Grenzgänger August 2012
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Grenzgänger.
der Newsletter von Horizont e.V.
August 2012
Ganz kurz:
Grußwort S. 2
„Vergesst nicht an welchem Ort ihr seid“. Rückblick auf die Gedenk-
stättenfahrt in Oswiecim S. 3
Vom Erinnern und vergessen. Ein Bericht über Buchenwald S. 5
Zu Besuch in Belarus S. 8
Die Zukunft des Freiwilligendienstes in den Programmen der EU-
Kommission ab 2014 S. 11
Auf zum Horizont & Kolberg vs. Kołobrzeg – Das Panorama Wochen-
ende an der Ostsee S. 14
Freiwillig gelesen. Über das Leben eines Überlebenden S. 17
Teilnehmeraufruf S. 19
Ausblick S. 20
Impressum S. 20
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Grußwort
Liebe Horizontler, liebe Leser!
Was für ein Name, was für eine Gelegenheit. Einmal gemeinsam zum Horizont
blicken, sich verlieren und an den Sommer denken. Wo geht das besser als am
Meer? Das dachten sich auch einige Horizontler und fuhren für unser Frühlings-
treffen „Panorama“ an die polnische Ostseeküste. Was wir dabei erlebten, sowie
von den anderen Ereignissen, die uns das Jahr 2012 bisher bescherten, wollen
wir euch berichten. Da wäre zum Beispiel die wieder sehr gelungene Gedenkstät-
tenfahrt nach Oswiecim. Zusätzlich erzählen euch einige Horizontler gerne von
anderen Projekten, an denen sie teilgenommen haben. Also freut euch darauf,
Berichte über Belarus, vom Checkpoint Jugend in Aktion und über die Gedenk-
stättenfahrt Buchenwald zu lesen.
Aber natürlich werden noch weiter Pojekte in diesem Jahr stattfinden, von denen
ihr im Ausblick erfahren könnt.
Viel Spaß beim Lesen,
Euer Vorstand
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"Vergesst nicht an welchem Ort ihr seid"
Meine Füße tragen mich durch das Lager. Ich laufe, ich sehe. Aber mein Herz
fühlt nicht. Nichts. Ich fühle mich völlig fremd. Stammlager I. Appellplatz, To-
desmauer.
1 ½ Millionen Menschen. Die Aussortierungsrampe. Ich will schreien. Ganz laut.
NEIN!! will ich schreien. Das kann nicht sein. Auschwitz, warum gibt es dich? Wa-
rum muss ich hier stehen? Warum bist du passiert?
Eine Kunstausstellung, gemalt von einem ehemaligen Häftling. Ich sehe tausende
Todesfratzen. Sie blicken mich an. Kampf um das letzte Stück Brot, Kampf um
das letzte Stück Menschlich-
keit.
Und was mache ich hier? Ich
bin so verdammt fehl. Ich
kann nichts rückgängig ma-
chen.
Der Pfarrer der uns durch die
Kunstausstellung führt, er-
zählt uns von Maximilian
Kolbe. Ein Geistlicher, der
sich für einen Mithäftling,
einen Familienvater, opferte und für ihn in die Hungerzelle ging und dort starb.
Plötzlich wird mir bewusst, warum ich hier bin.
Es muss Versöhnung passieren. Versöhnung der Völker, vor allem aber Versöh-
nung des gebrochenen Menschen mit sich selbst. Ich spüre es ganz deutlich: Ich
trage als deutsche Freiwillige in Polen teil. Teil an was? An Europa? An der Ge-
meinschaft die Frieden sichern soll? In Auschwitz starben 1 ½ Millionen Men-
schen. Verbrannt. Vergast. Vernichtet. Sie kamen aus Polen, Ukraine, Russland,
Italien, Tschechien, Holland, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Österreich,
Slowakei, Frankreich, Norwegen. Ganz Europa versammelt in einem Lager des
Todes.
