Gruppenwirkungen und Kohomologie - Uni Stuttgart · 2020-02-24 · [4]Adem, A. und Davis, J. F....

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Gruppenwirkungen und Kohomologie Ank¨ undigung Vorlesung Dr. Sam Hagh Shenas Noshari Sommersemester 2020 Welche endlichen Gruppen wirken frei auf einer Sph¨ are? F¨ ur die 2–Sph¨ are und f¨ ur zyklische Gruppen wurde diese Frage von L. Brouwer [1] und B. K´ er´ ekj´ art´ o [2] unabh¨ angig vonein- ander beantwortet. Fasst man n¨ amlich die Elemente der wirkenden Gruppe als Selbstabbil- dungen der Sph¨ are auf, so entsprechen diese im wesentlichen Drehungen des umgebenden Euklidischen Raumes, m¨ oglicherweise gefolgt von einer Ebenenspiegelung. Um eine zwar nicht ¨ aquivalente, aber immerhin ersch¨ opfende Charakterisierung der eingangs erw¨ ahnten Gruppen f¨ ur Sph¨ aren beliebiger Dimension zu erhalten, muss von ei- ner derart expliziten Beschreibung der einzelnen Gruppenelemente abgesehen werden. Der zielf¨ uhrendere, von P. Smith erdachte und nunmehr eine gleichnamige Theorie begr¨ undende Ansatz besteht stattdessen darin, die Topologie der Sph¨ are, genauer: ihre Kohomologie, mit jener der Fixpunktmenge der Gruppenoperation in Beziehung zu setzen [3]. Auf diese Weise konnte Smith nachweisen, dass alle Abelschen Untergruppen der wirkenden Gruppe zyklisch sein m¨ ussen — und Gruppen dieser Art sind klassifiziert (bemerkenswerterweise kann auf Sph¨ aren gerader Dimension lediglich die Gruppe Z/2Z frei wirken; dies ist eine Konsequenz des Lefschetzschen Fixpunktsatzes, gem¨ aß welchem eine Selbstabbildung einer solchen Sph¨ are entweder deren Orientierung invertieren oder einen Fixpunkt besitzen muss). Zentraler Gegenstand dieser Vorlesung ist nun ein moderner Ableger der Smith–Theorie, die ¨ aquivariante Kohomologie nach A. Borel [6]. Hierbei handelt es sich um eine Kohomo- logietheorie f¨ ur Lie–Gruppenwirkungen, die einer Wirkung eine Algebra zuordnet. Ist die Wirkung frei, berechnet die ¨ aquivariante Kohomologie die gew¨ ohnliche Kohomologie des Orbitraumes. Ist die wirkende Gruppe endlich, stimmen ¨ aquivariante Kohomologie– und Smith–Theorie ¨ uberein. Ist der Raum, auf welchem operiert wird, ein Punkt, erh¨ alt man die sogenannte Gruppenkohomologie der wirkenden Gruppe. Allgemeiner gesprochen, korre- spondieren gewisse algebraische Eigenschaften der ¨ aquivarianten Kohomologie mit gewissen Eigenschaften der Wirkung und der Topologie des betrachteten Raumes. Die Definition der ¨ aquivarianten Kohomologie bedarf einer gew¨ ohnlichen Kohomologie- theorie. Zu Beginn der Vorlesung rekapitulieren wir daher einige algebraisch–topologische Begriffe und konstruieren außerdem den ebenfalls f¨ ur die Definition ben¨ otigten klassifi- zierenden Raum einer Lie–Gruppe. Anschließend widmen wir uns Methoden zur Berech- nung der ¨ aquivarianten Kohomologie. Dies f¨ uhrt unter anderem zum Konzept der Faserun- gen und der Spektralsequenzen sowie zu Lokalisierungstechniken wie dem Borel–Quillen– Lokalisierungssatz. Im letzten Teil der Vorlesung diskutieren wir schließlich Anwendungen im Kontext von Gruppenwirkungen auf differenzierbaren Mannigfaltigkeiten. Neben Smit- hs Resultat leiten wir hier Darstellungen der gew¨ ohnlichen Kohomologie von homogenen aumen her und erkl¨ aren, warum die Euler–Charakteristiken einer Mannigfaltigkeit mit Toruswirkung und seiner Fixpunktmenge identisch sind. Sofern Zeit und Interesse besteht, geben wir einen Ausblick, wie in speziellen Situationen die Ringstruktur der ¨ aquivaranten Kohomologie in einem Graph kodiert werden kann. Vorkenntnisse Mengentheoretische Topologie. Vertrautheit mit Begriffen der algebraischen Topologie ist vorteilhaft, aber nicht unerl¨ asslich. Grundkenntnisse ¨ uber Lie–Gruppen und Mannigfaltig- keiten, wie sie z.B. in der Vorlesung Differentialgeometrie“ oder den ersten drei Kapiteln in [8] vermittelt werden. Literatur Wirkungen endlicher Gruppen. [1] Brouwer, L. E. J. ¨ Uber die periodischen Transformationen der Kugel, Math. Annalen 80 (1919). [2] er´ ekj´art´o,B. ¨ Uber die periodischen Transformationen der Kreisscheibe und Kugelfl¨ache, Math. Annalen 80 (1919). [3] Smith, P. A. Permutable Periodic Transformations. Proc. Nat. Acad. Sci. U. S. A. 30 (1944). [4] Adem, A. und Davis, J. F. Topics in Transformation Groups. Kapitel I in Handbook of Geometric Topology (2001). ¨ Aquivariante Kohomologie, Differentialgeometrie und Lie–Gruppen. [5] Allday, C. und Puppe, V. Cohomological Methods in Transformation Groups. Cambridge University Press (1993). [6] Borel, A. Seminar on Transformation Groups. Princeton Univ. Press (1960). [7] Goertsches, O. und Zoller, L. Equivariant de Rham cohomology. S˜ao Paulo J. Math. Sci. 13 (2019). [8] Warner, F. W. Foundations of Differentiable Manifolds and Lie Groups. Springer–Verlag New York (1983). Institut f¨ ur Geometrie und Topologie Pfaffenwaldring 57 70569 Stuttgart

