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Helmut Kuzmics / Sabine A. Haring

Emotion, Habitus undErster Weltkrieg

Soziologische Studien zum militärischen Untergangder Habsburger Monarchie

Mit 16 Abbildungen

V& R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8471-0118-5

ISBN 978-3-8470-0118-8 (E-Book)

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung und

der Karl-Franzens-Universität Graz.

Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede

Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen

schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Printed in Germany.

Titelbild: Übergang der Truppen des Erzherzogs Joseph Ferdinand über Wisłoka beim Vormarsch

in Galizien (Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1915: 66).

Registererstellung: Johannes Ebner, MA

Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Volontär3
Schreibmaschinentext
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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

1 Einleitung. Erster Weltkrieg und Moderne. Die kollektive Erinnerungan den »Großen Krieg« bei Nachfolgestaaten und ehemaligen Feindender Habsburger Monarchie (Sabine A. Haring/Helmut Kuzmics) . . . 13Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13Kontext, Zeit und Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18Sieg und Niederlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20Österreich: Heldengeschichte, Trauer des Untergangs und grausameDummheit der Herrschenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22Zur slowenischen Perspektive auf den Ersten Weltkrieg: SlowenischeHelden gegen verräterische Italiener versus NationalslowenischerAufstand gegen habsburgische Unterdrückung . . . . . . . . . . . . . 28Italien: Zwischen Triumphalismus und Desaster . . . . . . . . . . . . 30Die Ukraine: Kollektive Erinnerung an den Ersten Weltkrieg,überschichtet vom mehrfachen Grauen . . . . . . . . . . . . . . . . . 31Ungarn: Der große Verrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33Rumänien: Helden, Massaker und Erzengel . . . . . . . . . . . . . . . 35Krieg und Habitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37Die emotionssoziologische Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . 44Rätsel und Fragen in diesem Buch: ein Wegweiser durch diewichtigsten Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2 Verlorene Schlachten: Habsburgische Armeen und ihr »militärischerHabitus« in der europäischen Staatenkonkurrenz vor dem ErstenWeltkrieg (Helmut Kuzmics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Ein erfolgreiches Modell: der englische Marineoffizier und dieErrichtung des Britischen Empire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Langsamkeit und Zögerlichkeit habsburgischer Armeen: einultrastabiler Zug? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

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Der Stellenwert kriegerischer Leistungsfähigkeit in Erklärungen zumUntergang der Habsburger Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Von Clausewitz zum »American Soldier« und dem wechselvollen»Gesicht der Schlacht« in der Geschichte – zur Zentralität vonEmotionen und Habitus für die Erklärung des Erfolgs im Krieg . . . . 73Das Verhalten österreichischer Armeen und Feldherren in denKriegen gegen Preußen von 1740 bis 1763 . . . . . . . . . . . . . . . . 83Die habsburgische Armee in den Kriegen gegen Frankreich 1793 –1815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93Die habsburgische Armee von Napoleon bis Königgrätz . . . . . . . . 106Strukturelle Ursachen der Passivität Österreich-Ungarns nachKöniggrätz: Das Beispiel preußisch-französischer Krieg von 1870/71 . 121Zusammenfassung und Ausblick auf den Weltkrieg . . . . . . . . . . . 127

3 Entwicklungslinien und Typen des habsburgischen Offiziershabitusvor 1914 im Spiegelbild schöner Literatur (Helmut Kuzmics) . . . . . 137Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137Dynastischer Krieg und aristokratischer Kriegerhabitus . . . . . . . . 138Torresanis Kropatsch, der echte Kavallerist und Saars Leutnant Burda:der feudal-kriegerische Charakter des habsburgischen Offiziers in derArmee vor 1868 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144Das patrimonialbürokratische Element des österreichischenOffiziershabitus bei Torresani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Literarische Beispiele für die weitere Entwicklung des habsburgischenMilitärhabitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160Habsburgischer Offiziershabitus und dessen bürokratische Bewertung 164

4 Der k.u.k. Armeehabitus im Ersten Weltkrieg (Helmut Kuzmics) . . . 169Die Armee zwischen Modernisierung und »Marasmus« . . . . . . . . 169Emotionen, Habitus und die Abdrift in den Krieg: Die Armeezwischen Modernisierung und Fatalismus . . . . . . . . . . . . . . . . 180Österreich-Ungarns Krieg im Osten: Die Armee verblutet sich in denAnfangsschlachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198Stimmungen und Habitus der Feldherren Conrad und Potiorek:Architekten der Niederlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221Habitus des Heeres und der Offiziere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238Die emotionale Dynamik von Panik und Flucht . . . . . . . . . . . . . 245Emotionen in und nach der Niederlage . . . . . . . . . . . . . . . . . 250Hemmung des Angriffsgeistes: Materielle und psychische Aspekte . . 253Offiziere und Mannschaften: das Problem der Führung . . . . . . . . 255

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Vergleich von Mentalität und Organisationskultur der habsburgischenArmee mit einem »best-practice«-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 263Habitus der Führer versus Habitus der Armee . . . . . . . . . . . . . 266

5 Wir-Gefühle, Feindbilder und Feindseligkeit (Sabine A. Haring) . . . . 269Theoretische Zugangsweisen und zentrale Fragestellungen . . . . . . . 269Die Makroperspektive: Die Habsburger Monarchie als Vielvölkerstaatim Konzert der Mächte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308Der Kontext der von uns untersuchten Regimentsgeschichten undautobiographischen Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339Regimentsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362Autobiographische Manuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416Der Anti-Kriegsroman Doberdý von Lovro Kuhar . . . . . . . . . . . . 446Zusammenfassende Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

6 Angst und Heldentum (Sabine A. Haring) . . . . . . . . . . . . . . . . 469Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469Der »Held« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471Angst und Heldentum in den Regimentsgeschichten . . . . . . . . . . 473»Ein förmliches Frösteln verspürten wir, trotz des heissenSommertages«. Angst in den autobiographischen Dokumenten . . . . 481Der Antikriegsroman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484Zusammenfassende Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 490

7 Krieg, Emotion und der Europäische Zivilisationsprozess. DieEntwicklung kriegsbezogener Affekte im industrialisierten Krieg amBeispiel der habsburgischen Armee im Ersten Weltkrieg (HelmutKuzmics) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493Habitus und Krieg in Über den Prozess der Zivilisation . . . . . . . . . 501Collins: Gewalt als Ergebnis gewaltträchtiger Situationen . . . . . . . . 507Die Idee der Zivilisierung des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513Abenteuer, Angriffslust und Affektzügelung in Beispielen derHabsburgischen Armee: Elias versus van Creveld . . . . . . . . . . . . 517Habitus oder Situation der Erzeugung des Schreckens im Kriege: Eliasversus Collins und Bauman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543Primär- (Quell-Literatur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565

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Elektronische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571

Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581

Register der k.u.k. Kampftruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605

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Vorwort

Jedes Buch hat seine längere (Vor-)Geschichte, also auch dieses. Wir haben unsbeide schon vor der soziologischen Beschäftigung mit Krieg im Allgemeinenund dem Ersten Weltkrieg im Besonderen mit der Gefühlsseite von Prozessen inStaat und Politik befasst ; Sabine Haring in ihrem Buch zu den »politischenReligionen« von Nationalsozialismus und Stalinismus und Helmut Kuzmics inseinen Arbeiten zur Soziogenese des englischen und österreichischen Habitus.Die Überzeugung, dass der Erste Weltkrieg für vieles, was danach kam,»schicksalshaft« war, und dass er auch vieles, was vorher stattgefunden hatte, inein neues Licht setzte, hat uns zu dem Unternehmen veranlasst, dessen Ergebnisnun als Buch vorliegt. Auf dem Weg dorthin haben uns viele mit Rat und Tatunterstützt : Da sind einmal die Kolleginnen und Kollegen unseres Instituts zunennen, die – sicherlich manchmal mit einem gewissen Befremden über unsere»morbiden« Neigungen – in Diskussionen und mit Literaturhinweisen hilfreichwaren: Gerald Mozetic, Bernadette Müller-Kmet (mit ihrer Arbeit im Kriegs-archiv in Wien), Katharina Scherke und Dieter Reicher (der auch Teile der Arbeitgelesen und kommentiert hat) sind wir für ihre Beiträge besonders dankbar.Max Haller und Franz Höllinger haben durch kritische Aufmerksamkeit eben-falls zu unserem Denkprozess beigetragen. Manfred Prisching hat in seinerEigenschaft als Leiter des Instituts für Soziologie zwei Freisemester (2007 und2011) für einen von uns (Helmut Kuzmics) befürwortet, was für diesen ange-sichts der sonst überbordenden Lehre schlicht die Rettung war. Aber wirmöchten auch den Studierenden, die wir in zwei Forschungspraktika (2006/07und 2009/10) betreut haben, für ihre Begeisterungsfähigkeit, ihr Interesse undanregende Diskussionen danken. Einer von ihnen war Johannes Ebner, der unsauch bei der Erstellung des Registers dieses Buches in unschätzbarer Weisegeholfen hat. Für Zuspruch und wichtige Informationen bedanken wir unsferner bei Heiner Rutte und Gernot Lauffer, bei der Familie Rutte (Volker undHeiner) insbesondere für die Bereitstellung des Tagesbuches ihres GroßvatersFranz Matthias Hartinger. Ferner möchten wir uns bei den Mitgliedern desArbeitskreises »Grazer ForscherInnen zum Ersten Weltkrieg« bedanken, allen

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voran bei Werner Suppanz, der insbesondere Sabine Haring ein langjährigerGesprächspartner war. Hilfreich waren auch Mitglieder der Forschungsnetz-werke zur Figurationssoziologie und zur Emotionssoziologie der ESA; beson-ders nennen möchten wir hier Reinhard Blomert, Berlin, und Stephen Mennell,Dublin, bzw. Helena Flam, Leipzig. Unser herzlicher Dank gilt auch dem »Do-kumentationsarchiv lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen« des Instituts fürWirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien und in diesem Zusam-menhang insbesondere Herrn Mag. Günter Müller für viele weiterführendeHinweise und für die Bereitstellung autobiographischer Quellen und Photos.

