Erhebung des...
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VW 24 (PW) – Lösungsvorschlag von SR Pöhler
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Muster eines Widerspruchsbescheids mit Lösungsskizze im Anhang
Freie und Hansestadt Hamburg Hamburg, den 09. September 2015
Bezirksamt Hamburg-Nord Bezirksamt Nord, Kümmelstraße 7, 20243 Hamburg
Widerspruchsausschuss
Aktenzeichen: N/WI213 IGN 50464
Mit Empfangsbekenntnis
An die Herren Rechtsanwälte Dr. Walter Wittmund und Hein Claasen Palmaille 38 22767 Hamburg
Betreff: Nutzung der Musikanlage in der Gaststätte „Kandahar“
Bezug: Widerspruch vom 13.Juli 2015 gegen den Bescheid vom 12.Juni 2015
Widerspruchsbescheid
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Claasen,
in seiner Sitzung vom 09. September 2015 hat der zuständige
Widerspruchsausschuss auf den namens und in Vollmacht Ihrer Mandantin Frau
Bagharian erhobenen Widerspruch vom 13. Juli 2015 gegen den Bescheid des
Bezirksamtes Hamburg-Nord vom 12. Juni 2015 folgendes entschieden:
1. der Bescheid des Bezirksamtes Hamburg-Nord vom 12. Juni 2015 wird
dahingehend abgeändert, als dass jetzt nur noch untersagt wird, die Musikanlage
in der Gaststätte „Kandahar“ in einer höheren Lautstärke als 25 dB(A) zu
betreiben und dass nur ein Zwangsgeld in Höhe von 1000,- € angedroht wird.
2. Im Übrigen wird der Widerspruch zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens sind von Ihrer Mandantin und der Freien
Hansestadt Hamburg je zur Hälfte zu tragen.
4. Die sofortige Vollziehung wird angeordnet
5. Die Zuziehung eines Rechtsanwaltes wird als notwendig anerkannt.
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Gründe
I. Sachverhalt
Mit Ihrem Widerspruch wenden Sie sich gegen den Bescheid des Bezirksamtes
Hamburg-Nord vom 12. Juni 2015, zugestellt am 15. Juni 2015, in dem gegenüber
Ihrer Mandantin Frau Aymée Bagharian mehrere Verfügungen bezogen auf die
Nutzung der Gaststätte „Kandahar“ erlassen worden sind.
Ihre Mandantin betreibt in der Hoheluftchaussee 75, 20253 Hamburg die Gaststätte
„Kandahar“ in einem Mehrfamilienhaus. Die Gaststätte liegt bauplanungsrechtlich in
einem allgemeinen Wohngebiet. Am 25.07.2000 erhielt Ihre Mandantin die Erlaubnis
für den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere
Betriebseigentümlichkeit mit der Auflage, Tonwiedergabegeräte und
Musikinstrumente nur in solcher Lautstärke zu benutzen, dass sie außerhalb des
Betriebes nicht störend hörbar sind.
Während in den letzten Jahren keine besonderen Auffälligkeiten zu verzeichnen
waren, kam es seit 2015 zu wiederholten Beschwerden, insbesondere von dem direkt
über der Gaststätte wohnenden Nachbarn. Bei den darauf folgenden Polizeieinsätzen
stellte sich heraus, dass Ihre Mandantin seit Anfang des vorigen Jahres regelmäßig
musikalische Veranstaltungen bis 01.00 Uhr in der Nacht durchführte, die ein
größeres Publikum anzogen.
Hierüber wurde zuletzt am 02. Juni 2015 mit Ihnen und Ihrer Mandantin ein Gespräch
geführt, wobei darauf hingewiesen wurde, dass der momentane Betrieb nicht der
Erlaubnis entspreche und sich die Situation ändern müsse. Als sich an der Situation
bezüglich der lärmintensiven Veranstaltungen nichts änderte, wurde Ihrer Mandantin
mit dem am 15. Juni 2015 zugestellten Bescheid des Wirtschafts- und
Ordnungsamtes vom 12. Juni 2015 die Auflage erteilt, dass keine Live-Musik oder
Gesangsveranstaltungen mehr durchgeführt werden dürften, ebenso wurde der
Betrieb der Musikanlage untersagt. Hierbei berief sich das Amt auf § 5 Abs. 1 Nr. 3
Gaststättengesetz (GastG). Zudem wurde Ihrer Mandantin für den Fall der
Zuwiderhandlung ein Bußgeld in Höhe von 2000 € angedroht.
Dagegen wendeten Sie sich mit Ihrem Widerspruch vom 13. Juli 2015.
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Zur Begründung tragen sie vor, dass die Ihrer Mandantin erteilte Betriebserlaubnis
vom 25. Juli 2000 das Recht umfasse, Tonwiedergabegeräte und Musikinstrumente
in einer solchen Lautstärke zu verwenden, dass sie außerhalb des Betriebes nicht
störend hörbar sind.
Zudem würde es seit Kriegsende in den Räumen der Gaststätte Musik- und
Gesangsveranstaltungen geben und dagegen sei nie eingeschritten worden. Da die
Veranstaltungen der Vorgänger zudem noch größer gewesen seien, liege ein
Ermessensfehler vor.
Ferner monieren sie, dass es keine Lärmprüfung von Seiten der Behörde gegeben
habe; auch haben sich 19 der 20 Mietparteien des Mehrfamilienhauses nicht
beschwert. Unter Protest gegen die Beweislast bringen sie ein Protokoll der
Schallmessung durch den allgemein als Sachverständigen für Lärmmessungen
vereidigten Dipl.-Ing. Stuve vom 23.Juni 2015 bei. Aus diesem gehe hervor, dass die
Musikanlage bei der Einstellung normalerweise nie den Beurteilungspegel nach der
TA Lärm (25 dB(A)) überschreite. Dieser Wert werde in der einschlägigen
Fachliteratur als „sehr leise“ und „angenehm für Schlafräume während der Nacht“
beschrieben. Zu einem höheren Geräuschpegel komme es nie, da Ihre Mandantin
generell keine höhere Einstellung verwende.
Sie bringen vor, dass durch die Auflage die wirtschaftliche Existenz Ihrer Mandantin
bedroht sei. Deren Kalkulation liege die Erwartung zu Grunde, regelmäßig
Einnahmen aus Musik- und Gesangsveranstaltungen zu erzielen. Ein normaler
Restaurantbetrieb führe dazu, dass der Betrieb aufgegeben werden müsse.
