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Gewalt Entstehung, Facetten, Auswege Aber wir sind doch die Guten! Legitimierte Gewalt, Rechtsirrtümer und Justizopfer Dr. Markus Fath, LMU München Wintersemester 2016/17 Montag, 18:00 20:00 Uhr c.t. Geschwister-Scholl-Platz 1, B101

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Gewalt Entstehung, Facetten, Auswege

Aber wir sind doch die Guten! – Legitimierte

Gewalt, Rechtsirrtümer und Justizopfer

Dr. Markus Fath, LMU München

Wintersemester 2016/17

Montag, 18:00 – 20:00 Uhr c.t.

Geschwister-Scholl-Platz 1, B101

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Programm

31.10.2016 Erscheinungsformen von Gewalt und Ansätze zur Erklärung

07.11.2016 Denkmuster, Feindbilder und das Schuldprinzip

14.11.2016 Legitimierte Gewalt, Rechtsirrtümer und Justizopfer

21.11.2016 Radikalisierung, Pogrom und Genozid

28.11.2016 Wenn das Wohl von Menschen für Werte, Moral und Ideale geopfert wird

05.12.2016 Zum Zusammenhang von Mobbing und Amokläufen

12.12.2016 Amokläufe und Anschläge

19.12.2016 Warum Frieden trotz allem keine Illusion ist

09.01.2017 Kriegsverbrechen

16.01.2017 Endlichkeit, Sterben, Tod und die Relativierung von Werten

23.01.2017 Gewalt gegen Kinder

30.01.2017 Gewalt gegen zukünftige Generationen

06.02.2017 Auswege aus der Gewalt

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Aufzeichnung und Folien

Aufzeichnung frei verfügbar bei der UnterrichtsMitschau

VideoOnline der LMU:

https://videoonline.edu.lmu.de/de/wintersemester-2016-

2017/8202

Folien zum Download frei verfügbar im LSF unter der

Veranstaltungsnummer 11917 und unter der Homepage:

http://www.edu.lmu.de/apb/personen/dozent/fath/

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Annie Chapman

Catherine Eddowes

David Faraday

Darlene Ferrin

Brian Hartnell

Betty Lou Jensen

Mary Jane Kelly

Michael Mageau

Mary Ann Nichols

Cecelia Shepard

Paul Stine

Elizabeth Stride

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Jack the Ripper

Zodiac-Killer

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Agenda

1. Relationen

2. Jack the Ripper

3. Der Zodiac-Killer

4. Opfer legitimierter Gewalt

5. Die Überwindung des Schuld-Prinzips

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1. RELATIONEN

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Täter – Opfer – Gesellschaft

• Bekannte Opfer werden vergessen

• (Unbekannte) Täter werden zu globalen Legenden

• Typisches Kriminalpolizeiliches Vorgehen verfolgt eine

einzige Frage: „Wer hat es getan?“

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Das Schuld-Prinzip

• Nach Serres der eingeschlossene, ausgeschlossene Dritte:

immer Teil der Behandlung des Themas, ohne selbst zum

Teil der Behandlung zu werden

• Nicht-menschlicher Akteur mit klarer Inskription: Suche

nach dem Schuldigen und dessen Bestrafung

Ist das Schuld-Prinzip eine angemessene Reaktion

auf dem Weg zu einer friedlicheren Gesellschaft?

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2. JACK THE RIPPER

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„Jack the Ripper“ (1)

• Zeitraum: Herbst 1888

• Ort: London (hauptsächlich Whitechapel)

• Ihm werden mindestens 5 Morde zugeschrieben

• Genaue Zahl der Opfer ist unbekannt und unsicher

• 4 Morde werden in der Öffentlichkeit verübt

• Verstümmelung der Opfer wird zunehmend brutaler

• Es gibt 3 als „echt“ eingestufte Bekennerbriefe; der

bekannteste ist der „From-Hell-Letter“

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„Jack the Ripper“ (2)

• Bis heute über 100 Tatverdächtige

• Zeitgenössische Suche konzentriert sich hauptsächlich auf

„Juden“ und „Einwanderer“

• Bsp: Richard Mansfield (überzeugender Schauspieler in

„Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“)

