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FALTER HEUREKA Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 W Verlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2376/2012 sst Schnecken! Sie sind umwelt- und klimaver- träglicher als Rinder oder Schweine und gesund Neue Immigranten in Österreich Mit dem Klima- wandel kommen Neozoen und Neophyten In die Champions League will die Österreichische Akademie der Wissenschaſten TITELBILD: WOLFGANG BENDER, OHNE TITEL, FARBE AUF FOTOGRAFIE,2011 Das Wissenschaſtsmagazin Nr. 5/12 Inselstaaten gelten als die ersten, die vom Klimawandel beeinträchtigt werden. Wen aber treffen die Auswirkungen des Wandels in Österreich am härtesten? E Klimaverlierer in Österreich

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FALTERHEUREKA

Erscheinungsort: Wien P.b.b. 02Z033405 WVerlagspostamt: 1010 Wien laufende Nummer 2376/2012

sst Schnecken! Sie sind umwelt- und klimaver-träglicher als Rinder oder Schweine und gesund

Neue Immigranten in Österreich Mit dem Klima-wandel kommen Neozoen und Neophyten

In die Champions League will die Österreichische Akademie der Wissenscha� en

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Das Wissenscha� smagazin Nr. 5/12

Inselstaaten gelten als die ersten, die vom

Klimawandel beeinträchtigt werden. Wen

aber treff en die Auswirkungen des Wandels

in Österreich am härtesten?

sst Schnecken! sst Schnecken!E

Klimaverlierer

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F L O R I A N F R E I S T E T T E R

E s lohnt sich, über Wissenschaft Bescheid zu wissen. Die Politik

muss Entscheidungen über Atom-kraft , Gentechnik oder Klimawandel treff en, und wer als Bürger informiert mitreden und als Wähler mitentschei-den möchte, der sollte sich ausken-nen. Dazu muss man selbst kein Wis-senschaft er sein – aber man sollte zu-mindest eine grundlegende Ahnung von den Dingen haben.

Die Vermittlung wissenschaft li-cher Erkenntnisse ist darum eine wichtige Aufgabe. Aber auch eine undankbare. Denn wenn Wissen-schaft er zu viel Zeit mit Öff entlich-keitsarbeit verbrin-gen, dann schaden sie damit unter Umständen ihrer ei-genen Karriere.

Das liegt am System, das den wis-senschaft lichen Erfolg defi niert. Wer sich um eine Stelle an einer Univer-sität bewirbt oder einen Förderan-trag stellt, wird fast ausschließlich an-hand der Publikationsliste beurteilt. Je mehr Veröff entlichungen in Fach-zeitschrift en, desto besser.

Engagement in der Öff entlich-keits–arbeit oder auch der Lehre wird bei der Beurteilung in der Pra-xis nicht nur kaum berücksichtigt, sondern kann aktiv schaden. Wer sei-ne Zeit nicht nur für die reine For-schung, sondern auch für die Vermitt-lung von Wissen verwendet, kann we-niger publizieren und hat schlechte-re Chancen, Karriere zu machen. Das gilt besonders für junge Wissenschaf-ter. Arbeitszeiten von 80 Stunden pro Woche sind hier üblich und werden auch als normal angesehen. Freie Stellen sind begehrt und die Konkur-renz ist dementsprechend groß. Wer sich hier freiwillig zusätzlich noch mit Öff entlichkeitsarbeit beschäft igt, muss Idealist sein.

Dabei gäbe es genug Forscherin-nen und Forscher, denen die Wis-senschaft skommunikation nicht nur Spaß machen würde, sondern die

Die österreichische Nation besteht seit dem Jahr 1955. Berge gehören zu ihrem Selbstverständnis, nicht ohne Grund nennt man sie auch „Alpenrepublik“. Ein Name wie „Kaprun“ steht für ihren Grün-dungsmythos und eine ihrer größ-ten Tragödien: Der eine bezieht sich auf das Speicherkraft werk, die andere auf ein Unglück mit Wintersporttouristen. Die größten Töchter und Söhne (oder zumindest die bekanntesten) stammen aus den Bergen und bezwingen deren Skipisten meist vor Konkurrenten aus anderen Nationen. Die Nationen wertung im alpinen Skiweltcup entschei-det Österreich in den meisten Fäl-len für sich – wer außer ewiggestri-gen Verlierern wollte da noch an der Nation zweifeln? Wintersport und Wintertourismus schaff en uns unseren Platz unter den Nationen. Die winterlichen Berge waren bis in die Sechzigerjahre weitgehend un-zugängliche Wüsten. Mit dem Nationalgefühl wuchsen dort Frei-zeitoasen, die mittlerweile große Teile der Bergwelt überziehen. Aus Wüsten sind Lebensräume gewor-den. Doch zu ihrem einhundertsten Geburtstag 2055 wird die Nation neue Tourismusformen und zumindest teilweise auch ein neu-es Selbstverständnis brauchen. Ihre Davids werden nicht mehr Zwilling, sondern Alaba heißen und nicht mehr aus den Bergen, sondern aus anderen Ländern kommen.

Kommentar Editorial

Inhalt Der Mikrobiologie neue MethodenPorträt des Mikrobiologen Michael Wagner Omega-3-Fe� säuren von SchneckenGute Gründe, Schnecken zu essenOmega-3-Fe� säuren bei OperationenNeue Verfahren bei BruchoperationenWie kann man Emotionen messen?Neuer Forschungszweig: die Empathieforschung

Die Klimaverlierer in ZahlenDer Countdown zum ThemaKein Strom(kabel) aus der WüsteDer Anfang vom Ende von DESERTEC?Klimaverlierer in ÖsterreichWen triff t der Klimawandel am härtesten? Neue Immigranten in Österreich Von Neozoen und Neophyten im Land

Wasserspeicher sta� HochtälerKaunertal: Klimaschutz versus Umweltschutz Klimaverlierer in Österreich: Das Glossar Ein Überblick über wichtige Begriff e zum ThemaEine Akademie will in die Champions League Pläne der Österr. Akademie der Wissenscha� enGedicht, HEUREKA-Rätsel, Kommentar Stumm stehen die Dichter vor dem Klimawandel

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auch fähig wären, ihr Arbeitsgebiet der Öff entlichkeit allgemein verständ-lich zu erklären. Aber man kann es ih-nen nicht verübeln, wenn sie sich lie-ber ganz auf ihre Forschung konzent-rieren, statt ihre Karriere durch ander-weitiges Engagement zu gefährden. Solange das System bleibt, wie es ist, wird sich das nicht ändern.

Wissenschaft er müssen forschen, das ist klar. Aber Wissenschaft ist mehr als nur reine Forschung: Wis-sen muss auch vermittelt werden. Nur so kann am Ende die Gesamtgesell-

Wissenschaft soll kommunikativ sein C H R I S T I A N Z I L L N E R

schaft davon profi tieren. Wissen-schaft skommunikation muss also als das gesehen werden, was sie ist: Ein normaler und vor allem wichtiger Teil der wissenschaft li-chen Arbeit!

Finkenschlag Handgreifl iches von Tone Fink www.tonefi nk.at

Florian Freiste� er ist Astronom und Wissenscha� sautor in Jena und erfolgreicher Wissenscha� sblogger: h� p://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex

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Falter 47a/12 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschri� en GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 01/536 60-0, E: [email protected], www.falter.at Redaktion: Christian Zillner Produktion, Grafi k, Korrektur: Falter Verlagsges.m.b.H. GRAFIK: Cornelia Gleichweit, Raphael Moser LEKTORAT: Martina Paul FOTOREDAKTION: Karin Wasner Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Off enlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/off enlegung/falter ständig abru� ar.