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Gruppenwirkungen und Kohomologie

AnkundigungVorlesung

Dr. Sam Hagh Shenas Noshari

Sommersemester2020

Welche endlichen Gruppen wirken frei auf einer Sphare? Fur die 2–Sphare und fur zyklischeGruppen wurde diese Frage von L. Brouwer [1] und B. Kerekjarto [2] unabhangig vonein-ander beantwortet. Fasst man namlich die Elemente der wirkenden Gruppe als Selbstabbil-dungen der Sphare auf, so entsprechen diese im wesentlichen Drehungen des umgebendenEuklidischen Raumes, moglicherweise gefolgt von einer Ebenenspiegelung.

Um eine zwar nicht aquivalente, aber immerhin erschopfende Charakterisierung dereingangs erwahnten Gruppen fur Spharen beliebiger Dimension zu erhalten, muss von ei-ner derart expliziten Beschreibung der einzelnen Gruppenelemente abgesehen werden. Derzielfuhrendere, von P. Smith erdachte und nunmehr eine gleichnamige Theorie begrundendeAnsatz besteht stattdessen darin, die Topologie der Sphare, genauer: ihre Kohomologie,mit jener der Fixpunktmenge der Gruppenoperation in Beziehung zu setzen [3]. Auf dieseWeise konnte Smith nachweisen, dass alle Abelschen Untergruppen der wirkenden Gruppezyklisch sein mussen — und Gruppen dieser Art sind klassifiziert (bemerkenswerterweisekann auf Spharen gerader Dimension lediglich die Gruppe Z/2Z frei wirken; dies ist eineKonsequenz des Lefschetzschen Fixpunktsatzes, gemaß welchem eine Selbstabbildung einersolchen Sphare entweder deren Orientierung invertieren oder einen Fixpunkt besitzen muss).

