GE TRICKST UND ABGEDREHT - filmleser...6 7 3. GAU NER UND HALUNKEN 72 DER CLOU von George Roy Hill...

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FILMGESCHICHTEN FÜR KINOFANS G E TRI C KST U N D A B G E DREH T THOMAS BINOTTO Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher

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  • FILMGESCHICHTEN

    FÜR KINOFANS

    GE TRICKST UNDABGEDREHT

    THOMAS BINOTTO

    Bloomsbury

    Kinderbücher & Jugen

    dbücher

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    INHALT

    VORSPANN 9

    PROGRAMM

    1. KOLOSSAL MONUMENTAL 12 B EN HUR von William Wyler 16 S PARTACUS von Stanley Kubrick 19 CLEO PATRA von Joseph L. Mankiewicz 23 VOM WI ND E VERWEHT von Victor Fleming 26 LAWREN CE VO N ARAB I EN von David Lean 28 KAG E MUS HA von Akira Kurosawa 31 DAS G ROSSE RENNEN RUND UM D I E WELT von Blake Edwards 34 D E R H E R R D E R R I N G E von Peter Jackson 36

    2. WILD WAR DER WESTERN 40 ZWÖLF UHR MI T TAGS von Fred Zinnemann 43 EL DO RADO von Howard Hawks 46

    D I E G LO RREI CHEN S I EB EN von John Sturges 48 W E I T E S L A N D von William Wyler 51 C AT BA L LO U – H Ä N G E N SO L L S T D U I N W YO -MI N G von Elliot Silverstein 53 S P I EL MI R DAS LI ED VOM TO D von Sergio Leone 56 WI NNE TO U von Harald Reinl 58 VI ER FÄUS TE FÜR EI N HALLELUJA von E. B. Clucher 62 TO D E S ZU G NAC H YUMA von James Mangold 65 D ER MI T D EM WO LF TANZT von Kevin Costner 66 D ER MANN , D ER LI B ERT Y VALAN CE ER SCH OSS von John Ford 69

    © 2010 BV Berlin Verlag GmbH, Berlin Bloomsbury Kinderbücher & Jugendbücher Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

    Typografi e, Gestaltung und Satz: Manja Hellpap, Berlin Gesetzt aus Granjon und Bull-dog Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany 2010 ISBN 978-3-8270-5350-3 www.berlinverlage.de

    T H OM AS B I N OT TO, geboren 1966, ist Journalist und Buchautor. Bei Bloomsbury K & J erschien 2006 von ihm »Mach’s noch einmal, Charlie! 100 Filme für Kinofans (und alle, die es werden wollen)« (Bloomsbury K & J Taschenbuch 2009), das unter anderem für den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg nominiert war. Thomas Binotto lebt mit seiner Familie in Schaffhausen, Schweiz.

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    3. GAUNER UND HALUNKEN 72 D ER CLO U von George Roy Hill 74 OCE AN ’ S ELE VEN von Steven Soderbergh 77 LADYKI LLER S von Alexander Mackendrick 79 AD EL VERPFLI CH -T E T von Robert Hamer 82 D I E FALSCHS P I ELERI N von Preston Sturges 8 4 ZWEI H I NREISSEND VERDO RB ENE SCHURKEN von Frank Oz 8 7 D I E G L Ü C K S R I T T E R von John Landis 90 VI ER LEI CHEN AUF ABWEG EN von Lloyd Bacon 92 ÜB ER D EN DÄCHERN VO N N IZZ A von Alfred Hitchcock 95 DAS S U P E R H I RN von Gérard Oury 97

    SC H TO N K ! von Helmut Dietl 99 SC H WA R Z E K AT Z E , W E I SS E R KAT E R von Emir Kusturica 102

    4. MIT TAKTGEFÜHL UND MUSIKGEHÖR 104 D I E U N G E T R E U E von Preston Sturges 105 VO R H A N G AUF ! von Vincente Minnelli 109 S I N G I N ’ I N T H E R A I N von Stanley Donen 112 M A RY P O P P I N S von Robert Stevenson 115 WE S T S I D E S TO RY von Robert Wise 118 D I E Z AUB ERFLÖTE von Kenneth Branagh 121

    A H ARD DAY’ S N I G HT von Richard Lester 123 T H I S I S S P I NA L TAP von Rob Reiner 126 B RASSED O FF – MI T PAUKEN UND TROMPE TEN von Mark Herrman 128 SC HULTZE G E TS THE B LUES von Michael Schorr 13 1 R H Y T H M I S I T ! von Thomas Grube 133

    5. KINDER, KINDER 136 THE KI D von Charles Chaplin 139 P E L L E , D E R E RO B E R E R von Bille August 142 AZZURRO von

    Denis Rabaglia 145 FAHRRAD D I EB E von Vittorio de Sica 147 LO N G WA L K H OM E von Philip Noyce 150 AUF WI ED ER SEHEN , KI ND ER von Louis Malle 153 SO N O F R A M B OW von Garth Jennings 156

    D ER KRI EG D ER KNÖPFE von Yves Robert 158 PÜNK TCHEN UND A N TO N von Caroline Link 160 E S G I B T N U R E I N E N J IM M Y G RIMB LE von John Hay 163 W E R F R Ü H E R S T I RB T I S T L Ä N G E R TOT von Marcus H. Rosenmüller 165 L I P P E L S T R AU M von Lars Büchel 168

    6. DIE ZUKUNFT IST ERST DER ANFANG 172 D I E E R F I N D U N G D E S V E R D E R B E N S von Karel Zeman 175 D ER TAG , AN D EM D I E ERD E S T I LLS TAND von Robert Wise 177 WARGA M E S – K R I EGS -S P I ELE von John Badham 180 FA H R E N H E I T 4 5 1 von François Truf-faut 182 2 0 0 1 : O DYSS E E IM W E LT R AU M von Stanley Kubrick 186

    B LAD E RUNNER von Ridley Scott 189 D I E P H A N TAS T I SC H E R E I S E von Richard Fleischer 190 T IM E BA N D I T S von Terry Gilliam 193

    ZURÜCK I N D I E ZUKUNF T von Robert Zemeckis 195

    7. MONSTER UND ANDERE UNGEHEUERLICH-KEITEN 198 NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS von Wilhelm Friedrich Murnau 201 F R A N K E N S T E I N von James Whale 205 K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU von Merian C. Cooper und Ernest D. Schoedsack 208 HULK von Ang Lee 211

    TA N Z D E R VA M P I R E von Roman Polanski 213 D I E VÖG EL von Alfred Hitchcock 216 D E R W E I SS E H A I von Steven Spielberg 219

    T H E OT H E R S Alejandro Amenábar 222 D I E AD DAMS FAMI LY I N V E R R Ü C K T E R T R A D I T I O N von Barry Sonnenfeld 224

    8. B E G E H R T E S C H M E R Z E N 2 2 6 C A SA B L A N C A von Michael Curtiz 229 Z E I T D E R U N SC H U L D von Martin Scorsese 232

    VI EL LÄRM UM N I CHTS von Kenneth Branagh 235 D I E NAC H T VO R D E R H O C H Z E I T von George Cukor 238 SCH I CK MI R KEI NE B LUMEN von Norman Jewison 240 G R E E N C A R D von Peter Weir 244 D I E FAB ELHAF TE WELT D ER AMÉLI E von Jean-Pierre Jeunet 247 VATER D ER B RAU T von Vincente Minnelli 250 H I G H F I D E L I T Y von Stephen Frears 253 EI N SELTSAMES PA AR von Gene Saks 255 E I N H IM M L I SC H E R S Ü N D E R von Ernst Lubitsch 258

