Glauben mit Gründen - Philo

36
Glauben mit Gründen * Daniel von Wachter ** Juli 2014 Zusammenfassung Dieser Aufsatz hält der Meinung, daß die Analytische Religionsphilosophie zu rationalistisch sei, entgegen, daß es auch in Sachen Religion nicht zu viel Vernunft geben kann. Die begründe ich, indem ich das Zweistufenmodell des christlichen Glaubens verteidige, nach dem der christli- che Glaube einerseits aus dem Annehmen einer metaphysi- schen Lehre und andererseits aus einer darauf gründenden Hingabe besteht. Dies ist ein Kennzeichen einer sowohl tiefen als auch rationalen Religion. 1 Einleitung Seit es Christen gibt, gab es fast immer und in jeder Denomi- nation Christen, die mit philosophischen Mitteln nach Gründen (Beweise, Argumente, Indizien) für die Wahrheit der christlichen * Dies ist ein Preprint, verfügbar auf http://sammelpunkt.philo.at. Wird erscheinen in: Handbuch zur Analytischen Theologie, hrsg. v. G. Gasser, L. Jaskolla und T. Schärtl, Aschendorff Verlag 2015. ** Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein, http://von-wachter.de, email: epostATvon-wachter.de. 2

Transcript of Glauben mit Gründen - Philo

Page 1: Glauben mit Gründen - Philo

Glauben mit Gründen∗

Daniel von Wachter∗∗

Juli 2014

Zusammenfassung

Dieser Aufsatz hält der Meinung, daß die AnalytischeReligionsphilosophie zu rationalistisch sei, entgegen, daßes auch in Sachen Religion nicht zu viel Vernunft gebenkann. Die begründe ich, indem ich das Zweistufenmodelldes christlichen Glaubens verteidige, nach dem der christli-che Glaube einerseits aus dem Annehmen einer metaphysi-schen Lehre und andererseits aus einer darauf gründendenHingabe besteht. Dies ist ein Kennzeichen einer sowohltiefen als auch rationalen Religion.

1 Einleitung

Seit es Christen gibt, gab es fast immer und in jeder Denomi-nation Christen, die mit philosophischen Mitteln nach Gründen(Beweise, Argumente, Indizien) für die Wahrheit der christlichen

∗Dies ist ein Preprint, verfügbar auf http://sammelpunkt.philo.at. Wirderscheinen in: Handbuch zur Analytischen Theologie, hrsg. v. G. Gasser, L.Jaskolla und T. Schärtl, Aschendorff Verlag 2015.

∗∗Internationale Akademie für Philosophie im Fürstentum Liechtenstein,http://von-wachter.de, email: epostATvon-wachter.de.

2

Page 2: Glauben mit Gründen - Philo

Lehre suchten, Einwände diskutierten und Details der christli-chen Lehre ausbuchstabierten. Das Christentum ist nicht nur eineMorallehre oder Lebenslehre, sondern eine auf einer metaphysi-schen Lehre, auf einer Theorie gründende Religion. Das hat sichnicht erst durch die Konzilien so entwickelt, sondern zeigt sichschon in der häufigen Betonung der „Lehre“ im Neuen Testa-ment, z.B. in der auf Pfingsten (50 Tage nach der AuferstehungJesu) bezogenen Aussage: „Sie blieben aber beständig in der Apo-stel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und imGebet.“ (Apg. 2,42)

Es gab aber auch immer wieder Kritik an dieser philosophi-schen, theoretischen Auseinandersetzung mit der christlichen Leh-re. Auch Andreas Koritenskys Beitrag „Ist die analytische Reli-gionsphilosophie zu rationalistisch?“ drückt ein Unwohlsein überdie intensive Suche nach Argumenten für die Wahrheit christli-cher Lehren in der analytischen Religionsphilosophie aus. Dage-gen werde ich in diesem Aufsatz behaupten, daß es für den christ-lichen Glauben nicht zu viel Vernunft, Philosophie, Nachforschenund Beweise geben kann und daß mithin auch die analytische Re-ligionsphilosophie nicht „zu rationalistisch“1 ist. Dies werde ichbegründen, indem ich analysiere, woraus religiöser Glaube be-steht und wie die Vernunft den Glauben betrifft.

Unsere Frage lautet also: Ist die analytische Religionsphiloso-phie zu rationalistisch? Sind Beweise für die christliche Lehremöglich? Sind sie nötig? Sind sie nützlich? Und in diesem Zu-sammenhang: Woraus besteht religiöser Glaube, und was ist Ver-

1Koritenskys Verwendung des Wortes „rationalistisch“ ist etwas ungewöhn-lich, denn im Zusammenhang der Theologie wird es häufiger, seit ca. 1800,für die Behauptung verwendet, daß die traditionelle christliche Lehre derVernunft widerspreche. Doch es ist klar, daß Koritensky mit „rationalistisch“meint, daß die analytische Religionsphilosophie zu sehr Argumente für odergegen die Existenz Gottes und die Wahrheit der christlichen Lehre sucht oderfordert.

3

Page 3: Glauben mit Gründen - Philo

nunft? Doch zunächst eine Anmerkung zum Stil.

2 Der analytische Stil

Der Unterschied zwischen Koritenskys und meinem Beitrag sollauch einige Unterschiede zwischen einem analytischen und einemnichtanalytischen Text veranschaulichen. Meinen Text kann manals analytisch bezeichnen, allerdings nicht in jenem veralteten en-gen Sinne, der einen Hang zu Sprachphilosophie oder formalerLogik beinhaltet und in dem ich, wie nicht wenige andere ana-lytische Philosophen, gar kein analytischer Philosoph wäre. Derfolgende Aufsatz soll nur in dem heute üblichen Sinne analytischsein, daß er eine philosophische These nüchtern, sich um Klarheitund Genauigkeit bemühend, mit Argumenten verteidigt. DieserSinn ist so weit, daß er auch die lateinische Philosophie von An-selm von Canterbury bis 1800 und einige englisch- oder deutsch-schreibende Philosophen des 18. und 19. Jahrhunderts umfaßt,z.B. Johann Friedrich Herbart (1776–1841) und Hermann Ulrici(1806–1884). Koritenskys Beitrag vertritt zwar eine These, dochdeutet er sie nur an, und die Begründung ist eher nichtanalytisch.

Zwei solche Unterschiede zwischen Koritenskys und meinemBeitrag seien hier schon genannt. Erstens: Koritensky untersuchtmanchmal die Ursachen oder die Herkunft von Auffassungen, woich, wie es für analytische Philosophen typisch ist, meine, daßAuffassungen nur in einem eingeschränkten Sinne eine Ursacheund Herkunft haben, weil Auffassungen nicht wie Erdbeben nurdas Ergebnis von kausalen Prozessen sind. Vielmehr leben sie imforschenden Denken des Autors, wo sie zwar meist in Auseinan-dersetzung mit den Ideen anderer Denker entstehen, wo aber derAutor sie mehr oder weniger rational und kreativ annimmt oderentwickelt.

Wenn Koritensky zum Beispiel unter der Überschrift „Die Wur-zeln der analytischen Konzeption der religiösen Überzeugung“

4

Page 4: Glauben mit Gründen - Philo

schreibt, die „Problembestimmungen und Zielvorstellungen deranalytischen Religionsphilosophie“ entstammten „dem Diskursdes angelsächsischen Protestantismus“ (6), insbesondere JohnLocke, überzeugt mich das deshalb nicht, weil das, was die ana-lytische Religionsphilosophie betreibt, in der ganzen westlichenPhilosophie seit Anselm und eigentlich schon seit Origenes be-trieben wurde. Es entstammt überhaupt niemandem, sondern isteine für Christen naheliegende Tätigkeit. Ferner schreibt Kori-tensky: „Dass Locke darüber hinaus den Vernunftgebrauch durcheine Ethik der Überzeugungsbildung disziplinieren möchte, hatseine Ursache in der Konfrontation mit protestantischen Strö-mungen, die ihre Überzeugungen gewissermaßen aus sich selbstnehmen.“ (25) Den „Vernunftgebrauch durch eine Ethik der Über-zeugungsbildung disziplinieren“ heißt wohl zu versuchen, seineÜberzeugungen rational zu bilden und nicht etwa durch Wunsch-denken und Gruppendruck. Wer will denn das nicht? Es ist un-wahrscheinlich, daß die Konfrontation mit jener protestantischenStrömung ausschlaggebend für die Entstehung jenes Wunscheswar, weil jeder etwas wissenschaftlich interessierte Mensch diesenWunsch hat. In einem Menschen, der diesen Wunsch nicht hat,wird wahrscheinlich auch jene Konfrontation ihn nicht hervor-bringen. Koritensky zieht also hier distanziert historische Linien,wo der Analytiker sich nicht distanzieren und keine historischenLinien zeichnen würde.

Zweitens interessiert sich Koritensky oft nicht für Details, dieden analytischen Philosophen interessieren würden. Wo er zumBeispiel Lockes Ethik der Überzeugungsbildung bespricht, schreibtKoritensky:

Locke spricht davon, dass jeder, der etwas glaubt (believe),ohne einen vernünftigen Grund dafür zu haben, eine (auch)religiös begründete Pflicht (Duty) verletze [. . . ] Die alte,metaphysisch begründete Synchronisierung von intellectusund voluntas, die die thomistische Deutung des Glaubens

5

Page 5: Glauben mit Gründen - Philo

ermöglichte, ist damit aufgehoben. Die theoretische Ver-nunft ist von nun an auf sich allein gestellt. Die Erfüllungder Pflicht zur Bemühung um Wahrheit garantiert nochnicht ihren Erfolg. Die Einführung des ethischen Prinzipshat daher zudem langfristig dazu geführt, dass der Nach-weis der Erfüllung der rationalen Standards (justification)an die Stelle des Nachweises von Wahrheit getreten ist. (8)

Der Analytiker würde sich hier einerseits nicht bemühen, soeine detaillierte Entwicklungslinie von Thomas zu Locke zu be-schreiben, andererseits würde er sich bemühen, die AuffassungenLockes und des Thomas von Aquin genauer auszudrücken. Wasist denn eine Synchronisierung von intellectus und voluntas, undwelche metaphysische Begründung ist gemeint? Der gebildete Le-ser weiß, daß nach Thomas der religiöse Glaube eine Überzeu-gung ist, deren Qualität zwischen einer Meinung und einem Wis-sen liegt und welche die Person willentlich annimmt. Aber kannman das als „eine Synchronisierung von intellectus und voluntas“bezeichnen? Und warum nicht einfach sagen: „Der Mensch kannfrei entscheiden, ob er die christliche Lehre annimmt“? Zudemscheint die thomistische Auffassung mit Lockes Aussage verein-bar. Im Gegenteil, wenn man nicht annimmt, daß man sich dafürentscheiden kann, an die christliche Lehre zu glauben, kann manauch Lockes These, daß eine falsche Überzeugung eine Pflichtver-letzung wäre, nicht annehmen.

