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Alexander Ebner Governance und kollektives Handeln Institutionelle Aspekte einer evolutorischen Theorie der Wirtschaftspolitik Korreferat von Christoph Heinzel Sonderdruck aus: Institutioneller Wandel, Marktprozesse und dynamische Wirtschaftspolitik Perspektiven der Evolutorischen Ökonomik Herausgegeben von Marco Lehmann-Waffenschmidt, Alexander Ebner und Dirk Fornahl Metropolis-Verlag Marburg 2004

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Alexander Ebner

Governance und kollektives Handeln Institutionelle Aspekte einer evolutorischen Theorie

der Wirtschaftspolitik

Korreferat von Christoph Heinzel

Sonderdruck aus:

Institutioneller Wandel, Marktprozesse und dynamische Wirtschaftspolitik

Perspektiven der Evolutorischen Ökonomik

Herausgegeben von

Marco Lehmann-Waffenschmidt, Alexander Ebner und Dirk Fornahl

Metropolis-Verlag Marburg 2004

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Governance und kollektives Handeln

Institutionelle Aspekte einer evolutorischen Theorieder Wirtschaftspolitik

Alexander Ebner

1. Einleitung

Die traditionelle Erfassung des Verhältnisses von Staat und Markt in derTheorie der Wirtschaftspolitik basiert auf deren analytischer Trennungals Gegenstandsbereiche mit eigenständiger Funktionslogik. Auch in derEuckenschen Ordnungstheorie stehen sich Unternehmen und Haushalteals Marktakteure gegenüber, während der Staat die Wettbewerbsordnungdurchsetzen soll. Aktuelle Debatten zur Theorie der Wirtschaftspolitik pro-blematisieren dieses Schema. So wird in Arbeiten der Neuen Institutionen-ökonomik behauptet, dass das für die Neoklassik konstitutive Wahlhand-lungskalkül neben dem wirtschaftlichen Marktgeschehen auch auf ande-re gesellschaftliche Bereiche, insbesondere auf das Verhalten von Politi-kern und Interessengruppen anzuwenden sei. Dem Konzept des Marktver-sagens lässt sich analog ein Staats- und Politikversagen gegenüberstellen.Die in der Marktprozesstheorie verwurzelte Richtung einer evolutorischenTheorie der Wirtschaftspolitik bezieht sich dagegen auf Hayeks These vonder Koordinierung subjektiven Wissens als fundamentalem ökonomischemProblem. Dem Staat wird zentrales Steuerungswissen abgesprochen. Aucheine bewusste politische Gestaltung von Ordnungsformen, wie sie noch inder Euckenschen Ordnungstheorie vorgesehen war, wird hierbei als kon-struktivistisch kritisiert. Die institutionalistisch ausgerichtete Variante der

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evolutorischen Theorie der Wirtschaftspolitik konzentriert sich schließlichauf die institutionelle Vielfalt von Steuerungsmechanismen und Koordi-nationsweisen, die jenseits der konzeptionellen Dichotomie von Märktenund Hierarchien auch die Potenziale institutioneller Netzwerke umfasst.In diesem Zusammenhang wird die anhaltende Transformation staatlicherKompetenzen betont, die sich vor dem Hintergrund einer institutionellenEnthierarchisierung von Politik und Ökonomie vollzieht.

Entsprechend wird im folgenden Text argumentiert, dass eine evoluto-rische Analyse wirtschaftspolitischer Gestaltungsformen die Rolle institu-tioneller Netzwerke als zentralen Aspekt zu berücksichtigen hat. Im Mit-telpunkt steht hierbei das Konzept der Governance, das in der vorliegendenArbeit für eine evolutorische Theorie der Wirtschaftspolitik verfügbar ge-macht werden soll. Die Darstellung dieser Thematik befasst sich zunächstmit einer konzeptionellen Herleitung des Verhältnisses von Staat, Marktund institutionellen Vermittlungsformen. Dabei werden die ordnungstheo-retischen Positionen Euckens und Hayeks mit aktuellen Kontroversen zwi-schen Vertretern der Neuen Institutionenökonomik und deren institutio-nalistischen und evolutorischen Kritikern konfrontiert. Olsons Ansatz zurAnalyse der wirtschaftspolitischen Rolle von Interessgruppen steht hier-bei im Mittelpunkt. Anschließend wird das Konzept einer wirtschaftspoli-tischen Form von Governance vorgestellt, das die institutionellen Grund-lagen der Wirtschaftspolitik vor dem Hintergrund des Wandels staatlicherSteuerungskapazitäten thematisiert. Netzwerke werden als konzeptionellerKern eines Verständnisses von Wirtschaftspolitik vorgestellt, das die Viel-falt institutioneller Formen in komplexen Marktwirtschaften beachtet. Indiesem Zusammenhang wird dann die These vertreten, dass die Analyseinstitutioneller Netzwerke für die evolutorische Theorie der Wirtschafts-politik von zentraler Bedeutung ist.

2. Grundzüge des ordnungstheoretischen Staatsverständnisses

Die im Rahmen der neoklassischen Theoriebildung formulierte Auffassungvon der Ökonomie als einer Wissenschaft der individuellen Wahlhandlun-gen unter Knappheitsbedingungen hat als hegemoniale Position alle wei-

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teren Diskussionen zur Theorie der Wirtschaftspolitik geprägt.1 Die sozi-alwissenschaftliche Arbeitsteilung ist dabei zunächst der Vorgabe gefolgt,dass sich die Wirtschaftswissenschaften mit dem Marktverhalten rationa-ler Akteure befassen sollten, während die Soziologie für nicht-rationaleVerhaltensformen, sowie für die Analyse von Institutionen, Gesellschafts-strukturen und Herrschaftsformen zuständig sei (Ingham 1996: 243ff). Inder neoklassischen Wirtschaftstheorie stehen sich demnach Unternehmenund Haushalte als Marktakteure gegenüber, während der Staat als exogeneGröße das Marktgeschehen ordnet, möglicherweise auch punktuell inter-veniert, oder gar selbst als Anbieter auftritt, um Fälle des Marktversagenszu beheben, die sich als Resultat externer Effekte oder der Problematik öf-fentlicher Güter entwickelt haben. Weitergehende Fragen der angewandtenWirtschaftspolitik werden neoklassischen Marktmodellen mit ihren spezi-fischen Optimierungsvorstellungen zugeführt. Ansonsten ist der Staat alsResiduum neoklassischer Markttheorie eine nicht weiter zu hinterfragende„black box“ geblieben (Dixit 1996: 8f).

Diese Einschätzung gilt auch für die wohlfahrtsökonomischen Analy-sen von Allokationseffizienz und deren wirtschaftspolitische Implikatio-nen, die sich konsequent um Erweiterungen neoklassischer Tauschmo-delle bemühen. Die traditionelle wohlfahrtstheoretische Begründung derWirtschaftspolitik orientiert sich an der Analyse von Allokationsstörun-gen, wobei das Konzept des Marktversagens vor dem Hintergrund der For-derung nach einer Pareto-optimalen Allokation als Maßstab zur Begrün-dung wirtschaftspolitischer Korrekturmaßnahmen dient. Das resultierendeSpannungsverhältnis von Allokationseffizienz und Verteilungsgerechtig-keit wird allerdings von der Forderung nach institutioneller Neutralität derAnalyse begleitet (Sohmen 1976: 439f).2 Der Keynesianismus hat auf der

1 In dogmenhistorischer Hinsicht mag hier die aristotelische Hauswirtschaftslehreals Ausgangspunkt dienen. Erst mit der frühneuzeitlichen Differenzierung des Priva-ten und des Öffentlichen wird eine Trennung wirtschaftlicher und politischer Belangebedeutsam. Dabei betonen alle Schattierungen des Merkantilismus noch staatswirt-schaftliche Funktionen, während sich die klassische politische Ökonomie deutlicherauf die Funktionsweise von Märkten konzentriert. Dies impliziert eine analytischeTrennung von Staat und Wirtschaft (Bauer und Matis 1988: 189ff).

2 So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich frühe Beiträge zur wohlfahrtsöko-nomischen Diskussion um produktive Effizienz und distributive Gerechtigkeit, wieetwa Kaldors einflussreicher Beitrag zum Kompensationsprinzip, zwar mit Fragen

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Grundlage seines Glaubens an die Durchführbarkeit einer Nachfragesteue-rung von Marktprozessen dieses institutionelle Defizit bei der Analyse derStaatstätigkeit fortgeführt. Dabei propagiert Keynes das Leitbild eines ge-meinwohlorientierten Staatsapparates, der wirtschaftspolitische Lenkungs-ansprüche im instrumentellen Sinne neutral umsetzen kann, unterstütztdurch korporatistische Politikarrangements.3 Dem lässt sich SchumpetersEinsicht in das Eigeninteresse der Akteure in Verwaltungsbürokratie undPolitik entgegenstellen; eine Position, die sich auf Max Webers Theorierationaler Herrschaft berufen kann (Starbatty 1985: 73ff). Sie deutet eineNähe zu ordnungstheoretischen Positionen an, die in der Folge von WalterEucken und Friedrich Hayek ausgearbeitet wurden.

