»Fünf vor Zwölf« – verschwinden die Riffe?

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Georg Heiss und Reinhold Leinfelder: Seit nunmehr 10 Jahren ist die dramatische Bedrohung der Korallenriffe auch in der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbar geworden. Damals, 1997, wurde zum ersten Mal ein Internationales Jahr des Riffes ausgerufen. Bis dahin war der Rückgang der Korallenriffe kein allzu wichtiges Thema im Leben der Westeuropäer. Man kannte die faszinierenden Filme von Hans Hass und Jacques Cousteau aus der Kindheit, die Strände aus dem Urlaub, die Muscheln und Korallen aus dem Souvenirladen und dass es der Umwelt nicht besonders gut geht, war keine besondere Neuigkeit. Mit dem El Niño – Ereignis von 1997, das den bis dahin größten Schlag für die Riffe bedeutete, erreichten die Alarmmeldungen auch die Schlagzeilen in der Tagespresse. Plötzlich waren innerhalb eines Jahres 16% der Riffe weltweit abgestorben, in beliebten Urlaubszielen wie den Malediven verschwanden 90 % der Korallen im Flachwasser.

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Seit nunmehr 10 Jahren ist die dramatische Bedrohung der Korallenriffe auch in der breiten Öffentlichkeit wahrnehmbar geworden. Damals, 1997, wurde zum ersten Mal ein Internationales Jahr des Riffes ausgerufen. Bis dahin war der Rückgang der Korallenriffe kein allzu wichtiges Thema im Leben der Westeuropäer. Man kannte die faszinierenden Filme von Hans Hass und Jacques Cousteau aus der Kindheit, die Strände aus dem Urlaub, die Muscheln und Korallen aus dem Souvenirladen und dass es der Umwelt nicht besonders gut geht, war keine besondere Neuigkeit. Mit dem El Niño – Ereignis von 1997, das den bis dahin größten Schlag für die Riffe be-deutete, erreichten die Alarmmeldungen auch die Schlagzeilen in der Tagespresse. Plötzlich waren innerhalb eines Jahres 16 % der Riffe weltweit abgestorben, in be-liebten Urlaubszielen wie den Malediven verschwanden 90 % der Korallen im Flach-wasser. Vor allem Wissenschaftler und Sporttaucher wussten aber schon früher Bescheid über die zunehmende Verschlechterung des Riffzustandes, oft aus eigener Beobachtung. Doch woher wissen wir eigentlich über den Zustand der Riffe, wie kommen die Zahlen zustande, die den Rückgang quantifizieren? Schließlich sind Riffe naturgemäß unter Wasser, also nicht sehr leicht zugänglich, Beobachtungen dort sind weit schwieriger und langwieriger als an Land. Auch die Erkundung mit Satelliten, die es erst seit wenigen Jahrzehnten gibt, ist für Analysen der Unterwas-serwelt nur unzureichend geeignet. Direkte Beobachtungen lebender Riffe wurden überhaupt erst durch die Entwicklung von Tauchgeräten möglich, wie sie von Hans Hass und Jacques Yves Cousteau in den 1950er-Jahren entwickelt wurden und

Georg Heiss und Reinhold Leinfelder

Abb.1:

Reef Check-Untersuchung

an einem Saumriff in

der Strasse von Tiran,

Sinai, Ägypten.

Ein Team von

zwei Tauchern erfasst

hier die Bodenbedeckung

in 6 m Tiefe.

