Handbuch Essstörungen und Adipositas || Somatopsychische Komorbidität: Metabolisches Syndrom und...

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41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 48 Somatopsychische Komorbidität: Metabolisches Syndrom und Depression Bernd Löwe 48.1 Hintergrund – 296 48.2 Epidemiologie – 297 48.2.1 Metabolisches Syndrom – 297 48.2.2 Depression – 298 48.2.3 Metabolisches Syndrom und psychische Störungen – 298 48.3 Zusammenhang von metabolischem Syndrom und Depression – 298 48.4 Behandlungsprinzipien – 299 48. 1 Hintergrund Eine Reihe metabolischer Risikofaktoren r koro- nare Herzkrankheit, Herzinfarkt und kardiovasku- läre Mortalität tritt typischerweise gemeinsam auf. V erschiedene Bezeichnungen wurden in den letz- ten Jahrzehnten zur Beschreibung der Kombinati- on dieser kardiovaskulären Risikofaktoren verwen- det; heute hat sich der Begriff des »metabolischen Syndroms« weitgehend durchgesetzt. Das metabolische Syndrom, früher auch »Syn- drom X« oder »tödliches Quartett« genannt, bezeichnet einen Symptomenkomplex aus ver- minderter Glukosetoleranz, Adipositas, Dyslipo- proteinämie und arterieller Hypertonie. Aufgrund des Anstiegs der Prävalenz von Adiposi- tas, Diabetes mellitus und des metabolischen Syn- droms in den letzten 20 Jahren und des Auſtretens bereits im frühen Kindheitsalter wird mittlerwei- le von einer »globalen Epidemie« gesprochen; Prä- ventionsstrategien werden dringend gefordert. Par- allel zum Anstieg des metabolischen Syndroms werden die depressiven Störungen häufi ger dia- gnostiziert, und es wird erwartet, dass sie im Jahr 2020 zur zweithäufigsten Ursache von Arbeitsun- fähigkeit werden. Auch wenn die Bezeichnung »metabolisches Syndrom« nun weitgehend akzeptiert ist, gibt es zurzeit mindestens sechs verschiedene Defi niti- ! onen. Im Jahr 1998 wurde von der WHO eine erste, international anerkannte Defi nition des metabo- lischen Syndroms entwickelt. Als Reaktion darauf entwickelte das Adult Treatment Panel III (ATP III) eine neue Definition des metabolischen Syndroms, die im Vergleich zur WHO-Definition wesentlich einfacher zu erheben war. Im Jahr 2005 wurden parallel von der I nternational Diabetes Federation (IDF) und der American Heart Association/Nati- onal Heart, Lung and Blood Institute (AHA/NHL- BI) überarbeitete Versionen der ATP-III-Kriterien ausgegeben, die sich hinsichtlich der angegebenen Grenzen für die Hypertriglyzeridämie, das redu- zierte HDL-Cholesterin, die arterielle Hyperto- nie und die erhöhte Nüchternglukose entsprechen. Allerdings liegen die Grenzwerte für den Bauchum- fang bei der amerikanischen AHA/NHLBI-Defini- tion höher als bei der IDF-Definition, und der dia- gnostische Algorithmus zeigt leichte Unterschiede. Im Unterschied zur AHA/NHLBI-Definition bie- tet die IDF-Definition den Vorteil, dass sie bevölke- rungsspezifi sche Grenzwerte für den Bauchumfang angibt, sodass diese Definition weltweit anwendbar ist. In . T ab. 48.1 sind die diagnostischen Kriterien des metabolischen Syndroms nach der IDF-Defini- tion dargestellt.

