Hat der militärische Konflikt eine Zukunft ?
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Hat der militärische Konflikt eine Zukunft ?
Prof. Dr. Dr.h.c.mult.
Reinhard Meyers
WWU Münster
Institut für Politikwissenschaft
Lebenslauf – Kurzfassung
Reinhard Meyers, Jahrgang 1947, studierte Politikwissenschaft, Anglistik, und Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1966 – 1970 mit dem Abschluß Magister Artium. Forschungsstipendiat der Wiener Library, London, an der Graduate School of Contemporary European Studies, University of Reading 1970 – 1972 mit dem Abschluß Master of Philosophy.
Wissenschaftlicher Assistent bei Hans-Adolf Jacobsen und Karl-Dietrich Bracher am Seminar für Politikwissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität 1972 – 1984. Promotion zum Dr.phil. 1974; Habilitation im Fach Politikwissenschaft 1986; seit 1987 Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Westfälischen Wilhelms - Universität.
Die Forschungsinteressen galten ursprünglich der Geschichte der internationalen Beziehungen und der Sicherheitspolitik im 20. Jahrhundert; daneben trat aber schon vor der Habilitation die Wissenschaftsgeschichte der Lehre von den Internationalen Beziehungen sowie deren Epistemologie, Methodologie und Theorie. Seit den achtziger Jahren wird dieser Schwerpunkt ergänzt durch Arbeiten zur Friedens- und Konfliktforschung, seit den neunziger Jahren auch zur Europapolitik.
Seit 1991 mehrfach Prodekan und Dekan des Fachbereichs Sozial-wissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität, Oktober 1997 Ehrendoktor der Fakultät für Europastudien der Babes-Bolyai Universität Klausenburg; Mai 2007 Ehrendoktor der Universität Novi Sad. Mitgründer und seit 1993 Mitherausgeber der Zeitschrift für Internationale Beziehungen. Programmbeauftragter für die internationalen Doppeldiplomstudiengänge mit dem IEP Lille, der BBU Klausenburg (RO) und der Universiteit Twente (NL) 1997 – 2008.
Hobbies: Industriearchäologie des Transportwesens, italienische Küche
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meinen Seminaren zu den Internationalen Beziehungen und zur Friedens- und Konfliktforschung
http://reinhardmeyers.uni-muenster.de/aktuelles.html
Kontakt: [email protected]
Gliederung
• 1) Die Entwicklung militärischer Konflikte – neuere Trends
• 2) Krieg und Konflikt – Erklärungen
• 3) Unterschiedliche politische Grosstheorien – unterschiedliche Antworten auf die Startfrage
Allgemeine Trends
• Nach Untersuchungen der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachen- forschung (AKUF) wurden im Jahr 2009 weltweit 34 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt. Gegenüber dem Vorjahr wurden damit fünf Kriege/ bewaffnete Konflikte weniger gezählt.
http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/publish/Ipw/Akuf/publ/AKUF-Analysen-08.pdf
Trends II
• Die von organisierten Kämpfen am stärksten betroffenen Weltregionen sind zwar nach wie vor Asien und Afrika mit 11 Kriegen und kriegerischen Konflikten. Mit 9 Kriegen und bewaffneten Konflikten weist aber auch der Vordere und Mittlere Orient eine große Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen auf. In Lateinamerika waren 3 kriegerische Konflikte zu verzeichnen.
• Damit bestätigt sich auch im Jahr 2009 die regionale Ungleichverteilung des weltweiten Kriegs-geschehens: Weit über 90 Prozent aller Kriege seit 1945 fanden in der "Dritten Welt" statt.
Globale Entwicklungen
• Im Jahr 2009 werden 365 politische Konflikte geführt, davon 7 als Kriege und 24 als ernste Krisen. Demnach werden insgesamt 31 Kon-flikte mit hohem Gewalteinsatz ausgetragen. In 112 weiteren Auseinandersetzungen mit der Intensität einer Krise wird von den Konflikt-parteien vereinzelt Gewalt zum Erreichen ihrer Ziele eingesetzt.
• Demgegenüber wird mit einer Anzahl von 222 der weit größere Anteil politischer Konflikte ohne den Einsatz von physischer Gewalt ausgetragen; sie lassen sich in 114 manifeste and 108 latente Konflikte unterteilen.