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HEUREKA ist eine entgeltliche

Einschaltung in Form einer Medienkooperation mit

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Kopf im Bild

Jungforscherinnen

Der Mikrobiologie neue MethodenMichael Wagner, Leiter des Depart­ments für Mikrobielle Ökologie an der Uni Wien, zählt zu den zwanzig am häufigsten zitierten Mikrobiologen der Welt. Für sein aktuelles Projekt NITRICARE hat er im Vorjahr den mit 2,5 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant erhalten, die wichtigste Forschungsförderung der EU. Zur Analyse der Nitrifikation setzt Wagners Team neben molekularbiologischen Techniken auch Methoden wie das innovative Gerät NanoSIMS oder die Ramanmikrospektroskopie ein.

„So können wir wesentliche Eigenschaften der nitrifizierenden Mikroorganismen direkt in Umweltproben untersuchen“, erklärt der frischgebackene Präsident der International Society for Microbial Ecology. Die schwer zu untersuchenden Bakterien und Archaeen sind „global player“ im Stickstoffkreislauf der Erde. In der Abwasserreinigung und in der Landwirtschaft spielen sie eine große Rolle. „Nitrifizierende Organismen faszinieren mich schon seit meiner Doktorarbeit“, sagt der gebürtige Bayer. „Mein Ziel ist es, ihre Evolution, Physiologie und Ökologie besser verstehen zu lernen.“

T E x T : U S C h I S O R Z

F O T O : k A R I N W A S N E R

U S C h I S O R Z

K ürzlich stellten DoktorandInnen der Wiener Fakultät für Sozial-

wissenschaften ihre Projekte am „Tag des SOWI-Doktorats“ vor. Hier drei vielversprechende Beispiele.

Christian Rogler, 31, kultur­ und Sozialanthropologie„Im Endeffekt beforsche ich mein eigenes Arbeitsum-feld“, sagt Christian Rogler. Er durchleuchtet am Insti-tut für Kultur und Sozial-anthropologie im Rahmen eines DOC-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Arbeitsbedingungen sowie Wissenschafts- und Bildungs-begriffe in den Sozialwissenschaften. Sein Thema: „Kultur und sozialanth-ropologische Wissensproduktion und

-vermittlung im Kontext der neoliberalen Wissens-gesellschaft.“ Wie wirken sich aktuelle Veränderungen auf die – heute oftmals unter prekären Bedingungen forschenden – WissenschafterInnen aus? „Mir ist wichtig, sowohl die Perspektiven der betroffenen Wissenschafter Innen als

auch die ihrer Vorgesetzten und Fördergeber zu erfassen“, so Rogler, der seine Betrach-tungen nicht nur auf hei-mische Universitäten be-schränkt, sondern auch

internationale Positionen einbezieht.

Simone Schumann, 34, WissenschaftsforschungDie vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Technik und Gesellschaft haben Simone Schumann

schon während ihrer Magis-terarbeit zum Institutionali-sierungsprozess von Repro-

duktionstechnologien inter-essiert. Nun untersucht sie in

ihrer Doktorarbeit „Encountering Nanofood. How Austrian Citizens Appropriate an Emerging Tech-nology in the Field of Food and Nutrition“, wie Men-schen neue Nahrungsmit-teltechnologien in ihre Le-benswelt integrieren. „Da-bei geht es unter anderem um die Performanz und Neu-verhandlung von gesellschaftli-chen Werten und Normen, Diskursen und Praktiken, Erfahrungen und Er-wartungen“, so die Grazerin, die das Verhältnis von Essen und Technologie besonders spannend findet. „Bei dem Thema werde ich sicher auch nach meinem Doktorat bleiben.“

Anna Wanka, 25, Soziologie „Wer nicht hinausgeht, wird in der Gesellschaft unsichtbar“, sagt Anna Wanka. Was bedeutet es also für äl-tere Menschen, wenn sie sich immer mehr in ihre Wohnungen zurückzie-hen? Oder umgekehrt gefragt, welche

Bedingungen brauchen sie, da-mit sie doch hinausgehen und

am sozialen Leben teilneh-men? Fragen wie diese un-tersucht die junge Wienerin in ihrem Dissertationsvorha-ben „Withdrawal from Public

Space. Elderly Urban residents and the Social Practice of ,Go-

ing Out‘“. Zur Soziologie kam Wan-ka, weil sie Politikerin werden wollte. Den ersten Berufswunsch hat sie aber durch die Begegnung mit ihrer Diszi-plin revidiert. „Schon von der ersten Vorlesung an war mir klar, dass das hundertprozentig mein Fach ist.“ F

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Vom Hörsaal ins LaborDas BMVIT fördert Praktika für Studentinnen aus Technik und Naturwissenschaften

Gut bezahlte Praktika sind selten. Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) will das ändern. Das Ministerium ist mit dem Frauenanteil in den

Forschungsberufen nicht zufrieden. Daher startet es jetzt ein Projekt, das Forschungspraktika für Studentinnen fördert.

Praktika für den BerufseinstiegDas Programm des BMVIT ermöglicht 300 Frauen, erste fundierte Schritte im Bereich Forschung und Technik zu machen. Unternehmen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich werden finanziell unterstützt, wenn sie Praktika für Studentinnen anbieten, diese durchgängig beschäftigen und die Praktikantinnen durch eine qualifizierte Person betreuen. Darüber hinaus muss ein Monatsgehalt von mindestens 1.400 Euro brutto garantiert werden – und die Möglichkeit, persönliche Kontakte zu den ForscherInnen zu knüpfen. So gewinnen die Parktikantinnen Einblicke in die angewandte Forschung und Entwicklung sowie einen praktischen Bezug zu

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d i e t e r h ö n i g

A nlässlich des internationalen Symposiums „Innovations in Vis-

ceral Surgery“ am 2. und 3. Dezember im Linzer AKH werden neueste Stu-dienerkenntnisse aus den Benelux-Ländern zu Omega-3-beschichteten Netzen präsentiert. Die positive Wir-kung der Omega-3-Fettsäuren auf un-seren Körper ist mittlerweile wissen-schaftlich anerkannt: Stärkung des Immunsystems und Entzündungs-hemmung sind nur einige der Vortei-le. Nun sollen sie auch bei Bruchope-rationen zum Einsatz kommen.

„Die Sanierung eines Narben-, Na-bel- oder Leistenbruchs wird in hoch-spezialisierten Zentren zunehmend schon per Mini-Schlüsselloch-Tech-nik durchgeführt. Dabei arbeitet man narbenfrei ausschließlich durch den Nabel oder durch zwei zusätzliche, winzige Einstichöffnungen“, erklärt Symposiumsleiter Andreas Shamiyeh vom AKH Linz.

Um die Bruchpforte sicher zu ver-schließen, werden nun von einigen österreichischen Zentren neue, opti-mierte Polypropylennetze, mit Omega- 3-Fettsäuren beschichtet, ins Gewe-be eingesetzt. Denn der menschliche Körper nimmt, wie Studien aus dem In- und Ausland zeigen, die Omega- 3-Fettsäuren als Zellnahrung nach und nach wohldosiert auf. Das Netz wächst besser ein, Fremdkörpergefühle treten nicht auf und die Entzündungs-gefahr ist geringer.

Die innovativste Variante, ein dreidimensionales Netz, das sich der Organform optimal anpasst (C-Qur-CentrFX), soll diesen Effekt noch ver-stärken. Was auch der Leistenbruch-Experte René Fortelny vom Wilhelmi-nenspital Wien bestätigt. Für ihn stellt die Kombination von Schlüsselloch-Chirurgie und einem mit Omega-3- Fettsäuren beschichteten Netz die der-zeit verträglichste Form der Bruch-sanierung dar.

