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VORLESUNGEN ÜBER DIE ÄSTHETIK I

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  • VORLESUNGEN BER DIE STHETIKI

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    Einleitung

    Diese Vorlesungen sind der sthetik gewidmet; ihr Gegenstand ist dasweite Reich des Schnen, und nher ist die Kunst, und zwar die schneKunst ihr Gebiet.

    Fr diesen Gegenstand freilich ist der Name sthetik eigentlich nichtganz passend, denn sthetik bezeichnet genauer die Wissenschaftdes Sinnes, des Empfindens, und hat in dieser Bedeutung als eine neueWissenschaft oder vielmehr als etwas, das erst eine philosophischeDisziplin werden sollte, in der Wolffischen Schule zu der Zeit ihrenUrsprung erhalten, als man in Deutschland die Kunstwerke mit Rck-sicht auf die Empfindungen betrachtete, welche sie hervorbringen soll-ten, wie z. B. die Empfindungen des Angenehmen, der Bewunderung,der Furcht, des Mitleidens usf. Um des Unpassenden oder eigentlicherum des Oberflchlichen dieses Namens willen hat man denn auchandere, z. B. den Namen Kallistik, zu bilden versucht. Doch auch dieserzeigt sich als ungengend, denn die Wissenschaft, die gemeint ist,betrachtet nicht das Schne berhaupt, sondern rein das Schne derKunst. Wir wollen es deshalb bei dem Namen sthetik bewenden las-sen, weil er als bloer Name fr uns gleichgltig und auerdem einst-

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    weilen so in die gemeine Sprache bergegangen ist, da er als Namekann beibehalten werden. Der eigentliche Ausdruck jedoch fr unsereWissenschaft ist Philosophie der Kunst und bestimmter Philosophieder schnen Kunst.

    I. Begrenzung der sthetik und Widerlegungeiniger Einwrfe

    gegen die Philosophie der Kunst

    Durch diesen Ausdruck nun schlieen wir sogleich das Naturschneaus. Solche Begrenzung unseres Gegenstandes kann einerseits alswillkrliche Bestimmung erscheinen, wie denn jede Wissenschaft sichihren Umfang beliebig abzumarken die Befugnis habe. In diesem Sinneaber drfen wir die Beschrnkung der sthetik auf das Schne derKunst nicht nehmen. Im gewhnlichen Leben zwar ist man gewohnt, vonschner Farbe, einem schnen Himmel, schnem Strome, ohnehin vonschnen Blumen, schnen Tieren und noch mehr von schnen Men-schen zu sprechen, doch lt sich, obschon wir uns hier nicht in denStreit einlassen wollen, inwiefern solchen Gegenstnden mit Recht die

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    Qualitt Schnheit beigelegt und so berhaupt das Naturschne nebendas Kunstschne gestellt werden drfe, hiergegen zunchst schonbehaupten, da das Kunstschne hher stehe als die Natur. Denn dieKunstschnheit ist die aus dem Geiste geborene und wiedergeboreneSchnheit, und um soviel der Geist und seine Produktionen hher stehtals die Natur und ihre Erscheinungen, um soviel auch ist das Kunst-schne hher als die Schnheit der Natur. Ja formell betrachtet, istselbst ein schlechter Einfall, wie er dem Menschen wohl durch den Kopfgeht, hher als irgendein Naturprodukt, denn in solchem Einfalle istimmer die Geistigkeit und Freiheit prsent. Dem Inhalt nach freilicherscheint z. B. die Sonne als ein absolut notwendiges Moment, whrendein schiefer Einfall als zufllig und vorbergehend verschwindet; aber frsich genommen ist solche Naturexistenz wie die Sonne indifferent, nichtin sich frei und selbstbewut, und betrachten wir sie in dem Zusammen-hange ihrer Notwendigkeit mit anderem, so betrachten wir sie nicht frsich und somit nicht als schn.

    Sagten wir nun berhaupt, der Geist und seine Kunstschnheit stehehher als das Naturschne, so ist damit allerdings noch soviel als nichtsfestgestellt, denn hher ist ein ganz unbestimmter Ausdruck, der Natur-und Kunstschnheit noch als im Raume der Vorstellung nebeneinander-

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    stehend bezeichnet und nur einen quantitativen und dadurch uerli-chen Unterschied angibt. Das Hhere des Geistes und seiner Kunst-schnheit der Natur gegenber ist aber nicht ein nur relatives, sondernder Geist erst ist das Wahrhaftige, alles in sich Befassende, so da allesSchne nur wahrhaft schn ist als dieses Hheren teilhaftig und durchdasselbe erzeugt. In diesem Sinne erscheint das Naturschne nur alsein Reflex des dem Geiste angehrigen Schnen, als eine unvollkom-mene, unvollstndige Weise, eine Weise, die ihrer Substanz nach imGeiste selber enthalten ist. - Auerdem wird uns die Beschrnkung aufdie schne Kunst sehr natrlich vorkommen, denn soviel auch vonNaturschnheiten - weniger bei den Alten als bei uns - die Rede ist, soist doch wohl noch niemand auf den Einfall gekommen, den Gesichts-punkt der Schnheit der natrlichen Dinge herauszuheben und eineWissenschaft, eine systematische Darstellung dieser Schnheitenmachen zu wollen. Man hat wohl den Gesichtspunkt der Ntzlichkeitherausgenommen und hat z. B. eine Wissenschaft der gegen die Krank-heiten dienlichen natrlichen Dinge, eine materia medica, verfat, eineBeschreibung der Mineralien, chemischen Produkte, Pflanzen, Tiere,welche fr die Heilung ntzlich sind, aber aus dem Gesichtspunkte derSchnheit hat man die Reiche der Natur nicht zusammengestellt und

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    beurteilt. Wir fhlen uns bei der Naturschnheit zu sehr im Unbestimm-ten, ohne Kriterium zu sein, und deshalb wrde solche Zusammen-stellung zu wenig Interesse darbieten.

    Diese vorlufigen Bemerkungen ber die Schnheit in der Natur undKunst, ber das Verhltnis beider und das Ausschlieen der ersterenaus dem Bereich unseres eigentlichen Gegenstandes sollen die Vor-stellung entfernen, als falle die Beschrnkung unserer Wissenschaft nurder Willkr und Beliebigkeit anheim. Bewiesen sollte dies Verhltnis hiernoch nicht werden, denn die Betrachtung desselben fllt innerhalbunserer Wissenschaft selber und ist deshalb erst spter nher zu err-tern und zu beweisen.

    Begrenzen wir uns nun aber vorlufig schon auf das Schne derKunst, so stoen wir bereits bei diesem ersten Schritt sogleich auf neueSchwierigkeiten.

    Das erste nmlich, was uns beifallen kann, ist die Bedenklichkeit, obsich auch die schne Kunst einer wissenschaftlichen Behandlung wrdigzeige. Denn das Schne und die Kunst zieht sich wohl wie ein freundli-cher Genius durch alle Geschfte des Lebens und schmckt heiter alleueren und inneren Umgebungen, indem sie den Ernst der Verhlt-nisse, die Verwicklungen der Wirklichkeit mildert, die Migkeit auf eine

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    unterhaltende Weise tilgt und, wo es nichts Gutes zu vollbringen gibt, dieStelle des Bsen wenigstens immer besser als das Bse einnimmt.Doch wenn sich die Kunst auch allenthalben, vom rohen Putze derWilden an bis auf die Pracht der mit allem Reichtum gezierten Tempel,mit ihren geflligen Formen einmischt, so scheinen dennoch dieseFormen selbst auerhalb der wahrhaften Endzwecke des Lebens zufallen, und wenn auch die Kunstgebilde diesen ernsten Zwecken nichtnachteilig werden, ja sie zuweilen selbst, wenigstens durch Abhalten desblen, zu befrdern scheinen, so gehrt doch die Kunst mehr der Re-mission, der Nachlassung des Geistes an, whrend die substantiellenInteressen vielmehr seiner Anstrengung bedrfen. Deshalb kann es denAnschein haben, als wenn das, was nicht fr sich selbst ernster Naturist, mit wissenschaftlichem Ernste behandeln zu wollen unangemessenund pedantisch sein wrde. Auf allen Fall erscheint nach solcher Ansichtdie Kunst als ein berflu, mag auch die Erweichung des Gemts,welche die Beschftigung mit der Schnheit bewirken kann, nicht ebenals Verweichlichung nachteilig werden. Es hat in dieser Rcksicht viel-fach ntig geschienen, die schnen Knste, von denen zugegeben wird,da sie ein Luxus seien, in betreff auf ihr Verhltnis zur praktischenNotwendigkeit berhaupt, und nher zur Moralitt und Frmmigkeit, in

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    Schutz zu nehmen und, da ihre Unschdlichkeit nicht zu erweisen ist, eswenigstens glaublich zu machen, da dieser Luxus des Geistes etwaeine grere Summe von Vorteilen gewhre als von Nachteilen. Indieser Hinsicht hat man der Kunst selbst ernste Zwecke zugeschriebenund sie vielfach als eine Vermittlerin zwischen Vernunft und Sinnlichkeit,zwischen Neigung und Pflicht, als eine Vershnerin dieser in so hartemKampf und Widerstreben aneinanderkommenden Elemente empfohlen.Aber man kann dafr halten, da bei solchen zwar ernsteren Zweckender Kunst Vernunft und Pflicht dennoch nichts durch jenen Versuch desVermittelns gewnnen, weil sie eben ihrer Natur nach als unvermischbarsich solcher Transaktion nicht hergben und dieselbe Reinheit forderten,welche sie in sich selbst haben. Und auerdem sei die Kunst auchhierdurch der wissenschaftlichen Errterung nicht wrdiger geworden,indem sie doch immer nach zwei Seiten hin diene und neben hherenZwecken ebensosehr auch Migkeit und Frivolitt befrdere, ja ber-haupt in diesem Dienste, statt fr sich selber Zweck zu sein, nur alsMittel erscheinen knne. - Was endlich die Form dieses Mittels anbetrifft,so scheint es stets eine nachteilige Seite zu bleiben, da, wenn dieKunst auch in der Tat ernsteren Zwecken sich unterwirft und ernstereWirkungen hervorbringt, das Mittel, das sie selber hierzu gebraucht, die

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    Tuschung ist. Denn das Schne hat sein Leben in dem Scheine. Ein insich selbst wahrhafter Endzweck aber, wird man leicht anerkennen, municht durch Tuschung bewirkt werden, und wenn er auch durch diesel-be hie und da eine Frderung gewinnen kann, so mag dies doch nur aufbeschrnkte Weise der Fall sein; und selbst dann wird die Tuschungnicht fr das rechte Mittel gelten knnen. Denn das Mittel soll der Wrdedes Zweckes entsprechend sein, und nicht der Schein und die Tu-schung, sondern nur das Wahrhafte vermag das Wahrhafte zu erzeu-gen. Wie auch die Wissenschaft die wahrhaften Interessen des Geistesnach der wahrhaften Weise der Wirklichkeit und der wahrhaften Weiseihrer Vorstellung zu betrachten hat.

    In diesen Beziehungen kann es den Anschein nehmen, als sei dieschne Kunst einer wissenschaftlichen Betrachtung unwert, weil sie nurein geflliges Spiel bleibe und, wenn sie auch ernstere Zwecke verfolge,dennoch der Natur dieser Zwecke widerspreche, berhaupt aber nur imDienste jenes Spiels wie dieses Ernstes stehe und sich zum Elementeihres Daseins wie zum Mittel ihrer Wirkungen nur der Tuschung unddes Scheins bedienen knne.

    Noch mehr aber zweitens kann es das Ansehen haben, da, wennsich auch die schne Kunst berhaupt wohl philosophischen Reflexio-

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    nen darbiete, sie dennoch fr eigentlich wissenschaftliche Betrachtungkein angemessener Gegenstand wre. Denn die Kunstschnheit stelltsich dem Sinne, der Empfindung, Anschauung, Einbildungskraft dar, siehat ein anderes Gebiet als der Gedanke, und die Auffassung ihrer Ttig-keit und ihrer Produkte erfordert ein anderes Organ als das wissen-schaftliche Denken. Ferner ist es gerade die Freiheit der Produktion undder Gestaltungen, welche wir in der Kunstschnheit genieen. Wirentfliehen, so scheint es, bei dem Hervorbringen wie beim Anschauenihrer Gebilde jeder Fessel der Regel und des Geregelten; vor der Stren-ge des Gesetzmigen und der finsteren Innerlichkeit des Gedankenssuchen wir Beruhigung und Belebung in den Gestalten der Kunst, gegendas Schattenreich der Idee heitere, krftige Wirklichkeit. Endlich ist dieQuelle der Kunstwerke die freie Ttigkeit der Phantasie, welche in ihrenEinbildungen selbst freier als die Natur ist. Der Kunst steht nicht nur derganze Reichtum der Naturgestaltungen in ihrem mannigfachen buntenScheinen zu Gebot, sondern die schpferische Einbildungskraft vermagsich darber hinaus noch in eigenen Produktionen unerschpflich zuergehen. Bei dieser unermelichen Flle der Phantasie und ihrer freienProdukte scheint der Gedanke den Mut verlieren zu mssen, dieselben

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    vollstndig vor sich zu bringen, zu beurteilen und sie unter seine all-gemeine Formeln einzureihen.