In Euckens Ordnungstheorie stehen sich Unternehmen und Haushalteals Marktakteure gegenüber, während der Staat, aufgefasst als rechtsstaat-lich „ordnende Potenz“, die Wettbewerbsordnung verbindlich durchsetzensoll. Die normativen Gehalte dieser Argumentation werden von Eucken mitder historisch-empirischen Tendenz einer Verminderung staatlicher Ord-nungskapazität bei gleichzeitig expandierender Staatstätigkeit konfrontiert,welche sich angeblich aus der Verflechtung staatlicher Apparate mit di-versen Interessengruppen ergibt. Somit wird die Ordnung des Staates alsgleichartiges Problemfeld neben der Wirtschaftsordnung positioniert (Eu-cken 1952: 325ff). Eucken zufolge ist es unzulässig, den modernen Staatmit seinem Charakter als Kollektivorgan so zu porträtieren, dass er als insti-tutioneller Repräsentant eines den privaten Konkurrenzmechanismen über-geordneten sittlichen Ideals erscheint, wie in der Hegelschen Sozialtheorieausgeführt und von der Historischen Schule weiter behauptet wurde.

Die Kritik des idealistischen Staatsverständnisses beinhaltet auch eineZurückweisung von Versuchen, gesellschaftliche Interessengruppen in dieWahrnehmung staatlicher Funktionen einzubinden. Insbesondere die wirt-schaftspolitische Integration korporatistischer Einflüsse in der Form von

der staatlichen Einflussnahme auf den Wirtschaftsprozess befassen, dabei aber kei-ne konkrete Aussage zum institutionellen Charakter der Wirtschaftspolitik machen(Kaldor 1939: 549ff).

3 Ähnliche Vorstellungen zur institutionellen Neutralität staatlicher Apparate findensich auch in marxistischen Entwürfen. Jenseits der Vorstellungen einer sozialistischverfassten Marktwirtschaft hat der orthodoxe Marxismus allerdings behauptet, dassdie Aufhebung materieller Knappheit im Kommunismus zum Absterben des Staatesführen werde (Kornai 1992: 18f).

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Selbstverwaltungskörperschaften wird von Eucken mit dem Hinweis aufderen potenziell monopolistisches Eigeninteresse strikt abgelehnt (Eucken1952: 145). Um der Gefahr einer „neufeudalen Autoritätsminderung desStaates“ durch die Lenkungsansprüche dieser Machtgruppen begegnen zukönnen, werden korporatistische Arrangements insbesondere auf sektora-ler Ebene zurückgewiesen.4 Entsprechend ist Euckens erster staatspoli-tischer Grundsatz der Wirtschaftspolitik, mit seiner Forderung nach derZurückdrängung des wirtschaftspolitischen Einflusses von Interessengrup-pen, dem zweiten Grundsatz vorgelagert, der ein Primat der wirtschafts-politischen Ordnungsgestaltung gegenüber der unmittelbaren Lenkung desWirtschaftsprozesses fordert (Eucken 1952: 334f).5 Dabei wird angenom-men, dass eine strikte institutionelle Trennung von staatlicher Ordnungs-funktion und den Machtkämpfen der Interessengruppen umsetzbar ist. Derdamit zusammenhängende Konstruktivismus in Euckens theoretischemOrdnungsverständnis wird erst mit Hayeks evolutorischer Konzeption derWirtschaftspolitik überwunden.

In Hayeks Ansatz entsprechen wirtschaftspolitische Maßnahmen, wieauch die allgemeinen Formen der Staatstätigkeit, einem evolutorischenExperimentier- und Lernprozess, der mit einer graduellen Anpassung in-stitutioneller Vorkehrungen an immer neue ökonomische und gesellschaft-liche Bedingungen einher geht (Hayek 1971: 296f).6 Die Besonderheit derWirtschaftspolitik im Rechtsstaat wird über die Herrschaft des Gesetzesals Kriterium der Vereinbarkeit wirtschaftspolitischer Maßnahmen mit der

4 Mit dieser Position setzt sich Eucken von den verwandten Positionen Müller-Armacks ab, dessen Konzept der sozialen Marktwirtschaft für eine wirtschaftspoli-tische Einbindung solcher Arrangements tendenziell offener ist (Ebner 2004).

5 Im Einzelnen lauten Euckens staatspolitische Grundsätze der Wirtschaftspolitikwie folgt: „Erster Grundsatz: Die Politik des Staates sollte darauf gerichtet sein,wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktion zu begrenzen“ (Eucken1952: 334). „Zweiter Grundsatz: Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates soll-te auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf dieLenkung des Wirtschaftsprozesses“ (Eucken 1952: 336).

6 Hierbei betont Hayek das Element der Unsicherheit in einem ergebnisoffenenProzess, womit er sich deutlich von den mechanistischen Vorstellungen der keynesia-nisch orientierten Theorie der Wirtschaftspolitik unterscheidet, wie sie insbesonde-re von Tinbergen vertreten worden ist. Tinbergen betont etwa die Möglichkeit einerschematischen Aufteilung von Politikzielen und Politikinstrumenten in eine umfas-sende Matrix wirtschaftspolitischer Interdependenzen (Tinbergen 1967: 216f).

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freiheitlichen Ordnung vermittelt. Trotz der Problematisierung des Begriffssozialer Wohlfahrt wird die Legitimität staatlicher Leistungen im Kon-text öffentlicher Güter und externer Effekte nicht grundsätzlich bestritten.Preis- und Mengenkontrollen werden dagegen als interventionistische Al-lokationsverzerrungen des Marktprozesses begriffen (Hayek 1971: 288f).Im Hinblick auf die institutionellen Träger der Wirtschaftspolitik greiftHayek jedoch über den Rahmen staatlicher Aktivitäten hinaus, indem erauf den Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure verweist. Neben dem Staatkönnen sich auch zivilgesellschaftliche Einrichtungen, wie Stiftungen undandere private Wohlfahrtsorganisationen, an der Bereitstellung kollektiverGüter beteiligen, insbesondere wenn sie die Bedürfnisse einer spezifischenGruppe decken. Dies entspricht den Aktivitäten eines „unabhängigen Sek-tors“, der sich in einen Dienstleistungswettbewerb mit den öffentlichenGebietskörperschaften begibt, und damit die potenzielle Ineffizienz staat-licher Monopole abfängt (Hayek 1981: 76f). Hier unterstreicht Hayek al-so zunächst den positiven Effekt einer Auflösung von wirtschaftspolitischrelevanten Teilbereichen staatlicher Aufgaben in zivilgesellschaftliche Zu-sammenhänge.

Tatsächlich gilt der Staat als unverzichtbar in der Entwicklung fort-geschrittener Gesellschaften, aufgefasst als Bestandteil einer komplexen,selbst erzeugenden institutionellen Ordnungsstruktur. Moderne Gesell-schaften setzen sich demnach zusammen aus einem „spontan gewachse-nen Netz von Beziehungen zwischen den Individuen und den verschie-denen Organisationen, die sie bilden.“ Dabei gilt: „Gesellschaften bildensich, aber Staaten werden gemacht“ – wobei aus Hayeks Sicht die evo-lutorische Komponente gesellschaftlicher Ordnungen mit ihren abstraktenRegeln dem hoheitlichen Konstruktivismus der Staatsgewalt vorzuziehenist (Hayek 1981: 191). Aus dieser Argumentation folgt, dass jedes Indi-viduum als Mitglied diverser zivilgesellschaftlicher Organisationen quasiin mehrere überlappende Gesellschaften eingebunden ist, die zusammenein komplexes Muster spontaner Ordnungskräfte bilden, das jenseits derprimitiven Vorstellung eines einheitlichen sozialen Gestaltungswillens sei-ne Wirkung entfaltet. Entsprechend thematisiert Hayek die institutionelleVielfalt komplexer Gesellschaften: „Gesellschaft ist ein Netz von freiwil-ligen Beziehungen zwischen Individuen und organisierten Gruppen, undgenaugenommen gibt es kaum jemals nur eine einzige Gesellschaft, dereine Person ausschließlich angehört“ (Hayek 1981: 191).

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Dieses pluralistische Gesellschaftsverständnis wird allerdings mit ei-nem Staats- und Politikverständnis kombiniert, dass die Vorteile von allge-mein verbindlichen, abstrakten Regelwerken gegenüber willkürlichen In-terventionen der Staatsgewalt zugunsten einflussreicher Interessengruppenunterstreicht.7 An diesem Punkt treten die positiven Aspekte selbstorgani-sierter gesellschaftlicher Gruppierungen hinter Probleme des wirtschafts-politischen Einflusses von Interessengruppen zurück. Hayek behauptet,dass die Organisierung von speziellen Gruppeninteressen zur strukturellenStagnation einer Volkswirtschaft führen kann; eine Situation, die letztlichnur von einer diktatorischen Staatsmacht aufzubrechen wäre. Dabei wirdmit Verweis auf Olsons Theorie zur Logik kollektiven Handelns behauptet,dass in erster Linie die Interessen kleiner Sonderinteressengruppen organi-sierbar sind, was eine Ausbeutung der Bevölkerungsmehrheit ermöglicht(Hayek 1981: 133f).8 Zusammen mit der tendenziellen Ausdehnung büro-kratischer Staatstätigkeit folgt daraus die paradoxe Situation, dass die De-mokratie zugleich mit ihrer scheinbar allumfassenden Expansion auf derLeitungsebene die Regierungsfähigkeit einbüßt. Eine Lösung dieser Pro-blematik könnte dann in der Stärkung regionaler und lokaler Regierungs-ebenen bestehen, wobei diese als „quasi-kommerzielle Unternehmen“ mitihren spezifischen Dienstleistungen und Steuersätzen um die Akzeptanzmobiler Bürger zu konkurrieren hätten, was aufgrund der dann notwendi-gen Bürgernähe im Verwaltungsmanagement letztlich auch einer Stärkung

7 So heißt es bei Hayek: „Die Regierung ist heute natürlich kein menschliches We-sen, dem man vertrauen kann, wie es das ererbte Ideal des guten Herrschers immernoch dem naiven Gemüt suggeriert und auch nicht das Resultat der vereinten Weisheitvon vertrauenswürdigen Repräsentanten, deren Mehrheit sich über das einigen kann,was das Beste ist. Sie ist eine Maschinerie, die von ‚politischen Notwendigkeiten‘gelenkt wird, die nur entfernt von den Meinungen der Mehrheit beeinflusst werden“(Hayek 1981: 202).

