Greenpeace Switzerland Magazin 3/2012 DE

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1 Magazin Greenpeace Nr. 3 — 2012 GREENPEACE MEMBER 2012, NR. 3 Stahlindustrie zerstört Amazonas-Regenwald S. 40 SCHWERPUNKT: Umweltbildung S. 11–37 Interview mit Evolutionsforscher Frank Rühli S. 22 Arktis muss Schutzgebiet werden S. 38 Reportage Italien: Axpo, Alpiq & Co. mischen im Gasgeschäft mit S. 50

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Stahlindustrie zerstört Amazonas-Regenwald

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1Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2012

g r e e n p e ac e M e M B e r 2 0 1 2 , n r . 3

— Stahlindustrie zerstört amazonas-regenwald S. 40

Schwerpunkt: umweltbildung S. 11–37Interview mit evolutionsforscher Frank rühli S. 22Arktis muss Schutzgebiet werden S. 38reportage Italien: Axpo, Alpiq & co. mischen im Gasgeschäft mit S. 50

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Editorial — wir sind uns bewusst, dass der Schwerpunkt dieses heftes ein bisschen nach Strafarbeit klingt: «umwelt­bildung». natürlich zeigen wir Ihnen, wie Greenpeace auch hier neue wege geht. Vor allem aber versuchen wir, Ihnen zu zeigen, wie die umwelt uns bildet, wie die Ökologie unser Dasein mehr und mehr verändert. Bildung im weiteren Sinn.

Braucht es überhaupt umweltbildung? Sind wir nicht mehr in der Lage, ökologisch sinnvolle entscheide ohne kurse etc. zu fällen? In Brasilien zum Beispiel haben sich achtzig prozent der Bevölkerung auch ohne workshops für den Schutz des regenwaldes ausgesprochen – vielleicht dank einem urgefühl für den wert der natur. Die indigenen Völker im nordosten Brasiliens wissen, wie wichtig der erhalt des regenwaldes ist. Doch ihre Lebensgrundlage ist bedroht von Landraub, Sklaverei und illegalen waldrodungen – auch durch die Stahlindustrie.

Leider handelt die politik in eine andere richtung: unsere Fotoreportage auf Seite 40 zeigt einen bisher unbe­kannten Aspekt der urwaldrodung.

Apropos andere richtung: In der Schweiz haben die eigentlichen entscheidungsträger in die richtige richtung gehandelt – na ja, teilweise – und Ja zum Atomausstieg gesagt. Doch das phantom Grosskraftwerk (als hindernis für eine dezentrale, erneuerbare energieversorgung) geht noch immer um: Die Schweizer energiekonzerne Alpiq, Bkw und eGL (eine tochter der Axpo holding) mischen in Italien fröhlich im Gasgeschäft mit (reportage auf Seite 50). Gaskraftwerks­pläne sind im nachbarland einfacher umzusetzen und bringen zusätzlichen profit – oft gegen den willen der Bevölkerung.

Greenpeace geht in die Offensive. Diesen Spätsommer lancieren wir mit anderen umwelt­ und wirtschaftsver­bänden die Stromeffizienz­Initiative (Seite 59). Diese soll dem Stimmvolk die Möglichkeit geben, den Bundesrat und das parlament mit einer nachhaltigen Stromversorgung zu beauf­tragen – ohne Atomstrom und Gaskraftwerke.

nicht effizient und im höchsten Masse unverantwortlich ist die Gas­ und Ölförderung in der Arktis. es ist eine Frage der Zeit, wann Shell im nordpolarmeer nach Öl bohren wird. Das letzte fragile Ökosystem der erde ist bedroht. Mit all unserem umweltwissen und den erfahrungen aus der Vergan­genheit – mit oder ohne umweltbildung – sollten wir am nordpol die natur noch natur sein lassen.

Greenpeace fordert darum vor der unO eine ent­sprechende internationale Gesetzesverankerung zum Schutz der Arktis. unterstützen Sie uns dabei!

Die redaktion

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2012

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Foto-Essay Stahl für autoS – die produktion 40 zerStört BraSilienS regenwald

Schwerpunkt uMweltBildung 11 die grüne leBenSlinie 12

StrohhauS: alte technik 16 für zukunftSweiSendeS Bauen

forScher frank rühli: üBerleBen in 22 der uMwelt iSt keine frage von Stärke

alpSzenen: die natur wird zur 27theaterBühne

die natur prägt kunSt iM 32 öffentlichen rauM

uMweltBildung Bei greenpeace 34Reportage die gaSpläne der Schweizer 50 energiekonzerne in italien Gaskraft SchweizALS erSAtZ Für Akw keIne LÖSunG 57

Energie-EffizienzDIe InItIAtIVe kOMMt 59 MikroverschmutzungkLeInStteILe SchADen Den GewäSSern 61

In aktion 02Chefsache 10Die Karte 38Kampagnen-News 64In Kürze 69Öko-Rätsel 72

iMpreSSuM greenpeace MeMBer 3/2012herausgeberin/redaktionsadresse Greenpeace Schweiz, heinrichstrasse 147 postfach, 8031 Zürichtelefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99 [email protected], www.greenpeace.chAdressänderungen unter: [email protected]

Redaktionsteam: tanja keller (Leitung), Matthias wyssmann, hina Struever, roland Falk Autoren: Mathias Balzer, roland Falk, Bernadette Fülscher, Markus Gerber, Simon helbling, ruth Jahn, rolf Jucker, FranÇoise Minarro, thomas niederberger, kuno roth, Mathias Schlegel, rené worni Fotografen: rodrigo Balèia, Stephan Bösch, noé cauderay, Bernadette Fülscher, tabea hüberli, Marizilda Gruppe, thomas Schuppisser, rené worniGestaltung: hubertus DesignDruck: Stämpfli publikationen AG, Bernpapier umschlag und Inhalt: 100% recycling Druckauf lage: d 113  500, f 21  500Erscheinungsweise: viermal jährlichDas Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.—). es kann Meinungen ent halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace­ positionen übereinstimmen.

Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt.

Spenden: Postkonto 80-6222-8Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spendenSMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: GP 10 an 488)

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Frankreich, 2. Mai 2012 Mahnflug Ein Greenpeace-aktivist mit motorisiertem hängegleiter setzt eine Rauchmarke über der hochsicherheitszone des atomkraftwerks im französischen le Bugey und weist so auf jederzeit mögliche terroristische angriffe hin.

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Mauretanien, 5. März 2012 Grosskapital aktivisten befestigen Kopien von Euro-Banknoten am deutschen Supertrawler Maartje theadora vor Mauretanien und protestieren damit gegen die Verschleu-derung von EU-Steuergeldern, mit denen die Überfischung afrikanischer Gewässer finanziert wird.

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Mexiko, 22. März 2012 Schaumschlacht «Mexikanische Flüsse sind giftige Flüsse»: Unter dem Wasserfall von Juanacatlan fordern Greenpeace- aktivisten am Welt-Wassertag die Behörden zur Säuberung der Gewässer auf. Der Fluss Santiago zählt zu den kontaminiertesten des landes.

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© J e r e M y S u t t o n - h i B B e rt / g r e e n p e ac e

Japan, 16. april 2012 Volkszorn Vor dem Sitz der japanischen Präfektur Fukui fordern aktivisten den handels- und Industrieminister Yukio Edano auf, vom hochfahren zweier Reaktoren im aKW Oi abzusehen. Die anlagen gelten als unsicher und sind seit dem tsunami von 2011 stillgelegt.

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wenn dich etwas stört, dann tue selbst

etwas!wussten Sie, dass schweizweit bereits über 10 000 Jugendliche zusammen mit Green­peace Solardächer montiert haben? Dass junge Afrikaner mit der unterstützung von Green­peace lernen, Solarenergie zu produzieren? Dass unser Schulbesuchsprogramm pionier­charakter hat?

Viele Menschen sind bereit, etwas zum Schutz der umwelt und gegen unrecht zu tun – und Greenpeace bietet ihnen dabei unter­stützung. unser Ansatz: wir befähigen sie, selbst und zusammen mit anderen zu handeln.

Zum Beispiel Linus. Vor drei Jahren hat sich der 32­jährige umweltingenieur selb ständig gemacht. heute sind seine Solar­anlagen auf dem Markt gefragt. Die Be­geisterung für die Fotovoltaik hat Linus bei Greenpeace gepackt: Als Zivildienstleis­tender im umweltbildungsprogramm Jugend­solar baute er mit Jugendgruppen Solar­anlagen auf Dächern öffentlicher Gebäude.

Zum Beispiel Annemarie, 45 Jahre alt, Laborantin. Sie engagiert sich mit Leiden­schaft in der wiedererstarkten Anti­ Atom­Bewegung. während des Green peace­weiter­bildungsmoduls «teilchenbe schleuniger» wurden Annemarie nicht nur theorie und praxis von Bewegungen nähergebracht, sie traf auch ähnlich Gesinnte, und zusammen begaben sie sich auf die Suche nach neuen handlungsmöglichkeiten; so setzten sie den Impuls für den «Menschenstrom gegen Atom». Annemarie ist Mitorganisatorin der ersten Stunde.

Zum Beispiel Lars, 14­jähriger Schüler und passionierter Jungfotograf. Jährlich besuchen Greenpeace­Freiwillige etwa 100 Schulklassen, darunter auch die klasse von Lars. Die Schüler bringen das thema ein, das ihnen unter den nägeln brennt, und die Schulbesucher von Greenpeace vermitteln ihnen das werkzeug für konkrete hand­lungen – ganz nach dem Motto: «wenn dich etwas stört, dann tue selbst etwas!» was dann tatsächlich getan wird, bestimmen wiederum die Schüler. Lars’ klasse entschied sich, eine Ausstellung zu verschie denen

umweltthemen auf die Beine zu stellen. Dabei konnte Lars sein fotografisches talent ein­setzen und weiterentwickeln. heute ist er bei Greenpeace­Anlässen von Jugendgruppen des oft als Fotograf mit dabei.

Das umweltbildungsprogramm by Greenpeace ist weder ein nischenprodukt noch ein bildungsromantischer traum. Ganz im Gegenteil: ein ähnliches Bildungs­konzept wird unter dem titel «Bildung für nachhaltige entwicklung» demnächst ein­gang in die offiziellen Schullehrpläne finden. Die Schüler sollen unter anderem befähigt werden, sich mit ihrer Lebenssituation aus­einanderzusetzen und die Gestaltung ihrer umwelt selbst in die hand zu nehmen. kommt Ihnen das bekannt vor? uns auch!

es braucht Menschen, die handeln, die sich trauen, etwas unkonventionelles aus­zuprobieren und risiken einzugehen. Dies tat auch das Lausanner kollektiv «Straw d’la Bale», über dessen «wilde erfahrung» in die­sem Magazin berichtet wird – keine Green­peace­Initiative, aber durchaus in unserem Sinn. Die Strohhausbauer haben den kampf um ihr haus zwar verloren, doch haben sie damit ein Stück Stadtgeschichte geschrieben und neue ökologische Standards gesetzt.

Das Lausanner kollektiv «Straw d’la Bale» und viele Greenpeace­Aktivisten wis­sen, dass es möglich ist, mit Initiative, Mut und kollektivem handeln etwas zu bewirken. Die umweltbildung von Greenpeace mit ihrer kontinuierlichen Aufbauarbeit legt den Boden, auf dem gesellschaftliche Verände­rungen gedeihen können.

Verena Mühlberger und Markus Allemann,co­Geschäftsleitung

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Bildet uMweltWenn es um die Natur geht: Sind wir Menschen «Insider» oder «Outsider»? Sind wir teil von ihr oder haben wir uns losgelöst und uns ausserhalb von ihr oder gar über sie gestellt? Ist sie dem Menschen «untertan», wie es in der Bibel heisst? Freilich ist auch der König vom selben Stoff wie seine Untertanen.

Der Mensch als teil der Natur — welcher Umwelt-schützer würde dem nicht zustimmen! Gleichzeitig fordern paradoxerweise eben diese, dass der Mensch wie ein übergeordnetes Wesen die Natur schützt, die Erde rettet. als wäre sie das Kind und wir die Erzieher. Diesem Dilemma wollten wir in der Welt des Kon-kreten und tatsächlichen nachgehen, indem wir uns fragten: Während der Mensch die Umwelt bildet, bildet sie uns auch? Womit wir bei der «Umweltbildung» wären, einem Bereich, in dem Greenpeace sich als Pionierin versteht. Wir zeigen hier, warum. Noch mehr als das, was wir selbst tun, hat uns aber das interessiert, was sich ohne uns tut. Zum Beispiel wo durch die ökologische Wende neue Berufsbilder und Zusammenarbeitsformen entste-hen. Wo Umweltveränderungen zu Faktoren der Evolution werden. Wo Künstler im hochgebirge erleben, wie die Natur weit mehr auf sie wirkt, als sie selbst zu wirken ge-wohnt sind. Und vieles mehr entlang einer lebenslinie, die eine ökologische Entwicklung des Menschen simuliert. Wir «bilden» die Natur, sie bildet uns. Umwelt bildung heisst, den Mensch an jenen Punkt zu bringen, an dem er sich entscheiden kann, ob er Insider oder Outsider sein will.

[ S. 16 ]

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wie kleine Mondwesen konzentrieren sich die mit Schutznetz ausgerüsteten kinder auf Bienen an einem wabenrahmen.

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9–15Jungimkeranstachelndes

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Von Roland Falk — Im Graubündner Projekt «Flugschnaisa» werden Kinder mit der Biologie von honig-bienen und mit der Wichtigkeit der Imkerei vertraut gemacht.

Wie Mondmenschen wirken sie, gerade gelandet am Waldrand hinter dem Mineralwasser-Unter-nehmen von Rhäzüns. Etwa zwei Dutzend Kinder im Primarschulalter scharen sich um Gion Grischott, alle verpackt in weisse Jacken mit Netzkapuze. «Die Schutzkleidung hat sich bewährt, bis jetzt ist noch niemand gestochen worden», sagt Grischott, einer von sieben ehren amtlichen Instruktoren der «Flugschnaisa».

Seit 2010 steht dieser Begriff für ein Projekt, das die zwei Im-kervereine im Raum Chur ersonnen haben, um dem Nachwuchs den Umgang mit den Bienen bei zu-bring en. Das Interesse ist immens: Rund die hälfte der Personen, die in den ver gangenen zwei Jahren einen neuntägigen Kurs besucht haben, sind in ihrer Freizeit weiter-hin mit den Nutzinsekten beschäf-tigt. «Mehr heitlich sind es Mädchen, die sich bei uns melden», sagt Grischott.

Madleina, eine der Neugie-rigen, ist bereits eine kleine Exper-tin. Sie weiss, dass aus Südost-asien eingeschleppte Varroa-Milben zu den hauptschädlingen der nützlichen Summer zählen: «Die armen tierli werden von den Milben ausgesogen.» Den Bildtafeln an den Wänden der Kursbaracke hat sie zudem entnommen, dass es nebst den honigbienen weltweit noch 12 000 andere arten gibt. Und dass in einem einzigen heimischen Stock bis zu 50 000 Bienen leben. «Die Königin kann bis fünf Jahre alt werden und ist die ganze Zeit mit Eier legen beschäftigt», sagt Madleina.

Dario, einer ihrer Kollegen, hat ebenfalls gut aufgepasst im Kurs und seinen Wissensordner bienen-fleissig durch geackert. Er weiss aus dem Stegreif, wie ein Staat seiner lieblingsinsekten organisiert ist. «Bevor die tiere erstmals zum Nek-tarsammeln ausfliegen, haben sie im Stock vielfältige aufgaben, wie Waben bauen, Brut füttern oder den Eingang bewachen.» Winter-bienen, fügt er bei, würden bis sechs Monate alt, jene des Sommers aber höchstens drei Wochen, «denn die sind immer am Chrampfen».

Was die Kurskinder wissen, haben sie sich spielerisch erarbei-tet. «Wir sind kein Drill-Camp, in dem die Instruktoren Pflichtstoff durchpauken», sagt Urs Nutt, Ini tiator des Projekts «Flugschnaisa» und Präsident des Imkervereins Chur und Umgebung. «Die Kinder sollen anstösse bekommen, Ein-blick in ein spannendes Kapitel Natur und Freude an einer sinnvol-len Freizeitgestaltung.» Nutts Engagement ist in die Zukunft ge-richtet: «In der Deutschschweiz gibt es etwa 120 000 Bienenvölker und viele ältere Imker haben Mühe, jemanden zu finden, der sie als heger ihrer tiere ablösen kann.» Die Wichtigkeit der Bienen, geht den Kindern in Rhäzüns auf, ist gross: Immerhin hängt ein Drittel der Welt nahrung von ihrer Bestäu-bungsarbeit ab.

Rauch zieht plötzlich durch die Baracke. Oskar Casanova, ein sympathischer Opa-typ, macht sich an einem Bienenkasten zu schaf-fen und hält mit den Schwaden das Volk in Schach, das kürzlich ein-gefangen wurde. «Seine Königin ist auf dem Begattungsflug umge-kommen», erklärt er den Kindern, und deshalb gebe es keine Eier im Stock. Casanova hat kurz zuvor einem andern Volk die Regentin

weggenommen und bringt sie jetzt mit einem «Zusetzerchen», einem kleinen Behältnis, bei den fremden tieren ein. Das ist nicht ganz risi-kolos, denn «wenn sie nicht ak-zeptiert wird, wird sie totgestochen». Die Kinder atmen nach bangen Minuten auf. Die Versetzung ist geglückt. Zur Entspannung wird den Jung imkern ein prall mit honig gefüllter Wabenrahmen vorgesetzt, über den sie sich mit löffeln her-machen. «Besser als jeder Schleck-stengel», sagt Madleina und strahlt.Informationen erhalten Sie unter [email protected], oder www.flugschnaisa.ch.(Siehe auch Petition zum Schutz der Bienen, S. 65)

Jahre

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31Manuel heim,

Solarteur und Umweltingenieur

«Was wirklich zählt, sind Erfahrungen»

23aline Kana,

SolartrainierinSolarlicht

für Kamerun

Manuel heim ist 31 und arbeitet bei der Firma Soltop in Elgg in der Projektplanung und im technischen Support. Diesen Frühling hat er die Zusatzausbildung zum diplomier-ten Solarteur in Wattwil absolviert. «Eine gute Erfahrung», meint er, «vor allem der austausch mit Berufs-kollegen.» Ursprünglich hatte er landschaftsgärtner gelernt, später an der Fachhochschule Wädenswil Umweltingenieur studiert, mit Vertiefung in erneuerbaren Energi-en. Seither arbeitet er im Bereich Fotovoltaik.

Die Weiterbildung zum Solar-teur dauert sechs Monate und kann berufsbegleitend am Wochen-ende gemacht werden. «leider war der Kurs recht oberflächlich, es bräuchte mehr Zeit», findet heim, doch gelernt habe er trotzdem einiges. Der Sektor wandle sich schnell: «Immer wieder gibt es neue anforderungen von der Feuer-polizei, der Gebäudeversicherung oder sonst jemandem — aber oft fehlen einheitliche Bestimmun-gen.» Den Kurs fand er nützlich, um sich auf den neusten Stand zu bringen und «den Puls des Busi-ness zu spüren». Dem frisch diplo-mierten Solarteur fällt allerdings auf, dass die ausbildung noch nicht denselben Status geniesst wie in Deutschland. «Es wird eher belä-chelt — da hat einer ein paar Kürsli absolviert und meint, er sei jetzt ein Experte.» Was wirklich zähle, sei Erfahrung und dafür müsse man vor allem viele anlagen bauen, viel ausprobieren können. Eine kon se-quentere Förderung der erneu-erbaren Energien und klare Rahmen-bedingungen wären hilfreich. Manuel heim bleibt jedenfalls dran. Seine Motivation: «Etwas dazu beitragen, dass die Energiewende irgendwann geschafft wird.»