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    9. O DU SCHRECKL ICHE ! 260 I S T DAS L E B E N N I C H T SCH Ö N ? von Frank Capra 263 J E D E F R AU B RAU C H T E I N E N E N G EL von Henry Koster 266 W I R S I N D K E I N E E N G EL von Michael Cur-tiz 2 6 8 REND EZVO US NACH LAD ENSCHLUSS von Ernst Lubitsch 270

    KE VI N – ALLEI N ZU HAUS von Chris Columbus 273 SCHÖNE B E SC H E RU N G von Jeremiah S. Chechik 276 D I E WEI HNACHTSGANS AU GUS TE von Bodo Fürneisen 277

    10. NICHTS ALS DIE WAHRHEIT? 280 C I T IZ E N K A N Evon Orson Welles 283 R E P O RT E R D E S SATAN S von Billy Wilder 287

    Q U IZ S H OW von Robert Redford 290 WAG THE DOG von Barry Levinson 292 G O O D BYE , L E N I N ! von Wolfgang Becker 295

    JAKO B D ER LÜG NER von Frank Beyer 297 SO P H I E SCH O L L – D I E LE T Z T E N TAG E von Marc Rothemund 300 EI N MANN ZU JED ER JAH -R E S Z E I T von Fred Zinnemann 302 IM NAMEN D E S VATER S von Jim Sheridan 306 D I E ZWÖLF G E SCHWO RENEN von Sidney Lumet 308

    ABSPANN 312

    Bildnachweis 312Filmregister 313

    Ich bin immer noch geschichtensüchtig. Daran hat sich seit »Mach’s noch einmal, Charlie!« nichts geändert. Weshalb soll ich eine Lei-denschaft zügeln, die mir so viel Freude macht? Und das Kino hat unendlich viele Geschichten auf Lager, so dass es locker für ein zweites Buch reicht. Also habe ich sozusagen nochmals von vorne angefangen, ohne mich dabei zu wiederholen: Ich habe hundert weitere Filme ausgewählt, mit denen sich spannend Filmgeschich-te erzählen lässt, und habe sie wieder in zehn Gattungen eingeteilt. Geschichtensüchtige können nämlich nie genug bekommen, und so habe ich im ersten Band schmerzlich ein Kapitel über Western vermisst, konnte nicht begreifen, dass der Musikfi lm fehlte, und fand es jammerschade, dass Gruselfi lm und Science-Fiction drau-ßen bleiben mussten. Aber dann habe ich mir gedacht: getrickst und abgedreht, schreibst du halt einen zweiten Band.

    Eine Filmgeschichte in zwei Bänden – das ist eine runde Sache. Aber am Ende angekommen bin ich damit natürlich noch lange nicht. Ich staune immer noch wie ein neugieriges Kind über diese gigantische Erzählkiste »Kino« und habe vor allem zwei Dinge im Kopf: Entweder will ich einen besonders tollen Film erneut entdecken, oder ich warte darauf, dass mir ein neuer Leckerbissen

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    serviert wird. Und weil das Kino seit über hundert Jahren Film-geschichten am laufenden Band produziert, besteht kein Grund zur Sorge, dass irgendwann diese furchtbare Schrifttafel mit »The End« eingeblendet wird.

    Mit meiner unstillbaren Neugierde bin ich glücklicherweise nicht allein. Dank meiner Bücher begegne ich nun ganz vielen jungen Filmfans, die auch nie genug kriegen können. Bei meinen »Filmlesungen« können wir dann unsere Leidenschaft teilen. Es ist das reine Vergnügen, ihnen Filmgeschichten zu erzählen und sie damit gefangen zu nehmen, fast noch vergnüglicher als das Ent-decken und Aufschreiben. So ziehe ich neuerdings als Kidnapper, Missionar und Rattenfänger durch die Lande mit Filmgeschichten im Gepäck, die Filmgeschichte erzählen.

    Wer sich erst mit diesem Buch anlocken ließ, braucht sich keine Sorgen zu machen, ob er ohne den ersten Band auch mitkommen werde. Wir Kinopiraten nehmen jeden mit, der sich an Bord traut, und machen es ihm so angenehm wie möglich. Wir fragen nicht einmal nach dem Alter. Wer so fasziniert vom Kino ist, dass er 320 Seiten durchhält, der ist auch alt genug dafür.

    Ich habe mich schon oft über Filmeinführungen geärgert, die viel zu lange waren und viel zu viel verraten haben, also kriege ich nun ganz schnell die Kurve. Nur eines noch: Ich stehe tief in der Schuld meiner Tochter Sophie. Zunächst hat sie ungeduldig nach jedem neuen Kapitel gefragt und mich damit aus der Reserve ge-lockt. Und dann hat sie mein Manuskript immer wieder kritisch gelesen und mit klugen Anmerkungen versehen. Sie war so etwas wie meine freundliche Sklaventreiberin – und die sind für Auto-ren Gold wert.

    Mehr zu meinen Filmlesungen unter www.fi lmleser.ch

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    Das Kino ist eine Traummaschine, aber auch ein Angstsimulator – eine Albtraummaschine sozusagen. Im dunklen Kinosaal können wir uns den schrecklichsten nur denkbaren Gefahren aussetzen und kommen doch immer heil davon. Wir gehen ins Kino, um zu lachen und zu weinen, aber auch um uns zu fürchten. Und wie bei jedem Simulator lässt sich der Grad der Furcht langsam steigern. Wenn es bereits unheimlich, aber noch nicht blutig ist, beginnen wir uns zu gruseln. Wenn es allmählich unappetitlicher wird und die Opfer reihenweise dahinsterben, wächst der Horror. Wenn schließ-lich das Blut in Strömen fl ießt und hinter jeder Ecke eine tödliche Axt lauert, dann stecken wir mitten im sogenannten Slasher- Movie – aber so weit wollen wir es hier nicht kommen lassen.

    Während der Stummfi lmzeit war Deutschland das führende Produktionsland für »Kino-Albträume«. Der Schauspieler und Regisseur Paul Wegener drehte 1913 D E R S T U D E N T VO N P R AG. Ein junger Mann verkauft darin sein Spiegelbild für Geld an einen schmierigen Händler. Danach geht es zunächst mit seiner Karriere steil aufwärts, aber dann wird er von seinem eigenen Spiegelbild verfolgt und schließlich in den Tod getrieben. Das ist heute noch gruselig anzuschauen und war damals eine tricktechnische Meis-

    terleistung, weil Wegener in einer Doppelrolle gleich zweifach auf der Leinwand zu sehen war. Das Geheimnis war eine Doppelbe-lichtung, bei der man zunächst nur die eine Hälfte des Filmstrei-fens mit dem »einen« Wegener belichtete. Anschließend wurde die andere Hälfte abgedeckt, und Wegener wechselte in der Kulisse ebenfalls seinen Standort.

    Lediglich ein Jahr später entstand D ER GO LEM, in dem ein Lehm-koloss zum Leben erweckt wird und für Angst und Schrecken sorgt. 1920 griff Wegener diesen Stoff erneut auf und machte da-raus mit D ER GO LEM , WI E ER I N D I E WELT KAM einen der bekanntesten deutschen Stummfi lme überhaupt. Im selben Jahr entstand auch der Film DAS C A B I N E T D E S D R . C A L I GAR I von Robert Wiene, der noch berühmter und einfl ussreicher wurde. Darin richtet der wahnsin-nige Dr. Caligari einen Schlafwandler zu seinem Werkzeug ab, das nachts als Todesengel umgeht. Wie in so vielen Horrorfi lmen füh-len wir uns hier an unsere eigenen Albträume erinnert, in denen wir ja auch oft von Ängsten gequält werden und in denen sich Realität und Fiktion zu einem wilden Knäuel verheddern. Sogar die Film-kulissen sind bei Wiene aus dem Lot. Wir geraten buchstäblich auf die schiefe Bahn, die Größenverhältnisse stimmen nicht mehr, und bis zum Schluss ist nicht einmal mehr klar, ob wir die Handlung des Films überhaupt richtig gedeutet haben.