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in der Ausstellung gezeigt werden. Vorher war man auf Aufsammlungen aus dem Flachwasser des Riffdachs oder gebaggerte Proben angewiesen, was nur einen sehr eingeschränkten Einblick in das Gesamtsystem liefern konnte. Längerfristige Beob-achtungen und quantitative Erfassungen des Riffes und seiner Bewohner wurden lokal, z.B. in JamaiKa oder im Roten Meer durchgeführt. Diese Untersuchungen wur-den mit unterschiedlichen, den jeweiligen Fragestellungen angepassten Methoden gemacht und hatten oft unterschiedliche Organismen als Studienobjekte. Die Ergeb-nisse waren zwar wertvoll, aber weder großräumig noch miteinander vergleichbar. In den 1980er Jahren wurden mehr und mehr Berichte über den Rückgang von Riffen bekannt. Sporttaucher kamen von Tauchgängen in ihren Lieblingsriffen zurück und waren verwundert: »Es sieht nicht mehr so schön aus wie früher«. Nun wissen wir alle, dass »früher alles besser war«, aber mit Foto- und Videokameras konnten diese Aus-sagen nun untermauert werden. Auch wissenschaftliche Langzeituntersuchungen, vor allem aus der Karibik, berichteten von Rückgängen in der Korallenbedeckung. Besonders davon betroffen war das »Wappentier der Karibik«, die Elchgeweihkoral-le (Acropora palmata), die anscheinend im Verschwinden begriffen war. Lange Zeit waren Riffwissenschaftler dennoch nicht dazu bereit, die Existenz einer weltweiten Krise anzuerkennen, da die Datenbasis zu dünn war. In der Aufbruchstimmung nach dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro (United Nations Conference on Environment and Development - UNCED) 1992, wo die internationalen Rahmenvereinbarungen zum Klimawandel, zur biologischen Vielfalt und zur Wüstenbekämpfung vereinbart wurden, konnte auch die Bedrohung der Riffe thematisiert werden. In der Folge wurden dann die Internationale Korallenriff-Initiative (International Coral Reef Initative – ICRI, 1994) und das globale Korallenriff-Beobachtungsnetzwerk (Global Coral Reef Monitoring Network – GCRMN, 1995) ins Leben gerufen. Erst 1993 konnte das erste internationale Treffen stattfinden, das den globalen Zustand der Riffe zum Thema hatte. Als der renommierte Riffforscher Robert Ginsburg von der Universität in Miami zu einem Symposium einlud, wo über den Zustand und die Gefahren für die Riffe weltweit beraten wurde, berichteten die Teilnehmer aus ihren jeweiligen Arbeitsge-bieten über unzählige Beispiele für den Rückgang der Riffe. Vor allem Wissen-schaftler aus den entwickelten Staaten verneinten dennoch weiterhin die Existenz der Krise. Die Frage, wie den Riffen weltweit geht, ob diese Beispiele Einzelfälle sind, oder sich ein weltweites Muster darin widerspiegelt, konnte die versammelte Forschergemeinschaft nicht beantworten. Es wurde klar, dass der Mangel an Lang-zeitbeobachtungen der Riffgesundheit über große Gebiete eine zuverlässige Aus-kunft nicht erlaubte. Die üblichen wissenschaftlichen Methoden (»Science as usual«) waren also offensichtlich nicht geeignet, die Entwicklung zu verfolgen. Bei dieser Konferenz wurden zwei zukunftsweisende Initiativen entwickelt: Es wurde zum ers-ten Mal darüber gesprochen, ein Internationales Jahr des Riffes zu erklären, um die Aufmerksamkeit auf den Schutz der Korallenriffe zu lenken. Zum zweiten wurde die Entwicklung eines weltweiten Beobachtungsprogrammes für die Riffgesundheit