• Bsp: Julius Lipman (falsche Verdächtigung: „Leather

Apron“, gestorben am 1900 an „neglect and semi

starvation“)

• Opfer werden auf einzigen Aspekt reduziert, der sie in

Relation zur Tat zu setzen scheint: „Prostituierte“

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„Jack the Ripper“ (3)

• Schätzungen der Opferzahl sind sinnlos

• Es gibt keine genauen Zahlen über Morde mit

Verstümmelungen an Frauen

• 1886 wird Gesetz erlassen, das es Polizisten erlaubt,

Frauen wegen Prostitution auf Basis des Ansehens

anzuzeigen

• Täglich gehen falsche Bekennerbriefe ein

• Täglich ist Polizei ebenso beschäftigt, Lynchmorde auf

offener Straße zu verhindern

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Erste Thesen

Ob es überhaupt einen „Jack the Ripper“ gab, wird sich

niemals mit Gewissheit beweisen lassen

Taten sind die Extremform des historisch-kulturellen

Zeitgeistes, in den sie eingebettet sind

Die Jagd nach „Jack the Ripper“ hatte mehr Opfer als der

potentielle Täter selbst

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Die Jagd nach …

THE MOST DANGEROU ANAMAL OF ALL

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Die Jagd nach … … Menschen

I LIKE KILLING PEOPLE

BEACAUSE IT IS SO MUCH FUN

IT IS MORE FUN THAN KILLING WILD GAME

IN THE FORREST BECAUSE MAN IS THE

THE MOST DANGEROU ANAMAL OF ALL

TO KILL SOMETHING GIVES ME THE MOST

THRILLING EXPERENCE

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3. DER ZODIAC-KILLER

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„Zodiac-Killer“

• Zeitraum: vermutlich 1968 bis 1969

• Ort: vermutlich Gebiet um San Francisco

• Ihm werden mindestens 5 Morde zugeschrieben, 2

Personen schwer verletzt

• Genaue Zahl ist unbekannt und unsicher

• Bekennerschreiben spricht von mindestens 37 Opfern

• Modus Operandi (Tatmuster) nicht identifizierbar

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„Zodiac-Killer“

• Bis heute ca. 3000 Tatverdächtige

• Suche basiert auf Angaben der Überlebenden

• Zahlreiche Bekennerbriefe mit Beweisen des Absenders

• Veröffentlichung von 4 codierten Texten

• 3 davon bis heute ungelöst

• Briefe schließen mit „Zähler“

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12 28 37 guess

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„Zodiac-Killer“

• Schätzungen der Opferzahl sind sinnlos

• Variation des Vorgehens, Auswahl der Opfer und

Andeutungen in Briefen lassen sogar den Schluss zu, dass

als Unfälle eingestufte Tode zur Tatserie gehören

• Bis heute gibt es zahllose Foren, die sich dem Knacken der

ungelösten Codes widmen

• Es gibt eine Vielzahl an vermutlich falschen

Bekennerbriefen

• Es gibt mindestens 2 Copycats

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Weitere Thesen

Codes lassen sich niemals mit Sicherheit knacken bzw.

lässt sich die Richtigkeit des Schlüssels nicht beweisen

Taten sind Spiegelbild der kriminalpolizeilichen und

öffentlichen (medialen) Jagd

Beteiligung an der Jagd nach dem „Zodiac-Killer“ bestätigt

das Prinzip, das der Killer selbst den Taten zugrunde legt

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4. OPFER LEGITIMIERTER GEWALT

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Grundsatz: Unschuldsvermutung

„Unschuldsvermutung“ ist ein Menschenrecht!

Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

der Vereinten Nationen von 1948 und Art. 48 Abs. 1 der

Grundrechtecharta der Europäischen Union

gilt bis zum gesetzlichen Nachweis (d.h. nicht durch

Anzeige, Anklage oder Verurteilung aufzuheben, erst wenn

Urteil rechtskräftig ist)

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Das deutsche Justizsystem – und seine Opfer

Deutschland wurde bereits zweimal wegen den Bedingungen

des Strafvollzugsystems vom Europäischen Gerichtshof für

Menschenrechte verurteilt:

2009 wegen nachträglicher Sicherungsverwahrung

2014 wegen Gleichsetzung von Abschiebehaft und

Strafvollzug

aktuell geplante Reform des Mordparagraphen in dieser

Legislaturperiode:

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§ 211 StGB Mord

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus

Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam

oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu

ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.