Seit 2009 organisiert der 43-jährige Neuenburger Ex-Unternehmer und aktivist lucien Willemin gratis Ver-anstaltungen zu den themen Desin-formation im Umweltbereich und Wichtigkeit der grauen Energie. Über 5500 Jugendliche und Erwachsene haben bisher seine Referate gehört.

Er sagt: «Die frühe berufliche Verantwortung, verschiedene Rei-sen und Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen haben mich geformt. Meine Erfahrungen und Erkenntnisse möchte ich jetzt teilen, insbesondere mit jungen Menschen, damit diese einen kriti-schen Geist entwickeln und In-formationen über die Umwelt bes-ser verarbeiten können. Gewisse tatsachen werden nämlich kaum wahrgenommen.

Zum Beispiel: Der Chauffeur eines alten 4x4 verschmutzt die Umwelt weniger als einer, der stets das neuste Modell fährt — sogar wenn es ein hybrid ist. Oder: Zu Fuss statt mit dem auto unterwegs sein reicht nicht. alles, was es uns er-laubt, die mit dem Konsum ver-bundene graue Energie zu vermin-dern, ist viel wichtiger.

Um diese Wahrheiten zu ver-stehen, muss man etwas über die globale Industrie wissen, die all die unnötigen Dinge herstellt, mit denen wir unsere Schränke vollstopfen. Wir müssen unseren lebensstil ändern, wenn wir aus unserer Sackgasse herausfinden wollen, denn mit technologie allein schaffen wir das nicht. Die Menschen sollten über ihr Ver-halten Rechenschaft ablegen. Es ist höchste Zeit, dass uns allen die augen für eine umfassende Sichtweise aufgehen. Dieser auf-gabe widme ich mich.»

lucien Willemin wurde 1968 in Saignelégier JU geboren. ab 1991

«Ich bin stolz, dass wir es geschafft haben — dass heute im Gesund-heitszentrum von Kouamb Medi ka-mente gelagert werden und die Kinder dank der neuen solaren lichtquelle abends ihre hausauf-gaben machen können», sagt aline Kana, die 23-jährige Kameru-nerin und Freiwillige im Projekt «Organisation et développement des communautés», kurz Klima-karawane.

aline hat Soziologie studiert und ist eine von zwanzig Personen, die im Rahmen der Klimakarawane zur Solartechnikerin und Community trainierin ausgebildet wurde. So hat sie eine beruf liche Perspektive gefunden. In den Dörfern des südöstlichen Kamerun zu arbeiten, ist schwierig. Doch an diesen Orten am Ende der Welt, ohne sauberes trinkwasser oder medizi-nische Erstversorgung, hat aline viel bewirkt: Mit ihrem team hat sie rund 250 Solartaschenlampen, 350 Solarlaternen, 160 Solarradios und 34 solare Festinstallationen verteilt.

Zu sehen, wie die Bevölkerung ihr lächeln wiederfindet, motiviert aline. Sie will dazu bei tragen, dass die Initiative Klimakarawane in ganz Kamerun ein Begriff wird.

Mehr zu aline und die Klimakarwane finden Sie unter www.greenpeace.ch/ klimakarawane

43lucien Willemin, Umwelt-Referent

«Jugendliche müssen einen kritischen Geist

entwickeln»

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war er Einkaufschef einer Uhren-firma. Vier Jahre später gründete er mit einem Partner eine Immobi-lien unternehmung. Innerhalb von 13 Jahren bauten die beiden über 600 Objekte und achteten dabei auf eine umweltfreundliche ausfüh-rung. Mit 40 Jahren trat Willemin vom Geschäft zurück und arbeitet seither für die Umwelt. Neben seiner Vortragstätigkeit gehört er der Raumplanungskommission der Stadt la Chaux-de-Fonds und der Energiekommission des Kantons Neuenburg an. Kulturell beteiligt er sich an Geschäfts-leitung und Stiftungsrat des thea-terverbunds «arc-en-scènes».

90B. Stricker, Umwelt- und Naturschützerin

Engagement für die Umwelt kennt keine

altersgrenzen

Jahre

Frau Stricker ist 90 Jahre alt. Seit sie denken kann, ist sie im Einsatz für den Schutz der Natur und der tiere. Die Zerstörung der Umwelt schmerzt sie, weshalb sie sich engagieren müsse, berichtet die rüstige Frau bei einem Interview mit Greenpeace.

Da sie sich in ihrem Umfeld aber etwas allein fühlt mit ihren Werten, beruhigt und bestärkt es sie, dass es Organisationen wie Greenpeace gibt, wo sich junge Menschen mutig einsetzen.

auch Frau Stricker nimmt bezüglich ihren ansichten kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sich für Schwächere oder gegen Ungerechtigkeiten einzu setzen. Mutig hat sie sich bereits mit Förs-tern, Jägern und Bauern angelegt. Nebenbei pflegt sie mit leiden-schaft ihren grossen Naturgarten, versucht, möglichst nachhaltig zu leben, und unterstützt Organisa-tionen, die ihrem Sinn entspre-chen. Die Natur gebe ihr viel zurück, sagt sie: Glück und Zufriedenheit.

Vor zwanzig Jahren haben sie und ihr Mann ein haus auf dem land gekauft, damit sie der Natur näher sein können. Im Winter kommen Milane und Bussarde. Igel, Fuchs und Dachs spazieren, samt Nachwuchs, an ihrem Wintergarten vorbei. Unzählige Vogelarten nis-ten in den Bäumen und Sträuchern und erfüllen den Garten mit Gezwitscher. Im herbst dürfen die Vögel auf ihrem Weg in den Süden den Kirschbaum und die Weinre-ben abernten. Das sei ein Geschenk, damit sie gestärkt weiterziehen können.

Der anblick ihres Gartens gibt ihr Kraft und hilft ihr, auch im hohen alter fit im Kopf und körperlich aktiv zu bleiben. Ihre tage seien ausge-füllt, sagt Frau Stricker, denn nebst

der Sorge für die tiere spriessen in ihrem grossen Naturgarten mit Bäumen und Wildblumenwiesen auch unzählige Pflanzen und Kräu-ter wie lavendel, Salbei, Mohn, thymian, lilien und Bougainvilleen, die gepflegt sein wollen. alles hat seinen Wert — auch die Brennnes-seln, aus denen sie sich täglich tee macht.

Frau Stricker hat eine kleine Naturoase geschaffen, in der alle arten von heimischen Wildtieren bis zu Käfern und Insekten Nahrung und Rückzugsmöglichkeiten finden. Umwelt- und Naturschutz fängt vor der eigenen haustür an.

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«entschuldigung, wo finde ich den Dienst für pärke und Landgüter?», frage ich eine ältere Dame aus dem Quartier. Langes nachdenken, dann fällt es ihr ein: «Ah, das ist doch dort, wo das Strohballenhaus steht!» Selten hat ein neues Amtshaus so viel Aufmerksamkeit geweckt wie dieses unscheinbare zweistöckige häuschen an der Avenue du chablais 46 namens ecO46, das diesen Juni eröffnet wurde. Das liegt vordergründig an seiner Bauweise aus auf­geschichteten Strohballen, doch dahinter steckt mehr. «Ich pfeife auf die Strohballen», meint die beteiligte Architektin elsa cauderay energisch: «es geht uns um ökolo­gisch angepasstes Bauen mit den jeweils besten lokalen Materialien.» Der hype um die Strohballen nervt sie: «wichtig ist das wie des Bauens, die Vision hinter der Bau­stelle, die Menschen, die sie ausmachen.»

Das haus hat eine Vorgeschichte, die seine popularität erklärt. Bis im Sommer 2007 war in der westschweiz die Möglich­keit, aus Strohballen ein passivhaus zu bauen, weitgehend unbekannt. Dann besetz­

Strohköpfe oder wie eine

Stadt ihre rohStoffe

lieBen lernte

Von Thomas Niederberger

ein ungewöhnliches Bau projekt der Stadt

Lausanne zeigt Möglichkeiten und

Grenzen einer partizi pativen

umwelt pädagogik

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Das beim Bau des Strohhauses gewonnene wissen wird einem geplanten Ökoquartier zugute kommen.

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Für die selbständigen handwerkerinnen ist der ungewöhnliche Bau eine herausforderung.

Die kenntnisse rund ums alte handwerk mit Lehm und Stroh mussten zuerst erarbeitet werden.

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te ein kollektiv namens «Straw d’la Bale» auf einem toten winkel hinter dem auto­nomen kulturzentrum espace autogéré ein Stück städtisches Land. Ohne Bewilligung baute «Straw d’la Bale» ein ökologisches Modellhaus, das zum Medienliebling wurde, weil es so wunderbar polarisierte. Die Stadtbehörden versuchten den Abbruch des illegalen Gebäudes zu rechtfertigen, dage­gen gab es Solidaritätsdemonstrationen, bis eine nie geklärte Brandstiftung dem haus nach wenigen Monaten ein brutales ende setzte. Diese «wilde erfahrung» (expéri­ence sauvage), wie es in einer Medienmittei­lung der Stadt heisst, führte zum Beschluss des Stadtparlaments, den Bau eines Stroh­ballenhauses erst zu prüfen und schliesslich zu finanzieren.

Ein Pilotprojekt mit pädagogischem Anspruch«Das raumklima ist sehr angenehm

und zum heizen reicht im winter ein kleiner holzofen.» Yann Jeannin, Bauingenieur und zuständiger Abteilungsleiter für SpA­DOM (Service des parcs et domaines), gefällt sein neues Büro. Im kleinen Sitzungs­zimmer im parterre liegt ein angenehm erdiger Geruch in der Luft. «unser Anspruch ist pädagogisch. wir wollten zeigen, dass es möglich ist, aus lokalen Materialien ein haus zu bauen, das fast keine energie braucht.» Die Grundstoffe, Lehm, Stroh und Buchenholz für die Balken, stammen von städtischen Bauernhöfen und wäldern, die SpADOM verwaltet. es sei nicht einfach gewesen, das hätten sie selbst lernen müs­sen, da handwerker und Firmen nicht mehr wüssten, wie mit diesen Materialien umzugehen sei. rotbuchenholz werde zum Beispiel fast nur noch als Brennholz verwendet, weil es schwierig zu bearbeiten sei. Für die Aussenwand aus Strohballen, die Lehmmauern im Innern und den Lehm­verputz wurden jeweils «partizipative Baustellen» eröffnet, bei denen handwer­ker in diesen techniken ausgebildet wurden. «es ist nicht einfach ein Marketing­projekt», hält Jeannin fest. «Die Stadt ver­waltung plant ein grosses Ökoquartier, da kann dieses wissen gebraucht werden.» Auch das Schulamt zeigt sich interessiert.

Die Bauweise wäre geeignet für Schulhäuser. Auch wenn noch keine nachfolgeprojekte geplant sind, wurde viel in die kommunika­tion investiert und die Idee breit gestreut. «Das ist der Vorteil an einem öffentlichen Gebäude – es wird weiterhin für Interessierte zugänglich sein, die sich selbst ein Bild ma­chen möchten.» Schon jetzt haben es rund tausend Menschen besucht.

wir schauen uns das haus von innen an: oben zwei klassische Büros und ein offener Arbeitsbereich, unten ein grosses Sitzungszimmer und eine Mitarbeiter­ cafeteria, daneben die typische Büroküche mit Mikrowellen herd und Alukapsel­ kaffeemaschine. eine Fotoausstellung doku­mentiert den Bau. Die holzmöbel wurden von handwerkern des Amts angefertigt. Das kompost­trocken­wc, subversives Meisterstück des Architekturkollektivs cArpe, wirkt noch unbenutzt.

Planen und Bauen im Kollektiv Sie sind das exakte Gegenteil eines

Architekten, der in Anzug und krawatte auf der Baustelle aufkreuzt und die Arbeiter herumkommandiert. Das cArpe (collectif d’architecture participative et écologique) hat keinen chef und möchte nicht befehlen. In den Aufgaben wechselt man sich ab, damit alle alles lernen. Jedes Mitglied arbei­tet auf dem Bau mit, vor allem dort, wo manuelle Arbeit gefragt ist, damit man den beteiligten handwerker die ungewohnten techniken kompetent zeigen kann. «Am wichtigsten ist für uns, wie die Baustelle organisiert ist», erklärt Julien hosta. er ge­hört zusammen mit elsa cauderay und zwei weiteren diplomierten Architekten zur kerngruppe des cArpe, die ecO46 geplant und umgesetzt hat. Mit grossen Firmen gehe das nicht, da würden sie oft nicht ernst genommen und seien gezwungen, «den chef zu markieren». Die selbständigen handwerker hingegen wüssten die angeneh­me Stimmung zu schätzen und würden die kompetenz der ungewöhnlichen Archi­tekten anerkennen. Die häuser gefallen. «wir möchten, dass die Leute auf der Bau­stelle miteinander reden und ihr wissen ohne konkurrenzdruck austauschen kön­nen», ergänzt cauderay.

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Einer, der genau deshalb auf der «partizipativen Baustelle» mitgemacht hat, ist der Architekt Ray Walter le Gautier: «Mit meiner Firma baue ich bereits bioener-getische Häuser. Mich interessierte, wie man eine partizipative Baustelle organisiert.» Das Resultat hat ihn überzeugt, bald will er die Erfahrung auf einer eigenen Baustelle anwenden. Anne-Claire Schwab-Nicollier erwähnt die gute Stimmung auf der Baustel-le. Die Architektin nahm sich extra frei, um beim Lehmverputz mitzuhelfen: «Ein schwe-res, aber sehr sinnliches Material.» Ob sie die Erfahrung konkret werde anwenden kön-nen, wisse sie nicht, aber sie sei sensibler geworden bei der Auswahl der Baustoffe. Die Gipserin und Malerin Myriam Serex konnte das Gelernte sofort einsetzen: «Es gibt eine grosse Nachfrage.» Den SPADOM-Mitar-beitern, die auf den «partizipativen Baustel-len» mithalfen, habe die Abwechslung gut getan, meint ihr Chef. Nur mit Journalisten reden sie ungern. Darum bleibt das Gerücht, sie seien mächtig stolz auf das Resultat, vorläufig unbestätigt.

Keine Ökologie ohne MenschenCArPE will seine Kenntnisse so breit

wie möglich streuen und macht seine Baustellen zu Lehrwerkstätten für alle Inter-essierten – auch für andere Architekten. Wird CArPE also bald nicht mehr gebraucht, weil so viele andere dasselbe können wie sie? «Das wird nicht passieren, im Gegen-teil», sagt Cauderay und winkt ab. Die Nach-frage nach ökologischen Einfamilienhäu-sern, vor allem solchen aus Stroh und Lehm, sei enorm. Andere Architekturbüros, die weniger Erfahrung haben damit, fragen jeweils bei CArPE um Rat. Nachdem sie 2009 und 2010 selbst zwei «partizipative Bau-stellen» für Einfamilienhäuser organisiert haben, haben sie allerdings keine Lust mehr: «Das war nützlich, um neue Techniken auszuprobieren, aber das Resultat interessiert uns nicht», meint Hosta. «Es gibt ein enor-mes Bedürfnis nach ökologischem Ablass-handel», stellt Cauderay fest. «Die Leute denken, wenn sie sich ein Strohballenhaus bauen lassen, seien sie fein raus, machen sich aber keine Gedanken darüber, wie sie nachher darin leben – es wird nicht begrif-

fen, dass es ohne das Soziale keine Ökologie geben kann.» Deshalb wollen sie nun ihre Ansichten niederschreiben, «damit die Leute, denen wir absagen, hoffentlich besser verstehen, warum», so Hosta.

Was Partizipation auch bedeuten kann, wissen Hosta und Cauderay von ihrer Arbeit in Haiti. Dort bilden sie lokale Archi-tekten und Ingenieure aus, damit diese im länd lichen Gebiet einfache Lehmhäuser bauen können. Die Technik ist dort seit je verbreitet, gilt aber als armselig. Man träumt von Häusern aus Zement, Modell Hollywood. Hier besteht die Herausforderung darin, durch kleine Veränderungen, wie zum Beispiel gerade Wände, eine neue Wertschätzung für die ökologisch angepasste Bauweise zu erlan-gen. Partizipation hingegen müsse nieman-dem erklärt werden, so Cauderay: «Wird ein Haus gebaut, hilft das ganze Dorf mit – die Gesellschaft funktioniert eben so.»

Wie eine Stadt lernteines hat Lausanne seit der provoka­

tion durch die Besetzung zu Beginn der Geschichte gelernt: Aus Stroh und anderen lokalen rohstoffen lassen sich wunder­bare häuser bauen, die energetisch beste resultate erzielen. trotzdem bleiben gemischte Gefühle. «Die Besetzung hat radi­kale Fragen aufgeworfen zum thema, wie wir unsere häuser gemeinsam bauen und bewohnen können.» elsa cauderay, die das illegale Modellhaus mehrmals besucht hat, findet es schade, dass nicht viel mehr als das Stroh davon geblieben ist. «Ab einem gewissen Moment gehen durch Anerkennung und Formalisierung die grundlegenden werte verloren», meint sie und verweist auf die konzessionen, die sie bei ecO46 machen mussten, um das Minergie­p-Label zu erhalten. Das habe viel gekostet, aber nichts gebracht, weil die Berechnungen nur für konventionelle häuser funktionieren. «Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob es wirklich um Ökologie geht oder nur ums Image.»

Umweltpädagogik durch ProvokationDie Geschichte des Lausanner Strohbal­

lenhauses kann als Analogie zur Ökobe­

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Das modern anmutende haus aus lokalen rohstoffen ist ein paradebeispiel für energetisch sinnvolles Bauen.

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wegung seit den 70er Jahren gelesen wer­den. Aus den «Ökospinnern» von damals sind pioniere von neuen Berufsbildern und Lehrmeister für die Zukunft geworden. Ihre Ideen wurden massentauglich und for­malisiert, verloren aber auch viel von ihrer radikalität – eine Geschichte, die sich im kleinen ständig wiederholt. und während sich die Bürolisten an der Avenue du chab­lais 46 noch ans kompost­trocken­wc gewöhnen, sind die unbekannten pioniere längst weitergezogen und auf der Suche nach der nächsten provokation.Die arbeit des CarPE ist thema eines Doku-mentarfilms von Gwennaël Bolomey und alexandre Morel mit dem Namen «le corps du métier» («anders bauen»). Die Filme-macher haben die «partizipative Baustelle» beim Strohballen-Einfami lienhaus ein Jahr lang mitverfolgt und zeichnen ein differenzier-tes, humorvolles Bild dieses baulichen abenteuers. www.lecorpsdumetier.com

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«die evolution Macht vor

deM MenSchen nicht halt»

Seit die Gattung Homo vor etwa zwei-einhalb Millionen Jahren auf der Welt-bühne erschienen ist, hat sich ihre Ge-stalt ständig weiterentwickelt. Auch unsere Art, Homo sapiens sapiens, die einzige übriggebliebene dieser evolutio-nären Linie, bleibt nicht stehen, son-dern erfindet sich quasi immer wieder neu. «Die Evolution macht vor dem Menschen nicht Halt», sagt Frank Rühli von der Universität Zürich, ein ausge-wiesener Fachmann für diese adaptiven Vorgänge beim Menschen. Wenn der Anatom und Mumienspezialist sich nicht gerade über die sterblichen Über-reste von Tutanchamun oder der Glet-schermumie Ötzi beugt, erforscht er, wie sich der Mensch entwickelt. Und an welche veränderten Umweltfaktoren er sich heute anpassen muss.

Greenpeace: Herr Rühli, lassen Sie uns in Gedanken eine Zeitreise machen – in eine afrikanische Savanne vor einigen hunderttau-send Jahren. In diese Szene katapul-tiert: Was würde uns Jetztmen-schen am meisten Mühe machen?

Frank Rühli: Ob wir den herausforderungen der damaligen umwelt gewachsen wären, ist zweifelhaft. wir würden wahrscheinlich krankheiten begegnen, denen unser Immunsystem nicht gewachsen ist. Ausrei­chend kalorien zu beschaffen, ist ein anderer heikler punkt: Als Sammler würde es uns an botanischem wissen mangeln, als Jäger an der Jagdtechnik. Vorteilhaft wäre wohl, dass wir vor unserer reise in die Vergangenheit ein halbes Jahr im kraftraum verbringen, um ausdauernd und stark genug zu sein für die paläolithische wildnis.