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Somatopsychische Komorbidität:

Metabolisches Syndrom und Depression

Bernd Löwe

48.1 Hintergrund – 296

48.2 Epidemiologie – 297

48.2.1 Metabolisches Syndrom – 29748.2.2 Depression – 29848.2.3 Metabolisches Syndrom und psychische

Störungen – 298

48.3 Zusammenhang von metabolischem

Syndrom und Depression – 298

48.4 Behandlungsprinzipien – 299

48.1 Hintergrund

Eine Reihe metabolischer Risikofaktoren für koro-nare Herzkrankheit, Herzinfarkt und kardiovasku-läre Mortalität tritt typischerweise gemeinsam auf.Verschiedene Bezeichnungen wurden in den letz-ten Jahrzehnten zur Beschreibung der Kombinati-on dieser kardiovaskulären Risikofaktoren verwen-det; heute hat sich der Begriff des »metabolischenffSyndroms« weitgehend durchgesetzt .

Das metabolische Syndrom, früher auch »Syn-

drom X« oder »tödliches Quartett« genannt,

bezeichnet einen Symptomenkomplex aus ver-

minderter Glukosetoleranz, Adipositas, Dyslipo-

proteinämie und arterieller Hypertonie.

Aufgrund des Anstiegs der Prävalenz von Adiposi-tas, Diabetes mellitus und des metabolischen Syn-droms in den letzten 20 Jahren und des Auftretensftbereits im frühen Kindheitsalter wird mittlerwei-le von einer »globalen Epidemie« gesprochen ; Prä-ventionsstrategien werden dringend gefordert. Par-allel zum Anstieg des metabolischen Syndromswerden die depressiven Störungen häufi ger dia-fignostiziert, und es wird erwartet, dass sie im Jahr 2020 zur zweithäufi gsten Ursache von Arbeitsun-fifähigkeit werden.

Auch wenn die Bezeichnung »metabolisches Syndrom« nun weitgehend akzeptiert ist, gibt es zurzeit mindestens sechs verschiedene Defi niti-fi

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onen. Im Jahr 1998 wurde von der WHO eine erste, international anerkannte Defi nition des metabo-filischen Syndroms entwickelt. Als Reaktion darauf entwickelte das Adult Treatment Panel III (ATP III)Ieine neue Defi nition des metabolischen Syndroms,fidie im Vergleich zur WHO-Definition wesentlichfieinfacher zu erheben war. Im Jahr 2005 wurden parallel von der International Diabetes Federation(IDF) und der American Heart Association/Nati-onal Heart, Lung and Blood Institute (AHA/NHL-BI) überarbeitete Versionen der ATP-III-Kriterien ausgegeben, die sich hinsichtlich der angegebenen Grenzen für die Hypertriglyzeridämie, das redu-zierte HDL-Cholesterin, die arterielle Hyperto-nie und die erhöhte Nüchternglukose entsprechen. Allerdings liegen die Grenzwerte für den Bauchum-fang bei der amerikanischen AHA/NHLBI-Defini-fition höher als bei der IDF-Definition, und der dia-fignostische Algorithmus zeigt leichte Unterschiede.Im Unterschied zur AHA/NHLBI-Definition bie-fitet die IDF-Definition den Vorteil, dass sie bevölke-firungsspezifi sche Grenzwerte für den Bauchumfang fiangibt, sodass diese Definition weltweit anwendbarfiist. In . Tab. 48.1 sind die diagnostischen Kriteriendes metabolischen Syndroms nach der IDF-Defini-fition dargestellt.

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4848.2 Epidemiologie

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Defi nition

Kritik am Konzept des metabolischen

Syndroms

Allerdings wurde auch berechtigte Kritik am Konzept des metabolischen Syndroms geäußert: Erst kürzlich haben die American

Diabetes Association (ADA) und die European

Association for the Study of Diabetes (EASD)einen provokativen Aufruf zur kritischen Hin-terfragung des Konzepts des metabolischenSyndroms veröffentlicht. In dieser Publikation ffffwird die Defi nition als unpräzise kritisiert und fider klinische Nutzen der Zusammenfassungvon bekannten Risikofaktoren zu einemSyndrom hinterfragt. Es wird vorgeschlagen, dass Kliniker bis zum Vorliegen bessererForschungsergebnisse anstelle des metabo-lischen Syndroms nur die einzelnen Risikofak-toren diagnostizieren und behandeln. Dage-gen argumentierte die IDF, dass es angesichtsder weltweiten Epidemie von Diabetes melli-tus und kardiovaskulären Erkrankungen sehrwohl sinnvoll sei, Personen mit Risikofaktoren für diese Erkrankungen möglichst frühzeitig zu identifizieren und zur Lebensstiländerung fizu bewegen.