II. Rechtslage
1. Der Widerspruchsausschuss ist für die Entscheidung über Ihren Widerspruchs
gemäß §§ 73 Abs. 1 Satz 3, 185 VwGO sowie § 73 Abs.
2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 7 Abs. 2 des
Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) in
Verbindung mit § 1 der Verordnung über Widerspruchsausschüsse zuständig.
Ihr Widerspruch ist zwar zulässig aber nur teilweise begründet.
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2. Ihr namens und in Vollmacht erhobener Widerspruch ist zulässig.
a.) Er ist insbesondere fristgerecht gemäß § 70 Abs. 1 VwGO innerhalb eines
Monats nach Bekanntgabe erhoben worden, denn der Bescheid vom 12. Juni
2015 wurde Ihnen am 15. Juni 2015 zugestellt. Die Erhebung des Widerspruchs
erfolgte zum 13. Juli 2015 nach den §§ 57 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO, 188 BGB.
b.) Ebenso ist er statthaft i. S. des § 68 VwGO, da im o.g. Bescheid bei den
einzelnen Maßnahmen nach Gaststättengesetz und der Gewerbeordnung sowie
des VwVG um die Aufhebung von anfechtbaren Verwaltungsakten i.S.d. § 35
VwVfG gestritten wird. Trotz der Bezeichnung als „Auflage“ in § 5 Abs. 1 GastG
handelt es sich bezüglich der Verbotsverfügung betreffend der
Tanzveranstaltungen und der Musikanlage nicht um Auflagen i.S.d. von
selbstständig anfechtbaren Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt
nach § 36 VwVfG, sondern um die Anfechtung von Hauptregelungen selbst.
Gleiches gilt für die Zwangsgeldandrohung nach §§ 11, 13 VwVG, die ebenso
als anfechtbarer Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.
c.) Zudem ist die Widerspruchsbefugnis gegeben, denn es besteht zumindest die
Möglichkeit, dass Ihre Mandantin durch die Verwaltungsentscheidungen analog
§ 42 Abs.2 VwGO in ihrer über Artikel 12 Grundgesetz (GG) geschützten
Berufsfreiheit verletzt worden ist.
3. Ihr Widerspruch gegen die Maßnahmen des Wirtschafts- und Ordnungsamtes der
a.) Untersagung der Live-Musik und Gesangsveranstaltungen,
b.) Untersagung des Betriebs der Musikanlage und
c.) Zwangsgeldandrohung
ist aber nur teilweise begründet.
a.) Die Untersagung der Live-Musik oder Gesangsveranstaltungen findet ihre
Grundlage nicht in der Auflagenbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG, sondern in
der Untersagung der Fortsetzung des aktuell illegalen Betriebes nach § 15 Abs. 2
Gewerbeordnung (GewO) in Verbindung mit § 31 GastG. Dabei handelt es sich
zunächst ausweislich der im Jahr 2000 erteilten Erlaubnis gemäß § 2 Abs. 1 GaststG
bei dem Betrieb der Gaststätte um ein erlaubnispflichtiges Gaststättengewerbe, so
dass § 35 Abs. 1 GewO als Rechtsgrundlage von Vornherein ausscheidet.1
1 Auch § 17 BImSchG scheidet als Rechtsgrundlage aus, weil diese Norm nur für genehmigungsbedürftige Anlagen
nach dem BImSchG anwendbar ist. Hier geht es aber um ein nach der Gaststättengesetz erlaubnispflichtiges
Gewerbe. Vertretbar mit entsprechender Begründung wäre evtl. § 5 GastG i.V.m. den §§ 22, 24 BImSchG i.V.m. §
3 BImSchG, obwohl es angesichts der existierenden gewerberechtlichen Rechtsgrundlage eher fernliegend wäre.
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Die erforderliche Anhörung im Sinne des § 28 VwVfG ist bereits durch das Gespräch
am 2. Juni 2015 durchgeführt worden.
§ 5 GastG scheidet allerdings wie erwähnt als Rechtsgrundlage für die Untersagung
der Tanzveranstaltungen aus, weil die konkreten Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr.
3 GastG für „schädliche Umwelteinwirkungen“ gegenüber der Nachbarschaft nicht
ansatzweise nachgewiesen worden sind.
Für eine Auflage nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG bedarf es einer schädlichen
Umwelteinwirkung im Sinne des § 3 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes
(BImSchG). Danach muss es sich um Immissionen handeln, die nach Art, Ausmaß
und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche
Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft (wozu im BImSchG nicht
nur Eigentümer, sondern auch Mieter gehören) herbeizuführen.
Hierzu gehören gemäß § 3 Abs. 2 BImSchG auch Geräusche. Wann Geräusche als
schädlich einzustufen sind, ergibt sich aus den Technischen Anleitung zum Schutz
gegen Lärm (TA-Lärm), die auch auf Gaststätten als nicht genehmigungsbedürftige
Anlagen i.S.d. §§ 22 ff. BImschG anwendbar ist (BVerwGE 31, 15, 20). Nach TA-
Lärm Nr. 6.2 sind die Immissionsrichtwerte für Immissionsorte innerhalb von
Gebäuden für die hier entscheidende Nachtzeit auf 25 dB(A) festgelegt, wobei die
TA-Lärm deren Überschreitung durch kurzzeitige Geräuschspitzen um höchstens 10
dB(A) zulässt. Dass diese Grenzwerte überschritten worden sind, muss die Behörde
darlegen. Hierbei muss sie genau prüfen, inwiefern es zu Auswirkungen bei der
Nachbarschaft kommt. Wenn die eigene Beweis- und auch Amtsermittlungspflicht aus
Personal- oder Geldmangel gescheitert ist, kann sie sich nicht einfach auf eine
Prognose stützen, sondern muss andere Mittel wählen. Unter anderem hätte sie Ihrer
Mandantin die Einholung eines geeigneten Gutachtens auferlegen können, welches
die lärmrechtliche Unbedenklichkeit genau am Einwirkungsort – der Wohnung des die
Beschwerde führenden Mieters – nachweist. Jedenfalls sind die vorgetragenen
Messwerte Ihrer Mandantin bezüglich der Musikanlage selbst durch den von ihr privat
beauftragten Dipl. Ing. Stuve absolut ungeeignet, da sie sich nicht auf die für das
Wohnen bestimmten Räume beziehen.