8 Olsons Kritik pluralistischer Theorien konzentriert sich auf deren Überschätzungdes Potenzials zur spontanen Selbstorganisation von Interessengruppen, das fälsch-lich mit dem Zwangscharakter staatlicher Maßnahmen kontrastiert werde. Dagegenidentifiziert Olson die Gruppengröße als maßgebliche Determinante bei der Versor-gung mit öffentlichen Gütern, dem anreizbezogenen Charakter von kollektivem Han-deln entsprechend, welcher aus der rationalen Verfolgung von Eigeninteressen resul-tiert (Olson 1965: 128f).

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kommunaler Verbundenheit entgegen käme (Hayek 1981: 198f). Interjuris-diktioneller Wettbewerb erscheint demnach als probates Gegenmittel zurinstitutionellen Sklerose moderner Gesellschaften.

Trotz dieser substantiellen Einsichten zum evolutorischen Charakterder Wirtschaftspolitik verstellt Hayeks subjektivistischer Kontraktualismusmit seinem Fokus auf freiwilligen Marktbeziehungen den Blick auf eineadäquate Analyse der für komplexe Marktwirtschaften konstitutiven in-stitutionellen Vielfalt (Hodgson 1993: 185f). Dieser Kritikpunkt betrifftinsbesondere die Charakterisierung des „unabhängigen Sektors“ aus zi-vilgesellschaftlichen Netzwerken. So vernachlässigt Hayek vor allem dasZusammenspiel intendierter und nicht-intendierter Aspekte gesellschaft-licher Vernetzungsmuster. Eine angemessene Berücksichtigung institutio-neller Netzwerke bei der Einschätzung wirtschaftspolitischer Steuerungs-optionen bleibt aus dieser Position heraus unmöglich. In diesem Sinne ab-strahieren Eucken und Hayek von bedeutenden institutionellen Aspektender Wirtschaftspolitik. Erst die diversen Ansätze der Neuen Institutionen-ökonomik haben diese Aspekte in angemessener Form aufgegriffen undweiter verarbeitet.

3. Staatstheoretische Variationen der Institutionenökonomik

Als maßgebliches Charakteristikum der dominierenden Strömungen inner-halb der Neuen Institutionenökonomik kann die Argumentation des neo-klassischen Universalismus gelten, wie er sich in den Arbeiten der Neu-en Politischen Ökonomie spiegelt. Diese Position behauptet, dass das fürden methodologischen Individualismus der Neoklassik konstitutive Wahl-handlungskalkül einer Nutzenmaximierung unter Nebenbedingungen – ab-gebildet in der Figur des „homo oeconomicus“ – neben dem wirtschaft-lichen Marktgeschehen auch auf andere gesellschaftliche Bereiche, ins-besondere auf das Verhalten politischer Akteure anzuwenden sei.9 Indi-

9 Auch der Marxismus hat den Staat als institutionellen Ausdruck gesellschaftli-cher Interessen aufgefasst. Insofern variiert die Neue Politische Ökonomie mit ihrerAuflösung des Staates in gesellschaftliche Interessenkonflikte ein marxistisches The-ma, jedoch modifiziert im Sinne des methodologischen Individualismus (Frey undMeissner 1974). Olsons Theorie des kollektiven Handelns kritisiert die marxistische

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viduelle Rationalität wird dabei von einigen Varianten der Institutionen-ökonomik im Sinne beschränkter Rationalität behandelt, was auf die Pro-blematik von Wissen und Information auf unvollständigen Märkten mithohen Transaktionskosten verweist (Richter und Furubotn 1996: 2f). InVerbindung mit spezifischen Verhaltensannahmen wie individuellem Op-portunismus lassen sich dann diverse Steuerungsmuster der Anbahnung,Durchführung und Kontrolle von Tauschbeziehungen stilisieren, die als in-stitutionelle Governance-Strukturen modellierbar sind. Diese Perspektiveist in Williamsons Transaktionskostentheorie der Unternehmung verwur-zelt, deren Selbstverständnis auf eine mikroperspektivische Analyse vonVertrags- und Organisationsformen abzielt (Williamson 1996: 322f). Einedezidiert historisch ausgerichtete, stärker makroperspektivisch orientier-te Sicht auf institutionellen Wandel im Kontext formeller und informellerHandlungsrestriktionen ist in Norths Transaktionskostentheorie wirtschaft-licher Entwicklung ausgearbeitet worden. Staatstätigkeit wird aus kompa-rativen institutionellen Vorteilen bei der Etablierung und Durchsetzung vonEigentums- und Verfügungsrechten hergeleitet, deren Notwendigkeit sichaus der Komplexität arbeitsteiliger Marktwirtschaften ergibt (North 1994:366f).10 Allerdings wird die Staatstätigkeit durch eine Gegenüberstellungvon produktiven und räuberischen Effekten durchaus ambivalent gesehen,denn staatliche Aktivitäten tragen nicht nur zur Etablierung dynamischerMarktbeziehungen bei, vielmehr können sie diese im Rahmen spezifischerPolitikformen auch unterbinden.11

Dabei werden Staat und Markt als interdependente Bereiche aufge-fasst, deren Zusammenwirken sich in die Segmente des gesellschaftli-chen Grundkonsenses zur institutionellen Ordnung sowie des laufendenpolitisch-ökonomischen Prozesses innerhalb dieses Ordnungsrahmens ein-teilen lässt. Der Staat wird in diesem Zusammenhang als institutionelles

Staatstheorie tatsächlich in erster Linie für Mängel an theoretischer Kohärenz bei derModellierung individueller Rationalität (Olson 1965: 102f).10 Norths Definition des Staates betont die Rolle von Eigentumsrechten, indem sie

ihn als Organisation mit komparativen Vorteilen bei der Gewaltanwendung bezeich-net, dessen territoriale Begrenzung über die Besteuerungsfähigkeit gesetzt ist (North1981: 21).11 North formuliert dies wie folgt: „The existence of a state is essential for economic

growth; the state, however, is the source of man-made decline“ (North 1981: 20).

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Terrain eines politischen Marktprozesses begriffen, in dem die Akteure alsTeilnehmer am politisch-ökonomischen Wettbewerb um knappe Ressour-cen konkurrieren. Dabei kann es sich um Politiker handeln, die ihre Wäh-lerstimmen maximieren, oder aber um Verwaltungsakteure, die an einerMaximierung ihres Budgets interessiert sind (Frey 1982: 10f). Entschei-dend ist das Argument, dass nicht das Streben nach dem Gemeinwohl dieAkteure in Regierung und Verwaltung motiviert, sondern vielmehr einevon Eigennutz geprägte, interessengeleitete Orientierung.In HayekscherManier wird das Idealbild eines allwissenden und allmächtigen Staateszurückgewiesen. Dem wohlfahrtsökonomischen Konzept des Marktversa-gens lässt sich dann ein entsprechendes institutionenökonomisches Kon-zept des Staats- und Politikversagen gegenüberstellen.12

Vor diesem Hintergrund ökonomisch endogenisierter Entscheidungs-und Handlungsmuster der politischen Akteure spielt die institutionel-le Struktur von Anreiz- und Sanktionsmechanismen eine bedeutendeRolle. Insbesondere die Frage unvollständiger Informiertheit verweistauf die Koordinationsleistung institutioneller Mechanismen in politisch-ökonomischen Verhandlungssystemen (Eggertsson 1997: 65f). Die Wahr-nehmung politischer Staatsaufgaben lässt sich dann als spezifisches Musterrelationaler Verträge zwischen souveränem Volk und gewählten Volks-vertretern im Sinne einer Prinzipal-Agenten-Beziehung nachvollziehen,in der die mit dem Transfer politischer Eigentums- und Verfügungsrechteeinhergehenden Kontroll- und Aufsichtsprobleme durch verfassungs-spezifische Anreize und Sanktionsmechanismen zu lösen sind (Richterund Furubotn 1996: 453ff). Aufgrund der immanenten Schwäche poli-tischer Eigentums- und Verfügungsrechte in demokratischen Systemengilt jedoch eine institutionelle Absicherung über Selbstverpflichtungenals entscheidend für die Effizienz solcher politisch gefassten Governance-Mechanismen (Williamson 1996: 336f). In diesem Sinne unterstreicht die

12 Umfangreiche Probleme von Marktinterventionen lassen sich aus dieser Argu-mentation ableiten. Aus ordnungstheoretischer Sicht ergeben sich solche Proble-me zunächst aus der wohlfahrtsmindernden Fehlallokation, die den wissensschaffen-den und wissenverwertenden Charakter des Marktprozesses behindert. Die Berück-sichtigung potenziellen Staatsversagens unterstreicht ebenfalls die Forderung nacheiner auf allgemeinen Ordnungsregeln basierenden Marktkonformität wirtschaftspo-litischer Steuerung (Streit 1991: 265ff).