Wir haben gezeigt wozu wir fähig sind. Das Geschehene kann nicht rückgängig
gemacht werden. Der Holocaust kann nicht rückgängig gemacht werden. Die To-
ten nicht lebendig, das Leid nicht vergessen. Versöhnung beginnt mit Begeg-
nungen. Menschlichkeit beginnt im hier und jetzt. Wir sind Freiwillige in Europa.
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Vielleicht weiß der ein oder andere nicht mehr genau warum er hier ist. Zweifelt
an seinem Dienst, an seiner Aufgabe hier. Und schon wieder ein Alltagsarbeits-
tag. Manchmal fühlt man sich wirklich sinnlos. Vielleicht glaubt man auch nicht
mehr an Europa, angesichts der Eurokrise. Oder an den Frieden.
Aber Begegnungen sind ein erster Schritt. Denn Auschwitz begann mit der Zer-
störung von Beziehungen zwischen Menschen. Mit unserem Freiwilligendienst in
ganz Europa, zeigen wir, dass wir an Verständigung, an Aussöhnung und an
Menschlichkeit glauben. Wir beginnen zu sähen. Es sind kleine Schritte die wir
gehen. Ein Lächeln, ein Gespräch.
„So verschieden wir als einzelne und als Nationen auch sein mögen, wenn wir
hier stehen, können wir nicht anders als einander als Geschwister sehen zu wol-
len“ (Papst Johannes Paul II in Auschwitz am 7.Juni 1979)
Lena
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Vom Erinnern und Vergessen
26.02 – 07.03.2012 Weimar/Buchenwald
Das ehemalige „Gauforum“ in Weimar. Im hinteren Teil das heutige Einkaufscenter. Fo-to: Adam Symonowicz
Weimar und Buchenwald. Sind das zwei Seiten einer Medaille? Konnten Kultur
und Kulturbruch auf einem so schmalen Grat in der Topographie einer Stadt ne-
beneinander existieren? Eine Begegnung des erst im Jahr 2011 gegründeten
Vereins Kulturen in Kontakt gemeinsam mit dem polnischen Ableger der Organi-
sation Young Woman Christian Association ist der Frage vom Erinnern und
Vergessen an diesen Orten nachgegangen. Studenten aus Deutschland und Po-
len, die sich auf verschiedenste Weise mit dem Thema Holocaust auseinanderge-
setzt haben, erhielten die Möglichkeit Geschichte zu begehen und ihr zu begeg-
nen. In zwei höchst unterschiedlichen Teilen der 10 Tage dauernden Begegnung
haben wir uns zunächst Weimar und seiner Topographie während der Zeit des
Nationalsozialismus angenommen. Nicht nur die Weimarer Klassik und ihre In-
strumentalisierung durch den Nationalsozialismus wurden sichtbar, auch die In-
terpretation des Erinnerns in der DDR spielte eine Rolle.
Wie wird die Vergangenheit dargestellt, was darf rekonstruiert, was nur gepflegt
werden? Und ist Erinnerung gleich Wahrheit? Welche „Kultur(en) des Erinnerns“
kultivieren wir in Deutschland mit Bezug auf den Holocaust und wie wird in Polen
erinnert? Diese Fragen begleiteten unsere Ausflüge in die Stadt Weimar und zum
ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora.
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Nach sechs Tagen in der Nähe von Weimar zogen wir um. Direkt nach Buchen-
wald und in die Jugendherberge deren Gebäude zu den früheren SS-Kasernen
gehört. Auch die Protagonisten der Begegnung änderten sich. Drei höchst unter-
schiedliche Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust standen nun
im Mittelpunkt unseres Interesses. Dabei sollten sie nicht nur Ihre Geschichte
erzählen, sie waren auch dazu eingeladen, sich gemeinsam mit uns über das „Er-
innern und Vergessen“ auszutauschen. Dieser Austausch gestaltete sich sehr
persönlich. Unsere Zeitzeugen waren Teilnehmer wie wir. Wir haben mit Ihnen
den Alltag geteilt, diskutiert, gelacht und Inne gehalten. Zum Beispiel beim ge-
meinsamen Besuch der Gedenkstätte Topf und Söhne in Erfurt. Entstanden sind
so Interviews, Filme und Texte, die dieser sehr persönlichen Atmosphäre gerecht
werden und verschiedene Perspektiven zur Frage nach dem „richtigen“ Erinnern
repräsentieren.