48.2 Epidemiologie

48.2.1 Metabolisches Syndrom

International variieren die Prävalenzen des meta-bolischen Syndroms stark: In verschiedenen Stich-proben der amerikanischen Allgemeinbevölke-rung wurden Prävalenzen von 20‒40 angegeben,während weltweit in Frankreich mit 7 wesentlich niedrigere Prävalenzen gefunden wurden. Verläss-liche Zahlen zur Häufi gkeit des metabolischen Syn-fidroms aus Deutschland liegen nicht vor. Die Präva-lenz des metabolischen Syndroms steigt mit zuneh-mendem Alter stark an, z. B. bei amerikanischen Frauen von 12 im Alter von 20‒29 Jahren bis auf 61 im Alter von 60‒69 Jahren. Die Häufi gkeit desfimetabolischen Syndroms steigt mit zunehmendem Body-Mass-Index ; Hypertoniker haben etwa dop-pelt so häufig ein metabolisches Syndrom wie Nor-fimotoniker. In gleicher Weise ist bei Patienten mitkoronarer Herzkrankheit (KHK) die altersadju-stierte Prävalenz des metabolischen Syndroms ver-doppelt im Vergleich zu Patienten ohne KHK . Als weitere Risikofaktoren für das metabolische Syn-drom wurden sitzender Lebensstil, Rauchen und chronischer Stress bei der Arbeit identifiziert. BeifiPersonen mit metabolischem Syndrom ist die Auf-

Tab. 48.1. Definition des metabolischen Syndroms derfi International Diabetes Federation (IDF) (Daten aus Alberti et al. 2005).

Diagnostische Kriterien Grenzwerte

Zentrale Adipositasa Bauchumfang≥ 94 cm (Männer europäischer Herkunft)≥ 80 cm (Frauen europäischer Herkunft)

Plus 2 oder mehr der folgenden Symptome:

Hypertriglzeridämie Triglyzeride > 150 mg/dlSpezifische Behandlung dieser Lipidstörungfi

Erniedriges HDL-Cholesterin < 40 mg/dl (Männer)< 50 mg/dl (Frauen)Spezifische Behandlung dieser Lipidstörungfi

Bluthochdruck Systolisch ≥ 130 mmHgDiastolisch ≥ 85 mmHg Behandlung einer vordiagnostizierten arteriellen Hypertonie

Erhöhte Nüchternglukose ≥ 100 mg/dlBereits diagnostizierter Typ-2-Diabetes mellitus

a Normwerte für den Bauchumfang unterscheiden sich für verschiedene ethnische Gruppen

Eine Übersicht über die Normwerte findet sich bei Alberti et al. (2005)fi

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tretenswahrscheinlichkeit von kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes mellitus im Vergleichzu Personen ohne metabolisches Syndrom signi-fikant erhöht. Wie die INTERHEART-Studie und fiandere Studien eindrucksvoll gezeigt haben, gilt daserhöhte Risiko für Myokardinfarkte nicht nur fürdas Vollbild des metabolischen Syndroms, sondern in ähnlicher Höhe auch für jede seiner Komponen-ten, d. h. für die arterielle Hypertonie, die abdo-minelle Fettsucht, den Diabetes mellitus und die Hyperlipidämie .

48.2.2 Depression

Nach einer Untersuchung der WHO liegt die 12-Monats-Prävalenz depressiver Störungen in derdeutschen Allgemeinbevölkerung bei 3,6. Beikörperlich kranken Patienten ist jedoch von einerPrävalenz depressiver Störungen von etwa 20‒35 auszugehen, wobei die Prävalenz mit der Schwereund der Chronizität der körperlichen Erkrankung stark ansteigt .