Beim Vergleich Frühmensch und heutiger Homo sapiens sapiens:

Welches sind die augenfälligsten Unterschiede?

wir sind vom knochenbau her oft graziler. Manche unserer Vorfahren waren robuster gebaut. Die Langknochen, die wirbelsäule, der Schädel: Die knochen waren oft dicker und stabiler. Auch Grösse und Gewicht des Menschen haben sich dramatisch verän­dert: Individuen früherer epochen waren meist kleiner als wir und wohl weniger übergewichtig.

In welchen Zeiträumen verändert sich der Mensch?

Die Daten von Stellungspflichtigen in der Schweiz zeigen, dass solche änderungen sehr schnell passieren können. In den letzten 130 Jahren sind die jungen Männer rund 16 cm grösser geworden. Von durch­schnittlich 163 cm auf 179 cm – das ist ein Zuwachs von zehn prozent.

Spielt hier bereits die Evolution und sind diese Veränderungen weitervererbbar an folgende Generationen?

Das sind Anpassungen an die umwelt, Veränderungen des phänotyps, also des Merkmals­ und erscheinungsbilds der Individuen. Langfristig kann sich somit aber auch das erbbild ändern, der soge­nannte Genotyp.

Erklären Sie bitte, wie sich der Mensch anpasst und verändert in der Evolution.

nicht nur die tier­ und die pflanzenwelt, auch der Mensch ist ständig umweltbedin­gungen ausgesetzt, die ihn über kurz oder lang verändern. unser körperbau, unsere physiologie, unser Immunsystem, unser Verhalten, all das ist ein produkt von Jahr­millionen dauernder umgestaltung und Anpassung an die äusseren Bedingungen. wichtige einflussgrössen sind etwa tem­peratur, Feuchtigkeit, Vulkanausbrüche, eiszeiten, vorhandene pflanzliche und tieri­sche ressourcen und der sogenannte «di­sease load», die krankheitsbelastungen. wir sind nachkommen von Menschen, die diese fortwährende Selektion überlebt haben. Dessen sind wir uns oft nicht bewusst. Zwei prozesse sind dabei wichtig: Mutation und Selektion. Durch kleine, spontane erbgutänderungen (Mutationen)

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können bestimmte Merkmale auftreten und häufiger vererbt werden. Die Selektion führt dazu, dass einige dieser Merkmale durch eine höhere überlebenswahrschein­lichkeit eher auftreten.

Welche Ziele verfolgt die evolutio-näre Medizin, in der Sie tätig sind?

Sie untersucht, wie sich der Mensch im Lauf der Geschichte verändert hat und wie er sich weiter anpasst. es interessiert uns, welche kräfte diese Adaptation beeinflus­sen, wie sich krankheiten verändern. Medi­ziner denken manchmal, wenn man einmal genügend Menschen vermessen und unter­sucht hat, bleibt über Jahrzehnte alles gleich. Das ist ein trugschluss.

Inwiefern?nehmen wir die knochen. Sie sind einfa­ches Gewebe. es kann knochenanbau oder ­abbau geben. nach einem halben Jahr Bettlägerigkeit oder wenn Astronauten sich im schwerelosen Zustand befinden, geht die knochendichte massiv zurück. Dieses unmittelbare Ansprechen des knochens zeigt sich eben auch auf evolutionärem niveau. wir haben zum Beispiel in eigenen untersuchungen gesehen, dass eine spe­zielle, meist symptomlose Form der ange­borenen wirbelsäulendeformation (Spina bifida occulta) in den letzten Jahrzehnten massiv zugenommen hat. Den Grund dafür kennen wir noch nicht. Dieser versteckten Form des offenen rückens scheint man auch mit Folsäuregaben nicht vorbeugen zu können, wie das bei der schwereren Form der Spina bifida der Fall ist. Irgendwann haben vermutlich fast alle Menschen eine Spina bifida occulta und die rückwärtigen wirbel­säulenteile S1 bis S5 sind offen. was be deuten solche neuerungen nun für eine Gesellschaft, für die behandelnden ärzte etc.? Die überlegungen der evolutionären Medizin haben hier durchaus auch eine klinische relevanz.

Kann man dieses Wissen umsetzen?

Bei der Spina bifida occulta handelt es sich wohl mehrheitlich um eine normvariante. es gibt aber auch krankheiten, die gehäuft mit dem versteckten offenen rücken vor­kommen. Die Frage ist nun, ob dieser trend stabil ist oder sich wieder ändert. und wie

man allenfalls risiken medizinisch abklären und Vorbeugemassnahmen treffen kann.

Wieso ist der Mensch eigentlich immer grösser geworden?

Das hat unter anderem mit immer kalorien­reicherer nahrung und guter medizinischer Versorgung zu tun. wohlgemerkt: Die Grösse nimmt nicht überall auf der welt zu. In der Schweiz sind die Menschen stark gewachsen in den letzten Jahren. Studien zeigen, dass das in der Südhemisphäre anders aussieht: Menschen in Australien oder in Afrika schiessen weniger in die höhe. warum das so ist, ist noch unklar. es sind mehrere einflussgrössen beteiligt. erwiesen ist unter anderem, dass psychischer Stress eine rolle spielt: Menschen, die in regimes leben, in denen sie unterdrückt werden, sind eher klein. erlangen sie politische Freiheit, wie etwa die schwarze Be völke rung Südafrikas mit dem ende der Apartheid, werden die Menschen durchschnittlich grös­ser. Das hat wohl nicht nur mit einem Anstieg des Lebensstandards, sondern auch mit psychischen Faktoren zu tun.

Die Körpergrösse könnte theoretisch endlos weitersteigen?

Der Mensch der Zukunft wird sicher keine drei Meter gross sein. Denn sonst gäbe es bereits jetzt «Ausreisser», also ein­zelne Menschen, die so gross werden. Derzeit flacht der Anstieg der körpergrösse auch wieder ab in der Schweiz: Seit etwa zwanzig Jahren ist ein plateau erreicht.

Gibt es auch beim Gewicht eine Abflachung?

Im unterschied zur Grösse nimmt das durch­schnittliche körpergewicht in der Schweiz wie auch in weiten teilen der restlichen welt nach wie vor zu. Der Anstieg flacht gemäss allerneuesten Daten immerhin etwas ab. Aber der Anteil der schwer adipösen Men­schen wächst weiter. Das Gewicht ist stärker von der umwelt abhängig als die Grösse. Die hauptfaktoren sind bekannt: ungünstige ernährung und mangelnde Bewegung.

Auch mangelnde Bildung spielt mit. Ja. hier zeigt sich übrigens ein interes­santer gesellschaftlicher wandel: Bis etwa zum ende des Zweiten weltkriegs waren Menschen, die viele kilos auf die waage

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brachten, vor allem unter Bessergestellten zu finden. Seit den 1950er Jahren ist es umgekehrt. Dicksein ist zu einem phäno­men von Menschen ohne höhere Bildung geworden. Besser Ausgebildete sind heute weniger dick. Das hat wohl mit ihrem Bewusstsein für gesunde ernährung zu tun – und wiederum mit Stress und chro ni­schen Belastungen. Beides ist in besser gestellten Schichten in der regel geringer.

Die Entwicklung des Menschen ist also nicht geradlinig oder sogar zielgerichtet. Das suggerieren aber zum Beispiel diese berühmten Grafiken, in denen der Mensch sich in einer Bildabfolge vom Vier-füssler zum Zweibeiner aufrich-tet, sein Fell abstreift, den Faustkeil ablegt und immer zivilisierter wird.

Analog zu den umweltbedingungen traten immer Schwankungen auf. In der Mensch­heitsgeschichte gab es deshalb schon früher Zeiten, in denen man ähnlich gross war wie heute. Jäger und Sammler in der Altstein­zeit waren zum Beispiel grösser als später Sesshafte. Das sind wellen.

Auch das Gehirn wurde im Lauf der Zeit mal grösser, mal kleiner?

Auch das, ja. es gibt hinweise darauf, dass die Gehirngrösse gar um zehn prozent ab­genommen hat in den letzten 30 000 Jahren.

Und mit dem Gehirn auch die Intelligenz?

nein. Der Zusammenhang zwischen Gehirn­volumen und Intelligenz ist nicht so ein­deutig. Sicher ist, dass sich auch unser Den­ken und unser Gedächtnis an die umwelt anpassen. prinzipiell vorstellbar wäre somit, dass unser Gehirn in einigen Jahrhun­derten besser dafür gerüstet ist, eine grosse Informationsfülle aus dem Internet zu verarbeiten, und dafür vielleicht weniger gut Gedichte auswendig lernen kann.

Der Mensch hat keine natürlichen Feinde mehr, er schirmt sich – zumindest in den hoch entwickel-ten Ländern im Norden – vor Wind und Wetter ab, und Krank-heits erreger werden von der modernen Medizin in Schach gehal-ten. Was ist heute die treibende selektive Kraft?

es wirken eindeutig weniger starke umwelt­einflüsse auf uns ein. Durch die Indust­rialisierung und die zunehmende Globalisie­rung fällt viel Selektionsdruck weg. Der Druck der natur, wonach Individuen, die schlechter an die umwelt angepasst sind, ausscheiden und die am besten Angepassten quasi ausgewählt werden, weil sie sich vermehren können, hat abgenommen. In der evolutionären Medizin sprechen manche Forscher deshalb auch von einer «entspan­nung der natürlichen Selektion».

Wie zeigt sich diese Lockerung des Selektionsdrucks?

ein gut funktionierendes Gesundheits­system kann den Selektionsdruck in Bezug auf die Anfälligkeit für bestimmte krank­heiten abfedern. Oder denken Sie an die In­vitro­Fertilisation: Sie macht es möglich, dass Menschen, die vor einigen Jahrzehn­ten keine kinder haben konnten, nun eltern werden können, was sehr wertvoll ist für die Betroffenen.

Ketzerisch gefragt: Züchtet eine Gesellschaft, in der die natürliche Auslese nicht mehr funktioniert, sich mehr und mehr Mängel an, wie etwa Kurzsichtigkeit?

ein hochgradig kurzsichtiger hätte früher vielleicht den Säbelzahntiger nicht gesehen und wäre gefressen worden. Aber er hat vielleicht einen anderen Vorteil. was sind also Mängel? Den perfekten Menschen gibt es nicht. Jede Adaptation hat ihren preis. Der Mensch ist immer ein biologischer kom­promiss in Bezug auf verschiedene um­weltbedingungen und Ansprüche an ihn.

Hilft die Entspannung der na-türlichen Auslese dem Menschen, im Stammbaum des Lebens zu verbleiben? Oder schmälert das langfristig unsere Chancen?

Ich sehe vor allem den Vorteil, dass die genetische Variabilität des Menschen nicht ab­, sondern eher zunimmt bei kleinem Selektionsdruck. Bei hohem Selektionsdruck dagegen nimmt die Vielfalt ab. haben Menschen zum Beispiel einen überlebens­vorteil, wenn sie schnell rennen, und ster­ben die Langsamen aus, weil sie gefressen werden, wird es nach ein paar Genera­tionen unter umständen nur noch schnelle

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Frank Rühli (geb. 1971) ist Anatom und Mumienforscher. er leitet das von ihm gegründete Zentrum für evolutionäre Medizin, das zum Anatomischen Institut der universität Zürich gehört. Seine Forschungsschwerpunkte sind die entwicklung des Menschen über ver­schiedene Zeiträume sowie die evolution der menschlichen krankheiten. politisch enga­giert sich der wissenschaftler u.a. im Vorstand der FDp der Stadt Zürich.

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Läufer geben. Man spricht von einem genetischen Flaschenhals. wenn der Druck aber wegfällt, weitet sich das geneti­sche Spektrum: es wird weiterhin schnelle und langsamere Läufer geben. Diese Varia bilität wird besonders dann wichtig, wenn sich neue umweltbedingungen ergeben, in denen die Langsameren im Vor­teil sind, weil sie andere, begleitende Merkmale haben, die nun zum Zug kommen. wenn es dann keine Langsameren mehr gibt, stirbt der Mensch unter umständen ganz aus.

Trotzdem gleichen sich die verschiedenen Ethnien durch die Globalisierung heute mehr und mehr an. Die Erde ist ein globales Dorf und die Lebensbedingungen in Zürich, New York, Mexico City und Mumbai unterscheiden sich immer weniger.

Die ethnische Annäherung verläuft oft parallel zur Verwestlichung des Lebensstils. und sie ist teilweise gut sichtbar: Früher konnten Sie auf einen Blick sagen, ob jemand aus dem Glarnerland oder aus dem tessin kommt. heute fällt uns das schwerer. Men­schen migrieren weltweit, wachsen an Or­ten auf und verbringen dann aber den rest ihres Lebens irgendwo anders, wo andere umweltbedingungen herrschen, eltern wandern aus anderen kontinenten ein und die kinder sind dann völlig assimiliert am neuen Ort. Die unterschiede passen sich so langfristig an.

Man stellt aber zunächst auch Gesundheitsprobleme bei indigenen Völkern fest, die relativ plötzlich dem westlichen Lebensstil ausgesetzt sind.

trotz zumindest teilweise schrumpfendem Selektionsdruck kann der Druck auf den einzelnen in der tat wachsen. Dann zeigen sich die Grenzen der Adaptationsfähigkeit des Menschen. Die ursprüngliche Bevölke­rung nordamerikas und die Aborigines in Australien etwa haben mit übergewicht und Diabetes typ II zu kämpfen, denn neben Faktoren wie der ökonomischen und der sozialen Schlechterstellung oder Ausgrenzung ist ihr körper, ihre physiologie nicht – oder noch nicht – gemacht für den

wechsel zu einem westlichen Lebensstil mit übermässiger kalorischer ernährung.

Der Steinzeitkörper in einer modernen Welt ...

Diese Vereinfachung mag ich gar nicht. So einfach ist Biologie nicht: wir haben ja nicht direkt rückenweh, weil unsere Vorfahren auf vier Beinen gingen. wir haben ein erbe, aber wir entwickeln uns auch. Die evolution schreitet in jedem Fall voran. und der Mensch verändert sich weiter.

Luftschadstoffe, verseuchte Böden, die schwindende Ozonschicht, atomare Katastrophen, die Klima-erwärmung oder die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Sind das vielleicht die neuen Selektionsfaktoren der Evo-lution?

Das ist schwierig zu sagen – und wahrschein­lich noch zu früh. Denn bis ein einfluss­faktor nachweisbar wird, braucht es Zeit und eine gewisse Ausbreitung.

Welche körperlichen Anpassun-gen beim Homo sapiens sapiens werden zukünftig gefragt sein?

Spontan in den Sinn kommen mir Anpas­sungen des Immunsystems, wie etwa höhe­re resistenz gegenüber hIV oder ähnli­ches. wünschenswert wäre wohl auch eine konstitution, die uns nicht allzu dick wer­den lässt. Auch dass unser körper generell Schadstoffe und Strahlen besser «ver­dauen» könnte, wäre praktisch.

Welche Entwicklungen würden Sie sich auf der Verhaltensebene wünschen?

eine grosse potenzielle Gefahr sind neu artige und leicht übertragbare krank­heitserreger, die unser Immunsystem austricksen – nicht zuletzt aufgrund der welt­umspannenden Mobilität. hier sind Vor­sichtsmassnahmen und notfallpläne nötig. und: ein teil der Menschheit lebt über seine Verhältnisse, verbraucht zu viele res­sourcen. wir schonen unsere Lebensgrund­lagen nicht rigoros genug. Das hat zum teil mit der wachsenden Zahl von Menschen und Bedürfnissen zu tun. hier sind vielfäl­tige technologische und organisa torische Lösungen gefragt. Das Interview führte Ruth Jahn, Pressebüro Index

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weltBühne naturDas Zusammenleben mit der Natur ist eines der grossen

gesellschaftlichen Themen. Das schlägt sich auch in der Kunst, im Theater, in der Literatur nieder. Die Auseinandersetzung mit ihr

und mit den Wünschen und Sehnsüchten, die wir mit ihr verbinden, beschäftigt eine ganze Generation Künstler. Ein spektakuläres

Projekt wurde diesen Sommer auf der Alp Stierva in Graubünden verwirklicht. «Mountain Glory – das vergessene Alpeninstitut»

heisst die Theaterperformance um das Werk von Jean-Jacques Rousseau, welches Künstler und Künstlerinnen aus England, Holland,

Island, Deutschland und der Schweiz auf über 2200 m ü.M. realisierten. Der Regisseur Markus Gerber, der Dramaturg Simon Helbling

und der Produzent Mathias Balzer haben für uns noch während der Proben ihre Sicht auf die Theaterarbeit in der Natur beschrieben.

Essay von Mathias Balzer, Markus Gerber und Simon Helbling

es ist, als sei das Lebensgefühl der romantik wieder wach geworden. Schriftsteller wie Franz hohler begeben sich in die Zwischenräume von natur und Zivilisation, um der welt näherzukommen. Bildende künstler zeigen ihre werke in parks oder auf Skulpturenwegen und schaffen auf unterschiedlichste weise Zugänge zum Mythos und Lebens raum natur. Sie kreieren neue Abbilder, ahmen prozesse der Biologie nach, thematisieren die Bewirtschaftung des naturraums und gehen als nachfolger der Land­Art­Bewegten von 1979 direkt in die natur, wo sie werke mit vergänglichem charakter hinterlassen. Auch im theater ist die Sehnsucht, sich der natur wieder anzunähern, derzeit omnipräsent. nicht in den grossen häusern, aber in der freien Szene. Mobil und ungebunden führt sie das publikum hinaus aus den muffigen theatersälen, hinein ins naherlebnis mit realität und natur.

Bereits die ältesten kunstwerke der Menschheit, die höhlen­malereien, zeugen von der Auseinandersetzung mit dem Lebensraum unseres planeten. In der Moderne kann man stellvertretend für andere zwei überväter der Bewegung erkennen, deren werk auch heute noch in zahlreichen theaterproduktionen aufgegriffen wird. Der eine ist henry David thoreau mit seinem Buch «walden oder Leben in den wäldern», das seinen zweijährigen Aufenthalt in einer selbst gezimmerten hütte 1854 in den wäldern von Massachusetts beschreibt. knapp hundert Jahre vor dem Amerikaner hatte der Genfer Gelehrte Jean­Jacques rousseau mit seinem Buch «emile oder über die erziehung» den naturboom im europäischen tourismus ausgelöst. 300 Jahre nach der Geburt des umstrittenen philosophen

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proben in der freien natur. Die theatergruppe von «Mountain Glory».

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verbringt das ensemble von «Mountain Glory» einen Alpsommer in Graubünden und widmet sich seinem werk. Der Dramaturg der produktion, Simon helbling, schreibt zur Auseinandersetzung mit rousseaus werk:

«Die erste Frage, die sich stellt, wenn man so explizit in der natur arbeiten will wie Markus Gerber und die performer von ‹Mountain Glory›, lautet: was ist natur? Die Bedeutung des Begriffs schwankt zwischen zwei extremen polen: einerseits steht die natur als das absolut von Menschen unberührte und sich selbst regulierende Öko­system da. Andererseits gilt die haltung, dass der Mensch ein teil der natur sei, dass alles, auch die menschlichen eingriffe in die natur, zur natur zu zählen seien.

Jean­Jacques rousseau brachte einen weiteren naturzugang in die Diskussion, nämlich den moralischen Standpunkt. So formuliert er in seinem Buch ‹emile oder über die erziehung› die these: ‹Alles ist gut, wenn es aus den händen des Schöpfers hervorgeht; alles entartet unter den händen des Menschen. er zwingt ein Land, die produkte eines andern hervorzubringen, einen Baum, die Früchte eines andern zu tragen; er vermischt und vermengt die klimata, die elemente, die Jahreszeiten; er verstümmelt seinen hund, sein pferd, seinen Sklaven; er stürzt alles um, er verunstaltet alles; er liebt das unförmliche, die Missgestalten; nichts will er so, wie es die natur gebildet hat, nicht einmal den Menschen; man muss ihn wie ein Schulpferd für ihn abrichten; man muss ihn wie einen Baum seines Gartens nach der Mode des tages biegen.›

rousseau zeichnet die natur als eine nicht­kultur und die errungenschaften des Menschen als tendenziell negativ. Das natür­liche belegt er deswegen als gut und moralisch richtig, da es eben von der natur kommt.»