Fortelny ergänzt: „Optimal für den Patienten ist es, wenn zur Fixierung des Netzes auch ein spezieller Gewe-bekleber zum Einsatz kommt. Denn Metallclips können ein Fremdkörper-gefühl vermitteln und Nervenschädi-gungen mit chronischen Schmerzen verursachen. All das kann man dem Patienten in spezialisierten Zentren heute ersparen.“

Brief aus Brüssel

Studien belegen bessere Heilung von Bruchoperationen durch Omega-3- Fettsäuren

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A n j A S t e g m A i e r

Helix pomatia, die Weinberg-schnecke, ist uns im Alltag eher als lästige Gartenbewoh-

nerin bekannt. Dass diese Schalen-weichtiere aber seit der Altsteinzeit zu den wichtigsten Nahrungsmitteln der Menschen zählen, ist in Vergessenheit geraten. Dabei sind schon drei Stück so reich an Omega-3-Fettsäuren, dass damit die von der WHO empfohlenen 200 Milligramm für den täglichen Be-darf gedeckt sind.

Ernährungswissenschafter Daniel Reheis attestiert einem Großteil der westlichen Gesellschaft eine 95- prozentige Unterversorgung an T3, eines von zwei wichtigen fertigen Schilddrüsenhormonen, dessen Vor-läufer mit dem Schneckenfleisch auf-genommen werden können und die eine Schlüsselrolle in der mensch-lichen evolutionären Entwicklung darstellen.

Der Hauptnährwert der Schnecke besteht aus ihrem hohen Gehalt an Selen, Jod, Eisen und Zink und ist des-halb für uns Menschen eine wichtige Nahrungsquelle. Das Fleisch hat einen hohen Proteingehalt und eine für den Menschen optimale Fettsäurenzusam-mensetzung. Vor allem die Leber ist reich an den genannten Nährstoffen; leider wird sie, wie viele andere Inne-reien, oft entsorgt.

Neben Schnecken gehören auch Insek-ten auf den Speiseplan der Zukunft. Im Vergleich zur Masttierzucht von Rind oder Schwein sind Schnecken und Insekten sehr gute Futterverwer-ter. Sie brauchen wenig Platz, Futter und Wasser.

Bei Rindern hingegen werden fünf Kilogramm Futter und 14.000 Liter Trinkwasser für die Produktion von einem Kilogramm Fleisch benötigt. Weltweit stoßen Rinder 18 Prozent der Treibhausgase aus, das ist mehr als der gesamte Autoverkehr. 2050 soll laut Vorhersagen unser Fleisch- und Wurstkonsum auf das Doppel-te steigen.

Alles gute Gründe, einmal in der Woche vielleicht doch den Schne-cken den Vorzug zu geben. Aber Ob-acht: Freilebende Weinbergschnecken stehen heute fast in gesamt Mittel-europa unter Naturschutz und dür-fen nicht mehr gesammelt werden. Ein Besuch beim Schneckenbauer des Ver-trauens ist daher angeraten.

e m i l y W A l t o n

S eit wie vielen Kilos bist du schon in Brüssel?“ Diese Frage bekom-

men viele nach einer Weile in Belgien zu hören. Es ist der neckische, kleine Hinweis darauf, dass man während der Zeit in Europas Hauptstadt ein bisserl zugelegt hat. Der langen Ar-beitsstunden oder der (extrem) guten Parlamentskantine wegen. Vielleicht liegt es auch nur an den Waffeln und den Pralinen.

Bekommt man diesen Satz zu hö-ren, nimmt man ihn nicht zu persön-lich, zieht den Bauch ein – und ge-nießt weiter. Oder man nimmt sich vor, joggen zu gehen. Wenn denn das Wetter hier einmal schön wäre!

Um mich vor den Brüsseler Kilos zu wappnen, beschloss ich, selbst mehr zu kochen. Wenn ich mir selbst Mies-muscheln und Crêpes mache, würde ich die Zutaten kennen, vielleicht klei-nere Portionen essen, dachte ich. Bis ich feststellte, dass es mit den richti-gen Rezepten fast besser als im Res-taurant schmeckt. (Brüsseler Freun-de hatten mir zum Einstand ein bel-gisches Kochbuch geschenkt.)

Von Kochlaune gepackt, wollte ich in eine Küchenmaschine investieren und fuhr ins nächste Einkaufszent-rum. Der Elektrofachhandel sah aus wie bei uns. Der einzige Unterschied: Mangels Französisch- und Flämisch-kenntnissen konnte ich nur mit Hän-den und Füßen kommunizieren.

Zu Hause packte ich mein 36- teiliges Gerät aus (obwohl wir nicht dieselbe Sprache sprachen, schaffte es die Verkäuferin, mir eine Luxusmaschine anzudrehen.)

Gierig auf den ersten Milchshake, füllte ich den Behälter. Es tropfte. Der Krug leckte. Enttäuscht packte ich alle 36 Teile wieder in die Kis-te, eine größere Herausforderung als jedes Tetris-Spiel. Die Schachtel war etwas verbeult, trotzdem nahm man das gute Stück im Elektromarkt zu-rück. Der junge Mitarbeiter stellte mir eine Gutschrift aus, schickte mich in die Haushaltsabteilung, um mir ein neues Exemplar zu besorgen. Doch die gewünschte Maschine war nicht im Regal. Ausverkauft, sagte man mir zunächst.

Dann aber kam die Verkäuferin vom Vortag. „Warten Sie“, deutete sie mir. Sie glaube, es sei noch ein Gerät im Lagerraum. Ich wartete und war-tete – probierte Stabmixer und Kaf-feemaschinen aus –, bis sie mit einer Schachtel ankam. Es war meine ver-beulte Schachtel, man hatte sie zu-getackert und beklebt. Ich bedankte mich, so höflich ich es auf Französisch kann, stellte die Maschine aber ins Re-gal und dachte mir: Es wäre vielleicht doch besser und einfacher, in die Par-lamentskantine zu gehen.

ein Schnecken-züchter ihres Vertrauens: Andreas gugumuck

ernährungswissenschaft

Esst Schnecken! Sie liefern Eiweiß und leben im GartenSchnecken? Wäh – die essen nur kleine Kinder, wenn niemand aufpasst. Falsch: Weinbergschnecken waren nahrungsmittel

Medizin

Vor allem die Leber ist reich an Nährstoffen; leider wird sie, wie viele andere Innereien, oft entsorgt

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U s c h i s o r z

Schon lange denkt man in der Psychologie über jene Mecha-nismen nach, die uns in die

Lage versetzen, mit anderen mitzu-fühlen und mitunter sogar Fremd- vor Eigennutzen zu stellen. Warum tun wir das? Mit den heutigen technischen Möglichkeiten im Gepäck nähern sich die Neurowissenschaften dieser Frage an der Schnittstelle von Psychologie und Hirnforschung.

„Wir wollen den neuronalen Grundlagen prosozialen Verhaltens auf die Spur kommen. Auf dieser Ba-sis können später in der Anwendung gezieltere Interventionen gesetzt wer-den“, sagt Claus Lamm, seit 2010 Lei-ter der Abteilung für soziale, affekti-ve und kognitive Neurowissenschaf-ten (SCAN-Unit) an der Universität Wien. „Das ist ein extrem interdiszip-linäres Gebiet, das neben der Psycho-logie auch die Soziologie, Ökonomie oder Pharmakologie berührt.“

Mit Verfahren wie Magnetresonanzto-mografie, Elektroenzephalografie oder transkranieller Magnet stimulation lassen sich Zusammenhänge zwischen der Aktivität bestimmter Gehirnregio-nen und Entscheidungsprozessen her-stellen. Während Versuchspersonen in soziale Interaktionen verwickelt wer-den, können Forscher buchstäblich in ihre Köpfe spähen und auch unbe-wusste Vorgänge abbilden.

„soziales Verhalten wird von vielfälti-gen Entscheidungen bestimmt“, er-klärt Lamm, der zu den Pionieren der Empathieforschung zählt. In einer Studie wurden Menschen Schmerzrei-ze verabreicht, wobei andere zusahen. Bei den Beobachtern wurden ähnliche Bereiche im Gehirn aktiviert, als hät-ten sie selbst den Schmerz erlitten. „Körpergefühle werden in der anteri-oren Insel und im medialen zingulä-ren Kortex repräsentiert“, sagt Lamm.

neurowissenschaften

Wie kann man Emotionen messen?Welche neuronalen Netzwerke und Prozesse das menschliche sozialverhalten bestimmen, untersucht die Empathie-Forschung

„Emotionen haben eine starke körper-liche Komponente, so können sie den Puls in die Höhe treiben.“ Das Gehirn bemerke die Reaktion des Körpers auf die Emotion des anderen – so könne man sie am eigenen Leib fühlen.