Durch große Studien und Metaanalysen ist mitt-

lerweile belegt, dass eine depressive Störung

ein signifikanter Risikofaktor für kardiovasku-fi

läre Morbidität und Mortalität ist . Durch eine

depressive Störung erhöht sich das Risiko, an

einem Myokardinfarkt zu versterben, um den

Faktor 1,5–2,5.

Da depressive Störungen und metabolisches Syn-drom für sich alleine schon mit erheblicher Morbi-dität und Mortalität behaftet sind, ist zu befürchten,ftdass eine Kombination mit besonders schwer wie-genden Folgen einhergeht. Allerdings fehlen hierStudien, welche das erhöhte kardiovaskuläre Risi-ko der Komorbidität von Depression und metabo-lischem Syndrom quantifizieren .fi

Patienten mit den einzelnen Komponenten

des metabolischen Syndroms, d. h. Diabetes

mellitus, arterieller Hypertonie oder Adipositas,

leiden im Vergleich zu Personen ohne diese Risi-

kofaktoren signifikant häufifi ger an depressiven fi

Störungen.

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48.2.3 Metabolisches Syndrom und psychische Störungen

Das metabolische Syndrom ist für Psychiatrie, Psy-chosomatik und Psychotherapie von besonde-rer Relevanz, da es bei den Patienten dieser Fach-richtungen gehäuft auftft ritt. Wahrscheinlich ist der ftZusammenhang zwischen psychischen Störungen und dem metabolischen Syndrom bidirektional: Psychische Störungen erhöhen das Risiko zur Ent-wicklung eines metabolischen Syndroms, und das metabolische Syndrom erhöht das Risiko für dieEntwicklung von psychischen Störungen. Zu beach-ten ist, dass auch die medikamentöse Behandlung von psychischen Störungen, insbesondere durchAntipsychotika und trizyklische Antidepressiva, zur Entwicklung eines metabolischen Syndroms beitra-gen kann: In einer aktuellen Studie wurde bei 37 der Patienten unter Antipsychotika der zweiten Generation ein metabolisches Syndrom diagnosti-ziert . Auch bei unipolaren und bipolaren affektivenffffStörungen weisen erste Studien auf eine überzufäl-lige Häufung des metabolischen Syndroms bzw. sei-ner Komponenten hin. Zur Prävalenz von depres-siven Störungen bei metabolischem Syndrom lie-gen bisher nur wenige Daten vor; diese weisen auf eine signifi kant erhöhte Prävalenz depressiver Sym-fiptome bei Patienten mit metabolischem Syndrom hin . Depressive Symptome scheinen nicht nur in derFolge eines metabolischen Syndroms zu entstehen; vielmehr stellt die Depression selbst einen Risikofak-tor für die Entstehung des metabolischen Syndromsdar. So konnte zumindest bei weiblichen Patientenmit major depression nachgewiesen werden, dass fürdiese Patienten ein 2-fach höheres Risiko besteht,ein metabolisches Syndrom zu entwickeln.

48.3 Zusammenhang vonmetabolischem Syndromund Depression

Wechselwirkungen zwischen metabolischem Syn-drom und depressiven Störungen liegen auf derbehavioralen, metabolischen, genetischen undiatrogenen Ebene vor. Generell lässt sich bei depres-siven Patienten eine ungesündere Lebensführung als bei nichtdepressiven Personen beobachten. Dieungesündere Lebensführung bei Depressiven, wel-

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che die Entwicklung eines metabolischen Syndroms begünstigt, beinhaltet erhöhte Raten von Nikotina-busus, Fehlernährung und Bewegungsmangel. Ein weiterer wesentlicher behavioraler Faktor stellt die verminderte medizinische Compliance depressiver Patienten dar, die sich u. a. in der Nichteinhaltungärztlicher Th erapieempfehlungen und einem unge-Thsunden Lebensstil äußert.