Keinesfalls verschweigen wollen wir, dass die Arbeit an diesem Buch auchStück für Stück aus Beiträgen gewachsen ist, die schon an anderer Stelle ver-öffentlicht sind und in meist veränderter Form Eingang gefunden haben: SabineA. Haring, Helmut Kuzmics (Hg.): Das Gesicht des Krieges: Militär aus emoti-onssoziologischer Sicht, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie,Wien 2008; Helmut Kuzmics: Zivilisationsprozess und Emotionen der Feind-seligkeit auf dem Schlachtfeld. Am Beispiel der Habsburger Armee vom 18. biszum frühen 20. Jahrhundert, in: Paul Ertl, Jodok Troy (Hg.): Der Feind – Dar-stellung und Transformation eines Kulturbegriffs, Band 2: Ausgewählte Berei-che der Feindkonzeption, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 2/2008, Wien, S. 59 – 118; Helmut Kuzmics: Concept for Validating the TheoreticalPotential of Historical Sources. The Case of Analyzing Long-Term Changes in theHabsburg Military Habitus, in: Historical Social Research – Historische Sozi-alforschung, Special Issue: Linking Theory and Data (ed. by Nina Baur), Vol. 34/2009/1, S. 270 – 304; Sabine A. Haring, Helmut Kuzmics (Hg.): Krieg undEmotionen. Der Erste Weltkrieg der k.u.k. Armee in autobiographischen Do-kumenten. Ergebnisse des Forschungspraktikums »Krieg und Emotion« amInstitut für Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, Graz 2010; Hel-mut Kuzmics: Emotionen und Habitus von Offizieren im Spiegelbild schönerLiteratur. Am Beispiel der habsburgischen Armee, in: LiTheS. Zeitschrift fürLiteratur- und Theatersoziologie 3/2010, S. 77 – 101; Helmut Kuzmics: Der Un-tergang der Habsburger Monarchie in historischen Darstellungen. Folgen für dieerklärende Bewertung von Schlachtenerfolg und österreichischem Habitus, in:Christian Brünner u.a (Hg.): Mensch-Gruppe-Gesellschaft. Von bunten Wiesenund deren Gärtnerinnen bzw. Gärtnern. Festschrift für Manfred Prisching zum60. Geburtstag, Band 1, Graz – Wien 2010, S. 219 – 230; Sabine A. Haring, Hel-mut Kuzmics: Erster Weltkrieg und Moderne. Die kollektive Erinnerung an den»Großen Krieg« bei Nachfolgestaaten und ehemaligen Feinden der Habsbur-germonarchie, in: Bianca Bican, Ute Michailowitsch, Monika Stromberger, Ul-rich Tragatschnig (Hg.): Österreichisch-Siebenbürgische Kulturbeiträge. EinSammelband der Österreich Bibliothek Cluj-Napoca – Klausenburg – Kolozsv�r,Band 4, Cluj 2012, S. 183 – 224; Sabine A. Haring: K. u. k. Soldaten an der Ost-

Vorwort10

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front im Sommer und Herbst 1914. Eine emotionssoziologische Analyse, in:Wolfram Dornik, Bernhard Bachinger (Hg.): Jenseits der Schützengräben.Kriegserfahrungen an der Ostfront des Ersten Weltkrieges im Kontext, Inns-bruck 2013, S. 65 – 86; Sabine A. Haring: »Kameradschaft« in der HabsburgerArmee. Eine emotionssoziologische Annäherung, in: LiTheS. Zeitschrift fürLiteratur- und Theatersoziologie 9/2013 (im Erscheinen).

Abschließend möchten wir uns bei Gertrude Selbitschka bedanken, die nichtnur wesentliche Teile des Buches (Kapitel 2 bis 4 sowie 7) geschrieben undformal vereinheitlicht hat, sondern auch der langjährige gute Geist unsereskleinen Gemeinwesens war. Danke! Die Arbeit an diesem Buch war sicherlich oftfür uns ein Vergnügen, aber sie bedeutete auch eine erhebliche Anstrengung undBelastung für uns und unsere Familien. Daher gilt der Dank von Helmut Kuz-mics in besonderer Weise seiner Frau Brigitte Steingruber für ihre beständigeErmunterung und Unterstützung und der von Sabine Haring ihrer Tochter GioiaElena, Manfred und ihren Eltern für ihre Unterstützung, ihre Liebe und ihrVerständnis dafür, dass sie viel zu oft in ihren Gedanken nicht bei ihnen, sondernan der »Front« war.

Graz, im April 2013 Helmut Kuzmics und Sabine A. Haring

Vorwort 11

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1 Einleitung. Erster Weltkrieg und Moderne. Die kollektiveErinnerung an den »Großen Krieg« bei Nachfolgestaatenund ehemaligen Feinden der Habsburger Monarchie(Sabine A. Haring/Helmut Kuzmics)

Vorbemerkung

Das »Große Morden« des 20. Jahrhunderts hat wohl mit dem Ersten Weltkriegangefangen. Es gibt wenig Zweifel daran, dass man die darauffolgenden Ge-waltexzesse von Staatenkrieg und innerstaatlichen Revolutionen in Europa wieder Welt nicht ohne diesen Krieg verstehen kann. Genauso klar ist, dass sich dieeuropäisch geprägte »Moderne« ebenfalls nur begreifen lässt, wenn man ihrekriegerische Vor- und Begleitgeschichte in Rechnung stellt. Aber einige dergängigsten soziologischen Deutungen der »Moderne« oder »Postmoderne« tundas kaum. So ist die modernisierungstheoretische Diskussion aus einer struk-turfunktionalistischen, systemtheoretischen Perspektive (vgl. Parsons 19721,Moore 1968 und Smelser 1959) in ihrem Versuch, den Weg zu technisch undwirtschaftlich leistungsfähigeren, demokratischeren und chancengleicherenGesellschaften zu erklären und zu ermöglichen, am Krieg, der internationalenStaatenkonkurrenz und den dadurch ausgelösten Triumphen und Niederlagenvorbeigegangen. Sie blieb im Wesentlichen einer ökonomisch-friedlich-endo-genen Sicht von »Gesellschaft« verpflichtet, die meist stillschweigend als einemehr oder minder isolierte Staatsgesellschaft von unbestimmter Größe aufge-fasst wurde2. Nicht viel anders verfuhr die gesellschaftskritische Schule einersich an Marx’ Vorstellung vom ausbeuterischen Industriekapitalismus orien-tierenden Richtung: So verstanden Vertreter der Frankfurter Schule wie Adorno,

1 Parsons gab zwar der Funktion der Verteidigung des europäischen Staatensystems (und damitauch der kriegerischen Rolle der Habsburger Monarchie) einen Platz, aber die Analyse bliebsehr formal.

2 Das gilt sicherlich für die Durkheim-Schule, für Simmel, Pareto und Spencer, die Gründer-figuren des Symbolischen Interaktionismus wie Mead und Blumer und das Denken vonHomans. Die großen Ausnahmen sind Max Weber, Raymond Aron 1986 [1962] und NorbertElias, der sich in Was ist Soziologie? (2004 [1970]) gegen die ökonomistische Verengung desVerständnisses von Entwicklung bei Marx aussprach und eine Integration des Krieges bzw.der physischen Gewalt in die Soziologie verlangte. Von Weber inspiriert ist die Arbeit vonMalesevic 2010.

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Fromm oder Marcuse die innergesellschaftliche (und damit auch innerstaatli-che) Zwangs- und Ausbeutungslage als wirtschaftlich im Kern und als kulturellin den Auswirkungen. Auch marxistisch inspirierte Imperialismustheorien wieselbst noch die als Kritik am modernisierungstheoretischen Diskurs auftretendeDependenztheorie Wallersteins (1979) geben dem Krieg nur einen instrumen-tellen Charakter zur Verfolgung wirtschaftlicher Ausbeutungsinteressen. Ähn-liches gilt für einige sich ebenfalls als »kritisch« verstehende Nachfolgeschulen,ob sie nun unter dem Etikett »Poststrukturalismus« oder »Postmoderne« ver-sammelt werden können.3 Krieg und Staatenkonkurrenz werden meist nur inspezialisierten Diskursen wie im Rahmen der Historischen Soziologie (vgl.Mann 2012), der Militärsoziologie bzw. Soziologie des Krieges (vgl. Kestnbaum2009) oder der mit internationaler Politik befassten Politikwissenschaften (vgl.Levy/Thompson 2010) thematisiert. Deren Modelle und Befunde finden aber bisheute nur selten Eingang in die Hauptströmungen der soziologischen Wis-sensproduktion.