Globale Entwicklungen II
Quelle: HIIK (2009): Konfliktbarometer 2009. Seite 1.
ANALYSE Iinnerstaatlich vs. zwischenstaatlich
Quelle: HIIK (2009): Konfliktbarometer 2009. Seite 2.
ANALYSE IIinnerstaatlich vs. zwischenstaatlich
• 2009 werden insgesamt 273 innerstaatliche und 92 zwischenstaatliche Konflikte ausgetragen.
• Nur 6 der 112 Krisen wurden zwischen zwei Staaten geführt:– Armenien – Aserbaidschan, – Tschad – Sudan, – Pakistan – Indien, – Thailand – Kambodscha, – Nord Korea – Süd Korea, – Dominikanische Republik – Haiti
Analyse III
• Alle 31 Konflikte mit hoher Intensitätsstufe waren in 2009 innerstaatlicher Art.
• Auf der Intensitätsstufe manifester Konflikte ist die Anzahl innerstaatlicher Dispute mit 78 zu 36 ebenfalls beachtlich höher als die Zahl internationaler Konflikte.
• Auch bei den latenten Konflikten ist die Zahl der innerstaatlichen Konflikte mit 58 höher als die der zwischenstaatlichen mit 50.
Weitere Informationen
Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung e.V. (HIIK)
• Am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg
KONFLIKTBAROMETER 2009, 2010• Krisen . Kriege . Putsche• Verhandlungen . Vermittlungen . Friedensschlüsse
13. (bzw. 14.) JÄHRLICHE KONFLIKTANALYSE• überarbeitete Ausgabe• http://hiik.de/
Kriegserklärungen(und natürlich auch Erklärungen
für Konflikte)
KRIEGE ZWISCHEN STAATEN
WARUM KRIEG ?
KRIEGE INNERHALB VON STAATEN
Interner Kolonialismus Ökonomische Ausbeutung
und politische Unterdrückung von
Bevölkerungsgruppen und Regionen
Machtkonkurrenz Kampf um
Vormachtstellungen in der Region
Territorialansprüche Konkurrenz um
Grenzen und Gebiete
Herrschaftssicherung Furcht vor einer
Bedrohung von aussen
Herrschaftsinteressen Durchsetzung politischer und
ökonomischer Interessen durch Eliten
Ethnisch-kulturelle Heterogenität
Kein Interessensausgleich angesichts unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen, die keine „ einheitliche Nation“ bilden
Rohstoffbedarf Konkurrenz um knappe
Ressourcen
Ablenkung Ablenkung von Konflikten
innerhalb des Staates
Fehlwahrnehmung Falsche Beurteilung der
Stärke und Absichten anderer Staaten
Sozio-ökonomische Heterogenität Auf krasser sozialer
Ungerechtigkeit beruhende Gesellschaftssysteme
Drei Erklärungsebenen (Images)
Kenneth N. Waltz: Kenneth N. Waltz: Man, the State, and War. A theoretical analysis. New York 1954
Leitfrage: What are the causes of war?
First Image: Human nature
Second Image: The State
Third Image: The International System
TYPOLOGIE VON KRIEGSURSACHEN NACH WALTZ
1. Natur des Menschen
Die Gewalt liegt in den Akteuren – oder: Kriege entstehen in den Köpfen der Menschen als Folge von Dummheit, Selbstsucht oder fehlgeleiteten aggressiven Impulsen
2. Wesen der menschlichen Gesellschaft
Die Gewalt liegt in der Organisation und Struktur der Akteure – oder: Kriege sind das Ergebnis despotischer Herrschaft, mangelnder rechtsstaatlicher Verfassung der Staaten und ungerechter Verteilung sozioökonomischer Werte in einer Gesellschaft
3. Struktur des internationalen Systems
Die Gewalt liegt im (Staaten-) System – oder: Kriege sind das notwendige Korrelat eines anarchischen internationalen Naturzustandes souveräner Akteure, die im Innern über das Monopol legitimer physischer Gewaltanwendung verfügen und im Außenverhältnis keiner höheren Macht unterworfen sind
Literaturtip
• Carlo Masala, Kenneth N. Waltz – Einführung in seine Theorie und Auseinandersetzung mit seinen Kritikern, Baden-Baden: Nomos 2005.