Inhalt stammt von Roland Freisler (lediglich Todesstrafe wurde abgeändert)

• Präsident des Volksgerichtshofes (höchstes Gericht des NS-Staates für

politische Straftaten)

• über 2600 Todesurteile, darunter Hans und Sophie Scholl

• Vorsitzender bei den Prozessen gegen die Verschwörer des Hitler-Attentats

vom 20. Juli 1944

Reform des Mordparagraphen ist gleichbedeutend mit Abkehr von

einem personalisierenden Schuld-Prinzip im Strafrecht

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Justizirrtümer und Justizopfer (1)

Gustl Mollath:

sieben Jahre wegen Gemeingefährlichkeit in der

geschlossenen Psychiatrie (2003 psychiatrisches Gutachten

ohne persönliche Untersuchung; 2008 Bestätigung des 1.

psychiatrischen Gutachtens, auch ohne persönliche

Untersuchung) Unrechtmäßigkeit der Unterbringung vom

Bundesverfassungsgericht bestätigt

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Exkurs: Rosenhan-Experiment

1968-1972:

Einweisung von 8 Scheinpatienten in Psychiatrien

Verhielten sich umgehend völlig normal und gesund

Nach durchschnittlich 19 (bis zu 52) Tagen mit Befund „in Remission“

entlassen

Nicht einer wurde vom Personal als gesund erkannt

35 von 118 Patienten äußerten (teils vehement) den Verdacht, dass es sich

um Scheinpatienten handelt

Wiederholung mit Ankündigung, dass Scheinpatienten geschickt werden

Von 193 Patienten: 41 (von Personal) als Scheinpatienten eingestuft, 23 als

suspekt (durch Psychiater), 19 als verdächtig (durch Psychiater und Personal)

Es wurden keine Scheinpatienten geschickt

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Justizirrtümer und Justizopfer (2)

Rudolf Rupp:

• Ehefrau und Ex-Freund einer Tochter gestanden, ihn erschlagen,

zerstückelt und an Hunde und Schweine auf dem Hof verfüttert zu

haben Geständnis wurde vor Eröffnung des Verfahrens widerrufen

• Zu jeweils 8 Jahren wegen Todschlags verurteilt

• Beide Töchter (15 und 16 Jahre alt) zu 2,5 und 3,5 Jahren

Jugendstrafe wegen Beihilfe durch Unterlassen verurteilt

• 2009 wurde Rupps unversehrte Leiche in der Donau in seinem

Mercedes gefunden

• Wiederaufnahmeverfahren erst 2011 mit Freispruch (alle Verurteilten

waren inzwischen nach Verbüßens von mehr als zwei Drittel der

Strafe „regulär“ entlassen worden)

• Haftentschädigung wurde abgelehnt

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Justizirrtümer und Justizopfer (3)

Haftentschädigung in der Regel 25€ pro Tag

Ralf Eschelbach (Richter am 2. Strafsenat des

Bundesgerichtshofes) schätzt, dass jedes vierte Strafurteil ein

Fehlurteil ist

Ca. 650 unschuldig verurteilte Menschen pro Tag in

Deutschland

Dass Fehlurteile Ausnahmen wären, ist die Lebenslüge der

deutschen Justiz

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5. DIE ÜBERWINDUNG DES SCHULD-PRINZIPS

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Nicht gestellte Fragen

• Welchen Beitrag zur Verhinderung weiterer Taten hat die

Frage „Wer hat es getan?“?

• Welchen Beitrag zur Legenden-Bildung hat die Frage „Wer

hat es getan?“?

• Welchen Beitrag zum Vergessen der Opfer hat die Frage

„Wer hat es getan?“?

• Wie viele Opfer hat die Frage „Wer hat es getan?“?