In verblüffend ähnlicher Weise, wie in soziologischen Diskussionen dasPhänomen »Krieg« ausgeblendet wird, geschieht dies auch, sofern Makrover-flechtungen menschlicher Figurationen analysiert werden, mit den Gefühlen, diedurch Staat und Krieg freigesetzt werden. Auch die jüngere Emotionssoziologiehat sich, mit Ausnahme von Scheff (1994) und Collins (2008), wenig mit Kriegund Staat befasst.

Um die verheerenden Folgen kriegerischer Staatenkonkurrenz erklären zukönnen, befassen sich Soziologen und Soziologinnen nur selten mit Emotionen– anders als Historiker und Historikerinnen oder jene Menschen, die aus denverschiedensten Gründen und Interessen die Erinnerung an Krieg und Gewaltkonservieren, auch wenn diese schon mehrere Generationen zurückliegen.Beide, Historiker und Menschen im Alltag, tragen zum kürzlich so bezeichneten»memory boom« (Winter 2006: 17 f.) bei. Tatsächlich häufen sich weltweit Be-richte, Bilder, Filme, Videos und Gedenkstätten, die an Kriege und kollektiveGewalt in der Vergangenheit erinnern. Aber natürlich ist kollektive Erinnerung,egal, ob mit oder ohne »Fußnoten«, immer selektiv.

In vieler Hinsicht ist der Erste Weltkrieg in diesem Teil Europas ein »ver-gessener Krieg«; die Schlachtfelder in Polen, der Ukraine, auf dem Balkan, amIsonzo oder in den Alpen sind nicht annähernd so gut besucht wie die an derehemaligen Westfront Frankreichs und Flanderns. Es gibt kein Gegenstück zurfeierlich-düster-erhabenen Atmosphäre des britischen Remembrance Sundaymit seinen roten und weißen Papiermohnblumen. Bestenfalls am Isonzo, dem

3 Vgl. stellvertretend für entsprechende Ansätze Lyotard 2006. Eine sehr ähnliche Einschätzunghinsichtlich der Aussparung von Krieg im Poststrukturalismus nimmt auch Joas vor (vgl. Joas2000: 184).

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mit Verdun an Schrecklichkeit vergleichbaren Schlachtenschauplatz, kennen wirdie Bewegungen und Schicksale einzelner Regimenter ähnlich genau wie an derSomme. Nur hier werden Kriegerfriedhöfe ähnlich erhalten wie in den be-rüchtigten, endlosen Gräberfeldern der englischen, französischen und deut-schen Soldaten im Westen. Wenn dokumentarische Videos und DVDs zumErsten Weltkrieg fabriziert werden, ist ihr Schwerpunkt ebenfalls dort; über denKrieg der Habsburger Monarchie existiert wenig, selbst das österreichischeFernsehen hat schon lange nichts mehr dazu produziert. Über Nachfolge- und»Feind«-Staaten ist nicht nur der noch verlustreichere und inhumanere ZweiteWeltkrieg hin- und hergerollt, es gab auch neue Sieger mit neuen Regimes, fürdie die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg eher »schädlich« als »nützlich«gewesen wäre. Diese Selektivität der Erinnerung ist also ein direktes Resultat derweiteren Geschichte. Die kollektive Erinnerung an den »Großen Krieg« in Mit-teleuropa ist aber deswegen noch nicht tot. Wir erleben seit dem Ende desDuopols der Supermächte mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dervon ihr dominierten Regimes ein Wiederaufleben vergessener Ereignisse,Handlungen und Gefühle. Schon allein die Verlustrechnung an Gefallenen, Zi-viltoten und Vermissten ergibt, dass Nachfolge- und »Feind«-Staaten sowieVerbündete der Habsburger Monarchie (mit der Türkei, Bulgarien und anteiligDeutschland) auf etwa 6,4 Millionen Tote in Mittel- und Südosteuropa kommen,damit auf zwei Drittel der insgesamt 9,45 Millionen, die nach Ferguson demKrieg zum Opfer gefallen sind.4

Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs sind mittlerweile über 90 Jahre ver-gangen, also etwa vier bis fünf Generationen. Die Rekonstruktion der Kriegs-erinnerung von Soldaten, Offizieren und Zivilisten (1914 – 1918) ist in jederGeneration – vor dem Hintergrund jeweils aktueller Zwangslagen und Oppor-tunitäten – verschieden erfolgt und kann in ihrer Vollständigkeit nur als sozialer,intergenerationeller Prozess von Aufnahme und Weitergabe aufgefasst werden.Wenn man aus dem, was heute an kollektiver Erinnerung präsent ist, auf dieBedeutung des Ersten Weltkriegs für die Selbstverortung der Gegenwart rück-schließen will, kann man sich massiv täuschen: Für das gegenwärtige Österreichist dieser Krieg fast so vergessen wie der Napoleonische (vielleicht sogar mehr,denn zumindest die Tiroler erinnern sich an 1809 recht deutlich), was aber nichtheißt, dass er real bedeutungslos geworden ist. Die kollektiven Erinnerungen an

4 Genau 1.100.000 für Österreich-Ungarn, 578.000 Italien, 250.000 Rumänien, 1.811.000Russland, 278.000 Serbien, 804.000 Osmanisches Reich, 88.000 Bulgarien und etwa ein Drittelder deutschen Kriegstoten von 2.037.000 = 679.000, ergibt in Summe 6.380.000 Kriegstote;vgl. »revised death figures«, in: Ferguson 1998: 215. Unsere Rechnung ist freilich sehr un-genau, was die Zurechnung der deutschen Kriegstoten zur Ostfront und dem Balkan anlangt.

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1914 – 18 zu beachten, bedeutet, sie als vier Generationen überspannendenProzess zu rekonstruieren5.

Der unerfüllte Wunsch vieler Soldaten und Offiziere nach unvergesslichemRuhm oder zumindest mitfühlender Anteilnahme sowie der Hass und die Ver-achtung, die ihnen von kriegsmüden, thronfeindlichen und umsturzbereitenDaheimgebliebenen nach Kriegsende entgegengebracht wurden, enttäuschtenviele Heimkehrer. Der darauf folgende Kriegerdenkmäler-Boom im ge-schrumpften und gespaltenen Land ohne effektives Gewaltmonopol wurde vonder Euphorie angesichts der Einverleibung in das größere Deutschland abgelöst.Der nur von wenigen antizipierte neue Krieg schrieb in die existierendenDenkmäler neue, noch längere Totenlisten und damit eine mächtige Konkurrenzfür die Erinnerung der vorherigen Generation und an sie ein. Anlässlich derFernsehverfilmung von Joseph Roths Radetzkymarsch im Jahre 1965, heute einenostalgieträchtige Ikone des Austriazismus, gab es die letzten wütenden Protesteder Frontgeneration des Ersten Weltkriegs gegen das, was sie – heute unbe-greiflich – als Herabwürdigung der »alten Armee« empfanden. Heute ist derErste Weltkrieg weitgehend aus der Erinnerung verschwunden, wie zuvor derSchauspieler und Fernsehunterhalter Heinz Conrads als Ikone des Österrei-chertums, das Wienerlied und österreichische Marschmusik. Aber in der so-ziologischen Perspektive sind zurecht beide, das Sich-Erinnern wie das Ver-gessen, erklärungsbedürftige Vorgänge, die mit fundamentalen gesellschaftli-chen Kräften einhergehen und gelegentlich auf sie zurückschließen lassen. In-teressen, Konflikte und damit verbundene Emotionen wirken allesamt auf Er-innerungen ein: Da ist jede Menge Platz für eine »Politik der Erinnerung«.

Eine weitere Unterscheidung von hohem Belang ist jene zwischen bewussterErinnerung und sedimentiertem, nicht lokalisierbarem »Trauma«, das – als Teileines »nationalen Habitus« – manchmal »girlandenförmig« um das in offiziellerHistorie dokumentierte »Gedächtnis« oszilliert. Was in schriftlosen Kulturender Archivierleistung individueller Hirnkapazität (bis zur Form einer in Liedernerhaltenen Balladen-Kultur) anvertraut wird, ist auch in High-Tech-Schriftkul-turen noch immer von Belang. Aber Traumata können von der Art sein, dass siegar nicht erzählt werden oder wenn, dann nur mit größter Mühe und speziellenMethoden rekonstruiert werden können. So zeigten neurophysiologische Un-tersuchungen von Vietnamveteranen, dass fortgesetzter extremer Stress, wie erin Situationen der größten Gefahr oftmals auftritt, den Hippocampus, derzentral für die Gedächtniskonsolidierung (die Überführung von Gedächtnis-

5 Quer zum Begriff der »kollektiven Erinnerung«, der sehr viel mit dem Begriff der »kollektivenIdentität« zu tun hat, liegt der Begriff des kollektiven, zum Beispiel nationalen, Habitus.Dieser schließt die unbewussten Anteile an der Prägung der Persönlichkeit ein und verhältsich somit zum »kollektiven Gedächtnis« fast komplementär.