Dies macht deutlich, daß der Analytiker andere Ziele verfolgtals der Text von Koritensky. Dieser verfolgt das Ziel, histori-sche Linien nachzuzeichnen, Gedanken einzuordnen, Ideenent-wicklungen zu systematisieren, Gedankenströmungen oder Bewe-gungen zu charakterisieren, Ideen und Gedanken kausal zu er-klären. Wenn Koritensky von einer „Synchronisierung von intel-lectus und voluntas“ spricht statt zu sagen: „Die These, daß derMensch frei entscheiden kann, ob er die christliche Lehre glaubt“,beschreibt er damit einen Mechanismus der Gedankenentstehung,

6

Page 6: Glauben mit Gründen - Philo

den zu untersuchen nicht das Ziel des Analytikers ist. Der Analy-tiker sucht die Antwort auf die Frage. Untersuchen wir also, obdie analytische Religionsphilosophie zu rationalistisch ist.

3 Was ist religiöser Glaube?

Koritensky nennt die Auffassung von Glauben, die ich nun vertei-digen werde, das „zweistufige Modell“. Der christliche Glaube be-steht aus einem Fürwahrhalten der christlichen Lehre (der Glau-bensüberzeugung) und einer Handlung (der Glaubenshandlung).Varianten des zweistufigen Modells unterscheiden sich darin, aufwelche Lehren sie sich beziehen, und darin, welche Handlungensie zum Glauben rechnen. Die meisten dieser Abweichungen än-dern aber nichts an meiner These, daß es für den christlichenGlauben nicht zu viel Vernunft geben kann.

In etwa folgende Lehren gehören zum christlichen Glauben: Esgibt einen Gott, d.h. eine besonders mächtige und gute körperlosePerson, er hat die Welt erschaffen und erhält sie im Dasein. JesusChristus ist „Gottes Sohn“ und wurde Mensch, um die Menschenzu erlösen. Er ist am Kreuz gestorben und am dritten Tag aufer-standen. Sein Tod ermöglicht Menschen, Vergebung und „ewigesLeben“ zu erlangen. Zur Unterscheidung von den vielen weite-ren Lehren und Theorien wie z.B. der Trinitätslehre oder derLösegeldtheorie der Versöhnung, können wir dies die christlicheKernlehre nennen.

Um in den Genuß dieses ewigen Lebens zu kommen, ist ei-ne Handlung nötig: Buße tun, Gott um Vergebung durch Chri-stus bitten, Gott sein Leben anbefehlen. Zusammenfassend kannman dies „Bekehrung“ nennen. Nach anderen Auffassungen istdie zum Glauben gehörende Handlung: In die Kirche eintreten;sich taufen lassen; zur Beichte gehen; an der Eucharistie teilneh-

7

Page 7: Glauben mit Gründen - Philo

men; vertrauen;2 oder keine bösen Werke und viele gute Werketun, z.B. alle Versprechen halten, nicht stehlen, die Ehe nichtbrechen, Geld spenden. Die meisten Christen halten die meistengenannten Handlungen für gut und geboten, aber es gibt Unter-schiede darin, welche dieser Handlungen zum Glauben gerechnetwerden.

Welche Alternativen zum zweistufigen Modell gibt es? Mankann einerseits behaupten, daß der Glaube nur ein bestimmtesFürwahrhalten sei, und andererseits daß er gar kein Fürwahr-halten, sondern nur aus bestimmten Handlungen oder Gefühlenbestehe.

4 Glaube ohne Lehre?

Entgegen dem zweistufigen Modell könnte man versuchen zu be-haupten, daß zum Glauben und zur Religion überhaupt gar keineÜberzeugung von einer Lehre, von metaphysischen Propositionengehörte. Das ist die nichtkognitivistische oder nichtrealistischeAuffassung von Glauben. In Anlehnung an Wittgenstein hat z.B.D. Z. Phillips (1993) für eine Umdeutung religiöser Aussagenplädiert. Sein Ausgangspunkt ist die „Grammatik“ der ExistenzGottes: Das Wort „Gott“ eigne sich nicht für theoretische Unter-suchungen, es sei nur im religiösen Vollzug sinnvoll. Dies führtihn zu der auch unter Theologen beliebten Aussage, Gott seikein Gegenstand unter anderen Gegenständen (1993, 12). Untenwerde ich drei Versionen des Nichtkognitivismus besprechen.

Wer eine nichtkognitivistische Glaubensauffassung vorzieht, wirdsicher finden, daß die analytische Religionsphilosophie sich zu

2Paul Helm vertritt das zweistufige Modell mit „Vertrauen“ als Glaubens-handlung: „Belief becomes faith when, besides the presence of the variousdoxastic elements, the one who has these beliefs actually entrusts himself,relying upon the one the evidential beliefs identify and characterize, andengages in trust for the goods in question.“ (Helm 2000, 16)

8

Page 8: Glauben mit Gründen - Philo

viel mit Argumenten für oder gegen die Existenz Gottes und dieWahrheit der christlichen Lehre befaßt. Er wird finden, daß dieLehren gar nicht zum Glauben gehören, oder zumindest, daß eineReligion ohne Lehren besser wäre und man deshalb die christli-chen Lehren mehr als Bilder denn als Propositionen behandelnund mithin keine Argumente für sie vortragen sollte.

Man könnte sagen, daß man das Wort „Glaube“ verwendenkann, wie man will, und daher sowohl für kognitive als auch fürnichtkognitive Einstellungen. Doch mit Bezug auf eine bestimmteReligion und mit Bezug auf den normalen Gebrauch des Wortes„Glaube“ kann sie richtig oder falsch sein. Ferner ist hier zu fra-gen, welche Arten von Glauben rational sind. Ist also die nichtko-gnitivistische Glaubensauffassung richtig, und ist nichtkognitivi-stischer Glaube rational? Als Analysen des christlichen Glaubenssind die nichtkognitivistischen Glaubensauffassungen offensicht-lich falsch. Sowohl das Neue Testament als auch die Kirchen unddie Christen haben – bis auf die von Kant, Schleiermacher undBultmann geprägten Kirchen – immer einen Glauben gepredigt,zu dem die Annahme einer bestimmten Lehre gehört. Die nicht-kognitivistischen Glaubensauffassungen sind nur als Vorschlägeeiner neuen Religion sinnvoll.

4.1 Der Rationalitätseinwand gegen denNichtkognitivismus

Ein Motiv der Nichtkognitivisten ist oft, daß sie die christlicheLehre ablehnen und für irrational und Aberglauben halten. Dochmein Haupteinwand gegen eine nichtkognitivistische Religion wä-re gerade, daß es ihr an Rationalität mangelt, weil sie vorgibtoder versucht, Hoffnung, Freude und Trost zu erzeugen, aber kei-ne Gründe für diese angibt. Formulieren wir diesen Einwand ge-nauer.

Es ist zu unterscheiden zwischen guter Stimmung oder ande-

9

Page 9: Glauben mit Gründen - Philo

ren Gefühlen und begründeten existenziellen Einstellungen wieFreude, Trost und Hoffnung. Freude hat stets einen Grund. Wennman sich freut, freut man sich über etwas. Man hat eine Über-zeugung, daß da etwas sei, was einen Grund für Freude darstellt.Hat man keinen Grund für Freude, kann man höchstens guterStimmung sein. Gute Stimmung kommt ohne eine Überzeugungvon einem Grund aus. Guter Stimmung kann man dadurch wer-den, daß man in die Sonne geht oder einen Dauerlauf macht.Freude kann auf einer falschen Überzeugung gründen, aber ohneeine begründende Überzeugung kann es keine Freude geben. DieErzeugung eines guten Gefühls oder einer guten Stimmung istan sich gut und wertvoll, wenn auch weniger erstrebenswert alsbegründete Freude, Hoffnung und Trost.

Wer die christliche Lehre für falsch hält, kann mit gutem Rechtdennoch meinen, daß man vom Christentum oder anderen Reli-gionen einiges darüber lernen kann, wie man sowohl gute Stim-mung als auch Freude, Hoffnung und Trost auch dann erhaltenoder erzeugen kann, wenn man nicht an die Lehre glaubt. Mankann z.B. lernen, daß es wertvoll und erfüllend ist, anderen zudienen und sie zu lieben. Doch die tieferen Erlebnisse von Freude,Hoffnung und Trost, die das Christentum verspricht, sind dem,der die Lehre nicht annimmt, nicht zugänglich. Wenn die Lehrenicht wahr ist, ist es auch nicht erstrebenswert, diese Freude zuhaben, denn dann beruht sie auf einem Irrtum.