Zeitübergreifend war dieses Projekt auch ein medientechnischer Versuch. Mit
Hilfe von Audio-, Foto- und Filmaufnahmen erstellten thematische Gruppen selbst
historisches Material. Beinahe in Echtzeit wurden Reflektionen und Kommentare
über das Erlebte und Erfahrene auf einem Blog veröffentlicht.
Geblieben ist nach diesem Projekt und den Begegnungen das gute Gefühl, ein
Stück weit die Brücke vom Vergessen zum Erinnern geschlagen zu haben. Nicht
zuletzt sind auch neue Impulse für Horizont entstanden, die wir bei unserem
Freiwilligenprojekt im November nutzen wollen. Kulturen in Kontakt hat damit ein
beachtenswertes Debüt gegeben. Wir wünschen weiterhin viel Erfolg!
Andreas Kruzel
Brygida Czekanowska aus Danzig
überlebte gemeinsam mit ihrer Mutter
das Konzentrationslager Ravensbrück.
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Henrietta Kretz überlebte den
Holocaust als Kind.
Janusz Garlicki war Häftling in
Buchenwald. Nun kehrte er zum
ersten Mal dorthin zurück.
Fotos: Adam Symonowicz
Blog: http://erinnern-zapominanie.blogspot.de/
Videos: http://www.youtube.com/user/kultureninkontakt
Audios: http://soundcloud.com/kultureninkontakt
Kulturen in Kontakt: http://kultureninkontakt.wordpress.com/
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Zu Besuch in Belarus
Fahrt nach Belarus im Projekt „Together for a New Belarus“ mit interkulturelles
netzwerk e.V. und RADA vom 26.-30. März 2012
Ende März war ich mit einer Gruppe Vereinsarbeiter aus Frankreich, Deutschland
und der Ukraine zu Besuch bei Kate von RADA in Minsk. Es ging darum Partner
zu finden und Projektideen zu entwickeln. Ich war eigentlich vor allem aus Neu-
gier dort.
Um mich auf meine Fahrt nach Belarus vorzubereiten, hatte ich zunächst einmal
relativ früh angefangen, das kyrillische Alphabet zu lernen. Außerdem hatte ich
einen kleinen Reiseführer gekauft und ein Heft von der Bundeszentrale für politi-
sche Bildung. Je näher die Reise rückte, desto schwieriger fand ich es allerdings,
diese schwerpunktmäßig sehr auf die politi-
schen Probleme im Land ausgerichteten
Texte zu lesen. Ich fand es schwierig mich
einem Land von einem so negativen Aus-
gangspunkt zu nähern. Ich glaube aus die-
sem Grund hatte ich auch kein Problem mit
der touristischen Busfahrt durch Minsk, die
viele meiner Mitreisenden als Propaganda
empfunden haben. Ich fand es normal ei-
nen Ort erst einmal so zu betrachten wie
die Menschen dort ihn mir präsentieren
wollen. Ich habe mich eher unwohl dabei
gefühlt nach Stellen sozusagen zu suchen,
in denen der Putz bröckelt und in denen
man die hässlichen Seiten des Landes sieht. Das kam mir irgendwie indiskret
vor.
Das Lesen lernen hat sich wunderbar ausgezahlt. Manchmal war es aber auch
anstrengend, Werbeplakate und U-Bahnhaltestellennamen zu entziffern, zusätz-
lich zum Sprachgewirr innerhalb der Gruppe und all den Eindrücken beim Be-
obachten der fremden Umgebung. Ein Beispiel für solche Bilder (das dann doch
nicht wirklich touristisch ist):
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Eines dieser hübschen bunten Holzhäuser, inmitten umgewälzter Erde, da wo vor
kurzem die Nachbarhäuser gestanden hatten. Dahinter riesige Wohnblocks,
brandneu, einer neben dem anderen. So als wäre die Stadt ein Monster, das sich
mit der Zeit an die Häuser herangepirscht hat um sie nun zu verschlucken.