    Das alles sind gruselige Filme, aber noch unheimlicher wurde es 1922 mit N OS F E R AT U – E I N E S Y M P H O N I E D E S G RAU E N S. Graf Dracula, der Vampir aus den Karpaten, hat hier seinen ersten Filmauftritt, und zwar so erfolgreich, dass er seither für eine unübersehbare Menge weiterer Auftritte von den Untoten zurückgekehrt ist. Allerdings tritt Dracula in dieser Version von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau ausnahmsweise unter falschem Namen als Graf Orlok auf, weil die Produktionsfi rma die Rechte an der Buchvorlage von Bram Stoker nicht erworben hatte. Deshalb musste Drehbuchau-

    MONS TER U ND ANDERE UNGEHEU- ERLICH KEITEN

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    tor Henrik Galeen, der bereits für Paul Wegener gearbeitet hatte, da und dort etwas an der Handlung und den Namen ändern. Der Vampirjäger Van Helsing wurde sogar ganz gestrichen.

    Was vom Grausen übrig blieb: Graf Orlok will ein Haus in der Hafenstadt Wisborg kaufen. Deshalb wird der junge Häusermak-ler Thomas Hutter in die Karpaten geschickt, obwohl seine Frau Ellen von düsteren Vorahnungen gequält wird. Dort angekommen, erscheint dieser Graf mit seinen Lebensgewohnheiten auch Hutter reichlich seltsam. Als er dahinterkommt, dass es sich hier um einen Untoten handelt, der sich von Menschenblut ernährt und tagsüber vor der Sonne geschützt in seinem Sarg schläft, ist es bereits zu spät. Orlok alias Nosferatu hat sich für die Reise nach Wisborg verpa-cken und einschiffen lassen. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit und die Pest, die in Nosferatus Schlepptau mitreist. Nur eine Frau mit reinem Herzen, die sich opfert, kann das Grauen noch stoppen.

    Nosferatu wurde von einem Schauspieler mit dem passenden Namen Max Schreck verkörpert. Er ist bis heute eines der furchter-regendsten Wesen des Horrorfi lms geblieben, mit kahlem Schädel,

    hageren Gliedmaßen, eingefallenem Gesicht und mit Krallen dort, wo wir Hände haben. Es blieb Schrecks berühmteste Rolle, so ein-zigartig, dass sich um den Schauspieler ebenfalls Legenden rankten.

    Für Murnau bedeutete N OSFERATU den Beginn einer großen Karriere. Er hatte bewiesen, dass er auf einzigartige Weise mit Bil-dern erzählen konnte. N OSFERATU sorgt nicht mit blutigen Szenen für Horror. Murnau lässt lieber die Schatten unheilvoll fallen, ein Trauerzug mit unzähligen Särgen wankt gespenstisch durch die Straßen, und der Vampir fährt stocksteif wie auf einem Scharnier aus dem Sarg hoch. Am unheimlichsten wird uns bei all jenen Bil-dern, die Murnau gezielt weglässt. Dadurch werden wir gezwun-gen, den Horror noch viel näher, als wir es eigentlich wollen, an uns heranzulassen. Die grausigsten Bilder malen wir uns nämlich im eigenen Kopf aus.

    Die Produktionsfi rma Prana-Film wurde mit N OSFERATU weni-ger glücklich als Murnau. Es war nämlich ihr erster und ihr letzter Film. Die Firma ging pleite, weil N OSFERATU ein Misserfolg wur-de und weil sich die beiden Inhaber großzügig am Firmenkapital

    N OS F E R AT U – E I N E S Y M P H O N I E D E S G RAU E N S in einem Satz: Ein untoter Blutsauger bringt, wohin er kommt, Tod und Verderben.

    N OS F E R AT U – E I N E S Y M P H O N I E D E S G RAU E N S . Deutschland 1922. Regie: Friedrich Wilhelm Murnau. Besetzung: Max Schreck, Gustav von Wangenheim, Greta Schröder u. a. 84 Minuten. FSK 12. DVD: Universum Film

    Wem ein Film nicht genügt:D RACULA USA 1930. Regie: Tod Browning ( FSK 12 )B RAM S TO KER ’ S D RACULA USA 1992. Regie: Francis Ford Coppola ( FSK 16 )

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    bedient hatten. Im August 1922 wurde deshalb ihr einziger Film gepfändet. Und es kam noch schlimmer: Die von Drehbuchautor Henrik Galeen vorgenommenen Änderungen am Stoff konnten nicht verhindern, dass die Witwe von Bram Stoker einen Urhe-berrechtsstreit lostrat. Sie gewann den Prozess 1925, und das Urteil lautete: N OSFERATU muss vernichtet werden. Glücklicherweise exis-tierten damals bereits so viele Kopien, dass der Richterspruch gar nicht mehr vollzogen werden konnte.

    Erst 1931 wurde in Hollywood unter der Regie von Tod Brow-ning die erste legale Verfi lmung in Angriff genommen: Bela Lugosi spielte D R ACULA. Das hat Lugosi auf Dauer noch weniger Glück ge-bracht als Max Schreck. Lugosi war von nun an auf Horrorfi lme im Allgemeinen und Vampirrollen im Speziellen abonniert. Als das Genre in den 1940er Jahren an Popularität verlor, sank auch sein Stern rapide. Lugosi verfi el dem Alkohol und der Drogensucht. Erst gegen Ende seines Lebens tauchte er in der Filmgeschichte wieder auf, weil ihm die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, mit einem der schlechtesten Regisseure aller Zeiten zusammenzuarbeiten.Dieser Ed Wood drehte seine Filme mit ebenso viel Enthusiasmus wie Unvermögen, so dass sie später gerade wegen ihrer Dürftigkeit Kult wurden. Kultstatus erlangte dadurch auch Lugosi. Aber erlebt hat er das nicht mehr. Lugosi starb 1956 und wurde auf Wunsch der Angehörigen in seinem Dracula-Kostüm aufgebahrt und beerdigt. Am Grab soll daraufhin Vincent Price, der als Horrordarsteller auf Edgar Allen Poe spezialisiert war, zu seinem »Gruselkollegen« Boris Karloff gesagt haben: »Man sollte Lugosi vorsichtshalber einen Pfahl durchs Herz treiben.«

    Erst 1992 wurde die Legende des blutdürstigen Untoten dann auch der Vorlage getreu verfi lmt. Deshalb hieß der Film B RAM S TO KE R ’ S D RACULA. Francis Ford Coppola und Michael Ballhaus ma-chen sich darin einen Spaß daraus, die schauerlichsten Effekte mit alten Stummfi lmtricks zu erzielen, und kehren damit zu N OS F E R A -T U und Wilhelm Friedrich Murnau zurück.

    Boris Karloff erging es mit F R A N K E N S T E I N ähnlich wie Schreck und Lugosi. Diese eine Rolle machte ihn weltberühmt – und dann wur-de er sie kaum mehr los. Wie D RACULA geht auch F R A N K E N S T E I N auf eine Vorlage aus dem 19. Jahrhundert zurück, diesem Jahrhundert des Gruselromans. Im englischsprachigen Raum gab es sogenann-te Gothic Novels in rauen Mengen. Die Vorlage für F R A N K E N S T E I N stammt von Mary Shelley, die ihre Schauergeschichte 1818 unter einem Pseudonym herausgegeben hatte. Geschrieben hatte sie den Text am Genfer See, was wohl auch erklärt, weshalb die Haupt-fi gur Victor Frankenstein ein Wissenschaftler aus der Schweiz ist.