Indem die Ausgangsbehörde – aus welchen Gründen auch immer – keine derartigen
geeigneten und aussagekräftigen Gutachten vorgelegt oder herangezogen hat, ist sie
ihrer Beweislast nicht nachgekommen.
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Mithin gelten die schädlichen Umwelteinwirkungen nicht als in ausreichender Weise
für eine behördliche Anordnung als nachgewiesen, so dass eine Auflage nicht auf §
5 Abs.1 Nr. 3 GastG gestützt werden kann.
Es liegen aber die Voraussetzungen für eine Verhinderung der Fortsetzung des
Betriebes nach § 15 Abs. 2 GewO in Verbindung mit § 31 GastG vor, denn Ihre
Mandantin betreibt die Gaststätte nicht mehr so, wie es ihrer Betriebsgenehmigung
aus dem Jahr 2000 entsprach. Die Widerspruchsführerin betreibt ein nach § 2 Abs. 1
Satz 1 GastG der Erlaubnispflicht unterliegendes Gaststättengewerbe. Diese
erforderliche Erlaubnis liegt nicht mehr vor, da nach § 3 Abs. 1 GastG die Erlaubnis
nicht nur allgemein, sondern „für eine bestimmte Betriebsart“ zu erteilen ist, die nach
der Art und Weise der Betriebsgestaltung, u.a. nach den Darbietungen, bestimmt
wird. Eine wesentliche Veränderung der ursprünglichen Betriebsgestaltung hat daher
zur Folge, dass der ganze Gaststättenbetrieb – und nicht nur der veränderte Teil der
Betriebsgestaltung – erneut genehmigt werden muss. Dass es sich bei dem
derzeitigen Gaststättenbetrieb "Kandahar" um eine illegale Nutzungsänderung
handelt, ergibt sich schon nach genauer Auswertung des Wortlautes der
Genehmigung aus dem Jahr 2000 im Vergleich zur tatsächlich seit 2015 praktizierten
und auch von Ihnen zugegebenen Nutzung.
Es handelt sich bei der zugegebenen Durchführung von Live-Musik oder
Gesangsveranstaltungen um eine Nutzungsänderung im Sinne des GastG.
Maßgeblich ist dabei immer, welches Gepräge die Gastwirtschaft nach der
Genehmigung hat. Ihre Mandantin hatte 2000 schon vom Wortlaut nach §§ 2,3 GastG
die Genehmigung für den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft erhalten. Dies
beinhaltet ausweislich der Auflage in der Genehmigung auch den Gebrauch von
Musikanlagen, allerdings „ohne jegliche Musikdarbietung“ und mit damaligem
Auflagenzusatz, dass Musik "nicht störend hörbar" sein sollte.
Hauptzweck der Gaststätte sollte immer der Verkauf von Speisen und der Ausschank
bleiben, eine Musikanlage soll diesen nur sozialadäquat – danach wohl in sog.
Zimmerlautstärke– unterstützen. Wenn nun aber lärmintensive und darauf
gerichtete Live-Musik oder Gesangsveranstaltungen regelmäßig durchgeführt
werden, so werden diese Hauptzweck. Sie geben der Gastwirtschaft ein anderes
Gepräge und gehen über das einer normalen Schank- und Speisewirtschaft hinaus
(wichtiger Teil des Umsatzes, Stammpublikum).
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Dies wenden Sie auch selber ein, wenn Sie vorbringen, dass es nicht möglich sei, mit
dem reinen Restaurantbetrieb auskömmlich zu arbeiten, sondern es der Live-Musik
oder Gesangsveranstaltungen bedürfe. Das impliziert, dass die Kalkulation Ihrer
Mandantin darauf gerichtet ist, das Gepräge jedenfalls am Wochenende zu ändern.
Nach der Rechtsprechung können aber im Einzelfall nur bis zu zwölf nicht störende
Musikdarbietungen pro Jahr noch durch eine allgemeine Erlaubnis ohne besondere
Betriebseigentümlichkeit gedeckt sein. Diese Anzahl überschreiten Sie bei
mehrfachen wöchentlichen Darbietungen bei Weitem. Ohne eine veränderte
Genehmigung ist der Betrieb aber nicht ohne weiteres möglich, sondern die Behörde
kann nach Vorliegen der festgestellten Voraussetzungen der Norm gemäß § 15 Abs.
2 GewO die Fortführung des Betriebes untersagen. Ein (Teil-)Widerruf nach § 15
Abs. 2 GastG scheitert daran, dass zudem der Rahmen der vorhandenen Erlaubnis
für eine Gaststätte bei einem lauten Tanzbetrieb bei weitem überschritten worden ist
und für die tatsächlich ausgeübte Betriebsart eben keine Erlaubnis vorliegt, die
widerrufen werden könnte.
Hierbei ist die Ausgangsbehörde ermessensfehlerfrei vorgegangen. Ermessensfehler
sind auch nach nochmaliger Überprüfung im Rahmen dieses
Widerspruchsverfahrens nicht ersichtlich.
Es kommt dabei nicht auf die materiell-rechtliche Erlaubnisfähigkeit des Betriebes an,
denn für den Erlass einer Untersagungsverfügung genügt im Interesse des
Nachbarschutzes schon die formelle Rechtswidrigkeit eines Betriebes.
Ihre Mandantin kann sich nicht auf Vertrauens- oder Bestandsschutz berufen, denn
es gibt keinen Vertrauenstatbestand. Ihre Mandantin hatte von Anfang an nur die
Genehmigung für eine Schank- und Speisewirtschaft.
Ab dem Jahr 2015 hat sie zusätzlich auf eigenes Risiko und ohne ein erforderliches
Genehmigungsverfahren angefangen, lärmintensive Veranstaltungen in der
Gaststätte durchzuführen. Dagegen wurde zwar am Anfang nicht eingeschritten, weil
der Behörde die Abweichung von der bisherigen Erlaubnis nicht bewusst war.
Vertrauen rechtfertigt dies jedoch nicht, denn hierfür bedarf es eines aktiven
Vorgehens der Behörde. Ein bloßes Unterlassen begründet – insbesondere bei
einem Zeitraum von weniger als 2 Jahren – kein Vertrauen.
Wenn sie einwenden, dass auch frühere Betreiber ähnliche Veranstaltungen sogar
größeren Ausmaßes durchführten, so ist das nach Art 3 Abs. 1 GG unbeachtlich.