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beschlossen. Leicht gesagt. Aber wie kann man so etwas realistisch durchführen? Die Fläche der Riffe wird heute auf etwa 220.000 – 250.000 km2 geschätzt, sie sind über den gesamten subtropisch-tropischen Gürtel verteilt, die meisten liegen in Entwicklungsländern, weit von Bevölkerungszentren und Universitäten entfernt, oft auch nur mit dem Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Wollte man mit herkömmlichen Methoden eine hinreichend große Zahl von Riffen untersuchen, um ein einigermaßen plausibles Bild zu gewinnen, müsste man Hunderte von Wissenschaftlern für Jahre auf Forschungsreisen um die Welt schicken. Man bräuchte also finanzielle Mittel, die für die Riffforschung einfach nicht bereit stehen. Zudem hätte man wohl Schwierig-keiten, überhaupt so viele Wissenschaftler wie notwendig zu finden, geschweige denn, sie aus ihren normalen Aufgaben herauszureißen. Um einen Eindruck von der Dimension zu gewinnen, reichen einige Zahlen: die Bahamas haben 700 Inseln, die Philippinen 7.000, Indonesien ca. 30.000, die meisten umgeben von Korallenriffen. Man brauchte also einen neuen Ansatz: Gregor Hodgson, damals an der Universität in Hong Kong, wurde gebeten, ein »Protokoll«, eine Standardmethode zu entwickeln, die geeignet wäre, in kurzer Zeit über große Gebiete aussagefähige Resultate zu liefern. In Diskussionen mit Kollegen wurde schnell klar, dass das Ziel nur mit der Einbindung von Freiwilligen erreichbar war. Es gab bereits Beispiele von Freiwilligen-programmen, die sehr erfolgreich waren (z.B. die Vogelbeobachtung), aber im Be-reich der Korallenriffe musste man Neuland betreten. Die Herausforderung war groß: Man musste eine Methode entwickeln, die weltweit angewandt werden konnte, ob-wohl die Riffe sehr unterschiedlich sein können. Sie musste einfach genug sein, dass auch Nichtwissenschaftler korrekte Ergebnisse erzielen konnten; sie musste schnell genug sein, um in einem Tag eine komplette Riffbeobachtung abschließen zu können. Und sie musste trotz allem zuverlässige, robuste Daten liefern, um Politiker und Wis-senschaftler zu überzeugen und für Manager nützlich zu sein. Ausgehend von die-sen Anforderungen wurde auf der Basis bereits existierender Protokolle ein neues System entworfen, das auf der Zählung einer geringen Zahl von »Anzeigern« (Indika-toren) basierte. Die Methode wurde auf einer Diskussionsliste im Internet ausführlich und kritisch geprüft, angepasst und im Jahr 1996 veröffentlicht. Als Name wurde »Reef Check« gewählt. Schon bei der ersten Reef Check-Untersuchung 1997 wurden 300 Riffe in 30 Ländern erfasst, ca. 100 Wissenschaftler und 1000 Freiwillige, alle unbezahlt, nahmen an den Untersuchungen teil. In den folgenden Jahren wurde Reef Check zu einer ständigen Einrichtung, die seit 1997 ein integraler Bestandteil des Be-obachtungsprogramms der Vereinten Nationen, des GCRMN (Global Coral Reef Mo-nitoring Network) ist. Die ersten Ergebnisse waren bereits alarmierend, die Analyse nach den ersten 5 Jahren Reef Check gab ein umfassendes Bild: In den mei-sten der 1107 in die Analyse aufgenommenen Riffen waren die Indikatorarten dramatisch reduziert, z. B. Zackenbarsche, Langusten, Seeigel, Tritonschnecken usw. (s. Kasten). Als Ursache wurde vor allem die massive Überfischung erkannt, aber auch Krankheiten und das El Ninõ-Ereignis 1997/ 98, das über 10 % der Korallen zum Absterben brachte.

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Methoden – Reef Check – SurveysReef Check (RC) ist ein bewährtes, standardisiertes Programm zur Bewertung der Riffgesundheit. Das RC-Protokoll wurde mit dem Ziel entwickelt, eine wissenschaft-lich fundierte, aber auch für Nicht-Wissenschaftler einfach zu verstehende und durchzuführende Methodik bereitzustellen. Die Reef Check Erhebungen konzen-trieren sich auf das quantitative Vorkommen bestimmter, auch von Laien leicht zu identifizierender Korallenrifforganismen, welche den Zustand des Riffes bestmöglich widerspiegeln. Diese Organismen wurden ausgewählt, weil sie wegen ihres ökono-mischen und ökologischen Wertes, ihrer Empfindlichkeit gegenüber menschlichen Einflüssen (Überfischung, Aquarienhandel) und ihrer leichten Identifizierbarkeit ge-eignete Indikatoren sind. Sechzehn globale und acht regionale Indikatorarten dienen als Maßstab für menschliche Einflüsse auf Korallenriffe. Reef Check – Indikatoren sind teilweise auf Artniveau, aber auch auf höheren taxonomischen Ebenen definiert.