    Die Wissenschaft dagegen, gibt man zu, habe es ihrer Form nach mitdem von der Masse der Einzelheiten abstrahierenden Denken zu tun,wodurch einerseits die Einbildungskraft und deren Zufall und Willkr,das Organ also der Kunstttigkeit und des Kunstgenusses, von ihrausgeschlossen bleibt. Andererseits, wenn die Kunst gerade die licht-lose drre Trockenheit des Begriffs erheiternd belebe, seine Abstraktio-nen und Entzweiung mit der Wirklichkeit vershne, den Begriff an derWirklichkeit ergnze, so hebe ja eine nur denkende Betrachtung diesMittel der Ergnzung selbst wieder auf, vernichte es und fhre denBegriff auf seine wirklichkeitslose Einfachheit und schattenhafte Ab-straktion wieder zurck. Ihrem Inhalte nach beschftige sich ferner dieWissenschaft mit dem in sich selbst Notwendigen. Legt nun die sthetikdas Naturschne beiseite, so haben wir in dieser Rcksicht scheinbarnicht nur nichts gewonnen, sondern uns von dem Notwendigen vielmehrnoch weiter entfernt. Denn der Ausdruck Natur gibt uns schon die Vor-stellung von Notwendigkeit und Gesetzmigkeit, von einem Verhaltenalso, das der wissenschaftlichen Betrachtung nher zu sein und ihr sichdarbieten zu knnen Hoffnung lt. Im Geiste aber berhaupt, am

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    meisten in der Einbildungskraft, scheint im Vergleich mit der Natur eigen-tmlich die Willkr und das Gesetzlose zu Hause, und dieses entziehtsich von selbst aller wissenschaftlichen Begrndung.

    Nach allen diesen Seiten hin scheint daher die schne Kunst sowohlihrem Ursprunge als auch ihrer Wirkung und ihrem Umfange nach, stattsich fr die wissenschaftliche Bemhung geeignet zu zeigen, vielmehrselbstndig dem Regulieren des Gedankens zu widerstreben und dereigentlich wissenschaftlichen Errterung nicht gem zu sein.

    Diese und hnliche Bedenklichkeiten gegen eine wahrhaft wissen-schaftliche Beschftigung mit der schnen Kunst sind aus gewhnlichenVorstellungen, Gesichtspunkten und Betrachtungen hergenommen, anderen weitlufigerer Ausfhrung man sich in lteren, besonders franzsi-schen Schriften ber das Schne und die schnen Knste bersattlesen kann. Und zum Teil sind Tatsachen darin enthalten, mit denen esseine Richtigkeit hat, zum Teil sind Rsonnements daraus gezogen, dieebenso zunchst plausibel erscheinen. So z. B. die Tatsache, da dieGestaltung des Schnen so mannigfaltig als die Erscheinung des Sch-nen allgemein verbreitet sei, woraus, wenn man will, auch ferner aufeinen allgemeinen Schnheitstrieb in der menschlichen Natur geschlos-sen und die weitere Folgerung gemacht werden kann, da, weil die

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    Vorstellungen vom Schnen so unendlich vielfach und damit zunchstetwas Partikulres sind, es keine allgemeinen Gesetze des Schnenund des Geschmacks geben knne.

    Ehe wir uns nun von solchen Betrachtungen ab-, nach unseremeigentlichen Gegenstande hinwenden knnen, wird unser nchstesGeschft in einer kurzen einleitenden Errterung der erregten Bedenk-lichkeiten und Zweifel bestehen mssen.

    Was erstens die Wrdigkeit der Kunst betrifft, wissenschaftlich be-trachtet zu werden, so ist es allerdings der Fall, da die Kunst als einflchtiges Spiel gebraucht werden kann, dem Vergngen und der Un-terhaltung zu dienen, unsere Umgebung zu verzieren, dem ueren derLebensverhltnisse Geflligkeit zu geben und durch Schmuck andereGegenstnde herauszuheben. In dieser Weise ist sie in der Tat nichtunabhngige, nicht freie, sondern dienende Kunst. Was wir aber be-trachten wollen, ist die auch in ihrem Zwecke wie in ihren Mitteln freieKunst. Da die Kunst berhaupt auch anderen Zwecken dienen unddann ein bloes Beiherspielen sein kann, dieses Verhltnis hat siebrigens gleichfalls mit dem Gedanken gemein. Denn einerseits ltsich die Wissenschaft zwar als dienstbarer Verstand fr endliche Zwek-ke und zufllige Mittel gebrauchen und erhlt dann ihre Bestimmung

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    nicht aus sich selbst, sondern durch sonstige Gegenstnde und Verhlt-nisse; andererseits aber lst sie sich auch von diesem Dienste los, umsich in freier Selbstndigkeit zur Wahrheit zu erheben, in welcher siesich unabhngig nur mit ihren eigenen Zwecken erfllt.

    In dieser ihrer Freiheit nun ist die schne Kunst erst wahrhafte Kunstund lst dann erst ihre hchste Aufgabe, wenn sie sich in den gemein-schaftlichen Kreis mit der Religion und Philosophie gestellt hat und nureine Art und Weise ist, das Gttliche, die tiefsten Interessen des Men-schen, die umfassendsten Wahrheiten des Geistes zum Bewutsein zubringen und auszusprechen. In Kunstwerken haben die Vlker ihregehaltreichsten inneren Anschauungen und Vorstellungen niedergelegt,und fr das Verstndnis der Weisheit und Religion macht die schneKunst oftmals, und bei manchen Vlkern sie allein, den Schlssel aus.Diese Bestimmung hat die Kunst mit Religion und Philosophie gemein,jedoch in der eigentmlichen Art, da sie auch das Hchste sinnlichdarstellt und es damit der Erscheinungsweise der Natur, den Sinnen undder Empfindung nherbringt. Es ist die Tiefe einer bersinnlichen Welt,in welche der Gedanke dringt und sie zunchst als ein Jenseits demunmittelbaren Bewutsein und der gegenwrtigen Empfindung gegen-ber aufstellt; es ist die Freiheit denkender Erkenntnis, welche sich dem

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    Diesseits, das sinnliche Wirklichkeit und Endlichkeit heit, enthebt.Diesen Bruch aber, zu welchem der Geist fortgeht, wei er ebenso zuheilen; er erzeugt aus sich selbst die Werke der schnen Kunst als daserste vershnende Mittelglied zwischen dem blo uerlichen, Sinn-lichen und Vergnglichen und dem reinen Gedanken, zwischen derNatur und endlichen Wirklichkeit und der unendlichen Freiheit des be-greifenden Denkens.

    Was aber die Unwrdigkeit des Kunstelementes im allgemeinen, desScheines nmlich und seiner Tuschungen, angeht, so htte es mitdiesem Einwand allerdings seine Richtigkeit, wenn der Schein als dasNichtseinsollende drfte angesprochen werden. Doch der Schein selbstist dem Wesen wesentlich, die Wahrheit wre nicht, wenn sie nichtschiene und erschiene, wenn sie nicht fr Eines wre, fr sich selbstsowohl als auch fr den Geist berhaupt. Deshalb kann nicht das Schei-nen im allgemeinen, sondern nur die besondere Art und Weise desScheins, in welchem die Kunst dem in sich selbst Wahrhaftigen Wirklich-keit gibt, ein Gegenstand des Vorwurfs werden. Soll in dieser Beziehungder Schein, in welchem die Kunst ihre Konzeptionen zum Dasein er-schafft, als Tuschung bestimmt werden, so erhlt dieser Vorwurf zu-nchst seinen Sinn in Vergleichung mit der uerlichen Welt der Er-

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    scheinungen und ihrer unmittelbaren Materialitt sowie im Verhltnis zuunserer eigenen empfindenden, das ist der innerlich sinnlichen Welt,welchen beiden wir im empirischen Leben, im Leben unserer Erschei-nung selber den Wert und Namen von Wirklichkeit, Realitt und Wahr-heit im Gegensatz der Kunst zu geben gewohnt sind, der solche Realittund Wahrheit fehle. Aber gerade diese ganze Sphre der empirischeninneren und ueren Welt ist nicht die Welt wahrhafter Wirklichkeit,sondern vielmehr in strengerem Sinne als die Kunst ein bloer Scheinund eine hrtere Tuschung zu nennen. Erst jenseits der Unmittelbarkeitdes Empfindens und der uerlichen Gegenstnde ist die echte Wirk-lichkeit zu finden. Denn wahrhaft wirklich ist nur das Anundfrsichseien-de, das Substantielle der Natur und des Geistes, das sich zwar Gegen-wart und Dasein gibt, aber in diesem Dasein das Anundfrsichseiendebleibt und so erst wahrhaft wirklich ist. Das Walten dieser allgemeinenMchte ist es gerade, was die Kunst hervorhebt und erscheinen lt. Inder gewhnlichen ueren und inneren Welt erscheint die Wesenheitwohl auch, jedoch in der Gestalt eines Chaos von Zuflligkeiten, verkm-mert durch die Unmittelbarkeit des Sinnlichen und durch die Willkr inZustnden, Begebenheiten, Charakteren usf. Den Schein und die Tu-schung dieser schlechten, vergnglichen Welt nimmt die Kunst von

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    jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinungen fort und gibt ihnen einehhere, geistgeborene Wirklichkeit. Weit entfernt also, bloer Schein zusein, ist den Erscheinungen der Kunst der gewhnlichen Wirklichkeitgegenber die hhere Realitt und das wahrhaftigere Dasein zuzu-schreiben.

    Ebensowenig sind die Darstellungen der Kunst ein tuschenderSchein gegen die wahrhaftigeren Darstellungen der Geschichtsschrei-bung zu nennen. Denn die Geschichtsschreibung hat auch nicht dasunmittelbare Dasein, sondern den geistigen Schein desselben zumElemente ihrer Schilderungen, und ihr Inhalt bleibt mit der ganzen Zufl-ligkeit der gewhnlichen Wirklichkeit und deren Begebenheiten, Verwick-lungen und Individualitten behaftet, whrend das Kunstwerk uns die inder Geschichte waltenden ewigen Mchte ohne dies Beiwesen derunmittelbar sinnlichen Gegenwart und ihres haltlosen Scheines ent-gegenbringt.

    Wird nun aber die Erscheinungsweise der Kunstgestalten eine Tu-schung genannt in Vergleichung mit dem Denken der Philosophie, mitreligisen und sittlichen Grundstzen, so ist die Form der Erscheinung,welche ein Inhalt in dem Bereiche des Denkens gewinnt, allerdings diewahrhaftigste Realitt; doch in Vergleich mit dem Schein der sinnlichen

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    unmittelbaren Existenz und dem der Geschichtsschreibung hat derSchein der Kunst den Vorzug, da er selbst durch sich hindurchdeutetund auf ein Geistiges, welches durch ihn soll zur Vorstellung kommen,aus sich hinweist, dahingegen die unmittelbare Erscheinung sich selbstnicht als tuschend gibt, sondern vielmehr als das Wirkliche und Wahre,whrend doch das Wahrhafte durch das unmittelbar Sinnliche verunrei-nigt und versteckt wird. Die harte Rinde der Natur und gewhnlichenWelt machen es dem Geiste saurer, zur Idee durchzudringen, als dieWerke der Kunst.