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inhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis) ist, beschädigen kann:Deshalb hinterlässt das »Trauma eine emotionale und oft auch eine somatischeSpur […], aber keine Erinnerung an das, was geschehen ist.« (Welzer 2009: 90)In den Berichten werden häufig die äußeren Ereignisse festgehalten, der trau-matische Kern der Erfahrung jedoch nicht. (Vgl. Bohleber 2009: 108.) Folgt manLaub und Auerhahn, so »liegt es in der Natur des Traumas, sich der kognitiv-affektiven Aneignung zu entziehen, weil es die Fähigkeit des Menschen, es zuorganisieren, überfordert und beschädigt. Gegen das nachträgliche Wissen umdas Trauma richtet der Traumatisierte eine Abwehr auf, weil es die wieder eta-blierte, wenn auch fragile psychische Integrität bedroht« (Laub/Auerhahn nachBohleber 2009: 109).

Untersuchungen von autobiographischen Berichten deutscher und ameri-kanischer Soldaten des Zweiten Weltkriegs zeigen, wenn man Fritz SchützesAnalyse folgen möchte, zwei große Tendenzen: Einerseits stellt die Kriegser-fahrung für die Interviewten einen »Höhepunkt an Lebensintensität«, also einePhase großer emotionaler Dichte dar, andererseits seien die »Leidens- undSchuldverstrickungen – damals und zum Teil auch noch später im Leben –nahezu unerträglich« gewesen. Sowohl meist mit sogenannten positiven Emo-tionen einhergehende »Wandlungsprozesse« (aktives Mitgestalten des Soldaten,Eröffnen neuer Handlungsmöglichkeiten, das Erwerben neuer Fertigkeiten etcetera) als auch die »Verlaufskurve« (hier wird der Soldat durch äußere Um-stände zu bestimmten Verhaltensweisen gezwungen, seiner selbst »entfremdet«)prägen den Frontalltag. Mit zunehmendem Kriegseinsatz, der Teilnahme anKampfeinsätzen, der Konfrontation mit der »sinnlosen Opferung« von Kame-raden sowie dem brutalen Vorgehen gegenüber den eigenen und feindlichenKämpfenden bzw. der Zivilbevölkerung wird,6 wie Schütze (1989) deutlichmacht, die Verlaufskurve dominanter. Die individuellen Wandlungsprozesse derSoldaten werden ihrerseits von gesellschaftlichen Prozessen mitbestimmt. Diejeweilige Gesellschaft gibt den Handlungs- und Orientierungsrahmen vor undstellt Sinn- und Legitimationsreservoirs zur Verfügung. Die Legitimationskraftder jeweiligen Wir-Gemeinschaft (zum Beispiel ob der Kriegseinsatz als »ge-rechtfertigt« angesehen wird, ob die eingesetzten Mittel als adäquat beurteiltoder als unangemessene Brutalität erfahren werden) prägen, wie an Hand derLebensgeschichte eines amerikanischen und der eines deutschen Soldaten imZweiten Weltkrieg nachgezeichnet wird, unter anderem das Verhältnis vonWandlungsprozessen und Verlaufskurve.

6 »Akte der Solidarität durch Menschen der ›Gegenseite‹« wirken der Entmoralisierungsten-denz entgegen; vgl. Schütze 1989: 45.

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Kontext, Zeit und Erinnerung

Zum Erinnern gehört schon rein begrifflich die Zeit : »Zeit und Identität«, soAleida Assmann, »greifen aktiv in den Gedächtnisprozess ein, wodurch es un-weigerlich zu einer Verschiebung zwischen Einlagerung und Rückholungkommt« (Assmann 2001: 15). Auf den individuellen Gedächtnisprozess wirkendarüber hinaus sowohl das kommunikative als auch das kulturelle Gedächtnis.Erstgenanntes umfasst die Alltagskommunikation, also das, was in sozialenInteraktionen – in Familien, am Stammtisch, in der Dorfgemeinschaft – überdrei bis vier Generationen relativ »ungeformt«, »beliebig« und »unorganisiert«vermittelt wird. (Vgl. Assmann 1988.) Man denke in diesem Zusammenhangbeispielsweise an Vermittlungsprozesse zwischen Eltern und Kindern bzw.Großeltern. Die Kriegskinder des Ersten Weltkriegs sind die Eltern der unteranderem von der Forschergruppe w2k (=weltkrieg2kindheiten) untersuchtenKriegskinder des Zweiten Weltkriegs, die bewusst und unbewusst ihre Kriegs-erinnerungen an ihre Kinder weitergaben.7 Um den Interdependenzcharakterdieses Austausches zu unterstreichen, plädierte Völter dafür, statt von Weiter-gabe vielmehr von »wechselseitiger Herstellung von Generationserfahrungen infortlaufenden Interaktionen« zu sprechen (vgl. Völter 2008: 105). Wie unteranderem die Studie Opa war kein Nazi für Westdeutschland zeigte, existiert aufder Ebene der alltäglichen Erinnerung ein anderes Bild des nationalsozialisti-schen Deutschland als im gegenwärtigen kulturellen Gedächtnis (vgl. Welzer2009: 76).

Zweitgenanntes, das kulturelle Gedächtnis, ist nach Jan Assmann erstensdurch »Identitätskonkretheit« oder Gruppenbezogenheit (klare Definition desEigenen und des Fremden), zweitens durch »Rekonstruktivität« – im Modus desArchivs und im Modus der Aktualität –, drittens durch Geformtheit (schriftlich,bildlich, rituell), viertens durch »Organisiertheit« im Sinne der institutionellenAbsicherung von Kommunikation und einer Spezialisierung der Träger deskulturellen Gedächtnisses, fünftens durch Verbindlichkeit mit klaren Rele-vanzstrukturen und sechstens durch Reflexivität8 gekennzeichnet. (Vgl. Ass-mann 1988.) Zentrale Medien des kulturellen Gedächtnisses sind nach wie vorder »Kanon der Klassiker«, das »Museum« und das »Denkmal« (vgl. Assmann2001: 21 f.). Kanonisierte Texte und Autoren werden aus der Vielzahl publi-

7 Beispielsweise wuchsen, die Daten beziehen sich auf Deutschland, viele Angehörige derJahrgänge 1905 bis 1920 (=erste kriegsbetroffene Generation) zumindest zeitweilig, vielfachjedoch auf Dauer ohne Vater oder in »beschädigten Familienstrukturen« auf; vgl. Radebold/Bohleber/Zinnecker 2009: 7 f.

8 Im kulturellen Gedächtnis bleibt das erhalten, was die jeweilige Gesellschaft mit ihren spe-zifischen Wert- und Sinnbeständen rekonstruieren kann (vgl. Hois/Karoshi/Munz/Stachel/Suppanz/Uhl 2004: 218).

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zierter Texte herausgehoben und zur Wiederholungslektüre bestimmt. Dazugehört die Etablierung eines Autors und Textes als »Klassiker«, dessen »Wert«für die scientific community feststeht und dessen »Zeitlosigkeit« gerühmt wird.In den Bildungsinstitutionen werden kanonisierte Texte von Generation zuGeneration weitergegeben und immer wieder neu diskutiert und reflektiert. ImMuseum werden »Erinnerungen« in unterschiedlichsten Formen gesammelt(Magazinbestände) und in geordneter, systematisierter Form dem Publikumpräsentiert. Im Denkmal wiederum werden bestimmte Ereignisse vergegen-wärtigt: Personen, Taten oder auch Ideen sollen entweder in »heroischer Form«verewigt werden oder in »traumatisierender Form« die »Wunde einer Erinne-rung offen halten«. (Vgl. ebd.: 22 – 26, Zitat 26.) »In ihrer kollektiven Überlie-ferung wird eine Gesellschaft sichtbar : für sich und für andere«, so Jan Ass-mann; »welche Vergangenheit sie darin sichtbar werden und in der Wertper-spektive ihrer identifikatorischen Aneignung hervortreten lässt, sagt etwas ausüber das, was sie ist und worauf sie hinauswill.« (Assmann 1988: 14) Beliebigkeitist damit nicht gemeint: Das kulturelle Gedächtnis ist an unverrückbare Erin-nerungsfiguren und Wissensbestände gebunden (vgl. Hois/Karoshi/Munz/Sta-chel/Suppanz/Uhl 2004: 218).

Für die unter bestimmten kulturellen Rahmenbedingungen ablaufende»Konstruktion« von individuellen und kollektiven Identitäten spielen »Orte desGedächtnisses« eine bedeutsame Rolle. Ritualisiertes Sich-Erinnern in Form vonsinnstiftenden Mythen, in Form von Feiern und Festen anlässlich bestimmterhistorischer Ereignisse oder in Form der Tradierung von kollektiven Erlebnissenin der Schule fungiert als »Gedächtnisort« einer Gesellschaft, der eine Identifi-kations- und Orientierungsfunktion ausübt (vgl. Cs�ky/Stachel 2001: 11 f.).Sogenannte Speicher des Gedächtnisses sind, wie Cs�ky und Stachel in gleich-namigen Sammelbänden festgehalten haben, Archive, Bibliotheken und Museenund in einem »übertragenen Sinne« (vgl. ebd. : 11) auch Tagebücher oder »neueMedien« (zum Beispiel das Internet). Oft sind es jedoch kritische Ereignisse, dieunerwartet und schlaglichtartig etwas von dem freilegen, das uns sonst ver-borgen geblieben wäre. So zeigen entscheidende Fußballspiele zwischen Eng-land und Deutschland bei Welt- oder Europameisterschaften erst das volleAusmaß der antideutschen Emotionen bei den englischen Unterschichten;englische Boulevard-Zeitungen hatten dazu Photomontagen von Spielern mitHelm und Gewehr publiziert. Emotionen sind jedenfalls »ursächlich daran be-teiligt«, »Erinnerungen aus den Gedächtnisspeichern zu mobilisieren« (Wass-mann 2002: 14) oder auch nicht (vgl. die Ausführungen zum Trauma).