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Denn zwischen diesen Veranstaltungen und dem Beginn des Gaststättenbetriebs
durch Ihre Mandantin liegen weit mehr als 15 Jahre, in denen jegliches Vertrauen
abgeklungen wäre und sich eine behördliche Praxis ändern darf. Im Übrigen müssen
die jeweils erteilten Erlaubnisse nicht identisch sein. Auch Ihr Einwand, dass es zu
einer Existenzbedrohung kommen könnte, führt nicht dazu, dass das Ermessen
anders ausgeübt werden müsste. Ihre Mandantin hätte ihre Kalkulation anders führen
müssen, denn ihr war bekannt, dass sie eine anderslautende Genehmigung hatte.
Wenn Ihre Mandantin nicht wie eine ordentliche Kauffrau gehandelt hat, so kann das
nicht dazu führen, dass sie unter Missachtung der Rechte der Nachbarschaft zwecks
Steigerung ihrer Gewinne in der Gaststätte unrechtmäßig vorgehen darf.
So ist der grundgesetzlich durch Art. 2 Abs. 2 GG verbürgte Gesundheitsschutz der
Nachbarschaft und das Gebot der Rücksichtnahme im Allgemeinen Wohngebiet nach
§§ 4, 15 BauNVO hier in der Abwägung vorrangig vor einer auch nicht durch Art. 12
GG geschützten schrankenlosen Gewerbeausdehnung.
Dabei ist der Widerspruchsausschuss im Rahmen seiner umfassenden
Prüfungskompetenz sogar in die Erwägung eingetreten, ob nach dem belastenden
Vortrag ihrer Mandantin bezüglich der zwischenzeitlichen Änderung des
Betriebskonzeptes in Richtung Musikdarbietungen sogar eine vollständige
Untersagung der gesamten Betriebsfortführung angezeigt gewesen wäre.
Zugunsten Ihrer Mandantin wurde jedoch im Rahmen des
Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Teiluntersagung für geeignet, erforderlich,
angemessen und damit ausreichend befunden, da in den vergangenen Jahren und
auch gegenwärtig an den meisten Tage der Woche ein
nachbarschutzrechtlich weitgehend problemloser Betrieb als ursprünglich
genehmigter Schank- und Speisewirtschaft festzustellen ist und – ggf. nach
modifiziertem Betriebskonzept – durchführbar erscheint.
Die Behörde hat die Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten, so dass die
Untersagung der Musik -und Gesangsdarbietungen insgesamt rechtmäßig ist.
Auch dass die Widerspruchsbehörde sich mit § 15 Abs.2 GewO statt § 5 Abs. 1 Nr. 3
GastG auf eine zusätzliche Rechtsgrundlage stützt macht den Bescheid nicht
rechtswidrig, denn gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(VwVfG) kann eine Begründung in zulässiger Weise auch nachträglich gegeben bzw.
gem. §45 Abs 2 VwVfG sogar bis zum Gerichtsverfahren unproblematisch
ausgewechselt oder ausgetauscht werden.
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Dies ist aus verfahrensökonomischen Gründen erst Recht durch die Kompetenz
Widerspruchsbehörde bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens möglich.
b.) Ihr Widerspruch gegen die Untersagung des Betriebs der Musikanlage nach §
5 Abs. 1 Nr. 3 GastG hat dagegen teilweise Erfolg, weil hierfür keine „schädlichen
Umwelteinwirkungen“ im Sinne des Gesetzes festgestellt werden können.
Denn weder diese Norm noch eine andere Vorschriften sind geeignete
Rechtsgrundlagen, auf die eine derartige umfassende Untersagung des üblichen
Betriebes einer Gaststätte mit Musik in Zimmerlautstärke gestützt werden könnte.
Im Gegensatz zu den unter Punkt a) abgehandelten Live-Musik- und
Gesangsveranstaltungen dürften für den Betrieb der Musikanlage aufgrund des
Gutachtens des Dipl.-Ing. Stuve hinreichend verlässliche Messdaten zu
Immissionseinwirkungen, ermittelt nach der TA-Lärm, vorliegen.
Da von der Ausgangsbehörde entsprechende Messungen dem Gaststätteninhaber
ohnehin hätten aufgegeben werden können, bestehen keine
grundsätzlichen Bedenken gegen die Verwertung. Aus dem vorgelegten Gutachten
geht hervor, dass es beim Normalbetrieb der Musikanlage nicht zu einem höheren
Geräuschpegel als 25 dB(A) kommt. Gemäß Nr. 6.2 TA-Lärm ist dies der zulässige
Wert zur Nachtzeit, also in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr (TA-Lärm Nr. 6.4 Satz 1),
und es wurde auch an dem gemäß Nr. 2.3 TA-Lärm maßgeblichen Ort, nämlich in
den Räumen der Widerspruchsführerin, gemessen. Bei maximaler Betriebslautstärke
wird dieser Wert überschritten, dennoch der Wert für die Tageszeit von 35 dB(A)
eingehalten. Zudem steht einer Untersagung auch der Wortlaut der Betriebserlaubnis
entgegen, denn danach ist der Betrieb von Musikanlagen ausdrücklich erlaubt. Dass
Ihre Mandantin den normalen Pegel der Musikanlage überschreitet, ist nicht
ersichtlich, so dass ein Betrieb der Musikanlage im Normal-Betrieb nicht untersagt
werden kann. Eine vollständige Untersagung des Betriebs der Musikanlage würde
zudem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Wenn die Behörde
sich darauf stützt, dass die Gefahr bestehe, dass durch ein höheres Aufdrehen der
Musikanlage die Gefahr drohe, das Verbot der Livemusik zu umgehen, so greift
dieses Argument nicht so weit, als dass eine totale Untersagung des Betriebs der
Musikanlage darauf gestützt werden könnte. Die Gefahr, dass es durch ein lautes
Aufdrehen der Musikanlage zu einer Umgehung des Verbots von Live-Musik oder
Gesangsveranstaltungen und damit wiederum zu einer andersartigen Nutzung
kommt, ist jedoch, gerade im Hinblick auf das zuletzt vorgetragene Betriebskonzept
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bezüglich des durch die Darbietungen neu gewonnenen Musikpublikums seit 2015
aber auch nicht vollständig von der Hand zu weisen. Im Übrigen fehlt es – wie
eingangs erwähnt- für eine vollständige Untersagung an einer gesetzlichen
Grundlage, denn das Abspielen von Tonträgern stellt sich im Gegensatz zu den
Veranstaltungen als bloße Nebenleistung zum Schankbetrieb dar und ist daher von
der 2000 erteilten Betriebserlaubnis umfasst. Um aber den erwähnten Bedenken zu
begegnen, wird – gestützt auf die TA-Lärm und die Betriebserlaubnis vom 25.Juli
2000 – festgesetzt, dass die Musikanlage in der Zeit von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr des
Folgetages nicht mit einer höheren Lautstärke als 25dB(A) benutzt werden darf.
c.) Auch Ihr Widerspruch gegen die Androhung des Zwangsgeldes hat teilweise
Erfolg.