    Wenn wir nun aber der Kunst einerseits diese hohe Stellung geben,so ist andererseits ebensosehr daran zu erinnern, da die Kunst den-noch weder dem Inhalte noch der Form nach die hchste und absoluteWeise sei, dem Geiste seine wahrhaften Interessen zum Bewutsein zubringen. Denn eben ihrer Form wegen ist die Kunst auch auf einenbestimmten Inhalt beschrnkt. Nur ein gewisser Kreis und Stufe derWahrheit ist fhig, im Elemente des Kunstwerks dargestellt zu werden;es mu noch in ihrer eigenen Bestimmung liegen, zu dem Sinnlichenherauszugehen und in demselben sich adquat sein zu knnen, umechter Inhalt fr die Kunst zu sein, wie dies z. B. bei den griechischenGttern der Fall ist. Dagegen gibt es eine tiefere Fassung der Wahrheit,

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    in welcher sie nicht mehr dem Sinnlichen so verwandt und freundlich ist,um von diesem Material in angemessener Weise aufgenommen undausgedrckt werden zu knnen. Von solcher Art ist die christliche Auf-fassung der Wahrheit, und vor allem erscheint der Geist unserer heuti-gen Welt, oder nher unserer Religion und unserer Vernunftbildung, alsber die Stufe hinaus, auf welcher die Kunst die hchste Weise aus-macht, sich des Absoluten bewut zu sein. Die eigentmliche Art derKunstproduktion und ihrer Werke fllt unser hchstes Bedrfnis nichtmehr aus; wir sind darber hinaus, Werke der Kunst gttlich verehrenund sie anbeten zu knnen; der Eindruck, den sie machen, ist besonne-nerer Art, und was durch sie in uns erregt wird, bedarf noch eines h-heren Prfsteins und anderweitiger Bewhrung. Der Gedanke und dieReflexion hat die schne Kunst berflgelt. Wenn man es liebt, sich inKlagen und Tadel zu gefallen, so kann man diese Erscheinung fr einVerderbnis halten und sie dem bergewicht von Leidenschaften undeigenntzigen Interessen zuschreiben, welche den Ernst der Kunst wieihre Heiterkeit verscheuchen; oder man kann die Not der Gegenwart,den verwickelten Zustand des brgerlichen und politischen Lebensanklagen, welche dem in kleinen Interessen befangenen Gemt sich zuden hheren Zwecken der Kunst nicht zu befreien vergnne, indem die

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    Intelligenz selbst dieser Not und deren Interessen in Wissenschaftendienstbar sei, welche nur fr solche Zwecke Ntzlichkeit haben, und sichverfhren lasse, sich in diese Trockenheit festzubannen.

    Wie es sich nun auch immer hiermit verhalten mag, so ist es einmalder Fall, da die Kunst nicht mehr diejenige Befriedigung der geistigenBedrfnisse gewhrt, welche frhere Zeiten und Vlker in ihr gesuchtund nur in ihr gefunden haben, - eine Befriedigung, welche wenigstensvon seiten der Religion aufs innigste mit der Kunst verknpft war. Dieschnen Tage der griechischen Kunst wie die goldene Zeit des spterenMittelalters sind vorber. Die Reflexionsbildung unseres heutigen Le-bens macht es uns, sowohl in Beziehung auf den Willen als auch aufdas Urteil, zum Bedrfnis, allgemeine Gesichtspunkte festzuhalten unddanach das Besondere zu regeln, so da allgemeine Formen, Gesetze,Pflichten, Rechte, Maximen als Bestimmungsgrnde gelten und dashauptschlich Regierende sind. Fr das Kunstinteresse aber wie fr dieKunstproduktion fordern wir im allgemeinen mehr eine Lebendigkeit, inwelcher das Allgemeine nicht als Gesetz und Maxime vorhanden sei,sondern als mit dem Gemte und der Empfindung identisch wirke, wieauch in der Phantasie das Allgemeine und Vernnftige als mit einerkonkreten sinnlichen Erscheinung in Einheit gebracht enthalten ist.

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    Deshalb ist unsere Gegenwart ihrem allgemeinen Zustande nach derKunst nicht gnstig. Selbst der ausbende Knstler ist nicht etwa nurdurch die um ihn her laut werdende Reflexion, durch die allgemeineGewohnheit des Meinens und Urteilens ber die Kunst verleitet undangesteckt, in seine Arbeiten selbst mehr Gedanken hineinzubringen,sondern die ganze geistige Bildung ist von der Art, da er selber in-nerhalb solcher reflektierenden Welt und ihrer Verhltnisse steht undnicht etwa durch Willen und Entschlu davon abstrahieren oder durchbesondere Erziehung oder Entfernung von den Lebensverhltnissensich eine besondere, das Verlorene wieder ersetzende Einsamkeit erkn-steln und zuwege bringen knnte.

    In allen diesen Beziehungen ist und bleibt die Kunst nach der Seiteihrer hchsten Bestimmung fr uns ein Vergangenes. Damit hat sie fruns auch die echte Wahrheit und Lebendigkeit verloren und ist mehr inunsere Vorstellung verlegt, als da sie in der Wirklichkeit ihre frhereNotwendigkeit behauptete und ihren hheren Platz einnhme. Wasdurch Kunstwerke jetzt in uns erregt wird, ist auer dem unmittelbarenGenu zugleich unser Urteil, indem wir den Inhalt, die Darstellungsmitteldes Kunstwerks und die Angemessenheit und Unangemessenheit beiderunserer denkenden Betrachtung unterwerfen. Die Wissenschaft der

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    Kunst ist darum in unserer Zeit noch viel mehr Bedrfnis als zu denZeiten, in welchen die Kunst fr sich als Kunst schon volle Befriedigunggewhrte. Die Kunst ldt uns zur denkenden Betrachtung ein, und zwarnicht zu dem Zwecke, Kunst wieder hervorzurufen, sondern, was dieKunst sei, wissenschaftlich zu erkennen.

    Wollen wir nun aber dieser Einladung Folge leisten, so begegnet unsdie schon berhrte Bedenklichkeit, da die Kunst etwa wohl berhauptfr philosophisch reflektierende, jedoch nicht eigentlich fr systematischwissenschaftliche Betrachtungen einen angemessenen Gegenstandabgebe. Hierin jedoch liegt zunchst die falsche Vorstellung, als ob einephilosophische Betrachtung auch unwissenschaftlich sein knne. Es istber diesen Punkt hier nur in der Krze zu sagen, da, welche Vorstel-lungen man sonst von Philosophie und vom Philosophieren habenmge, ich das Philosophieren durchaus als von Wissenschaftlichkeituntrennbar erachte. Denn die Philosophie hat einen Gegenstand nachder Notwendigkeit zu betrachten, und zwar nicht nur nach der subjekti-ven Notwendigkeit oder ueren Ordnung, Klassifikation usf., sondernsie hat den Gegenstand nach der Notwendigkeit seiner eigenen innerenNatur zu entfalten und zu beweisen. Erst diese Explikation macht ber-haupt das Wissenschaftliche einer Betrachtung aus. Insofern aber die

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    objektive Notwendigkeit eines Gegenstandes wesentlich in seinerlogisch-metaphysischen Natur liegt, kann brigens, ja es mu selbst beider isolierten Betrachtung der Kunst - die so viele Voraussetzungen,teils in Ansehung des Inhalts selbst, teils in Ansehung ihres Materialsund Elementes hat, durch welches die Kunst zugleich immer an dieZuflligkeit anstreift - von der wissenschaftlichen Strenge nachgelassenwerden, und es ist nur in betreff auf den wesentlichen inneren Fortgangihres Inhalts und ihrer Ausdrucksmittel an die Gestaltung der Notwendig-keit zu erinnern.

    Was aber den Einwurf betrifft, da die Werke der schnen Kunst sichder wissenschaftlich denkenden Betrachtung entzgen, weil sie aus derregellosen Phantasie und dem Gemt ihren Ursprung nhmen undunbersehbar an Anzahl und Mannigfaltigkeit nur auf Empfindung undEinbildungskraft ihre Wirkung uerten, so scheint diese Verlegenheitauch jetzt noch von Gewicht zu sein. Denn in der Tat erscheint dasKunstschne in einer Form, die dem Gedanken ausdrcklich gegenber-steht und die er, um sich in seiner Weise zu bettigen, zu zerstrengentigt ist. Diese Vorstellung hngt mit der Meinung zusammen, dadas Reelle berhaupt, das Leben der Natur und des Geistes, durch dasBegreifen verunstaltet und gettet, da es, statt durch begriffsmiges

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    Denken uns nahegebracht zu sein, erst recht entfernt werde, so da derMensch sich durch das Denken, als Mittel, das Lebendige zu fassen,sich vielmehr um diesen Zweck selber bringe. Erschpfend ist hierberan dieser Stelle nicht zu sprechen, sondern nur der Gesichtspunktanzugeben, aus welchem die Beseitigung dieser Schwierigkeit oderUnmglichkeit oder Ungeschicklichkeit zu bewirken wre.

    So viel wird man zunchst zugeben, da der Geist, sich selbst zubetrachten, ein Bewutsein, und zwar ein denkendes ber sich selbstund ber alles, was aus ihm entspringt, zu haben fhig sei. Denn dasDenken gerade macht die innerste wesentliche Natur des Geistes aus.In diesem denkenden Bewutsein ber sich und seine Produkte, sovielFreiheit und Willkr dieselben sonst auch immer haben mgen, wenn ernur wahrhaft darin ist, verhlt sich der Geist seiner wesentlichen Naturgem. Die Kunst nun und ihre Werke, als aus dem Geiste entsprungenund erzeugt, sind selber geistiger Art, wenn auch ihre Darstellung denSchein der Sinnlichkeit in sich aufnimmt und das Sinnliche mit Geistdurchdringt. In dieser Beziehung liegt die Kunst dem Geiste und seinemDenken schon nher als die nur uere geistlose Natur; er hat es in denKunstprodukten nur mit dem Seinigen zu tun. Und wenn auch die Kunst-werke nicht Gedanken und Begriff, sondern eine Entwicklung des Be-

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    griffs aus sich selber, eine Entfremdung zum Sinnlichen hin sind, so liegtdie Macht des denkenden Geistes darin, nicht etwa nur sich selbst inseiner eigentmlichen Form als Denken zu fassen, sondern ebensosehrsich in seiner Entuerung zur Empfindung und Sinnlichkeit wieder-zuerkennen, sich in seinem Anderen zu begreifen, indem er das Ent-fremdete zu Gedanken verwandelt und so zu sich zurckfhrt. Und derdenkende Geist wird sich in dieser Beschftigung mit dem Anderenseiner selbst nicht etwa ungetreu, so da er sich darin verge undaufgbe, noch ist er so ohnmchtig, das von ihm Unterschiedene nichterfassen zu knnen, sondern er begreift sich und sein Gegenteil. Dennder Begriff ist das Allgemeine, das in seinen Besonderungen sich erhlt,ber sich und sein Anderes bergreift und so die Entfremdung, zu der erfortgeht, ebenso wieder aufzuheben die Macht und Ttigkeit ist. Sogehrt auch das Kunstwerk, in welchem der Gedanke sich selbst ent-uert, zum Bereich des begreifenden Denkens, und der Geist, indemer es der wissenschaftlichen Betrachtung unterwirft, befriedigt darin nurdas Bedrfnis seiner eigensten Natur. Denn weil das Denken sein We-sen und Begriff ist, ist er letztlich nur befriedigt, wenn er alle Produkteseiner Ttigkeit auch mit dem Gedanken durchdrungen und sie so erstwahrhaft zu den seinigen gemacht hat. Die Kunst aber, weit entfernt, wie

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    wir noch bestimmter sehen werden, die hchste Form des Geistes zusein, erhlt in der Wissenschaft erst ihre echte Bewhrung.

    Ebenso verweigert sich die Kunst nicht durch regellose Willkr derphilosophischen Betrachtung. Denn wie bereits angedeutet, ist ihrewahrhafte Aufgabe, die hchsten Interessen des Geistes zum Bewut-sein zu bringen. Hieraus ergibt sich sogleich nach der Seite des Inhalts,da die schne Kunst nicht knne in wilder Fessellosigkeit der Phanta-sie umherschweifen, denn diese geistigen Interessen setzen ihr fr ihrenInhalt bestimmte Haltpunkte fest, mgen die Formen und Gestaltungenauch noch so mannigfaltig und unerschpflich sein. Das gleiche gilt frdie Formen selbst. Auch sie sind nicht dem bloen Zufall anheimgege-ben. Nicht jede Gestaltung ist fhig, der Ausdruck und die Darstellungjener Interessen zu sein, sie in sich aufzunehmen und wiederzugeben,sondern durch einen bestimmten Inhalt ist auch die ihm angemesseneForm bestimmt.

    Von dieser Seite her sind wir denn auch fhig, uns in der scheinbarunbersehbaren Masse der Kunstwerke und Formen gedankenmig zuorientieren.

    So htten wir jetzt also erstens den Inhalt unserer Wissenschaft, aufden wir uns beschrnken wollen, angegeben und gesehen, wie weder

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    die schne Kunst einer philosophischen Betrachtung unwrdig noch diephilosophische Betrachtung unfhig sei, das Wesen der schnen Kunstzu erkennen.