Der Dachverein RADA, dem unsere Gastgeberin Kate angehörte, ist seit 2006
illegal. Das kann in Belarus sehr schnell gehen, da es keine Finanzierung gibt, es
auf der anderen Seite aber illegal ist, ein ausländisches Bankkonto zu haben. Wir
haben aber auch eine Umwelt-NGO getroffen, die registriert war und damit na-
türlich verdächtig, mit der Regierung zu kooperieren. Ich fand es schwierig dem
Engagement dieser Organisation so kritisch zu begegnen wie manche aus meiner
Gruppe. In einer Gesellschaft in der gesellschaftliches Engagement wertgeschätzt
wird, kann man sich wohl kaum vorstellen unter belarussischen Bedingungen zu
arbeiten. Andererseits bekommt man durch solche Überlegungen nur noch mehr
Respekt vor den NGOs, die wirklich protestieren. Das Dilemma wie integer oder
wie pragmatisch man sein muss um Gutes zu tun ist ja nicht neu. In Belarus
stellt sich die Frage anscheinend mehr als anderswo.
Ich hatte von vornherein nie den Anspruch innerhalb von drei Tagen tiefe Kennt-
nisse über Belarus zu erlangen. Was ich mir erhofft hatte, war über das von den
Medien suggerierte Bild hinauszukommen und ein bisschen, wie im Bezug auf
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jedes andere Land, einfach einen fremden Ort zu entdecken. Ich habe gelernt,
dass man Birkensaft trinken kann. Und dass es nicht einfach ist in Minsk Postkar-
ten zu kaufen. Und dass es reichhaltiges Essen gibt. Und Kaffee ohne Filter. Und
Filzhüte in der Sauna.
Noch wichtiger als diese kleinen Alltagsdinge waren die Begegnungen mit den
Belarussen. Vor allem an einem Abend als eine Minsker Band in unserem Wohn-
zimmer gespielt hat und anschließend alle die verschiedenen kulinarischen Spe-
zialitäten der anderen probieren konnten, habe ich mich wirklich in einer Art
Zentrum des interkulturellen Austauschs gefühlt. Es war toll, dass Kate uns die
Möglichkeit geboten hat wirklich viele ihrer Freunde zu treffen, die man mit Fra-
gen löchern konnte wenn man wollte, mit denen man sich aber auch einfach über
„neutrale Themen“ unterhalten konnte. Einfach um Menschen kennenzulernen an
die man denken kann, wenn man zurück in Deutschland über Belarus liest.
Sarah Neis
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Die Zukunft des Freiwilligendienstes
Erasmus für Alle ist ein EU-Programm, welches im November 2011 von der Euro-
päischen Kommission vorgeschlagen wurde. Das Ziel dabei ist, mehrere Pro-
gramme, die sich mit den drei Themen allgemeine und berufliche Bildung, Ju-
gend und Sport befassen, zu Einem zusammen zu schließen. Dies soll den Vorteil
haben, alles besser koordinieren und leichter bearbeiten zu können. Der Beginn
ist auf 2014 angesetzt und gilt erst einmal für 6 Jahre. Zum größten Teil ist das
Konzept inzwischen ausgearbeitet und zurzeit befasst sich der Europäische Rat
sowie das Europäische Parlament mit dem Finanzplan.
Um auch andere Stimmen mit einzubeziehen, veranstaltete Jugend in Aktion ih-
ren alljährlichen Checkpoint zu diesem Thema. Sie luden Vertreter von Organisa-
tionen und Vereinen, für die dieses Thema relevant ist, nach Köln ins Maritim
Hotel ein.
Die Eröffnungsrede hielt Hans-George Wicke, Leiter von Jugend für Europa. Da-
nach gab er das Wort weiter und das Konzept wurde uns sowohl von der Seite
von Jugend für Europa als auch von einem Vertreter des Europäischen Parla-
ments vorgestellt.