Betrachten wir die Rolle der Lehre im Christentum genau-er. Das Christentum ist durchdrungen vom Zusammenhang zwi-schen einerseits der Begründung durch die Lehre und andererseitsFreude, Trost, Hoffnung oder Handlungen, also der Antwort desMenschen. In seiner Predigt zu Pfingsten führt Petrus die Wun-der und die Auferstehung von Jesus von Nazareth als (epistemi-schen) Grund für die These an, daß Jesus der Christus ist: „Sowisse nun das ganze Haus Israel gewiß, daß Gott diesen Jesus, denihr gekreuzigt habt, zu einem Herrn und Christus gemacht hat.“

10

Page 10: Glauben mit Gründen - Philo

(Apg. 2, 36) Dies wiederum sieht er als Grund für eine Handlungan: „Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den NamenJesu Christi zur Vergebung der Sünden.“ Ferner klingt in dieserPredigt durch ein Zitat aus Psalm 16 auch eine Begründung exi-stenzieller Einstellungen an: „Darum ist mein Herz fröhlich, undmeine Zunge freuet sich; denn auch mein Fleisch wird ruhen inder Hoffnung.“ Andere Beispiele von Begründungen: Wenn Jesussagt: „Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Friedenhabet. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe dieWelt überwunden.“ (Joh. 16, 33) führt er sein Werk als Grundfür Trost an. Christliche Predigt und Texte folgen diesem Mustervon Begründung und Antwort. Der vermutlich älteste liturgischeGesang in deutscher Sprache lautet: „Christ ist erstanden von derMarter alle. Des solln wir alle froh sein; Christ will unser Trostsein.“ Die Auferstehung Jesu ist für den Christen Grund für Freu-de und Trost. Ein bekanntes Kirchenlied spricht ausdrücklich voneinem „Grund“: „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude.“

Durch diesen allgegenwärtigen Zusammenhang zwischen Be-gründung durch Lehre und der Antwort des Menschen in Her-zenshaltung und Handlung unterscheidet sich das Christentumeinerseits von Religionen, die vor allem Handlungen oder eineEinstellungsänderung z.B. durch Meditation oder Gelassenheitempfehlen und keine Lehre in den Vordergrund stellen, und an-dererseits von Religionen oder Lebensratgebern, die sich nur aufnichttheologische Gründe und Werte beziehen, indem sie z.B.Ratschläge geben wie: „Freue dich an dem Guten, welches dasLeben deines verstorbenen Freundes enthielt und brachte.“ DasChristentum betont beides stärkstmöglich: die Lehre und die per-sönliche Antwort darauf in Einstellung (Freude, Hoffnung, Trost)und Handlung. Sowohl Predigten oder Lieder, die nur Lehrsätzeenthalten, ohne das Herz anzusprechen oder zu Handlungen her-auszufordern, als auch nur an das Gefühl appellierende Predigtenund Lieder, die keine Lehre und keine Begründungen enthalten,

11

Page 11: Glauben mit Gründen - Philo

sind aus christlicher Sicht mangelhaft oder zumindest einseitig.Vor allem ist es ein Versäumnis eines Menschen, wenn er auf diechristliche Lehre pocht, aber im Herzen und in seinem Lebenkeine Konsequenzen daraus zieht, oder auch wenn er zwar seinLeben christlich ausrichten will, aber der Lehre wenig Aufmerk-samkeit widmet. Aus christlicher Sicht muß nicht jeder Christdie philosophischen Details der Lehre erforschen, aber jeder solltesich die Kernaussagen der Lehre immer wieder vor Augen führen.

Diese Betonung des Zusammenhangs zwischen Begründung ei-nerseits und Herzenshaltung und Handlung andererseits machtdas Christentum besonders kognitivistisch. Das Christentum hateine umfangreiche Lehre, und es stützt die Aufforderungen zuHerzenshaltungen und zu Handlungen auf diese Lehre. Genaudagegen wendet sich der Nichtkognitivismus. Er lehnt die Leh-re ab, will aber dennoch irgendwie an der Religion festhalten.3Sehen wir uns drei Varianten des Nichtkognitivismus an.

1. Der moralische Nichtkognitivismus, den man vielleicht Im-manuel Kant zuschreiben kann, lehrt, daß wahre Religion nurMoral ist. Was wäre dann mit der umfangreichen christlichenLehre zu tun? „Gott hat die Welt erschaffen“, „Christus ist fürdie Sünde der Menschen gestorben“ und „Christus ist auferstan-den“ haben keinen moralischen Inhalt. Wer diese Sätze nicht fürwahr hält, den motivieren sie auch nicht zum moralischen Han-deln. Da es irrational ist, Aussagen zu äußern, die man für falschhält, sollte der moralische Nichtkognitivist die christlichen Lehr-aussagen streichen. Das sollte er auch deshalb tun, weil er anson-sten Überzeugungen verbreitet, die er für falsch hält, also lügt.Zudem täuscht er ansonsten die Zuhörer, indem er sie glaubenmacht, daß er die christlichen Lehraussagen für wahr hält. Für

3Einen neuen Versuch, das Christentum ohne die christliche Lehre zu be-halten, unternimmt: Franz von Kutschera, 2008, Was vom Christentum bleibt.Ein älterer recht gründlicher Versuch ist: Rudolf Eucken, 1911, Können wirnoch Christen sein?.

12

Page 12: Glauben mit Gründen - Philo

den moralischen Nichtkognitivisten bleiben vom Christentum nurdie in der Bibel enthaltenen moralischen Aussagen und vielleichtmoralische Aussagen der christlichen Tradition. Welchen Grundkönnte er noch haben, dennoch am Christentum festzuhalten?Die Lehre nimmt er nicht an. Die christlichen Riten stützen ohnedie Lehre die moralischen Aussagen nicht. Moralische Aussagenkann man auch ohne jegliche Religion annehmen. Das Vermö-gen der Kirchen könnte einen Grund darstellen, am Christentumfestzuhalten. Ein Nichtkognitivist kann es verwenden, indem er,wie Friedrich Schleiermacher und Rudolf Bultmann, Pfarrer wirdund sich für die Verbreitung seiner nichtkognitivistischen Ideenbezahlen läßt. Aber da das Vermögen durch die Statuten der Kir-chen und durch den Willen der Spender an die christliche Lehregebunden ist, ist es unmoralisch, wenn Nichtkognitivisten sichdieses Vermögens bedienen. Zu Recht forderte daher schon Fried-rich Wilhelm II. von Preußen (auf den Rat von Johann Christophvon Woellner) in seinem Religionsedikt vom 9. Juli 1788 mit Blickauf das Wirken der sich „Aufklärung“ nennenden Bewegung inder evangelischen Landeskirche, daß „in dem Wesentlichen des al-ten Lehrbegriffs einer jeden Confession keine weitre Abänderunggeschehe“ (§ 6).4

Fazit ist, daß der moralische Nichtkognitivismus schwer haltbar4Das Religionsedikt findet sich z.B. in Das preußische Religionsedikt, Leip-

zig 1842 (siehe www.digitale-sammlungen.de). Im § 7 heißt es: „Wir [haben]bereits einige Jahre vor Unserer Thronbesteigung mit Leidwesen bemerkt,daß manche Geistliche der protestantischen Kirche sich ganz zügellose Frei-heiten in Absicht des Lehrbegriffs ihrer Confession erlauben; verschiedenewesentliche Stücke und Grundwahrheiten der protestantischen Kirche undder christlichen Religion überhaupt wegläugnen, und in ihrer Lehrart einenModeton annehmen, der dem Geiste des Christenthums völlig zuwider ist,und die Grundsäulen des Glaubens der Christen am Ende wankend machenwürde. Man entblödet sich nicht, die elenden, längst widerlegten Irrthymerder Socianer, Deisten, Naturalisten und anderer Secten mehr wiederum auf-zuwärmen, und solche mit vieler Dreistigkeit und Unverschämtheit durch denäußerst gemißbrauchten Namen: AUFKLÄRUNG unter das Volk auszubrei-

13

Page 13: Glauben mit Gründen - Philo

ist, weil einerseits die Ablehnung der Religion und andererseits(wenn genug Gründe für die Lehre vorliegen) die Annahme desnormalen, kognitivistischen Christentums rationaler sind.

2. Der emotionale Nichtkognitivismus kommt in Friedrich Schlei-ermachers Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ih-ren Verächtern von 1799 zum Ausdruck:

Die Religion ist nicht, wie man gewöhnlich meint, ein Wis-sen oder ein Handeln, Metaphysik oder Moral oder einKompositum aus beiden, sondern sie ist ein andächtigesAnschauen und Fühlen des Universums. [. . . ] Lehrsätzeund bestimmte doktrinäre Begriffe gehören nicht zum We-sen der Religion, sondern sind sekundär und müssen an-ders gebraucht und verstanden werden als im traditionel-len Sinne. (1799, 38)

Demnach kann das Christentum nicht mehr durch die LehreFreude, Trost oder Hoffnung erzeugen. Der emotionale Nichtko-gnitivist könnte Stimmungen erzeugen, etwa durch Meditation,Hypnose, Selbsthypnose oder auch Drogen. Das kann wertvollund rational sein, aber die Rationalitätseinwände entstehen wiebeim emotionalen Nichtkognitivismus dadurch, daß der Nichtko-gnitivist an Religion, Christentum oder einer gewissen Verwen-dung der Lehrsätze festhalten möchte.

Wenn ein Prediger Nichtkognitivist ist und dies dem Zuhörermitteilt, kann er keine Freude und keinen Trost erzeugen, denner kann dem Zuhörer keinen Grund für Freude oder Trost ge-ben. Der Satz „Jesus ist auferstanden“ hat für den, der ihn nichtglaubt, wenig Erhebendes oder Ermutigendes. Auch für die Selbs-thypnose oder für die Meditation ist er wenig geeignet. Durchdie Verwendung der Lehrsätze und überhaupt durch das Festhal-ten am Christentum entsteht beim Zuhörer die Erwartung oder

ten“. Das Wort „Aufklärung“ wurde allein in der Mitte einer Zeile stehendim Fettdruck gesetzt.