    II. Wissenschaftliche Behandlungsartendes Schnen und der Kunst

    Fragen wir nun nach der Art der wissenschaftlichen Betrachtung, sobegegnen uns auch hier wieder zwei entgegengesetzte Behandlungs-weisen, von welchen jede die andere auszuschlieen und uns zu keinemwahren Resultat gelangen zu lassen scheint.

    Einerseits sehen wir die Wissenschaft der Kunst sich nur etwa auenherum an den wirklichen Werken der Kunst bemhen, sie zur Kunst-geschichte aneinanderreihen, Betrachtungen ber die vorhandenenKunstwerke anstellen oder Theorien entwerfen, welche die allgemeinenGesichtspunkte fr die Beurteilung wie fr die knstlerische Hervor-bringung liefern sollen.

    Andererseits sehen wir die Wissenschaft sich selbstndig fr sich demGedanken ber das Schne berlassen und nur Allgemeines, das

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    Kunstwerk in seiner Eigentmlichkeit nicht Treffendes, eine abstraktePhilosophie des Schnen hervorbringen.

    1. Was die erste Behandlungsweise betrifft, welche das Empirischezum Ausgangspunkt hat, so ist sie der notwendige Weg fr denjenigen,der sich zum Kunstgelehrten zu bilden gedenkt. Und wie heutzutagejeder, wenn er sich auch der Physik nicht widmet, dennoch mit denwesentlichsten physikalischen Kenntnissen ausgerstet sein will, so hates sich mehr oder weniger zum Erfordernis eines gebildeten Mannesgemacht, einige Kunstkenntnis zu besitzen, und ziemlich allgemein istdie Prtention, sich als ein Dilettant und Kunstkenner zu erweisen.

    a) Sollen diese Kenntnisse aber wirklich als Gelehrsamkeit anerkanntwerden, so mssen sie mannigfacher Art und von weitem Umfange sein.Denn das erste Erfordernis ist die genaue Bekanntschaft mit dem un-ermelichen Bereich der individuellen Kunstwerke alter und neuer Zeit,Kunstwerke, die zum Teil in der Wirklichkeit schon untergegangen sind,zum Teil entfernten Lndern oder Weltteilen angehren und welche dieUngunst des Schicksals dem eigenen Anblick entzogen hat. Sodanngehrt jedes Kunstwerk seiner Zeit, seinem Volke, seiner Umgebung anund hngt von besonderen geschichtlichen und anderen Vorstellungenund Zwecken ab, weshalb die Kunstgelehrsamkeit ebenso einen weiten

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    Reichtum von historischen, und zwar zugleich sehr speziellen Kennt-nissen erfordert, indem eben die individuelle Natur des Kunstwerks sichaufs Einzelne bezieht und das Spezielle zu seinem Verstndnis undErluterung ntig hat. - Diese Gelehrsamkeit endlich bedarf nicht nur wiejede andere des Gedchtnisses fr Kenntnisse, sondern auch einerscharfen Einbildungskraft, um die Bilder der Kunstgestaltungen nachallen ihren verschiedenen Zgen fr sich festzuhalten und vornehmlichzur Vergleichung mit anderen Kunstwerken prsent zu haben.

    b) Innerhalb dieser zunchst geschichtlichen Betrachtung schonergeben sich verschiedene Gesichtspunkte, welche, um aus ihnen dieUrteile herzuleiten, bei Betrachtung des Kunstwerks nicht aus dem Augezu verlieren sind. Diese Gesichtspunkte nun, wie bei anderen Wissen-schaften, die einen empirischen Anfang haben, bilden, indem sie fr sichherausgehoben und zusammengestellt werden, allgemeine Kriterien undStze und in noch weiterer formeller Verallgemeinerung die Theorien derKnste. Die Literatur dieser Art auszufhren ist hier nicht am Orte, undes kann deshalb gengen, nur an einige Schriften im allgemeinsten zuerinnern. So z. B. an die Aristotelische Poetik, deren Theorie der Trag-die noch jetzt von Interesse ist; und nher noch kann unter den AltenHorazens Ars poetica und Longins Schrift ber das Erhabene eine

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    allgemeine Vorstellung von der Weise geben, in welcher solches Theo-retisieren gehandhabt worden ist. Die allgemeinen Bestimmungen,welche man abstrahierte, sollten insbesondere fr Vorschriften undRegeln gelten, nach denen man hauptschlich in den Zeiten der Ver-schlechterung der Poesie und Kunst Kunstwerke hervorzubringen habe.Doch verschrieben diese rzte der Kunst fr die Heilung der Kunst nochweniger sichere Rezepte als die rzte fr die Wiederherstellung derGesundheit.

    Ich will ber Theorien dieser Art nur anfhren, da, obwohl sie imeinzelnen viel Lehrreiches enthalten, dennoch ihre Bemerkungen voneinem sehr beschrnkten Kreise von Kunstwerken abstrahiert waren,welche gerade fr die echtschnen galten, jedoch immer nur einenengen Umfang des Kunstgebietes ausmachten. Auf der anderen Seitesind solche Bestimmungen zum Teil sehr triviale Reflexionen, die in ihrerAllgemeinheit zu keiner Feststellung des Besonderen fortschreiten, umwelches es doch vornehmlich zu tun ist; wie die angefhrte HorazischeEpistel voll davon und daher wohl ein Allerweltsbuch ist, das aber ebendeswegen viel Nichtssagendes enthlt: omne tulit punctum etc., hn-lich so vielen parnetischen Lehren - Bleib im Lande und nhre dichredlich -, welche in ihrer Allgemeinheit wohl richtig sind, aber der kon-

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    kreten Bestimmungen entbehren, auf die es im Handeln ankommt. - Einanderweitiges Interesse bestand nicht in dem ausdrcklichen Zweck,direkt die Hervorbringung von echten Kunstwerken zu bewirken, sondernes trat die Absicht hervor, durch solche Theorien das Urteil ber Kunst-werke, berhaupt den Geschmack zu bilden, wie in dieser BeziehungHomes Elements of criticism [1762], die Schriften von Batteux und1) 2)Ramlers Einleitung in die schnen Wissenschaften [4 Bde., 1756-58]3)zu ihrer Zeit vielgelesene Werke gewesen sind. Geschmack in diesemSinne betrifft die Anordnung und Behandlung, das Schickliche undAusgebildete dessen, was zur ueren Erscheinung eines Kunstwerksgehrt. Ferner wurden zu den Grundstzen des Geschmacks nochAnsichten hinzugezogen, wie sie der vormaligen Psychologie angehr-ten und den empirischen Beobachtungen der Seelenfhigkeiten undTtigkeiten, der Leidenschaften und ihrer wahrscheinlichen Steigerung,Folge usf. abgemerkt worden waren. Nun bleibt es aber ewig der Fall,da jeder Mensch Kunstwerke oder Charaktere, Handlungen und Be-gebenheiten nach dem Mae seiner Einsichten und seines Gemtsbeurteilt, und da jene Geschmacksbildung nur auf das uere undDrftige ging und auerdem ihre Vorschriften gleichfalls nur aus einemengen Kreise von Kunstwerken und aus beschrnkter Bildung des

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    Verstandes und Gemtes hernahm, so war ihre Sphre ungengendund unfhig, das Innere und Wahre zu ergreifen und den Blick fr dasAuffassen desselben zu schrfen.

    Im allgemeinen verfahren solche Theorien in der Art der brigen nicht-philosophischen Wissenschaften. Der Inhalt, den sie der Betrachtungunterwerfen, wird aus unserer Vorstellung als ein Vorhandenes aufge-nommen; jetzt wird weiter nach der Beschaffenheit dieser Vorstellunggefragt, indem sich das Bedrfnis nherer Bestimmungen hervortut,welche gleichfalls in unserer Vorstellung angetroffen und aus ihr herausin Definitionen festgestellt werden. Damit befinden wir uns aber sogleichauf einem unsicheren, dem Streit unterworfenen Boden. Denn zunchstknnte es zwar scheinen, als sei das Schne eine ganz einfache Vor-stellung. Doch ergibt es sich bald, da in ihr sich mehrfache Seitenauffinden lassen, und so hebt denn der eine diese, der andere eineandere heraus, oder wenn auch die gleichen Gesichtspunkte bercksich-tigt sind, entsteht ein Kampf um die Frage, welche Seite nun als diewesentliche zu betrachten sei.

    In dieser Hinsicht wird es zur wissenschaftlichen Vollstndigkeit ge-rechnet, die verschiedenen Definitionen ber das Schne aufzufhrenund zu kritisieren. Wir wollen dies weder in historischer Vollstndigkeit,

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    um alle die vielerlei Feinheiten des Definierens kennenzulernen, nochdes historischen Interesses wegen tun, sondern nur als Beispiel einigevon den neueren interessanteren Betrachtungsweisen herausstellen,welche nher auf das hinzielen, was in der Tat in der Idee des Schnenliegt. Zu diesem Zweck ist vorzugsweise an die Goethesche Bestim-mung des Schnen zu erinnern, welche Meyer seiner Geschichte derbildenden Knste in Griechenland einverleibt hat, bei welcher Gelegen-4)heit er, ohne Hirt zu nennen, die Betrachtungsweise desselben gleich-falls anfhrt.

    Hirt , einer der grten wahrhaften Kunstkenner unserer Zeit, fat in5)seinem Aufsatz ber das Kunstschne (Die Horen, 1797, 7. Stck),nachdem er von dem Schnen in den verschiedenen Knsten gespro-chen hat, als Ergebnis zusammen, da die Basis zu einer richtigenBeurteilung des Kunstschnen und Bildung des Geschmacks der Begriffdes Charakteristischen sei. Das Schne nmlich stellt er fest als dasVollkommene, welches ein Gegenstand des Auges, des Ohres oder derEinbildungskraft werden kann oder ist. Das Vollkommene dann weiterdefiniert er als das Zweckentsprechende, was die Natur oder Kunst beider Bildung des Gegenstandes - in seiner Gattung und Art - sich vor-setzte, weshalb wir denn also, um unser Schnheitsurteil zu bilden,

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    unser Augenmerk soviel als mglich auf die individuellen Merkmale,welche ein Wesen konstituieren, richten mten. Denn diese Merkmalemachen gerade das Charakteristische desselben aus. Unter Charakterals Kunstgesetz versteht er demnach jene bestimmte Individualitt,wodurch sich Formen, Bewegung und Gebrde, Miene und Ausdruck,Lokalfarbe, Licht und Schatten, Helldunkel und Haltung unterscheiden,und zwar so, wie der vorgedachte Gegenstand es erfordert. DieseBestimmung ist schon bezeichnender als sonstige Definitionen. Fragenwir nmlich weiter, was das Charakteristische sei, so gehrt dazu er-stens ein Inhalt, als z. B. bestimmte Empfindung, Situation, Begeben-heit, Handlung, Individuum; zweitens die Art und Weise, in welcher derInhalt zur Darstellung gebracht ist. Auf diese Art der Darstellung beziehtsich das Kunstgesetz des Charakteristischen, indem es fordert, daalles Besondere in der Ausdrucksweise zur bestimmten Bezeichnungihres Inhalts diene und ein Glied in der Ausdrckung desselben sei. Dieabstrakte Bestimmung des Charakteristischen betrifft also die Zweck-migkeit, in welche das Besondere der Kunstgestalt den Inhalt, den esdarstellen soll, wirklich heraushebt. Wenn wir diesen Gedanken ganzpopulr erlutern wollen, so ist die Beschrnkung, die in demselbenliegt, folgende. Im Dramatischen z. B. macht eine Handlung den Inhalt

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    aus; das Drama soll darstellen, wie diese Handlung geschieht. Nun tundie Menschen vielerlei; sie reden mit ein, zwischenhinein essen sie,schlafen, kleiden sich an, sprechen dieses und jenes usf. Was nun abervon all diesem nicht unmittelbar mit jener bestimmten Handlung als demeigentlichen Inhalt in Verhltnis steht, soll ausgeschlossen sein, so dain bezug auf ihn nichts bedeutungslos bleibe. Ebenso knnten in einGemlde, das nur einen Moment jener Handlung ergreift, in der breitenVerzweigung der Auenwelt eine Menge Umstnde, Personen, Stel-lungen und sonstige Vorkommenheiten aufgenommen werden, welchein diesem Momente keine Beziehung auf die bestimmte Handlung habenund nicht zum bezeichnenden Charakter derselben dienlich sind. Nachder Bestimmung des Charakteristischen aber soll nur dasjenige mit indas Kunstwerk eintreten, was zur Erscheinung und wesentlich zumAusdruck gerade nur dieses Inhalts gehrt; denn nichts soll sich alsmig und berflssig zeigen.