• Welche Verantwortung trägt ein Mensch, der ein Prinzip

vertritt, in dessen Namen Menschen zu Opfern wurden?

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Geleugnete Relationen

• Welche Relationen entstehen dadurch, dass man ein

wesentliches Prinzip mit Tätern teilt?

• Bedeutung des Schuld-Prinzips: Kopplung der alleinigen

Verantwortung für eine Tat mit der Person, der sie

zugeschrieben wird

• Häufigster Fehlschluss: Überwindung des Schuld-Prinzips

wäre gleichbedeutend mit Entschuldigung der Täter

Wendet Schuld-Prinzip auf Möglichkeit der Überwindung

an

Macht dadurch aber die Wirklichkeitsferne des Prinzips

sichtbar

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Verantwortungslosigkeit des Schuld-Prinzips

• Man kann niemanden schuldig sprechen, ohne alle anderen

als unschuldig zu erklären: Schatten-Begriff

• Unschuld ist einer der am positivsten besetzten Begriffe

überhaupt

• Absolutheit des Begriffs ist untrennbar mit maximaler

Distanzierung verbunden

• „Schuld“ indiziert, dass der Täter die absolute Verantwortung

für die Tat trägt

„Schuld“ ist der Freibrief für die Leugnung der eigenen

Mit-Verantwortung für die Opfer einer Gesellschaft!

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Wie viele Opfer hat das Schuld-Prinzip?

Die Hauptfunktion des

Schuld-Prinzips ist es, dass

die davon (noch) nicht

Betroffenen sich besser

fühlen

(wenigstens für eine Weile).

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Geteilte Gesamtverantwortung

Schuld-Prinzip ist Personalisierung

Schuld-Prinzip ist Schwarz-Weiß-Logik

Schuld-Prinzip ist drastische Reduktion der Komplexität der

Wirklichkeit

Geteilte Gesamtverantwortung als Spektrum: ausübende

Personen tragen Hauptverantwortung, aber Mitverantwortung

anderer Akteure wird nicht abgestritten

Schaffung von Strukturen: z.B. Erfassung von Prinzipien, die

Gewalt bzw. Straftaten zugrunde liegen (Motiv-Statistik) und

umfassende Thematisierung und Reflexion im Ethik-Unterricht

nachkommender Generationen

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Literatur (1)

Fath, M. (2013): Urteil als Gewalt? Zur (Un-)Möglichkeit einer gewaltlosen Urteilsfindung.

In: Philipps, L. & Bengez, R. Z. (Hrsg.): Von der Spezifikation zum Schluss.

Rhetorisches, topisches und plausibles Schließen in Normen-Regelsystemen, S. 26-

38. Baden-Baden: Nomos.

Fath, M. (2011). Gewalt und Gewaltlosigkeit. Entwicklung eines Theorie-Modells.

Münster: Lit.

Fath, M. (2011). The Responsibility to overcome the Question of Guilt. In: Jusletter IT 29

June 2011.

Galtung, J. (2007). Konflikte und Konfliktlösungen. Die Transcend-Methode und ihre

Anwendung. Berlin: Kai Homilius.

Graysmith, R. (2007). Zodiac. New York: Penguin.

Graysmith, R. (2007). Zodiac unmasked. The identity of America‘s most elusive serial

killer revealed. New York: Penguin.

Heitmeyer, W. & Soeffner, H.-G. (Hrsg.) (2004). Gewalt. Entwicklungen, Strukturen,

Analyseprobleme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Literatur (2)

Neubacher, F. & Walter, M. (Hrsg.) (2005). Sozialpsychologische Experimente in der

Kriminologie. Milgram, Zimbardo und Rosenhan kriminologisch gedeutet, mit einem

Seitenblick auf Dürrenmatt. Münster: Lit.

Serres, M. (1987). Der Parasit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Sommer, G. & Fuchs, A. (Hrsg.). Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und

Friedenspsychologie. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz.

Sudgen, P. (2002). The complete history of Jack the Ripper. London: Robinson.

The Whitechapel Society (2013). Jack the Ripper: The terrible legacy. Stroud: History

Press.

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