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Sieg und Niederlage

Bedeutungsvoll für das Studium der kollektiven Erinnerungen an alle Kriege,aber in besonderem Maße für jene an den Ersten und Zweiten Weltkrieg, ist derUnterschied zwischen Sieg und Niederlage. Methodologisch stellt sich die Frage,wie weit man hier die Grenzen des Kriegsgeschehens ziehen soll. Orientiert mansich am zugrunde liegenden oder resultierenden Konflikt, mögen die eigentli-chen bewaffneten Auseinandersetzungen nur einen kleinen Teil davon ausma-chen und die weltpolitischen Folgen eines verheerenden Friedens den weitausgrößeren. Ungarns Zerstückelung nach dem Friedensvertrag von Trianon istdafür ein eindrucksvolles Beispiel. In diesem Kontext spielt auch die berühmteKriegsschuldfrage eine bedeutende Rolle: Solange sie gestellt wird, ist, so Scheff9,der Konflikt noch nicht vorbei. Das eröffnet auch den Raum für die Vorstellungvon bi- oder multilateralen Prozessen der Aufschaukelung oder Kalmierung vongewaltträchtigen Konflikten zwischen Staaten und Volksgruppen. Diese Pro-zesse können entweder zum Wunsch nach kriegerischer Revision der Grenzenoder zu deren mehr oder minder überzeugter friedlicher Hinnahme führen.

Aber auch der Siege erinnert man sich gern, und im Fall des letztendlichenTriumphes können auch temporäre Rückschläge im Nachhinein zur »finesthour« verklärt werden, wie das mit der »Battle of Britain« von 1940 geschehenist. Während Österreichs abgemergelte und zerlumpte Soldaten – viele vonihnen nach der Kriegsgefangenschaft – beschämt nach Hause schlichen, er-möglichte Italiens »Sieg« bei Vittorio Veneto die triumphale Rückkehr stolzerHelden; die gewaltigen Ossuarien Mussolinis sprechen eine ganz andere emo-tionale Sprache als die österreichischen Kriegerdenkmäler. Der Tag des Waf-fenstillstands konnte sich in Österreich nicht dauerhaft zum Nationalfeiertagentwickeln, da er von bürgerlichen Mittel- und Oberschichten sowie Angehö-rigen alter Eliten als Niederlage gegen die verachtete Unterschicht empfundenwurde, aber natürlich auch, weil dieser Tag einer Niederlage entsprungen war.Manchmal werden Katastrophen von »biblischem« Ausmaß sehr wohl zum ri-tuellen Kern eines Generationen oder gar Jahrhunderte überdauernden Ge-dächtnisses (wie etwa der Vidovdan [St.-Veits-Tag] zur Erinnerung an die ser-bische Niederlage von 1389 auf dem Amselfeld). (Vgl. Smith 1986.) Wahr-scheinlich kann dies eher der Fall sein, wenn das damit verbundene Wir-Gefühlnicht klassenmäßig derart geteilt ist, wie das 1918 der Fall war. In den meistenNachfolgestaaten der Monarchie hat sich die innere Machtverteilung zwischenKlassen und/oder Ständen durch den Krieg massiv verschoben. Eine soziolo-gische Analyse kollektiver Erinnerung an den Krieg muss daher neben derEbene der Spannungen zwischen (national-)staatlichen Überlebenseinheiten

9 Mündliche Kommunikation mit Helmut Kuzmics.

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(Verflechtung in Staatenkonkurrenz) auch jene innerhalb dieser Einheiten(Klassenschichtung) einbeziehen: Schon allein daraus resultieren sehr ver-schiedene und oft gegensätzliche Erzählungen in der kollektiven Erinnerung.

Norbert Elias hat in seinen Studien über die Deutschen zwei Arten derdeutschen Verarbeitung des Kriegserlebnisses unterschieden: kriegsbejahendeund kriegsverneinende Literatur. Für die erstere steht das bekannteste Werk vonErnst Jünger In Stahlgewittern. Ein Kriegstagebuch, für die zweitere Erich MariaRemarques Im Westen nichts Neues10. Hinter beiden Reaktionsformen auf denKrieg stünden, so Elias, auch die verschiedenen Schicksale, welche Angehörigedes wilhelminischen Establishments mit ihrem spezifischen Ehrenkodex ei-nerseits und die Mitglieder machtschwacher Außenseitergruppen (etwa Arbei-ter oder Juden) andererseits in der totalen Kriegsniederlage erfahren hätten.Während die ersteren – Hof, Adel, die Gesellschaft der Satisfaktionsfähigen, dieauch bürgerliche Reserveoffiziere einschloss – einen »traumatischen Schock«erlebten, als sie mit der schweren, unerwarteten Niederlage – »wie ein Läufer, dermit voller Wucht gegen eine Mauer prallt« (Elias 1989: 240) – fertig werdenmussten, waren die letzteren nach dem Fall des alten Regimes zumindest imInneren um einiges mächtiger als zuvor.

Ähnlich komplexe Gemengelagen der kollektiven Erinnerung an den »Gro-ßen Krieg« gab es in allen Nachfolge- und früheren Feindstaaten der Monarchie.Ohne klassifikatorische Vollständigkeit anzustreben, behandeln die nun fol-genden Beispiele einige uns wichtig erscheinende Formen von »Geschichten«sowie von Emotionen, die sie transportieren sollten, und deren jeweiligen Platzim zwischen- wie innerstaatlichen Beziehungsgeflecht von Nationen und Klas-sen. Zuerst einmal interessieren uns jene Formen und Überlieferungen kollek-tiver Erinnerung, die etwas darüber aussagen, wie der Krieg die weitere Ge-schichte bis zur Gegenwart geprägt hat. Dabei sind solche Inhalte kollektiverErinnerung von besonderer Bedeutung, die mit den politischen Einheiten inForm von (National-)Staaten oder ethnischen Verbänden unterhalb oder jen-seits der staatlichen Ebene – als »Überlebenseinheiten« im Eliasschen Sinn (vgl.Elias 1987: 207 – 315) – zusammenhängen: Was bedeutete die kollektive Erin-nerung an den Krieg für deutschsprachige Österreicher, was für Angehörigeanderer Nationen im Großverband der Donaumonarchie (Slowenen, Kroaten,

10 Remarques Im Westen nichts Neues hingegen problematisiert das Wesen dieses Kriegesgerade dadurch, dass es der Zelebrierung von Mut und Stärke die Identifikation mit demverwundeten und sterbenden Feind gegenüberstellt und das Leiden am Krieg nicht durcheine ultimative Sinngebung (Tod für’s Vaterland) überhöht. So konnte dieses Buch – wie auchentsprechende englische (Graves, Sassoon) oder französische Romane (Barbusse, Cheval-lier) – zur Unterstützung pazifistischer Propaganda und sie tragender Gruppierungen her-angezogen werden, was wieder von manchen als »Verrat« an der Nation ausgelegt wurde.Vgl. zur Gegenüberstellung von Jünger und Remarque unter anderem Haring 2000.

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Tschechen et cetera), was für die Menschen aus den »Feindnationen« (Rumänen,Italiener, Russen in den Grenzen von 1914 bzw. 2013)?11 Manche Arten vonErinnerungen sind eher in die bewusste (und konstruierte) nationalstaatlicheIdentität der ehemaligen Kombattanten eingegangen. Als Beispiele seien hier derSchwejk-Mythos, der auch das Bild von den Tschechen12 mit definierte, sowiedas Bild vom »perfiden Verräter« Italien, das lange Zeit die deutschösterrei-chische Identität in Abgrenzung markierte, genannt. Andere Erinnerungenwieder haben eher mit unbewusst bleibenden Prägungen zu tun – sedimentiertim »Habitus« eines national(staatlich) definierten Kollektivs. Das österreichi-sche Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den »Reichs«- und späteren »Bun-des«deutschen mag auch zum Teil auf die Geringschätzung von »KameradSchnürschuh« durch die besser ausgestatteten und geführten Verbündeten zu-rückzuführen sein. Es ist nicht Teil österreichischer Identität, wohl aber desHabitus geworden. Und zuletzt kann man im Zuge der Rekonstruktion vonKriegserinnerungen einiges über den wechselvollen Verlauf von Wir-Gefühlenund Loyalitäten erfahren; Jahrzehnte kommunistischer Regimes konnten bei-spielsweise nicht ganz den »slawischen Stolz« auf den einer serbischen Mili-tärgrenzerfamilie entstammenden »Löwen vom Isonzo«, Svetozar Boroevic deBojna, auslöschen, womit auch Reste habsburgischen Wir-Gefühls erhaltenblieben. (Vgl. Klavora 2008.)