Zentraler Gegenstand dieser Vorlesung ist nun ein moderner Ableger der Smith–Theorie,die aquivariante Kohomologie nach A. Borel [6]. Hierbei handelt es sich um eine Kohomo-logietheorie fur Lie–Gruppenwirkungen, die einer Wirkung eine Algebra zuordnet. Ist dieWirkung frei, berechnet die aquivariante Kohomologie die gewohnliche Kohomologie desOrbitraumes. Ist die wirkende Gruppe endlich, stimmen aquivariante Kohomologie– undSmith–Theorie uberein. Ist der Raum, auf welchem operiert wird, ein Punkt, erhalt mandie sogenannte Gruppenkohomologie der wirkenden Gruppe. Allgemeiner gesprochen, korre-spondieren gewisse algebraische Eigenschaften der aquivarianten Kohomologie mit gewissenEigenschaften der Wirkung und der Topologie des betrachteten Raumes.

Die Definition der aquivarianten Kohomologie bedarf einer gewohnlichen Kohomologie-theorie. Zu Beginn der Vorlesung rekapitulieren wir daher einige algebraisch–topologischeBegriffe und konstruieren außerdem den ebenfalls fur die Definition benotigten klassifi-zierenden Raum einer Lie–Gruppe. Anschließend widmen wir uns Methoden zur Berech-nung der aquivarianten Kohomologie. Dies fuhrt unter anderem zum Konzept der Faserun-gen und der Spektralsequenzen sowie zu Lokalisierungstechniken wie dem Borel–Quillen–Lokalisierungssatz. Im letzten Teil der Vorlesung diskutieren wir schließlich Anwendungenim Kontext von Gruppenwirkungen auf differenzierbaren Mannigfaltigkeiten. Neben Smit-hs Resultat leiten wir hier Darstellungen der gewohnlichen Kohomologie von homogenenRaumen her und erklaren, warum die Euler–Charakteristiken einer Mannigfaltigkeit mitToruswirkung und seiner Fixpunktmenge identisch sind. Sofern Zeit und Interesse besteht,geben wir einen Ausblick, wie in speziellen Situationen die Ringstruktur der aquivarantenKohomologie in einem Graph kodiert werden kann.

Vorkenntnisse

Mengentheoretische Topologie. Vertrautheit mit Begriffen der algebraischen Topologie istvorteilhaft, aber nicht unerlasslich. Grundkenntnisse uber Lie–Gruppen und Mannigfaltig-keiten, wie sie z.B. in der Vorlesung

”Differentialgeometrie“ oder den ersten drei Kapiteln

in [8] vermittelt werden.

LiteraturWirkungen endlicher Gruppen.

[1] Brouwer, L. E. J. Uber die periodischen Transformationen der Kugel, Math. Annalen 80 (1919).

[2] Kerekjarto, B. Uber die periodischen Transformationen der Kreisscheibe und Kugelflache, Math. Annalen 80 (1919).[3] Smith, P. A. Permutable Periodic Transformations. Proc. Nat. Acad. Sci. U. S. A. 30 (1944).[4] Adem, A. und Davis, J. F. Topics in Transformation Groups. Kapitel I in Handbook of Geometric Topology (2001).

Aquivariante Kohomologie, Differentialgeometrie und Lie–Gruppen.

[5] Allday, C. und Puppe, V. Cohomological Methods in Transformation Groups. Cambridge University Press (1993).[6] Borel, A. Seminar on Transformation Groups. Princeton Univ. Press (1960).[7] Goertsches, O. und Zoller, L. Equivariant de Rham cohomology. Sao Paulo J. Math. Sci. 13 (2019).[8] Warner, F. W. Foundations of Differentiable Manifolds and Lie Groups. Springer–Verlag New York (1983).

Institut fur Geometrie und TopologiePfaffenwaldring 5770569 Stuttgart