Die akademische Psychologie setzt Empathie nicht mit Mitgefühl gleich. „Empathie ist nur das Sichhineinver-setzen in den anderen.“ Damit sie zu altruistischem Verhalten führt, muss Mitgefühl hinzukommen. Und Em-pathie kann es, muss es aber nicht zwangsläufig auslösen. „Sozio- oder

Psychopathen können auch empa-thisch sein, reagieren aber anders da-rauf als die Normalbevölkerung.“

Gerade hat Lamm mit seinem Team die Effekte der „Humanisierung“ un-tersucht. „Je mehr wir uns in die Ge-dankenwelt eines Menschen hinein-versetzt haben, desto eher sind wir be-reit, ihm zu helfen“, erklärt er. Versu-che hätten gezeigt, dass schon ganz einfache Überlegungen zu einer Per-son genügen, um sie als Individuum wahrzunehmen. Versuchspersonen wurden vor die Entscheidung gestellt, ob sie fünf Menschen durch Umlegen einer Weiche vor einem Zug retten würden, wenn auf dem anderen Gleis auch eine Person stände. Zuvor hu-manisierte Personen wurden deutlich weniger oft geopfert. „Der Konflikt zwischen Emotion und Kognition stresst enorm. Aber Rettungsmann-schaften stehen oft vor einem ähnli-chen Dilemma.“

Versuchspersonen werden in soziale Inter aktionen verwickelt, während Forscher in ihre Köpfe spähen und unbewusste Vorgänge abbilden

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klimaverlierer (in ÖsTerreich)

691 000 000 Euro hat Österreich bisher insgesamt für CO2- Zertifikate ausgegeben.

Heuer musste die Republik für 160 Millionen Euro Verschmutzungsrechte einkaufen.

120 000 000 Euro Schaden hat Österreichs Landwirtschaft 2012 durch Über-

schwemmungen, Frost, Dürre, Sturm und Hagel genommen.

4 000 000 Hektar Wald gibt es in Österreich, das sind 48 Prozent des Staatsgebietes. Die Hälfte

des Baumbestandes sind Fichten. Die Fichte reagiert am empfindlichsten auf Trockenheit und Temperaturanstieg.

70 000 Tierarten leben in Österreich. Amphibien, fast alle Reptilien sowie mehr als die Hälfte der Vögel und

Säugetiere sind vom Aussterben bedroht.

25 000 Schadensmeldungen verzeichnete die Hagel- versicherung Österreich bis 31. Juli 2012 wegen Wetter-

extremen. Das ist Rekord in der 65-jährigen Unternehmensgeschichte.

15 000 Kubikmeter Gestein sind am Rettenbachjoch in Sölden im August 2006 in die Tiefe gestürzt.

Die Ursache: aufgetauter Permafrostboden.

3106 Meter hoch ist der Rauriser Sonnblick. Der Gipfel muss mit Betonklammern gestützt werden, denn schwindender

Permafrost im Boden macht den Untergrund instabil.

2012 hat die Pasterze am Großglockner, Österreichs größtem Gletscher, im unteren Bereich 9 Meter an Eisdicke verloren.

2011 & 2003 waren Rekordschmelzjahre.

1700 Milliarden Tonnen organischen Kohlenstoff speichern Per-mafrostböden weltweit. Österreichs dauerhaft gefrorener

Boden setzt beim Auftauen neben CO2 hoch klimaschädigendes Methan frei.

1500 Meter über dem Meer: In dieser Höhe gelten Österreichs Skipisten nicht mehr als schneesicher. Künstliche

Beschneiung ist in dieser Höhenlage unrentabel.

1000 Liter Wasser sind für zwei bis drei Kubikmeter Kunst schnee nötig. Mehr als die Hälfte aller Skipisten in Österreich

werden beschneit.

542 Quadratkilometer betrug die Fläche der Gletscher in den Siebzigerjahren in Österreich. Derzeit gibt es noch rund

470 Quadratkilometer.

150 Höhenmeter wird die jetzige Baumgrenze im Gebirge nach oben wandern. Laut Experten steht der gesamte Wald vor einem

Umbruch.

80 Prozent der Erträge in der heimischen Landwirtschaft sind wetterabhängig.

69 Prozent der heimischen Fischarten sind bedroht. Neben Überfischung zählt auch veränderter Lebensraum zu den Ursachen.

67 Prozent des Umsatzes der Bio-Industrie werden im Supermarkt erzielt. Kleine Bioläden sind aus Österreichs Geschäftslandschaft

verschwunden.

62 Prozent der Österreicher gehen davon aus, dass es in den nächsten Jahren klimabedingt zu dramatischen Veränderungen und

Ereignissen im eigenen Land kommen wird.

55 Prozent des Energieverbrauchs eines Haushalts lassen sich bei einer umfassenden Sanierung einsparen. Der Sektor Raumwärme

verursacht 16 Prozent unserer Treibhausgasemissionen.

53 Der Platz, den Österreich laut Umweltorganisation German Watch im Ranking der Klimaverlierer unter allen Ländern belegt.

Auf Platz eins steht im langjährigen Vergleich Bangladesch.

40 Prozent der rund 3000 wild wachsenden Pflanzenarten in Österreich sind gefährdet.

34 Prozent der Energie will Österreich bis 2020 aus erneuer-baren Energien beziehen. Derzeit werden 71 Prozent des

Bruttoinlandsverbrauchs mit fossilen Energieträgern gedeckt.

27 Prozent aller wild wachsenden Pflanzen in Österreich sind „Exoten“, sogenannte Neophyten. Seit 1983 wächst das südafrika-

nische Greiskraut, seit 2011 die wärmeliebende Samtpappel bei uns.

20 Zentimeter kann der mehrjährige Gletscherhahnenfuß an Wuchs höhe erreichen. Die Hahnenfußart, die bis zur Schneegrenze

im Gebirge vorkommt, ist wie viele andere Alpenpflanzen vom Aussterben bedroht.

11 Milliarden Euro erwirtschaftete Österreich 2011 mit Wintersport-touristen. Jeder 14. Arbeitsplatz hängt am Wintersport.

4,9 globale Hektar verbraucht ein Mensch in Österreich im Durchschnitt mit seinem Lebenswandel. 1,8 globale Hektar

sind ökologisch vertretbar.

2 Grad mehr: Die Wassertemperatur der heimischen Seen wird bis zum Jahr 2050 um diesen Wert ansteigen.

Der Countdown zum Thema

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TITELKLIMAVERLIERER (IN ÖSTERREICH)

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Zu den Bildern

Der österreichische Künstler Wolfgang Bender bezeichnet seine Arbeitsweise gerne als Bild-Archäologie.Er bewegt sich thematisch zwischen den Polen der Fotografi e und der Malerei. Seine großformatigen Fotoprints bedeckt er mit Schichten von metallisch silberner Farbe, die er teilweise wieder abkratzt oder ausdünnt, wie er es nennt. Derzeit arbeitet Bender an einer neuen Werkreihe von Landscha� en und deren Bewohnern unter den Vorzeichen sich verändernder sozialer und klimatischer Bedingungen.

Zu seinem Verfahren meint er: „Die Überlagerung (mit Farbe) und das anschließende Freilegen von Teilen der Fotografi e bewirkt für mich auch immer eine Neuinterpretation von schon einmal Gesehenem. Das Bild, das langsam zum Vorschein kommt, ist auf jeden Fall immer anders als die Erinnerung, die ich von gewissen Vorstellungen zurzeit des Aufnehmens einer Fotografi e ha� e. Meine Wirklichkeit ist ein Amalgam von verschiedenen Zeiten.“

[email protected]

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Klimaverlierer (in österreich)10 F A L T E R 4 7 / 1 2 heureka

G u n n a r H e i n s o H n

Selbst Hartgesottene, die auf gemesse-ne Temperaturen schauen und ideo-logisch befrachtete Computermodelle

als zeitgemäße Religion für Gebildete ver-buchen, spüren den politischen Eros und die technologische Schönheit einer Elek-trizität aus orientalischen Sandmeeren für abendländische Kochherde.