Es gibt derzeit 7 laufende Programme, wie zum Beispiel den Freiwilligendienst,
die unabhängig von einander agieren. Durch Erasmus für Alle sollen mehr Men-
schen aus verschiedenen Bereichen erreicht werden, unabhängig vom ihrem Hin-
tergrund und Alter. Dabei geht es darum, Lernende und Lehrende und den Ju-
gend- und Sportbereich zu unterstützen. Aber auch die nicht formale Bildung soll
weiterhin gefördert werden. Das Ziel ist es, Fähigkeiten und Kompetenzen der
jungen Menschen, besonders mit Bezug zu Europa, zu fördern. Insgesamt wer-
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den dazu mehr Gelder bereitgestellt. Die Steigerung der Mittel soll sogar 68%
betragen. Wie genau die Verteilung sein wird, steht noch aus.
In einer anschließenden Diskussionsrunde erläuterten uns die Vertreter einiger
Programme, die nun mit eingeschlossen werden und damit direkt betroffen sind,
ihre Sicht zu Erasmus für Alle. Vertreten waren dabei die Nationale Agentur Bil-
dung für Europa beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NA BiBB), das Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Arbeitsgemeinschaft
katholisch-sozialer Bildungswerke, Eurolympics und Jugend für Europa. So lobt
zum Beispiel Klaus Fahle vom NA BiBB, dass man im neuen Programm darauf
achtet, dass es nicht nur verwaltet, sondern auch begleitet wird, um Nachhaltig-
keit zu entwickeln. Diese Expertise habe es in der Vergangenheit oft nicht gege-
ben. In dieser Runde konnte man eine sehr positive Einstellung wahrnehmen und
man gewann den Eindruck, dass alle sich einig sind, dass diese Änderung eine
gute Idee sei.
Nachdem wir nun alle in das Thema eingeführt wurden, ging es in Arbeitsgrup-
pen. Man konnte sich zwischen Themen wie zum Beispiel Jugendinitiativen,
Inclusion und Programmverwaltung entscheiden. Ich entschied mich für den Eu-
ropäischen Freiwilligendienst. Auch wenn ich mir dort ein wenig fehl am Platz
vorkam, da alle anderen bei Entsende- bzw. Aufnahmeorganisationen arbeiteten,
war es sehr interessant. Denn ich bekam einen Einblick über die Skepsis, die die
Organstationen haben.
Ziel dieser Arbeitsgruppen war es, dass jede Gruppe drei Punkte erarbeitet, die
der Europäischen Kommission überreicht und bei der Formulierung des Konzep-
tes beachtet werden. Leider war die Zeit etwas knapp und drei Punkte reichten
nicht, alle Wünsche zu berücksichtigen, die geäußert wurden.
Ich erfuhr, dass Sorge besteht, dass der Freiwilligendienst weniger Geld als bis-
her bekommt, bzw. in dem Programm einen niedrigeren Stellenwert erhält. Au-
ßerdem, dass ihnen neue Regelungen aufgezwungen werden, mit denen sie nicht
einverstanden sind. Der Konsens der Arbeitsgruppe lag darin, dass sie bisher zu-
frieden sind und keine großartigen Veränderungen wollen. Aber die Hauptsorge
scheint zu sein, dass alles zu formal wird. Das heißt, sie befürchten, dass die
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jungen Menschen in ihrem Freiwilligendienst eher ausgebildet werden, anstatt für
sich selbst lernen und soziale und kulturelle Erfahrungen sammeln.
Im Großen und Ganzen herrschte also noch viel Unsicherheit und Zweifel von
denjenigen, die es betrifft, während die Initiatoren optimistisch sind. Wie das
Programm tatsächlich ankommt und ob es die versprochenen Vorteile bringt,
wird man nur an der Praxis erkennen können. Frühestens Ende des Jahres soll
das komplette Konzept mit genauem Finanzplan vorgestellt werden. Ich denke,
man kann gespannt sein.