14

Page 14: Glauben mit Gründen - Philo

der Eindruck, daß nicht nur Gefühle, sondern Freude, Trost oderHoffnung erzeugt werden soll. Es ist aber irrational zu versuchen,sich oder andere in Freude zu versetzen, ohne einen Grund fürFreude zu nennen. Zum Beispiel ist es irrational zu predigen:„Jesus ist auferstanden! Es gibt Hoffnung! Aber natürlich ist dieAuferstehung nicht wörtlich zu verstehen.“

Wenn ein Prediger Nichtkognitivist ist, die Zuhörer aber glau-ben läßt, er nehme die christliche Lehre an, treffen die schon beimmoralischen Nichtkognitivismus genannten Einwände zu: Erstenslügt er die Zuhörer an, weil er ihnen etwas sagt, was er für falschhält. Zweitens täuscht er die Zuhörer, weil er diese glauben läßt,er, der Prediger, glaube an die christliche Lehre. – Das Fazitist auch beim emotionalen Nichtkognitivismus, daß dieser schwerhaltbar ist, weil einerseits die Ablehnung der Religion und an-dererseits (wenn genug Gründe für die Lehre vorliegen) die An-nahme des normalen, kognitivistischen Christentums rationalersind.

3. Rudolf Bultmanns Projekt der „Entmythologisierung“ kön-nen wir existenziellen Nichtkognitivismus nennen. Er ist den glei-chen Einwänden wie der emotionale Nichtkognitivismus ausge-setzt. Noch deutlicher als Schleiermacher hält Bultmann am Zielfest, existenzielle Haltungen zu erzeugen und dafür christlicheLehrsätze zu verwenden, obwohl er diese für falsch und nichtglaubbar hält. Der aus einer evangelischen Familie stammendeBultmann arbeitete hier mit dem aus einer katholischen Fami-lie stammenden Martin Heidegger zusammen. Nach Heideggerbesteht die Existenz eines Menschen darin, daß ihm oder mitihm etwas geschieht, daß er etwas erlebt, daß er sich einer Si-tuation befindet. Heidegger will dies trennen von Begründungenoder Wahrheiten: „Die Behauptung ‚ewiger Wahrheiten‘ [. . . ge-hört] zu den längst noch nicht radikal ausgetriebenen Restenvon christlicher Theologie innerhalb der philosophischen Proble-matik.“ (Sein und Zeit, S. 229) Das führt genau zum Nichtko-

15

Page 15: Glauben mit Gründen - Philo

gnitivismus Bultmanns. Auf den Versuch, ohne Lehre und da-mit ohne Gründe Freude, Trost oder Hoffnung zu erzeugen, tref-fen die beim emotionalen Nichtkognitivismus genannten Einwän-de zu. Auch wenn der existenzielle Nichtkognitivist andere exi-stenzielle Haltungen oder Erlebnisse erzeugen möchte, ist ihmzu entgegnen, daß die christlichen Lehrsätze, wenn sie nicht fürwahr gehalten werden, nicht dazu geeignet sind. Daher lautetauch beim existenziellen Nichtkognitivismus das Fazit, daß die-ser schwer haltbar ist, weil einerseits die Ablehnung der Religionund andererseits (wenn genug Gründe für die Lehre vorliegen)die Annahme des normalen, kognitivistischen Christentums ra-tionaler sind.

Ein weiterer Rationalitätseinwand gegen Schleiermacher, Bult-mann und andere Theologen mit ähnlicher Ausrichtung ist, daßdiese behaupteten, daß man die christlichen Lehraussagen „heu-te nicht mehr glauben kann“, ohne diese starke Behauptung zubegründen. Berühmt ist Bultmanns Bezug auf Radioapparate:„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen,in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittelin Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wun-derwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es fürseine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenner das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damitdie christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlichund unmöglich macht.“ (Bultmann 1941, 18) Unter analytischenPhilosophen ruft diese Aussage zu Recht oft Spott5 hervor. Zu-mindest stellt sie nichts dar, was die Bezeichnung „Begründung“verdient. Sowohl zu Schleiermachers und Bultmanns Zeit als auchheute gibt es Menschen, welche die christlichen Lehraussagen imnormalen Sinne für wahr halten, und sowohl zu deren Zeit als

5Zum Beispiel Peter van Inwagen 1995, 3: „If Bultmann knew of somereason for believing this assertion, he did not share it with his readers.“

16

Page 16: Glauben mit Gründen - Philo

auch heute, besonders in der analytischen Religionsphilosophie,gibt es gründliche Begründungen für ihre Kohärenz und Wahr-heit sowie für die Glaubwürdigkeit der Schriften des Neuen Te-staments. Der mit „Man kann das heute nicht mehr glauben“ausgedrückte Appell ist nicht rational, er wirkt je nach Situationdurch Gruppendruck, ständige Wiederholung, durch Ausnutzendes Wunsches, von einem Professor nicht als unvernünftig ange-sehen zu werden, und ähnliche Mechanismen.

Unser Ergebnis ist das, was man auch auf Anhieb dem Nicht-kognitivismus entgegenhalten könnte: Es ist nicht sinnvoll, diechristliche Lehre abzulehnen, dabei aber am Christentum festzu-halten.

4.2 Ist kognitiver Glaube wahrhaft religiös?

Ein anderes Motiv der Nichtkognitivisten ist, daß die kognitiveGlaubensauffassung dem religiösen Vollzug nicht gerecht würdeoder die existenzielle Seite vernachlässigte. Kognitiver Glaubesei gar kein richtiger religiöser Glaube, sondern nur eine Theo-rie. Dem halte ich entgegen, daß im Gegenteil eine Religion ohneLehre weniger tiefe Hingabe hervorruft als eine mit einer geeig-neten Lehre. Eine Lehre wie die christliche motiviert nicht nurzu einem moralischen Leben und zur Bereitschaft zur Selbstauf-opferung, sondern führt auch zu typisch religiösen Phänomenenwie Gebet und religiösen Erlebnissen. Eine metaphysische Lehrekann sehr wohl religiöse Handlungen und Phänomene begründen.Ohne eine metaphysische Lehre wären die meisten religiösen Ein-stellungen und Phänomene nicht nur nicht rational und erstre-benswert, sondern sie träten gar nicht auf.

17

Page 17: Glauben mit Gründen - Philo

4.3 Koritenskys nichtkognitivistischer Ansatz

Koritensky deutet an einigen Stellen Sympathie für eine nichtko-gnitivistische Glaubensauffassung an. Zum Beispiel schreibt er,„der Vorwurf, religiöse Sätze seien nonkognitiv,“ habe tiefe Spu-ren hinterlassen, „daher insistiert die analytische Religionsphilo-sophie darauf, der Glaube richte sich auf propositionale Aussa-gen, die Überzeugungen (beliefs) ausdrücken, die sich in meta-physischen Systemen organisieren lassen“ (10). Das scheint mirzu suggerieren, daß an sich die Annahme, der Glaube richte sichauf propositionale Aussagen (d.h. solche, die wahr oder falschsind) – also die kognitive Glaubensauffassung –, abwegig wäre.An anderer Stelle schreibt Koritensky:

In der analytischen Diskussion dominiert die Vorstellung,der Glaube richte sich auf ein metaphysisches System, dasaus propositionalen Aussagen besteht. Für die Dominanzdieser Annahme dürften zwei Gründe maßgeblich sein. Er-stens spielen im Christentum Bekenntnisformeln [. . . ] einewichtige Rolle. Die Krise der klassischen Metaphysik zogdaher auch die christliche Religion in Mitleidenschaft. Da-her erhielt zweitens der Sinnlosigkeitsvorwurf der frühenanalytischen Philosophie eine deutlich antireligiöse Stoß-richtung. Konfrontiert mit der scheinbaren Alternative, ent-weder eine nonkognitive Deutung der Religion akzeptierenzu müssen oder die religiösen Überzeugungen in direkterKonkurrenz zu naturwissenschaftlich geprägten Weltdeu-tungen zu etablieren, entscheidet sich die analytische Reli-gionsphilosophie in der Regel für den zweiten Weg. Unter-schwellig wirken dabei die Parallelen zu naturwissenschaft-lichen Weltanschauungen in der Ontologie nach. (38)

Auch dies suggeriert, so scheint mir, daß es an sich keine gutenGründe für die kognitive Glaubensauffassung gebe. Diese Inter-pretation des Textes Koritenskys erklärte auch, weshalb er dieanalytische Religionsphilosophie für zu rationalistisch hält, denn

18

Page 18: Glauben mit Gründen - Philo

wie oben gesagt sind aus nichtkognitivistischer Sicht Argumentefür religiöse Lehren ein Mißverständnis.

Koritensky halte ich hier zweierlei entgegen. Erstens ist die vonihm behauptete Erklärung durch den Sinnlosigkeitsvorwurf unddurch die Wirkung von „Parallelen zu naturwissenschaftlichenWeltanschauungen in der Ontologie“ falsch. Analytische Religi-onsphilosophen nehmen die kognitive Glaubensauffassung unab-hängig vom Sinnlosigkeitsvorwurf an. Sie nehmen sie an, weiles ihnen scheint, daß eine auf Propositionen gegründete Religi-on unter bestimmten Umständen rational und erstrebenswert istund daß eine nicht auf Propositionen gegründete Religion über-flüssig oder irrational wäre, und weil das Christentum einen aufPropositionen gründenden Glauben lehrt. Der Sinnlosigkeitsvor-wurf im Positivismus trägt weder kausal noch rational zur pro-positionalen Annahme bei: er ist weder die oder eine Ursacheder propositionalen Annahme, noch spielt er eine Rolle in ihrerBegründung. Eher ist es umgekehrt so, daß die Annahme vonGlaubenspropositionen den Sinnlosigkeitsvorwurf erklärt, dennwenn niemand Glaubenspropositionen angenommen hätte, wäreder Sinnlosigkeitsvorwurf ins Leere gegangen.

Zweitens trügen die von Koritensky vorgetragenen Erklärun-gen auch dann nichts zur Klärung der Richtigkeit der kognitivi-stischen Glaubensauffassung bei, wenn sie stimmten. Selbst wennbei einigen oder vielen der Sinnlosigkeitsvorwurf eine Ursacheoder ein Grund dafür gewesen wäre, die nonkognitive Glaubens-auffassung durch die kognitive zu ersetzen, könnte diese richtigsein. Es kann allerdings sein, daß Koritensky, wie es für nichtana-lytische Autoren typisch ist, gar nicht die Wahrheit oder Falsch-heit der kognitiven Glaubensauffassung behaupten möchte, ob-wohl es für einen analytischen Leser so klingt, als suggeriertendie zitierten Stellen die nichtkognitive Glaubensauffassung. Indiesem Falle halte ich Koritensky nur meinen Einwand gegen sei-ne Erklärung der Entstehung der kognitiven Glaubensauffassung

19

Page 19: Glauben mit Gründen - Philo

in der analytischen Philosophie entgegen.