    Boris Karloff war in der Verfi lmung so einprägsam und furcht-erregend, dass bis heute das Missverständnis vorherrscht, das von

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    ihm gespielte Monster heiße Frankenstein. In Wirklichkeit ist es aber der Name seines Schöpfers. Frankenstein ist ein Wissenschaft-ler, der sich nicht um Grenzen in der Forschung und in der Moral kümmert. Ihm gelingt es, ein totes Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Daraufhin setzt er aus verschiedenen Leichenteilen einen neuen »Menschen« zusammen, dem nur noch das Hirn fehlt. Sein Assistent Fritz besorgt ihm auch das. Es handelt sich allerdings um das Gehirn eines Mörders. Doch selbst davon lässt sich Franken-stein nicht in seinem Eifer bremsen. Durch einen Blitzschlag wird schließlich Frankensteins Kreatur zu neuem Leben erweckt und alsbald zum Monster, denn sie entgleitet den Händen und der Kon-trolle ihres Schöpfers. Was nun folgt, ist ein Dauerbrenner des Hor-rorfi lms: das Unheil, das der Mensch anrichtet, wenn er Gott spielt.

    Regisseur James Whale nutzte in F R A N K E N S T E I N die Freiheiten des Genres, das damals ja noch jung und unerfahren war, optimal aus. Er suchte ungewöhnliche Blickwinkel und Effekte, die wir in einem »normalen« Film als schlecht gemacht oder als aufdringlich empfi nden würden. Er bewegte die Kamera so auffällig, wie es da-mals nur ging, und stellte sie an Orte, die unüblich waren, fi lmte extrem von unten, dann von oben, schief – je nachdem, was gerade den unheimlichsten Effekt erzeugte. Dadurch wird F R A N K E N S T E I N erst richtig schauerlich. Whale inspirierte damit aber auch Filme-macher, die er für ihre »normalen« Filme auf neue Ideen brach-te. Vier Jahre nach F R A N K E N S T E I N gelang Whale mit F R A N K E N S T E I N S B R AU T eine Fortsetzung, die sogar noch dichter und damit noch un-heimlicher war. Bereits dem Titel sehen wir an, wie schnell sich der Name Frankenstein vom Schöpfer auf das Geschöpf übertragen hat, denn mit Frankensteins Braut ist nicht etwa die zukünftige Frau des Wissenschaftlers gemeint, sondern ein weiteres künstliches, diesmal weibliches Geschöpf, das zur Gefährtin des Monsters wer-den soll. Diese Variation des Themas ist bis heute unerreicht geblie-ben – und das in Konkurrenz zu über 100 Frankenstein-Filmen.

    Mit Boris Karloff war das Schicksal, wie bereits angedeutet, etwas gnädiger als mit Bela Lugosi. Für ihn, der in Wirklichkeit

    brav und bieder William Henry Pratt hieß und 1887 in London geboren worden war, blieb das Monster zwar ebenfalls die Rolle seines Lebens. Karloff aber war auch nach diesem Erfolg ein viel beschäftigter Mann, der unzählige größere und kleinere Rollen spielte, darunter jede Menge Horrorfi lme, der aber darüber hinaus im Radio als Hörspielsprecher und Vorleser von Büchern äußerst beliebt war. Seinen größten Theatererfolg erzielte Karloff mit der Krimikomödie »Arsen und Spitzenhäubchen« am Broadway. Dieses Stück machte ihn, weil er am Einspielergebnis beteiligt war, zu einem reichen Mann. In der Verfi lmung konnte er jedoch aus vertraglichen Gründen nicht auftreten. 1968 – ganz am Ende seiner Karriere – erhielt Karloff dann nochmals eine Paraderolle. Viele meinen, es sei die beste seines Lebens gewesen: Im Horror-Thriller B E WEG LI CHE ZI ELE von Peter Bogdanovich spielt Karloff praktisch sich selbst – unter dem Namen Byron Orlok.

    F R A N K E N S T E I N in einem Satz: Ein genialer, aber gewissenloser Forscher will aus totem »Material« einen neuen Menschen schaffen und lässt dadurch ein Monster auf die Welt los.

    F R A N K E N S T E I N . USA 1931. Regie: James Whale. Besetzung: Boris Karloff, Colin Clive, Mae Clarke u. a. 71 Minuten. FSK 16. DVD: Universal

    Wem ein Film nicht genügt:F R A N K E N S T E I N S B RAU T USA 1935. Regie: James Whale ( FSK 12 )MARY S HELLE Y’ S FRANKENS TEI N USA 1994. Regie: Kenneth Branagh ( FSK 16 )

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    Die dritte klassische Horrorfi lmfi gur neben Dracula und Franken-stein ist King Kong. Im Gegensatz zu den beiden anderen wurde sie aber eigens fürs Kino erfunden. Der Riesenaffe ist damit in ge-wisser Weise das Urmonster des Kinos, und in den ersten Dreh-buchfassungen hieß der Film folgerichtig schlicht und einfach »The Beast«. Daraus wurde später K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU, das Werk von drei Männern: Produzent Merian C. Cooper, Regis-seur Ernest B. Schoedsack und Trickspezialist Willis O’Brien, dem Erfi nder der Stop-Motion-Animation. Ihnen gelang 1933 nicht nur ein sensationeller Erfolg, sie erweiterten auch die Möglichkeiten des Kinos, indem sie ganz neue Trickverfahren erfanden und kom-binierten. O’Brien entwickelte seine Animationstechnik zur »stop action model animation« weiter. Nun konnte er Miniaturfi guren mit beweglichen Gelenken aus verschiedenen Blickwinkeln foto-grafi eren und millimeterweise bewegen. Gleichzeitig ließen sich diese bewegten Puppen mit dem Spiel realer Schauspieler kombi-nieren. Realfi lm und Trickfi lm wurden damit in einer Perfektion verknüpft, wie man sie bis dahin nicht gekannt hatte.

    Wenn sich der Mensch wie in F R A N K E N S T E I N als Gott aufspielt, rächt sich das. Wenn er die verborgenen Kräfte der Natur weckt, eben-falls. In K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU heißt der Störenfried Carl Denham. Der Filmregisseur betritt eine noch unbekannte Insel, wo er spektakuläre Kulissen für seinen Abenteuerfi lm zu fi nden hofft. Denham entdeckt viel mehr als erwartet: eine Urwelt mit Fabel-wesen, die noch kein Mensch zu Gesicht bekommen hat. Und einen Riesenaffen, der als Herrscher über diese verborgene Welt regiert, zu der auch die Eingeborenen der Insel gehören. King Kong ent-führt Ann Redman, die Denham als Hauptdarstellerin mitgebracht hat. So etwas hat man geahnt. Dann aber geschieht etwas Unerwar-tetes: King Kong tötet die weiße Frau nicht, sondern verliebt sich in sie. Und damit wird er verletzlich. Denham gelingt es, King Kong einzufangen und nach New York zu transportieren. In einem ent-würdigenden Spektakel soll dort der Riesenaffe zur Schau gestellt werden. Als King Kong während der Show die Liebe seines Lebens wiedersieht und vom Blitzlichtgewitter der Fotografen erschreckt wird, bricht er aus und entführt Ann ein weiteres Mal. Diesmal geht die Jagd mitten durch New York, mitten durch den Groß-stadt-Dschungel.