Eine wesentliche Verbindung zwischen Depres-sionen und metabolischem Syndrom wird auch in der Insulinresistenz gesehen, welche mit Hyper-kortisolismus, Aktivierung proinflammatorischer flZytokine, verminderter körperlicher Aktivitätund artherosklerotischen Komplikationen asso-ziiert ist. Als ursächlich für den Hyperkortisolis-mus ist möglicherweise eine Erhöhung von TNFα(Tumornekrosefaktor α) und Interleukin-6 im Rahmen einer Imbalance von anti- und proin-flammatorischen Zytokinen zu sehen, die nachfol-flgend zu einer Erhöhung diabetogener Hormone (adrenokortikotropes Hormon ACTH, Kortiko-tropin-Releasing-Hormon CRH, Wachtumshor-mon GH) führt und durch eine Interaktion mit Insulinrezeptoren eine Modulation der Aktivität des Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrin-den-Systems hervorruft. Aufgrund dieser Stoffft -ffffwechselkonstellation besteht ein erhöhtes Risi-ko für die Entwicklung eines metabolischen Syn-droms mit einer verschlechterten Glukosetoleranz, einer relativen Insulinresistenz, einer Dyslipidämie und einer Zunahme intraabdomineller Fettgewebs-kompartimente. Dabei kommt dem intraabdomi-nellen (viszeralen) Fettgewebe eine ganz beson-dere Bedeutung zu. Depressive sind häufi g adipösfiund weisen ein erhöhtes Volumen intraabdomi-neller Fettkomponenten auf: Dies wiederum stellt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines meta-bolischen Syndroms und eines Diabetes sowie kar-diovaskulärer Erkrankungen dar . Schließlich sindgenetische Zusammenhänge wahrscheinlich fürdie Ausbildung eines metabolischen Syndroms bei Depressionen bedeutsam, wenngleich nicht von einer monogenetischen Ätiologie auszugehen ist. Allerdings gibt es für die Annahme einer gene-tischen Komponente auch gegenteilige Befunde.Die Entwicklung eines metabolischen Syndroms bei Depressiven kann auch iatrogen durch die Ein-nahme antidepressiver Medikation begünstigt wer-den. So ist eine Gewichtszunahme und Stoffwech-ffff

selverschlechterung durch antidepressive Medika-tion, insbesondere durch trizyklische Antidepressi-va , beschrieben.

. Abb. 48.1 illustriert Mechanismen und Fak-toren, die bei der Ausbildung eines metabolischen Syndroms mit Depression wirksam werden, undverdeutlicht, wie durch ein metabolisches Syn-drom einerseits eine Verschlechterung der depres-siven Symptomatik und andererseits eine Potenzie-rung der somatischen Morbidität bedingt werden kann. Sowohl die Befindlichkeitsstörung als auch fidie fortschreitende somatische Morbidität führen wiederum zu einer Verschlechterung der depres-siven Symptomatik. Es zeigt sich in letzter Kon-sequenz ein klassischer Circulus vitiosus mit sichselbst verstärkenden Mechanismen und verhäng-nisvollen Folgen.

48.4 Behandlungsprinzipien

Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist eine umfassende Diagnostik psychischer und soma-tischer Störungen . Die Diagnostik psychischer Stö-rungen bei Patienten mit metabolischem Syndrom kann den behandelnden Arzt allerdings vor beson-dere Herausforderungen stellen: Typischerweisesind die psychischen Störungen nicht vordiagnos-tiziert, und das Erkennen der psychischen Sym-ptome kann durch die Überlagerung von körper-lichen und psychischen Beschwerden erschwertsein. In vielen Fällen ist der Patient fremdmotiviert und sieht seine Probleme eher im Übergewicht und den körperlichen Komplikationen begründet als inpsychosozialen Ursachen. Wie bei anderen körper-lichen Erkrankungen ist davon auszugehen, dass die Häufi gkeit psychischer Störungen mit der Schwerefiund der Chronizität des metabolischen Syndroms und seiner Folgeerkrankungen ansteigt. Allerdings scheint das metabolische Syndrom bei Patientenmit schweren psychischen Störungen weniger suf-fi zient behandelt zu werden als bei Patienten ohnefipsychische Störungen.