Wenn die Energie von einer Minute Sonnenschein den irdischen Bedarf ein Jahr lang decken könnte, haben Träume über das Anzapfen dieser nie versiegenden Quelle alle Berechtigung, selbst wenn die Kosten die unsäglich surrenden Windmühlen noch in den Schatten stellen. 2003 kann deshalb der Club of Rome, den seine 1972er-Fehlprog-nosen über die „Grenzen des Wachstums“ ins Abseits bugsiert hatten, mit dem Projekt DESERTEC noch einmal begeistern.

Deutschlands Versicherungsriese Munich Re übernimmt die Federführung und holt am 13. Juli 2009 mit Siemens Europas bes-ten Technologiekonzern sowie als Geldma-nager die Deutsche Bank ins Boot. Auch in Österreich findet man Gefallen am Segen aus Arabien: Der Salzburger Johannes Zickler gründet im April 2012 seinen Ver-ein DESERTEC Austria.

Er hätte gewarnt sein können. Denn be-reits im Jänner 2012 stoppte das spanische

J o c H e n s t a d l e r

D urch die globale Erwärmung verschie-ben sich in Österreich die Lebensräu-

me der Pflanzen und Tiere in die Berge und nach Norden. Für wärmebedürftige Arten wie die Gottesanbeterin ist das kein Nach-teil, erklärt der Zoologe Wolfgang Rabitsch vom Umweltbundesamt: „Die Gottesanbete-rin ist bis vor Kurzem nur in Tieflagen vor-gekommen, doch im Zuge des Klimawan-dels breitet sie sich nach oben hin aus.“

In der Steiermark sei sie seit Neuestem schon auf über 1000 Metern Seehöhe zu fin-den. Dort trifft sie auf eingesessene Arten, die durch die neue Konkurrenz benachteiligt oder verdrängt werden könnten. Ihnen bleibt oft nichts anderes übrig, als in Richtung Gip-fel auszuweichen. „Doch irgendwann ist der Berg aus, und dann können sie nicht mehr weiter nach oben wandern“, so Rabitsch, „es besteht die Gefahr ihres Aussterbens“.

„Es ist nicht nur am Gipfel Schluss, die Fläche wird auch nach oben hin kleiner, da Berge kegelförmig sind“, so Stefan Dullinger vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der

Kein Strom(kabel) aus der Wüstespanien verweigert desertec stromleitungen aus der Wüste nach europa – siemens und Bosch steigen aus

Industrieministerium Subventionen für die nationale Einspeisung von Strom aus Fo-tozellen und Metallspiegeln. Während die Führungen in Wien und Berlin ihre Bürger unter überteuertem Strom noch eine Wei-le keuchen lassen können, ist es damit im bankrotten Spanien vorbei.

Ein beredtes Omen. Denn so viel weniger Sonne als Nordafrika hat der iberische Sü-den auch nicht, und dessen Stromertrag will man in den marokkanischen Markt drücken. Deshalb lässt Madrid DESERTEC nicht in seine kostbaren Leitungen über die Straße von Gibraltar. Doch den schwersten Schlag empfängt das Konsortium am 5. Novem-ber 2012: Siemens steigt aus. Zu lange er-lagen die Münchner den Prophezeiungen ih-rer Ökovorstände über die alsbaldige Unbe-zahlbarkeit von Erdgas und Erdöl.

Doch nachdem 800 Millionen Euro für die Solarsparte in den Sand gesetzt wur-den, wird das Fallen der Gaspreise einge-standen. Deutschlands Spitzenkonzern ge-rät ins Trudeln: Erst schlägt ihm Berlin die nukleare Weltmarktführerschaft per Gesetz aus der Hand, dann zeigt ihm der Markt selbst die Aussichtslosigkeit der von Berlin vorgeschriebenen Sonne.

Und doch dürften Siemens und die am 13. November abgesprungene Bosch-GmbH

noch dankbar sein, nicht mehr den Strom vom Himmel holen zu müssen. Denn als am 29. Oktober Hurrikan ,Sandy‘ New York und New Jersey traf, begriff die Welt einmal mehr, dass bei Extremwetter nur Systeme helfen, die stets verfügbar und sekunden-schnell einschaltbar sind. Muss man über-schwemmte Gebiete leer pumpen, kann man nicht bis zum nächsten Monat auf Sonnen-licht warten. Firmen, die wegen zerstörter Überlandleitungen ihre Lieferkontrakte nicht einhalten können, wollen nicht noch einmal aus dem Geschäft fliegen. So setzen sie auf feste Gasleitungen, Dieselgenerato-ren und Minireaktoren – auf Anlagen also, die selbst im Normalfall zusätzlich und kos-tenverdoppelnd in Reserve stehen müssen, wenn Alternativenergie siegen soll.

Wer also nicht für alle Zeiten zweifach be-zahlen kann, kippt aus der Weltspitze. Des-halb sei hier die Wette gewagt, dass die Spa-nier auch Berlin und Wien in ihre Verzichts-spur zwingen werden. Bis 2060 lassen zu wenige Kluge, zahllose Alte und jede Men-ge Schulversager Deutschland (von fünf auf zehn) und Österreich (von 27 auf unter 50) die Weltrangliste herabpurzeln (laut OECD, 9. November 2012). Für das Bezahlen dop-pelter Strompreise ist an Rhein und Donau dann ohnehin niemand mehr da.

Am Gipfel ist für alle Arten SchlussWer vertreibt wen? Wer weicht wohin aus? Warum Pflanzen und tiere in den Himmel steigen

Universität Wien. Außerdem würden sie oft mit zunehmender Höhe felsig und seien aus Schutt; durchwurzelbare Böden sind nur noch fragmentarisch ausgebildet – und die für Pflanzen besiedelbare Fläche schrumpft weiter. Je kleiner die bewohnte Fläche sei, umso größer wäre das Risiko, dass eine Stö-rung wie der Befall mit einem Krankheits-erreger oder ein mächtiger Steinschlag die Population vernichtet, warnt Dullinger.

in einer studie des umweltbundesamts hät-te man einige hundert Pflanzen- und Tier-arten gefunden, die es nur in Österreich gibt, so Rabitsch. Viele davon leben über der Waldgrenze, etwa in Hochgebirgsra-sen. Wandert der Wald durch die Klima-erwärmung nach oben, verlieren sie ihren Lebensraum. „Sie sind durch den Klima-wandel besonders gefährdet, denn wenn sie in Österreich aussterben, sind sie weltweit ausgestorben“, erklärt er.

Auch Vögel wie der Wasserpieper, der auf Almmatten lebt, hätten ein Problem da-mit, dass der Wald höher rückt, beobachtet

Hans Winkler vom Department für Inte-grative Biologie und Evolution am Konrad- Lorenz-Institut für Vergleichende Verhal-tensforschung: „Aber das tut er nicht nur wegen des Klimas, sondern auch wegen ver-minderter Beweidung und Veränderungen in der Landwirtschaft.“

Für Arten, die auf offene Lebensräume wie Almwiesen angewiesen sind, wäre es sinnvoll, „eine nicht übertrieben intensive Almwirtschaft aufrecht zu erhalten“, meint Dullinger. Außerdem müsse man vor allem im Tiefland Migrationskorridore für Pflan-zen und Tiere einrichten.

„Das Problem ist, dass in der Europä-ischen Union durch die intensive Land-wirtschaft die Ausweichräume fehlen“, sagt Winkler. Doch immerhin stünde die Vernet-zung der Lebensräume mithilfe der soge-nannten „grünen Infrastruktur“ relativ weit oben auf der EU-Agenda, sagt Rabitsch.