Überraschungen wie Kälbergeburten und AutopannenSo weit zum naturphilosophischen rucksack, den die theater macher auf die Alp mitnahmen. Anfang Juni, nach drei kalten wochen auf der grösstenteils noch schneebedeckten Alp, schrieb regisseur Markus Gerber in einem e-Mail: «Ich gebe es gleich zu: Mit der theater­performance ‹Mountain Glory› erfülle ich mir auch private wünsche. Ich verbringe Frühjahr und Sommer zusammen mit inspirierenden Schauspielern aus ganz europa auf der wunderschönen Alp Stierva im kanton Graubünden und werde dafür, wenn auch nicht gerade fürstlich, so doch bezahlt. weit entfernt von dunklen und überhitzten theaterräumen bin ich drei Monate lang wind und wetter aus­gesetzt, jeder einzelne tag wird überraschungen bringen: Schnee, kälbergeburten, Autopannen, mystische nebelstimmungen, Verletzungen.

natürlich ist dies nicht mein hauptgrund, theater in der natur zu machen. Mit meinen projekten will ich die Zuschauer herausfordern.

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Ich will, dass sie mit aktuellen gesellschaftsrelevanten themen und Fragen konfrontiert werden, dass sie die Möglichkeit haben, durch meine Sichtweise anders auf die welt zu schauen, als sie es bisher getan haben. Mein Interesse ist, den Zuschauer so weit als möglich zu einem mitprägenden teil der Aufführung zu machen. er soll nicht nur gemütlich im dunklen und anonymen Bühnenraum sitzen, son­dern, was ja schliesslich der Grundsatz von theater ist, in wirkliche kommunikation mit den Schauspielern, mit dem Geschehen, mit dem Ort treten, wo er sich befindet.

unsere performance behandelt die Frage, was der natürliche und richtige Mensch, die gute und gesunde Gesellschaft sein könnten. eine Gesellschaft, die es schafft, die ‹innere natur› des Menschen mit der äusseren, in der er lebt, in einklang zu bringen. um so eine grosse und existenzielle Frage überhaupt bearbeiten zu können, gibt es aus meiner Sicht nur eine Möglichkeit: wir künstler können nur mit einer total subjektiven und individuellen herangehensweise Antworten auf diese Frage finden – wir müssen uns dem Inhalt mit haut und haar ausliefern. So leben unsere performer und ich ab Mitte Mai 2012 auf 2200 m ü.M. in alten Ställen, spartanischen hirtenhütten und selbst gebauten Verschlägen. Durch das alltägliche Leben und die oft schweisstreibende Arbeit in der natur­ und kulturlandschaft der Alp befinden wir uns tagtäglich mitten im thema, das wir erforschen und bearbeiten. wir sind ein teil davon. tagtäglich stecken wir in widersprüchen. ein ebenso profanes wie sprechendes Beispiel: Gestern gerieten wir auf dem heimweg von unserer Arbeit in ‹Ame­rika›, dem felsigen teil der Alp, in eine nebelbank und hatten innerhalb von wenigen Sekunden keine Ahnung mehr, wo wir uns be­fanden. Augenblicklich wurde uns bewusst, was für eine Macht die wilde und ursprüngliche natur über uns Menschen hat. Dank unseren Mobiltelefonen, auf die wir auch nach drei wochen in den Bergen immer noch nicht verzichten konnten, waren wir aber jederzeit auf der sicheren Seite und hätten, falls nötig, hilfe anfordern können. Diese erfahrung liess uns auf einfache und konkrete Art und weise hinter­fragen, ob ‹wilde› und ‹ursprüngliche› natur denn überhaupt noch existiert; oder ob sie nicht vielleicht schon längst nur noch eine Imagi­nation ist, ein romantisches Bild, welches massgeblich von der wirtschaft, beispielsweise dem tourismus und den Outdoorbeklei­dungs­herstellern, gefüttert und aufgebaut wird, um damit Geld zu generieren.»

Die Natur ist eine unkontrollierbare «Mitspielerin»

es sind also vor allem widersprüche, die sich zeigen, wenn künstler, ihres Zeichens eine Art moralische Instanz der kulturgesellschaft, sich der natur annähern. was aber könnte der Gewinn sein, wenn

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nicht Bürgertempel und theaterhäuser Ort des Bühnengeschehens sind, sondern die weiden und Fluren einer Alp? Dazu nochmals Simon helbling:

«Gerade in unserer Gegenwart stellt sich nicht so sehr die Frage, was die natur für uns sein kann, sondern viel drängender diejenige, wie unsere Zivilisation die natur schützen und bewahren kann. entscheidet sich eine theatergruppe, in der freien natur zu inszenie­ren, so kann sie entweder die natur als einzigartigen Schauplatz nutzen, wie es zahlreiche Freilichtspiele und heimatmusicals derzeit tun. Oder die künstler können die natur selbst als Mitspielerin zulas­sen, wie ‹Mountain Glory› es versucht. Da wird keine Bühne fernab der Zivilisation errichtet, sondern eine ganze Landschaft bespielt und somit auch als Mitspielerin zugelassen. theater ist wie jede andere kunstform nicht dazu da, Lehren oder tatsachen zu vermitteln, son­dern Fragen aufzuwerfen im einzelnen Zuschauer. Mit der natur als unkontrollierbarer und eigenständiger Mitspielerin wird die Frage nach dem naturbegriff besonders drängend. warum macht sich ein Zuschauer auf den langen weg in die Bündner Alpen, um theater zu sehen? welche erwartungshaltung an die natur trägt er mit sich? kann es sein, dass wir in unserer Zeit ein Bild der natur in uns tragen, das demjenigen rousseaus ähnlich ist? projizieren wir in die Land­schaft vor allem das, was nicht in unserem Alltag und in unserer Zivili­sation enthalten ist?

Das Theater führt auf Kernfragen zurückAn diesem punkt kann das theater die Auseinandersetzung mit der natur konkret erfahrbar machen: kommt unser ehrliches Bedürfnis nach einer intakten natur aus dem respekt vor der natur selbst? Oder sehnen wir uns nach wiedergutmachung derjenigen Verletzun­gen, die unsere Zivilisation der natur – und dem verbleibenden natürlichen empfinden in uns – zugefügt hat? es kann nicht die Auf­gabe des theaters sein, Fakten über kultur und natur zu präsentie­ren, dafür gibt es genügend fundiertes Material an anderen Orten zu finden. Das theater hat viel ergreifendere Möglichkeiten, sich mit den Fragen der persönlichen Beziehung zur natur auseinanderzuset­zen und den einzelnen Zuschauer auf die kernfrage zurückführen: was ist für mich natur?»Im Januar 2013 werden die Theatermacher von «Mountain Glory» zwei Schweizer Theaterhäuser besuchen, das dortige Publikum mit den Erkenntnissen ihrer Naturrecherche konfrontieren und – so viel Theater muss sein – sicher auch unterhalten. Mehr Informationen zum Projekt und zu weiteren Gastspielen unter: www.mountainglory.ch, www.gessnerallee.ch, www.theaterchur.ch.

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ManifeSte Mit groSSeM

potenzial Von Bernadette Fülscher

künstler reagieren auf Veränderungen der

natur und prägen den öffentlichen raum

mit spannenden werken.

kunstwerke im öffentlichen raum richten sich an die breite Öffentlichkeit. unkon­ventionell und mit begrenztem Aufwand können sie ihr umweltthemen näher­bringen. wie einfach geschieht das? und ist die «umwelt» bei kunst im Aussenraum überhaupt präsent?

Der Vorteil der kunst, mehr bildhaft denn sprachlich zu kommunizieren, ist hier zugleich ihr nachteil. komplexe Sach­verhalte müssen diskursiv erklärt werden, während wandbilder, Skulpturen und Installationen etwas abbilden, zum Aus­druck bringen, erfahrbar machen. Dabei erfährt das publikum keine Fakten, sondern wird mit Bildern und räumen konfrontiert, die zum Denken anregen und bestenfalls zum handeln – vorausgesetzt, der Betrachter erkennt das werk als solches, kann es «lesen» und sich darauf einlassen.

Beispiele in Zürich zeigen, wie kunst auf umweltthemen reagiert. Bis weit ins 20. Jahrhundert sind in der Stadt etliche Dar­stellungen von tieren, pflanzen und Landschaften entstanden [abb. 1 ]. Viele ver­wiesen auf den damals wachsenden unterschied zwischen Stadt und Land und verklärten die natur als heile welt im Gegensatz zum harten Alltag. Mit einer tier­figur im park konnte die Idylle für Momente in die städtische realität geholt werden.

um aus solchen werken einen Bezug zur umwelt abzuleiten, müssen Betrachter den historischen und kulturellen kontext kennen. Anders bei vielen Arbeiten der letz­

ten Jahrzehnte: Anstelle bildhafter Dar­stellungen sind seit dem späten 20. Jahrhun­dert vermehrt abstrakte werke und räumliche Installationen entstanden. erste­re behandeln die umwelt auch als ästhe­tischen Gegenstand, während die Installa­tionen die umwelt selbst produzieren und verändern; dabei konfrontieren sie den Betrachter mit seinem Verhältnis zur natur [abb. 2]. Im Mittelpunkt jüngerer werke steht die wahrnehmung der Landschaft und anderer Situationen unserer Lebenswelt. Die Inhalte sind meist codiert und der brei­ten Bevölkerung schwer zugänglich.

wenn ein solches werk eine passantin schmunzeln lässt, folgt daraus noch keine Veränderung ihres handelns. Dies hat mit­unter politische Gründe. Öffentlich plat­zierte kunstwerke finden besondere Beob­achtung und stehen oft im kreuzfeuer der kritik. In der basisdemokratischen Schweiz konnten Auftraggeber von kunstwerken selten mutige entscheidungen gegenüber dem Volk vertreten, weshalb gesellschafts­politisch wenig provokative werke im öffentlichen raum die Mehrheit bilden. wir sollten erwartungen an frei zugängliche kunst also nicht höher setzen als jene an andere Manifestationen im Aussenraum. Das potenzial von kunstwerken, Bezüge zur umwelt zu schaffen und etwas in Frage zu stellen, ist dennoch ernst zu nehmen.Bernadette Fülscher: Die Kunst im öffent-lichen Raum der Stadt Zürich: 1300 Werke — eine Bestandesaufnahme (2012). 416 S., 1400 Farbabbildungen, ChF 44.— ISBN 978-3-0340-1084-9.Zu bestellen über den Buchhandel oder beim Chronos Verlag, Eisengasse 9, 8008 Zürich, [email protected].

Bernadette Fülscher hat architektur und Kunstgeschichte studiert und über Szeno-grafie an der landesausstellung Expo.02 promoviert. Sie schreibt und forscht freibe-ruflich über die Entwicklung von Kunst und Kultur seit dem 19. Jahr hundert. Während fünf Jahren inventarisierte sie die Kunst-werke im öffentlichen Raum der Stadt Zürich.

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abb. 1 — Drei Flamingos, 1935 von estrid christensen (1884–1968) geschaffen, seit 1951 im Belvoir­park in Zürich enge.

Drei realistisch wirkende Flamingos stehen in einem teich im Zürcher Belvoirpark. Sie ver­mitteln den eindruck einer idylli­schen natursituation mitten in der Stadt.

abb. 2 — «Polonäse», 2005 von erik Steinbrecher (*1963) für die wohnsiedlung heumatt in Zürich Seebach konzipiert.

ein künstlicher hügel auf einer Spielwiese ist von einem holzzaun umgeben, um das «reich» der kinder zu markieren. Der Zaun nimmt Bezug auf die heute typische, billige Fertigarchi­tektur: industriell produzierte Massenware, normiert und welt­weit im Baumarkt käuflich.

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Essay von Rolf Jucker

«Wer begriffen hat und nicht handelt, hat nicht begriffen.» Bruno Manser

Blickt man kritisch auf die Geschichte und die errungenschaften von umweltbildung und Bildung für nachhaltige entwicklung, wirkt das Lesen von Ökoklassikern aus den 70er Jahren ernüchternd. «Die Gren­zen des wachstums» des club of rome (1972), «Small is beautiful» von e.F. Schumacher (1973) oder die Schriften von Ivan Illich und rudolf Bahro zeigen: Die probleme der fehlenden nachhaltigkeit sind bedingt durch werthaltungen, wirtschaftsstrukturen und gesellschaft­liche Muster, die sich seit der industriellen revolution durchgesetzt haben. Da sie auf Ausbeutung beruhen, sind sie mit einem langfristig würdigen Leben aller Lebewesen nicht vereinbar. was seit den 70ern klar ist, bestätigt jede seriöse neue Studie, wie etwa das «Millenium ecosystem Assessment» (2005) oder der aktuelle «Living planet report» (2012): Ohne den umgang mit der Mit­ und umwelt grundsätz­lich zu ändern, ist nachhaltigkeit nicht möglich. Das gilt auch für die Bildung, denn sie ist ein zentraler Baustein weltweit, der mithilft, nicht nachhaltige Gesellschaften und wertsysteme zu reproduzieren.

Daraus ergeben sich vier Heraus for derungen für die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE).

It’s the economy, stupid – Solange unser wirtschaftssystem als zentrale triebkraft unserer Gesellschaften auf wachstum setzt – zudem meist undifferenziert –, bleibt Bne wirkungslos.Nachhaltigkeits verständnis – wie die unesco im rahmen der un-Bne­Dekade feststellt, «kann es auf einem zerstörten planeten weder soziale noch wirtschaftliche entwicklung geben», weil die Gesetze und die Grenzen der Biosphäre alle abhängigen Subsysteme bestimmen. Eine veränderte Gesellschaft verändert ihre Bildung, nicht umgekehrt – Die Idee, dass wir probleme der fehlenden nachhaltigkeit lösen können, indem wir sie an unsere kinder delegieren und erwarten, dass sie – bestens Bne­gebildet – zustande bringen, was uns misslingt, ist mora­lisch bedenklich und zeigt ein problematisches Funktionsverständnis von Bildung in unseren Gesellschaften. Bildung ist vor allem ein Instru­ment der Gesellschaft, um sich in werthaltungen und weltsichten zu reproduzieren. über Bildung den paradigmenwechsel erreichen zu wollen, heisst das pferd am Schwanz aufzäumen. Schulbildung kann keine Gesellschaft verändern. wenn diese sich aber in ihrem handeln verändert und nachhaltig werden sollte, wird die Bildung dieser Gesellschaft dies ab bilden. Die Schule bestimmt die Bildung nur beschränkt: Die realität unseres Systems, Medien, elternhaus und Gruppendruck sind als «Schattenerzieher» viel effektiver.Handlung statt Bewusstsein – nebst umweltbildungsaktivitäten wird Zentrales meist vergessen: Die wirkung von umweltbildung misst sich nicht an der Zahl guter Lehrmittel, an Lernangeboten, prominenz im

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Full­reuenthal, AG, 27. Juni 2012: In Sichtweite das Akw Leibstadt installiert «Jugendsolar by Greenpeace» zusammen mit tessiner Jugendlichen vom wwF eine photovoltaikanlage.

Lehrplan oder an finanziellen Mitteln. Sie zeigt sich nur darin, ob wir als Berufstätige, Bürger und Familienmitglieder nachhaltig handeln oder nicht.

Wenn wir auf diese Herausfor derungen reagieren wollen, bieten sich drei Zugänge an

Langfristige soziale Lernprozesse in Gang setzen – Lernen mit nach­haltiger wirkung passiert in Gruppen, in denen Beteiligte gegenseitig Verantwortung übernehmen. wir müssen solche Lerngruppen aufbauen; mit Leuten, die Veränderung handelnd und nicht nur in Absichtserklärungen vorantreiben.Öffnen des Blicks – wir brauchen funktionierende Lösungen. Die finden wir meist ausserhalb des Bildungssystems. nutzen wir sie, denn dadurch verknüpfen wir Lernen und Bildung enger mit dem handeln.Übergeordnete Ziele im Blick behalten – Aktuelle Strukturen beein­flussen unser Denken und handeln so, dass wir uns schwer von ihnen lösen und das überge ordnete Ziel eines ökologisch nachhaltigen Lebens kaum im Blick behalten können. Deshalb müssen wir erlebnis­räume schaffen, in denen wir dem Ziel mit kopf, herz und hand näherkommen.Greenpeace hat längst erkannt, dass man nur übers Handeln Verän-derung gestalten kann. Ein wunderbares, mit über 10 000 Jugendlichen erprobtes Beispiel ist das Projekt Jugendsolar, das unsere solare Zukunft konsequent in der Gegenwart baut.

Rolf Jucker ist Geschäftsleiter der Stiftung Umweltbildung Schweiz (SUB) www.umweltbildung.ch

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Die Maturaarbeit ist für jährlich 20 000 Jugendliche die erste gros se arbeit, bei der sie sich über längere Zeit intensiv mit einem thema befassen. Wichtig ist des-halb, dass sie einen Fokus finden, der sie interessiert und bewegt, sind helvetas, Greenpeace und amnesty International überzeugt, die gemeinsam einen leitfaden für Maturan dinnen und Maturanden entwickelt haben. «Wir arbeiten zusammen, weil wir überzeugt sind, dass globale Probleme nur ge-meinsam und interdisziplinär ange-gangen werden können», sagt Kuno Roth, Bildungsverantwortlicher von Greenpeace Schweiz.

Mit anleitenden Fragen und arbeitshilfen, ergänzt durch tipps von ehemaligen Maturanden, will es der leitfaden ermöglichen, ein bewältigbares thema für eine schriftliche arbeit, ein Projekt oder eine aktion zu finden. Die Broschüre steht unter dem Motto «learning for the Planet», denn Interessierte finden im zweiten teil themen-vorschläge, wie sie mit ihrer arbeit für die Umwelt und für globale Gerechtigkeit aktiv werden können. Die anregungen von Greenpeace drehen sich um Energie und Klima.

Der leitfaden wurde von der Fachagentur Sprouts entwickelt. Die Grundidee für «learning for the Planet» lieferte das atelier Pantaris.

Die Broschüre «Die Matura-arbeit: Inspirationen, Ideen, tipps» kann von lehrkräften, Schülerinnen und Schülern kostenlos bei uns bestellt werden.

Schulbesuche von Greenpeace greifen Fragen von Jugendlichen auf und helfen dabei, handlungs-optionen zu finden. Was können wir wie und bis wann verändern? Der Schulbesuch von Greenpeace soll als Start in ein Umweltprojekt an der Schule, im Dorf oder in der Ge-meinde dienen. Die Schulbesuche werden von Freiwilligen durchge-führt, die eine ausbildung absolviert haben. Sie werden in einer länge-ren, engen Begleitung schrittweise an ihre aufgabe herangeführt. Qualität ist uns wichtig, steht doch bei jedem Schulbesuch unser Name auf dem Spiel. Zentral ist immer unsere Philosophie: «Enga-giere dich gewaltfrei für eine bessere Zukunft, wenn du mit etwas nicht einverstanden bist.» Schulbesuch.ch

ermöglicht es, die Zukunft aktiv anzupacken.

vermittelt Werkzeuge für konkrete Umwelt arbeit.

verhilft zum Denken in Systemen und ermöglicht eine moderne Umweltbildung.

Ein Schulbesuch dauert min-destens einen halben tag (4 lektio-nen). Die Kosten betragen 150 Franken für einen halben und 250 Franken für einen ganzen tag. Exklusiv in diesem heft (siehe rech-te Seite unten) bieten wir Ihnen einen Gutschein für einen Gratis-Schulbesuch (ganzer tag) an. talon ausschneiden und einer lehr-person abgeben. Vielleicht möchte auch die tochter oder der Sohn den Gutschein in die Schule mit-nehmen.