5 Glaube ohne Handlung?

Die andere Alternative zum zweistufigen Glaubensmodell hältden Glauben für eine bestimmte Überzeugung und zählt keineHandlung zum Glauben. Diese Auffassung ist im Einklang mitder Bedeutung des deutschen Wortes „glauben“ im nichtreligi-ösen Zusammenhang und mit der Bedeutung des lateinischenWortes „credo“, die sich beide auf bloße Überzeugungen bezie-hen. (Das griechische Wort für Glauben im Neuen Testament,πίσvτις, schließt hingegen oft noch mehr als eine Überzeugungein.) Die rein-kognitive Auffassung des Glaubens wurde vor al-lem durch Thomas von Aquin verbreitet. Er meinte, der Glaubesei eine Überzeugung von der Wahrheit der christlichen Lehre.„Wissen“ hielt er für epistemologisch besonders hochwertig, undden christlichen Glauben ordnete er zwischen Meinung und Wis-sen an. Zwar habe er mit dem Wissen die feste Überzeugunggemeinsam, doch es fehle ihm die dem Wissen eigene Einsehbar-keit. Das Entscheidende am Glauben ist für Thomas, daß er aufGottes Offenbarung beruht. Glauben heißt, Gott glauben. DiesesGott Glauben Schenken hält Thomas für freiwillig.

Der Unterschied zu anderen christlichen Glaubensauffassungenist aus zwei Gründen kleiner als man denken könnte. Erstens:Während reformatorische Auffassungen behaupten, ein Menschwerde durch den Glauben allein („sola fide“) gerettet, behauptetThomas dies nicht; doch sie verwenden das Wort „Glauben“ un-terschiedlich. Für Thomas ist Glaube ohne gute Werke möglich,aber für die Errettung sind sowohl Glaube als auch Werke derLiebe notwendig. Für die Kombination von Glaube und gutenWerken hat Thomas auch einen Begriff: „fides formata“ oder „fi-des caritate formata“. Für die Reformatoren hingegen gehörenzum Glauben auch gute Werke, sei es als notwendige Folge oder

20

Page 20: Glauben mit Gründen - Philo

weil sie das Wort „Glaube“ so verwenden. Thomas und die Refor-matoren sind sich also darin einig, daß eine bloße Überzeugungvon der Wahrheit der christlichen Lehre nicht hinreichend fürdie Errettung ist und daß auch gute Werke notwendig sind. EineMeinungsverschiedenheit mag darin bestehen, daß viele evange-lische Christen Buße, Bitte um Vergebung und Hingabe für dieErrettung für notwendig halten.

Zweitens ist sowohl nach dem thomistischen als auch nach demzweistufigen Modell der Glaube freiwillig. Beim zweistufigen Mo-dell ist die Glaubenshandlung freiwillig, seien dies nun gute Wer-ke oder der Akt der Buße und Hingabe. Ob zudem die Überzeu-gung von der Wahrheit der christlichen Lehre freiwillig ist, bleibtoffen.

Ich komme daher zu dem Schluß, daß der Unterschied zwischender thomistischen, rein-kognitiven Glaubensauffassung und demzweistufigen Modell nur definitorisch ist: sie verwenden das Wort„Glaube“ unterschiedlich, sind sich aber darin einig, daß für dasChristsein und für die Errettung sowohl die Überzeugung vonder christlichen Lehre als auch bestimmte Handlungen notwendigsind. Die folgenden Überlegungen über den Nutzen von Argumen-ten lassen sich daher auf die thomistische Glaubensauffassungübertragen und entsprechen im wesentlichen auch der thomisti-schen Meinung über Glaube und Vernunft und über Argumentefür christliche Lehren.

Wer in der Kirchengeschichte das zweistufige Glaubensmodellvertreten hat, kann ich hier nur andeuten. Oft wird das Wort„Glaube“, wie schon im Neuen Testament, mit wechselnder Be-deutung verwendet. Die Lehre der Orthodoxie entspricht wohldem zweistufigen Modell. Die katholische Kirche lehrte meistdie thomistische Auffassung. Luther und Calvin bestritten, daßder Mensch aus freiem Willen zum Glauben komme. Sie sagten,der Glaube sei ein Werk Gottes, hätten also die Rede von ei-ner Glaubenshandlung abgelehnt. Im Luthertum verbreitete sich

21

Page 21: Glauben mit Gründen - Philo

jedoch immer mehr die Ansicht, daß der menschliche Wille beider Bekehrung mitwirke. Dies führte zum synergistischen Streitum 1560, in dem die Philippisten (Synergisten) gegen die Gnesio-lutheraner die (eingeschränkt) freie Glaubenshandlung behaup-teten. Später wurde die freie Glaubenshandlung sowohl in derprotestantischen Scholastik als auch im Pietismus häufig ange-nommen. In der reformierten Theologie wird die Lehre der frei-en Glaubenshandlung und damit das zweistufige Modell nachJacobus Arminius „Arminianismus“ genannt, sie wurde auf derDordrechter Synode 1619 verurteilt. Die Lehre des Täufertumsals auch des Baptismus entsprach meist dem zweistufigen Modell.

6 Wahrscheinlichkeit

Man kann sowohl Gründe für die Wahrheit der christlichen Lehreals auch Gründe für die Glaubenshandlung entwickeln, doch daletztere kaum Aufmerksamkeit erfahren,6 wollen wir uns hier nurmit den epistemischen Gründen befassen.

Ich gehe davon aus, daß die besonders in der cartesianischenund kantischen Tradition verbreitete digitale Erkenntnistheorie,nach der Gewißheit, Rechtfertigung und Überzeugung entwederganz oder gar nicht vorliegen, falsch ist.7 Auf zwei Weisen könnenwir etwas erkennen: durch Wahrnehmung (wenn wir apriorische,intellektuelle Erkenntnis und moralische Intuition und auch Erin-nerung und Zeugenaussagen hier mit einschließen) und durch In-dizien, wie z.B. Fingerabdrücke auf dem Dolch. Beide stützen ei-ne Überzeugung mehr oder weniger, beide erhöhen mehr oder we-niger die Wahrscheinlichkeit der Überzeugung – was Kant ableh-

6Siehe dazu meinen demnächst erscheinenden Aufsatz „Pragmatic Reasonsfor Christian Faith“.

7Bartelborth (2013) spricht hier von „klassischen Überzeugungssystemen“.Eine gründliche Darlegung einer wahrscheinlichkeitsorientierten Erkenntnis-theorie ist Swinburne (2001).

22

Page 22: Glauben mit Gründen - Philo

nend als „Spielwerk von Wahrscheinlichkeit“ bezeichnete. (Pro-legomena, 195) Wahrscheinlichkeit und Rechtfertigung beziehensich immer auf bestimmte Indizien (und Wahrnehmungserlebnis-se), daher spricht man von der Wahrscheinlichkeit einer Propo-sition h aufgrund bestimmter Propositionen e, P(h|e). Wenn e1die Menge von Müllers Überzeugungen ist und e2 die Mengevon Hubers Überzeugungen, dann kann h für Müller eine andereWahrscheinlichkeit haben als für Huber: P(h|e1)̸=P(h|e2). Mankann mehr oder weniger, stärkere oder schwächere Indizien fürdie Hypothese, daß Müller der Mörder war, finden, und es kannmehr oder weniger, mehr oder weniger deutliche und glaubwür-dige sie stützende Wahrnehmungserlebnisse geben. Zwar gibt esje nach Fall ein ausreichendes Maß an Gewißheit und auch ei-ne Gewißheit, die keinen vernünftigen Zweifel mehr zuläßt, dochfür verschiedene Zwecke sind verschiedene Grade an Gewißheitoder Wahrscheinlichkeit nötig. Ein Maximum an Gewißheit gibtes streng genommen nicht, denn stets kann man noch weitere In-dizien oder Wahrnehmungserlebnisse für eine Hypothese finden.

Eine These oder Proposition hat für jemanden durch die ver-fügbaren Wahrnehmungserlebnisse und Indizien eine bestimm-te Wahrscheinlichkeit. Insofern die Person rational ist, hat dieÜberzeugung der Person von dieser Proposition eine bestimmteStärke.8 Diese Überzeugung mit dieser Stärke ist dann durchdie Wahrnehmungserlebnisse und die anderen Überzeugungender Person gerechtfertigt. Zwar sagen wir über einige unsererÜberzeugungen „Das glaube ich“ und über andere „Das glaubeich nicht“, doch außer dem Ja- oder Nein-Moment haben Über-zeugungen ein Moment der Stärke, zumindest eine grobstufigeStärke, die wir zum Beispiel mit „ganz sicher“ oder „ziemlichsicher“ ausdrücken.

8Einige setzen „Müller glaubt p mit Stärke 0,6“ gleich mit „Müller glaubt,daß p eine Wahrscheinlichkeit von 0,6 hat“, z.B. Swinburne 2001, 36.

23

Page 23: Glauben mit Gründen - Philo

Digitales Denken über Erkenntnis klingt auch in der häufig zuhörenden Aussage an: „Die Existenz Gottes kann man nicht be-weisen“. Doch der dieser Aussage zugrundeliegende Begriff eines„Beweises“ ist unangemessen. Unter einem Beweis wird da etwasapodiktische Gewißheit Erzeugendes oder so etwas wie ein ma-thematischer Beweis verstanden. Mathematische Beweise gibt esnur in der Mathematik und anderen formalen Wissenschaften. Inallen anderen Fächern ist der Begriff des Beweises nur im Sinneeines Indizes zu verwenden. Ein Beweis für die Existenz Gottesin diesem Sinne ist etwas, was für die Existenz Gottes spricht,und damit ein Grund für die Annahme der Existenz Gottes. Sol-che Beweise können stark oder schwach sein, und viele schwacheBeweise können im Verbund ein starker Beweis sein.