    K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU war im Gegensatz zu vielen an-deren Horrorfi lmen keine Billigproduktion. Das viele Geld wurde allerdings nicht in erster Linie für Schauspieler, sondern für Tricks und Kulissen ausgegeben. Für die Stop-Motion-Animation wurde

    K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU in einem Satz: Ein furchterregender Riesenaffe wird vom Urwaldkönig zum Schrecken New Yorks.

    K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU ( King Kong ). USA 1933. Regie: Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack. Besetzung: Fay Wray, Robert Armstrong, Bruce Cabot u. a. 100 Minuten. FSK 6. DVD: Kinowelt

    Wem ein Film nicht genügt:G O D Z I L L A Japan 1954. Regie: Inoshirô Honda ( FSK 12 )D I E MUMI E USA 1999. Regie: Stephen Sommers ( FSK 12 )

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    der Studio-Urwald mit künstlichen und echten Pfl anzen bestückt. Eines Tages erblühte eine der echten Pfl anzen, ohne dass es jemand vom Team bemerkte. Als man dann die ersten Muster des Gefi lmten anschaute, stellte man mit Schrecken fest, dass darauf eine Pfl anze innerhalb weniger Sekunden im Zeitraffer erblühte. Die Arbeit eines ganzen Tages war damit futsch und musste wiederholt werden.

    Für die angeschlagene Produktionsfi rma RKO war der Film ein echtes Wagnis, aber der riesige Erfolg des Films brachte sie zurück auf die Erfolgsspur. Dennoch blieb man kostenbewusst: In den Ku-lissen von K I N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU wurde mit G RAF Z ARO FF – G E N I E D E S BÖSEN gleich anschließend ein kompletter weiterer Film gedreht. Und auch danach fand die Kulisse jahrelang immer wieder Verwendung. Für VOM WI ND E VERWEHT benutzte man die Palisaden und das große Tor zum Dorf der Eingeborenen zum letzten Mal. Sie wurden bei den Dreharbeiten zur Feuersbrunst von Atlanta vor laufender Kamera verbrannt.

    Auch was die Filmmusik betraf, betrat man Neuland. KI N G KO N G U N D D I E W E I SS E F R AU war nämlich der erste Film, in dem auch Dia-logszenen mit Musik unterlegt wurden. Max Steiner, der diese Mu-sik komponiert hatte, wurde damit zum Pionier und zum Star der Filmmusik. Im Laufe von beinahe vierzig Jahren komponierte er für gut 300 Filme die Musik und überwachte zudem als Chefkom-ponist von RKO und später von Warner eine unübersehbare Men-ge von Filmkompositionen.

    Obwohl die Tricktechnik inzwischen gewaltige Fortschritte ge-macht hat, insbesondere natürlich durch die Digitalisierung, faszi-niert das Monsterdrama heute noch. Für den deutschen Regisseur Tom Tykwer sorgte es sogar für ein wegweisendes Erlebnis: »Ich war ungefähr zehn, als ich zum ersten Mal KI N G KO N G gesehen habe. Bei diesem alten Schwarzweißfi lm von 1933 erlebte ich zum ersten Mal den Wechsel zwischen der Sicht des Zuschauers und jener des Machers. Irgendwie wurde mir bewusst, dass es diesen Affen gar nicht gab, dass hier eine Illusion hergestellt wurde. Aber gleichzei-tig war ich von der Geschichte total gefesselt.«

    Für Ang Lee war die enge Verwandtschaft von HULK mit Krea-turen wie King Kong oder Frankensteins Monster von Anfang an offensichtlich: ein unförmiger Koloss mit einer verletzlichen Seele, der von sich aus gar nicht böse sein will, aber seinen Willen nach der Verwandlung jeweils nicht mehr unter Kontrolle hat. Im Uni-versum der Superhelden des Comicverlags Marvel ist Hulk – der wie Spider-Man, Iron Man und die X-Men vom Autor Stan Lee geschaffen wurde – eine Ausnahmeerscheinung, weil er so plump und unattraktiv ist. Wir würden uns gerne wie Spider-Man durch Häuserschluchten schwingen oder wie Wolverine die Krallen aus-fahren. Aber wer will schon freiwillig ein brüllender und tobender, unförmiger grüner Koloss sein?

    Bruce Banner jedenfalls nicht, aber er ist mit genau diesem Fluch beladen. Weil sein Vater medizinische Versuche an sich selbst unternommen hat, weist Bruce einen genetischen Defekt auf, der nach einem Laborunfall »aktiviert« wird. Von nun an wird Bruce immer dann, wenn er besonders gestresst ist, zum grünen Monster,

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    Trotzdem hat HULK mehr als nur eine Chance verdient, denn Lee fi ndet viele außergewöhnliche Bilder. Überraschend und elegant wie kaum ein anderer Regisseur vor ihm bringt Lee Elemente der Comicgestaltung direkt auf die Leinwand. Er teilt die Leinwand oft in verschiedene Bildrahmen auf und macht daraus einen so-genannten Split Screen. So erhält er ein Gesamtbild, das wie eine bewegliche Comicseite aussieht. Damit wir uns jedoch in diesen verschachtelten Bildern, die gleichzeitig auf der Leinwand erschei-nen, nicht verlaufen, verwendet Lee raffi nierte Schnittübergänge, die uns durch diese Teilbilder eines Gesamtbildes führen. Das ist so ungemein elegant gemacht, dass es den grünen Koloss, der da rumbrüllt, bei weitem aufwiegt.

    Während Ang Lee aus einer scheinbar harmlosen Comicvorlage eine Tragödie macht, geht Roman Polanski in TA N Z D E R VA M P I RE ge-nau den umgekehrten Weg. Bei ihm wird aus der bedrückenden Dracula-Saga eine komische Horror-Parodie. Von außen betrachtet stimmt noch alles: Der greise Professor Abronsius geht mit seinem Gehilfen Alfred in den Karpaten auf Vampirjagd. Im Schloss des Grafen von Krolock werden sie endlich fündig – und zwar nicht zu knapp. Der Graf selbst ist das Oberhaupt eines weit verzweigten Vampirclans, der sich gerade zur Familienfeier im Schloss versam-melt hat. Ein gefundenes Fressen, pardon, eine tolle Gelegenheit für Abronsius und Alfred, sich des Nachts die Vampire mit Knoblauch und Kreuz vom Leib zu halten und ihnen bei Tageslicht die Her-zen im Akkord zu pfählen. Alles klar so weit. In der Praxis sind die tollpatschigen Vampirjäger mit ihrem Untoten-Latein aber rasch am Ende. Was soll man beispielsweise tun, wenn Vampire weder auf Knoblauch noch auf Kreuze reagieren? Wie herzlos muss man sein, um einem friedlich schlafenden Blutsauger den Pfahl durchs Herz zu treiben? Und auf welche Behandlung spricht ein offen-sichtlich schwuler Vampir an?

    zum Hulk, der alles kurz und klein schlägt. Damit wird Bruce zur Bedrohung, zum Forschungsgegenstand und zum Objekt der Be-gierde für das Militär. Nur seiner Freundin Betty gelingt es, den Hulk unter Kontrolle zu bringen.

    Der taiwanesische Regisseur Ang Lee ist bekannt für sensible Beziehungsdramen. Insofern war es eine Überraschung, als er die Regie für HULK übernahm. Was würde dieser feinsinnige Regisseur aus einer Comicvorlage machen, die ziemlich roh und ungeho-belt daherkam? Und tatsächlich ist Lee mit HULK ziemlich unsanft zwischen den Stühlen gelandet. Den Comicfans wurde zu wenig Action geboten. Geschlagene 42 Minuten vergehen, bis Hulk zum ersten Mal auftaucht. Die Filmkunst-Liebhaber dagegen nervte das unkontrollierte Brüllen und Stampfen des grünen Monsters.