Das Projekt Jugendsolar von Green-peace geht seit 1998 den Weg der praktischen Umweltbildung. Mit Jugendlichen bauen wir Solar-anlagen. 2011 wurde die 200. anlage montiert. Ein höhepunkt war die Mitarbeit bei der Umwelt-arena. In diesem Projekt haben rund hundert axpo-lernende in acht Jugend solar-Camps die gröss-te dachintegrierte Solarstrom-anlage der Schweiz installiert (www.umweltarena.ch). Jugendsolar will pro Jahr 10 bis 15 Solaranlagen installieren und ist teil der Klima- und Energiekampagne von Green-peace Schweiz.

Was macht Jugendsolar? Jugendsolar bringt Bauherren

und Solarfirmen mit Jugend-gruppen oder Schulen zusammen und übernimmt die Organisation der Solarbauwochen.

Jugendsolar bietet auf alters-klassen abgestimmte Workshops zum thema Sonnenenergie.

Jugendsolar stellt Jugend-gruppen und Schulen gratis einen Finanzierungsleitfaden zur Verfügung, der auf Solarprojekte zugeschnitten ist.

Wieso braucht es Jugendsolar? Um die Solartechnik und jede

erneuerbare Energie breit bekannt zu machen, ist die Jugendarbeit ein geeigneter ansatz. Jugendlichen wird das Verständnis für die Wichtigkeit der Vision «100% erneu-erbar» vermittelt.

Mitmachen bei JugendsolarJugendliche zwischen 15 und 24 Jahren können an Projekten mitwirken, an Solarlagern teilneh-men oder in der Kerngruppe aktiv werden. Institutionen, Vereine, haus besitzer und Firmen können mit ihren lernenden oder Frei-willigen mit Jugendsolar eine Solar-anlage realisieren. lehrtätige unterstützen wir mit Schulbesuchen oder Unterrichtsmaterial.

10 000 Jugendliche für

eine sonnige Zukunft

Schulbesuchlearning for the Planet —

leitfaden für engagierte

Maturaarbeiten

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Greenpeace Schweiz hat Erfahrung mit Jugendprojekten und Schul-programmen. Es liegt deshalb nahe, dass wir diese Erfahrungen auch Kollegen in südlichen ländern zur Verfügung stellen. Zum Beispiel in afrika, wo die hälfte der Bevöl-kerung jünger ist als 20. Unsere Un-terstützung ist den Bedürfnissen der Partnerbüros angepasst: Bera-tung, training, Coaching, Konzep-tion, Vorlagen aus «Good Practices» usw. sind die angebote des Youth Support Centers YSC.

Wenn also zwanzig junge Freiwillige am World Social Forum in Porto alegre in Solarenergie unterrichtet werden …

Oder wenn am Gipfel Rio+20 brasilianische Greenpeace-Frei-willige lernen, wie man Menschen Solarenergie näherbringt …

Oder wenn in Kamerun Com-munity-techniker in 15 Pygmäendör-fern Solar home Systems installieren, eine soziale Solarfirma aufbauen und Gesundheitsvorsorge betreiben …

Oder wenn in Kongo zwanzig junge Menschen unter anleitung zweier afrikanischer Solartrainer die Panels für einen Solargenerator des lokalradios installieren und lernen, wie man holzeffiziente Öfen baut …

… dann hat das YSC die Solar- und Community-trainer gestellt, die Programme mitentwickelt und finan-ziert und so die jungen Menschen ausgebildet. Einige von ihnen sind selbst trainer geworden. Wenn die Weltorganisation der Pfadfinder WOSM den «Solarspezialexer» (Solar Badge) lanciert, der in drei ländern getestet wird, so hat das YSC zudem das handbuch für die Pfadileiter erarbeitet.

Der Erfolg von Greenpeace gründet auf dem Einsatz von gut ausge-bildeten, engagierten Freiwilligen. Wir bieten in unseren Kursen eine Vielfalt von themen und Workshops an, die unter anderem praktische Übungen und trainings umfassen und Fachwissen vermitteln, in denen es aber auch um die ausein-andersetzung mit der eigenen haltung und Einstellung geht. Ein grosser teil des Kursprogramms enthält zudem Methodentraining für eine erfolgreiche und selbstän-dige Umweltarbeit. Das Programm bildet die Basis, um eine breit abge-stützte Freiwilligenwelt zu ermög-lichen und zu fördern.

Die trainings oder Workshops sind allen aktiven Greenpeacer-Innen kostenlos zugänglich: Frei willigengruppen, aktivistInnen, Greenteam-PatInnen, Umweltbil-dungs -Engagierte, Büroleute oder StiftungsrätInnen aus allen Green-peace-ländern. auch Nicht-Green-peacer können gegen Zahlung der Kursgebühr an den trainings teilnehmen.

Eine auswahl aus dem Kursprogramm:

action-Workshop Der aktions-materialien-Miniworkshop

Die Welt verändern 1 Miteinander vorwärtskommen — leitung und Moderation

Die Welt verändern 2 Projektmanagement — Planung und Umsetzung erfolgreicher Projekte

Die Welt verändern 3 Campaigning — Planung und Umsetzung erfolgreicher Kampagnen

Energy academy — 100% erneuerbar Ursachen und lösun-gen der Energiekrise

Greenpeace action training Einführung in den ablauf von aktionen und Gewaltfreiheit.

Greenpeace-aktivistInnen und das Recht Z.B. hausfriedens-bruch — was bedeutet das?

Klima-Camp Baue eine nachhaltige Welt.

Philosophien von Umwelt-schutz Sozialökologie, tiefenökolo-gie, Ökofeminismus

Street Campaigning

Weiterbildung für

Freiwillige

Youth Support Center:

Erfahrungen weitergeben

learning for the Planet [email protected] Oder unter der Postadresse (siehe Impressum). www.greenpeace.ch/schule

Jugendsolar telefon +41 44 447 41 01Fax +41 44 447 41 [email protected]

Youth support Center [email protected] http://wave.greenpeace.org

Weiterbildung für Freiwillige telefon 044 447 41 05. [email protected]

Schulbesuch by Greenpeace Markus Bürki, Education Coordinatortelefon 044 447 41 [email protected]

Gutschein für einen

Schulbesuch von Greenpeace

schulbesuch.chby

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Greenpeace fordert von der UNO, die arktis zum Schutz-gebiet zu erklären und industrielle Fischerei sowie Öl förderung darin zu verbieten.Bis vor kurzem hat das Eis der arktis die Ölindustrie aus diesem fragilen Ökosystem ferngehalten. Doch durch den Klimawandel erwärmt sich die Region nun schnel-ler als irgendein anderer Ort. Das Eis schmilzt und entfacht einen ansturm auf die arktischen Roh-stoffe. Doch was passiert bei einem Ölunfall in der arktis? Die Folgen wären katastrophal.

Und hier kommt der Plan: Wir erklären die arktis zum Schutz-gebiet, in dem die Ölförderung ebenso wie die industrielle Fischerei verboten bleiben. Greenpeace fordert von der UNO eine entspre-chende internationale Gesetzes-verankerung.

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Der arktische Ozean stellt die letzte Barriere dar, die die inter-nationalen Ölkonzerne nun durch-brechen. Die Karte zeigt, wo im Nordpolgebiet bereits Öl- und Gas gefördert werden und wo Poten zial für mehr Förderung besteht. Shell will ab Sommer 2012 vor alaska nach Öl bohren.

Nach den jüngsten Schätzun-gen der US Geological Survey (USGS), der amerikanischen Bun-desbehörde für Rohstoffan-gelegenheiten, sollen die in dieser Region befindlichen Ressourcen 22 Prozent der noch unentdeckten Ölvorkommen der Welt ausma-chen.Unterstützen Sie uns bei unserem Vorhaben und werden auch Sie arktisschützer! Die Namen der ersten Million Unterzeichnenden wird Greenpeace in die arktis tragen und dort in einer Zeitkapsel verewigen.

Unterschreiben Sie jetzt unter www.savethearctic.org.

hier wird bereits Öl gefördert.

hier wird bereits Gas gefördert.

hier existieren mögliche Öl- und Gasfördergebiete.

hier plant Shell ab Juli 2012 Probebohrungen.

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ein neuer Greenpeace­report belegt, dass der Amazonas­ regenwald nicht nur durch Ackerbau und

Viehzucht gefährdet ist. Ganze wälder werden illegal gefällt, um holzkohle für die produktion von

roheisen zu gewinnen. Der daraus hergestellte Stahl wird für die Autoindustrie gebraucht.

Eine Fotoreportage der Marizilda Gruppe und Rodrigo Balèia

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Ein Grossteil der holzkohle wird in den nordostbrasilianischen Bundestaaten Pará und Maranhão in kleinen, abgelegenen Camps hergestellt. Das holz wird illegal gefällt und für das Schmelzen von Eisenerz gebraucht. Die autohersteller BMW, Ford, Mercedes und weitere gehören zu den abnehmern dieses Rohstoffes.

Bild rechts

Die holzkohlearbeiter verdienen ihr Geld unter unmensch-lichen arbeitsbedingungen. Zahlreiche indigene Völker leiden unter der holzkohleherstellung und ihre Existenz ist bedroht.

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Im hafen von São lusi, Brasilien blockieren Greenpeace- aktivisten über mehrere tage das Beladen des Schiffs «Clipper hope», welches Roheisen in die USa transportieren soll. Der Protest richtet sich an die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff, die am 25. Mai nur ein laues teilveto gegen das neue Waldgesetz im Parlament eingelegt hat. Ihr Veto gegen ein-zelne Gesetzesänderungen reicht nicht aus, den einzigartigen Regenwald zu erhalten.

Bild links

Für die Eisenerzgewinnnung wurden bereits 70 bis 80 Prozent der Wälder in der Region zerstört. Durch die abholzung sind grosse Waldflächen in der Gegend mittlerweile knapp. holz-fäller dringen in indigene Gebiete ein und roden illegal — auch in Naturschutzzonen. Manche der indigenen Stämme haben bereits über 30 Prozent ihres landes verloren.

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Zehn tage lang haben sich Greenpeace-aktivisten abgelöst, um an der ankerkette des Frachters «Clipper hope» zu protestieren. Das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior III hat auf seiner Fahrt zur Umweltkonferenz Rio+20 einen Zwischen-stopp eingelegt, um sich für den Schutz des amazonas- Regenwalds einzusetzen.

Nach Redaktionsschluss hat uns noch diese wichtige Meldung erreicht: alle Roheisen-hersteller aus dem brasilianischen Bundesstaat Maranhao haben ein abkommen unterzeichnet, in welchem sie sich verpflichten, keine holzkohle mehr aus Urwaldzerstörung oder indigenen Gebieten zu nutzen. Zudem sagten sie zu, keine Sklavenarbeit mehr in der holzkohleherstellung zu dulden. Der gesamte Produktionsprozess wird künftig über ein Monitoring-System überwacht.

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Greenpeace Du, Zeitschrift der Kultur

«Bearing Witness» — «Zeugnis ablegen» — ist eines der obersten leitmotive von Green-peace. Direkte aktionen vor Ort, Mahn-wachen, wissenschaftliche Untersuchungen, Medienarbeit: Fast immer spielt die Foto-grafie eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Bedrohung unserer lebensgrund-lagen zu dokumentieren und klare Botschaften zu vermitteln. Nun sind wir auf der Suche nach neuen Blick-winkeln.Fotografinnen und Fotografen legen auf ihre art Zeugnis ab, wenn sie mit offenen augen durch die Welt gehen. Mit dem erstmals ausgeschriebenen Greenpeace Photo -award haben wir in Partnerschaft mit Du — Die Zeit-schrift der Kultur, dreissig ausgezeichnete Foto grafen eingeladen, ihren Blick, ihre Fra-gen und ihre Eindrücke zum thema «Umwelt — Umweltzerstörung» vorzustellen.Wählen Sie aus fünf von einer Jury ausge-wählten Projekten Ihren Favoriten aus unter www.photo-award.ch.Die Realisierung des Siegerprojekts wird mit ChF 15 000.— unterstützt.Die Siegerarbeit wird im Frühling 2013 im Du veröffentlicht. Unter allen Wählenden werden Siegerbilder und weitere Preise verlost. Weitersagen.

IN PARTNERSCHAFT MIT – DIE ZEITSCHRIFT DER KULTUR GREENPEACE PHOTO-AWARD

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«wenn das hier jemals bewilligt werden sollte, gibt es krieg», sagt pina negro. pina ist An­wältin, umweltaktivistin und eine der zentralen Figuren des widerstands gegen ein geplantes Gaskombikraftwerk in der ebene von Venafro. Sie steht am rand einer saftigen wiese, wo das werk entstehen soll. Das gleichnamige Städt­chen ist kaum sieben kilometer entfernt. wir befinden uns im Valle del Volturno, im westen der region Molise, der kleinsten der zwanzig regionen Italiens. hier beginnt die erkundungs­reise zu den Gaskraftwerken der Schweizer Stromkonzerne.

Beidseits der wiese stehen Olivenhaine. Die Stämme der Olivenbäume sind massiv, die Bäume alt. kein Lüftchen regt sich. Bis vor einem Jahr wollte hier der Schweizer energie­konzern eGL* (eine tochter der Axpo holding) ein Gaskombikraftwerk der neuesten Gene­ration bauen. Mit 780 Megawatt Leistung, zum preis von etwa 300 Mio. euro. Daneben wäre ein kleiner hügel aufgeschüttet und mit Bäumen bepflanzt worden. Diese sollten im wettrennen mit dem cO2­Ausstoss Sauerstoff produzieren. Doch die enorme Abwärme des kraftwerks

würde die Gegend aufheizen. Die ebene von Venafro ist bloss zehn Quadratkilometer gross. Die umstehenden Berge machen sie zu einer grossen Arena, in der die Luft immer wieder längere Zeit stillsteht – und mit ihr die Schadstoffe aus den benachbarten Industriebetrieben. ein kraftwerk würde diesen Smog potenzieren. erst vor einem Jahr hat das komitee besorgter Mütter, die Mamme per la Salute, wegen Dioxin­spuren in Fleischprodukten Alarm geschlagen. tumore und erkrankungen der Atemwege seien unter den Bewohnern ein ständiges thema, sagt pina negro. ein kontinuierliches Schadstoff­monitoring gibt es nicht.

Der Strommarkt treibt wilde BlütenDoch die eGL* hat sich zurückgezogen.

«Mit den bestehenden drei kraftwerken haben wir das Ziel von 2000 Megawatt in Italien erreicht. Alle anderen projekte für Gaskombi­kraftwerke sind damit ad acta gelegt und weitere sind derzeit nicht geplant», sagt Axpo­Mediensprecher richard rogers. Die eGL* betreibt in Süditalien bereits je ein Gaskombi­kraftwerk in Sparanise (kampanien) und

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Von René Worni

Gaskombikraftwerke sollen Schweizer aKW ersetzen. Doch die will hier keiner. In Italien jedoch stehen schon länger welche — an vielen sind Schweizer Energie-konzerne betei ligt. Ein augenschein im wilden Süden des Mezzogiorno.

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rizziconi (kalabrien) sowie im norditalienischen Ferrara (emilia romagna).

Doch für die 10 000 Bewohnerinnen und Bewohner von Venafro und noch einmal so viele in den umliegenden Gemeinden ist mit dem Ausstieg der Schweizer noch nichts vorbei. eine kleine projektfirma namens Molisenergy operiert praktisch aus einem hinterzimmer in neapel. Sie verfügt über null erfahrung im Bau von kraftwerken, jedoch, so wird vermutet, über Verbindungen auf höchster ebene. Venafro und alle umliegenden Gemeinden sowie die gesamte region von Molise lehnen das projekt ab, doch der definitive entscheid fällt in rom. wer der nächste Investor sein wird, den sich Molisenergy angelt, weiss zurzeit niemand.

Im strukturschwachen Süden Italiens scheint trotz wirtschaftskrise immer noch Goldgräber­stimmung zu herrschen. Der seit ende der 90er Jahre liberalisierte Strommarkt treibt nach wie vor wilde Blüten. überall schiessen kraftwerke, wind­ und Solaranlagen scheinbar planlos aus dem Boden. nur wenige kilometer von Venafro entfernt, im Dorf presenzano in kampanien, soll ein Gaskombikraftwerk mit 800 Megawatt der italienischen edison entstehen. In Molise weiss man seit Zeiten, dass der eigenbedarf an energie längst gedeckt ist. Laut Angaben regio­naler umweltorganisationen rotieren auf den hügelkämmen von Molise über 2000 windtur­binen, viele gehören ausländischen Strom­konzernen. Den Gemeinden fehlt es an Geld. Sie verpachten und verkaufen deshalb ihre Grundstücke. Den Strom nutzen die Industrie­metropolen an den küsten.

Der Moloch Neapel ist scharf auf StromBenevento ist eine schmucke Stadt in den

hügeln kampaniens, 90 kilometer von neapel entfernt. Der turm der kirche Santa Sofia aus dem 8. Jahrhundert fiel beim grossen erdbeben von 1668 auf das kirchenschiff. Damit das kein zweites Mal passiert, wurde er 50 Meter ent­fernt in sicherer Distanz wieder aufgebaut. hier, im erdbebengefährdeten Gebiet, sind die Bernischen kraftwerke Bkw gemeinsam mit der neapolitanischen Firma Luminosa am werk. keine sechs kilometer ausserhalb des Stadtzent­rums will die Bkw im Industriegebiet ponte Valentino ein Gaskombikraftwerk mit 385 Mw bauen. Das Grundstück liegt in einer natur­

aktivistin Pina Negro vor dem geplanten Standort bei Venafro: «Wenn hier ein Gaskombikraft-werk bewilligt wird, gibt es Krieg.»

Im Valle del Volturno wollte der Schweizer Konzern EGl (axpo) in einem windstillen talkessel ein Gaskombikraftwerk bauen.

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geschützten uferzone, wo die Flüsse tamaro und calore zusammenfliessen. ein Viertel der knapp 60 Betriebe in der angrenzenden Indust­riezone produzieren Lebensmittel: Olivenöl, Babynahrung, Milch, wein und Gemüse. Studien belegen, dass winde die emissionen der Industrien von ponte Valentino regelmässig ins Stadtzentrum tragen.

Die ablehnenden Dekrete der Stadt­ und der provinzregierung von Benevento haben das projekt nicht verhindern können. «Für die regie­rung von kampanien ist die energieversorgung leider wichtiger als die umwelt. », sagt enrico castiello. Bis 2011 war er Stadtrat und umwelt­beauftragter von Benevento. «Mir war schnell klar, dass wir für neapel und die küste Strom produzieren sollen», sagt er. Der Moloch neapel und die küstenstädte sind scharf auf den Strom. Die regierung kampaniens setzt des­halb alles daran, lukrativen projekten zum Durchbruch zu verhelfen.

wie in Venafro bewegt auch in Benevento eine kleine Firma eines Geschäftsmanns namens Marcello Fasolino aus neapel seit 2002 alle hebel, um das projekt zu lancieren. Mit erfolg. Die Bkw stieg 2008 ein, als das projekt praktisch pfannenfertig war. Fasolino hält sechs prozent an der Luminosa, den rest die Bkw. Im vergangenen März kam es zu Demonstratio­nen in den Strassen der Stadt gegen das Vor­haben – im gemächlichen Alltag der Beneventani eine ganz grosse Ausnahme. Im Juni errang der regionale wwF per rekurs einen kleinen Sieg. Das höchste Verwaltungsgericht in rom will, dass das umweltministerium für die Bewilligung des projektes noch einmal über die Bücher geht. Auch von der Stadt und der provinz Bene­vento sind weitere einsprachen zu erwarten.