    Es ist dies eine sehr wichtige Bestimmung, welche sich in gewisserBeziehung rechtfertigen lt. Meyer jedoch in seinem angefhrtenWerke meint, diese Ansicht sei spurlos vorbergegangen, und, wie erdafrhalte, zum Besten der Kunst. Denn jene Vorstellung htte wahr-scheinlich zum Karikaturmigen geleitet. Dies Urteil enthlt sogleich

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    das Schiefe, als ob es bei solchem Feststellen des Schnen um dasLeiten zu tun wre. Die Philosophie der Kunst bemht sich nicht umVorschriften fr die Knstler, sondern sie hat auszumachen, was dasSchne berhaupt ist und wie es sich im Vorhandenen, in Kunstwerkengezeigt hat, ohne dergleichen Regeln geben zu wollen. Was nun auer-dem jene Kritik betrifft, so fat die Hirtsche Definition allerdings auch dasKarikaturmige in sich, denn auch das Karikierte kann charakteristischsein; allein es ist dagegen sogleich zu sagen, da in der Karikatur derbestimmte Charakter zur bertreibung gesteigert und gleichsam einberflu des Charakteristischen ist. Der berflu ist aber nicht mehrdas eigentlich zum Charakteristischen Erforderliche, sondern eine lsti-ge Wiederholung, wodurch das Charakteristische selbst kann denaturiertwerden. Zudem zeigt sich das Karikaturmige ferner als die Charakteri-stik des Hlichen, das allerdings ein Verzerren ist. Das Hliche sei-nerseits bezieht sich nher auf den Inhalt, so da gesagt werden kann,da mit dem Prinzip des Charakteristischen auch das Hliche und dieDarstellung des Hlichen als Grundbestimmung angenommen sei.ber das, was im Kunstschnen charakterisiert werden soll und wasnicht, ber den Inhalt des Schnen allerdings gibt die Hirtsche Definitionkeine nhere Auskunft, sondern liefert in dieser Rcksicht nur eine rein

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    formelle Bestimmung, welche jedoch in sich Wahrhaftes, wenn auch aufabstrakte Weise, enthlt.

    Was setzt Meyer nun aber, ergeht die weitere Frage, jenem Kunst-prinzipe Hirts entgegen, was zieht er vor? Er handelt zunchst nur vondem Prinzip in den Kunstwerken der Alten, das jedoch die Bestimmungdes Schnen berhaupt enthalten mu. Bei dieser Gelegenheit kommter auf Mengs und auf Winckelmanns Bestimmung des Ideals zu spre-6)chen und uert sich dahin, da er dies Schnheitsgesetz weder ver-werfen noch ganz annehmen wolle, dagegen kein Bedenken trage, sichder Meinung eines erleuchteten Kunstrichters (Goethes) anzuschlieen,da sie bestimmend sei und nher das Rtsel zu lsen scheine. Goethesagt: Der hchste Grundsatz der Alten war das Bedeutende, das hch-ste Resultat aber einer glcklichen Behandlung das Schne. Sehen wirnher zu, was in diesem Ausspruche liegt, so haben wir darin wiederumzweierlei: den Inhalt, die Sache, und die Art und Weise der Darstellung.Bei einem Kunstwerke fangen wir bei dem an, was sich uns unmittelbarprsentiert, und fragen dann erst, was daran die Bedeutung oder Inhaltsei. Jenes uerliche gilt uns nicht unmittelbar, sondern wir nehmendahinter noch ein Inneres, eine Bedeutung an, durch welche die Auen-erscheinung begeistet wird. Auf diese seine Seele deutet das uerliche

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    hin. Denn eine Erscheinung, die etwas bedeutet, stellt nicht sich selberund das, was sie als uere ist, vor, sondern ein anderes; wie dasSymbol z. B. und deutlicher noch die Fabel, deren Moral und Lehre dieBedeutung ausmacht. Ja, jedes Wort schon weist auf eine Bedeutunghin und gilt nicht fr sich selbst. Ebenso das menschliche Auge, dasGesicht, Fleisch, Haut, die ganze Gestalt lt Geist, Seele durch sichhindurchscheinen, und immer ist hier die Bedeutung noch etwas Weite-res als das, was sich in der unmittelbaren Erscheinung zeigt. In dieserWeise soll das Kunstwerk bedeutend sein und nicht nur in diesen Linien,Krmmungen, Flchen, Aushhlungen, Vertiefungen des Gesteins, indiesen Farben, Tnen, Wortklngen, oder welches Material sonst be-nutzt ist, erschpft erscheinen, sondern eine innere Lebendigkeit, Emp-findung, Seele, einen Gehalt und Geist entfalten, den wir eben dieBedeutung des Kunstwerks nennen.

    Mit dieser Forderung der Bedeutsamkeit eines Werks ist daher nichtviel weiteres oder anderes als mit dem Hirtschen Prinzip des Charakteri-stischen gesagt.

    Dieser Auffassung nach haben wir also als die Elemente des Schnenein Inneres, einen Inhalt, und ein ueres, welches jenen Inhalt bedeu-tet, charakterisiert; das Innere scheint im ueren und gibt durch das-

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    selbe sich zu erkennen, indem das uere von sich hinweg auf dasInnere hinweist. In das Nhere knnen wir jedoch nicht weiter eingehen.

    c) Die frhere Manier dieses Theoretisierens wie jener praktischenRegeln ist denn auch bereits in Deutschland gewaltsam auf die Seitegeworfen worden - vornehmlich durch das Hervortreten von wahrhafterlebendiger Poesie -, und das Recht des Genies, die Werke desselbenund deren Effekte sind geltend gemacht worden gegen die Anmaungenjener Gesetzlichkeiten und breiten Wasserstrme von Theorien. Ausdieser Grundlage einer selbst echten geistigen Kunst, wie der Mitempfin-dung und Durchdringung derselben, ist die Empfnglichkeit und Freiheitentsprungen, auch die lngst vorhandenen groen Kunstwerke dermodernen Welt, des Mittelalters oder auch ganz fremder Vlker desAltertums (die indischen z. B.) zu genieen und anzuerkennen - Werke,welche ihres Alters oder fremden Nationalitt wegen fr uns allerdingseine fremdartige Seite haben, doch bei ihrem alle Fremdartigkeit berbie-tenden, allen Menschen gemeinschaftlichen Gehalt nur durch das Vor-urteil der Theorie zu Produktionen eines barbarischen schlechten Ge-schmacks gestempelt werden konnten. Diese Anerkennung berhauptvon Kunstwerken, welche aus dem Kreise und Formen derjenigen her-austreten, die vornehmlich fr die Abstraktionen der Theorie gelegt

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    wurden, hat zunchst zur Anerkennung einer eigentmlichen Art vonKunst - der romantischen Kunst - gefhrt, und es ist ntig geworden, denBegriff und die Natur des Schnen auf eine tiefere Weise zu fassen, alses jene Theorien vermocht hatten. Womit sich dies zugleich verbundenhat, da der Begriff fr sich selbst, der denkende Geist sich nun auchseinerseits in der Philosophie tiefer erkannte und damit auch das Wesender Kunst auf eine grndlichere Weise zu nehmen unmittelbar veranlatward.

    So ist denn selbst nach den Momenten dieses allgemeineren Verlaufsjene Art des Nachdenkens ber die Kunst, jenes Theoretisieren, seinenPrinzipien wie deren Durchfhrung nach, antiquiert worden. Nur dieGelehrsamkeit der Kunstgeschichte hat ihren bleibenden Wert behaltenund mu ihn um so mehr behalten, je mehr durch jene Fortschritte dergeistigen Empfnglichkeit ihr Gesichtskreis nach allen Seiten hin sicherweitert hat. Ihr Geschft und Beruf besteht in der sthetischen Wrdi-gung der individuellen Kunstwerke und Kenntnis der historischen, dasKunstwerk uerlich bedingenden Umstnde; eine Wrdigung, die mitSinn und Geist gemacht, durch die historischen Kenntnisse untersttzt,allein in die ganze Individualitt eines Kunstwerks eindringen lt; wiez. B. Goethe viel ber Kunst und Kunstwerke geschrieben hat. Das

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    eigentliche Theoretisieren ist nicht Zweck dieser Betrachtungsweise,obschon sich dieselbe wohl auch hufig mit abstrakten Prinzipien undKategorien zu tun macht und bewutlos darein verfallen kann, doch,wenn man sich hiervon nicht aufhalten lt, sondern nur jene konkretenDarstellungen vor Augen behlt, auf allen Fall fr eine Philosophie derKunst die anschaulichen Belege und Besttigungen liefert, in derenhistorisches besonderes Detail sich die Philosophie nicht einlassenkann.

    Das wre die erste Weise der Kunstbetrachtung, welche vom Partiku-lren und Vorhandenen ausgeht.

    2. Hiervon ist wesentlich die entgegengesetzte Seite zu unterschei-den, nmlich die ganz theoretische Reflexion, welche das Schne alssolches aus sich selbst zu erkennen und dessen Idee zu ergrndenbemht ist.

    Bekanntlich hat Platon in tieferer Weise an die philosophische Be-trachtung die Forderung zu machen angefangen, da die Gegenstndenicht in ihrer Besonderheit, sondern in ihrer Allgemeinheit, in ihrer Gat-tung, ihrem Anundfrsichsein erkannt werden sollten, indem er be-hauptete, das Wahre seien nicht die einzelnen guten Handlungen,wahren Meinungen, schnen Menschen oder Kunstwerke, sondern das

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    Gute, das Schne, das Wahre selbst. Wenn nun in der Tat das Schneseinem Wesen und Begriff nach erkannt werden soll, so kann dies nurdurch den denkenden Begriff geschehen, durch welchen die logisch-metaphysische Natur der Idee berhaupt sowie der besonderen Ideedes Schnen ins denkende Bewutsein tritt. Allein diese Betrachtungdes Schnen fr sich in seiner Idee kann selbst wieder zu einer ab-strakten Metaphysik werden, und wenn auch Platon dabei zur Grundlageund zum Fhrer genommen wird, so kann uns doch die PlatonischeAbstraktion, selbst fr die logische Idee des Schnen, nicht mehr gen-gen. Wir mssen diese selbst tiefer und konkreter fassen, denn dieInhaltslosigkeit, welche der Platonischen Idee anklebt, befriedigt diereicheren philosophischen Bedrfnisse unseres heutigen Geistes nichtmehr. Es ist also wohl der Fall, da auch wir in der Philosophie derKunst von der Idee des Schnen ausgehen mssen, aber es darf nichtder Fall sein, da wir nur jene abstrakte, das Philosophieren ber dasSchne erst beginnende Weise Platonischer Ideen festhalten.

    3. Der philosophische Begriff des Schnen, um seine wahre Naturvorlufig wenigstens anzudeuten, mu die beiden angegebenen Ex-treme in sich vermittelt enthalten, indem er die metaphysische Allge-meinheit mit der Bestimmtheit realer Besonderheit vereinigt. Erst so ist

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    er an und fr sich in seiner Wahrheit gefat. Denn einerseits ist er dannder Sterilitt einseitiger Reflexion gegenber aus sich selbst fruchtbar,da er sich seinem eigenen Begriffe nach zu einer Totalitt von Bestim-mungen zu entwickeln hat und er selbst wie seine Auseinandersetzungdie Notwendigkeit seiner Besonderheiten sowie des Fortgangs undbergangs derselben zueinander enthlt; andererseits tragen die Be-sonderheiten, zu denen bergeschritten wird, in sich die Allgemeinheitund Wesentlichkeit des Begriffs, als dessen eigene Besonderheiten sieerscheinen. Beides geht den bisher berhrten Betrachtungsweisen ab,weshalb nur jener volle Begriff auf die substantiellen, notwendigen undtotalen Prinzipien fhrt.

    III. Begriff des Kunstschnen

    Nach diesen Vorerinnerungen treten wir nun unserem eigentlichenGegenstande, der Philosophie des Kunstschnen, nher, und indem wirihn wissenschaftlich zu behandeln unternehmen, haben wir mit demBegriff desselben den Anfang zu machen. Erst wenn wir diesen Begrifffestgestellt haben, knnen wir die Einteilung und damit den Plan des

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    Ganzen der Wissenschaft darlegen; denn eine Einteilung, wenn sienicht, wie es bei unphilosophischer Betrachtung geschieht, auf eine nuruerliche Weise vorgenommen werden soll, mu ihr Prinzip in demBegriff des Gegenstandes selbst finden.