In der nächsten Newsletterausgabe wollen wir auch noch weiter auf das Thema
eingehen. Dann stellen wir euch das Netzwerk European Youth Network vor, das
sich stark für den Erhalt eines eigenständigen EU- Jugendprogramms einsetzt.
Kathrin Heidenreich
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Auf zum Horizont & Kolberg vs. Kołobrzeg – Das Panorama Wochenende
an der Ostsee
Fahrten ans Meer sind immer inspirierend und erholsam. Bei der Panoramafahrt
an die polnische Ostseeküste vom 17. bis 20. Mai 2012 traf das in besonderem
Maße zu, denn wir nahmen uns Zeit, um das Meer aus einem neuen Blickwinkel
zu sehen. „Vermählung mit dem Meer“ – das war in diesem Jahr das Motto der
Panoramafahrt von Horizont. Genau wie die polnische Bevölkerung, die seit über
90 Jahren den Zugang und die Zugehörigkeit zum Meer zelebriert, haben wir uns
daher an die Küste begeben und über das Meer nachgedacht.
Am Freitag, dem ersten eigentli-
chen Urlaubstag, begann unsere
„Vermählung mit dem Meer“.
Nach dem Frühstück setzten wir
uns bei grandiosem Wetter in das
Gras vor unserer Hütte. Jutta hat-
te für alle Zettel vorbereitet, auf
denen Texte mit Bezug zum Meer
standen. Diese verteilte sie und
ließ uns darüber nachdenken, von
wem die Texte in welchem Jahr-
hundert verfasst worden sein könnten. Dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich
das Meer wahrgenommen werden kann – als Bedrohung und Nahrungsquelle,
Symbol für Freiheit und Sehnsucht, aber auch Grenze und Naturgewalt. Je nach-
dem, ob das Meer den Menschen etwas bot oder nahm, etwa Handelsgüter, die
auf dem Seeweg aus dem Land geschafft wurden, faszinierte oder verschreckte
es sie. Nachdem wir über alle Texte gesprochen hatten, war eines jedenfalls
klar: Seit jeher beeindruckt und beeinflusst das Meer die Bevölkerung in Polen
und wohl auch jedem anderen an der See gelegenen Land.
Durch diese Gesprächsrunde hatten wir alle Blut geleckt und machten uns schnell
auf den Weg zum Strand, um alle zusammen die Ostsee auf uns wirken zu lassen
und strandauf, strandab die Umgebung zu erkunden. Unser Aufenthaltsort
Dźwirzyno hinterließ bei mir einen seltsamen Eindruck. Es handelt sich um einen
kleinen Ort bei Kołobrzeg mit weniger als 1000 Einwohnern. Man findet in
Dźwirzyno Ferienparks und Touristenshops, aber auch kleine Fischerhütten. Nach
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einer Stärkung in einem Fischimbiss folgten wir dem ins Meer mündenden Kanal
bis zu einem versteckt liegenden See. Der Weg durch das Schilf war schön und
zuletzt sogar ein wenig abenteuerlich. Als wir den See fast erreicht hatten, ver-
sanken wir halb in dem morastigen Untergrund. Der Ort wirkte beinahe unbe-
rührt – wenn man von den Dutzenden leerer Flaschen und dem übrigen Müll ab-
sah, der überall herumlag. Er brachte uns zum Nachdenken über den Sinn des
Alkoholverbots in Polens Straßen und das Umweltbewusstsein von Deutschen
und Polen.
Samstag stand uns dann eine Wanderung nach
Kołobrzeg bevor. Die zwölf Kilometer legten wir
zurück, indem wir durchgehend dem Strand in
Richtung Osten folgten, barfuß und mit guter
Laune. Wenn einem die Sonne zu heiß oder die
Füße zu müde wurden, konnte man sich wun-
derbar im Wasser erfrischen.