Man spricht im Zusammenhang mit dem geplanten kraftwerk auch relativ offen über ein korruptes netzwerk von politikern, zweifel­haften Geschäftemachern («affaristi») und Justizbeamten, in dessen Mittelpunkt man die hintermänner der Luminosa vermutet. es gibt auch Verbindungen zum einstigen parlaments­abgeordneten von Berlusconis popolo della Libertà, nicola cosentino, der wegen Beziehun­gen zur camorra in ungnade fiel und 2010 abtreten musste. einer von zahlreichen Anklage­punkten waren Machenschaften um ein Grundstück, auf dem heute das Gaskombikraft­werk der eGL* in Sparanise steht. Die hohen

Im erdbebengefährdeten Benevento wollen die Bernischen Kraftwerke BKW am natur-geschützten Flussufer bauen.

Enrico Castiello: «Für die Regie-rung von Kampanien ist die Energieversorgung leider wich-tiger als die Umwelt.»

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Investitionen im energiegeschäft ziehen offen­sichtlich mafiöse Strukturen an in einem Land, wo projekte der öffentlichen hand um durch­schnittlich 40 prozent teurer sind als in andern Ländern europas.

25 neue Arbeitsplätze: Schäbige BilanzGabriele corona ist einer der konsequen­

testen kritiker krummer Geschäfte in der Stadt. Der Stadtplaner und Gewerkschafter ist Gründer der Internetplattform Altrabenevento, die sich den kampf gegen die korruption in der provinz auf die Fahne geschrieben hat. er rechnet vor: «Das projekt Luminosa hat Dutzende negativer Auswirkungen auf die umwelt, die Gesundheit, die nahrungsmittelproduktion und sogar auf den tourismus im wallfahrtsort pietrelcina ganz in der nähe. und am ende schafft es gerade ein­mal 25 neue Arbeitsplätze. Das ist eine wirklich schäbige Bilanz.»

Die Luminosa­Gegner erhalten nun unver­hofft eine vorläufige Verschnaufpause. Denn wegen der schlechten Marktlage hat die Bkw noch keinen endgültigen Investitionsentscheid gefällt. «wir arbeiten am erhalt der endgültigen Bau­ und Betriebsbewilligung», sagt Bkw­ konzernsprecher Antonio Sommavilla. Sobald die Bewilligung vorliege, werde die unterneh­mensleitung zu gegebener Zeit mit Blick auf die Marktsituation einen entscheid fällen.

ein Abstecher nach Osten in richtung Adri­atisches Meer führt zunächst durch die sanften hügel der provinz Benevento und dann in den norden von Apulien. Die hügelzüge sind hier mit hunderten von windturbinen gespickt. In der ebene von Foggia, zwischen Lucera und San Severo, stossen immer wieder meterdicke Gasleitungen aus dem Ackerland. Die Bauern müssen mit ihren traktoren höllisch aufpassen. Mitten in den Feldern steht das brandneue Gaskombikraftwerk San Severo. es hat vor einem Jahr den Betrieb aufgenommen und gehört zu 60 prozent der Schweizer Alpiq. ein senfgelber koloss, der dicke kamin glänzt silbern. kein Mucks ist zu hören, das werk steht still. hunde schlagen an, ein Angestellter kommt und er­klärt, fotografieren sei verboten. Ob die Anlage denn auch funktioniere? «Ma certo, sie läuft perfekt», meint er.

Die harzende wirtschaft dämpft die nach­frage nach Strom. Der hohe Gaspreis macht

Demo vom März gegen das geplante Gaskraftwerk: Die Bewohner von Benevento fürchten um ihre Gesundheit und die Umwelt.

Mitten zwischen Getreidefeldern: Das Gaskombikraftwerk San Severo in der Ebene von Foggia.

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die Stromproduktion unrentabel. «Das bereitet uns in der tat Sorgen», sagt Alpiq­Medien­sprecher Andreas Meier. Das kraftwerk sei momentan eher weniger gut ausgelastet. Alpiq hat wegen der schwierigen Bedingungen im Strommarkt kürzlich ihre Beteiligung (20%) an der italienischen edipower abgestossen. Damit sind sechs Gas­, Öl­ und kohlekraftwer­ke aus dem kraftwerkpark weggefallen. Alpiq ist nach grossen Verlusten im letzten Jahr daran, sich tiefgreifend zu restrukturieren.

entlang dem Adriatischen Meer, an noch unbevölkerten Badestränden vorbei, geht die reise weiter in den Süden Apuliens, in die hafen­stadt Brindisi. es ist der 19. Mai, der tag des Bombenattentats auf eine Berufsschule, bei dem die 16­jährige Melissa Bossi getötet wird. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, der Bürgermeis­ter, keine drei wochen im Amt, weint während seiner rede. Brindisi hat 90 000 einwohner, fast ein Drittel von ihnen sind arbeitslos. Der rund­gang durch die Industriezone im Süden der Stadt, mit petrochemiefabriken und sechs kohle­kraftwerken, ist ernüchternd. Selbst bei klarem wetter ist die feine gelbliche Spur der Indust­

rieabgase über dem horizont zu sehen. Sie verschwindet nie. In den vergangenen zwanzig Jahren wanderten viele der multinationalen Betriebe in Billiglohnländer ab und liessen in Brindisi verbrannte erde zurück. 4000 von 5000 Arbeitsplätzen verschwanden. Anfang Mai hat Greenpeace Italia vor dem kohlekraftwerk Federico II, einem der schadstoffreichsten europas, mit einer Aktion für den Ausstieg aus der kohle zugunsten erneuerbarer energien demonstriert. Alpiq hatte hier bis vor kurzem zwei Beteiligungen, an einem Gaskombikraft­werk und einem kohlekraftwerk.

«Der Boden ist überall mit Schwermetallen belastet», sagt cosimo Quaranta. er ist wwF­Aktivist und beobachtet seit zwei Jahrzehnten die Vorgänge in der Industriezone, die grösser ist als Brindisi selber. «Die politik ist wenig sen­sibel für die Verwüstungen, welche die Multis hier angerichtet haben und dann einfach abge­hauen sind, ohne zu zahlen, ohne den Boden zu entgiften», sagt er. Doch hoffnung, klein zwar, keimt.

Die hügelzüge im Norden von apulien sind mit hunderten von Windturbinen gespickt.

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Profit statt neue TechnologieAnfang Mai wurden eine reihe parteiloser

kandidatinnen und kandidaten in das Stadt­parlament von Brindisi gewählt, die sich für umweltanliegen, Gesundheit und neue Formen wirtschaftlicher entwicklung engagieren. Sie machen dort erst sechs prozent aus, doch es ist ein Anfang. einer von ihnen ist ricardo rossi, Forscher an der eneA, der nationalbehörde für neue technologien, energie und nachhaltige wirtschaftliche entwicklung. Für ihn ist klar, dass man die kohlekraftwerke so schnell es geht abschalten muss. Doch in Italien herrscht eine paradoxe Situation. Seit der katastrophe von Fukushima herrscht hektik, weil es für Atom­strom aus neuen Akw endgültig aus ist, für welche die frühere regierung Berlusconi über 30 Mrd. euro zur Verfügung stellen wollte. Gewisse kreise in Italien fordern deshalb mehr kraftwerke. Die kohlelobby Assocarbone will ihren nationalen produktionsanteil sogar auf gegen 30 prozent verdoppeln. «Da steckt keine neue technologie dahinter, denen geht es allein um den profit.» kohle ist billig, weil niemand den Schaden zahlt, den sie in der umwelt anrich­tet. Die cO2­Zertifikate haben eine völlig unter­geordnete Bedeutung und tauchen in den Bilanzen der Industriekonzerne kaum auf. Von Abgel­tung der umweltschäden kann keine rede sein.

rossi rechnet vor, dass Italien gar keine neuen kraftwerke braucht. Die nachfragespitze beträgt 55 000 Megawatt, die installierten ein­richtungen leisten jedoch 90 000 Megawatt. Die Lösung liegt für ihn in der Demokratisie­rung und Verstaatlichung der Stromproduktion. Die müsse sich an den tatsächlichen Bedürfnis­sen vor Ort bei den konsumenten orientieren und dürfe nicht an multinationale konzerne abgetreten werden. Das bedeutet auch einen allmählichen übergang zu erneuerbaren ener­gien, deren technik sich sehr schnell entwi­ckelt. wie lange dieser übergang mit Strom aus Gas gestützt werden muss, ist völlig offen.

Gas soll aus Aserbaidschan kommenwährend des Gesprächs packt ein Mann

seinen verängstigten Schäferhund in den von der Sonne aufgeheizten kofferraum seines Alfa und will davonfahren. cosimo Quaranta stellt ihn zur rede. es kommt fast zu einer Schlägerei, bis der Mann einsieht, dass seine Art des hunde­transports nicht tiergerecht ist.

Riccardo Rossi und Cosimo Quaranta vor einem Kohlekraft-werk in Brindisi: «Der Boden ist überall mit Schwermetallen belastet.»

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Die Zeichen stehen trotz der gegenwärtigen Baisse in Italien überall auf Gas. Die Schweizer konzerne sind an gesamthaft 16 Gaskombikraft­werken in der poebene und in Süditalien betei­ligt, fünf sind geplant und vorläufig auf eis. Die Idee, die Schweiz könnte im Ausland Strom für den eigenbedarf produzieren, hält Andreas Meier von Alpiq für kaum realistisch. «Seit geraumer Zeit werden die netzkapazitäten wegen der eng­pässe an den Landesgrenzen über Auktionen an den Meistbietenden versteigert. Der ex klu­siven und langfristigen nutzung von Leitungska­pazitäten ist damit ein riegel geschoben.»

weiter im Süden, nahe der Stadt Lecce, an der küste des mit preisen ausgezeichneten Badeörtchens San Foca, zeichnet sich bereits die nächste etappe im Geschäft mit dem Gas ab. Dort soll eine pipeline Gas aus Aserbaidschan liefern. ein konsortium mit Sitz im zugerischen Baar, das aus Axpo (42,5%), der nor wegischen Statoil (42,5%) und der deutschen e.On-ruhrgas (15%) besteht, hat gute chancen, den Zuschlag für den Bau zu erhalten. Das wird nicht ohne Frik­tionen für San Foca und die nachbargemeinde Melendugno verlaufen. ein riesiges Dekompres­

sionszentrum ist geplant, um den Druck des Gases dem nationalen netz anzupassen. Von San Foca aus braucht es dann eine 80 kilome­ter lange Verbindung in den norden, ins Städt­chen Mesagne bei Brindisi. Dafür gibt es aber noch kein projekt. Mesagne ist die hochburg der apulischen Mafia, der Sacra corona unita. In Mesagne hat auch Melissa ihr kurzes Leben gelebt. Die Bombe, die sie getötet hat, stammte von einem verbitterten einzeltäter und für einmal nicht von der Mafia.

Mai 2012, Brindisi, Kohlekraft-werk Federico II: Greenpeace demonstriert für den ausstieg aus der Kohle zugunsten erneuerbarer Energien.

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* Im Februar 2012 wurde die eGL vollständig von der Axpo übernommen.

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gaSkraftwerke: SchMutzig

und unrentaBelVon Mathias Schlegel

Seit das Bundesparlament den ausstieg aus der atomenergie bestä-tigt hat, haben verschiedene welsche Kantone Projekte für grosse Gaskraftwerke ins auge gefasst. Der Genfer Staatsrat hat im letzten Februar zwar das Kraftwerkprojekt lignon begraben, aber der Bau der zwei grossen Gaskraftwerke Chavalon und Cornaux 2 in den Kantonen Wallis und Neuenburg scheint wahr-scheinlich.

Das grösste ökologische problem bei Gas­kraftwerken liegt nach wie vor im Ausstoss von treibhausgasen. Dennoch lohnt es sich, die Frage nach der rentabilität zu stellen. Sie ist bei solchen projekten an zwei grundlegende Fakto­ren gebunden: energie leistung und treibhaus­gasemissionen. Die ener gieleistung bezeichnet den Anteil der in Gasform vorhandenen energie, der effektiv in elektrischen Strom oder wärme umgewandelt wird. Die Bauträger von cornaux 2 rechnen mit einer umwandlung von 70 pro­zent. Die Zahlen für chavalon liegen noch tiefer und erreichen nicht einmal die 60­prozent­Schwelle. Zum Vergleich: kleinere Gaswerke, die in Fernheizungsnetze integriert sind und somit einen Grossteil der erzeugten wärme nutzen können, erreichen energieleistungen über 80 prozent. Anders als Sonne, wasser oder wind ist Gas kein kostenloser rohstoff. Damit der preis der erzeugten elektrizität konkurrenz­fähig ist, bräuchte es höhere energieleistungen, als die grossen Gaskraftwerke zu liefern im­stande sind.

Jedes dieser kraftwerke stösst zudem jähr­lich zwischen 700 000 und 750 000 tonnen

cO2 aus. Das Schweizer cO2­Gesetz verlangt, dass diese emissionen voll kompensiert wer­den, und zwar mindestens zur hälfte im Inland. Das kostet: Der tonnenpreis in europa beträgt zwischen 7 und 35 Franken, in der Schweiz ist er auf 70 bis 150 Franken geklettert.

Die kompensation der cO2­emissionen ist kein Allheilmittel in Sachen klimaschutz. Das System ist bereits einige Jahre im einsatz, doch eine bedeutende reduktion der globalen cO2­emissionen ist bisher nicht festzustellen. Zudem werden Methanemissionen nicht erfasst, obwohl sich Methan 20­mal stärker aufs klima auswirkt als cO2. wenn die Schweiz ihre Ziele hinsichtlich der reduktion von treibhaus­gasemissionen erreichen will, kann sie sich nicht erlauben, jährlich weitere 1,5 Mio. tonnen cO2 in die Atmosphäre zu pumpen.

Die kompensation des cO2 und der Import­preis von erdgas wirken sich also auf den kwh­preis des Stroms aus, der in diesen kraft­werken produziert wird. er wird höher sein als der gegenwärtige Marktpreis. Drei Faktoren könnten das ändern: ein einbruch des Gas­preises, ein Anstieg des Strompreises oder die Möglichkeit, den überwiegenden teil der cO2­emissionen im Ausland zu kompensieren. eine Gaspreissenkung infolge sinkender nachfrage ist unmöglich, denn die Internationale energieagentur rechnet für die nächsten fünf Jahre mit einer weltweiten nachfragesteigerung von 17 prozent. Der Gaspreis könnte auch durch eine Angebotsvergrösserung, also durch den Abbau von unkonventionellen Vorkommen wie Schiefergas oder arktischem Gas gesenkt wer­den. Doch die erschliessung dieser ressourcen ist mit unlösbaren umweltproblemen ver­bunden und muss verboten werden.

was den Strompreis angeht: Die volle entfaltung der erneuerbaren energiequellen wird noch immer in erster Linie durch den zu hohen kwh­preis ihres Stroms gebremst. ein all fälliger Anstieg des Strompreises muss in erster Linie den erneuerbaren energien zugute kommen. Zudem sollten die cO2­emissionskompensatio­nen vollumfänglich in der Schweiz stattfinden müssen. Die damit verbundenen kosten kommen der lokalen Industrie zugute und gehen nicht im Ausland verloren. Angesichts all dieser Vorbe­halte ist es praktisch unmöglich, in der Schweiz grosse Gaskraftwerke zu bauen, die rentieren und die umwelt respektvoll behandeln.

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Die klimawirksamkeit ist bei weitem nicht das einzige umweltproblem im Zusammenhang mit dem Betrieb von Gaskraftwerken. Zusätzli­che Schadstoffe belasten die umwelt, so etwa Stickoxid, Salzsäure, Schwefelsäure und Ammo­niak. weiter ist der Bau von Gasfern­ und hoch­spannungsleitungen zu berücksichtigen, der von der Bevölkerung vor Ort akzeptiert werden muss. Zudem verbrauchen Gaswerke riesige wassermengen. Das geplante werk von chava­lon dürfte etwa gleich viel wasser verbrauchen wie eine Stadt von 45 000 einwohnern.

Aus all diesen Gründen hält Greenpeace Gaskraftwerke – genau wie Akw – für energie­lösungen, deren Zeit vorbei ist. heute gilt es, den Aufschwung der erneuerbaren energien zu fördern und sich bei der Deckung der energie­nachfrage anspruchsvollere Ziele zu stecken.

Obwohl die beiden Gaskraftwerkprojekte zumindest auf dem papier erlauben würden, einen Grossteil der produktion von Mühleberg und Beznau 1 zu ersetzen, den beiden ältesten Atomkraftwerken der Schweiz, ist bei den wich­tigsten produzenten im energiesektor keine grosse Begeisterung auszumachen:

Die Axpo will erst im Jahr 2017 entscheiden, ob sie auf Gas zurückgreifen will, um die pro duktion ihres Akws in Beznau zu ersetzen. Gegenwärtig betrachtet die unternehmens­leitung die wirtschaftlichen Voraussetzungen für einen solchen Schritt als nicht erfüllt.

Alpiq überlässt ihrem Minderheitspartner eOS das projekt chavalon zur alleinigen Durchführung.

Die Bernischen kraftwerke Bkw beteili­gen sich zwar an der Seite von Group e und romande energie mit 20 prozent am projekt cornaux 2, doch das geplante Gaskraftwerk bei utzensdorf im kanton Bern haben sie vor­läufig auf eis gelegt.

die StroM effizienz- initiative koMMt

Von Greenpeace

Stromeffizienz ist ein oft gehörtes Schlagwort, mit dem aber nur wenige wirklich etwas anfangen können. Das muss sich ändern. Denn nur wenn im grossen Stil Strom gespart wird, kann die energiewende in der Schweiz realität werden. nun erhält die umsetzung der effizienz den dringend nötigen politischen Druck: Greenpeace und weitere umweltverbände lancieren ge­meinsam mit progressiven Akteuren aus politik und wirtschaft die Volksinitiative für eine sichere und wirtschaftliche Stromversorgung: die Stromeffizienz­Initiative. Sie will den Stel­lenwert der effizienz in der energiestrategie des Bundes erhöhen und verbindliche Ziele für mehr effizienz festlegen.

Ein immenses Sparpotenzial liegt brachIn der Schweiz wird heute jede dritte kilo­

wattstunde Strom unnötig produziert. Mit griffigen effizienzmassnahmen kann

bis 2025 die Jahresproduktion von rund vier Atomkraftwerken in der Grössenordnung des Akw Mühleberg eingespart werden, also rund 13 twh/a, bis 2035 sogar 19 twh/a, was rund sechs Mal Mühleberg entspricht.

Der politische Wille ist (noch) zu klein um das vorhandene Stromsparpotenzial in

der Schweiz ausschöpfen zu können, braucht es eine konsequente effizienzpolitik. Dazu gehört ein griffiges Massnahmenpaket aus Stromlen­kungsabgaben, strengen Verbrauchsvorschriften für Geräte sowie effizienzverpflichtungen für Grossverbraucher und energieversorger. Vor allem aber muss die energiestrategie des Bundes ein ambitioniertes und verbindliches Strom­sparziel formulieren. Bislang fehlt dafür der poli­tische wille. hier setzt die effizienz­Initiative an.

Die Stromeffizienz-Initiative macht DruckSie ist die Antwort auf die noch viel zu zöger­

lichen energiewende­Vorschläge des Bundes­

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rats. Sie verlangt, dass in der Schweizer Verfas­sung verankert wird, den Stromverbrauch bis 2035 auf dem niveau des Jahres 2011 zu stabili­sieren. Mit diesem konkreten Ziel erhält die politik eine klare Vorgabe zur Förderung von Stromeffizienz – die hintertürchen für neue Gas­ und Atomkraftwerke werden geschlossen.

Jede Unterschrift zähltBundesrat und parlament sollen möglichst

rasch ein starkes Signal aus der Schweizer Stimmbevölkerung erhalten: wir wollen eine intelligente, wirtschaftliche sowie ressour cen­ und umweltschonende Stromversorgung ohne neue Atomkraftwerke. Die Sammlung beginnt in den nächsten tagen.