Abb.3 (rechte Seite):

Häufige Korallenarten

in der El Quadim-Bucht

bei El Qusseir,

Ägypten, Rotes Meer

Abb.2:

Beschreibung der

Reef Check Substrattypen

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Acropora acuminata (Dana, 1846)

Acropora gemmifera (Brook, 1892)

Acropora hyacinthus (Dana, 1846)

Acropora samoensis (Brook, 1892)

Acropora secale (Studer, 1878)

Acropora selago (Studer, 1878)

Acropora valida (Dana, 1846)

Acropora variolosa (Klunzinger, 1879)

Montipora efflorescens (Bernard, 1897)

Montipora tuberculosa (Lamarck, 1816)

Cyphastrea microphthalma (Lamarck, 1816)

Echinopora forskaliana (Milne Edwards & Haime,

Echinopora gemmacea (Lamarck, 1816)

Favia favus (Forskål, 1775)

Favia rotumana (Gardiner, 1899)

Favia stelligera (Dana, 1846)

Goniastrea edwardsi (Chevalier, 1971)

Platygyra daedalea (Ellis and Solander, 1786)

Platygyra lamellina (Ehrenberg, 1834)

Acanthastrea echinata (Dana, 1846)

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Abb.4:

Beispiel: Reef Check Indika-

toren für das Rote Meer

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Tabelle 2 listet die Indikatorarten der Fische und Wirbellosen am Beispiel des Roten Meeres. Die Reef Check - Studie beginnt mit der Begutachtung des Arbeitsgebietes, wobei die Ausdehnung des Riffes und die Bodenbeschaffenheit hinsichtlich Sub-strattyps und Korallenbedeckung (lebend und abgestorben) in Betracht gezogen werden. Die eigentliche Begutachtung besteht aus vier je zwanzig Meter langen Transekten, welche in zwei Tiefen (flach, 2-6 m, und mittlere Tiefe, 6-12 m) unter-sucht werden. Jeder 20 m - Transekt wird ausgewertet bezüglich 1) Indikatorfischen, welche üblicherweise von Fischern, Aquarienhändlern und anderen gezielt entfernt werden, 2) Indikatorarten der Wirbellosen, welche für Verzehr, Souvenir- oder Aqua-rienhandel befischt werden, 3) Substratbeschaffenheit, z.B. Lebendbedeckung mit Steinkorallen, unlängst abgestorbene Korallen, nährstoffanzeigende Algen und an-dere Substrattypen, und 4) jegliche Zeichen von Beschädigung und Krankheiten, z.B. abgebrochene und gebleichte Korallen, Müll, Fischernetze und –leinen, Para-siten etc.. Der Untersuchungsraum für die Fischtransekte ist jeweils 5 m breit und 5 m hoch, die Transekte für Wirbellose und Beschädigungen 5 m breit, während die Substratbeschaffenheit in 0,5 m Intervallen („point-intercept“-Methode) ausgewertet wird. Hierfür werden entlang der Messleine alle 50 cm mit Hilfe eines kleinen Lots (zur Vermeidung von systematischen Fehlern) die Substrattypen erfasst. Die Substrat-typen sind in Tabelle 2 beschrieben. Zusätzlich werden Informationen über mehr als dreißig verschiedene Umweltparameter und die Experteneinschätzung menschlicher Einflüsse bei der Beschreibung des Arbeitsgebiets aufgenommen.

Abb.5:

Reef Check

Untersuchungsmethode,

Zusammenfassung

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GCRMNwww.gcrmn.org

Das Global Coral Reef Monitoring Network (GCRMN) konzentrierte sich in den ersten Jahren vor allem darauf, existierende Informationen vor allem von staatlichen Behör-den und Universitäten zu sammeln und aufzubereiten, um diese für politische Ent-scheidungsträger zugänglich und verständlich zu machen. Dazu unterstützt GCRMN die Zusammenarbeit in regionalen Netzwerken, die konsistente Informationen für die Statusberichte erarbeiten. Im Jahr 1998 wurde der erste Bericht »Status of coral reefs of the world: 1998« veröffentlicht, der danach alle 2 Jahre aktualisiert wurde (2000, 2002, 2004). 2005 kam ein spezieller Bericht über die Auswirkungen des Tsunamis vom Dezember 2004 dazu, 2008 eine Bilanz des Korallenbleichens und der Hurrikane in der Karibik im Jahr 2005. Nur zwei Jahre nachdem 1998 die erste weltweite Untersuchung feststellte, dass 11% der Riffe vor 1998 zerstört waren, erhöhte sich die Zahl der bis Ende 2000 »effektiv verlorenen« Riffe um weitere 16 %. Die Daten stammen aus 86 Ländern - viele davon waren zum ersten Mal beteiligt.Im Statusbericht des GCRMN von 2004 wurden diese mittlerweile weithin bekannten dramatischen Zahlen genannt: 20 % der Riffe weltweit sind zerstört und zeigen kei-ne Anzeichen der Erholung; 24 % der Riffe sind unmittelbar durch menschlichen Einfluss vom Kollaps bedroht; und 26 % der Riffe sind auf längere Sicht unter dem Riskiko des Zusammenbruchs. Bis 1998 stand besonders die Bedrohung durch di-rekte menschliche Einflüsse auf die Riffe im Vordergrund, die Bedrohung der Riffe durch die Klimaänderung wurde von vielen Wissenschaftlern noch als relativ gering eingeschätzt. Die direkte Bedrohung durch Überfischung für den lokalen Bedarf und den Export, durch den Handel mit lebenden Fischen, durch Sprengstoff- und Giftfi-scherei, durch Abwässer, Sedimente und Überdüngung, durch Wachstum in Städten und ländlichen Gebieten verursachen weit verbreitete Schäden. Zusätzlich zu diesen Belastungen drängt sich nun aber der globale Klimawandel als das Hauptproblem für Korallen in den Vordergrund, da sie sehr sensibel auf Erwärmungen reagieren. Anfang 2008 wurde ein Bericht des GCRMN über den Zustand der Riffe im Westat-lantik (Brasilien, Karibik, Florida, Bahamas) veröffentlicht, und der neueste globale Bericht wird im Juli 2008 vorgestellt. In der Karibik werden die Auswirkungen des extrem warmen Jahres 2005, des bis dahin wärmsten Jahres seit Beginn instrumen-teller Aufzeichnungen dargestellt: In den Riffen, die seit Jahrhunderten, vor allem aber in den letzten 50 Jahren bereits stark geschädigt waren, bleichten durch die lang anhaltend hohen Temperaturen stellenweise bis zu 95% der Korallen. Teilweise erholten sich die Korallen nach Abkühlung der Wassertemperatur wieder, aber es wurden Mortalitätsraten bis über 50% registriert. Damit war klar, dass die indirekten Schädigungen durch den Klimawandel mindestens die Auswirkungen der direkten Schädigungen durch den Menschen erreichen können.

Abb.6 (linke Seite):

Fahnenbarsche wagen

sich zum Planktonfang aus

dem Schutz der Korallen in

einem gesunden Riff in der

Umgebung von Sharm el

Sheikh, Rotes Meer.

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Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig: Bei Voraussagen ständig steigender Tem-peraturen wird es in den nächsten Jahrzehnten zu regelmäßigen schweren Koral-lenbleichen kommen, im Jahr 2100 wäre es wahrscheinlich ein alljährliches Ereignis.

Neueste Analysen von Daten aus verschiedenen Quellen zeigen, dass trotz der An-strengungen der Verlust der Riffe ungebremst, eher noch beschleunigt vor sich geht: In den letzten 20 Jahren ging die Rifffläche im Indo-Pazifik jährlich um 1% zurück, im Zeitraum von 1997-2002 sogar um 2 % pro Jahr!