    Bei solcher Forderung tritt uns sogleich die Frage entgegen, woher wirdiesen Begriff entnehmen. Beginnen wir mit dem Begriffe des Kunst-schnen selbst, so wird derselbe dadurch unmittelbar zu einer Voraus-setzung und bloen Annahme; bloe Annahmen jedoch lt die phi-losophische Methode nicht zu, sondern was ihr gelten soll, dessenWahrheit mu bewiesen, d. h. als notwendig aufgezeigt sein.

    ber diese Schwierigkeit, welche die Einleitung in jede selbstndig frsich betrachtete philosophische Disziplin betrifft, wollen wir uns mitwenigen Worten verstndigen.

    Bei dem Gegenstande jeder Wissenschaft kommt zunchst zweierleiin Betracht: erstens, da ein solcher Gegenstand ist, und zweitens, waser ist.

    ber den ersten Punkt pflegt sich in den gewhnlichen Wissenschaf-ten wenig Schwierigkeit zu erheben. Ja, es knnte zunchst sogar l-cherlich erscheinen, wenn sich die Forderung auftte, es solle in derAstronomie und Physik bewiesen werden, da es eine Sonne, Gestirne,

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    magnetische Erscheinungen usw. gebe. In diesen Wissenschaften, diees mit sinnlich Vorhandenem zu tun haben, werden die Gegenstndeaus der ueren Erfahrung genommen, und statt sie zu beweisen, wirdes fr hinreichend gehalten, sie zu weisen. Doch schon innerhalb dernicht-philosophischen Disziplinen knnen Zweifel ber das Sein ihrerGegenstnde aufkommen, wie z. B. in der Psychologie, der Lehre vomGeiste, der Zweifel, ob es eine Seele, einen Geist gibt, d. h. ein von demMateriellen verschiedenes, fr sich selbstndiges Subjektives, oder inder Theologie, da ein Gott ist. Wenn ferner die Gegenstnde subjekti-ver Art, d. h. nur im Geiste und nicht als uerlich sinnliche Objektevorhanden sind, so wissen wir, im Geiste sei nur, was er durch seineTtigkeit hervorgebracht hat. Hiermit tritt sogleich die Zuflligkeit ein, obMenschen diese innere Vorstellung oder Anschauung in sich produzierthaben oder nicht und, wenn auch das erstere wirklich der Fall ist, ob siesolche Vorstellung nicht auch wieder verschwinden gemacht oder diesel-be wenigstens zu einer blo subjektiven Vorstellung herabgesetzt ha-ben, deren Inhalt kein Sein an und fr sich selbst zukomme; wie z. B.das Schne hufig als nicht an und fr sich in der Vorstellung notwen-dig, sondern als ein blo subjektives Gefallen, ein nur zuflliger Sinn istangesehen worden. Schon unsere ueren Anschauungen, Beobach-

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    tungen und Wahrnehmungen sind oft tuschend und irrig, aber noch vielmehr sind es die inneren Vorstellungen, wenn sie auch die grte Le-bendigkeit in sich haben und uns unwiderstehlich zur Leidenschaftfortreien sollten.

    Jener Zweifel nun, ob ein Gegenstand der inneren Vorstellung undAnschauung berhaupt sei oder nicht, wie jene Zuflligkeit, ob dassubjektive Bewutsein ihn in sich erzeugt und ob die Art und Weise, wiees ihn vor sich gebracht, dem Gegenstande seinem Anundfrsichseinnach auch entsprechend sei, erregt im Menschen gerade das hherewissenschaftliche Bedrfnis, welches fordert, da, wenn es uns auch sovorkomme, als ob ein Gegenstand sei oder da es einen solchen gebe,derselbe dennoch msse seiner Notwendigkeit nach aufgezeigt oderbewiesen werden.

    Mit diesem Beweise, wird er wahrhaft wissenschaftlich entwickelt, istsodann zugleich der anderen Frage, was ein Gegenstand sei, Gengegeleistet. Dies auseinanderzusetzen wrde uns jedoch an diesem Ortezuweit fhren, und es ist darber nur folgendes anzudeuten.

    Wenn von unserem Gegenstande, dem Kunstschnen, die Notwen-digkeit aufgezeigt werden soll, so wre zu beweisen, da die Kunst oderdas Schne ein Resultat von Vorhergehendem sei, das, seinem wahren

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    Begriffe nach betrachtet, mit wissenschaftlicher Notwendigkeit zumBegriffe der schnen Kunst hinberfhrt. Indem wir nun aber von derKunst anfangen, ihren Begriff und dessen Realitt, nicht aber das ihremeigenen Begriff zufolge ihr Vorangehende in seinem Wesen abhandelnwollen, so hat die Kunst fr uns als besonderer wissenschaftlicherGegenstand eine Voraussetzung, die auerhalb unserer Betrachtungliegt und, als ein anderer Inhalt wissenschaftlich abgehandelt, eineranderen philosophischen Disziplin angehrt. Es bleibt deshalb nichtsbrig, als den Begriff der Kunst sozusagen lemmatisch aufzunehmen,was bei allen besonderen philosophischen Wissenschaften, wenn sievereinzelt betrachtet werden sollen, der Fall ist. Denn erst die gesamtePhilosophie ist die Erkenntnis des Universums als in sich eine organi-sche Totalitt, die sich aus ihrem eigenen Begriffe entwickelt und, inihrer sich zu sich selbst verhaltenden Notwendigkeit zum Ganzen in sichzurckgehend, sich mit sich als eine Welt der Wahrheit zusammen-schliet. In der Krone dieser wissenschaftlichen Notwendigkeit ist jedereinzelne Teil ebensosehr einerseits ein in sich zurckkehrender Kreis,als er andererseits zugleich einen notwendigen Zusammenhang mitanderen Gebieten hat, - ein Rckwrts, aus dem er sich herleitet, wieein Vorwrts, zu dem er selbst in sich weitertreibt, insofern er fruchtbar

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    Anderes wieder aus sich erzeugt und fr die wissenschaftliche Erkennt-nis hervorgehen lt. Die Idee des Schnen also, mit der wir anfangen,zu beweisen, d. h. sie der Notwendigkeit nach aus den fr die Wissen-schaft vorangehenden Voraussetzungen herzuleiten, aus deren Schoesie geboren wird, ist nicht unser gegenwrtiger Zweck, sondern dasGeschft einer enzyklopdischen Entwicklung der gesamten Philosophieund ihrer besonderen Disziplinen. Fr uns ist der Begriff des Schnenund der Kunst eine durch das System der Philosophie gegebene Vor-aussetzung. Da wir aber dies System und den Zusammenhang derKunst mit demselben hier nicht errtern knnen, so haben wir denBegriff des Schnen noch nicht wissenschaftlich vor uns, sondern wasfr uns vorhanden ist, sind nur die Elemente und Seiten desselben, wiesie in den verschiedenen Vorstellungen vom Schnen und der Kunstschon im gewhnlichen Bewutsein sich vorfinden oder vormals gefatworden sind. Von hier aus wollen wir dann erst auf die grndlichereBetrachtung jener Ansichten bergehen, um dadurch den Vorteil zuerlangen, zunchst eine allgemeine Vorstellung von unserem Gegen-stande sowie durch die kurze Kritik eine vorlufige Bekanntschaft mitden hheren Bestimmungen zu bewirken, mit welchen wir es in derFolge zu tun haben werden. In dieser Weise wird unsere letzte ein-

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    leitende Betrachtung gleichsam das Einluten zum Vortrage der Sacheselbst vorstellen und eine allgemeine Sammlung und Richtung auf deneigentlichen Gegenstand bezwecken.

    Gewhnliche Vorstellungen von der Kunst

    Was uns vom Kunstwerk zunchst als gelufige Vorstellung bekanntsein kann, betrifft folgende drei Bestimmungen:

    1. Das Kunstwerk sei kein Naturprodukt, sondern durch menschlicheTtigkeit zuwege gebracht;

    2. sei es wesentlich fr den Menschen gemacht, und zwar fr denSinn desselben mehr oder weniger aus dem Sinnlichen entnommen;

    3. habe es einen Zweck in sich.

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    1. Das Kunstwerk als Produkt menschlicher Ttigkeit

    Was den ersten Punkt betrifft, da ein Kunstwerk ein Produkt mensch-licher Ttigkeit sei, so ist aus dieser Ansicht

    a) die Betrachtung hervorgegangen, da diese Ttigkeit als bewutesProduzieren eines uerlichen auch gewut und angegeben und vonanderen gelernt und befolgt werden knne. Denn was der eine macht,vermchte auch, kann es scheinen, der andere zu machen oder nach-zumachen, wenn er nur erst die Art des Verfahrens kenne, so da es beiallgemeiner Bekanntschaft mit den Regeln knstlerischer Produktion nurSache des allgemeinen Beliebens wre, in gleicher Art dasselbe zuexekutieren und Kunstwerke hervorzubringen. In dieser Weise sind dieoben besprochenen regelgebenden Theorien und ihre auf praktischeBefolgung berechneten Vorschriften entstanden. Was sich nun abernach solchen Angaben ausfhren lt, kann nur etwas formell Regel-miges und Mechanisches sein. Denn nur das Mechanische ist von souerlicher Art, da, um es in die Vorstellung aufzunehmen und insWerk zu setzen, nur eine ganz leere wollende Ttigkeit und Geschick-lichkeit erforderlich bleibt, welche in sich selbst nichts Konkretes, durchallgemeine Regeln nicht Vorzuschreibendes mitzubringen bentigt ist.

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    Dies tut sich am lebendigsten hervor, wenn sich dergleichen Vorschriftennicht auf das rein uerliche und Mechanische beschrnken, sondernauf die inhaltsvoll geistige, knstlerische Ttigkeit ausdehnen. In diesemGebiet enthalten die Regeln nur unbestimmte Allgemeinheiten, z. B. dasThema solle interessant sein, man solle jeden seinem Stande, Alter,Geschlecht, Lage gem sprechen lassen. Sollen hier Regeln gengen,so mten ihre Vorschriften zugleich mit solcher Bestimmtheit einge-richtet sein, da sie ohne weitere eigene Geistesttigkeit, ganz in derArt, wie sie ausgedrckt sind, auch ausgefhrt werden knnten. Dochihrem Inhalte nach abstrakt, zeigen sich deshalb solche Regeln in ihrerPrtention, da sie das Bewutsein des Knstlers auszufllen geschicktwren, durchaus ungeschickt, indem die knstlerische Produktion nichtformelle Ttigkeit nach gegebenen Bestimmtheiten ist, sondern alsgeistige Ttigkeit aus sich selbst arbeiten und ganz anderen reicherenGehalt und umfassendere individuelle Gebilde vor die geistige Anschau-ung bringen mu. Zur Not mgen daher jene Regeln, insoweit sie in derTat etwas Bestimmtes und deshalb praktisch Brauchbares enthalten,doch nur etwa Bestimmungen fr ganz uerliche Umstnde abgeben.

    b) So ist man denn auch ganz von dieser angedeuteten Richtungabgekommen, dafr jedoch ebensosehr wieder ins Gegenteil gefallen.

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    Denn das Kunstwerk ward zwar nicht mehr als Produkt einer allgemeinmenschlichen Ttigkeit angesehen, sondern als ein Werk eines ganzeigentmlich begabten Geistes, welcher nun aber auch schlechthin nurseine Besonderheit, wie eine spezifische Naturkraft, gewhren zu lassenhabe und von der Richtung auf allgemeingltige Gesetze wie von derEinmischung bewuter Reflexion in sein instinktartiges Produzierenganz loszusprechen, ja davor zu bewahren sei, da seine Hervorbringun-gen durch solches Bewutsein nur knnten verunreinigt und verderbtwerden. Man hat nach dieser Seite hin das Kunstwerk als Produkt desTalents und Genies angesprochen und hauptschlich die Naturseite,welche Talent und Genius in sich tragen, hervorgehoben. Zum Teil mitRecht. Denn Talent ist spezifische, Genie allgemeine Befhigung, wel-che der Mensch sich nicht nur durch eigene selbstbewute Ttigkeit zugeben die Macht hat; wovon noch spter ausfhrlicher zu sprechen ist.