Die folgenden kurzen Skizzen beziehen sich auf das republikanische Öster-reich, auf Slowenien, Ungarn, Italien, die Ukraine und Rumänien. Als Quellendienen uns unter anderem Romanliteratur, »sensitiver Reisejournalismus«sowie Autobiographien von k.u.k. Soldaten.

Österreich: Heldengeschichte, Trauer des Untergangs undgrausame Dummheit der Herrschenden

Bald nach dem Krieg, zum Teil noch währenddessen, wurden tausende Krie-gerdenkmäler errichtet, in allen Orten des geschrumpften Nachkriegsösterreich,ob groß, ob klein. In der Regimentsgeschichte der steirischen 3er-Schützen wirdderen wechselvolles und grausames Schicksal nacherzählt, mit großer Akribieund durchaus nicht immer beschönigend. Wie die Texte auf den vielen Krie-gerdenkmälern ist sie aber doch vorwiegend als Heldengeschichte geschrieben:

11 Es gibt allerdings auch andere Großgruppen, etwa Klassen und Parteien, die ebenfalls re-levante spezifische Erinnerungen kultivieren können.

12 Zum »Helden- und Opferdiskurs in der Tschechoslowakei zwischen 1918 und 1948« vgl.Stegmann 2010.

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»Nur vorwärts, um aus der Hölle ins Freie zu gelangen. – Endlich wird der Stadtranderreicht, die Stadt ist unser, doch nur mehr ein Häuflein ist die Komp. [Kompanie;Anm. d. Verf.] , aber ungebrochen in ihrem Mut. Am Bahndamm nisten die Russen.Noch ein ›Hurra‹ nur mehr aus wenigen Kehlen. Die Russen, zehnfach in der Über-macht, flüchten, decken sich in Kartoffel- und Rübenäckern, in denen sie durch ihreerdfarbenen Monturen dem Auge vollständig entschwinden. Der Falkenblick derSteirer entdeckt sie aber doch. Mit einer Ruhe, als stünden wir auf der Schießstätte, alshätten wir nur einen kleinen Spaziergang hinter uns, wird gezielt – und getroffen.Unruhig flüchten die Russen weiter zurück.« (Strohschneider 1931: 52)

Das Buch wendet sich an die Kriegskameraden (die durch ihren Kauf die Her-ausgabe überhaupt erst ermöglichten) und wohl auch an deren Familien. Einhabsburgischer Erzherzog (Joseph) schrieb ein Vorwort. Der gesamte Text hatkeine erkennbar deutschnationale Schlagseite und ist auch nicht nur für Offi-ziere bestimmt. Führer und Mannschaften werden als an einem Strang ziehenddargestellt; erstere sind nicht als Versager oder Dummköpfe abgestempelt.Trauer und Schmerz finden in der Darstellung ihren Platz, Angst und »Feigheit«nicht. Der Tenor des ganzen Buches lässt sich gut an dem Text der Belobigungerkennen, mit dem ein Feldherr seine Soldaten würdigt:

»Eine der furchtbarsten Schlachten, die 3. Isonzoschlacht, ist beendet. Das k.k. Ldw. Inf.Rgt. 3 [k.k. Landwehr-Infanterieregiment 3; Anm. d. Verf.] hat unter dem Kmdo.[Kommando; Anm. d. Verf.] seines tapferen Führers ruhmreichsten Anteil daran ge-nommen, indem es am 23. Oktober abends, hinter einer vom Fd. [Feind; Anm. d. Verf.]in die Stellung der eig. [eigenen; Anm. d. Verf.] Truppen geschlagene Lücke eingesetzt,diese Bresche mit unvergesslicher Tapferkeit verteidigte. Fast 3 Wochen hielt es unterschmerzlichgroßen Verlusten mit bewundernswürdigem Heldenmut dem mörderi-schen Artilleriefeuer des Feindes stand und schlug alle Angriffe der Fdl. Inf. [feindli-chen Infanterie; Anm. d Verf.] siegreich zurück. Ich spreche jedem einzelnen derHelden, aus denen dieses Regiment besteht, meine dankbare Anerkennung aus. DieBewunderung des Vaterlandes möge meine braven Steirer mit Genugtuung für ihreRuhmestaten erfüllen.Schön, FML [Feldmarschall-Leutnant; Anm. d Verf.] .« (Ebd.: 255)

Der Sieg bestand hier nur aus der gelungenen Abwehr ; viele der »Helden«werden sich nicht als solche gefühlt haben, aber genauso sicher ist auch, dass siesich für ihre unglaublichen Leiden und Opfer Anerkennung erhofft haben. Ge-meint ist die Dritte Isonzoschlacht, in der die Italiener den in Dolinen zusam-mengekauerten k.u.k. Soldaten mit ihrer artilleristischen Überlegenheit dasLeben zur Hölle machten – zum Beispiel flogen Knochensplitter und Leich-enteile durch die Luft, als die Granaten einen bereits in der Doline angelegtenFriedhof umwühlten (vgl. hierzu insbesondere Kapitel 5). In das Heldeneposmischt sich schließlich auch die Erzählung von namenlosem, unsäglichem Leid.Diese Art von kollektiver Erinnerung geht wohl kaum über die nächste Gene-

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ration hinaus – schon die Enkel der Krieger von 1914 bis 1918 haben ihreGroßväter »vergessen«. Das Österreich der unmittelbaren Nachkriegszeit hatmit Heimwehr, Schutzbund und den sich in Deutschland aufhaltenden Männernder Österreichischen Legion (vgl. Schafranek 2011) mehrere militärische Ver-bände erlebt, deren Existenz jedenfalls ohne vorhergehende Massenmobilisie-rung und Krieg nicht erklärbar wäre. Das muss nicht heißen, dass es nur dieehemaligen Frontkämpfer und -offiziere gewesen waren, aus denen sich diesePrivatarmeen rekrutierten. Aber das Bedürfnis nach Sinngebung für die ent-setzlichen Opfer, der Schrei nach Wiederherstellung der Ehre und das Vorbildheroischer Tugend sind auch über die Generationen hinweg weitergegebeneemotionale Realitäten, die für die politischen Orientierungen der »Rechten« inder Zwischenkriegszeit maßgeblich geworden sind. Wenn man nun die öster-reichische Konstellation mit der in Deutschland vergleicht, so ergibt sich einwesentlicher Unterschied: Die deutschen Eliten wurden, wie Elias ausführt, inihrer Aufholjagd als Verlierer im Kampf um die europäische Vormacht gestopptund erlitten dabei einen »traumatischen Schock«. Im zertrümmerten Österreichwar dieser Schock wahrscheinlich noch viel größer, denn das Reich war zerfal-len, der Adel heimatlos und die bürgerlichen Eliten ihrer ehemaligen Machtsowohl nach außen wie nach innen beraubt. Anders aber als in Deutschland warfür das klein gewordene Österreich eine »Revanche« praktisch undenkbar –außer durch eine deutschnationale Revolution; damit wurde die Zwischen-kriegszeit auch zu dem von Friedrich Heer (1981) beschriebenen »Kampf um dieösterreichische Identität«.

Damit kommen wir zu einem weiteren Erzähltypus der kollektiven Erinne-rung Österreichs, zur Trauer über den Untergang der Monarchie. Paradigma-tisch kann man dafür Alexander Lernet-Holenias Roman Die Standarte nennen.Die Geschichte spielt in der traditionsbewussten, aristokratisch geprägten Ka-vallerie, verweist auf deren alte, übernationale Tradition. Ihr zentrales Motiv istdie Selbstverstümmelung der meuternden Balkanarmee auf dem Rückzug imHerbst 1918.

Schon am Anfang entwirft der Ich-Erzähler mit der Schilderung eines zehnJahre nach dem Krieg stattfindenden Festes ein aristokratisches Setting:

»Obenan, an quergestellter Tafel, präsidierten in ziviler Kleidung zwei Erzherzoge, einFeldmarschall und mehrere Generale, die den Rest dieses Reiterheeres zusammenbe-rufen hatten, an Längstafeln saßen, gleichfalls in Zivil, die Offizierskorps der einzelnenRegimenter, oder vielmehr was davon noch lebte, und von da bis zu den ungewisseLichter widerspiegelnden Marmorwänden des Saals konnte man sich bei einigerPhantasie von einem anderen, noch dichteren Gedränge umgeben fühlen: von denen,die gleichfalls gekommen waren, wenngleich sie nicht mehr kommen konnten, von denVerschollenen und Toten, einem zweiten, glorreicheren, von Uniformen und Ordenglitzernden und blitzenden, unsichtbaren Heer, das, wenn auch nur im Geiste er-

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schienen, dennoch fast noch eher ein Recht, hier gegenwärtig zu sein, haben mochte alswir selbst. Denn das wirkliche Heer sind nicht die Lebenden, sondern die Toten.«(Lernet-Holenia 1934: 7 f.)