Sie können schon jetzt Unterschriftenbogen und weiteres Informationsmaterial bestellen unter www.greenpeace.ch/stromeffizienz.Kontakt: anne Koch, Energy Efficieny Campaigner Greenpeace Schweiz

Ja, ich möchte die Stromeffizienz-Initiative unterstützen und Unterschriften sammeln. Bitte schicken Sie mir weitere Informationen.

Einsendeadresse: anne Koch, Greenpeace Schweiz, heinrichstrasse 147, Postfach, Ch-8031 Zürich

SO SChaltEN WIR 6 atOMKRaFtWERKE aB

Beleuchtung in haushalten, Industrie und Gewer-be oder auf Strassen: Eine konsequente Verwen-dung von Sparlampen oder lEDs spart viel Strom. Einsparpotential:

4,1 tWh gut 1 aKW Mühleberg

Der Bereich haustechnik umfasst heizung, Kühlung und lüftung. Elektroheizungen und -boiler sind die grössten Stromfresser in den Schweizer haushalten und können durch Sonnenkollektoren, holzpelletheizungen oder effiziente Wärmepumpen ersetzt werden.Einsparpotential:

2,5 tWh knapp 1 aKW Mühleberg

Geräte für haushalt und Unterhaltung: Mit moderner technik, wie besser isolierten Kühl-schränken oder der konsequenten Nutzung von Stromsparleisten, lässt sich der Strom verbrauch stark reduzieren.Einsparpotential:

3,2 tWh 1 aKW Mühleberg

Geräte für Büro, Informationen und Kommu-nikation sowie Stromanwendungen für Bahnen, Seilbahnen und trams müssen optimiert und effizienter werden.Einsparpotential:

2,8 tWh knapp 1 aKW Mühleberg

Stromanwendungen in Industrie und Gewerbe, hauptsächlich Industriemotoren verbrauchen über 30% des Stroms in der Schweiz. Rund ein Drittel davon lässt sich mit modernen Motoren und optimierter Steuerung einsparen.Einsparpotential:

6,4 tWh 2 aKW Mühleberg

1 terawattstunde (1tWh) = 1 Milliarde Kilowattstunden (KWh).1 KWh reicht für ca. 8 Stunden Fernsehen oder 100 Such-anfragen im Internet.

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«kläranlagen MüSSen

nachrüSten»Mikroschadstoffe scheinen harmlos, weil sie so klein sind. Doch in Wirklich-keit sind sie gefährlich, langlebig und überall anzutreffen in unserer Umgebung: im Wasser, in lebensmit-teln, Kosmetika, Kleidern usw.

Die im Juli 2011 angelaufene Detox­kampagne hat sich auf die textilproduktion konzentriert, die zur wasserverschmutzung in china beiträgt. Der Abschluss dieser weltweiten kampagne «zeigte auch die Verknüpfung zur Schweiz auf, wo durch das waschen der importierten textili­en bis 85 prozent der Mikroschadstoffe ausge­waschen werden und so unsere Gewässer ver­unreinigen. Der letzte Bericht der cIpeL (kommission für den Schutz des Genfersees) prangerte auch die Verschmutzung des Genfer­sees an. und schliesslich hat Greenpeace im Februar dieses Jahres eine petition gegen herbi­zide lanciert, welche die Bienen schwächen.

Greenpeace: Mikroschadstoffe werden von Menschen verursacht und sind in schwachen Konzentrationen überall in der Umwelt anzutreffen. Sind diese chemi-schen Substanzen gefährlich?Nathalie Chèvre: Sie sind ein riesenproblem und alles andere als harmlos. Die Auswirkungen sind noch nicht völlig erforscht. was enorm beunruhigt, sind die endokrinen perturbatoren, die selbst in schwachen konzentrationen gefährlich sind. Sie können generationenüber­greifend wirken. Studien weisen auf eine paral­lele hin zwischen der Zunahme von chemischen Stoffen in unserer umwelt und abnehmender männlicher Fruchtbarkeit, vorzeitiger pubertät, Brustkrebs und Fettleibigkeit. Mehrere che­mische Moleküle können zusammenwirken und wir meistern die Langzeitwirkung solcher kom­binationen mehr schlecht als recht.Sie arbeiten auch in der Mikroschadstoff-gruppe der CIPEL. Was beobachten Sie dort?

ein grosses problem ist die industrielle Verschmutzung. Im Genfersee werden beträcht­

liche Mengen an Mikroschadstoffen gemessen. es handelt sich dabei um Verschmutzungs­peaks, welche einmal pro Jahr oder sogar häufi­ger vorkommen. Aber es gibt auch Fortschritte: erinnern Sie sich an die Bucht von Vidy bei Lau­sanne, die sich vor Jahrzehnten noch völlig wi­derlich präsentierte? Die wasserqualität ist seit den 60er Jahren dank kläranlagen viel besser geworden. und seit den 90er Jahren garantieren zahlreiche Forscher eine gute überwachung. Aber es ist noch längst nicht ideal.Was sagen Sie zu den Pestiziden? Im Februar 2012 hat Greenpeace eine Petition für ein Moratorium zum Schutz der Bienen lanciert.

Das problem der Bienensterblichkeit hat verschiedene Gründe. pestizide spielen sicher eine rolle beim Verschwinden der Bienen – schon nur deshalb ist es wichtig, sich näher mit ihren risiken zu befassen. Allgemein ist die Situation aber weltweit sehr viel besser gewor­den. In den 80er Jahren begann man Qualitäts­vorschriften für produkte zu erlassen. es musste nachgewiesen werden, dass sie risikofrei sind, bevor sie auf den Markt gelangten. Die Bauern beginnen ihr Verhalten zu ändern und achten darauf, wo sie pestizide anwenden. Sie werden heute generell zurückhaltend dosiert.Was ist der Hauptgrund für die Verschmutzung in der Schweiz?

Die grösste Verschmutzung bewirken reinigungsmittel, kosmetika etc. An zweiter Stelle steht die Landwirtschaft, und entgegen landläufigen Vorstellungen folgt erst dann die Industrie.Was lässt sich gegen die Missstände unternehmen?

einiges – vor allem auf der Verbraucherseite. Man kann etwa den übermässigen Verbrauch von komfortprodukten wie toiletten des infek ­tionsmitteln vermeiden. und man kann überall aufklärend wirkend. Spitäler sind eine grosse Quelle der Verschmutzung. Aber auch die Indus­trie könnte versuchen, weniger schädliche textil­farben zu verwenden. Das erfordert aber finan­zielle Mittel, die nicht immer leicht aufzubringen sind. wir kennen zwar das Verursacherprinzip, aber bei gewissen Sub stanzen, die im See landen, ist es oft schwierig, den hauptverschmutzer zu eruieren. Das ist ein punkt, an dem wir arbeiten.

Zur Verminderung von Medikamenten­spuren im wasser wurde im Juni ein workshop durchgeführt. Auch wünschen wir uns eine Zu­

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sammenarbeit mit Veterinären. Diese steht aber erst am Anfang.

Auf Gesetzesebene gibt es die europäische chemikalienverordnung reAch (registrie­rung, Auswertung und Zulassung von chemi­schen Stoffen). Sie stammt aus dem Jahr 2006 und soll das risiko von 30 000 chemischen Substanzen (von insgesamt 100 000) abschätzen.

Welche Schadstoffe sind für Sie die schlimmsten?

Die synthetischen hormone und alles, was auf die hormone einwirkt: die pille, Bisphenol A, phthalate, pcB und nonylphenole (np) aus textilien. Bei Letzteren handelt es sich um langlebig Zerfallsprodukte, die das endokrine Drüsensystem stören. Seit den 80er Jahren sind sie eigentlich verboten.Die Detox-Kampagne von Greenpeace hat angeprangert, dass das Waschen von Textilien aus China Schweizer Gewässer verschmutzt.

Das ist lobenswert, denn die kläranlagen sind nicht für die Behandlung von Mikro­schadstoffen ausgerüstet. eine neue Verfügung zum Schutz der wasserflora und ­fauna sowie der trinkwasserreserven ist in der Vernehmlas­sung. Die kläranlagen werden in nächster Zeit nachrüsten müssen. egal, wie teuer das wird – es ist einfach unerlässlich.Sie haben Mikroschadstoffe aus nächster Nähe untersucht. Trinken Sie noch Wasser aus dem Genfersee?

Ja. um aber das chlor zu entfernen, das bekanntlich flüchtig ist, müsste man das wasser vor dem trinken im kühlschrank aufbewahren. Mit warmem wasser, das nicht garantiert trink­bar ist, sollte man zurückhaltend sein. es könnte Stoffe enthalten, die Allergien auslösen.Was bedeutet Wasser für Sie?

wasser ist der Lebensraum für tausende von Arten, aber auch wir Menschen können ohne wasser nicht überleben. ein nachhaltiger Schutz der wasserqualität ist darum besonders wichtig. Gegenwärtig werden die Gewässer noch zu oft von unseren festen und flüssigen Abfällen verschmutzt. Das bedroht unser überleben langfristig. Das Interview führte FranÇoise MinarroNathalie Chèvre verfasste an der Eth in lausanne (EPFl) eine Doktorarbeit im Bereich Umwelttoxikologie. Derzeit erforscht sie an der Universität lausanne Mikroschadstoffe im urbanen Wasserkreislauf.

1 Waschmittel die Nonylphenolethoxylate (NPE) und andere Chemikalien enthalten, werden den textilfabriken geliefert und dort als tensid eingesetzt.2 laxe Regulierungen erlauben es, abwassermit NPE in die Flüsse zu leiten. Dort baut es sich zum persistenten, bioakkumulativen und hormonell-wirksamen Nonylphenol (NP) ab.3 NP reichert sich im Sediment und in der Nahrungskette an, z.B. in Fischen.4 Der globale Export liefert textilien, die mit geringen Mengen an NPE belastet sind‚ — auch in länder, in denen der Einsatz dieser Chemikalien in textilfabriken verboten ist.5 Durch das Waschen gelangt NPE in dieKanalisation.6 Im allgemeinen können Kläranlagen NPE nicht vollständig unschädlich machen, teilweise wird der abbau zum giftigen NP noch beschleunigt.7 hormonell wirksames NP gelangt auf diesem Weg in Oberflächengewässer, auch in ländern, die den Einsatz von NPE verboten haben.

textilien und der globale Giftkreislauf

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Kohlegeschäft gefährdet

Great Barrier ReefDas Great Barrier Reef muss stärker geschützt wer-den. Dies verlangt die Unesco und schlägt alarm. Sie verlangt von der australische Regierung, das fragile Ökosystem vor den Schäden des touris-mus sowie des Kohle- und Gasabbaus zu bewah-ren. Denn die industrielle Entwicklung des landes, der tourismus und der Kohleabbau bedrohen das Weltnaturerbe. Sollte sich die lage nicht bessern, könnte das Riff vor der Ostküste australiens auf die liste der «Welterbegüter in Gefahr» kommen, schreibt das Unesco-Welterbekomitee in einem Bericht.

Jährlich besuchen etwa zwei Millionen Men-schen das Weltnaturerbe. Vor allem sollen an der Küste nahe dem Riff keine neuen häfen mehr ge-baut werden, so der Unesco-Report. Bis 1. Februar 2013 soll australien nun einen Bericht über die Umsetzung der Schutzmassnahmen vorlegen. Danach will die Unesco, die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, über den liste-neintrag entscheiden.

In australien wurde die Unesco-Kritik scharf zurückgewiesen. Man werde die Umwelt schützen, aber nicht die wirtschaftliche Zukunft gefährden, sagte etwa der Premierminister des Bundesstaats Queensland, Campbell Newman.

australien ist der weltgrösste Kohleexporteur. Ein grosser teil wird von häfen nahe des Great Barrier Reef verschifft. Das Riff besteht aus mehr als 2900 Korallenriffen, die sich etwa 2600 Kilo-meter entlang der Ostküste australiens ziehen.

Greenpeace fordert die Regierung australi-ens auf, sich aus dem Kohlegeschäft zurückzu-ziehen, und hat eine E-Mail-Protestaktion aufge-schaltet: www.greenpeace.org/australia.

Rio+20: Der Erdgipfel ist gescheitert

Die rund fünfzigseitige Deklaration «Die Zukunft, die wir wollen» sollte eine Green Economy auf den Weg bringen und einen Prozess für die Entwick-lung von Zielen zur Nachhaltigkeit anschieben. Doch sie bleibt vage und liefert keinerlei lösungs-ansätze für die Umweltprobleme, die sich seit dem ersten Erdgipfel 1992 verschärft haben.

Konkretes fehlt auch im Kampf gegen den Klimawandel, die Rodung der Urwälder und die Plünderung der Weltmeere. Weder die USa noch China und Indien haben Interesse an verpflich-tenden Zielen für den Schutz der Ökosysteme. So sperrten sich etliche Staaten unter der Führung der USa gegen mehr Schutz für die Ozeane.

Der Siegeszug der erneuerbaren Energien als wirtschaftliche und technisch sinnvolle Energie-versorgung wurde ignoriert. 2011 wurden mit einem Volumen von 257 Milliarden Dollar 40 Milliarden Dollar mehr in erneuerbare Energien investiert als in die fossile Energieerzeugung. Die Rio-Be-schlüsse nennen weder Zahlen noch Fakten zum ausbau der Zukunftsenergie.

Waldreform in Brasilien: Der Druck auf die

Staatspräsidentin wächstBrasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat am 25. Mai ein teilveto gegen das neue Waldgesetz eingelegt. Sie versuchte den Eindruck zu erwe-cken, sie setze sich tatkräftig für den Schutz des amazonas ein. Die Wirklichkeit sieht allerdings anders aus.

Greenpeace befürchtet, dass das aufge-weichte Waldgesetz die abholzung beschleunigen wird. Brasilien hat eine einmalige Gelegenheit ver-passt, zu zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung und Umweltschutz hand in hand gehen können.

Mehr als 300 000 Brasilianer haben bereits eine Petition für ein «Null-Entwaldungsgesetz» unterschrieben, das dem amazonas umfassen-den Schutz gewähren würde. Greenpeace fordert Präsidentin Rousseff auf, dem brasilianischen Volk Gehör zu schenken und Brasilien auf den Pfad der nachhaltigen Entwicklung zu führen. Nur dann kann sie wirklich als globale Führungskraft für nachhaltige Entwicklung gelten und als Prä-sidentin, die sich für die anliegen der brasiliani-schen Bevölkerung einsetzt.

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Petition zum Schutz der Bienen

Bienen sind für Ökosysteme und landwirtschaft sehr wichtig. Ohne Bestäubung durch die Bienen ist die Nahrungskette der Menschen und vieler tiere gefährdet. Die globale Nahrungsmittelpro-duktion hängt zu 35 Prozent von bestäubenden Insekten ab. Weltweit sind Bienenvölker im Nie-dergang begriffen. Damit sie erhalten bleiben, müssen wir dringend handeln. In der Schweiz ist der Einsatz mehrerer Pestizide, die erwiesener-massen sehr giftig sind für Bienen, in der konven-tionellen landwirtschaft noch immer erlaubt.

Im Interesse einer nachhaltigen, bienen-freundlichen und naturnahen landwirtschaft for-dert Greenpeace:

Dass der Bund gemäss Vorsorgeprinzip ein zehnjähriges Moratorium für Pestizide erlässt,

deren toxizität und Risiken für die Bienen er-wiesen sind, insbesondere für Fipronil und Neonicotinoide (Clothianidin, thiamethoxam, Imidacloprid und thiacloprid). Wie die interna-tionale aktualität zeigt, ist es durchaus mög-lich, diese Verbote durchzusetzen: In mehre-ren europäischen ländern, u.a. in Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien, wurden die Bewilligungen für gewisse Neonicotinoide auf bestimmten Pflanzungen vorübergehend oder definitiv zurückgezogen.

Dass Bewilligungsverfahren transparenter werden und der Bund unabhängige Gremien mit der Prüfung der langzeitwirkungen von Pestiziden auf die Biodiversität in der land-wirtschaft beauftragt.

Petition downloaden oder online unterzeichnen unter www.greenpeace.ch/bienen. ausfüllen und bis 31.12.12 zurücksenden an: Greenpeace Vaud, 36 av. de Sévelin, 1004 lausanne. auskünfte: [email protected]

Filmtipp: «More than honey» geht auf die Su-che nach den Ursachen für das grassierende Bie-nensterben. Ein Dokumentarfilm von Martin Imhof. ab 25.10. in ausgewählten Schweizer Kinos.

In der neuen Greenpeace-Infobroschüre erfahren Sie, was es für eine Stromversorgung 100% erneuerbar und effizient braucht, was es bezüglich Kosten und Landschaftsschutz bedeutet, was es uns bringt und was Sie selber dazu beitragen können.

Die Broschüre finden Sie in der Mitte dieses Magazins eingeheftet. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.

Diese und weitere Fragen haben wir mit Experten zusam-men untersucht und sind zum Schluss gekommen:Ja, die Schweiz kann sich bis 2025 erneuerbar, klima-freundlich und effizient mit Strom versorgen.

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Der Greenpeace- Jahresbericht ist online

Werfen Sie einen Blick in unseren aktuellen Jah-resbericht und vergewissern Sie sich, wie sorgsam Greenpeace mit anvertrauten Geldern arbeitet.

2011 haben 159 000 Spender unsere Um-weltschutzorganisation in der Schweiz un-terstützt.

Es wurden uns Spenden im Wert von ChF 25,3 Mio. anvertraut.

18 Prozent kamen aus Grossspenden, Stiftungen und Erbschaften (auch anonym).

Dank diesem Vertrauen konnten wir 2011 wichtige Ziele für den Umweltschutz erreichen.

Im animierten Jahresbericht 2011 finden Sie nebst Bilanz und Jahresrechnung spannende Beiträge, Bilder und Videos über all unsere ak-tivitäten und Erfolge des letzten Jahres sowie Informationen über unsere eigene Ökobilanz: www.greenpeace.ch/jahresbericht.

Gerne schicken wir Ihnen den Jahresbericht 2011 auf Wunsch auch in Papierform zu. Wenden Sie sich bitte direkt an unseren Infoservice (044 447 41 71 oder [email protected]).

Modekette G-Star muss Greenwashing

beendenGreenpeace hat vor einem Jahr den Bericht «Schmutzige Wäsche» veröffentlicht: In 18 län-dern wurden insgesamt 78 textilprodukte von 15 internationalen herstellern gekauft und im labor auf gefährliche Chemikalien getestet. Zwei Drittel der Produkte enthielten Nonylphenolethoxylate (NPE), darunter auch drei von fünf Produkten von G-Star. NPE wird bei Wasch- und Färbeprozessen eingesetzt. In der EU ist die Verwendung dieser Chemikalie verboten, der Import stark einge-schränkt. In den Produktionsländern der getes-teten textilien ist der Einsatz von NPE hingegen nicht geregelt.

aufgrund der Detox-Kampagne von Green-peace haben adidas, C&a, h&M, Puma und Nike bereits konkrete Pläne zur Entgiftung der Produk-tion vorgelegt. Sie wollen bis 2020 mittels einer Roadmap ihre gesamte Produktionskette giftfrei gestalten. G-Star, eine bekannte Jeans- und Mode-kette, hat zwar eine Stellungnahme veröffentlicht,

doch im Gegensatz zu den konkreten Schritten der anderen Unternehmen gab es von G-Star bislang nur schwammige Bekundungen, wie beispielswei-se, dass die Freisetzung gefährlicher Chemikali-en «so weit als möglich» reduziert werden solle. Gleichzeitig stellt sich das Unternehmen auf der eigenen Website als ökologisch vorbildlich dar.

Greenpeace verlangt: Gras statt Soja

für Kühe300 000 tonnen (vor allem brasilianische) Soja werden an Schweizer Nutztiere verfüttert, und der Importberg ist in den letzten zwei Jahren um ganze 21 Prozent gewachsen. 41 Prozent dieser Soja verbrauchen unsere Schweizer Kühe, die eigentlich Grasfresser wären. Die Folgen einer solchen landwirtschaft sind Milchüberschüsse, unter tiefstpreisen leidende Bauern sowie Um-weltschäden in der Schweiz und in den Soja-an-bauländern.

hier in der Schweiz finanzieren die Steuer-zahlerinnen die landwirtschaft und erwarten im Gegenzug eine nachhaltige Qualitätsproduktion.