    Hier haben wir nur die falsche Seite dieser Ansicht zu erwhnen, danmlich bei der knstlerischen Produktion alles Bewutsein ber dieeigene Ttigkeit nicht nur fr berflssig, sondern auch fr nachteiliggehalten worden ist. Dann erscheint die Hervorbringung des Talents undGenies nur als ein Zustand berhaupt und nher als Zustand der Be-geisterung. Zu solchem Zustande, heit es, werde das Genie teils durch

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    einen Gegenstand erregt, teils knne es sich durch Willkr selber dareinversetzen, wobei denn auch des guten Dienstes der Champagnerflaschenicht vergessen ward. In Deutschland tat sich diese Meinung zur Zeitder sogenannten Genieperiode hervor, welche durch Goethes erstepoetische Produkte herbeigefhrt und dann durch die Schillerschenuntersttzt wurde. Diese Dichter haben bei ihren ersten Werken mitHintansetzung aller Regeln, die damals fabriziert waren, von vorneangefangen und absichtlich gegen jene Regeln gehandelt, worin siedenn andere noch bei weitem berboten. Doch in die Verwirrungen,welche ber den Begriff von Begeisterung und Genie herrschend gewe-sen und ber das, was die Begeisterung als solche schon alles ver-mge, noch heutigentags herrschend sind, will ich nicht nher eingehen.Als wesentlich ist nur die Ansicht festzustellen, da, wenn auch Talentund Genius des Knstlers ein natrliches Moment in sich hat, dasselbedennoch wesentlich der Bildung durch den Gedanken, der Reflexion aufdie Weise seiner Hervorbringung sowie der bung und Fertigkeit imProduzieren bedarf. Denn ohnehin ist eine Hauptseite dieser Produktioneine uerliche Arbeit, indem das Kunstwerk eine rein technische Seitehat, die bis gegen das Handwerksmige sich hin erstreckt; am meistenin der Architektur und Skulptur, weniger in der Malerei und Musik, am

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    wenigsten in der Poesie. Zu einer Fertigkeit hierin verhilft keine Be-geisterung, sondern nur Reflexion, Flei und bung. Solcher Fertigkeitaber ist der Knstler bentigt, um des ueren Materials sich zu bemei-stern und durch die Sprdigkeit desselben nicht gehindert zu werden.

    Je hher nun ferner der Knstler steht, desto grndlicher soll er dieTiefen des Gemts und des Geistes darstellen, die nicht unmittelbarbekannt, sondern nur durch die Richtung des eigenen Geistes auf dieinnere und uere Welt zu ergrnden sind. So ist es wiederum dasStudium, wodurch der Knstler diesen Gehalt zu seinem Bewutseinbringt und den Stoff und Gehalt seiner Konzeptionen gewinnt.

    Zwar bedarf in dieser Beziehung die eine Kunst mehr als die anderedes Bewutseins und der Erkenntnis solchen Gehaltes. Die Musik z. B.,welche es sich nur mit der ganz unbestimmten Bewegung des geistigenInnern, mit dem Tnen gleichsam der gedankenlosen Empfindung zu tunmacht, hat wenigen oder keinen geistigen Stoff im Bewutsein vonn-ten. Das musikalische Talent kndigt sich darum auch am meisten insehr frher Jugend, bei noch leerem Kopfe und wenig bewegtem Gem-te an und kann beizeiten schon, ehe noch Geist und Leben sich erfahrenhaben, zu sehr bedeutender Hhe gelangt sein; wie wir denn auch oftgenug eine sehr groe Virtuositt in musikalischer Komposition und

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    Vortrage neben bedeutender Drftigkeit des Geistes und Charaktersbestehen sehen. - Anders hingegen ist es in der Poesie. In ihr kommt esauf inhalts- und gedankenvolle Darstellung des Menschen, seiner tiefe-ren Interessen und der Mchte, die ihn bewegen, an, und so mu Geistund Gemt selbst durch Leben, Erfahrung und Nachdenken reich undtief gebildet sein, ehe das Genie etwas Reifes, Gehaltvolles und in sichVollendetes zustande bringen kann. Die ersten Produkte Goethes undSchillers sind von einer Unreife, ja selbst von einer Roheit und Barbarei,vor der man erschrecken kann. Diese Erscheinung, da in den meistenjener Versuche eine berwiegende Masse durch und durch prosaischer,zum Teil kalter und platter Elemente sich findet, ist es, welche vornehm-lich gegen die gewhnliche Meinung geht, als ob die Begeisterung andas Jugendfeuer und die Jugendzeit gebunden sei. Erst das reife Man-nesalter dieser beiden Genien, welche, kann man sagen, unserer Nationerst poetische Werke zu geben wuten und unsere Nationaldichter sind,hat uns tiefe, gediegene, aus wahrhafter Begeisterung hervorgegangeneund ebenso in der Form durchgebildete Werke geschenkt, wie erst derGreis Homer seine ewig unsterblichen Gesnge sich eingegeben undhervorgebracht hat.

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    c) Eine dritte Ansicht, welche die Vorstellung vom Kunstwerk alseinem Produkte menschlicher Ttigkeit betrifft, bezieht sich auf dieStellung des Kunstwerks zu den ueren Erscheinungen der Natur. Hierlag dem gewhnlichen Bewutsein die Meinung nahe, da das Kunst-produkt des Menschen dem Naturprodukte nachstehe. Denn das Kunst-werk hat kein Gefhl in sich und ist nicht das durch und durch Belebte,sondern, als uerliches Objekt betrachtet, tot. Das Lebendige aberpflegen wir hher zu schtzen als das Tote. Da das Kunstwerk nicht insich selbst bewegt und lebendig sei, ist freilich zugegeben. Das natrlichLebendige ist nach innen und auen eine zweckmig bis in alle klein-sten Teile ausgefhrte Organisation, whrend das Kunstwerk nur inseiner Oberflche den Schein der Lebendigkeit erreicht, nach innen abergemeiner Stein oder Holz und Leinwand oder, wie in der Poesie, Vor-stellung ist, die in Rede und Buchstaben sich uert. Aber diese Seiteuerlicher Existenz ist es nicht, welche ein Werk zu einem Produkteder schnen Kunst macht; Kunstwerk ist es nur, insofern es, aus demGeiste entsprungen, nun auch dem Boden des Geistes angehrt, dieTaufe des Geistigen erhalten hat und nur dasjenige darstellt, was nachdem Anklange des Geistes gebildet ist. Menschliches Interesse, dergeistige Wert, den eine Begebenheit, ein individueller Charakter, eine

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    Handlung in ihrer Verwicklung und ihrem Ausgange hat, wird im Kunst-werke aufgefat und reiner und durchsichtiger hervorgehoben, als es aufdem Boden der sonstigen, unknstlerischen Wirklichkeit mglich ist.Dadurch steht das Kunstwerk hher als jedes Naturprodukt, das diesenDurchgang durch den Geist nicht gemacht hat; wie z. B. durch die Emp-findung und Einsicht, aus welcher heraus in der Malerei eine Landschaftdargestellt wird, dies Geisteswerk einen hheren Rang einnimmt als dieblo natrliche Landschaft. Denn alles Geistige ist besser als jedesNaturerzeugnis. Ohnehin stellt kein Naturwesen gttliche Ideale dar, wiees die Kunst vermag.

    Was nun der Geist in Kunstwerken seinem eigenen Innern entnimmt,dem wei er auch nach seiten der uerlichen Existenz hin eine Dauerzu geben; die einzelne Naturlebendigkeit dagegen ist vergnglich,schwindend und in ihrem Aussehen vernderlich, whrend das Kunst-werk sich erhlt, wenn auch nicht die bloe Dauer, sondern das Her-ausgehobensein geistiger Beseelung seinen wahrhaftigen Vorzug dernatrlichen Wirklichkeit gegenber ausmacht.

    Diese hhere Stellung des Kunstwerkes wird aber dennoch wiedervon einer anderen Vorstellung des gewhnlichen Bewutseins bestrit-ten. Denn die Natur und ihre Erzeugnisse, heit es, seien ein Werk

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    Gottes, durch seine Gte und Weisheit erschaffen, das Kunstproduktdagegen sei nur ein Menschenwerk, nach menschlicher Einsicht vonMenschenhnden gemacht. In dieser Entgegenstellung der Naturpro-duktion als eines gttlichen Schaffens und der menschlichen Ttigkeitals einer nur endlichen liegt sogleich der Miverstand, als ob Gott imMenschen und durch den Menschen nicht wirke, sondern den Kreisdieser Wirksamkeit auf die Natur allein beschrnke. Diese falsche Mei-nung ist gnzlich zu entfernen, wenn man zum wahren Begriffe derKunst hindurchdringen will, ja es ist dieser Ansicht gegenber die ent-gegengesetzte festzuhalten, da Gott mehr Ehre von dem habe, wasder Geist macht, als von den Erzeugnissen und Gebilden der Natur.Denn es ist nicht nur Gttliches im Menschen, sondern in ihm ist es ineiner Form ttig, die in ganz anderer, hherer Weise dem Wesen Gottesgem ist als in der Natur. Gott ist Geist, und im Menschen allein hatdas Medium, durch welches das Gttliche hindurchgeht, die Form desbewuten, sich ttig hervorbringenden Geistes; in der Natur aber ist diesMedium das Bewutlose, Sinnliche und uerliche, das an Wert demBewutsein bei weitem nachsteht. Bei der Kunstproduktion nun ist Gottebenso wirksam wie bei den Erscheinungen der Natur, das Gttlicheaber, wie es im Kunstwerk sich kundgibt, hat, als aus dem Geiste er-

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    zeugt, einen entsprechenden Durchgangspunkt fr seine Existenzgewonnen, whrend das Dasein in der bewutlosen Sinnlichkeit derNatur keine dem Gttlichen angemessene Weise der Erscheinung ist.

    d) Ist nun das Kunstwerk als Erzeugnis des Geistes vom Menschengemacht, so fragt es sich schlielich, um aus dem Bisherigen ein tiefe-res Resultat zu ziehen, welches das Bedrfnis des Menschen sei,Kunstwerke zu produzieren. Auf der einen Seite kann diese Hervor-bringung als ein bloes Spiel des Zufalls und der Einflle angesehenwerden, das ebensogut zu unterlassen als auszufhren sei; denn esgebe noch andere und selbst bessere Mittel, das ins Werk zu richten,was die Kunst bezwecke, und der Mensch trage noch hhere und wichti-gere Interessen in sich, als die Kunst zu befriedigen vermge. Auf deranderen Seite aber scheint die Kunst aus einem hheren Triebe hervor-zugehen und hheren Bedrfnissen, ja zuzeiten den hchsten undabsoluten, Genge zu tun, indem sie an die allgemeinsten Weltanschau-ungen und die religisen Interessen ganzer Epochen und Vlker gebun-den ist. - Diese Frage nach dem nicht zuflligen, sondern absolutenBedrfnis der Kunst knnen wir vollstndig noch nicht beantworten,indem sie konkreter ist, als die Antwort hier schon ausfallen knnte. Wirmssen uns deshalb begngen, fr jetzt nur folgendes festzustellen.

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    Das allgemeine und absolute Bedrfnis, aus dem die Kunst (nachihrer formellen Seite) quillt, findet seinen Ursprung darin, da derMensch denkendes Bewutsein ist, d. h. da er, was er ist und wasberhaupt ist, aus sich selbst fr sich macht. Die Naturdinge sind nurunmittelbar und einmal, doch der Mensch als Geist verdoppelt sich,indem er zunchst wie die Naturdinge ist, sodann aber ebensosehr frsich ist, sich anschaut, sich vorstellt, denkt und nur durch dies ttigeFrsichsein Geist ist. Dies Bewutsein von sich erlangt der Mensch inzwiefacher Weise: erstens theoretisch, insofern er im Innern sich selbstsich zum Bewutsein bringen mu, was in der Menschenbrust sichbewegt, was in ihr whlt und treibt, und berhaupt sich anzuschauen,vorzustellen, was der Gedanke als das Wesen findet, sich zu fixierenund in dem aus sich selbst Hervorgerufenen wie in dem von auen herEmpfangenen nur sich selber zu erkennen hat. - Zweitens wird derMensch durch praktische Ttigkeit fr sich, indem er den Trieb hat, indemjenigen, was ihm unmittelbar gegeben, was fr ihn uerlich vorhan-den ist, sich selbst hervorzubringen und darin gleichfalls sich selbst zuerkennen. Diesen Zweck vollfhrt er durch Vernderung der Auendin-ge, welchen er das Siegel seines Innern aufdrckt und in ihnen nunseine eigenen Bestimmungen wiederfindet. Der Mensch tut dies, um als

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    freies Subjekt auch der Auenwelt ihre sprde Fremdheit zu nehmenund in der Gestalt der Dinge nur eine uere Realitt seiner selbst zugenieen. Schon der erste Trieb des Kindes trgt diese praktischeVernderung der Auendinge in sich; der Knabe wirft Steine in denStrom und bewundert nun die Kreise, die im Wasser sich ziehen, als einWerk, worin er die Anschauung des Seinigen gewinnt. Dieses Bedrfnisgeht durch die vielgestaltigsten Erscheinungen durch bis zu der Weiseder Produktion seiner selbst in den Auendingen, wie sie im Kunstwerkvorhanden ist. Und nicht nur mit den Auendingen verfhrt der Menschin dieser Weise, sondern ebenso mit sich selbst, seiner eigenen Natur-gestalt, die er nicht lt, wie er sie findet, sondern die er absichtlichverndert. Dies ist die Ursache allen Putzes und Schmuckes, und wreer noch so barbarisch, geschmacklos, vllig verunstaltend oder garverderblich wie die Frauenfe der Chinesen oder Einschnitte in Ohrenund Lippen. Denn nur beim Gebildeten geht die Vernderung der Ge-stalt, des Benehmens und jeder Art und Weise der uerung aus geisti-ger Bildung hervor.