Das Grundmotiv des Romans ist die Trauer – nicht nur um die Toten, sondernum das ganze untergegangene Reich. Das Heroische dient dazu, das Tragischesichtbar zu machen; der Kontrast zur sich zart entspinnenden Liebesgeschichte,die an das Leben erinnert, ist der schicksalhafte, fast vorherbestimmte Unter-gang von allem, was dieses Leben sinnvoll machen könnte. Die Loyalität gilt hiernicht der Nation, sondern dem Regiment, seiner aristokratischen Tradition unddem Kaiser (dem der Held der Geschichte, Menis, im verwaisten SchlossSchönbrunn die titelgebende Standarte zurückgeben möchte). Die emotionalenBegleitmomente dieser Art von Erinnerung sind gut in der lyrischen Beschrei-bung der Standarte erkennbar :

»Wie Strahlen von ihrer Spitze umherfallend verkündigte sich ihr Anspruch, ein Zei-chen des Reichs zu sein, souverän, kaiserlich, heilig, ein Nest des Adlers, der seineFänge in ihren Brokat schlug, den Blick in die Sonne gerichtet, die nicht mehr unter-ging, wo er die Schwingen hob, in Frankreich, in Mailand, überm Meer, in Flandern, beiZenta und Slankamen, bei Malplaquet, Aspern, Leipzig, Custoza, Kolin. Der feierlicheWeihrauchduft der Feldmessen und Prozessionen, der süße Blutgeruch der Siege, derbittere der Lorbeergewinde hing noch in den Falten des Tuchs.« (Ebd.: 187)

Auch Wir-Gefühle dieser Art, die sich in der Mystik einer heiligen Fahne aus-drücken, die hier der patrimonialen Autorität des Kaisers und nicht der an-onymeren der Nation gelten, können für Menschen die tiefe Bedeutung haben,dass selbst das individuelle Weiterleben nach der Erfahrung des Verlustes ge-fährdet ist. Der schockartige Zustand der loyalsten Teile des altösterreichischenEstablishments – des Adels, hoher Beamter und Offiziere, die das Rückgrathabsburgischer Herrschaft ausmachten – ist heute fast vergessen. Über derenGefühle sind Anschluss und Zweiter Weltkrieg, gefolgt von alliierter BesetzungÖsterreichs, hinweggerollt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brach sich die kollektive Erinnerung an die alteArmee und ihr Schicksal ein letztes Mal Bahn, als 1965 die Fernsehverfilmungvon Roths Radetzkymarsch ausgestrahlt wurde. Diese Verfilmung von RothsRoman, der selbst Ausdruck tiefer Reichssehnsucht und habsburgischer Loya-litätsgefühle ist, wurde von wütenden Protesten begleitet, die hohe soziologischeAussagekraft besitzen. So schrieb ein ehemaliger Oberst folgenden Leserbrief inder Kronen-Zeitung:

»Als ehemaliger Berufsoffizier der k.u.k. Armee möchte ich zur Fernsehaufführung›Radetzkymarsch‹ Stellung nehmen. Bei vielen Fernsehern musste der Eindruck ent-stehen, dass die Offiziere 1914 von tiefem Pessimismus erfüllt in den Krieg zogen, densicheren Untergang der Monarchie vor Augen. In Wahrheit aber war es genau umge-

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kehrt! Die Moral des Offizierskorps und der Truppe war hervorragend und daranänderten auch nichts die Niederlagen an der Ostfront. Schließlich schlug sich diese vomFernsehen jetzt so geschmähte und in den Schmutz gezogene Armee vier Jahre langtapfer gegen einen übermächtigen Gegner. […] Wer die Vergangenheit andauernd mitSchmutz bewirft, darf sich nicht wundern, wenn er in der Gegenwart nicht viel besseres[sic] erntet.« (Leserbrief, Kronen-Zeitung vom 22. April 1965)

Auch die »Herabwürdigung des Kaisers« war ein großes Thema in den abge-druckten Leserbriefen, was die Tiefe der noch in der älteren Generation bür-gerlicher Schichten aufspürbare Loyalität zur Monarchie anzeigt:

»Wie ist es weiters möglich, daß […] der alte Kaiser Franz Joseph als senil-naiver Idiot,die österreichisch-ungarischen Offiziere aber, bis auf eine gezielte Ausnahme, alsversoffene Herumtreiber hingestellt wurden. Die Mehrzahl der Soldaten des ErstenWeltkriegs ist gefallen oder inzwischen verstorben. Die wenigen aber, welche noch amLeben sind, werden sich noch daran erinnern, wer sie auf den Bahnhöfen empfing, alssie nach dem verlorenen Krieg zurückkamen. Sie werden sich auch noch daran erin-nern, wer ihnen die Sterne und Auszeichnungen herunterriß.« (Ebd.)

Die Reaktionen zeigen die große Bedeutung, welche die »Ehre« für die ehema-ligen Offiziere der k.u.k. Armee hatte; auch das Reserveoffizierskorps desösterreichischen Bundesheeres protestierte schärfstens gegen »die Diffamierungder Kameraden der ›Alten Armee‹«. Etliche orteten auch »Klassenhaß« in die-sem Film; sie sprachen von einer Attacke auf Offiziere, Adel und Kaiser.

Das war das letzte Aufflackern der kollektiven Erinnerung an den ErstenWeltkrieg und die alte Armee; sie verschwand in der Folge auch als nostalgischverklärte Operettenarmee in den einst so zahlreichen Wien-Filmen. Eine Ge-neration später scheint der Erste Weltkrieg samt seinen desaströsen Folgen ausdem kollektiven Gedächtnis der Österreicher und Österreicherinnen ver-schwunden zu sein. Er machte der »Vergangenheitsbewältigung« Platz, die –ohne Berücksichtigung der Vorgeschichte des von ihr »Bewältigten« – rechteinseitig geraten musste.

Was Elias für Deutschland definierte, nämlich eine kriegsverneinende, pa-zifistische Erinnerung nach dem Typus Remarque, gab es auch in Österreich. InVerbindung mit der Kritik am Offiziersestablishment und den Führungs-schichten der Monarchie existiert ein Narrativ, das man als »Geschichte derUnfähigkeit und Brutalität der Herrschenden« bezeichnen kann.

»Was wußten denn die Herren am Generalstabtisch, wie es an der Front, im Nahkampf,im Artillerieduell, im Maschinengewehrfeuer aussieht. Wenn in diesen Sekunden desHöllenlärms hunderte, ja tausende, hüben wie drüben, ihr Leben, ihr Blut gebenmüssen und das auf ihren Befehl hinauf. Am Kartentisch kämpft es sich mit einer gutenZigarre im Mund, ein Glas Champagner am Nebentisch, und mit dem Zeigefinger ander Kartenfront herumfahrend, sehr leicht.« (Schovanez 1969: 307)

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Diese Äußerung aus einer Soldatenautobiographie ist natürlich nicht nur einemösterreichischen Typus zuzuordnen, sondern lässt sich genauso in England(»lions, led by donkeys«) und in Frankreich finden – alle Armeen des ErstenWeltkriegs waren ständisch bzw. klassenmäßig aufgebaut, und unerfahrene oderbrutale Führer erzeugten mit Fortdauer des Krieges wachsenden Unmut. Dieserkonnte sich leicht mit einem humanistischen Protest gegen die als sinnlos er-lebten Opfer und Leiden des Krieges verbinden. Unabhängig von entsprechen-den Äußerungen bei Soldaten, oft aus der Arbeiterschaft, kam es in Österreichauch zum bürgerlich-antifeudal-antikriegerischen Protest eines elaborierterenPazifismus, der schon vor dem Krieg im Konflikt mit dem spätfeudalen Krie-gerkodex der Armee stand. Eine ihrer Galionsfiguren war bekanntlich der jü-dische Publizist und Schriftsteller Karl Kraus. Seine Kriegsanklage im Monu-mentaldrama Die letzten Tage der Menschheit enthält eine Fülle von doku-mentarischen Zeugnissen und Berichten über die Unmenschlichkeit des Ge-schehens.

Auch dieser Strang der kollektiven Erinnerung war für die Bildung einesösterreichischen kollektiven Weltkriegsgedächtnisses von Bedeutung. Für diehabsburg- und bürgerfeindliche Arbeiterklasse war dieser pazifistische undrebellische, sich auch an universalistischen, humanistischen Mittelklassennor-men orientierende Kanon, der Kraus’ Werk zugrundeliegt, sehr maßgeblich;und ähnlich wie in Deutschland sah das von bürgerlicher Seite wie »Verrat« aus.In einem Gedicht, das mit »Ein sterbender Soldat« überschrieben ist und»schreiend« vorgetragen werden soll, gibt es unter anderen, folgende Strophen:

»Hauptmann, hol nur das Standgericht!Ich sterb’ für keinen Kaiser nicht!Hauptmann, du bist des Kaisers Wicht!Bin tot ich, salutier’ ich nicht![…]Hauptmann, du bist nicht bei Verstand,daß du mich hast hieher gesandt.Im Feuer ist mein Herz verbrannt.Ich sterbe für kein Vaterland!« (Kraus 1986: 731)

Nicht für Kaiser und Vaterland sterben zu wollen, ist – von der Warte dynasti-scher oder nationaler Loyalität aus – Verrat. Der heute so selbstverständliche»pazifistische« Gefühlskomplex war aber vermutlich im Österreich der Zwi-schenkriegszeit durchaus noch minoritär.