Ist es schon zu spät?Stellen wir nun eine Gretchenfrage – ist eigentlich alles nicht schon viel zu spät, und Schutzbemühungen der Riffe sind vergebliche Liebesmüh, sollten wir die Riffe viel-leicht einfach aufgeben und uns anderen Schutzaufgaben, die erfolgversprechender erscheinen, zuwenden? Die auch in diesem Artikel geschilderte, durch Zahlen be-legbare dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustands der Riffe, spricht sie nicht für sich? Und die starke Abhängigkeit des Riffzustandes vom Klima? (siehe Artikel Wild et al.), was nützt denn da ein Schutzgebiet? Das kann doch die Än-derung des Klimas nicht aufhalten! Das wäre wirklich zu kurz gedacht, denn ohne die Gefährdung durch die Auswirkungen der Klimaänderungen relativieren zu wollen – Korallenriffe haben in der Erdgeschichte vielfach Klimaänderungen durchlaufen und sind dabei nicht ausgestorben, sofern die Änderungen nicht zu rasch erfolgten. Allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass Korallenriffe noch nie in einer derart engen ökologischen Nische saßen wie heute (siehe Artikel Leinfelder). Aber das bedeutet auch, dass alle anderen schädlichen Einflüsse auf Korallenriffe gleich große, wenn nicht gar größere negative Auswirkungen haben, und hier steckt eine Chance. Wissenschaftler gehen davon aus, dass mehr als die Hälfte der schädlichen Einflüsse auf Korallenriffe lokaler und regionaler Natur sind. Natürlich schwankt dies von Ort zu Ort. Überdüngung der Meere durch Abwässer aus Landwirtschaft, Sied-lungen und Tourismus, Schlickeintrag in die Küstenregionen durch Baumaßnahmen und Regenwaldabholzung, Abbau von lebenden Korallenriffen als Bausteine, Res-source für Zement und Beton sowie für den Aquarien- und Souvenirhandel, Fehl-verhalten ungeübter Schnorchler und Taucher, aber insbesondere auch die Überfi-schung gerade auch der Riffe, das alles wirkt sich insbesondere in der Kombination der Stressfaktoren katastrophal auf die Riffe aus, da sich die Effekte häufig poten-zieren. Zwei Beispiele: Vorübergehende erhöhte Nährstoffzufuhr kann auch unter natürlichen Bedingungen, etwa nach Starkregen und damit verstärkter Abwaschung von Schlick und Nährstoffen aus dem Hinterland auftreten. Das stimuliert das Weich-algenwachstum. Solange Fisch- und Seeigelbestand im Riff in Ordnung sind, stellt dies eine willkommene zusätzliche Nahrungsquelle dar und es besteht keine Gefahr, dass die Weichalgen nun das Riff überwuchern. In manchen Regionen herrscht so-

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Abbildungen

auf der gegenüber-

liegenden AbbildungsSeite:

Abb.7 (oben links):

Souvenirhandel auf der Insel

Hainan, China

Abb.8 (oben rechts):

Korallen als Baumaterial und

Rohstoff zur lokalen Zemen-

therstellung,

Sulawesi, Indonesien.

Abb.9 (mitte links):

Rifffische in einer

Markthalle in Hongkong

Abb.10 (mitte rechts):

Der Handel mit Souvenirs

aus Korallenriffen, Muscheln,

Schnecken, Hartkorallen,

Seesternen, Kugelfischen

usw. ist ein einträgliches

Geschäft und meist nicht

einmal verboten.

Abb.11 (unten links):

Der Handel mit Lebend-

fischen ist vor allem in Süd-

ostasien ein florierendes

Geschäft, das enorme Profite

erzielt, aber durch den ver-

breiteten Fang mit Gift, meist

Zyanid, schädlich für das Riff,

aber auch den Menschen ist.

Abb.12 (unten rechts):

Auf dem Riffdach bei Ras

Mohammed, Sinai, Ägypten,

zerstören Schwimmer und

Schnorchler durch unacht-

sames Verhalten die Korallen.

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gar dauerhaft leicht erhöhter Nährstoffeintrag und auch den können die algenabwei-denden Organismen, sofern vorhanden, kompensieren. Fehlen aber die Fische und Seeigel, wie heute in so vielen karibischen Riffen, kann auch schon gering erhöhter Nährstoffeintrag verheerende Folgen haben. Die Riffe veralgen, die Korallen sterben ab und bohrende Organismen, die ebenfalls von zusätzlichen Nährstoffen und damit mehr Plankton profitieren, gewinnen die Oberhand, das komplexe Gleichgewicht der Riffe ist dauerhaft zerstört. Auch das episodische Korallenbleichen aufgrund er-höhter Wassertemperaturen, selbst wenn bei solchen Ereignissen viele Korallen ab-sterben, ist kein Todesurteil für das Riff, sofern ansonsten das ökologische System nicht gestört ist. Sind aber bereits mehr Nährstoffe als normal im System und der Fischbestand überfischt, werden sich Weichalgen extrem rasch über die ausgestor-benen Korallen ausbreiten, die wenigen verbliebenen Algenabweider haben keine Chance mehr, diesen Teppich wieder zu beseitigen und Korallenlarven aus noch intakten benachbarten Riffen finden keinen Untergrund, um sich anzusiedeln.