Gemäß §§ 11 Abs. 1, 13 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) darf ein
Zwangsgeld angedroht werden, wenn eine Handlung vom Willen des Pflichtigen
abhängt. Hier können die Gesangsveranstaltungen nur durch Ihre Mandantin
verhindert werden. Da sie dem nicht nachkommen will, ist die Androhung
eines Zwangsgeldes zur Willensbeugung grundsätzlich zulässig.
Allerdings ist das Zwangsgeld zu hoch angesetzt, denn gemäß § 11 Abs. 3 VwVG
darf es nur 1000,– € betragen. Der Bescheid wird daher dahingehend abgeändert, als
dass nur ein Zwangsgeld von 1000,– € angedroht wird.
4. Zudem wird nunmehr in Auswertung des Gesamtgeschehens zur umgehenden
Einhaltung des Lärmschutzes durch den Widerspruchsausschuss die sofortige
Vollziehung der insoweit im Übrigen rechtmäßigen Verfügung gemäß § 80 Abs. 2 Nr.
4 VwGO angeordnet.
Die sofortige Vollziehung steht im besonderen öffentlichen Interesse gemäß § 80
Abs.3 VwGO, wie eine Abwägung der öffentlichen mit den privaten Belangen Ihrer
Mandantin ergeben hat.
Ohne diese Anordnung könnte Ihre Mandantin bei möglichen
Rechtsbehelfen weiterhin Live-Musik oder Gesangsveranstaltungen durchführen und
weiterhin entgegen ihrer Erlaubnis die Gaststätte in einem anderen Gepräge
betreiben. Hierdurch wären dann die Nachbarn mehr als unerheblich belästigt und die
Polizei müsste wiederholt einschreiten. Durch die Anordnung der sofortigen
Vollziehung kann diesen Gesundheitsgefahren in geeigneter Weise zeitnah begegnet
werden.
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Rechtlich schützenswerte Belange Ihrer Mandantin, die dem besonderen öffentlichen
Interesse an der sofortigen Vollziehung entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Durch
die Anordnung der sofortigen Vollziehung wird Ihre Mandantin schlechter gestellt, als
sie vor Einlegung des Widerspruchs stand. Dies ist jedoch rechtmäßig, denn gemäß
§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO sind wir als Widerspruchsausschuss im Rahmen der
umfassenden Entscheidungskompetenz einer Widerspruchsbehörde zur Anordnung
der sofortigen Vollziehung ausdrücklich berechtigt. Durch das Gespräch vom 02. Juni
2015 ist Ihnen und Ihrer Mandantin ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben worden, da die sofortige Vollziehung einen Annex zu den damals in
Aussicht gestellten Verwaltungsakten darstellt, ist eine zusätzliche Anhörung im
Sinne des § 28 VwVfG nicht vonnöten.
5. Gemäß § 73 Abs 3 Satz 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwVfG sind
wir dazu berufen, auch über die Kosten zu entscheiden.
Aufgrund des komplizierten Sachverhalts und der rechtlichen Bewertungsfragen im
Gaststättenrecht im Zusammenhang mit dem Immissionsrecht wird die Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten im Sinne des § 14 VwVfG für notwendig erklärt (§ 80 Abs. 2
VwVfG).
Die Gesamtkosten sind von uns gemäß § 80 VwVfG aufzuteilen, Ihre Mandantin und
die Freie Hansestadt Hamburg müssen sie je zur Hälfte tragen, denn Ihr Widerspruch
war nur teilweise erfolgreich. Am Grundgedanken des § 155 VwGO orientiert, ergibt
sich daher eine hälftige Teilung der gesamten Kosten.
Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen den Bescheid des ...kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses
Widerspruchsbescheides...... Klage erhoben werden.
Die Klage ist bei dem Verwaltungsgericht in Hamburg...... schriftlich
einzureichen oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu
erklären.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Name des Bearbeiters
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Anhang
VW24 (PW) = Lösungsskizze
A. Sachverhalt
- Einleitungssatz: Rechtmäßigkeit von Auflagen/Anordnungen gegenüber der
Gaststätte „Kandahar“ in Hamburg auf Grund von Lärmbeschwerden.
- Darstellung der örtlichen Situation der Gaststätte im Allgemeinen Wohngebiet.
- Vorgeschichte: Entwicklung der Gaststätte seit Anfang 2015, dass die Betreiberin
regelmäßige musikalische Veranstaltungen mit Live-Auftritten bis 01:00 Uhr des
nächsten Tages vor allem am Wochenende durchführt. Lärmbeschwerden der Mieter.
- Verwaltungsverfahren:
1. 25.07.2000: Betriebserlaubnis nach § 2 GastG v.a. ohne Musikdarbietungen.
2. Seit 2015: Beschwerden des Nachbarn, der unmittelbar über der Gaststätte wohnt.
3. 02.06.2015: Erfolglose Gespräche der Behörde mit der Widerspruchsführerin und
ihrem bevollmächtigten Rechtsanwalt über die Lärmproblematik; Hinweis, dass die
aktuellen Nutzungen mit Live-Musik und Gesang nicht der ursprünglichen
Genehmigung aus dem Jahr 2000 entsprechen.
4. 12.06.2015: Anordnung des Wirtschafts- und Ordnungsamtes gemäß § 5 GastG,
dass keine Live- Musik oder Gesangsveranstaltungen mehr stattfinden dürfen, zudem
wird der Betrieb der Musikanlage untersagt, gleichzeitig wird ein Zwangsgeld in Höhe
von 2000 Euro angedroht.
5. 13.07.2015: Widerspruch des bevollmächtigten Rechtsanwalts mit entsprechender
Argumentation der fehlenden Rechtsgrundlagen, des Vertrauensschutzes sowie des
fehlenden Lärmnachweises mit dem Hinweis auf die Lärmverträglichkeit durch
Gutachten eines Ingenieurs sowie die Zerstörung der wirtschaftlichen
Existenzgrundlage.