• Schörnig, Niklas 2003: "Neorealismus", in: Schieder, Siegfried / Spindler, Manuela (Hrsg.): Theorien der Internationalen Beziehungen, 2.Aufl. Opladen: Leske u. Budrich, S. 65 – 92
• Viel mehr Literatur in meinem Artikel: Krieg und Frieden, in: W. Woyke (Hrsg.): Hand-wörterbuch Internationale Politik. 12.Auflage Opladen 2011,S. 302 - 323.
Wesentliche Konfliktursachen
Ursachenpaket 1
Ungleichgewicht
politischer, ökonomischer, sozialer
und kultureller Chancen zwischen
unterschiedlichen
Identitätsgruppen
• Sozioökonomische Ungleichheit
• Exklusive Regierungselite
• Verletzung politischer Gruppenrechte
• Destabilisierung durch Flüchtlinge und intern Vertriebene
• Demographischer Druck
Ursachenpaket 4
Abwesenheit einer
aktiven und
organisierten
Zivilgesellschaft
• Schwache Organisationen der Zivilgesellschaft
• Abwesenheit professioneller und unabhängiger Medien
• Mangel ökonomischer „peace interests“
Ursachenpaket 3
Fehlende Möglichkeiten für
friedlichen Ausgleich von Gruppeninteressen
und für das Überwinden von
Trennungslinien von Identitätsgruppen
• Abwesenheit effi-zienter Konflikt-lösungs-mechanismen
• Abwesenheit von Pluralismus und offener Debatte
• Misstrauen zwischen Identitätsgruppen
• schädliches externes Engagement
Ursachenpaket 2
Illegitime,
undemokratische
und ineffiziente
Regierungsführung
• Legitimitätsdefizit von Regierung u, öffentli. Einrichtungen
• Unzureichende, sich verschlechternde öffentliche Dienste
• Kriminalität, soziale u. politische Gewalt
• Parteiliche Aus-legung u.Anwendung von Gesetzen durch Justiz u. Sicher. heitskräfte
Konfliktbearbeitung: Ansatzpunkte
Intensität i
Zeitablauft
Gewaltschwelle
MANAGEMENT
Literaturtip
• Thorsten Bonacker (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien. Eine Einführung. 4.Aufl. Wiesbaden 2008.
Unterschiedliche Theorien
_
Unterschiedliche Antworten
PrämissePrämisse
Gesellschaftliches, politisches und auch wissenschaftliches Handeln ist nicht unmittelbar als Reflex auf die reale Situation zu verstehen, auf die sich dieses Handeln bezieht.
Vielmehr wird es gesteuert durch die Perzeption einer realen Situation und durch die Interpretation, d.h. durch das Bild, das wir uns von der Handlungssituation machen - unabhängig davon, ob die Handlungs-situation tatsächlich so beschaffen ist, wie wir sie sehen und interpretieren (Thomas-Theorem).
Gesellschaftliches, politisches und auch wissenschaftliches Handeln ist nicht unmittelbar als Reflex auf die reale Situation zu verstehen, auf die sich dieses Handeln bezieht.
Vielmehr wird es gesteuert durch die Perzeption einer realen Situation und durch die Interpretation, d.h. durch das Bild, das wir uns von der Handlungssituation machen - unabhängig davon, ob die Handlungs-situation tatsächlich so beschaffen ist, wie wir sie sehen und interpretieren (Thomas-Theorem).
Was ist eine Theorie ?
Theorie ist “…das Netz das wir aus-werfen, um die Welt einzufangen – um sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen."