Die Umsetzung sei freilich nicht immer einfach, vor allem deswegen, weil sie nicht nur in einzelnen Ländern, sondern europa-weit geschehen muss. F

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Gunnar Heinsohn ist Soziologe und Ökonom

„Hier sei die Wette gewagt, dass die Spanier auch Berlin und Wien in ihre Verzichtsspur zwingen werden.“G u n n a r H e i n s o H n

„Es ist nicht nur am Gipfel Schluss, die Fläche wird auch nach oben hin kleiner, da die Berge kegelförmig sind.“Stefan Dullinger, Universität Wien

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Grafikkabinett Püribauers Tierversuche Haidingers Hort der Wissenschaft

Freihandbibliothek Buchtipps von Emily Walton

Wenn Badeenten baden gehenWas passiert, wenn ein Frachtschiff einige Container mit Badespielzeug verliert? Enten, Frösche und Co. treiben auf hoher See, werden irgendwann angeschwemmt – und später für teures Geld versteigert. Donovan Hohn wollte mehr über die Rei-se der Badetiere wissen, die 1992 von Bord gingen. In seinem Buch geht es um weit mehr als Spielzeug: Er führt seine Leser von chinesischen Spielzeugfabriken bis zu arktischen Forschern.

Moby-Duck: The True Story of 28,800 Bath Toys Lost at Sea and of the Beachcombers, Oceano-graphers, Environmentalists, and Fools, Inclu-ding the Author, Who Went in Search of Them. Donovan Hohn. Viking Adult. 416 S.

Sonnenfreundliche Staatsmänner? Ressourcen-Management ist Kernaufgabe jedes Einzelnen, sollte aber auch ganz oben auf der Agenda der Politiker stehen. Denn die Politik wird in Zukunft nicht an öko-logischen Themen vorbeikommen, mahnt Autor Richard Muller, da sie Außenpolitik und -handel prägen. Umso wichtiger ist es, dass die Verantwortlichen wissen, wohin es mit unseren Ressourcen geht. Werden sich Solar- und Windenergie durchsetzen? Wie wird sich die Atomenergie entwickeln? Die-ses Buch versucht Antworten zu geben.

Energy for Future Presidents: The Science Be-hind the Headlines. Richard Muller. Norton. 350 S.

Wir alle sind VersagerJeder weiß es, doch keiner tut etwas dage-gen: Mit unserem Lebensstil fahren wir die Erde und damit uns selbst an die Wand. In seinem Buch „A Perfect Moral Storm“ zer-pflückt der Philosoph Stephen Gardiner die zu oft gehörten Ausreden, die längst nicht mehr glaubhaft klingen, und stellt Politiker, Institutionen und die Gesellschaft im All-gemeinen an den Pranger. Und er mahnt, dass es in höchstem Grad unmoralisch sei, Klimawandel auf die Nachkommenden und Anderen abzuwälzen und stets auf später zu verschieben.

A Perfect Moral Storm: The Ethical Tragedy of Climate Change. Stephen Gardiner. Oxford University Press. 512 S.

Humorvolle Pointen Die Themen Erderwärmung und Klima-wandel sind viel zu ernst, um sich darü-ber lustig zu machen. Umso überraschender scheint es, dass ausgerechnet der britische Komiker Ben Elton sich immer wieder mit diesen Themen auseinandersetzt. Und das ist gut so: Denn mit gezielten Pointen und intelligentem Humor gibt der Autor Denk-anstöße. In seinem Roman ist unser Pla-net längst kaputt und die Menschen planen, unter einer großen Käseglocke zu leben. Ein abschreckender, unlustiger Gedanke.

This Other Eden. Ben Elton. Black Swan. 400 S.

M A r T I n H A I D I n g E r

Als Eis wie HolzGleichsam schmolz …

S o könnte die Ode, oder besser das Lamento eines Walther oder Oswald

von Wolkenstein beginnen, das von einem fundamentalen Wandel im Leben der Men-schen berichtet. Sie hätten schon damals, im europäischen Mittelalter, recht gehabt, denn das war das sogenannte Klima optimum, et-was profan auch „mittelalterliche Warmzeit“ genannt.

Damals lag durch geheimnisvolle Sonnen aktivitäten das Durchschnittsklima um zwei Grad über jenem der Spätantike. Die nordischen Eisschluchten zogen sich zurück und verhalfen Wickie und den star-ken Männern zu einem fruchtbarer werden-den Nordland, das andererseits auch dem darob gut genährten schrecklichen Sven und seinen Wikingerkumpeln Raubzüge durch Europa ermöglichte.

Am Ende des Mittelalters kam dann die kleine Eiszeit über die Welt und trollte sich erst wieder gegen 1900. Und jetzt befinden wir uns gerade wieder auf dem Weg zurück in die Erwärmung.

Wer ist schuld daran? Die Sonne, der (gar nicht so) liebe Gott, die giftigen Fla-tulenzen weidenden Nutzviehs oder doch die Industrie?

Die Gewalt der Elemente ist ein Sinn-bild für alles, was wir fürchten, und tat-sächlich bangen wir hierzulande mit unse-ren gleißenden Gletschern und wallenden Wäldern um Filetstücke unserer österreichi-schen Identität. Nun sind die Gletscher, so-gar ganz hoch droben auf der Pasterze, im letzten Jahr wieder stark geschmolzen.

Wo sie zurückweichen, bilden sich Seen aus Schmelzwasser, und diese können ge-fährlich werden.

Auch wenn der Mensch vielleicht nicht allein der böse Bube ist – einen gewissen Anteil an der Erwärmung hat er sicher, sagen die wissenschaftlichen Wetterfrösche der mete-orologischen Zentralanstalt auf der Wiener Hohen Warte.

Akribische Schweizer wiederum haben ausgerechnet, dass die Erwärmung der europäischen Nadelwälder in den nächs-ten neunzig Jahren einen wirtschaftlichen Schaden von mehreren hundert Milliarden Euro anrichten wird.

Denn wenn die 30-Meter-Holzlieferan-tin namens Fichte sich verzieht und Tape-tenwechsel im allerhöchsten Norden sucht, bleibt für unsereins nur noch die kümmer-liche mediterrane Korkeiche. Und an ihr kann man höchstens noch eine Hängematte befestigen, aber keinen grünen Wirtschafts-zweig erwarten.

Schmelzeffekt und Fichte

Martin Haidinger ist Historiker,

Wissenschafts­journalist bei Ö1 und

Staatspreisträger für Wissenschafts­

journalismus

I L L u S T r A T I O n :

B E r n D P ü r I B A u E r

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KLIMAVERLIERER (IN ÖSTERREICH)12 F A L T E R 4 7 / 1 2 HEUREKA

mehr Platz bieten, damit sie sich ausdehnen können. Die alte Methode – wir kanalisie-ren von der Quelle bis zum Schwarzen Meer – hat nicht funktioniert, sondern zu erhöh-ten Geschwindigkeiten und noch stärkeren Hochwässern geführt.“

Als nachhaltig für den Hochwasser-schutz bezeichnet er eine striktere Raum-ordnung. Teilweise wird diese auch Rück-bauten fordern müssen, um zu Überfl u-tungsfl ächen und zu einer Steigerung des Rückhaltevermögens des Bodens zu kom-men. Dies lässt sich durch einen höheren Humusanteil und eine geringere Verdich-tung schaff en.

Wird Österreich wesentlich trockener werden?Ein erhöhtes Rückhaltevermögen des Bo-dens würde sich bei Hochwasser, aber auch in Trockenperioden bezahlt machen. Die steigenden Temperaturen werden, da sind sich Hofstätter und Schöner sicher, die Niederschlagshäufi gkeit im Sommer sen-ken. Die beiden Forscher gehen auch da-von aus, dass das Niederschlagsvolumen bei einzelnen Ereignissen zunehmen könnte, weisen aber darauf hin, dass hinter dieser Annahme viele Fragezeichen stehen. Weder für unsere Trinkwasserversorgung noch für die Stromerzeugung werden diese Trocken-perioden längerfristig problematisch sein.