Kołobrzeg ist höchst eindrucksvoll mit seiner
Mischung aus uralten Gebäudefragmenten und
Betonbauten, den vielen unterschiedlichen archi-
tektonischen und kulturellen Einflüssen und sei-
ner spannenden Geschichte. Nach einer informa-
tiven Stadtführung und einer Pizza auf dem Marktplatz begaben wir uns auf den
Rückweg nach Dźwirzyno – einige Tapfere wieder auf dem Fußweg, wir übrigen
mit dem Bus. Den maritim geprägten Tag krönte ein wunderschöner Sonnenun-
tergang über dem Meer, den wir uns vor dem abschließenden Grillabend an-
schauten. Später machten wir es uns in einer der beiden Hütten, in denen wir
untergebracht waren, gemütlich. Die Häuschen hatten einen rustikalen Charme
und verfügten sogar über einen Kamin. Um den versammelten wir uns an den
Abenden gerne.
Meine Erkenntnis aus drei Tagen Polen, Ostsee und Horizont: Das Meer ist an der
polnischen Ostseeküste genauso schön wie an jeder anderen Küste, aber durch
die Reflektion habe ich es noch intensiver erlebt als bei sonstigen Urlaubsfahrten.
Die Sprache, Geschichte und Kultur Polens sind mir – im Gegensatz zu meinen
Mitreisenden – noch immer ziemlich fremd, aber ich kann die Faszination, die sie
dafür empfinden, jetzt doch deutlich besser nachvollziehen. Und die gemeinsame
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Zeit hat mir in Erinnerung gerufen, wie schön es ist, seinen Horizont zu erwei-
tern.
Danke für dieses spaßige und interessante, inspirierende und erholsame Wo-
chenende!
Lisa Neis
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Freiwillig gelesen - Über das Leben eines Überlebenden
Der Roman Jureks Erben von Katarina Bader erzählt was von den Geschichten
der Auschwitzüberlebenden nach ihrem Tod übrig bleibt.
Die Geschichte beginnt mit Jureks Beerdigung. Das Buch stellt sich dadurch von
Anfang an einem sehr aktuellen Problem: Die Erinnerung an den Holocaust än-
dert sich, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt. Doch der Roman handelt nicht
vom Problem „der Zeitzeugen“ im Allgemeinen, sondern eben von Jurek. Und von
seinem „Weiterleben nach dem Überleben“, wie es der Untertitel so schön sagt.
Und er handelt von der mit Jurek befreundeten Katarina, einer jungen Deut-
schen. Sie hat ihn bei einem Zeitzeugengespräch in Oświęcim kennengelernt.
Sofort hatte sie interessiert wie Jurek von Auschwitz erzählt hat. Das erste Ge-
spräch zwischen den beiden:
- Warum erzählen Sie nur Geschichten, die gut ausgehen?
- Mein Fräulein, zwei Gründe. Erstens: Wenn sie nicht gut ausgegangen wä-
ren, könnte ich sie nicht erzählen. Zweitens: Ihr seid jung. Ich will euch
nicht den Glauben nehmen.
- Sie waren selbst ganz genauso alt, als Sie diese schrecklichen Dinge erlebt
haben.
- Eben. (S.293)
Danach lernt Katarina mit Jureks Hilfe polnisch und besucht ihn immer wieder in
Warschau. Auf der Beerdigung muss sie feststellen, dass sie als einzige wirklich
trauern kann. Und dass sie Jurek besser kannte als sein eigener Sohn.
Ausgehend von der Frage, warum nur so wenige Menschen zu Jureks Beerdigung
kommen, trifft sich Katarina mit seinen alten Freunden und Bekannten und reist
damit in den Gesprächen die sie führt, zurück zu den Anfängen der deutsch-
polnischen Aussöhnungsarbeit. Es zeigt sich, wie unterschiedlich die verschiede-
nen Generationen diese Aufgabe interpretieren.
In diesen Gesprächen stellt sich außerdem heraus, wie sich die Geschichten, die
Jurek erzählt im Laufe der Zeit verändert haben. Im Kapitel „Zahmer erzählen“
vergleicht Katarina Tonbandaufnahmen aus den 60er Jahren, auf denen Jurek
interviewt wird, mit den Geschichten die sie kennt. Am Ende seines Lebens hat er
ein Repertoire von ca. 30 Geschichten, die immer wiederkehren und die in sich
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logisch und abgeschlossen sind. Keine Erinnerungsbruchstücke, sondern Ge-
schichten.