    Was hat Lee an HULK so gereizt? Wahrscheinlich – und deshalb erinnerte er sich wohl auch an King Kong und Frankensteins Mons ter – war es die Tragik eines Menschen, der mehr Opfer als Superheld ist und der schuldlos für die Sünden seiner Vorfahren büßen muss. In seiner Unbeholfenheit und seiner Sprachlosigkeit hat Bruce viel Ähnlichkeit mit seinen klassischen Vorfahren. Des-halb hat Lee bewusst eine Mischung aus oberfl ächlicher Action und ernsthafter Vielschichtigkeit versucht. Und genau diese Mischung hat viele Zuschauer eher verwirrt als begeistert.

    HULK in einem Satz: Durch die Spätfolgen eines wissenschaftlichen Experiments wird aus einem sanften Forscher ein grünes Monster, das sich bei Stress nicht mehr unter Kontrolle halten kann.

    HULK ( Hulk ). USA 2003. Regie: Ang Lee. Besetzung: Eric Bana, Jennifer Connelly, Nick Nolte u. a. 138 Minuten. FSK 12. DVD: Universal

    Wem ein Film nicht genügt:D R . J E K YLL U N D MR . HYD E USA 1931. Regie: Rouben MamoulianD ER G LÖ CKN E R VO N N OTRE DAM E USA 1939. Regie: William Dieterle ( FSK 16 )

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    Während des pompösen Vampirballs auf Schloss Krolock fl iegen Abronsius und Alfred endgültig auf, weil sie die Einzigen im Saal sind, die im Spiegel auftauchen. Untote jedoch haben, wie allge-mein bekannt ist, kein Spiegelbild. Unverrichteter Dinge fl iehen der Professor und sein Gehilfe aus dem Schloss. Einzig die schö-ne Sarah können sie vor Krolock und seiner Blutsauger-Sippschaft retten. Aber auch da unterläuft ihnen ein kleiner Irrtum, denn »in jener Nacht, auf der Flucht aus den Südkarpaten, wusste Professor Abronsius noch nicht, dass er das Böse, das er für immer zu ver-nichten hoffte, mit sich schleppte; mit seiner Hilfe konnte es sich endlich über die ganze Welt ausbreiten«.

    Roman Polanski hatte für TA N Z D E R VA M P I RE ursprünglich ein Schloss in den Schweizer Bergen als Drehort vorgesehen. Weil sich dieser Plan nicht verwirklichen ließ, drehte er den Film dann je-doch größtenteils in englischen Filmstudios. Für einige Außenauf-nahmen kehrte er dennoch in die Alpen zurück – und verbreitete unter den Touristen Angst und Schrecken. Polanski soll nämlich Dutzende von Handwerkern engagiert haben, die für die vampi-rische Kulisse Särge zimmern mussten. Die Touristen, die von den Dreharbeiten nichts wussten, glaubten, ausgerechnet an ihrem idyl-lischen Ferienort sei eine tödliche Seuche ausgebrochen.

    Wieder zurück in England, verwendete Polanski für die Ballsze-ne einen ebenso simplen wie aufwendigen Trick. Er ließ den ge-samten Ballraum hinter einem durchsichtigen »Spiegel« nochmals spiegelverkehrt aufbauen. Und dann ließ er darin drei Doppelgän-ger von Abronsius, Alfred und Sarah auftreten. Während wir also den Eindruck haben, in einen Spiegel zu blicken, schauen wir in Wirklichkeit durch Fensterglas hindurch.

    Für eine leichtgewichtige Parodie hat TA N Z D E R VA M P I RE erstaun-lichen Wirbel verursacht. In den USA wurde der Film vor sei-nem Erscheinen so stark durch Schnitte verändert, dass man von Verstümmelung sprechen muss. Polanski zog seinen Namen zu-rück und lehnte jede Verantwortung für dieses Machwerk ab. In Deutschland waren die Änderungen subtiler. Sie betrafen die Syn-

    TA N Z D E R VA M P I R E in einem Satz: Ein vertrottelter Vampirjäger und sein vertrottelter Gehilfe versuchen einem Clan von Untoten den Garaus zu machen.

    TA N Z D E R VA M P I R E ( Dance of the Vampires ).Großbritannien / USA 1967. Regie: Roman Polanski. Besetzung: Jack MacGowran, Roman Polanski, Sharon Tate u. a. 108 Minuten. FSK 12. DVD: Warner

    Wem ein Film nicht genügt:KLE I N E R LAD E N VO LLER SC HREC K EN USA 1960. Regie: Roger Corman ( FSK 16 )D E R TO D S T E H T I H R G U T USA 1992. Regie: Robert Zemeckis ( FSK 12 )

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    gefallen, dass es um ganz gewöhnliche Vögel ging. Alltagsvögel«, hat er François Truffaut in dem Buch »Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?« erzählt.

    Zum Zweiten steigerte er den Terror schrittweise. Immer wie-der tauchen Vögel auf, anfangs völlig harmlos und allmählich im-mer bedrohlicher: »Das Publikum hört von einem Film durch die Mundpropaganda. Ich möchte nicht, dass es ungeduldig wird, weil es auf die Vögel wartet und darüber nicht mehr auf die Personen achtet. Die Hinweise am Ende jeder Szene sind, als würde ich dem Publikum sagen: Nur ruhig, sie kommen schon!«

    Und schließlich hat Hitchcock die Einheit von Zeit, Ort und Handlung fast so konsequent eingehalten wie Fred Zinnemann in ZWÖLF UHR MI T TAGS. Dadurch werden wir praktisch zu Gefangenen des Angstsimulators.

    So weit konnte sich Hitchcock auf all jene Tricks verlassen, mit denen er sein Publikum schon seit Jahrzehnten in Bann zog. Er wagte aber auch Neues. D I E VÖG EL hat keine Filmmusik, jeden-

    chronisation, also die deutsche Sprachfassung. Weil man bis in die 1970er Jahre hinein eifrig darauf bedacht war, möglichst alles vom deutschen Publikum fernzuhalten, was mit Nazis oder Juden zu tun hatte, änderte man ein Detail und ruinierte damit eine der schönsten Pointen: Als Abronsius seinem eben zum Vampir gewordenen Wirt das Kreuz entgegenhält, wirkt es nicht. Der Grund dafür: Dieser Vampir ist jüdisch. Deshalb sagt er im englischen Original zu Ab-ronsius: »Du hast den falschen Vampir erwischt.« In der deutschen Fassung ist die Erklärung fürchterlich lau: Kreuze wirken nur bei alten Vampiren.

    So absurd eine Horrorstory auch scheinen mag, einen Grund für das Grauen bekommen wir immer geliefert, sei es die leichtfertige Störung der Naturgewalten, seien es wissenschaftliche Experimen-te oder sei es eine Geisterwelt, die in der Realität anklopft. Für D I E VÖ G E L verzichtete Alfred Hitchcock radikal auf jegliche Erklärung. Weshalb harmlose Vögel plötzlich über die Menschen herfallen, wird nicht einmal mit dem klitzekleinsten Hinweis aufgelöst. Es ist einfach so. Und gerade deshalb ist es so bedrohlich, wenn im-mer mehr Vögel in Bodega Bay einfallen und die Menschen töten. Nachdem er uns einen triftigen Grund verweigert hat, verwehrt uns Hitchcock auch noch ein entspannendes Happy End. Sogar auf den üblichen Schriftzug »The End« verzichtet er, nur um uns einzu-schärfen, dass der Horror noch lange nicht zu Ende ist.