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verbreitete Charakterisierung wirtschaftspolitischer Prozesse als Ausdruckvon Prinzipal-Agenten-Beziehungen die Notwendigkeit einer adäquatenStrukturierung institutioneller Regelwerke.13

Insbesondere der wirtschaftspolitische Einfluss von Interessengruppenwird in diesem Zusammenhang thematisiert. Vielfältige Versuche, die wirt-schaftspolitische Angebotsseite im Sinne eines Rent-seeking zu beeinflus-sen, also eine kontinuierliche Abschöpfung von politisch regulierten Mark-trenten zu gewährleisten, dominieren dieses Verständnis wirtschaftspoliti-scher Abläufe (Frey 1982: 180ff). Solche manipulativen Sonderregelungenhaben wichtige Implikationen für die theoretische Ableitung der Staats-tätigkeit, denn sie verweisen auf die Frage, inwiefern Wirtschaftspolitikals das Ergebnis rationaler Entwürfe jenseits der Konkurrenz von Interes-sengruppen aufgefasst werden kann. Die Unabhängigkeit des Staates vonPartikularinteressen erscheint dann als unabdingbare Voraussetzung fürdie Aufrechterhaltung staatlicher Koordinationsfunktionen, auch im Hin-blick auf die fiskalische Gestaltung der öffentlichen Haushalte.14 Tatsäch-lich wird die Einflussnahme der Interessengruppen von Verbänden und an-deren zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen, die den politischenRaum zwischen souveräner Wählerschaft und deren gewählten Repräsen-tanten ausfüllen (Richter und Furubotn 1996: 460ff). Dies bedeutet auch,dass eine strategische Kohärenz wirtschaftspolitischer Maßnahmen mit derpartikularistischen Logik der Interessengruppen kollidieren muss. OlsonsArgumente zur wirtschaftspolitischen Einflussnahme durch Sonderinteres-sengruppen haben hier ein weitläufiges Anwendungsgebiet gefunden, wo-

13 Diese Position wird in Buchanans Verfassungsökonomik vertieft. Buchanan dif-ferenziert eine auf abstrakten Regeln basierende moralische Ordnung, in der es keineGruppenloyalität jenseits der allgemeinen gesellschaftlichen Anerkennung aller Indi-viduen gibt, und eine moralischen Gemeinschaft, in der eine Vielzahl von gruppenbe-zogenen Loyalitäten eingebunden sind, wobei in erster Linie Nation, Region, Klasse,Ethnie oder Familie als Orientierung dienen. Das Gemeinschaftsprinzip macht die ab-strakte Koordination durch staatliche Instanzen notwendig, während das Ordnungs-prinzip eine spontane Kohäsion ohne zentrale Steuerungsinstanz ermöglicht (Bucha-nan 1986: 108ff).14 Beispielsweise wird von Buchanan neben einer produktiven Staatsfunktion bei

der Bereitstellung öffentlicher Güter auch eine schützende Funktion stilisiert, in wel-cher der Staat eine externe, neutrale Schiedsgerichtsbarkeit über vertragliche Konflik-te von Individuen und Gruppen übernimmt (Buchanan 1975: 95ff).

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bei die daraus gewonnenen Aussagen mit ordnungstheoretischen Überle-gungen harmonieren.

Olsons Kernthese verweist auf das entwicklungs- und wachstumshem-menden Potenzial von kleinen Sonderinteressengruppen, die im Vergleichzu größeren, umfassenderen Gruppen kostengünstiger zu organisieren sind,und dabei aufgrund ihrer enger gefassten Partikularinteressen besondersnachdrücklich gesellschaftlich ineffiziente Politiken mittels gesamtwirt-schaftlicher Kostenüberwälzung durchsetzen. Demnach versucht Olson,das Problem der abnehmenden Steuerungskapazität staatlicher Appara-te mit dem ausgreifenden Einfluss von Sonderinteressengruppen in Be-ziehung zu setzen. Die strukturelle Rigidität maßgeblicher Faktor- undGütermärkte, aufgefasst als Ursache von Stagflationsphänomenen in denwestlichen Industrieländern, wird dann aus einer institutionellen Erstar-rung hergeleitet. Wirtschaftspolitische Steuerungsfähigkeit geht aufgrundder zunehmenden Diversität organisierter Sonderinteressen verloren, dieim Rahmen von Verteilungskoalitionen um die Umverteilung des Sozi-alprodukts konkurrieren. Dies führt zusammen mit der Expansion wirt-schaftspolitischer Interventionen und Sonderregelungen zu einer komple-xitätsbedingten Erhöhung volkswirtschaftlicher Transaktionskosten (Ol-son 1982: 74f).15 Wichtige Bedingung für die Herausbildung eines ent-sprechend verdichteten Musters von Verteilungskoalitionen innerhalb despolitisch-ökonomischen Systems ist allerdings die historische Konstella-tion anhaltender politischer Stabilität im Anschluss an radikale politisch-institutionelle Umbrüche (Olson 1982: 165f).

Die Kritik an Olsons Argumentation zu den institutionellen Bestim-mungsgründen einer wirtschaftspolitisch vermittelten Stagnation ökono-

15 Trotz Olsons Kritik an der Pluralismustheorie, die sich auf deren Defizit bei derBerücksichtigung der asymmetrischen Organisationsfähigkeit von Interessengrup-pen konzentriert, ist diese Position als normative Bestätigung eines demokratischenPluralismus gewertet worden, in dem die Koordinierung kollektiven Handelns miteiner marktorientierten Wirtschaftspolitik einhergeht (Reisman 1990: 223f). Aller-dings ergibt sich Olson zufolge die Möglichkeit, dass große Interessengruppen, wieUnternehmerverbände und Gewerkschaften, deren Sonderinteressen in geringeremMaße von gesellschaftlichen Gesamtinteressen abweichen, im Rahmen korporatisti-scher oder autoritärer Regime mit langfristiger Orientierung wachstumfördernd agie-ren können. Als Beispiel dient etwa die Wirtschaftsentwicklung der ostasiatischenSchwellenländer (Olson 2000: 100).

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mischer Entwicklungsprozesse gründet sich neben dem Aspekt mangel-hafter empirischer Fundierung auf dem pluralismustheoretisch gefasstenArgument, dass der zunehmende Organisationsgrad von Interessengrup-pen nicht automatisch zu einer Verschärfung von klientelistischen Vertei-lungskonflikten im Rahmen korporatistischer Arrangements führen muss.Vielmehr besteht die Möglichkeit, dass der Widerstreit zum Interessenaus-gleich im Rahmen einer balancierten Politikagenda führt (Unger und vanWaarden 1997: 439f). Zudem wird argumentiert, dass Verbände und andereOrganisationsformen von Interessengruppen den Fluss von Informationenzwischen ökonomischen Akteuren befördern, und damit zur institutionel-len Verdichtung von Sozialkapital und Vertrauen beitragen, was wiederumeine Minderung von Transaktionskosten im Rahmen einer institutionellenSelbstregulierung und kooperativen Konfliktlösung impliziert (Unger undvan Waarden 1997: 445f). In diesem Sinne ignoriert Olsons Theorie das in-stitutionelle Transformationspotenzial staatlicher Steuerungskapazität, dasmit der Durchsetzung eines auf Kooperation und Moderation beruhendenSteuerungsmodus einher geht (Waschkuhn 1992: 40f). Dies mag damit zu-sammenhängen, dass Olson weiterhin an die Möglichkeit einer staatlichenSteuerungskapazität glaubt, die unabhängig von gesellschaftlichen Interes-sengruppen agieren kann (Messner 1997: 90f). Somit gilt auch an diesemPunkt der Einwand, dass die konzeptionellen Vereinfachungen in OlsonsAnsatz einer Erfassung der institutionellen Formenvielfalt ausdifferenzier-ter Marktwirtschaften mit ihren verzweigten ökonomischen Rückkoppe-lungen entgegenstehen. Dies bezieht sich vor allem auf die Mikrofundie-rung von Olsons Theorie des kollektiven Handelns.16 Diese institutionelleVielfalt bezeichnet jene Eigenschaften komplexer ökonomischer Prozes-se, die wirtschaftliches Wachstum und evolutorischen Wandel in moder-nen Marktwirtschaften antreiben. Tatsächlich gehören evolutorische The-

16 Allerdings ist auch aus ordnungstheoretischer Sicht wiederholt darauf hingewie-sen worden, dass Erklärungsmotive für das Bestehen großer Verbände nicht nur in dervon Olson betonten anreizbezogenen Sanktionierung des Trittbrettfahrer-Verhaltenszu suchen sind, das aus dem Kollektivgutcharakter der Verbandsaktivität entspringt.Auch das Vorhandensein von Wertrationalität und Traditionalität als Formen nicht-zweckrationalen Handelns im Weberschen Sinne ist zu berücksichtigen (Streit 1991:293f).