Leidet ein Patient sowohl unter einem meta-

bolischen Syndrom als auch unter einer

depressiven Störung, so sind unbedingt beide

Störungen im Behandlungsplan simultan zu

berücksichtigen.

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Da von einer wechselseitigen Verstärkung von Merkmalen des metabolischen Syndroms undvon Symptomen psychischer Störungen auszuge-hen ist, muss die psychosoziale Behandlung die-ser Patientengruppe multidimensional sein und das Ziel verfolgen, den Patienten zum erfolg-reichen Management seiner körperlichen und see-lischen Belastungen zu befähigen. Nur wenn sichdie Depression des Patienten bessert, wird er moti-viert sein, aktiv an den Komponenten des metabo-lischen Syndroms zu arbeiten.

Tatsächlich sind die beiden therapeutischen

Grundprinzipien in der Behandlung des metabo-

lischen Syndroms, nämlich körperliche Aktivität

und Gewichtsabnahme, auch antidepressiv

wirksam.

In manchen Fällen müssen die Risikofaktoren des metabolischen Syndroms, d. h. Hypertonie, Diabe-

!

tes mellitus und Hyperlipidämie, zusätzlich medi-kamentös behandelt werden . Bei der Behand-lung muss im Rahmen der Kooperation von Hau-särzten, Internisten, Ärzten für psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Ärzten für Psy-chiatrie und Psychotherapie sichergestellt wer-den, dass sich der Patient hinsichtlich Diagnose, Behandlungsoptionen und Prognose ausreichendaufgeklärt fühlt. Auch eine adäquate medizinischeBehandlung der Risikofaktoren bzw. komorbider körperlicher Störungen ist Voraussetzung für eineeffi ziente Thffi erapie. Gewicht, Blutdruck, Nüchtern-Thblutzucker, HbA1c und Lipide müssen ausreichend häufi g kontrolliert werden, um dem Patienten undfidem Arzt eine Rückmeldung zum Erfolg der The-Thrapie zu geben. Eine begleitende Suchtentwöhnung(Rauchen!) ist in vielen Fällen notwendig. DieMotivation und Compliance des Patienten kann in vielen Fällen durch den Einbezug der Familie bzw. des Freundeskreises gestärkt werden. Ein wesent-

Behaviorale Faktoren:Rauchen, Alkohol, Fehlernährung, Non-Compliance, sozialer Rückzug

Pathophysiologische Faktoren:Insulinresistenz, Hyperkortisolismus, sympathische Aktivierung, Entzündung, intraabdominelles Fett

Antidepressive Medikation:Gewichtszunahme, Hyperprolaktinämie

Genetische Faktoren

MetabolischesSyndrom

Somatische Komplikationen:Kardiovaskuläre Ereignisse, Mikro- und Makroangiopathie

Körperliche Inaktivität

Leidensdruck, psychosozialer Stress

Stigmatisierung, Schamgefühle

Gewichtszunahme

Depression

Abb. 48.1. Wechselwirkungen zwischen Depression und metabolischem Syndrom; Insulinresistenz: eingeschränkte Sensiti-vität des Kohlenhydratstoffwechsels auf Insulin. (Aus Löwe et al. 2006, mit freundlicher Genehmigung)ffff.

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liches Ziel der Behandlung ist es, das Gesundheits-verhalten so zu fördern, dass der Patient langfri-stig zum Selbstmanagement seines metabolischenSyndroms und komorbider Erkrankungen in derLage ist. Bei der Behandlung des depressiven Pati-enten mit metabolischem Syndrom ist es von gro-ßer Bedeutung, den Patienten nicht als »psychisch krank« zu behandeln, sondern als eine norma-le Person, die unter ungewöhnlichen Belastungenleidet.

Eine begleitende antidepressive Pharmako-

therapie ist bei leichten und mittelschweren

depressiven Episoden manchmal, bei schweren

depressiven Episoden fast immer indiziert.

Die psychosomatische Behandlung des Patienten, welche im Einzel- und im Gruppensetting durch-geführt werden kann, sollte ressourcenorientiertsein und die folgenden Komponenten beinhalten (. Übersicht: Behandlungsprinzipien bei Komorbidi-tät von Depression und metabolischem Syndrom) .