    Vielleicht wollte Hitchcock nach dem riesigen Erfolg seines Horror-Thrillers P S YCH O ausprobieren, ob es ihm gelingen würde, den Angstsimulator noch etwas heftiger einzustellen, so dass wir zukünftig nicht nur unter der Dusche frösteln, sondern auch noch vor jeder harmlosen Krähe zusammenzucken. Auf jeden Fall hat Hitchcock einmal mehr sämtliche Register seines Könnens gezo-gen. Erstens mussten es ganz gewöhnliche Vögel sein, die uns in Schrecken versetzen. »Ich hätte den Film nicht gedreht, wenn es sich um Geier oder andere Raubvögel gehandelt hätte. Mir hat es

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    Eine weitere Bedrohung, die ohne sichtbaren Grund über die Men-schen hereinbricht, ist D E R W E I SS E H A I. Er holt sich seine Opfer an der kalifornischen Küste ohne Vorankündigung. Wir Kinogänger ahnen das Unheil allerdings von der ersten Sekunde an, weil das musikalische Leitmotiv von John Williams so bedrohlich klingt. Es sind eigentlich nur zwei Töne – aber was für eine Gruselwirkung!

    Regisseur Steven Spielberg hält sich an viele Regeln, die Meis-ter Hitchcock aufgestellt hat, weshalb D E R W E I SS E H A I gleichzeitig Horrorfi lm und Thriller ist. Und wenn zum Showdown drei sehr unterschiedliche Männer – ein fanatischer Haijäger, ein biederer Polizeichef und ein schnöseliger Wissenschaftler – in einem Boot sitzen und auf den Hai warten, dann wird daraus auf der endlosen Weite des Ozeans auch noch ein Kammerspiel.

    Diese Mischung war 1975 eine Sensation: D E R W E I SS E H A I wurde zum erfolgreichsten Film aller Zeiten und zum ersten Sommer-Blockbuster der Filmgeschichte. Bislang galt Weihnachten unbe-stritten als optimaler Starttermin für Kinofi lme, mit denen man groß absahnen wollte. Nach Spielbergs Sommerhit wurde auch der 4. Juli, der Nationalfeiertag der USA, ein begehrtes Startdatum.

    Während der Dreharbeiten deutete allerdings wie so oft we-nig auf einen Erfolg hin. Der erst 28-jährige Spielberg hatte nach zwei Filmen noch wenig Erfahrung und deshalb den Aufwand der Dreharbeiten am und auf dem Wasser unterschätzt. Statt der ge-planten 52 Tage dauerte es 155 Tage, bis D E R W E I SS E H A I abgedreht war. Vor allem die drei mechanischen Haie, die eigens für den Film gebaut wurden, entpuppten sich als teure Enttäuschung, weil sie so störanfällig waren. Nach den Dreharbeiten schwor Spielberg jedenfalls völlig entnervt: »Mein nächster Film wird auf dem tro-ckenen Land spielen. Es wird darin nicht einmal eine Szene im Ba-dezimmer geben.«

    Ausgerechnet die widerspenstigen Haimodelle brachten Spiel-berg jedoch auf brillante Ideen, ohne die sein Film nur halb so un-

    falls nicht die übliche, sondern nur Vogelgeschrei. Was jedoch täu-schend echt nach Vögeln klingt, ist in Wirklichkeit das Trautonium, ein elektronisches Instrument, das der deutsche Komponist Oskar Skala extra für Hitchcock gebaut hatte. Also benötigte Hitchcock doch wieder einen Komponisten, der die elektronischen Geräusche dirigierte. Bernard Herrmann wird deshalb im Vorspann als »mu-sikalischer Berater« aufgeführt.

    Für D I E VÖG EL hat Hitchcock zudem mehr Trickeffekte verwen-det als in jedem anderen seiner Filme. Allein die Schluss-Szene wurde aus 32 verschiedenen Bildelementen zusammengefl ickt. Für eine besonders aufwendige Sequenz, in der die Hauptfi gur Melanie Daniels in ihrem Zimmer von Vögeln angegriffen wird, dauerten die Dreharbeiten sieben Tage. Danach mussten sie unterbrochen werden, weil Hedrens Erschöpfungszustand behandelt werden musste. Es seien die sieben schlimmsten Tage ihres Lebens gewe-sen, sagte die Schauspielerin später.

    Für Hedren wurde die gemeinsame Arbeit mit Hitchcock zu einem Horrortrip, der auch im nachfolgenden Film MARN I E anhielt und sogar noch schlimmer wurde. Danach hat sie die Zusammen-arbeit mit Hitchcock, der sie entdeckt und zum Star gemacht hatte, umgehend beendet. Der so harmlos und gemütlich wirkende ältere Mann war für sie zum Monster geworden.

    D I E VÖ G E L in einem Satz: Aus unerfi ndlichen Gründen greifen harmlose Vögel die Menschen in einer kleinen Küstenstadt an und werden zu mordenden Bestien.

    D I E VÖ G E L ( The Birds ). USA 1963. Regie: Alfred Hitchcock. Besetzung: Tippi Hedren, Rod Taylor, Jessica Tandy u. a. 119 Minuten. FSK 16. DVD: Universal

    Wem ein Film nicht genügt:P H A S E I V Großbritannien 1973. Regie: Saul Bass ( FSK 12 )D I E D Ä MO N I SC H E N USA 1956. Regie: Don Siegel ( FSK 16 )

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    geheuerlich wirken würde. Weil man die Arbeit mit den Modellen möglichst vermeiden wollte, sehen wir den Hai viel seltener, als ur-sprünglich geplant. Das macht ihn aber erst recht zu einer unheim-lichen, weil nicht fassbaren Bedrohung. An einigen Stellen hat Spiel-berg aus der Not heraus sogar Szenen aus der Sicht des Hais gefi lmt, nur damit er ihn nicht im Bild hatte. Die Wirkung ist phänomenal.

    Dass es mit »Bruce«, wie Spielberg seinen künstlichen Hai nannte, nur Ärger geben würde, hatte sich bereits vor seiner »Was-serung« angekündigt. Zusammen mit seinen Regiekollegen Martin Scorsese, George Lucas und John Milius soll Spielberg die Firma besucht haben, die »Bruce« konstruierte. Lucas stellte sich vor den Hai und steckte ihm zum Spaß seinen Kopf in den Rachen. Ebenso spaßig fanden es Spielberg und Milius, in diesem Moment jenen Hebel zu betätigen, mit dem der Rachen des Ungetüms geschlossen wurde. Unglück licherweise funktionierte der Mechanismus aber nur in eine Richtung, und so blieb Lucas zwischen den Kiefern ein-geklemmt, bis ihn seine Freunde irgendwie dann doch wieder mit Gewalt befreien konnten. Glücklicher als mit seinem Hauptdar-steller wurde Spielberg mit der Entscheidung, auf bekannte Stars zu verzichten. Damit hielt er sich – bewusst oder unbewusst – an eine wichtige Regel für Horrorfi lme. Diese leben ja nicht zuletzt von der Ungewissheit, wer als Nächstes dem Unheil zum Opfer fallen wird. Sobald allerdings ein bekannter Star auftritt, ahnt das Publikum, dass seine Figur wahrscheinlich überleben wird. Damit geht unweigerlich ein Stück Spannung verloren. Diese Erwartung hat Hitchcock einmal geradezu wagemutig, aber höchst wirkungs-voll ausgenutzt, als er seinen Star Janet Leigh in P S YCH O noch vor der Halbzeit seines Films umkommen ließ. Spielberg hat mit Roy Scheider, Robert Shaw und Richard Dreyfuss zwar drei hervorra-gende und auch nicht ganz unbekannte Darsteller ins Boot geholt, aber weil sie alle etwa »gleichwertig« berühmt waren, ist nicht ohne weiteres auszumachen, wen es nun wann treffen wird.