Es ist irrational, deshalb nicht nach Indizien für die ExistenzGottes zu suchen, weil es keinen apodiktische Gewißheit erzeu-genden Beweis für die Existenz Gottes gibt. Noch irrationaler istes, deshalb so zu leben als gäbe es keinen Gott. Joseph Butlerbrachte dies 1751 wie folgt treffend zum Ausdruck:

Wäre es nicht Irrsinn, wenn jemand einen sicheren Wegverließe und einen vorzöge, von dem er weiß, daß es genau-so wahrscheinlich ist, daß er sein Leben darauf verliert, wiedaß er ihn sicher begehen kann? Doch es gibt Leute, dieverrückt genug sind, die angenommene Bezweifelbarkeitder Religion als das gleiche wie einen Beweis ihrer Falsch-heit anzusehen, nachdem sie, weil sie oft gehört haben,wie sie in Frage gestellt wird, zu dem Schluß gekommensind, daß sie bezweifelbar sei. Das zeigt, wie unendlich un-vernünftig Skeptiker bezüglich der Religion sind und daßsie wirklich bei diesem Thema ihren Verstand so ausschal-ten wie die wildesten Schwärmer. (Butler 1751, 244, Übs.dvw)9

9„For would it not be madness for a man to forsake a safe road, and preferto it one in which he acknowledges there is an even chance he should lose

24

Page 24: Glauben mit Gründen - Philo

Manchmal wird auch gesagt, daß es keine Argumente für denGlauben gebe, weil er eben nicht Wissen, sondern Glaube sei.Dem entgegne ich, daß sich der christliche Glaube nicht dadurchvon anderen Überzeugungen und von bloßem Wissen unterschei-det, daß er weniger gewiß oder begründet ist, sondern dadurch,daß zu ihm auch die Glaubenshandlung, also die Bekehrung oderdas Vertrauen gehört. Deshalb wird er im Griechischen als πίσvτις(Vertrauen) und nicht als δόχα (Meinung) bezeichnet. Die üblicheAnnahme, daß, wenn etwas Wissen ist, es sehr gewiß ist, daß also„Wissen“ ein epistemologisches Qualitätsprädikat ist, würde ichüberhaupt bestreiten. Entscheidend ist hier aber nur, daß dieÜberzeugungskomponente eines religiösen Glaubens auch sehrgut begründet und sehr gewiß sein kann.10 Beim Apostel Pau-lus z.B. war sie durch sein starkes religiöses Erlebnis auf demWeg nach Damaskus sehr gut begründet, d.h. eine sehr starkeGlaubensüberzeugung, stärker als viele Fälle von Wissen, warfür ihn gerechtfertigt. Ebenso war für die anderen Apostel einesehr starke Glaubensüberzeugung durch den Glauben, daß sieden auferstandenen Jesus gesehen hätten, gerechtfertigt.

Es ist jedoch zuzugestehen, daß für die meisten Menschendie Wahrheit über die christliche Lehre mit weniger Gewißheitzu erkennen ist als manches andere. Zumindest drängt sich die-se Wahrheit weniger auf, weil die meisten Menschen hier keine

his life, though there were an even chance, likewise, of his going safe throughit? Yet there are people absurd enough to take the supposed doubtfulnessof religion for the same thing as a proof of its falsehood, after they haveconcluded it doubtful, from hearing it often called in question. This showshow infinitely unreasonable sceptical men are with regard to religion, andthat they really lay aside their reason, upon this subject, as much as themost extravagant enthusiast.“

10Alvin Plantinga (2000) hat dargelegt, daß Christen Wissen von der christ-lichen Lehre haben, wenn diese wahr ist. Damit behauptet er aber nicht, daßdie Argumente für die Wahrheit der christlichen Lehre besonders stark sind,ja er schätzt die Kraft dieser Argumente schwächer ein als viele.

25

Page 25: Glauben mit Gründen - Philo

deutlichen Wahrnehmungserlebnisse haben. Das Neue Testamentweist darauf hin, wenn es sagt, daß sich der Glaube von etwashandelt, was man „nicht sieht“ (Hebr. 11,1), und: „Wir wandelnim Glauben, und nicht im Schauen“ (2.Kor. 5,7). In der analy-tischen Religionsphilosophie wird darüber diskutiert, ob dieserMangel an Gewißheit ein Beweis gegen die Existenz Gottes ist.11

Der Haupteinwand gegen dieses Argument ist, daß Gott einenGrund hat, seine Existenz nicht zu offenkundig zu machen, weilsonst die Menschen keine Freiheit hätten, sich von ihm abzuwen-den.

7 Sind Argumente für die Glaubensüberzeugungnotwendig?

Wenn jemand die christliche Lehre für falsch hält, kann es sein,daß er seine Meinung nur durch ein gutes Argument oder durchein religiöses Erlebnis ändern würde. In diesem Sinne können fürjemanden Argumente für die christliche Lehre notwendig sein.Und viele derer (oder alle), welche die christliche Lehre für wahrhalten, stützen diese Überzeugung auf Gotteserfahrungen oderauf zumindest unausformulierte Begründungen. Diese Begrün-dungen sind dann für die Glaubensüberzeugung notwendig. Dochman kann auch in einem anderen Sinne fragen, ob Argumentefür die christliche Lehre notwendig sind. Koritensky deutet an,daß er Lockes „Forderung nach Legitimierung aller Überzeugun-gen durch eine Begründung (evidence)“ für „überzogen“ und „zurationalistisch“ hält. „Sie scheint bestenfalls eine sehr beengterationalistische Religion zu erlauben und nicht selten einen re-ligiösen Agnostizismus zu motivieren.“ (25) Dahinter steht dieFrage, ob ein Christ nur dann rational sein kann, wenn er eineBegründung für die Glaubensüberzeugung hat.

11Siehe Howard-Snyder & Moser 2002.

26

Page 26: Glauben mit Gründen - Philo

Daß eine Person rational ist, heißt, daß sie richtig nachdenkt.Daß eine Überzeugung rational ist, heißt, daß die Person richtigüber sie nachgedacht hat. Genauer gesagt heißt es, daß die Über-zeugung zu den anderen Inhalten des Geistes der Person, insbe-sondere zu den Überzeugungen und Wahrnehmungserlebnissenpaßt.12 Auch eine falsche Überzeugung kann demnach rationalsein, wenn nämlich die Indizien irreführend sind oder wenn sieaus falschen Überzeugungen richtig abgeleitet wurde. Das ist zu-mindest eine Bedeutung des Wortes „rational“, und sie ist weit-gehend im Einklang mit der üblichen Verwendung des Wortes.13

Ein Argument oder eine Begründung für eine Überzeugung zuhaben, heißt zu glauben, daß man ein Indiz für sie kennt. Mankann sagen, daß der Fingerabdruck auf dem Dolch ein Indiz da-für ist, daß Müller der Mörder war, man kann aber auch sagen,daß des Detektivs Glaube an den Fingerabdruck seinen Glauben,daß Müller der Mörder war, stützt. Wenn jemand glaubt, daß dasGewissen des Menschen schwerlich bloß durch Evolution entste-hen würde, sondern eher durch Gottes Schöpfung, hat er damiteine Begründung für seinen Gottesglauben. Das wäre selbst danneine Begründung, wenn eine Prämisse oder der induktive Schlußfalsch wäre.

In einem weiteren Sinne des Wortes „Begründung“ könnte man

12Man kann Rationalität auf die richtigen Kriterien des Zusammenpassensund des induktiven Schließens oder aber auf die von der Person angenomme-nen Kriterien beziehen. Für ersteres spricht, daß man diese Kriterien durchNachdenken, a priori erkennt.

13Man spricht hier von internalistischer Rationalität. Ein anderer Rationa-litätsbegriff ist der externalistische, nach dem die Rationalität von anderemals Geistesinhalten abhängt, insbesondere davon, wie die Überzeugung verur-sacht wurde. Wenn jemand einen Baum sieht, ist sein Glaube an den Baumin diesem Sinne rational, weil er durch den Baum verursacht wurde. Wennjemand hingegen durch Drogen erzeugte Visionen von herumgehenden Bäu-men hat, ist sein Glaube, daß da Bäume herumgehen, irrational, weil er nichtdurch ein richtig funktionierendes Sinnesorgan verursacht wurde.

27

Page 27: Glauben mit Gründen - Philo

auch ein Wahrnehmungserlebnis eine Begründung einer Überzeu-gung nennen, aber wir wollen das Wort hier so eng fassen, daß essich nur auf Indizien bezieht. Das englische Wort „evidence“ wirdzumindest heute in diesem Sinne verwendet, und in der analyti-schen Religionsphilosophie gibt es eine Diskussion darüber, obein Christ Indizien für die christliche Lehre kennen muß, um ra-tional zu sein.

Kann eine Überzeugung, für welche die Person keine Begrün-dung hat, rational sein? Eine Möglichkeit ist, daß die Überzeu-gung auf einem Wahrnehmungserlebnis beruht. Das ist auch beider Überzeugung von der christlichen Lehre möglich: das Erleb-nis des Apostels Paulus auf dem Weg nach Damaskus (Apg. 9)wäre eine Beispiel. Auch weniger drastische Gotteserfahrungenkönnen den Gottesglauben stützen und rational machen,14 dochkann Gottesglaube auch ohne eine Gotteserfahrung und ohne ei-ne Begründung rational sein?

Kann man überhaupt eine Überzeugung haben, die weder aufeiner Begründung noch auf einem Wahrnehmungserlebnis beruht?Manche Überzeugungen sind so: wir wissen nicht mehr, warumwir sie haben. Wenn man sie hat, ist es rational sie zu haben undsie zu behalten – solange nichts von dem, was man sonst glaubt,gegen sie spricht. So ist es auch bei der Überzeugung von derchristlichen Lehre. Jemand kann sie haben, ohne eine Begrün-dung für sie zu haben. Doch sobald er auf einen Einwand gegensie stößt, der ihm Gewicht zu haben scheint und den er nichtentkräften kann, sinkt die Wahrscheinlichkeit, welche die Personder christlichen Lehre zuschreiben sollte.