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men zum Kern der Olsonschen Perspektive, jedoch ohne eine angemesseneanalytische Behandlung zu erfahren.

Hier liegt dann auch der kritische Anknüpfungspunkt einer explizit in-stitutionalistisch und evolutorisch orientierten Analyse des Verhältnissesvon Staat und Markt, derzufolge jenseits von individuellen Optimierungs-kalkülen und wettbewerblicher Koordinierung durch Marktpreise weite-re Verhaltensformen und Steuerungsmechanismen existieren, welche esfür die Theorie der Wirtschaftspolitik zu thematisieren gilt (Chang 2002:539ff).17 Staatliche Apparate werden aus dieser Perspektive als Bestandteileiner institutionellen Vielfalt aufgefasst, deren wirtschaftspolitische Ver-mittlungsfunktionen eine Abgrenzung von Staat und Markt diffus werdenlässt. Neben die strukturellen und institutionellen Aspekten der Globalisie-rung und Regionalisierung ökonomischer Interaktionszusammenhänge alsImpulse für die Transformation staatlicher Steuerungskapazität treten ent-sprechende Fragen einer Auflösung staatlicher Kompetenzen in den institu-tionellen Kontext einer ausdifferenzierten Zivilgesellschaft.18 Die institu-tionenökonomisch verankerte Thematisierung der Governance wirtschafts-politischer Prozesse greift diese Problemstellung auf, indem das OlsonscheThema institutionell bedingter Unregierbarkeit in die Frage übersetzt wird,inwiefern spezifische institutionelle Konstellationen eine Form demokrati-scher Regierungs- und Steuerungsfähigkeit möglich machen, die sich auchauf die wirtschaftspolitische Ebene positiv auswirkt. Dabei werden in ers-ter Linie die institutionellen Probleme der Netzwerksteuerung thematisiert.

17 Zu den Vorläufern dieser Perspektive gehört die Tradition einer historisch ori-entierten Nationalökonomie, deren entwicklungsbezogene Fragestellung mit ihrempositiven Verständnis wirtschaftspolitischer Staatstätigkeit auch für aktuelle Diskus-sionen relevant geblieben ist (Ebner 2000a: 355ff; 2002a: 7ff).18 Die Debatte um konkrete Formen und Gehalte wirtschaftspolitischer Gestaltung

im Kontext institutioneller Enthierarchisierung, wie sie in der evolutorischen Theorieder Wirtschaftspolitik betrieben wird, bezieht sich auf die umfassende politikwissen-schaftliche Diskussion um staatliche Steuerungs- und Lenkungskompetenzen (Weg-ner 1996: 31f).

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4. Governance und Netzwerksteuerung in der evolutorischenWirtschaftspolitik

Jenseits der in Williamsons Transaktionskostentheorie betonten Differen-zierung von Markt und Hierarchie folgt aus der Berücksichtigung insti-tutioneller Vielfalt als Charakteristikum komplexer marktwirtschaftlicherSysteme, dass die organisatorischen Potenziale von Netzwerken zu thema-tisieren sind. Tatsächlich wird behauptet, dass ausdifferenzierte Volkswirt-schaften als Mischformen aus Märkten, Hierarchien und Netzwerken auf-zufassen sind. Netzwerke repräsentieren einen horizontal angelegten Koor-dinationsmodus, der die Interdependenz zwischen den betroffenen Akteu-ren abbildet, indem die Tauschorientierung von Märkten mit der Koopera-tionshaltung von Organisationen verbunden wird. Ihre langfristige Orien-tierung basiert auf Attributen wie Reziprozität und Vertrauen, strukturiertdurch spezifische Macht- und Wettbewerbsmuster (Powell 1990: 295ff).Die flexible Form der Einbeziehung individueller Akteure entspricht dannder adaptiven Flexibilität von Netzwerkbeziehungen, die sich vor allemangesichts eines rapiden Wandels ökonomischer und gesellschaftlicher Be-dingungen als vorteilhaft erweist (Messner 1997: 186ff). Grundsätzlich er-laubt diese eigenständige Organisationslogik von Netzwerken die institu-tionelle Einbettung individueller Handlungskalküle und Routinen zuguns-ten der Etablierung kooperativer Beziehungen. In ökonomischer Hinsichtbezieht sich dies etwa auf die Kooperationsbeziehungen zwischen Unter-nehmen, während Politiknetzwerke einen Beitrag zur Koordinierung poli-tischer Prozesse leisten.19 Somit lässt sich das Netzwerkkonzept auch ge-gen eine theoretische Auflösung des Staates in der institutionellen Logikeines universellen Marktes oder einer umfassenden Organisationshierar-chie wenden.

An diesem Punkt greift eine Anwendung des Netzwerkkonzepts aufdie Perspektive wirtschaftspolitischer Governance. Diese Perspektive ist

19 Unternehmensnetzwerke im Sinne von Williamsons Transaktionskostentheoriedecken also einen Teilbereich des weiter gefassten Netzwerkbegriffs ab, der lang-fristig angelegte Akteursbeziehungen mit einem hohen Grad an institutionell vermit-telter Kooperationsfähigkeit jenseits der Koordinationsformen von Markt und Hierar-chie anspricht. Unternehmensnetzwerke lassen sich entsprechend durch die Aspekteder Redundanz, Langfristigkeit und Kooperation charakterisieren (Fritsch 1992: 90f).

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von der in Williamsons Transaktionskostentheorie vorherrschenden Dis-kussion der „Corporate Governance“ zu unterscheiden, insbesondere wasquantitative Fragen der institutionellen Anreize sowie der ihnen zugrun-de liegenden Zielsetzungen und Eigentumsrechte im öffentlichen Sektorangeht (Dethier 1999: 7f). Governance bezeichnet im weitesten Sinne dieGesamtheit institutioneller Arrangements zur Koordinierung und Regulie-rung der Aktivitäten und Interaktionen unterschiedlicher Akteure. Das en-ger gefasste Konzept einer wirtschaftspolitischen Governance bezieht sichdann auf institutionelle Strukturen und Prozesse, die zur Formulierung undImplementierung von Politikzielen und Politikinstrumenten beitragen. Diezu koordinierenden Träger der wirtschaftspolitischen Maßnahmen umfas-sen Akteure aus den öffentlichen und privaten Sektoren, so dass nicht nurinstitutionelle Aspekte wie Anreizstrukturen und Sanktionsmechanismeninnerhalb der staatlichen Apparate angesprochen sind, sondern auch de-ren Anbindung an den erweiterten Kontext im öffentlichen und privatenSektor mit seinen vielfältigen Interaktionsformen. So wird Governance alsinstitutioneller Gehalt eines kooperativen und moderierenden Steuerungs-ansatzes begriffen.20 Hierbei wird eine institutionelle Architektur betrach-tet, die im Sinne eines polyzentristisch strukturierten Systems funktioniert,wobei die Wirkungsbereiche öffentlicher Güter und externer Effekte kaumnoch einem nationalstaatlich verfassten Terrain zuzuordnen sind (Cerny2000: 21ff). Institutionelle Mehrebenensysteme weisen den Nationalstaa-ten zwar weiterhin eine wichtige Steuerungsrolle zu, sie müssen jedochKompetenzen auf inter- und supranationale Ebenen, wie auch auf lokaleund regionale Politikebenen abgeben, woraus sich ein institutioneller Wett-bewerb ergeben kann, der ein hohes Dynamisierungspotenzial in sich trägt.Governance gilt daher auch als Ausdruck der zunehmenden Komplexitätwirtschaftspolitischer Problemlagen, die sich als Folge der Globalisierungergeben haben.

20 Ausgangspunkt der damit verbundenen Diskussion um die institutionellen Grund-lagen tragfähigen Regierungshandelns ist das Konzept der „Good Governance“, dasvon konkreten Erfahrungen mit institutionellem Wandel in den Entwicklungs- undTransformationsländern geprägt ist (König 2002: 9ff). Hierbei wird auf den Einflussvon Regeln, Normen und Konventionen verwiesen, deren Zusammenspiel öffentli-che und private Akteure in einen zivilgesellschaftlichen Zusammenhang einbindet.Effektivität, Transparenz, Verantwortlichkeit und Kooperation dienen als normativeParameter dieser Orientierung (Grindle 1997: 3ff).