Karl Popper. Logik der Forschung, 6.Aufl. Tübingen 1976
• Theorien helfen bei der Orientierung in einer komplexen Wirklichkeit
• Theorien (er)schaffen Wirklichkeit
Großtheorie Akteur Milieu Strukturprinzip
Realismus
Nationalstaat
Staatenwelt als anarchischer (Natur-)
Zustand
vertikale Segmentierung,
unlimitiertes Nullsummenspiel um
Macht, Einfluss, Ressourcen
Englische
Schule
Staatenwelt als rechtlich verfasste
internationale Staatengesellschaft
vertikale Segmentierung, durch Norm und
Übereinkunft geregeltes
Nullsummenspiel
Idealismus Individuum Weltgesellschaft als internationale
Gesellschaft der Individuen
universalistische Verfassung
GROßTHEORIEN INTERNATIONALER BEZIEHUNGEN
Akteure Nationalstaaten
Prozesse Nullsummenspielartige Konkurrenz um Macht, Einfluss und Ressourcen
Strukturprinzip Sicherheitsdilemma
Milieu Staatenwelt als internationaler anarchischer Naturzustand
Friedenskonzept Sicherheit des Akteurs (als Voraussetzung seines Überlebens)
(Erklärungs-)Ansatzebene
(außengerichtetes) Aktions-/Interaktionsverhalten der Akteure („unit-level-explanation“)
Mittel Machtakkumulation, (gewaltsame) Selbsthilfe zur Durchsetzung von Eigeninteressen, Abschreckung, Gleichgewichtspolitik
Schlagwort Abschreckungsfrieden unter Anarchie
Leitprinzipien klassischer Großtheorien:Leitprinzipien klassischer Großtheorien:
REALISMUS
REALISMUS
Akteure Nationalstaaten
Prozesse Konflikt und Kooperation im Rahmen gemeinschaftlich anerkannter Verhaltensregeln
und (informeller wie formeller) Institutionen
Strukturprinzip Kontrolle des Machtstrebens und der Machtausübung der Akteure
in der internationalen
Anarchie
Milieu Staatenwelt als rechtlich verfasste internationale Staatengesellschaft
Friedenskonzept Garantie der Erwartungsverlässlichkeit des
Akteurshandelns in der internationalen (Rechts-) Ordnung
(„pacta sunt servanda“) (Erklärungs-)Ansatzebene
Vergesellschaftung/ Systembildung der Akteure; Phänomen der „governance without
government“
Mittel Ausbildung eines Konsenses der Akteure über gemeinschaftliche Interessen,
(Selbstbindende Verhaltens-) Regeln und Institutionen; insbes. Anerkennung/
Befolgung von Verhaltensregeln, die die Gewaltausübung in der Staatengesellschaft
einhegen, beschränken, reduzieren
Schlagwort (Rechts-)Ordnungsfrieden unter regulierter Anarchie
ENGLISCHE SCHULE
ENGLISCHE SCHULE
Akteure individuelle, gesellschaftliche, nationalstaatliche Akteure
Prozesse internationale Arbeitsteilung und funktionale Vernetzung als Ergebnis wie als Voraussetzung wissenschaftlicher, technischer, ökonomischer und politischer
Modernisierung
Strukturprinzip Kooperation und Interdependenz
Milieu Staaten- und Gesellschaftswelt als Friedensgemeinschaft liberaler Demokratien
Friedenskonzept Fortschreitende Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlfahrt als menschliche Existenzbedingungen plus Intensivierung der internationalen
Kooperation plus Förderung der Modernisierung als Bedingung moralischer Perfektibilität wie zunehmender Wohlfahrt der Menschheit
(Erklärungs-)Ansatzebene
Politische/ sozioökonomische Binnenstruktur der Akteure („inside-out-explanation“)
Mittel Freihandel, Förderung der internationalen Organisation und kollektiven Sicherheit, Demokratisierung der Akteure im Lichte von Rechtsstaatlichkeit und
Menschenrechtsverwirklichung, Aufklärung über gemeinsame (Menschheits-) Interessen und Erziehung zu kompromißhafter, interessenausgleichender
Konfliktbearbeitung
Schlagwort Demokratischer Frieden unter Kooperation
IDEALIS-MUS
IDEALIS-MUS
Antworten auf die Ausgangsfrage
Hat der militärische Konflikt eine Zukunft ?
• Realismus: ja – er ist ein legitimes Mittel der Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen in einer anarchischen Staatenwelt
• Englische Schule: jein – unter bestimmten Umständen kann er den Staaten zur Aufrecht-erhaltung der Rechtsordnung in der Staaten-gesellschaft dienen
• Idealismus: nein – je vernünftiger die Individuen in der internationalen Gesellschaft miteinander inter-agieren, desto weniger brauchen sie militärische Gewalt zur Verfolgung ihrer Interessen
Schönen Dank fürs Zuhören