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Zur slowenischen Perspektive auf den Ersten Weltkrieg:Slowenische Helden gegen verräterische Italiener versusNationalslowenischer Aufstand gegen habsburgischeUnterdrückung

Das Grundmuster der kollektiven Erinnerung der Slowenen an den ErstenWeltkrieg folgt ebenso wie jene der Österreicher der Achse kriegsbejahendversus kriegsverneinend. Sie zeichnet sich aber auch durch Besonderheiten aus:Slowenische Soldaten kehrten, wie tschechische, kroatische oder polnische, ineinen neuen slawischen Staat heim, der in offener Gegnerschaft zum habsbur-gischen Reichsgedanken entstanden war und sich außerdem in nationaler Ab-grenzung zu den etablierten Nationen der Monarchie definierte. Wie bei denTschechen, wenn auch später als bei ihnen, stellte man sich mit Fortdauer desKrieges gegen die Habsburger Monarchie. Anders aber als bei diesen war derKampf gegen die Entente auch der Kampf um die eigene Heimat, denn dieitalienischen Gebietsforderungen gegen Slowenien wurden nach dem Krieggroßteils realisiert, was die Slowenen in ihren nationalen Ansprüchen ent-täuschte. Diese Konstellation trug zu einer speziellen Ambivalenz slowenischer(auch kroatischer) Erinnerung an den Ersten Weltkrieg bei – erst nach demZweiten Weltkrieg wurden die Italiener weitgehend aus dem Küstenland ver-drängt. Dazu kommen noch die von der ersten Generation nach dem Kriegeingeforderten »Gedächtniskorrekturen« als Folge des neuen südslawischenStaatsverbandes, in dem mit den Serben als neuem Hegemonialvolk eine ehe-malige Feindnation neue Loyalität beanspruchte. Wie überall in Mitteleuropawälzte sich der noch weit verlustreichere Zweite Weltkrieg über das ganze Gebiet,um dann mit der klassenrevolutionären Staatswerdung des sozialistischen Tito-Staates dem Partisanen-Mythos im Gedächtnis einen großen, teilweise »ver-ordneten« Raum zu geben. Erst mit dem Zerfall Jugoslawiens und der Gründungdes ersten slowenischen Nationalstaates ergab sich eine neue Konstellation, diees den Slowenen erlaubte, sich an jenen Teil des Ersten Weltkriegs zu erinnern,der sich in ungeheurer Heftigkeit auf ihrem heutigen Staatsgebiet abgespielthatte. Das Wiederaufleben der Erinnerung zeigt sich in etlichen literarischenZeugnissen – beispielsweise in Form von populären, reich und detailliert aus-gestatteten Bildwerken – sowie in einem größeren Interesse an Kriegsgräbernund ehemaligen Schlachtfeldern, die auch verstärkt touristisch genutzt werden.

Der erste, »kriegsbejahende«, heroisierende Topos wurde noch während desKrieges in einer slowenischen Wochenzeitung anlässlich der Ernennung vonGeneral Boroevic zum Ehrenbürger von Ljubljana geprägt:

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»Der Krieg mit den Italienern. General Boroevic – Ehrenbürger von Ljubljana.[…].Als der Krieg mit den Italienern begann, übernahm er die schwierige, aber überausehrenvolle Aufgabe, das Küstenland zu verteidigen. Schon vier Monate lang mäht seineArmee die verräterischen Italiener nieder. Seine südslawischen und anderen Regi-menter vollführen Wunder des Heldentums. Die Italiener aber schafften trotz ihrerzahlenmäßigen Überlegenheit nicht einmal einen Fußbreit über den Isonzo. Diesersüdslawische Heerführer besitzt aufgrund seiner Siege bereits die höchsten Orden,aber die Geschichte der Südslawen und der ganzen Armee bewahrt seinen Namen unterden Ruhmreichsten. Wir Slowenen sind diesem vorbildlichen General alle dankbar,und Ljubljana ist stolz auf ihn und hat ihn ins Goldene Buch der verdienstvollstenMänner der slowenischen Geschichte eingetragen.« (Tedenske Sklike – TD, 18. 8. 1915,nach Klavora 2008: 127)

Die Tapferkeit slowenischer Soldaten wird übrigens in einigen Autobiographienösterreichischer Offiziere eigens hervorgehoben, so von Constantin Schneiderund von Paul Schinnerer, der zeitweise das k.k. Landwehr-InfanterieregimentNr. 26, das Marburger Hausregiment, befehligte. Der Stolz auf den »Löwen vomIsonzo«, auf die mutigen und pflichtbewussten Verteidiger am Isonzo bildetzusammen mit der emotionalen Gegnerschaft zum italienischen Feind auch denTenor der Werke von Klavora und Simcic (2005), die unlängst mit vielen auto-biographischen Zeugnissen von slowenischen Soldaten und Offizieren erschie-nen sind. So anerkennt Simcic, dass auch heute noch Slowenen und Kroaten inBoroevic’ (und damit der k.u.k. Armee) Schuld stünden, »denn mit der Ver-teidigung des Isonzo trug er entscheidend dazu bei, dass die Grenzen heutezugunsten Sloweniens und Kroatiens verlaufen« (Simcic 2005: 64). Das neueJugoslawien habe ihn jedoch nach 1918 nicht gewollt, die serbischen Kämpferder Balkanfront hätten mehr Ansehen genossen als die Offiziere der habsbur-gischen Armee.

In diametralem Gegensatz dazu steht der eindrucksvolle Roman Doberdý vonLovro Kuhar (2008/09) alias Prezihov Voranc. Er enthält eine nationalsloweni-sche Deutung der mörderischen Gefechte an der Isonzofront und betont vorallem den Repressionscharakter der militärischen Organisation der HabsburgerMonarchie. Der Held der Geschichte dient wegen seiner politischen Einstellungbeim sogenannten Strafbataillon Nr. 100, erfährt in einer Kaserne in Graz diedumpfen, brutalen Schikanen der Ausbildner und lernt in allem die düstereKehrseite der k.u.k. Armee kennen (vgl. dazu Kapitel 5). So erzählt eindeutschsprachiger Infanterist von den Erschießungen sogenannter »Spione« inGalizien, bei denen auch ein unschuldiges Kind exekutiert wird:

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»›Gut, diese Sache mit dem Schwein, das passiert. Aber was habt ihr mit dem Kindgemacht, Almer?‹Alles horchte.›Mit welchem Kind?‹, fragte Almer.›Na, mit dem Kind von dieser Galizierin, vor der sich unsere Steirerinnen versteckenmüssen…?‹Almer kratzte sich in seiner Verlegenheit im Nacken.›Ja, das hätte ich fast vergessen! Carej hätte es zweifellos auch hochgezogen, ihm war esegal. Aber das schien dem Hauptmann dann doch nicht richtig, deshalb hat er es selbstmit der Pistole gemacht. Das Würmchen hat sich nicht einmal gerührt…‹« (Kuhar2008/09: 19)

Auch über das unbarmherzige Geschäft von Massenhinrichtungen serbischerBauern13 wird im Buch aus der Perspektive der Henker berichtet; ähnlicheBeispiele lieferte auch Karl Kraus. Man kann davon ausgehen, dass die kollektiveErinnerung der Slowenen (das Buch erschien 1940) auch diese Facette umfasst.

Italien: Zwischen Triumphalismus und Desaster

Italiens kollektive Erinnerung an den Ersten Weltkrieg enthält einerseits alleElemente – vom Heldenkult bis zur beißenden Kriegskritik –, die sich auch inden anderen Staaten nach 1918 finden, aber darüber hinaus noch einige be-sondere. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der italienische Fa-schismus und die Führergestalt Benito Mussolinis ohne »La grande guerra«undenkbar sind (vgl. Kramer 2007: 295 – 304). Faschismus, Futurismus, Syn-dikalismus und Nationalismus waren alle Produkte des durch den Krieg er-zeugten »heroischen« Aktivismus. Mussolini gehört zu jenen politischen Füh-rern der Zwischenkriegszeit, die wie Piłsudski, Horthy, Hindenburg, Dollfuß,Schuschnigg und Hitler den Krieg aktiv erlebt haben und von ihm geprägtworden sind. Keiner Armee im Krieg war so oft das »Stürmen« befohlen wordenwie der italienischen; keine der Siegermächte war dabei so erfolglos und konntenoch dazu das Gefühl haben, auch den Frieden teilweise verloren zu haben(Dalmatien wurde jugoslawisch, nicht italienisch, wie von der Entente ver-sprochen). Heute noch ist es in Italien üblich, im Falle einer – auch privaten –plötzlichen Katastrophe von einem wahren »Caporetto« (italienisch für den OrtKobarid) zu sprechen, in Erinnerung an den Zusammenbruch der halben ita-lienischen Armee im Spätherbst 1917. Demzufolge ist ein selbstironischer bisspöttisch-anklagender Ton auch in der italienischen Antikriegsliteratur zu fin-den. Als ein Beispiel dafür dient das Buch des späteren sozialistischen Abge-

13 Vgl. auch Kramer 2007: 143, für eine knappe Darstellung der österreichisch-ungarischenRepression auf dem Balkan-Kriegsschauplatz.

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