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Diese Fragen staatlicher Steuerungskapazität im Rahmen der institutio-nellen Anpassung an veränderte politisch-ökonomische Bedingungen re-zipierend, ist der Ansatz wirtschaftspolitischer Governance dazu geeignet,die im Konzept der Netzwerke angelegte Enthierarchisierung von Staat,Gesellschaft und Markt zu thematisieren. Netzwerkmuster in der Struk-turierung wirtschaftspolitischer Governance als institutionellem Prozessumfassen demnach Akteure des öffentlichen und privaten Sektors (Mess-ner 1997: 42f).21 Öffentliche Güter als Gegenstand der Wirtschaftspoli-tik lassen sich dann als Produkte der Interaktion diverser Akteure auffas-sen, deren kollektives Handeln eine Koordinierung der Erstellung öffent-licher Güter ermöglicht (Kaul 2001: 255n). Es ist ohnehin davon auszu-gehen, dass die Dichotomie aus privaten, marktvermittelten und öffentli-chen, staatlich vermittelten Gütern empirisch wenig überzeugt, da in derRegel Mischformen aus diesen reinen Typen vorliegen, mit jeweils inter-dependenten privaten und öffentlichen Dimensionen (Ostrom 1990: 14f).Hier kommt wiederum der Aspekt des Einflusses von Interessengruppenzum Tragen. So wird ein spezifischer Sektor aus zivilgesellschaftlichenZusammenhängen vorgestellt, der neben Interessengruppen und verschie-denen Nicht-Regierungsorganisationen auch thematische Netzwerkorgani-sationen einschließt. Dieser mit einem hohen Selbstorganisationspotenzialausgestattete Sektor wird als Partner eines kooperativen Staates stilisiert,der ebenfalls direkt mit den Marktakteuren interagiert. Im Unterschied zumkorporatistischen Steuerungsansatz soll sich die Netzwerksteuerung durchein geringeres Maß an Selektivität und Formalisierung, sowie durch eineproblemspezifische, flexible Orientierung auszeichnen. Die Informations-flüsse versetzen beteiligte Akteure in die Lage, kontextspezifisch zu kom-munizieren und Lernprozesse zu bewältigen, was wiederum Voraussetzungmoderierender Wirtschaftspolitik gilt. In diesem Governance-Modus derNetzwerksteuerung kommen dem Staat die Funktionen institutioneller Ko-ordinierung, strategischer Orientierung und Konfliktmoderation zu (Mess-ner 1997: 133ff). Allerdings ist auch hierbei keine Gemeinwohlorientie-

21 Dies impliziert einen umfassenden Wandel der Akteursbeziehungen in einemUmfeld aus verdichteten Mustern reziproker Interdependenz, kombiniert mit In-teraktionsformen jenseits organisationaler, sektoraler und nationaler Eingrenzungen(Scharpf 1991: 277ff).

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rung anzunehmen, vielmehr ist die anreizorientierte Regelbindung staatli-cher Akteure unerlässlich.

In diesem Zusammenhang kann das Hayeksche Problem der Wissens-diffusion als Ausgangspunkt einer weitergehenden konzeptionellen Ein-ordnung von Netzwerken in der Theorie der Wirtschaftspolitik dienen.Zunächst gilt, dass den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern not-wendiges Steuerungswissen fehlt, so dass eine institutionelle Sicherungvon Wissenstransfers effizienzsteigernd wirken kann. Netzwerke tragensomit zur Koordinierung von Akteuren bei der Vorbereitung und Umset-zung wirtschaftspolitischer Maßnahmen bei. Aus der Perspektive des ak-teurszentrierten Institutionalismus wird etwa behauptet, dass jenseits vonMarktkoordinierung oder staatlicher Zuweisung ein Aushandlungsverfah-ren auszumachen ist, in dem richtungweisende Normen ökonomischer Ak-tivität etabliert werden. Die Komplexität der Koordinierung unterschied-licher Zielvorstellungen wird von einer entsprechenden Diversität wirt-schaftspolitischer Handlungsträger begleitet. Eine Verdichtung institutio-neller Kooperation ermöglicht schließlich, dass Regeln, Normen und Rou-tinen sich zu einem einbettenden Rahmen für die Koordinierung diver-ser Akteursstrategien entwickeln. Tatsächlich können sich entsprechendausgestaltete Policy-Netzwerke durch eine stabilisierte Regelbindung derAkteure zu komplexen Verhandlungssystemen entwickeln (Mayntz 1993:39ff). Auch aus systemtheoretischer Sicht wird behauptet, dass die insti-tutionelle Komplexität der Wirtschaftspolitik in ausdifferenzierten Syste-men mit einem erhöhten Konfliktpotenzial einhergeht, das einen integra-tiven Steuerungsansatz erfordert. Netzwerke sollen dann einer Einbettungvon Wissensgenerierung und Wissensdiffusion im Sinne einer Früherken-nung von Problemen und der Bündelung von Problemlösungskompetenzdienen. Schließlich schaffen sie nicht nur Vertrauen unter den Beteiligtenals Basis effektiver Kooperation, sondern sie übernehmen auch weitrei-chende Legitimationsfunktionen im Rahmen eines dezentralen, kooperativangelegten Modus der Kontextsteuerung politisch-ökonomischer Prozes-se. Allerdings können Netzwerke degenerieren, wenn die Herausbildungvon Entscheidungsstrukturen nicht mehr hinreichend transparent und offenist, so dass konkrete Verantwortlichkeiten institutionell verschleiert werden(Willke 1995: 110f). Aufgrund einer Standardisierung und Homogenisie-rung von Einschätzungen und Erwartungshaltungen kann es zu kognitivenBlockaden kommen, die das Innovationsverhalten und die entsprechende

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Anpassungsfähigkeit der Netzwerkakteure beeinträchtigen (Messner 1997:198f). Zudem können sich Koordinationsprobleme im Spannungsfeld vonWettbewerb und Kooperation innerhalb und zwischen Netzwerken erge-ben, so dass Vertrauen und Reziprozität als funktionale Bedingungen derNetzwerkbeziehungen gestört werden, was wiederum auf das problemati-sche Verhältnis von Effizienz und Legitimation verweist (Messner 1997:218ff.).

Neben Markt- und Staatsversagen, können also auch Netzwerke alsKoordinationsformen versagen, so dass ein unqualifizierter Lenkungs-optimismus unangebracht bleibt. Für das Problemfeld wirtschaftspoliti-scher Governance folgt dann ebenfalls die Möglichkeit eines Koordina-tionsversagens, das sich aus dessen widersprüchlichen Komponenten er-gibt. Zusammengefasst gehören hierzu die Widersprüche von Wettbewerbund Kooperation zwischen den Akteuren, Offenheit und Geschlossenheitder Governance-Mechanismen, Regulierbarkeit und Flexibilität der Steue-rungsformen, sowie Verantwortlichkeit und Effizienz in der Kooperationvon Akteuren aus den privaten und öffentlichen Sektoren (Jessop 1999:13f). Transaktionskosten und die Perspektive einer institutionellen Skle-rose bleiben demnach auch für den Zusammenhang von Netzwerksteue-rung und wirtschaftspolitischer Governance relevant. Für die Problema-tik eines auf Netzwerkbeziehungen gegründeten Governance-Modus folgtdaraus, dass Ordnungsfragen aus dessen Bewertung nicht ausgeschlossenwerden dürfen. Ohne die institutionelle Einbettung in einen die Effizienzder Marktprozesse sichernden Ordnungsrahmen wird ein auf der Verdich-tung von Netzwerkbeziehungen basierender Governance-Modus nicht zustabilisieren sein. Dies impliziert, dass Governance selbst als anhaltenderevolutorischer Prozess aufgefasst wird, in dem Institutionen mit ökonomi-schen, technologischen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen koe-volvieren, so dass es zu Neuerungen kommt, die zur Vielfalt institutionel-ler Formen beitragen. Reflexivität und Lerneffekte stehen dabei im Vor-dergrund, basierend auf kommunikativer Interaktion und der kognitivenKonvergenz von Akteursstrategien (Jessop 1999: 9f).

Ökonomische Evolution ist in diesem Zusammenhang als intern gene-rierte Selbsttransformation eines Wirtschaftssystems aufzufassen, basie-rend auf der kreativen Einführung von Neuerungen und den damit ein-hergehenden neuen Handlungschancen (Witt 1992: 2). Charakteristikumeines evolutorischen Ansatzes in der Theorie der Wirtschaftspolitik ist die

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Betonung von selektiver Kognition, Lernprozessen und der Generierungsowie Dissemination von Wissen in ökonomischen und politischen Zu-sammenhängen. Dies impliziert, dass die Auswahl von Zielen und Mit-teln der Wirtschaftspolitik in Abhängigkeit von den Kommunikationspro-zessen in diversen Netzwerken pfadabhängig verläuft (Witt 2001: 4f). Ausevolutorischer Sicht ist Wirtschaftspolitik also als kommunikativer Prozesszu verstehen, in dem sich die Handlungsgrundlagen von Entscheidungs-trägern und Betroffenen wechselseitig beeinflussen, so dass das Entschei-dungsfeld selbst diffus bleibt. Wirtschaftspolitische Steuerung gilt dannüber eine Aufhebung der Trennung von externer und interner Einflussnah-me als endogener Bestandteil des politisch-ökonomischen Systems (Koch1996: 119f). Mit dieser Perspektive sind ordnungstheoretische Positio-nen zur wirtschaftspolitischen Rolle von Interessengruppen in Einklangzu bringen. So ist betont worden, dass die wirtschaftspolitischen Akti-vitäten von Verbänden dann unproblematisch sind, wenn sie konsultativInformationstransparenz und Wissensniveaus im politischen Prozess er-höhen, was zu einer institutionell abgesicherten Konsensbildung beiträgt(Tuchtfeldt 1987: 140f). Organisierte Interessenvertretung durch Verbän-de ist demnach in der Funktion der Wissensvermittlung ordnungspolitischlegitim. Ein entsprechender pluralistischer Interessenwettbewerb kann imSinne von Hayeks Theorie des Marktprozesses als evolutorisches Entde-ckungsverfahren beschrieben werden. Dieser Wettbewerb findet entspre-chende Grenzen an den Problemen der Informations- und Machtkontrolle,die mit dem für viele Interessengruppen charakteristischen Begehren nachPrivilegien jenseits der allgemeinen Ordnungsregeln verbunden sind (Streit1991: 294f).