Tatsächlich hat aber jeder Christ gewisse Gründe für die christ-liche Lehre. Vieles scheint ihm so auszusehen, als hätte Gott esgemacht, zum Beispiel die Schönheit der Blumen oder das Ge-wissen des Menschen. Insgesamt scheint ihm die Erde mehr so

14So behauptet Alston 1991.

28

Page 28: Glauben mit Gründen - Philo

auszusehen als hätte Gott sie gemacht als daß alles nur durchnatürliche Vorgänge entstanden wäre. Zudem hatte er vielleichtselbst Gotteserfahrungen: Er hatte das Gefühl, daß Gott ihm nahist und ihn zu sich zieht oder ihn anweist, Missionar zu werden.

Viele analytische Religionsphilosophen, welche die „ReformedEpistemology“15 vertreten, behaupten, daß die Glaubensüber-zeugung auch ohne Begründung rational („properly basic“) seinkann. Doch sie meinen damit nur, daß rationaler Gottesglau-be keine ausformulierten Begründungen erfordert. Wenn jemandstaunend auf die Natur blickend sich sagt, daß dies von Gott ge-schaffen sein müsse, dies aber nicht als Argument ausformulierenkann, würde ich sagen, daß so eine Person Teile der Natur alsIndizien für die Existenz Gottes ansieht. Plantinga (2011, Kap.11) hingegen sagt, daß diese Person kein Argument im Sinn hat,denn sie führt keinen Schluß durch, sondern der Gottesglaubeentsteht ihr spontan aus dem Betrachten der Natur.

Ob rationaler Gottesglaube ohne Begründung möglich ist, hängtvor allem davon ab, ob es die Begründungen gibt. Stellen Sie sichvor, es gäbe keine Indizien für die Existenz Gottes und das Übelwäre ein starkes Indiz dagegen. All die für die Existenz Gottesvorgetragenen Argumente sind Denkfehler. Nehmen wir ferneran, daß es keine Gotteserfahrungen gäbe. Wenn dann jemand andie Existenz Gottes glaubte und keine Begründung dafür hätte,würde das an sich die Überzeugung noch nicht irrational ma-chen, denn manchmal vergessen wir, warum wir etwas glauben.Irrational würde die Überzeugung aber dadurch, daß das Übelin der Welt, von dem die Person weiß, ein starkes Indiz gegendie Existenz Gottes ist. Wenn die Person also genug und rich-tig nachdächte, würde sie das erkennen und ihren Gottesglaubenschwächen oder aufgeben. Wenn andererseits die Person fälsch-

15Grundlegend für die Reformed Epistemology war Plantinga & Wolter-storff 1983.

29

Page 29: Glauben mit Gründen - Philo

lich glaubt, daß das Gewissen des Menschen und die Feinabstim-mung des Universums starke Indizien für die Existenz Gottessind, hat die Person zwar eine Begründung, aber die Begründungist fehlerhaft. In beiden Fällen ist der Gottesglaube irrational,auch wenn die Irrationalität etwas verschiedener Art ist.16 Wirkommen also zu dem Ergebnis: Wenn es keine Gotteserfahrungenund keine Indizien für die Existenz Gottes und starke dagegengäbe, dann wäre der Gottesglaube auch dann irrational, wenndie Person nicht über ihn nachgedacht hätte.

Im alternativen Fall gibt es gewichtige Indizien für das Da-sein Gottes und für die christliche Lehre, und die Indizien gegendas Dasein Gottes sind schwach. Wer dann alles, was er glaubt,richtig durchdächte, käme zu dem Schluß, daß es wahrscheinlicheinen Gott gibt. Wenn in diesem Falle jemand an Gott glaubt,ohne Gotteserfahrungen und ohne eine zumindest unausformu-lierte Begründung dafür zu haben, dann ist diese Überzeugungvon niedriger Rationalität, aber sie ist nicht irrational, denn ob-wohl er es nicht durchdacht hat, ist sein Gottesglaube im episte-mologischen Einklang mit dem, was er sonst glaubt. Rationalerund stabiler ist eine Glaubensüberzeugung aber, wenn die PersonGotteserfahrungen hat oder Indizien erkennt.

16Im zweiten Falle, in dem die Person eine fehlerhafte Begründung, ist fer-ner zu unterscheiden, ob die Person an falsche Regeln induktiven Schließensglaubt oder ob sie an die richtigen Regeln glaubt, aber diese falsch annimmt.Verwendet man „rational“ in einem etwas anderen Sinne als ich hier, kannman eine Überzeugung, zu welcher die Person durch die richtige Anwendungvon falschen, von der Person geglaubten Regeln gelangt, als rational bezeich-nen.

30

Page 30: Glauben mit Gründen - Philo

8 Sind Argumente für die Glaubensüberzeugungwirksam?

Gibt es überhaupt starke Indizien für oder gegen die ExistenzGottes? Alvin Plantinga betont auch deshalb, daß jemandes Glau-bensüberzeugung ohne Argumente rational sein kann, weil er dieIndizien für und gegen die Existenz Gottes und die christlicheLehre für schwach hält.17

Es wäre möglich, daß es einen Gott gibt und wir keinerlei Indi-zien dafür hätten. Gott könnte sich vor uns verstecken. Wir könn-ten die wahre Glaubensüberzeugung nur durch Wahrnehmungser-lebnisse oder durch Gottes direktes Hervorbringen erlangen. DieGotteserfahrungen müßten recht stark sein, um Gottesglaubenwirksam und rational zu erzeugen. Wenn Gott Gottesglaubenohne Gotteserfahrungen und ohne Indizien, sondern durch direk-te Manipulation erzeugte, wäre der Gottesglauben oft instabilund schwach, denn die Menschen würden daraus, daß es keineIndizien für die Existenz Gottes gäbe und daß sie keine Got-teserfahrungen haben, schließen, daß ihre Neigung, an Gott zuglauben, wahrscheinlich nicht auf guten Gründen beruht.

Doch es ist unwahrscheinlich, daß Gott ein so vielfältiges Uni-versum wie das unsere erschüfe ohne daß es Hinweise auf seineTäterschaft enthielte. Erstens weil Gott ein Interesse daran hat,daß die Menschen ihn suchen und erkennen, und zweitens weilGott seinem Wesen nach ein gutes und wunderbares Universumerschüfe, welches sich von einem durch Zufall entstandenen Uni-versum deutlich unterschiede. Es ist unwahrscheinlich, daß ein sovielfältiger Gegenstand wie das Universum keine Hinweise daraufenthält, wer und ob ihn überhaupt jemand gemacht hat. Wennes keine Hinweise auf das Dasein Gottes gäbe, obwohl es so ein

17So behauptet er in Plantinga 2011, 235, daß es sehr schwer zu sagensei, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit sei, daß ein Universum ohne GottProteinmaschinen hervorbrächte. Meine Entgegnung darauf: Wachter 2014.

31

Page 31: Glauben mit Gründen - Philo

vielfältiges angeblich von Gott erschaffenes Universum gibt, wäreGottes Dasein unwahrscheinlich.

9 Sind Argumente für die Glaubensüberzeugungnützlich?

Welchen Nutzen haben Argumente für die Wahrheit der Glau-bensüberzeugung?

1. Wer nach Indizien sucht und die Stärke seiner Überzeu-gungen an die Indizienlage (sowie an Wahrnehmungserlebnisseund Zeugenaussagen) anpaßt, erhöht die Wahrscheinlichkeit sei-ner Überzeugungen. Es ist gut und wertvoll, starke wahre Über-zeugungen zu haben, besonders zu großen und unseren eigenenUrsprung betreffenden Fragen. Dies gilt für den Fall, daß es Gottgibt, ebenso wie für den Fall, daß es keinen Gott gibt.

2. Wahre Überzeugungen über Gott haben nicht nur einen ho-hen Wert an sich, sie sind auch nützlich. Wenn es einen Gottgibt und jemand dies glaubt, ermöglicht ihm dies gemäß demChristentum, wenn er auch die Glaubenshandlung durchführt,zum Beispiel, den Sinn seines Lebens zu finden, Vergebung und„ewiges Leben“ zu erhalten und Strafe beim jüngsten Gericht zuvermeiden. Umgekehrt ist es auch nützlich zu glauben, daß es kei-nen Gott gibt, wenn es keinen Gott gibt. Damit vermeidet manzum Beispiel nicht nur, daß man ein völlig falsches Weltbild hat,sondern auch, daß man seine Zeit und sein Geld in der Kircheverschwendet.

3. Wer glaubt, daß es einen Gott gibt, und die Indizien dafür er-kennt, erhöht damit seine Rationalität insgesamt und verknüpftseinen Glauben mit all seinen anderen Überzeugungen. Zum Bei-spiel stellt er einen Zusammenhang her zwischen seinem Gottes-glauben und seinem Wissen über den Urknall. Er durchdenktseinen Glauben und sein gesamtes Überzeugungssystem.