Das Buch liest sich leicht und steckt voller Bezüge zur polnischen Gegenwart (in-
klusive der schon obligatorischen Beschreibung des Berlin-Warszawa Express).
Trotzdem spricht es die ganz großen Fragen an: Wie erinnern wir uns? An
Auschwitz, an die Geschichten und an die Überlebenden als Menschen.
Sarah Neis
Katarina Bader: Jureks Erben - Vom Weiterleben nach dem Überleben. Köln: Kie-
penheuer & Witsch, 2010
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Teilnehmeraufruf
Freiwillig in die Zukunft. Klar machen zur Zivilgesellschaft
Ein Seminar für junge Engagierte aus Polen und Deutschland 02.11.-07.11.2012 Weimar
Es gibt viele Möglichkeiten, sich als Feiwillige_r zu engagieren. Wer hat da eigentlich noch den Über-
blick?
Wir wollen den Arbeitsalltag und die Motivationen in veschiedenen Einsatzorten erkunden und die
unterschiedlichen Auffassungen von zivilgesellschaftlichem Engagement in Deutschland und Polen
diskutieren.
Weimar und die nahe gelegene Gedenkstätte Buchenwald stehen exemplarisch für eine europäische
Kultur- und Erinnerungspraxis, die eng mit Freiwilligendiensten verknüpft ist. Hier wollen wir Einsatz-
stellen des FSJ oder Bundesfreiwilligendienstes besuchen, die Arbeit in der Gedenkstätte kennenlernen
und die Stadt insgesamt aus der Perspektive freiwilligen Engagements erkunden. Ein idealer Ort um
Ziele und Strukturen des Freiwilligendienstes und der Zivilgesellschaft zu diskutieren!
Ist der Freiwilligendienst wirklich offen für alle? Wie
können Menschen aus allen Generationen und sozia-
len Hintergründen beteiligt werden? Die Entscheidung
zu freiwilligem Engagement kann aus einem lokalen
Bezug heraus erfolgen, es kann aber auch in einem
internationalen Rahmen stattfinden. Wie unterschei-
den sich hier die Motivationen und die Erfahrungen?
Was gibt es für Unterschiede zwischen Deutschland
und Polen?
Horizont e.V., Europa Direkt e.V. und Semper Avanti können Erfahrungen von ehemaligen und aktuel-
len Freiwilligen und je einer Entsende- und Aufnahmeorganisation des europäischen Freiwilligendiens-
tes auf deutscher und polnischer Seite einbringen. Außerdem brauchen wir Deine Ideen und Erfahrun-
gen für diese Diskussionen! Wir hoffen auf spannende Erfahrungsberichte und auf neue Ideen zur För-
derung freiwilligen Engagements.
Projektort: Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar, www.ejbweimar.de
Mit freundlicher Unterstützung von:
Du bist zwischen 18 und 27 Jahre alt, kommst aus Deutschland oder Polen und hast schon Erfahrung
als Freiwillige_r oder Interesse am Thema? Du willst Weimar und andere Freiwillige kennenlernen?
Dann melde Dich an und mach mit!
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Mach mit!
Redaktion : Kathrin Heidenreich & Andreas Kruzel
Horizont e.V
Postfach 021371
10125 Berlin www.horizont.org
Schick uns das Anmeldeformular (zu finden auf horizont.org) bitte bis Ende September 2012
(30.09.2012) per Post oder unterschrieben und eingescannt zu.
Horizont e.V. www.horizont.org Andreas Kruzel
Postfach 02 13 71 [email protected]
10125 Berlin
Ausblick
02.11.-07.11.2012, Weimar
Freiwillig in die Zukunft. Klar machen zur Zivilgesellschaft
Ein Seminar für junge Engagierte aus Polen und Deutschland
Ende November, Potsdam
Jahrestreffen zum Thema „Die Stadt Potsdam und ihre Bezüge zu Polen“
Mit anschließender Mitgliederversammlung