6. 07.08.2015: Übersendung an das Rechtsamt zur abschließenden Prüfung mit
gegenteiliger Argumentation wegen der erheblichen Lärmproblematik unter Hinweis
auf fehlende Messungen und Kontrollen aus Kostengründen sowie der personellen
Kapazitäten für Kontrollen. Widerspruch soll zurückgewiesen werden.
7. Entscheidung durch den Widerspruchsausschuss des Bezirksamts am 09.09.2015.
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B. Rechtliche Würdigung/Rechtslage der Prüfung nach § 68 VwGO
I. Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde
Bezirksamt Hamburg, hier der Widerspruchsausschuss gemäß den §§ 73 Abs. 1 S. 3,
185 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 7 Abs. 1 AGVwGO sowie § 73 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 7 Abs.
2 AGVwGO, § 1 der Verordnung über Widerspruchsausschüsse.
II. Zulässigkeit des Widerspruchs
Unproblematisch, insbesondere form- und fristgerecht
(§ 70 Abs. 1 VwGO, Zustellung am 15.06.2015).
Widerspruchsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO wegen Art. 12, 2 GG.
III. Begründetheit des Widerspruchs
Der Bescheid enthält drei verschiedene Verwaltungsakte i.S.d. § 35 VwVfG:
Untersagung der Live-Musik und Gesangsveranstaltungen (1.),
Untersagung des Betriebs der Musikanlage (2.),
Die Zwangsgeldandrohung (3.),
die jeweils getrennt nach RGL en auf die Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen sind:
1. Untersagung von Live-Musik und Gesangsveranstaltungen
a) Auflage nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG?(Keine Nebenbestimmung nach § 36 VwVfG)
Gaststättengesetz des Bundes = GastG mangels Landesrechts in HH anwendbar.
Die Voraussetzungen der „ schädlichen Umwelteinwirkungen“ des § 5 Abs. 1 Nr. 3
GastG sind laut Sachverhalt nicht nachweisbar. Zwar ist die Anhörung gemäß § 28
Abs. 1 VwVfG durch das Gespräch am 2. Juni 2014 erfolgt, jedoch ist der Nachweis
durch die beweispflichtige Behörde für das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen
gegenüber der Nachbarschaft – aus welchen Gründen auch
immer(Kosteneinsparung?)- nicht einmal ansatzweise geführt worden. Nach § 3 Abs. 1
BImSchG, auf den § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG insbesondere verweist, muss es sich um
Immissionen handeln, die nach Art. Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren,
erhebliche Nachteile oder erheblich Belästigungen für die Allgemeinheit oder die
Nachbarschaft (dazu gehören im BImSchG auch die Mieter im Einwirkungsbereich)
herbeizuführen, wozu nach § 3 Abs. 2 BImSchG auch Geräusche gehören.
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Die insoweit die Beweislast für belastende Maßnahmen tragende Behörde hat in
diesem Zusammenhang kein Gutachten vorgelegt, um die erheblichen Lärmstörungen
als Eingriffsvoraussetzung über § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG nachweisen zu können. Die
aufgeführten Kostenargumente sind insoweit irrelevant, zumal sogar dem Betreiber der
Gaststätte die Nachweisführung der immissionsrechtlichen Unbedenklichkeit seiner
Gaststättennutzung auferlegt werden könnte.
Maßgebend sind die Messwerte nach der TA-Lärm, die auch auf Gaststätten gemäß §
22 BImSchG in ihren Richtwerten innerhalb von Gebäuden zur Nachtzeit auf 25 dB(A)
festgelegt sind. Messungen hat die Behörde – wie dargestellt – nicht durchgeführt.
Ebenso wenig aussagekräftig sind die vorgetragenen Messwerte der
Widerspruchsführerin bezüglich der Musikanlage durch den von ihr beauftragten Dipl.-
Ing. Stuve, da sie sich nicht auf die für das Wohnen bestimmten Räume beziehen.
Gleiches gilt bezogen auf die subjektiv von Nachbarn festgestellten Lärmbelästigungen
im Straßenbereich oder die Wahrnehmungen durch Polizeibeamte.
b) Untersagung der Betriebsfortsetzung =>§ 15 Abs. 2 S. 1 GewO i.V.m. § 31 GastG
aa) Voraussetzungen:
Tatbestandsvoraussetzungen der Untersagung (nicht § 35 Abs. 1 GewO)der
inzwischen nicht mehr vorliegenden Erlaubnis unter Bezugnahme auf die
Betriebserlaubnis aus dem Jahre 2000 ohne Musikdarbietungen.
Erlaubnispflicht der Schank und Speisewirtschaft nach § 2 Abs. 1 GastG.
Umfangreiche Erlaubnisinhalte nach § 3 Abs. 1 GastG geregelt.
Genauer Wortlaut der Erlaubnisart nach aus dem Jahr 2000 („ohne jegliche
Musikdarbietung“) mit damaliger Auflage („nicht störend hörbar“).
Nichtvorliegen der erforderlichen Erlaubnis, da durch Musikveranstaltungen jeden
Samstag und Sonntag der Gesamtbetrieb ein anderes Gepräge aufweist als das einer
normalen bisher genehmigten Schank- und Speisewirtschaft.
Weiteres Indiz ist der erheblich zusätzliche Besucherstrom zu den Musikdarbietungen.
Die Voraussetzungen für eine Untersagung dürften damit grundsätzlich vorliegen.
bb) Die Vorschrift eröffnet jedoch eine Ermessensprüfung:
Zu prüfen sind Ermessensfehler nach § 15 Abs. 2 S. 1 GewO i.V.m. § 31 GastG.
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Formelle Rechtswidrigkeit ist ausreichend, unerheblich sind die eventuellen
Erwägungen hinsichtlich einer materiellen Genehmigungsfähigkeit durch
späteren Bau von Schallschutzvorrichtungen. Auch die behauptete
wirtschaftliche Existenzgefährdung ist nicht entscheidend, da insoweit der
Lärmschutz vorrangig ist.
Die vorgetragene langjährige Duldung führt nicht zum Vertrauensschutz, zumal
die Widerspruchsführerin eigenmächtig und ohne behördliches
Genehmigungsverfahren die Ausweitung/Veränderung der Nutzung
durchgeführt hat. (ähnlich Schwarzbau im BauR)
cc) Einschränkungen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz/reformatio in peius?