32

Page 32: Glauben mit Gründen - Philo

10 Die analytische Religionsphilosophie ist nicht zurationalistisch

Koritensky meint, die „Forderung nach Legitimierung aller Über-zeugungen durch eine Begründung (evidence)“ (25) sei überzo-gen. „Sie scheint bestenfalls eine sehr beengte rationalistischeReligion zu erlauben und nicht selten einen religiösen Agnosti-zismus zu motivieren.“ Meine Entgegnung: Ich nehme an, daßKoritensky unter einer „rationalistischen Religion“ eine wie dieschleiermachersche oder bultmannsche versteht, welche Wunderund das Übernatürliche ausschließt. Die einzige Möglichkeit, dasAusschließen von Wundern und Übernatürlichem zu begründen,wären Argumente gegen die Existenz Gottes. Schleiermacher undBultmann haben aber gar keine Argumente für ihre Thesen vor-getragen und hatten auch keine. Ihr Ausschließen des Überna-türlichen war nicht rational und nicht begründet, sondern ein-fach eine dogmatische Entscheidung und vielleicht eine persön-liche Präferenz. Sie haben die Worte „rational“ und „Vernunft“als Namen für ihre eigene naturalistische Weltanschauung miß-braucht. Weil eine rationalistische Religion nicht rational ist, sinddie meisten analytischen Religionsphilosophen, wie andere ana-lytische Philosophen auch, entweder Atheisten oder relativ tradi-tionelle Christen.18 Das ist ein empirisches Indiz gegen die The-se, daß eine Forderung nach Begründungen zu einer rationalisti-schen Religion führt. Wenn, wie ich behauptet habe, „rationali-stische“ schleiermacher-bultmannsche Religion nicht rational ist,führt die Forderung von Begründungen nicht zu ihr hin.

18So sieht es auch Peter van Inwagen (1995): „Philosophers [. . . ] are almostwithout exception either irreligious [. . . ] or religious in a very old-fashionedway. Any sort of ‘liberal’ or ‘secularized’ or ‘modernist’ religion (religion ofBultmanns sort) tends to be regarded with disdain by philosophers, who viewmodernist versions of Christianity or Judaism as irreligion wearing a disguisethat they are professionally incapable of not seeing through.“ (5f)

33

Page 33: Glauben mit Gründen - Philo

Führt die Forderung von Begründungen zum Agnostizismus?Nur, wenn die Person eine zu hohe Wahrscheinlichkeit fordertund deshalb die Glaubenshandlung oder die Zustimmung zurLehre unterläßt. Die oben geschilderte digitale Erkenntnistheoriehat oft diese Folge. Eine probabilistische Erkenntnistheorie, wiesie diejenigen analytischen Religionsphilosophen, die Argumentefür oder gegen die Existenz Gottes vortragen, meist annehmen,wirkt diesem Fehler gerade entgegen.

Ferner könnte jemand gegen Argumente in Glaubenssacheneinwenden, daß sie die religiöse Hingabe und das religiöse Erle-ben behindern. Bei einer dem zweistufigen Modell entsprechen-den Religion ist das nicht der Fall. Die Lehre bildet den Grundund die Grundlage für Hingabe, Gebet und anderes religiöses Er-leben. Sie kann und soll gründlich argumentativ untersucht wer-den. Das erhöht die Rationalität der Glaubensüberzeugung undder Glaubenshandlung. Wenn die Glaubensüberzeugung wahr ist,wird es sie wahrscheinlich auch stärken und die Motivation in derGlaubenshandlung erhöhen. Viele christliche Philosophen habendies in ihren Texten auch zum Ausdruck gebracht. So schriebAnselm von Canterbury am Ende seiner philosophischen Unter-suchungen über Gott im Monologion:

Da er also allein nicht nur der gute Schöpfer, sondern auchder mächtigste Herr und weiseste Lenker von allem ist, soist es ganz gewiß, daß allein er es ist, den jede andereNatur nach ihrem ganzen Können liebend verehren undverehrend lieben muß, von dem allein Glück zu erhoffen,zu dem allein vor Unglück zu fliehen, zu dem allein fürjede Angelegenheit zu flehen ist.19

19Anselm von Canterbury, Monologion, Kap. 80, Übs. Hans Zimmermann.„Cum igitur solus sit ipse non solum bonus creator sed et potentissimus Do-minus et sapientissimus rector omnium: liquidissimum est hunc solum essequem omnis alia natura secundum totum suum posse debet diligendo vene-rari et venerando diligere de quo solo prospera sunt speranda ad quem solum

34

Page 34: Glauben mit Gründen - Philo

Nicht wenige analytische Religionsphilosophen verbinden inähnlicher Weise ein Interesse an den Details der christlichen Leh-re und an Argumenten für und gegen ihre Wahrheit mit einertiefen Frömmigkeit.

Die zweistufige Struktur des christlichen Glaubens ist meinesErachtens ein Grund dafür, daß sich die theoretische, wissen-schaftliche Philosophie im Christentum so fruchtbar entwickelthat. Erstens wird durch die Betonung der Wichtigkeit der Lehredas philosophische Verständnis geschult. Zweitens ist für Chri-sten die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet und dasreligiöse Bedürfnis gestillt, deshalb haben sie keine Neigung da-zu, in der Philosophie oder der Literatur den Sinn des Lebenszu suchen oder tiefschürfend-esoterisch-verschwurbelt zu werden,sondern sie widmen sich in der Philosophie theoretischen Fragenund versuchen, sie gründlich argumentativ zu beantworten.

In der reformierten Tradition – genauer gesagt „neoreformier-ten“ Tradition, denn auch in der reformierten Tradition hat manGottesargumente vorgetragen – wird manchmal gegen Gottesar-gumente vorgebracht, diese seien schwankend und Einwändenausgesetzt, während der Glaube fest sein solle. Doch wie soll erohne Gottesargumente fester sein als mit? Sollte man Glaubenbesser auf Gefühl oder Gotteserfahrung stützen? Wenn man Got-teserfahrung hat, kann man doch zusätzlich Argumente untersu-chen. Das wird die Rationalität erhöhen, und wenn es Gott gibt,wird die Glaubensüberzeugung dadurch wahrscheinlich stärkerwerden. Ein „Frage nicht, sondern glaube“ (das im Christentumrelativ selten vorkommt) ist nicht nur nicht rational, es führt auchzu keinem stabilen Glauben, denn Einwände, Launen und Versu-chungen bringen ihn mehr ins Schwanken als einen Glauben, fürden die Person Begründungen hat.

Das zweistufige Modell bietet eine viel bessere Lösung an: Wäh-

ab aduersis fugiendum cui soli pro quauis re supplicandum.“

35

Page 35: Glauben mit Gründen - Philo

rend die Glaubensüberzeugung in ihrer Stärke schwanken kann,kann die Hingabe ganz fest sein. Wenn die Wahrscheinlichkeit derchristlichen Lehre für jemanden zwischen 0,6 und 0,8 schwankt,etwa weil die Person ab und zu auf neue Einwände oder Indi-zien stößt, sollte die Stärke der Hingabe nicht schwanken, dennschon bei Wahrscheinlichkeit 0,6 ist, so nehme ich an, eine volleHingabe rational und moralisch geboten.

Eindeutig richtig, aus christlicher Sicht, ist die in der Kirchen-geschichte regelmäßig auftretende Kritik an Personen, welche dieLehre akribisch untersuchen und vielleicht den Rahmen der in derKirche zu duldenden Lehren zu eng fassen und dabei die Glau-benshandlung, also z.B. die Hingabe, schwach oder gar nicht be-treiben. Der Ruf zur Glaubenshandlung ist dann eindeutig richtig.Doch da ist nicht die Untersuchung der Lehre der Grund oder dieUrsache des Unterlassens der Glaubenshandlung. Dieses Phäno-men trat zum Beispiel auf, als in der späten lutherischen Ortho-doxie, so wird berichtet, mitunter, während an der Lehre festge-halten wurde, die persönliche Hingabe und Frömmigkeit, also dieGlaubenshandlung fehlte. Die Pietisten betonten deshalb, daß esauf die Bekehrung ankomme. Anders als später Kierkegaard be-stritten sie aber die Wichtigkeit der Lehre nicht und betriebenauch weiterhin Philosophie und argumentative Untersuchung derGlaubenslehren.20

Ich komme zu dem Schluß, daß man, so wie man von Wahrheitoder Gutsein nicht zu viel haben kann, auch in Glaubensdingennicht zu viel Vernunft und Argumente haben kann. Daher istdie analytische Religionsphilosophie, die, wie es Christen immerschon getan haben, die Glaubenslehren argumentativ untersucht,nicht zu rationalistisch.21

20Dem Pietismus zuzurechnende Philosophen waren zum Beispiel ChristianAugust Crusius (1715–1775) und Martin Knutzen (1713–1751).

21Für wertvolle Hinweise zu diesem Aufsatz danke ich Georg Gasser, SvenGrosse und Markus Widenmeyer.

36

Page 36: Glauben mit Gründen - Philo

Verwendete Literatur

Alston, William P.: Perceiving God: The Epistemology of Religious Experi-ence, Ithaca and London 1991: Cornell UP.Bartelborth, Thomas: „Sollten wir klassische Überzeugungssysteme durchbayesianische ersetzen?“, LOGOS 3 (2013), 2–68.Bultmann, Rudolf: „Neues Testament und Mythologie. Das Problem derEntmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung“, in: Kerygmaund Mythos, Hamburg 1941: Reich, 15–48.Butler, Joseph: Fifteen Sermons Preached at the Rolls Chapel, London1841.Eucken, Rudolf: Können wir noch Christen sein?, Berlin 1911.Helm, Paul: Faith with Reason, Oxford 2000: Oxford UP.Howard-Snyder, D. & Moser, P. K. (Hg.): Divine Hiddenness, Cambridge2002: Cambridge UP.Kutschera, Franz v.: Was vom Christentum bleibt, Paderborn 2008: Men-tis.Phillips, D. Z., „On Really Believing“, in: Wittgenstein and Religion, Lon-don 1993: Palgrave Macmillan, 33–55.Plantinga, Alvin: Warranted Christian Belief , Oxford 2000: Oxford UP.Plantinga, Alvin: Where the Conflict Really Lies: Science, Religion, andNaturalism, Oxford 2011: Oxford UP.Plantinga, A. & Wolterstorff, N. (Hg.): 1983, Faith and Rationality,University of Notre Dame Press.Schleiermacher, Friedrich: Über die Religion: Reden an die Gebildeten un-ter ihren Verächtern, Berlin 1799.Swinburne, Richard: Epistemic Justification, Oxford 2001: Oxford UP.van Inwagen, Peter: God, Knowledge, and Mystery, Ithaca & London 1995:Cornell UP.Wachter, Daniel von: „Defending Design Arguments Against Plantinga“,Philosophia Reformata 79 (2014): 54-65.

37