Aus den evolutorischen Argumenten zum institutionellen Wandel folgtauch, dass ein Design von Governance-Mechanismen nicht möglich ist,so dass Veränderungen der institutionellen Matrix aus relationalen Ver-trägen, die als Substanz eines Governance-Modus aufgefasst werden kön-nen, wiederum als Ausdruck kontinuierlicher Experimentier- und Anpas-sungsprozesse zu verstehen sind (Ahrens 2002: 14f). Zu berücksichtigenist auch hierbei, dass Wirtschaftspolitik in komplexen, offenen Marktsys-temen weniger mit der Auswahl von statischen Allokationszielen befasstsein kann, sondern primär die Regeln für ökonomische Interaktionen setzt.In diesem Sinne erfüllt Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik eine Verfas-sungsfunktion (Wagner 2002: 105f). Die zugrunde liegende Verfassungs-

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ordnung definiert dann eine paradigmatische Orientierung in der Evolutionwirtschaftspolitischer Governance, deren konkreter Neuerungsgehalt vomjeweiligen ökonomischen und politisch-gesellschaftlichen Kontext geprägtist. Hierbei sind auch die Regeln des interjurisdiktionellen Wettbewerbszu berücksichtigen.22 Dies bedeutet schließlich, dass immer wieder neuePolitikinstrumente verfügbar gemacht werden müssen, die den Wandel derInformations- und Wissensniveaus wirtschaftspolitischer Akteure beglei-ten und deren anhaltende Lernprozesse im Einklang mit den Politikzielenunterstützen (Eggertsson 1997: 74f).

Die Rolle von Netzwerken in den einzelnen Phasen wirtschaftspoliti-scher Aktivität lässt sich zunächst mit deren Beitrag zur Identifizierung undLösung wirtschaftspolitischer Problemlagen erfassen, ergänzt von der For-mulierung, Implementierung und Evaluation bestimmter Politiken (Mess-ner 1997: 298ff). Diese Form wirtschaftspolitischer Interaktion prägt ins-besondere Diskussionen um den Einfluss von Interessengruppen auf dy-namische Politikfelder wie die Industrie- und Technologiepolitik. So wirddie Rolle industrieller Beiräte für die Formulierung und Implementierungstrategischer Industriepolitik mit ihrem hohen Gehalt an Informationsflüs-sen zwischen Interessengruppen und staatlichen Akteuren hervorgehoben(Gerybadze 1992: 170f). Dies ist auch im Hinblick auf industrie- und tech-nologiepolitische Governance-Mechanismen in Mehrebenen-Systemen be-deutsam, da im Rahmen des weltwirtschaftlichen Strukturwandels die re-gionale und lokale Komponente weiter an Bedeutung gewinnt (Ebner2002b: S. 57ff). Entsprechend wird behauptet, dass sich die Relevanzdes Governance-Modus einer Netzwerksteuerung primär auf die Felderder Struktur-, Regional- und Technologiepolitiken bezieht (Messner 1997:360ff.) Diesem Politikverständnis entspricht die analytische Fokussierungauf industrielle Netzwerke, innovative Milieus und strukturelle Cluster alsAusdruckformen einer institutionell eingebetteten Neuerungsdynamik, imweitesten Sinne zusammenzufassen unter dem Begriff der Innovations-systeme (Ebner 2000b: 84f).23 Gerade anhand dieser Politikfelder zeigt

22 Der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften kann zu institutionellen Inno-vationen mit unterschiedlichen Neuerungsgraden führen, die im Hayekschen Sinnedas Ergebnis eines dezentralen Entdeckungsverfahrens sind (Kerber 2003: 50f).23 Innovationssysteme werden als institutionelle Netzwerke im privaten und öffent-

lichen Sektor aufgefasst, die zur Generierung, Modifizierung und Diffusion neuer

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sich, dass die Koevolution von Institutionen und Technologie in komple-xen marktwirtschaftlichen Systemen nur über eine Wirtschaftspolitik zugestalten ist, die als evolutorischer Prozess reflexiven Lernens immer auchinstitutionelle Innovationen zulässt. In diesem Sinne sind die strategischeInteraktion im Bereich der Wirtschaftspolitik als Ausdruck einer Spielsi-tuation zu betrachten, deren Regeln von den Spielern während des Spielsmitbestimmt und verändert werden (Dixit 1996: 30f). Die Theorie der Wirt-schaftspolitik ist daher als konzeptioneller Rahmen für eine Analyse dervielfältigen Formen institutionell vermittelter Entwicklungsprozesse zu re-konstruieren.

5. Zusammenfassung

Ausgangspunkt des vorliegenden Textes ist die These, dass wirtschafts-politische Steuerung in ausdifferenzierten Marktwirtschaften einem insti-tutionellen Formwandel unterliegt, der von der Theorie der Wirtschafts-politik zu thematisieren ist. Während die Neue Politische Ökonomie diestaatliche Sphäre in der neoklassischen Marktlogik auflöst, verweist ins-besondere die evolutorisch geprägte Strömung der Institutionenökonomikauf eine real existierende Vielfalt ökonomischer Verhaltens- und Organisa-tionsformen. Dabei werden institutionelle Netzwerke mit Verweis auf eineEnthierarchisierung wirtschaftspolitischer Koordinationsebenen als koope-rative Ergänzung von Hierarchie und Markt vorgestellt. Netzwerke tragenzur Koordinierung relevanter Akteure aus dem öffentlichen und privatenSektor bei der Vorbereitung und Umsetzung wirtschaftspolitischer Maß-nahmen bei. Dem entspricht die Konzeption der wirtschaftspolitischen Go-vernance, die auf eine Verdichtung institutioneller Kooperation abzielt, de-ren Regeln, Normen und Routinen sich zu einem einbettenden Rahmen für

Technologien beitragen. Für das Verständnis nationaler und regionaler Innovations-systeme wird geltend gemacht, dass die beteiligten Akteure in einen spezifischeninstitutionellen Rahmen eingefasst sind, der langfristiges Kooperationsverhalten er-möglicht (Ebner 2001: 634ff). Tatsächlich ist das Leistungsprofil von Innovations-systemen in historisch kontingenten Konfigurationen verwurzelt, deren institutionel-le und technologische Komponenten das Verhalten der wirtschaftspolitischen Akteuremaßgeblich prägen (Ebner 1999: 158ff).

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die Koordinierung diverser Akteursstrategien entwickeln. Im engeren Sin-ne bezieht sich wirtschaftspolitische Governance auf institutionelle Struk-turen und Prozesse, die zur Formulierung und Implementierung von Poli-tikzielen und Politikinstrumenten beitragen.

So ist diese Konzeption der Governance dazu geeignet, die im Begriffder Netzwerke angelegte Aufhebung der Trennung von hierarchisch aufge-fasster Staatstätigkeit und horizontal angelegtem Marktprozess angemes-sen zu berücksichtigen, wobei zivilgesellschaftliche Institutionen als Ver-mittlungsinstanzen vorgestellt werden. Ohne institutionelle Einbettung ineinen die Effizienz der Marktprozesse sichernden Ordnungsrahmen wirdjedoch ein auf der Verdichtung von Netzwerkbeziehungen basierenderGovernance-Modus im evolutorischen Prozess wirtschaftlicher Entwick-lung nicht aufrechtzuerhalten sein. Tatsächlich ist Governance selbst alsanhaltender evolutorischer Prozess aufzufassen, in dem Institutionen undtechnologische, soziale sowie politische Konstellationen koevolvieren. Da-durch kommt es zu Innovationen, die wiederum zur Vielfalt institutionel-ler Formen beitragen. Ein Design von Governance- Mechanismen ist auf-grund dieser evolutorischen Charakteristika nicht möglich, so dass Ver-änderungen eines wirtschaftspolitischen Governance-Modus als Resultatlangfristig angelegter institutioneller Experimentier- und Anpassungspro-zessese zu verstehen sind. In diesem Sinne erweist sich die Aufarbeitungder Governance-Thematik als unverzichtbarer Bestandteil einer evolutori-schen Theorie der Wirtschaftspolitik.