Nach dem Wortlaut wäre sogar die vollständige Untersagung des ganzen Betriebes
denkbar, dann Erörterung der reformatio in peius durch die Widerspruchsbehörde.
Zu prüfen ist, ob es erforderlich und angemessen sein könnte, lediglich die
Fortsetzung des rechtswidrigen Betriebes zu verhindern (Teiluntersagung).
Lässt sich vom Betriebskonzept her die Untersagung auf einen Teil des ausgeübten
Betriebes (Gaststätte und Ausschank) beschränken, wäre es unverhältnismäßig, mehr
als eine Teiluntersagung auszusprechen.
Dies ist zweifelhaft kann aber umfangreich erörtert werden, da die früher erteilte
Erlaubnis nichts mehr mit dem gegenwärtig geführten Betriebskonzept (Voraussetzung
neuerer Existenzgrundlage laut Anwaltsvortrag) zu tun haben soll. Vertretbar ist es
unter Wahrung des Bestimmtheitsgrundsatzes die Teiluntersagung auf jene
Veranstaltungen zu beschränken, die sich außerhalb des Rahmens der bisherigen
Erlaubnis bewegen.
Aber auch ein uneingeschränktes Verbot wäre zu begründen (Argumente
entscheiden).
2. Untersagung des Betriebs der Musikanlage nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG
Die Voraussetzungen einer darauf bezogenen Auflage sind nur teilweise erfüllt.
Im Gegensatz zu den Live-Musik- und Gesangsveranstaltungen dürften für den Betrieb
der Musikanlage aufgrund des Gutachtens des Dipl.-Ing. Stuve hinreichend
verlässliche Messdaten zu Immissionseinwirkungen, ermittelt nach den Regeln der TA-
Lärm, vorliegen.
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Da von der Ausgangsbehörde entsprechende Messungen dem Gaststätteninhaber
ohnehin hätten aufgegeben werden können (Michel/Kienzle, GastG, § 31 Rn. 9),
bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen dessen Verwertung. Hiernach wird
bei normaler Betriebslautstärke der Immissionsrichtwert nach TA-Lärm Nr. 6.2 S. 1 für
nachts, also die Zeit von 22:00-6:00 Uhr (vgl. TA-Lärm Nr. 6.4 S. 1) von 25 dB(A) in
den Räumen des Beschwerdeführers eingehalten. Bei maximaler Betriebslautstärke
wird dieser Wert überschritten, dennoch der Wert für die Tageszeit von 35 dB(A)
eingehalten. Die Räume des Beschwerdeführers sind nach TA-Lärm Nr. 2.3 S. 1 der
maßgebliche Immissionsort, da aufgrund ihrer Lage zum Betrieb der
Widersprechenden dort am ehesten eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte zu
erwarten ist.
Dem von der Behörde vorgetragenen Argument, zur Verhinderung einer Umgehung
sei die vollständige Untersagung der Musikanlage notwendig, fehlt es an einer
Rechtsgrundlage. Das Abspielen von Tonträgern stellt sich im Gegensatz zu den
Veranstaltungen von Live-Musik als bloße sozialadäquate Nebenleistung zum
Schankbetrieb dar, der bisher von der Betriebserlaubnis aus dem Jahr 2000 umfasst
ist.
Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass z.B. der Wegfall der Live-Musik-
Veranstaltungen durch den Einsatz von Tonträgern kompensiert und dadurch zu einer
nicht genehmigten Hauptleistung wie etwa bei einer Diskothek aufgewertet werden
soll. Daher würde § 15 Abs. 2 S. 1 GewO i.V.m. § 31 GastG als Rechtsgrundlage einer
derartigen Untersagungsverfügung ausscheiden, allenfalls mag das Argument der
Umgehungsgefahr insoweit aufzugreifen sein, dass zur Durchsetzung der Auflage die
gesamte Betriebszeit angeordnet wird.
Folglich dürfte dem Widerspruch insoweit teilweise stattzugeben sein. Es dürfte
lediglich untersagt werden, die Betriebslautstärke der Musikanlage in der Zeit von
22:00 Uhr bis 06:00 Uhr über die Einstellung „normal“ hinaus anzuheben.
3. Zwangsgeldandrohung nach VwVG
Rechtsgrundlagen der Zwangsgeldandrohung sind die §§ 13 Abs. 1 S. 1, 11 VwVG.
Die Zuständigkeit liegt beim Bezirksamt als Erlassbehörde (§ 7 Abs. 1 VwVG).
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Fehlerhaft ist allerdings, dass das angedrohte Zwangsgeld mit 2000 Euro zu hoch
bemessen ist. Die Höhe des Zwangsgeldes durfte nach alter und noch geltender
Rechtslage zu § 11 Abs. 3 VwVG höchstens 1000 Euro = 2000 DM betragen.
IV. Nebenentscheidungen
Nebenentscheidungen bestimmen sich nach § 73 Abs. 3 S. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1
S. 1 und Abs. 2 VwVfG.
Die Kosten der Hinzuziehung des Bevollmächtigten als notwendig darf nicht vergessen
werden, da der Widerspruch z.T. erfolgreich ist.
Hiernach ist die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten anzuerkennen,
wenn sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt
der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Beteiligten nach
seiner Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen nicht
zugemutet werden konnte, das Verfahren selbst zu führen. Dies soll bei
komplizierteren Fällen wie dem vorliegenden – wo es nicht nur um einfach
aufzuklärende Sachverhaltsirrtümer geht – in der Regel zu bejahen sein.
Die obergerichtliche Rechtsprechung ist wegen des Gebots der Waffengleichheit
zwischen Behörde und Bürger zur kostenneutralen Selbstkorrektur der Verwaltung
eher weniger großzügig. Vorliegend wird die Zuziehung nach den Gesamtumständen
des Falles trotz des Eigenanteils wegen der eigenmächtigen Nutzungsausdehnung der
Gaststätte als vertretbar eingestuft.
Eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO der
Widerspruchsbehörde ist unter der Voraussetzung des § 80 Abs. 3 VwGO zur
sofortigen Durchsetzung der Verfügung wegen des Lärmschutzes bzw.
Gesundheitsgefahren gut vertretbar.
Nach § 73 Abs. 3 S. 1 VwGO ist der Widerspruchsbescheid mit einer Belehrung über
die Klagemöglichkeit nach § 74 VwGO i.V.m. § 8 VwZG an die Rechtsanwälte der
Widerspruchsführerin zuzustellen.