Dies gilt jedoch nicht für die Landwirt-schaft . Vor allem im Osten Österreichs kämpft sie schon jetzt gelegentlich mit Dürre perioden. Doch auch darauf könne man sich einstellen, erklärt Willi Haas: „Zu-künft ige Wasserknappheit lässt sich durch den Einsatz effi zienterer Bewässerungs-systeme bewältigen. Das setzt die eff ektive Verbreitung von Wissen darüber voraus, welche Pfl anzen in welchen Phasen wie viel Wasser brauchen.“ Mittelfristig wer-den die Landwirte wohl nicht umhin kom-men, ihre Fruchtfolgen und Pfl anzensorten an die sich nun rascher wechselnden Bedin-gungen anzupassen.

Die hohen Temperaturen führen in der Land- und Forstwirtschaft zu neuartigem und potenziell stärkerem Schädlingsbefall. Unklar ist, wie die steigenden Temperatu-ren die Qualität der Gewässer beeinfl ussen und wie sie sich auf die Pegelstände der von der Schiff fahrt genutzten Gewässer auswir-ken werden.

Die Österreicher geraten in HitzestressDie steigenden Sommertemperaturen wer-den zu mehr Hitzestress bei der Bevölke-rung führen. Während der Hitzewelle im August 2003 in Frankreich erhöhte sich die Sterblichkeitsrate um 55 Prozent, es kam zu über 14.000 Todesfällen. Beson-ders betroff en sind ältere Menschen, Kinder und Kranke. „Es gibt natürlich Gebiete, die

werden instabil. Bereits bestehende Gebäu-de müssen oft mit großen Mengen Stahl-beton gesichert, einzelne Hütten sogar auf-gegeben werden.

Die Zahl der gefährlichen Bergzonen steigtDurch den Klimawandel sind größere Tei-le des Gebirgsmassivs von natürlicher Ero-sion betroff en. Dadurch werden Gesteins-massen ins Rollen kommen und Felsstür-ze zunehmen – damit wächst auch die Zahl alpiner Gefährdungszonen. Die Folgen der steigenden Schneefallgrenze werden in der Form von Hochwasser auch noch in voral-pinen Regionen spürbar sein. Erwin May-er macht dafür den „Klospülungseff ekt“ verantwortlich: Die winterlichen Nieder-schläge in Form von Schnee und Eis fi elen bislang auf schnee- und eisbedeckte Flä-chen und wurden dort sofort gebunden. Die Gletscherschmelze und das Abtauen der Schneemassen setzten diesen Nieder-schlag langsam in unsere Gewässer frei. Das führte zu einer „relativen Glättung der Pegelstände“.

Je geringer die Gletschermasse und je hö-her die Schneefallgrenze, desto mehr Win-terniederschlag fällt – als Regen – bis hin-auf auf 2000 oder 3000 Meter. Und desto schneller fl ießt das Wasser wieder in die Täler ab, was den Pegelstand der Gewäs-ser binnen weniger Stunden drastisch stei-gen lässt. Erwin Mayer folgert daher: „Die sinkende Schneebedeckungsdauer führt zu einer Tendenz, dass Überfl utungen wie im Kärntner Drautal öft er auft reten werden.“ Auch Wolfgang Schöner hält es für wahr-scheinlich, dass weniger Niederschlag in Form von Schnee fallen wird. Darüber hi-naus rechnet er mit einer Niederschlagszu-nahme im Winter.

Wer leidet unter Steinschlag und Hochwasser?Wen Steinschläge oder Hochwasser treff en, hängt auch davon ab, wo man lebt. In den gefährdeten Lagen fi ndet man vor allem einkommensschwächere Haushalte, was Erwin Mayer auf die niedrigeren Grund-stückspreise zurückführt. Dass dort über-haupt gebaut werden durft e, liegt daran, dass Raumplanung und Festlegung von Ge-fährdungszonen lange Zeit in lokaler Kom-petenz lagen. Gemeinden standen so vor ei-nem Dilemma: Gefährdete Gebiete zur Be-bauung freigeben, um über die Einwohner-zahl mehr Kommunalsteuer zu generieren, oder auf Wachstum verzichten und Sicher-heitsbedenken den Vorzug geben?

Dennoch sieht Mayer die Bemühungen im Hochwasserschutz auf einem guten Weg – hier sei vor allem das Hochwasser von 2002 besonders lehrreich gewesen und hätte zu einem Umdenken geführt: „Man muss den Flüssen zwischen den Gemeinden

Klimaverlierer in Österreich

Willi Haas, Sozial-ökologe, IFF Wien:„Wenn wir in den nächsten Jahren nicht unsere Handlungs-fähigkeit drastisch erhöhen, haben wir in den nächsten zehn Jahren noch kein Problem. Danach werden wir aber zu einer von Klimafolgen getriebenen Gesellscha� mit drastisch reduzierten Handlungsspielräumen.“

Der Klima-wandel steht nicht bevor, wir sind bereits mi� en drin. Auch in Österreich

W E R N E R S T U R M B E R G E R

Noch halten sich die Auswirkungen des Klimawandels in Österreich in Grenzen. Sie werden ab der Hälft e dieses Jahrhunderts ver-

stärkt spürbar werden. Die Veränderung bei Temperatur und Niederschlag gehen weiter, wir werden uns dem anpassen müssen.

„In Anbetracht von Ereignissen wie ,Sandy‘ entsteht momentan der Eindruck, wir seien die Insel der Seligen. Dem ist nicht so“, warnt Erwin Mayer, Ökonom der Umweltagentur denkstatt, vor den Fol-gen des Klimawandels in Österreich. Auch wenn uns Katastrophen wie ,Sandy‘ gegen-wärtig erspart bleiben, ist der Klimawan-del in Österreich wie im gesamten Alpen-raum bereits deutlich ausgeprägt“, erklärt Michael Hofstätter, Klimaforscher an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geo-dynamik: „Im Großraum der Alpen haben wir seit der Industriellen Revolution einen Temperaturanstieg von plus 1,6 Grad, wäh-rend er im globalen Mittel nur bei etwa 0,8 Grad liegt. Zwischen 1860 und 1930 haben sich die Temperaturen nur wenig geändert. Einen deutlichen Temperaturanstieg kann man erst ab Mitte des letzten Jahrhunderts und ganz massiv ab 1980 ausmachen.“

Die Schneefallgrenze ist um 160 Meter gestiegenDie Drastik dieses Vorgangs wird besonders augenscheinlich, wenn man den Tempera-turanstieg in die Höhe der Schneefallgren-ze übersetzt. Folgt man Michael Hofstätter, gilt die Formel, dass für ein Grad Erwär-mung die Schneefallgrenze um hundert Me-ter nach oben wandert – in den letzten Jahr-zehnten um 160 Meter. Dies hat Auswir-kungen auf die Gletscher: Sie befi nden sich weiterhin auf dem Rückzug.

Für Erwin Mayer ist ein völlig gletscher-freies Österreich bis zur Jahrhundertwen-de kein gänzlich unrealistisches Szenario: „Die Alpen waren schon ohne menschli-ches Zutun gletscherfrei – dieses Mal hät-te es aber klare anthropogene Ursachen.“ Ökonomisch betrachtet, betriff t die Tempe-raturerwärmung vor allem den Wintertou-rismus: Es steigt die Schneefallgrenze, auch ist mit einer früheren Schneeschmelze zu rechnen, wie Wolfgang Schöner, Klimafol-genforscher an der Zentralanstalt für Me-teorologie und Geodynamik, erläutert. Das reduziert die Anzahl der möglichen Skipis-ten sowie die Dauer der Saison. Besonders betroff en sind vor allem Wintersportorte in niedrigen und mittleren Lagen. Mit der Schneefallgrenze steigt auch die des Dau-erfrostbodens. Das macht es schwieriger, Gebäude und Infrastruktur in hochgelege-nen Regionen zu errichten. Was ehemals als „Zement der Alpen“ bekannt war, ist als Fundament kaum mehr geeignet. Fel-sen, die nicht mehr durch den Dauerfrost geschützt sind, beginnen zu erodieren und

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Klimaverlierer (in österreich)heureka F A L T E R 4 7 / 1 2 13

­Fällen­aber­wird­es­reichen,­mehr­Grünflä­chen­zu­schaffen­und­Fassaden­und­­Dächer­zu­begrünen,­um­spürbar­für­Kühlung­zu­sorgen.