Wir müssen die globale Klimaerwärmung eindämmen, das ist selbstverständlich richtig, und auch wichtig für die Korallenriffe, wir müssen aber genauso auch die lo-kalen und regionalen Gefährdungen eindämmen, weil gerade dies den Korallenriffen direkt hilft und sie gegen die Auswirkungen des Klimawandels widerstandsfähiger macht.

Wenn wir schon bei Zahlen sind – der Stern-Review von 2006 hat die ökonomischen Kosten der Klimaänderung auf jährlich 5-20 % des globalen Bruttoinlandprodukts beziffert. Diese Kosten sind vermutlich viel zu niedrig gegriffen, wenn man die durch Klimaänderung, aber auch falsche Land- und Meernutzung ausgelöste Veränderung der Vielfalt des Lebens mit hineinrechnet. Schon 1999 wurde die Wertschöpfung der Korallenriffe allein durch den Tourismus in einer viel zitierten Untersuchung mit 30 Milliarden US-$ pro Jahr beziffert. Eine vom Bundesumweltministerium in Auf-trag gegebene neue Studie wird Mitte 2008 vorläufige Neuberechnungen der ökolo-gischen Güter und Dienstleistungen durch die biologische Vielfalt präsentieren. Wir dürfen gespannt sein. Etwa 100.000 Arten sind heute aus Riffen bekannt, die Ge-samtzahl wird jedoch auf etwa eine Million geschätzt. Allein 1.300 verschiedene Ko-rallenarten bauen die Riffe mit ihren Skeletten auf, insgesamt gibt es 3.800 Arten von Korallen. Die Riffe bedecken weniger als 1% der Meeresfläche, beherbergen aber 25% aller Fischarten. Die Erkundung und Nutzung der genetischen Ressourcen aus den Riffen hat gerade erst begonnen, vor allem für die Medizin bergen sie noch ein enormes Potential an Wirkstoffen. Schätzungsweise 120 Millionen Menschen leben direkt durch Fischerei und Tourismus von den Riffen, über 700 Millionen Menschen (12% der Weltbevölkerung, oder 31% aller Küstenbewohner) leben in weniger als 50 km Entfernung von Korallenriffen, profitieren also von den Riffen durch Küsten-schutz, Fischerei und Tourismus, belasten allerdings auch die Riffe durch Baumass-nahmen, Abfälle und Abwässer.

Abb.1:

Hotelanlage in

Sharm el Sheikh,

Sinai, Ägypten,

der gesamte riff-

und strandnahe

Bereich ist bebaut.

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Die Wissenschaft hat inzwischen begriffen, dass Korallenriffe derart komplex sind, dass sie sich nicht linear verändern, wenn sich negative Effekte linear erhöhen, son-dern dass sie »Kippschalter«-Reaktionen zeigen. Wenn also die Nährstoffbelastung linear, also z.B. jedes Jahr etwa 5 % zunimmt, wird die Bedeckung durch Korallen nicht ebenfalls linear abnehmen. Anfänglich profitieren vielleicht vorhandene Fische sogar durch den plötzlichen Nahrungsreichtum, aber es wird ein Punkt kommen, an dem sie diesen Nahrungsreichtum nicht mehr kontrollieren können, und dann wird das Riff plötzlich rasend schnell von den Weichalgen überwuchert. Umgekehrt gilt aber auch, dass schon teilweise kleine Schritte zur schlagartigen Verbesserung des Ökosystems führen können. Sehr viele Beispiele gibt es inzwischen dafür, dass wegen Überfischung bedrohlich erkrankte Korallenriffe sehr rasch wieder gesunden, wenn auch nur ein kleinerer Teil komplett vor Fischfang geschützt wird. Das Riff er-holt sich nicht nur innerhalb und außerhalb derartiger Schutzgebiete – sofern eben keine sonstigen Beeinträchtigungen wie erhöhter Abwassereintrag vorhanden sind – sondern, es kann sogar wieder nachhaltiger Fischfang außerhalb der Schutzge-biete betrieben werden. Derartige Projekte sind immens wichtig, denn Korallenriffe wachsen überwiegend in armen Regionen und reine Verbote nützen nichts, selbst deren Kontrolle wäre ohne das Aufzeigen von Alternativen förmlich inhuman.