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Behandlungsprinzipien bei Komorbidität von Depression und metabolischem Syndrom

Psychoedukation

Der Patient und seine nächste Bezugsperson müssen sowohl über das metabolische Syn-drom und dessen Behandlung als auch über depressive Störungen aufgeklärt werden, da-mit sie das notwendige Grundwissen haben,um ihre gesundheitlichen Probleme eigenver-antwortlich zu managen.

Gesundheitsverhalten

Zur Steigerung der körperlichen Aktivität sollten strukturierte Aktivitätspläne ausge-arbeitet werden. Der Therapeut verstärkt dieDurchführung der körperlichen Aktivität. Hin-sichtlich Lebensstil und Ernährung sollten er-gänzende Beratungen erfolgen.

Erklärungsmodelle

Die subjektiven Erklärungs- und Behand-lungsmodelle des Patienten müssen in die Be-handlung einbezogen werden, damit Patientund Arzt zu gemeinsam getragenen Entschei-dungen hinsichtlich der angewandten Be-handlungsmethoden kommen.

Fokusableitung und Therapieplanung

Der Behandlungsauftrag, der Fokus der Be-handlung und das Therapieziel sollten mit

dem Patienten explizit abgesprochen werden. Abhängig von der therapeutischen Ausrich-tung des Therapeuten eignen sich als Grund-lage z. B. die operationalisierte psychodyna-mische Diagnostik (OPD-2) bzw. eine struktu-rierte Problem- und Verhaltensanalyse.

Kognitive Techniken

Die Patienten müssen lernen, dysfunktionale negative Kognitionen und Bewertungen zuidentifi zieren und zu verändern.fi

Integration der Bezugspersonen

Interpersonelle Probleme sind die häufi gste fisubjektive Ursache für emotionale Probleme bei Patienten mit körperlichen Erkrankungen. Der Einbezug der Familie bzw. der wichtigsten Bezugspersonen in Paar- bzw. Familiensit-zungen dient der Lösung interpersoneller Pro-bleme sowie dem Erlernen gesundheitsför-dernder Verhaltensweisen für die gesamte Fa-milie.

Problemlösekompetenzen

Um nachhaltige Besserungen zu erzielen, ist essinnvoll, mit dem Patienten zu üben, Probleme frühzeitig zu erkennen, zu analysieren undkonstruktiv zu lösen.

Bisher liegen keine Studien zur Wirksamkeit der Behandlung von depressiven Patienten mit metabo-lischem Syndrom vor. Diese Studien sind dringend notwendig, da es sich bei dieser Patientengruppe um eine zahlenmäßig stark wachsende Hochrisi-kogruppe für kardiovaskuläre und andere Erkran-kungen bzw. Todesfälle handelt. Die kontrollierten

Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie bzw.antidepressiver Pharmakotherapie bei depressiven Patienten mit koronarer Herzkrankheit bzw. Dia-betes mellitus weisen jedoch darauf hin, dass die-se Interventionen auch bei Patienten mit metabo-lischem Syndrom wirksam sein könnten.

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FazitFazit

Depression und metabolisches Syndrom sind in den letzten Jahrzehnten häufi ger gewor-fiden und treten überzufällig häufi g gemein-fisam auf. Depression und metabolisches Syn-drom, beides Risikofaktoren für kardiovasku-läre Mortalität, können sich im Sinne eines Cir-culus vitiosus durch Faktoren wie Inaktivität,sozialen Rückzug, metabolische Parameterund Non-Compliance wechselseitig verstär-ken. Deshalb müssen diagnostische und the-rapeutische Maßnahmen simultan das meta-bolische Syndrom und die Depression berück-sichtigen. Ziel der Behandlung ist nicht nur ei-ne Remission der Depression, sondern auch,den Patienten in die Lage zu versetzen, die ge-sundheitlichen Herausforderungen des meta-bolischen Syndroms erfolgreich und eigenver-antwortlich zu managen.

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