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Korreferat zu Alexander Ebner

Netzwerke und Governance als Analysekonzepte einerevolutorischen Theorie der Wirtschaftspolitik

Christoph Heinzel

Konzeptionelle Grundlagenforschung stellt gerade für ein junges, sich ent-wickelndes Gebiet wie die evolutorische Ökonomik eine entscheidendeAufgabe dar. Die Entwicklung neuer Konzepte oder die Weiterentwicklungbestehender setzt dabei einerseits die genaue Beobachtung des zu analysie-renden Gegenstands voraus, andererseits die Auswertung der bestehendenTheorie und insbesondere das Aufzeigen von Anknüpfungspunkten undLücken in deren Rahmen. Zumal unter evolutorischer Perspektive ist da-bei zusätzlich zu berücksichtigen, dass insbesondere der Gegenstand sichauch verändern oder sich in einem bestimmten Moment in einem Verände-rungsprozess befinden kann, woraus neue analytische oder konzeptionel-le Anforderungen gerade entstehen können. Gegenstand des zu betrach-tenden Beitrags ist der institutionelle Rahmen der Wirtschaftspolitik, derreal auch Interaktionszusammenhänge von Akteuren umfasst, die sich inden weiten institutionellen Bereich jenseits der eindeutigen Zuordnung zuStaat oder Markt erstrecken. Die Konzepte, die der Autor zur Analyse die-ses Rahmens sowie von dessen Wandel in den Mittelpunkt rückt, sind diedes institutionellen Netzwerks sowie der Governance.

Der Beitrag von Alexander Ebner erweist sich in diesem Rahmen inmehrfacher Hinsicht als bedeutsam. Sein Vorgehen motiviert sich aus zwei

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400 Christoph Heinzel

Quellen. Zum einen greift es die Bedeutungszunahme dieses institutio-nellen Bereichs jenseits von Staat und Markt, insbesondere im Zeichender Globalisierung mit einem damit einhergehenden (vermuteten) Macht-verlust des Staates, auf. Zum anderen erscheint gerade dieser Bereich inder bisherigen Theorie als systematisch vernachlässigt, womit auch des-sen Wandel und ein von ihm ausgehender Wandel des gesamten institu-tionellen Gefüges, in dem Wirtschaftspolitik stattfindet, nicht thematisiertwerden kann.

Die konzeptionelle Lücke in der bestehenden Theorie leitet Ebner aufengem Raum her. Er geht dabei weitgehend dogmenhistorisch chronolo-gisch vor und orientiert sich an den ‚großen Namen‘ als Wegmarken. DenAusgangspunkt bildet die neoklassische Theoriebildung, in der der Staatals exogener Regulator der Wirtschaft einen ordnenden Rahmen setzt undin Fällen des Marktversagens interveniert, in seinen internen Strukturenund seinem Verhalten aber nicht weiter hinterfragt wird. Wirtschaftspolitiksoll in diesem Rahmen institutionell neutral bleiben – eine Forderung, diesich auch in der stärker auf Staatsintervention bedachten keynesianischenTheorie findet. In Schumpeters Hinweis auf das Eigeninteresse der Akteurein Verwaltungsbürokratie und Politik – hervorgebracht etwa in Schumpe-ter (1942) und vorausweisend auf den Ansatz der Neuen Politischen Öko-nomie, wie sich anfügen lässt – sieht Ebner eine Nähe zu den ordnungs-theoretischen Positionen von Eucken und Hayek, die auch der wirtschafts-politischen Bedeutung von Interessengruppen Beachtung schenken. GehtEucken bei der Forderung nach der Zurückdrängung des wirtschaftspoli-tischen Einflusses von Interessengruppen noch von der Möglichkeit einerstrikten Trennung von staatlicher Ordnungsfunktion und den Machtkämp-fen von Interessengruppen aus, so sieht Hayek gerade den durch die teil-weise Bereitstellung kollektiver Güter durch zivilgesellschaftliche Akteu-re entstehenden Wettbewerb mit staatlichen Stellen als positiv. Zur Vor-beugung gegen eine institutionelle Stagnation durch übermächtige Orga-nisation privater Partikularinteressen schlägt er eine Differenzierung derStaatsstruktur und interjurisdiktionellen Wettbewerb vor. Auch bei HayeksAnalyse bleiben jedoch bedeutende Teile der Institutionenvielfalt komple-xer Marktwirtschaften ausgeblendet.

Aufgegriffen werden diese von der Neuen Institutionenökonomik, imZusammenhang mit der Ebner insbesondere auf die Ansätze von William-son, North und Olson eingeht. Diese liefern mit dem Hinweis auf Netz-

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Korreferat zu Alexander Ebner 401

werkbeziehungen zwischen Akteuren und dem Konzept der Governancedie Elemente, die Ebner für die Entwicklung der evolutorischen Theorieder Wirtschaftspolitik sucht. Die Thematisierung institutioneller Arrange-ments ist hier allerdings – unter anderem wegen der auch jenseits des wirt-schaftlichen Marktgeschehens zu Grunde gelegten homo-oeconomicus-Annahme – zu eng, um der zu betrachtenden institutionellen Vielfalt ana-lytisch gerecht werden zu können.

An dieser Stelle beginnt Ebners eigentlicher konzeptioneller Beitrag. Erpostuliert, dass eine evolutorische Theorie der Wirtschaftspolitik bestrebtsei, auch Verhaltensformen und Steuerungsmechanismen jenseits von indi-viduellem Optimierungskalkül und wettbewerblicher Koordinierung durchMarktpreise zu berücksichtigen, wobei sie den Staat als Bestandteil einerinstitutionellen Vielfalt sieht. Während sie inhaltlich auf die politikwissen-schaftliche Debatte um staatliche Steuerungs- und LenkungskompetenzenBezug nimmt, sucht Ebner die aus der institutionenökonomischen Diskus-sion entlehnten Konzepte Netzwerk und Governance in deren Rahmen fürdie Analyse von Wirtschaftspolitik in ausdifferenzierten Volkswirtschaftenzugänglich zu machen. Letztere werden hier als Mischformen aus Märk-ten, Hierarchien und Netzwerken aufgefasst. Ein Netzwerk bestimmt Eb-ner näher als „horizontal angelegten Koordinationsmodus, der die Inter-dependenz zwischen den betroffenen Akteuren abbildet, indem die Tau-schorientierung von Märkten mit der Kooperationshaltung von Organisa-tionen verbunden wird“, wobei seine „langfristige Orientierung [. . .] aufAttributen wie Reziprozität und Vertrauen [basiert], strukturiert durch spe-zifische Macht- und Wettbewerbsmuster“ (s.o., Seite 385) Demgegenüberdefiniert er Governance als „die Gesamtheit institutioneller Arrangements,welche zur Koordinierung und Regulierung der Aktivitäten und Interaktio-nen unterschiedlicher Akteure beitragen“, wobei wirtschaftspolitische Go-vernance insbesondere „auf institutionelle Strukturen und Prozesse, die zurFormulierung und Implementierung von Politikzielen und Politikinstru-menten beitragen“, bezogen sei (s.o., Seite 386). Der Governance-Begriffrekurriert damit indirekt gerade auf institutionelle Netzwerke. Diese Termi-nologie ermöglicht das Ansprechen des bisher vernachlässigten Bereichsder Interaktionszusammenhänge von Akteuren jenseits der eindeutigen Zu-ordnung zu Staat, Markt oder organisierten Partikularinteressen und insbe-sondere die Thematisierung der mit der Ausdehnung dieses Bereichs ver-bundenen Verflachung von Hierarchien. Durch die Berücksichtigung der

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402 Christoph Heinzel

Flexibilität und Problemspezifität von Netzwerken sowie des in letzterenstattfindenden Wissenstransfers lässt sich das Hayeksche Problem der Wis-sensdiffusion besser nachvollziehen. Der Hinweis auf Vertrauen als Sta-bilitätsfaktor von Netzwerken sowie die Legitimationsfunktion von Netz-werken bei der Durchsetzung von Wirtschaftspolitik weist auf der Ebe-ne des im Hintergrund stehenden Menschenbildes über die traditionellehomo-oeconomicus-Annahme hinaus. Die mit Verweis auf die Bedeutungvon Vertrauen und die Legitimationsfunktion begründbare Degenerations-gefahr von institutionellen Netzwerken könnte einen neuen Faktor von In-stabilität in wirtschaftlichen Systemen darstellen.

Zumindest diese abstrakte Argumentation deutet das Potenzial für dieEinbringung von mehr Realismus und Struktur durch die Einbeziehungvon Netzwerken und Governance in die Diskussion der Theorie der Wirt-schaftspolitik an, was neben dem Bezug auf den thematischen Gegenstanddie Bedeutung des Ebnerschen Beitrags unterstreicht. Im Hinblick auf dieWeiterentwicklung einer evolutorischen Theorie der Wirtschaftspolitik wä-re bei der weiteren Ausarbeitung der Idee ein genaueres Herausarbeitendes spezifisch Evolutorischen wünschenswert, was im Text über den direk-ten Bezug auf Witt (1992) hinaus kaum konkretisiert wird. Als besonderswichtig erscheint im Folgenden die Anwendung auf konkrete Gegenstän-de, etwa Aspekte des institutionellen Wandels, die sich im Rahmen derGlobalisierung ergeben. Hierbei ließen sich direkte Einblicke in die Trag-fähigkeit und Grenzen von institutionellen Netzwerken und Governanceals Analysekonzepten gewinnen, ihre Begrifflichkeit schärfen, aber auchmöglicherweise wichtige Erkenntnisse über konkrete Gegenstände erzie-len.

Literatur

Schumpeter, J.A. (1942): Capitalism, Socialism and Democracy, Harper & Brot-hers, New York

Witt, U. (1993): „Evolutionary Economics: Some Principles“, in: Witt, U. (Hg.):Evolution in Markets and Institutions, Physica, Heidelberg, S. 1-16

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