Wenn einem armen Rifffischer, der eine große Familie ernäh-

ren muss, nichts anderes übrig bleibt, als auch den allerletz-

ten Fisch zu fischen, weil er keine Alternative hat, ist jeglicher

Riffschutz zum Scheitern verurteilt. Wenn er aber zum Tou-

ristenführer für nachhaltigen Rifftourismus ausgebildet wird,

hat nicht nur das Riff, sondern auch er eine faire Chance.

Erfreulicherweise gibt es inzwischen viele derartige Beispiele, die jedoch auch von der reicheren Welt akzeptiert werden müssen. Der umweltverträgliche Urlaub mit Riffbesuch, der Fisch zum Urlaubs-Abendessen, der aus nachhaltiger Fischerei stammt, kostet nun eben etwas mehr, als ein Massentourismus-Urlaub mit mög-lichst billigem All-Inclusive. Das Umdenken hat begonnen, dies stimmt uns zuver-sichtlich, dass auch das Internationale Jahr des Riffes 2008, welches gleichermaßen einen Beitrag zur 9. Vertragsstaatenkonferenz zur Biologischen Vielfalt wie auch zum Internationalen Jahr des Planeten Erde darstellt, die Notwendigkeit des Schutzes dieses faszinierenden Lebensraum Korallenriff weiter befördern kann.

Denn Hilfe für die Korallenriffe ist eigentlich nur Selbsthilfe für

die globale menschliche Gesellschaft...

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Organisation Reef Checkwww.reefcheck.de Die Reef Check-Stiftung, die 1997 gegründet wurde, um den weltweiten Trend der Verschlechterung des Zustands der Korallenriffe aufzuhalten und umzukehren, ist eine gemeinnützige Organisation, die das weltweit umfangreichste Programm zur Beobachtung und Erhaltung der Korallenriffe unterhält. Vertreten in mehr als 80 Län-dern, erhebt ein Netzwerk aus Wissenschaftlern und freiwilligen Tauchern standar-disierte Daten, die von regionalen Koordinatoren und in der Hauptgeschäftsstelle von Reef Check in den USA ausgewertet werden. Internationale Teams arbeiten mit Gemeinden, Regierungen und Unternehmen zusammen, um Korallenriffe wissen-schaftlich zu beobachten, geschädigte Riffe zu rehabilitieren und weltweit intakte Riffe zu erhalten. Die ursprüngliche Idee war es, unter Anleitung von Meereswis-senschaftlern mit Hilfe von Laien dringend benötigte wissenschaftliche Daten zum Zustand der Riffe zu erheben. Ziel war neben der Schaffung eines allgemein zu-gänglichen Datenpools vor allem auch Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit. Mittlerweile ist die Reef Check Methode eines der Standardprotokolle des GCRMN (Global Coral Reef Monitoring Network) der Vereinten Nationen. Reef Check Europe arbeitet derzeit von Deutschland aus mit Schwerpunkten im Roten Meer, Burma/Thailand und den Malediven. Nicht nur beliebte und daher viel betauchte Tauchplät-ze werden auf diese Weise regelmäßig untersucht, sondern auch Riffe, die nur selten von Tauchern besucht werden und in annähernd ursprünglichem Zustand sind. So können die Forscher Vergleiche ziehen und den Zustand der Riffe besser bewerten.Neben der Arbeit mit den Sporttauchern und Tauchlehrern (Angebot von RC-Kursen in Deutschland bzw. Angebot zur freiwilligen Teilnahme im Urlaub) werden auch Gutachten durchgeführt und Meeresschutzgebiete bei der Erstellung/Verbesserung ihrer Monitoring-Konzepte unterstützt. Hierzu werden dort Fachkräfte (z.B. National-park-Ranger) in den entsprechenden Methoden ausgebildet.