Greenpeace hat deshalb eine Petition gestar-tet, in der Parlamentarier aufgefordert werden, sich im Rahmen der agrarpolitik 2014—17 für eine ökologische Milch- und Rindfleischproduktion einzusetzen. Umfrageresultate stützen das Pe-titionsanliegen. Eine deutliche Mehrheit der Be-fragten

findet den Einsatz von Kraftfutter bei Kühen als problematisch,

würde mehr für echte «Grasmilch» bezahlen und

könnte sich vorstellen, dass die 3,5 Mia. Fran-ken landwirtschaftsgelder hauptsächlich an ökologisch produzierende (kraftfutterfreie Milchproduktion, kein Kunstdünger- und Che-mikalieneinsatz) Betriebe verteilt würden.

Weitere Informationen unter: www.greenpeace.ch/grasstattsoja.

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«mobil-e», die frisch-freche Infobox von Greenpeace, setzt sich auf spielerische art und Weise mit dem thema Stromversorgung auseinander und bringt die Informationen sozusagen vor

die haustüre respektive auf den Dorfplatz. «mobil-e» bietet Zahlen und Fakten zur Realisierung einer 100% erneuerbaren Stromversorgung bis 2025 sowie Inputs und Wissen zu Klimaschutz,

landschaftsschutz oder Wirtschaft.

«mobil-e» ist die nächsten Jahre in der Schweiz unterwegs. Kommen Sie vorbei!

Infos: http://mobile.greenpeace.ch

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Clean Our Cloud — selbst apple

setzt auf grünen StromJeden tag produzieren, speichern und verschi-cken wir viele terabytes an Foto-, Video und MP3-Dateien. Die Daten werden im Internet gespeichert und benötigen riesige Rechenzentren, die einen immer grösser werdenden anteil am weltweiten Energiebedarf ausmachen. Die Kehrseite: Um das Internet mit Strom zu versorgen, wird jeden tag tonnenweise CO2 aus Kohlekraftwerken in die at-mosphäre gepustet.

Greenpeace fordert die drei weltweit gröss-ten It-Firmen apple, amazon und Microsoft auf, ihre Rechenzentren sauber zu betreiben, das heisst ohne klimaschädlichen Kohlestrom. Ziel ist, ihre Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen.

Fast eine Viertelmillion Menschen haben bisher die von Greenpeace lancierte Unterschrif-tenpetition unterzeichnet und fordern die Verant-

wortlichen auf, sich vom Kohle- und atomstrom zu verabschieden.

apple hat daraufhin angekündigt, für sein neues Rechenzentrum in Maiden, North Caro-lina, eigene Solarparks zu bauen und langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Microsoft will ab Mitte Jahr seine Rechenzentren CO2-frei betreiben, allerdings vor allem durch den Zukauf von Grünstrom-Zertifikaten.

amazon ignoriert die Forderungen bis zum heutigen Zeitpunkt. Somit fällt amazon in Sachen zukunftsweisende Stromversorgung weit hinter apple und Microsoft zurück.

Greenpeace wird ihre Kampagne so lange fortführen, bis apple und alle anderen It-Riesen sicherstellen, dass ihre Rechenzentren sauber sind und sauber bleiben.

auch Sie können uns dabei helfen, indem Sie ein Protestmail an die Chefs dieser Unternehmen schicken!

www.greenpeace.org/cleanourcloud

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Neues Greenpeace- handbuch

Politik und Wirtschaft haben die Ökologie als the-ma längst entdeckt. aber sie tun sich schwer, alles Notwendige für eine bessere, grünere Welt ein zu-leiten. Was tun? Selber anpacken, selber handeln. als Bürger und Konsumentin. Umweltschutz beginnt und endet beim Menschen selbst.

Nun gibt Greenpeace ein praktisches hand-buch heraus. anhand von Ratschlägen und Er-klärungen wird gezeigt, wie einfach und schnell viel bewirkt werden kann. In einer Reihe von un-terhaltsamen Essays äussern sich Fachleute und Vordenker zu Fragen, auf die es keine eindeutigen antworten gibt. Für ehrgei zige Umweltschützer liefert das Buch weiterführende Informationen — intelligent gegliedert, aufwändig gestaltet und illustriert.

Das Buch erscheint im herbst. Mitglieder können es per Mail an [email protected] zum Preis von ChF 20.— statt 34.— (inkl. Porto) vorbe-stellen.

Solar Queen Elizabeth gibt sich

die EhreSolarstrom kann für Kenia Gesundheit bedeuten, Sicherheit und Unabhängigkeit vom unzuver-lässigen Stromnetz, an das die meisten Dörfer ohnehin nicht angeschlossen sind. Ein solches Dorf ist Kogelo. hier wohnt Barack Mama Sarah, die Grossmutter des US-Präsidenten Barack Ob-ama. Zu ihrem 90. Geburtstag bekommt sie eine Solaranlage aufs Dach ihres hauses. Ermöglicht haben das Elizabeth Otieno und ihr Solafrica-

team. Dank der von Greenpeace und solafrica.ch angebotenen ausbildung wurde die 23-Jährige zur ehrgeizigen leiterin dieses geglückten So-larentwicklungsprojekts. Mama Sarah hat sich auf ihr Geschenk lange gefreut. Und die neue Stromquelle wird allen Dorfbewohnern zu Gute kommen. Sie werden bei Sarah künftig ihre handys aufl aden. Denn ohne Mobiltelefone geht nichts. Sie sind die Verbindung zum Weltgesche-hen. ausserdem ermöglichen sie Geldtransfers, was wegen der arbeitsmigration zum alltag jeder Familie gehört.

Solarinstallationen bieten Bildungschancen und Perspektiven für Junge. Elizabeth Otieno ist eine Garantin dafür. Während Kenias Regierung den Einstieg in die atomenergie plant, liefern sie und ihr team Beweise, dass die Sonne eine sinn-vollere Option ist — mit unzähligen positiven Ne-benwirkungen in den ländern des Südens.

Die Greenpeace-Reporterin laura Weid-mann hat einen Bericht verfasst über Sarah und die «Solar Queen» Elizabeth. Sie können ihn lesen unter www.greenpeace.ch/magazin.

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Plastikmüll

Aufklärung im Museum

Mitten in den weltmeeren rotie­ren, von den meisten Menschen unbemerkt, fünf gewaltige plastik­müllstrudel. Lediglich 15 prozent des Mülls gelangen durch die Strö­mung an die Strände, 70 prozent sinken auf den Meeresgrund und der rest treibt im offenen Meer, oft in wolkenartigen Gebilden unter der wasseroberfläche. Das Museum für Gestaltung Zürich hat diesem Müll eine eigene Ausstel­lung gewid met: «über das ende des Designs und was wir unseren kindern hinterlassen werden», wie Museumsdirektor christian Brändle auf der website des pro­jekts schreibt. herzstück der Aus­stellung ist eine Installation aus plastikschwemmgut, das bei Strandsäuberungen auf kaho’olawe, einer unbewohnten Insel auf hawaii, auf Sylt an der nordsee und auf Fehmarn an der Ostsee gesammelt wurde. Die Stücke laden zum nachdenken ein über die herkunft, den Lebenszyk­lus sowie Sinn und unsinn der plastikprodukte. Die begleitenden texte, Bilder und Filme verdeutli­chen, wie gross das Ausmass die­ser ökologischen katastrophe mittlerweile ist. Sie zeigen, wie Vögel verenden, weil sie die plas­tikteile für Futter halten, oder wie plastikmikropartikel am ende auf unseren tellern landen.

Ausschliesslich mit dem plastik sack beschäftigt sich beinahe zur gleichen Zeit die Ausstellung «Oh, plastiksack!» im Gewerbe­museum winterthur. Dort werden über dreissig internationale posi­tionen aus zeitgenössischer kunst und aktuellem Design gezeigt und gleichzeitig ausgesuchte kultur­historische, ästhetische und politi­sche plastiksack­Geschichten aus Deutschland und der Schweiz erzählt.

Obwohl der globale plastikberg von tag zu tag wächst, hat uns vor wenigen wochen ausgerechnet aus Los Angeles eine gute nach­richt erreicht. In der Stadt, die als Symbol für einen entfesselten konsum gilt, hat der Stadtrat mit überwältigender Mehrheit ein Verbot von plastiktüten in einkaufs­märkten beschlossen.«Endstation Meer? Das Plastik müll-Projekt», Museum für Gestaltung Zürich, 4. Juli bis 23. September 2012, www.plasticgarbageproject.org«Oh, Plastiksack!», Gewerbe mu-seum Winterthur, 3. Juni bis 7. Okto-ber, www.gewerbemuseum.ch

Nuklearenergie

hilfreiches Argumentarium für

LehrkräfteDie website unterrichtatom.ch versammelt Fakten und Meinungen zur nuklearenergie, unter ande­rem in einem umfassenden pro­und­kontra­Argumentarium. Auf der website finden Lehrkräfte aller Stufen unterrichtsmateriali­en in Form von Arbeitsblättern und powerpoint­präsentationen zur Funktionsweise von Akw, zur radioaktivität und zur Schwei­zer Stromversorgung.www.unterrichtatom.ch

Elektrizität

Intelligente Zähler helfen Strom

sparen In zehn Jahren sollen in der Schweiz die ersten Atomkraftwerke ersatzlos vom netz gehen – so wollen es Bundesrat und parlament. ein teil des künftig fehlenden Stroms kann eingespart werden. Dabei könnten uns sogenannte Smart Meters helfen. Die intelli­genten Stromzähler – kleine com­puter, die zuhause ans Stromnetz gehängt werden – erfassen den aktuellen Verbrauch und die exak­te höhe der Spannung und über­tragen die Daten an eine Zentrale. Daraus ergeben sich interessante Möglichkeiten: Verbrauchsdaten können den kunden zeitnah zur Verfügung gestellt werden und sie für ihr Verbrauchsverhalten sen­sibilisieren. und die zusätzlichen Informationen zum Stromend­verbrauch erleichtern energie­sparkampagnen oder die entwick­lung neuer tarife zur Förderung von sparsamem Verhalten.

Dass sich die einführung von Smart Meters auch volkswirt­schaftlich rechnet, belegt nun eine Studie im Auftrag des Bundes­amts für energie (BFe). Sie kommt zum Schluss, dass eine flächen­deckende (80% der Bevölkerung) einführung von Smart Meters in der Schweiz über den Zeitraum von 20 Jahren (2015–2035) aus volkswirtschaftlicher Sicht rentabel wäre. Den geschätzten Geräte­ und Installationskosten von rund 1 Milliarde Franken steht ein wirt­schaftlicher nutzen von 1,5 bis 2,5 Milliarden gegenüber, vor allem in Form von Stromeinsparungen bei den endkunden.Studie: www.news.admin.ch/ NSBSubscriber/message/attachments/27072.pdf

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luftwerte

Schadstoff schluckender pflasterstein

weltweit wuchern die Städte und mit ihnen wächst auch der Auto­verkehr. wo es Stickoxid­Grenz­werte gibt, wird es schwieriger, sie einzuhalten. wäre es da nicht sinnvoll, die Stickoxide gleich dort abzufangen, wo sie entstehen – also nahe beim Auspuff, zum Beispiel über die pflastersteine? Diese Idee führte den Geologen werner tischer zur entwicklung eines fotokatalytischen pflaster­steins. Das Fraunhofer­Institut attestierte dem neuartigen Beton Stickoxid­ Abbau raten von 20 bis 30 prozent, bei windstille sogar bis zu 70 prozent. Dass allein der neuartige Stein die Stadtluft von Stickoxiden befreien kann, glauben experten nicht. eher könnte es eine von vielen Massnah­men sein, um unsere Stadtluft rein zu halten.www.nuedling.de

UN-Umweltbericht

Ohne entschiedene Massnahmen

droht der erde der kollaps

Als Grundlage für die Verhand­lungen an der rio+20­konferenz im Juni veröffentlichte das united nations environment programme (unep) die fünfte Ausgabe des «Global environment Outlook» (GeO). 600 experten weltweit haben für den Bericht während dreier Jahre Fortschritte beim erreichen der 90 wichtigsten glo­balen umweltziele analysiert und kamen zum Schluss: nur bei 4 wurden signifikante Fortschritte erzielt. Der GeO verdeutlicht,

dass das erdsystem derzeit an sein biophysikalisches Limit getrieben wird und dieses in bestimmten Bereichen bereits überschritten hat. Sorgen macht den wissen­schaftlern insbesondere der unge­bremste klimawandel: Vier unabhängige Analysen haben ge­zeigt, dass die periode von 2000 bis 2009 die wärmste je auf­gezeichnete Dekade war. und noch nie waren die emissionen durch treibstoffverbrennung und Zementproduktion so hoch wie 2010. Die aktuellen klimamodelle zeigen, dass sich die treibhausga­semissionen in den nächsten 50 Jahren verdoppeln könnten, was voraussichtlich zu einem glo­balen temperaturanstieg von 3 Grad celsius führen wird. tra­gisch sei auch der Verlust der Artenvielfalt, speziell in maritimen Ökosystemen, schreibt das GeO­team. Am stärksten vom Ausster­ben bedroht sind die korallen. um 38 prozent gingen die Bestände seit 1980 zurück. während die Schutzzonen auf dem Land immer­hin 13 prozent der Gesamtfläche betragen, sind es in den Meeren nur 1,6 prozent – obschon in inter­nationalen Vereinbarungen zwi­schen 10 respektive 17 prozent bis im Jahr 2020 angestrebt wurden.

positiv auf die umwelt ausge­wirkt haben sich hingegen das Verbot von ozonschädigenden Substanzen und die einführung von bleifreien treibstoffen. Zu­dem konnte der Zugang zu saube­rem trinkwasser für viele Men­schen verbessert werden, wenn auch mit unerwünschten Aus­wirkungen auf die Grundwasser­depots: In 50 Jahren hat sich die entnahme verdreifacht. Dafür ist vor allem die Landwirtschaft verantwortlich, die für 92 prozent des globalen wasser­Fussabdrucks verantwortlich ist. Bei einem anhaltenden, ungebremsten res­

sourcenkonsum müssten die regierungen bald mit beispiel losen umweltschäden rechnen, warnte unep-Direktor Achim Steiner im hinblick auf den Bericht. Die Autoren der Studie fordern deshalb eine neudefi nition von wohl­stand, die über das Bruttoinland­produkt hinausgeht, und den Aufbruch in eine grüne Ökonomie. Bericht und Zusammenfassungen: www.unep.org/geo/geo5.asp

Buchtipp

rebellion im Internet

Blogs und soziale netzwerke wer­den immer wichtiger im politi­schen Meinungsbildungsprozess. Doch wer sind die Internetauf­klärer, die parteien und Systeme herausfordern? Matthias Bernold und Sandra Larriva henaine haben zehn protagonisten an den Schauplätzen ihres widerstands besucht und in einem Sachbuch gewürdigt: «revolution 3.0 – die neuen rebellen und ihre digitalen waffen». Die porträtierten ste­hen trotz unterschiedlichen Zielen für eine neue Form von protest, der aufrütteln, Zusammenhänge zeigen und für Machthaber un­bequem sein will. Das Buch gibt es beim Zürcher Xanthippe Verlag zu kaufen, tel. 044 251 03 02, [email protected] Seiten, Fr. 34.—, € 19.—

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teersand

kanadische Lobby stemmt sich

gegen eu-richtlinie

Im rahmen der sogenannten treibstoffqualitätsrichtlinie (Fuel Quality Directive) der eu soll künftig treibstoffen aus dem Abbau von teersanden ein höherer emissionswert zugewiesen werden. Der Import von Öl aus teersanden in die eu wäre damit kaum noch möglich. teersande sind eine un­konventionelle ressource zur erdölgewinnung und werden vor allem in kanada abgebaut. Der aufwändige und energieintensive Abbau führt zur grossflächigen Zerstörung von wäldern. kanadi­sche unternehmen lobbyieren schon länger für die teersande und der kanadische Botschafter in Deutschland kritisierte die eu­richtlinie, sie würde nicht auf wissenschaftlichen Fakten basie­ren – obwohl sich die kommission bei ihrem Vorschlag auf eine Studie der universität Stanford bezieht. über die richtlinie sollte im Juni abgestimmt werden. nun will die kommission weitere Studien über mögliche Auswir­kungen der Gesetzgebung auf unternehmen und Märkte anferti­gen lassen und erst Anfang 2013 darüber abstimmen.

Klipp & klar — Kunos Kolumne

die crux der verhaltenSänderung

alS StrategieAls kinder erzählten wir uns elefant­&­Maus­witze. einer ging so: Die Maus pinkelt ins Meer, dreht sich zum elefanten um und sagt: «Gäng das!» ähnlich ist es mit einzelnen Verhaltensänderun­gen – weniger Autofahren, mehr Strom sparen etc.: nichts als ein tropfen im Meer.

Verhaltensänderungen werden für die umwelt dann relevant, wenn sie massenhaft geschehen. Doch massenhaft zum tragen kommt nur das, was gemeinsam beschlossen, verordnet oder in eine kampagne eingebettet wird. In fast allen andern Fällen schei­tert die Strategie über freiwillige Verhaltensänderungen an der trägheit der Mehrheit. Gleichwohl meine viele umweltorganisatio­nen, mit Moral ein Meer von Mäusen um sich scharen zu können. Denn die Versuchung ist gross, weil es so einleuchtend scheint: über ein problem informieren schafft Bewusstsein und dieses löst die Verhaltensänderung aus. Die Sozialpsychologie zeigt jedoch, dass normen, rebound­effekte und die so genannte Allendeklem­me, die tropfen einzelner im Meer untergehen lassen.

und was bei erwachsenen nicht funktioniert, scheitert bei jun­gen Menschen erst recht. trotzdem sterben «umwelt bildungs»­Angebote nicht aus, die auf Verhaltensänderungen abzielen. Dabei wird weder die umwelt spürbar geschützt noch Bildung betrieben. Solche erziehung ist im Grunde eine Aufputzaktion: Die Badewan­ne läuft über, kinder wischen den Boden auf, der hahn jedoch wird nicht zugedreht. Symptom­ statt ursachenbekämpfung. Deshalb gibt’s Fördergelder, deshalb wird’s gemacht.

Solche pädagogik des schlechten Gewissens ist weit von der «Bildung für nachhaltige entwicklung» entfernt. Diese bedeutet kurz gesagt*:

erlebnisförderung, vor allem bei kindern: «raus, aber rich­tig!» (statt putzequipen heranziehen)

praktische Arbeiten wie projektwochen für Jugendliche (statt langweilige pseudoaufklärung).

Lernen geschieht beim gestaltenden tun und beim nachden­ken übers handeln. nicht über wissensvermittlung (allein).

um einem Missverständnis vorzubeugen: Sich selber umweltschonend zu verhalten, ist gut. Schlecht ist nur die Strate­gie, mit einem Meer von tipps mehr als einen tropfen weiter­kommen zu wollen. wirfst du einem Menschen zehn Bälle aufs Mal zu, wird er keinen einzigen fangen.* siehe z.B. www.umweltbildung.ch/fileadmin/user_upload/ resources/positionspapier_1.pdfausführlichere Gedanken und thesen zum thema siehe Blog unter www.greenpeace.ch/kuno

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Zu gewinnen: Fünf Jahresabos «Beobachter natur»«Beobachter natur» ist das überraschende umwelt­ und wissensmagazin der Schweiz. Sie haben die chance, von klugen Geschichten und tollen Fotos aus der tier­ und pflanzenwelt inspiriert zu werden. Senden Sie das Lösungswort bis 30. September 2012 per e-Mail an [email protected] oder per post an Greenpeace Schweiz, redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, postfach, 8031 Zürich. Das Datum des poststempels resp. des e-Mails ist massgebend. Der rechtsweg ist ausgeschlossen. über die Verlosung wird keine korrespondenz geführt.

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