    Das allgemeine Bedrfnis zur Kunst also ist das vernnftige, da derMensch die innere und uere Welt sich zum geistigen Bewutsein alseinen Gegenstand zu erheben hat, in welchem er sein eigenes Selbst

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    wiedererkennt. Das Bedrfnis dieser geistigen Freiheit befriedigt er,indem er einerseits innerlich, was ist, fr sich macht, ebenso aber diesFrsichsein uerlich realisiert und somit, was in ihm ist, fr sich undandere in dieser Verdoppelung seiner zur Anschauung und Erkenntnisbringt. Dies ist die freie Vernnftigkeit des Menschen, in welcher, wiealles Handeln und Wissen, so auch die Kunst ihren Grund und notwendi-gen Ursprung hat. Ihr spezifisches Bedrfnis jedoch im Unterschiededes sonstigen politischen und moralischen Handelns, der religisenVorstellung und wissenschaftlichen Erkenntnis werden wir spter sehen.

    2. Das Kunstwerk als fr den Sinn des Menschendem Sinnlichen entnommen

    Betrachteten wir nun bisher am Kunstwerk die Seite, da es vom Men-schen gemacht sei, so haben wir jetzt zu der zweiten Bestimmung ber-zugehen, da es fr den Sinn des Menschen produziert und deshalbauch aus dem Sinnlichen mehr oder weniger hergenommen werde.

    a) Diese Reflexion hat zu der Betrachtung Veranlassung gegeben,da die schne Kunst die Empfindung, und nher zwar die Empfindung,

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    die wir uns gem finden - die angenehme -, zu erregen bestimmt sei.Man hat in dieser Rcksicht die Untersuchung der schnen Kunst zueiner Untersuchung der Empfindungen gemacht und gefragt, welcheEmpfindungen denn nun wohl durch die Kunst zu erregen seien: Furchtz. B. und Mitleid - wie diese aber angenehm sein, wie die Betrachtungeines Unglcks Befriedigung gewhren knne. Diese Richtung derReflexion schreibt sich besonders aus Moses Mendelssohns Zeiten her,und man kann in seinen Schriften viele solcher Betrachtungen finden.Doch fhrte solche Untersuchung nicht weit, denn die Empfindung ist dieunbestimmte dumpfe Region des Geistes; was empfunden wird, bleibteingehllt in der Form abstraktester einzelner Subjektivitt, und deshalbsind auch die Unterschiede der Empfindung ganz abstrakte, keineUnterschiede der Sache selbst. Furcht z. B., Angst, Besorgnis, Schrecksind freilich weitere Modifikationen ein und derselben Empfindungs-weise, aber teils nur quantitative Steigerungen, teils Formen, welcheihren Inhalt selbst nichts angehen, sondern demselben gleichgltig sind.Bei der Furcht z. B. ist eine Existenz vorhanden, fr welche das SubjektInteresse hat, zugleich aber das Negative nahen sieht, das diese Exi-stenz zu zerstren droht, und nun beides, dies Interesse und jenesNegative, als widersprechende Affektion seiner Subjektivitt unmittelbar

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    in sich findet. Solche Furcht bedingt aber fr sich noch keinen Gehalt,sondern kann das Verschiedenste und Entgegengesetzteste in sichaufnehmen. Die Empfindung als solche ist eine durchaus leere Form dersubjektiven Affektion. Zwar kann diese Form teils in sich selbst mannig-fach sein, wie Hoffnung, Schmerz, Freude, Vergngen, teils in dieserVerschiedenheit unterschiedenen Inhalt befassen, wie es denn Rechts-gefhl, sittliches Gefhl, erhabenes religises Gefhl usf. gibt; aberdadurch, da solcher Inhalt in unterschiedenen Formen des Gefhlsvorhanden ist, kommt noch seine wesentliche und bestimmte Natur nichtzum Vorschein, sondern bleibt eine blo subjektive Affektion meiner, inwelcher die konkrete Sache, als in den abstraktesten Kreis zusammen-gezogen, verschwindet. Deshalb bleibt die Untersuchung der Empfin-dungen, welche die Kunst erregt oder erregen soll, ganz im Unbestimm-ten stehen und ist eine Betrachtung, welche gerade vom eigentlichenInhalt und dessen konkretem Wesen und Begriff abstrahiert. Denn dieReflexion auf die Empfindung begngt sich mit der Beobachtung dersubjektiven Affektion und deren Besonderheit, statt sich in die Sache,das Kunstwerk zu versenken und zu vertiefen und darber die bloeSubjektivitt und deren Zustnde fahrenzulassen. Bei der Empfindungjedoch ist gerade diese inhaltslose Subjektivitt nicht nur erhalten,

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    sondern die Hauptsache, und darum fhlen die Menschen so gern.Deshalb wird aber auch solche Betrachtung ihrer Unbestimmtheit undLeerheit wegen langweilig und durch die Aufmerksamkeit auf die kleinensubjektiven Besonderheiten widrig.

    b) Da nun aber das Kunstwerk nicht nur etwa berhaupt Empfindun-gen erregen soll - denn diesen Zweck htte es dann ohne spezifischenUnterschied mit Beredsamkeit, Geschichtsschreibung, religiser Erbau-ung usf. gemeinschaftlich -, sondern nur, insofern es schn ist, so verfieldie Reflexion darauf, fr das Schne nun auch eine eigentmlicheEmpfindung des Schnen aufzusuchen und einen bestimmten Sinn frdasselbe herauszufinden. Hierbei zeigte sich bald, da ein solcher Sinnkein durch die Natur fest bestimmter und blinder Instinkt sei, der schonan und fr sich das Schne unterscheide, und so ward dann fr diesenSinn Bildung gefordert und der gebildete Schnheitssinn Geschmackgenannt, der, obschon ein gebildetes Auffassen und Ausfinden desSchnen, doch in der Weise unmittelbaren Empfindens bleiben solle.Wie abstrakte Theorien solchen Geschmackssinn zu bilden unternah-men und wie er selbst uerlich und einseitig blieb, haben wir bereitsberhrt. Einerseits in den allgemeinen Grundstzen mangelhaft, hatteandererseits auch die besondere Kritik einzelner Werke der Kunst zur

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    Zeit jener Standpunkte weniger die Richtung, ein bestimmteres Urteil zubegrnden - denn hierzu war das Zeug noch nicht vorhanden -, alsvielmehr den Geschmack berhaupt in seiner Bildung zu frdern. DieseBildung blieb deshalb gleichfalls im Unbestimmteren stehen und bemh-te sich nur, die Empfindung als Schnheitssinn durch Reflexion soauszustatten, da nun unmittelbar das Schne, wo und wie es vorhan-den wre, sollte gefunden werden knnen. Doch die Tiefe der Sacheblieb dem Geschmack verschlossen, denn eine solche Tiefe nimmt nichtnur den Sinn und abstrakte Reflexionen, sondern die volle Vernunft undden gediegenen Geist in Anspruch, whrend der Geschmack nur auf dieuerliche Oberflche, um welche die Empfindungen herspielen undworan einseitige Grundstze sich geltend machen knnen, angewiesenwar. Deshalb aber frchtet sich der sogenannte gute Geschmack vorallen tieferen Wirkungen und schweigt, wo die Sache zur Sprachekommt und die uerlichkeiten und Nebensachen verschwinden. Dennwo groe Leidenschaften und Bewegungen einer tiefen Seele sichauftun, handelt es sich nicht mehr um die feineren Unterschiede desGeschmacks und seine Kleinigkeitskrmerei mit Einzelheiten; er fhltden Genius ber solchen Boden wegschreiten, und vor der Macht des-

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    selben zurcktretend, ist es ihm nicht mehr geheuer und wei er sichnicht mehr zu lassen.

    c) Man ist deshalb auch davon zurckgekommen, bei Betrachtung vonKunstwerken nur die Bildung des Geschmacks im Auge zu behalten undnur Geschmack zeigen zu wollen; an die Stelle des Mannes oder Kunst-richters von Geschmack ist der Kenner getreten. Die positive Seite derKunstkennerschaft, insoweit sie die grndliche Bekanntschaft mit demganzen Umkreis des Individuellen in einem Kunstwerk betrifft, haben wirschon als fr die Kunstbetrachtung notwendig ausgesprochen. Denn dasKunstwerk, um seiner zugleich materiellen und individuellen Natur willen,geht wesentlich aus besonderen Bedingungen der mannigfachsten Art,wozu vorzglich Zeit und Ort der Entstehung, dann die bestimmte Indivi-dualitt des Knstlers und hauptschlich die technische Ausbildung derKunst gehren, hervor. Zur bestimmten, grndlichen Anschauung undKenntnis, ja selbst zum Genusse eines Kunstprodukts ist die Beachtungaller dieser Seiten unerllich, mit welchen sich die Kennerschaft vor-nehmlich beschftigt, und was sie auf ihre Weise leistet, ist mit Dankanzunehmen. Indem nun zwar solche Gelehrsamkeit als etwas Wesentli-ches zu gelten berechtigt ist, darf sie jedoch nicht fr das Einzige undHchste des Verhltnisses gehalten werden, welches sich der Geist zu

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    einem Kunstwerke und zur Kunst berhaupt gibt. Denn die Kenner-schaft, und dies ist sodann ihre mangelhafte Seite, kann bei der Kennt-nis blo uerlicher Seiten, des Technischen, Historischen usf., stehen-bleiben und von der wahrhaften Natur des Kunstwerks etwa nicht vielahnen oder gar nichts wissen; ja sie kann selbst von dem Werte tiefererBetrachtungen in Vergleich mit den rein positiven, technischen undhistorischen Kenntnissen geringschtzig urteilen; doch auch dann selbstgeht die Kennerschaft, wenn sie nur echter Art ist, wenigstens auf be-stimmte Grnde und Kenntnisse und verstndiges Urteil, womit dennauch die genauere Unterscheidung der verschiedenen, wenn auch zumTeil ueren Seiten an einem Kunstwerke und die Wertschtzung der-selben verbunden ist.

    d) Nach diesen Bemerkungen ber die Betrachtungsweisen, zu wel-chen die Seite des Kunstwerks als selbst sinnliches Objekt auf denMenschen als sinnlichen eine wesentliche Beziehung zu haben Ver-anlassung gab, wollen wir jetzt diese Seite in ihrem wesentlicherenVerhltnis zur Kunst selbst betrachten, und zwar ) teils in Rcksicht aufdas Kunstwerk als Objekt, ) teils in Rcksicht auf die Subjektivitt desKnstlers, sein Genie, Talent usf., ohne uns jedoch auf dasjenige ein-zulassen, was in dieser Beziehung nur aus der Erkenntnis der Kunst in

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    ihrem allgemeinen Begriff hervorgehen kann. Denn wir befinden uns hiernoch nicht wahrhaft auf wissenschaftlichem Grund und Boden, sondernstehen nur erst auf dem Gebiete uerlicher Reflexionen.

    ) Das Kunstwerk bietet sich also allerdings fr das sinnliche Auf-fassen dar. Es ist fr die sinnliche Empfindung, uerliche oder innerli-che, fr die sinnliche Anschauung und Vorstellung hingestellt, wie dieuere, uns umgebende oder wie unsere eigene innerliche empfindendeNatur. Denn auch eine Rede z. B. kann fr die sinnliche Vorstellung undEmpfindung sein. Dessenungeachtet ist aber das Kunstwerk nicht nurfr die sinnliche Auffassung, als sinnlicher Gegenstand, sondern seineStellung ist von der Art, da es als Sinnliches zugleich wesentlich frden Geist ist, der Geist davon affiziert werden und irgendeine Befriedi-gung darin finden soll.

    Diese Bestimmung des Kunstwerks gibt nun sogleich Aufschlu dar-ber, da dasselbe in keiner Weise ein Naturprodukt sein und seinerNaturseite nach Naturlebendigkeit haben soll, es mchte nun das Natur-produkt niedriger oder hher zu schtzen sein als ein