    D E R W E I SS E H A I in einem Satz: Drei Mann in einem Boot und ein gefräßiger Hai legen unsere Nerven blank.

    D E R W E I SS E H A I ( Jaws ). USA 1974. Regie: Steven Spielberg. Besetzung: Roy Scheider, Robert Shaw, Richard Dreyfuss u. a. 124 Minuten. FSK 16. DVD: Universal

    Wem ein Film nicht genügt:DAS D I N G AUS E I N E R A N D E R E N W E LT USA 1951. Regie: Christian Nyby, Howard Hawks ( FSK 12 )TA R A N T U L A USA 1955. Regie: Jack Arnold ( FSK 12 )

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    Abgeschiedenheit und Ruhe plötzlich »die Anderen« bemerkbar machen, wird Grace in Alarmstimmung versetzt. Türen öffnen und schließen sich von selbst, das Klavier erklingt ohne Spieler, Schritte ohne Spuren hallen durchs Haus. Vor allem Anne ist faszi-niert von »den Anderen«, die offenbar in einem verlassenen Zim-mer des Hauses untergekommen sind. Allmählich werden sie auch für Grace zur fi xen Idee. Aber dann taucht eines Tages unvermutet der totgeglaubte Vater auf, streitet sich mit Grace, bleibt lediglich für eine Nacht und verlässt das Haus am nächsten Tag ohne ein Wort des Abschieds. Sind Grace und ihre Kinder in einem Geister-schloss gefangen? Ja, natürlich! Aber dennoch verhält es sich damit ganz anders, als es scheint.

    T H E OT H E R S des jungen spanischen Regisseurs Alejandro Amena-bar ist reinstes Gruselkino, das ohne Blut und Gewalt auskommt und dennoch im schummrigen Zwielicht eines alten Hauses eine bedrückende, höchst unheimliche Stimmung verbreitet. Die Schau-spielerin Nicole Kidman trägt dabei nicht nur den Namen Grace, sie erinnert auch äußerlich an Grace Kelly: wie eine makellose Schön-heit, die nicht von dieser Welt scheint. Oder wie ein erstarrtes Ideal, das sich selbst fremd geworden ist und uns dennoch zum Fürchten schön erscheint.

    »Sitzt ihr bequem? – Dann werde ich beginnen.« Das sind die ers-ten Worte in T H E OT H E R S, als ob damit eine kuschelige Märchen-stunde angesagt würde. Und tatsächlich platzt das Grauen diesmal nicht mit blutiger Brutalität ins Bild, sondern pirscht sich auf leisen Sohlen an uns heran.

    Grace lebt mit ihren beiden Kindern Anne und Nicholas in einem einsamen Herrenhaus, das bereits von weitem wie ein Spuk-schloss aussieht. Die Stimmung im Haus ist düster und gedämpft. Das hat sicher mit der Krankheit der beiden Kinder zu tun, denn diese leiden unter einer gefährlichen Lichtallergie, weshalb Fenster und Türen stets geschlossen bleiben müssen. So schärft es Grace auch den neuen Dienstboten ein, nachdem sich das alte Personal bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hat.

    Grace ist eine strenge Mutter, herrisch, zugeknöpft und fana-tisch religiös. Sie riegelt sich und ihre Kinder hermetisch von der Umwelt ab, die auf sie nur noch böse und bedrohlich wirkt. Tag für Tag vermisst sie schmerzlich ihren Ehemann, der im eben zu Ende gegangenen Zweiten Weltkrieg verschollen blieb. Als sich in dieser

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    T H E OT H E R S in einem Satz: Eine Mutter und ihre beiden Kinder werden in einem gespenstischen Haus von »den Anderen« bedrängt.

    T H E OT H E R S ( Los Otros ). Spanien / USA 2001. Regie: Alejandro Amenábar. Besetzung: Nicole Kidman, Alakina Mann, James Bentley u. a. 104 Minuten. FSK 12. DVD: Universal

    Wem ein Film nicht genügt:P I C K N I C K A M VA L E N T I N S TAG Australien 1975. Regie: Peter Weir ( FSK 12 )B I S DAS B LU T G EFRI ERT Großbritannien 1962. Regie: Robert Wise ( FSK 16 )

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    Der Horror-Grusel-Trip schließt mit einem wahren Feuerwerk: Es gilt eine ganze Monsterfamilie in ihrer prachtvollen Abgründig-keit zu bestaunen. Morticia und Gomez Addams stehen als herzer-greifendes Albtraumpaar einem gruftigen Haushalt in gediegenem Schwarz vor. Wednesday und Pugsley heißen ihre hinreißend fi ns-teren Zöglinge, die sich allerbösest um die selige Friedhofsstimmung in Haus und Verlies verdient machen. Eben ist als dritter Satansbra-ten noch der süße Schwarzschopf Pubert angekommen. Er darf sich schon mal von der Wiege aus am messerscharfen Mobile sattsehen. Damit stünde bei den Addams alles beruhigend zum Schlechten, wenn da nicht Onkel Vester unversehens von abartiger Lebensfreu-de gepackt würde. Er verliebt sich ins Kindermädchen Debbie, die-sen monstermordenden Vamp. Debbie hintergeht ihre Arbeitgeber aufs Schändlichste und schickt mit den schlechtesten aller schlechten Absichten Wednesday und Pugsley in ein Feriencamp, wo sie mit guter Laune gefoltert werden und niemand Sinn dafür hat, dass eine zünftige Theatervorstellung mit zünftigem Theaterblut gewürzt werden muss. Das Camp zum tödlichen Frohsinn wird für die beiden Kinder zum Ritt durch die Hölle, in der als allerschlimms-te Strafe die Isolierblockhütte droht, wo man völlig schutzlos ab-scheulich knuddligen Disney-Trickfi lmen ausgeliefert ist.

    D I E A D DAMS FAMI LY I N V E R R Ü C K T E R T R A D I T I O N stellt alles auf den Kopf: Heiter ist der Humor erst, wenn er pechschwarz trieft. Die Lebensfreude steigt mit jedem Schritt, den man dem Grabe näher rückt. Blutleer im Kopf sind die anständigen Bürger, während in der verkehrten Welt der Addams Family das Gehirn wohltuend frisch durchblutet wird. Der Trick mit der Umkehrung, den Barry Sonnenfeld 94 Minuten lang genüsslich zelebriert, ist einfach – aber wahrlich grauenhaft unterhaltsam. Nur einmal fährt es uns eiskalt über den Rücken: Wenn Wednesday nach erlittener Gehirnwäsche selig lächelt. Da blitzt im fröhlichen Grusel urplötzlich brutaler Horror auf.

    D I E A D DAMS FAMI LY I N V E R R Ü C K T E R T R A D I T I O N in einem Satz: Eine Monsterfamilie bereitet mit ihrem monströsen Kampf gegen das Brave und Schöne monstermäßig Spaß.

    D I E A D DAMS FAMI LY I N V E R R Ü C K T E R T R A D I T I O N ( Addams Family Values ). USA 1993. Regie: Barry Sonnenfeld. Besetzung: Anjelica Huston, Raul Julia, Christina Ricci u. a. 94 Minuten. FSK 12. DVD: Paramount

    Wem ein Film nicht genügt:AD DAMS FAMI LY USA 1991. Regie: Barry Sonnenfeld ( FSK 12 )G H OS TB US TER S USA 1984. Regie: Ivan Reitman ( FSK 12 )

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