C. Anmerkungen zur Aufgabenstellung
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I. Zunächst zum Hintergrund:
Der Klausur liegt ein vor dem Verwaltungsgericht Hamburg geführter und durch nicht
veröffentlichtes Urteil entschiedener Rechtsstreit zugrunde (AZ.: 13 VG 933/2003).
Die ursprüngliche Aufgabenstellung zum 2. Staatsexamen im Jahr 2004 war die
Erstellung eines vollständigen Widerspruchsbescheides nach vorgeschaltetem
gutachterlichem Vermerk im Urteilsstil über die Rechtslage.
Vorliegend ist für den Internet Klausuren Kurs 2015 in Abwandlung der
Aufgabenstellung aus dem Jahr 2004 „nur“ der vollständige Widerspruchsbescheid mit
Briefkopf, Sachverhalt und rechtlicher Würdigung anzufertigen.(vgl. KG Skript S. 64 ff)
Dafür ausschlaggebend ist die Überlegung, dass im 2. Staatsexamen gerade nach der
Verwaltungsstation berufsvorbereitend im Unterschied zum Gutachtenstil des 1.
Staatsexamens von der Schwerpunktsetzung sehr viel mehr Wert auf das
berufspraktisch verwertbare Arbeitsergebnis gelegt werden sollte. Das gelingt bei
einem vorher abverlangten Gutachten meistens aus Zeitgründen meist nur teilweise.
Gleiches gilt bezogen auf die Aufgabenstellung und das berufspraktisch
anzustrebende Endergebnis bei der Anfertigung eines Urteils oder Beschlusses, wo
auch kein vorgeschaltetes Gutachten für die Abfassung einer Gerichtsentscheidung
abverlangt wird. Die Anfertigung von Gutachten vor den eigentlichen
Entscheidungsvorschlägen erscheinen auch nicht zwingend, da Erwägungen, die
wegen der Außenwirkung nicht im praktischen Widerspruchsbescheid abgehandelt
werden, wie in der Praxis üblich , in einem ergänzenden internen Vermerk dargestellt
werden können.
Beide Aufgabenvarianten – mit oder ohne Gutachten- sind im Examen denkbar.
II. Zum Erwartungshorizont und Bewertung der Aufgabe selbst:
Die Erfassung des Sachverhaltes auf nicht einmal sechs Seiten Aufgabentext – der
Rest bis Seite 10 sind vor allem Gesetzestexte – kann eher als leicht eingestuft
werden, die rechtliche Würdigung ist allenfalls als mittelschwer einzuschätzen.
Inhaltlich handelt es sich um den Pflichtfachstoff aus dem ersten juristischen
Staatsexamen, wobei das Wirtschaftsverwaltungsrecht dort zum Wahlfach zu zählt.
Bei der berufspraktisch verwertbaren Erstellung eines Widerspruchsbescheides im 2.
Examen mit der materiell rechtlichen Lösung im Zusammenwirken zwischen
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Gaststättenrecht, Gewerberecht und Immissionsrecht können spezielle Kenntnisse der
Bearbeiter nicht zwingend vorausgesetzt werden.
Es geht lediglich darum, nach kurzer und prägnanter Darstellung des Sachverhaltes
das rechtliche Problembewusstsein und die Argumentationsfähigkeit unter Beweis zu
stellen. Materiell geht es, wie oben aufgeführt, um die Prüfung eines
Untersagungsbescheides im Gaststätten- und Gewerberecht. Der Fall beleuchtet
Probleme hinsichtlich des ausreichenden Nachweises einer schädlichen
Umwelteinwirkung durch Geräusche, des Umfangs einer erlaubten Betriebsart im
Gaststättengewerbe, der richtigen Rechtsgrundlage für Maßnahmen beim Wechsel der
Betriebsart, der Verhältnismäßigkeit einer Teiluntersagung sowie der Abgrenzung der
untersagten Betätigungen vom Umfang der erteilten Erlaubnis.
Wichtig war es dabei bei der inhaltlichen Prüfung, die abgedruckten Rechtsvorschriften
der Hansestadt Hamburg sowie der TA-Lärm bei der Falllösung unter
Berücksichtigung des Vermerks zur Bearbeitung heranzuziehen und Schritt für Schritt
die einzelnen drei von der Behörde verfügten Maßnahmen durchzuprüfen, ohne
allerdings die Strukturzusammenhänge und Möglichkeiten der Anwendung der
übergeordneten Normen aus dem Gaststättengesetz, des
Bundesimmissionsschutzgesetzes und besonders der Gewerbeordnung (letztlich §§
31 GastG i.V. m. § 15 Abs. 2 GewO ) aus dem Auge zu verlieren.
Insgesamt ist die Klausur auch vom Seitenumfang eine faire Aufgabenstellung, die aus
Prüfer – und AG Leitersicht als Pflichtfachklausur des 2. Examens im Öffentlichen
Recht auch ohne besondere Spezialkenntnisse relativ gut zu lösen ist.
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D. Vorschlag zur Gewichtung und Bewertungskriterien der Lösung 100 % 18/18
1. Briefkopf, Tenor und Sachverhalt 16,67% 3/18
2. Rechtliche Würdigung
→ Zuständigkeit 5,56% 1/18
→ Zulässigkeit 5,56% 1/18
→ Begründetheit
a) Untersagung von Live-Musik und Gesangsveranstaltungen
- Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG/TA-Lärm 11,1%
2/18
- Prüfung des § 15 Abs. 2 S. 1 GewO i.V.m. § 31 GastG 11,1% 2/18
- Nichtvorliegen der Erlaubnis 5,56% 1/18
- Ermessensprüfung 11,1%
2/18
b) Untersagung des Betriebs der Musikanlage
- Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG/TA-Lärm 16,67%
3/18
c) Zwangsgeldandrohung 5,56% 1/18
→ Nebenentscheidungen
- Notwendigerklärung der Hinzuziehung des Bevollmächtigten 5,56% 1/18
- Anordnung der sofortigen Vollziehung 5,56% 1/18
Die Prozentzahlen und Punkte dienen als grobe und unverbindliche Orientierung im
Rahmen des im Einzelfall zustehenden Beurteilungsspielraumes. Zudem gibt es
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Bonus/ Malus Abweichungen bis zu einer Note bei guter oder unzureichender Form
oder/ und juristischer Argumentation