Afrikas Erde den Chinesen und EuropäernEs­wächst­die­Gruppe­der­Menschen,­die­dem­ Klimawandel­ nicht­ durch­ Anpas­sung,­sondern­nur­mit­Absiedlung­begeg­nen­kann.­Für­viele­bedeutet­dies­den­Ab­schied­aus­ihrer­Heimat.­Vor­allem­Gebie­te­in­Afrika­sind­massiv­von­Dürre­und­Bo­denerosion­betroffen.­Dennoch­sichern­sich­chinesische­und­europäische­Unternehmen­hier­fruchtbares­Land­für­die­Produktion­von­Nahrungsmitteln­und­Agrartreibstof­fen­–­Flächen,­die­der­Nahrungsmittelpro­duktion­für­die­lokale­Bevölkerung­­vor­enthalten­bleiben.­Ein­Szenario,­das­an­die­große­irische­Hungersnot­zwischen­1845­und­ 1849­ erinnert:­ Missernten,­ Export­von­Nahrungsmitteln­–­und­ein­folgender­Massenexodus.­

„Laut­Schätzungen­des­Environmental­Change­Institute­der­Universität­Oxford­gibt­es­im­Moment­50­Millionen­durch­Umwelt­und­Klima­bedingte­Flüchtlinge­weltweit.­Im­Jahr­2050­wird­diese­Zahl­auf­rund­200­Millionen­steigen.­Die­sozialen­Folgen­des­Klimawandels­lassen­sich­noch­schwer­ab­schätzen,­da­diese­von­dessen­Ausmaß­ab­hängen­werden.­Aber­nicht­nur­für­Öster­reich,­sondern­für­ganz­Europa­wird­das­Thema­Klimaflüchtlinge­ganz­zentral­sein“,­sagt­Adam­Pawloff,­Politikwissenschafter­an­der­BOKU­Wien.­Die­größten­Verlierer­des­Klimawandels­in­Österreich­sind­also­jene,­die­sich­auf­den­Weg­hierher­machen.­

Österreich versagt bei der Einhaltung der KlimazieleFür­Adam­Pawloff­stößt­das­Modell­Natio­nalstaat­im­Zuge­des­Klimawandels­an­sei­ne­Grenzen.­Das­beständige­Scheitern­in­ternationaler­Klimaverhandlungen­bestätigt­ihn­in­dieser­Sicht:­„Da­gibt­es­natürlich­aufgrund­sehr­unterschiedlicher,­nationaler­Ausgangslagen­sehr­unterschiedliche­Inter­essen.­Bis­jetzt­hat­man­es­nicht­geschafft,­zu­globalen­Entscheidungen­zu­kommen­und­effektive­Maßnahmen­zu­setzen.“­

Die­oberste­Direktive­der­Klimafolgen­bearbeitung­laute­noch­immer:­so­­viele­Emis­sionen­wie­möglich­einsparen,­um­zukünfti­ge­Generationen­vor­noch­größeren­Folgen­des­Klimawandels­zu­bewahren.­„CO2­wirkt­sehr­langfristig.­Wenn­wir­jetzt­eine­Ände­rung­setzen,­dann­wirkt­sie­erst­in­50­oder­60­Jahren“,­sagt­Schöner.­„Das­erscheint­so­weit­weg,­dass­es­in­der­wirtschaftlichen­und­politischen­Planung­oft­nicht­berücksichtigt­wird­und­kein­Umdenken­zu­längerfristigen­Perspektiven­auslöst.“

Erwin­ Mayer­ resümiert­ die­ heimi­sche­Klimaschutzpolitik­so:­„Wir­haben­in­

­Österreich­ein­sehr­niedriges­Emissions­reduktionsziel­und­keine­Ambitionen,­ein­höheres­zu­setzen.­Man­übernimmt­nur­das,­was­man­in­Brüssel­nicht­verhindern­konn­te.“­Auch­Willi­Haas’­Fazit­fällt­kritisch­aus:­„Von­seiten­der­Bundesregierung­ist­hier­nur­wenig­Interesse­zu­bemerken,­sich­mit­die­sem­Thema­zu­beschäftigen.­­Österreich­ist­bei­der­Einhaltung­der­­Klimaziele­alles­an­dere­als­wegweisend.“

Willi­Haas­bemängelt­auch,­dass­unser­Gesundheitssystem­nicht­darauf­vorberei­tet­ist,­betroffene­Menschen­über­Gefahren­zu­informieren­und­bei­Bedarf­zu­unterstüt­zen­–­etwa­im­Falle­von­Hitzewellen.­Adam­Pawloff­regt­an,­sich­um­die­Errichtung­ei­nes­Netzwerks­ von­Katastrophenschutz­

zentren­ zu­ bemühen,­ damit­ im­ Ernst­fall­Einsätze­ effektiv­ koordiniert­werden­können.­

Für­Erwin­Mayer­knüpft­sich­daran­auch­die­Frage­nach­den­Kosten­von­Klimafol­gen.­Im­Fall­von­Extremphänomenen­wie­Hochwasserkatastrophen­werden­diese­in­der­Regel­aus­dem­allgemeinen­Budget­über­einen­Zuschuss­aus­dem­Katastrophenfond­finanziert.­Alternativ­könnte­er­sich­vor­stellen,­einen­Topf­zu­schaffen,­der­stär­ker­das­Verursacher­Prinzip­berücksichtigt:­„Das­heißt,­je­mehr­CO2­jemand­ausstößt,­desto­mehr­müsste­er­in­den­Topf­einzah­len.­Das­würde­auch­einen­sozialen­Aus­gleich­schaffen.“­

Der­Klimawandel­stellt­jedoch­nicht­nur­die­Politik,­sondern­auch­die­Wissenschaft­vor­schwierige­Aufgaben.­Sie­muss­neue­Klimamodelle­ entwickeln,­ die­ genauere­Aussagen­über­regionale­Auswirkungen­zu­lassen.­Dieses­Wissen­kann­genutzt­werden,­um­sozial­ökologische­Systeme­auf­ihre­An­fälligkeit­gegenüber­klimatischen­Verände­rungen­zu­untersuchen.­Willi­Haas­meint­darüber­hinaus,­dass­man­in­vielen­Berei­chen­schon­wüsste,­was­zu­tun­sei.­Es­feh­le­jedoch­der­auf­Kurzfristigkeit­ausgerich­teten­Politik­der­Anreiz,­dieses­Wissen­zur­Vermeidung­langfristiger­Nachteile­umzu­setzen.­„Es­ist­sehr­wichtig­zu­schauen,­was­die­Bedingungen­derzeitigen­Handelns­sind­und­was­sich­an­­diesen­ändern­müsste,­da­mit­Reaktionen­auf­den­Klimawandel­ent­schieden­und­­effektiv­ausfallen.“

­mikroklimatisch­besonders­ungünstig­sind.­Dort­gibt­es­sehr­wenig­Grünraum,­dafür­vermehrt­Luftstauzonen,­es­herrscht­ein­ge­ringer­Luftdurchzug.­In­diesen­­Stauzonen­kann­sich­warme­Luft­besonders­­lange­hal­ten.­Wenn­dort­ältere­Menschen­wohnen,­kann­es­kritisch­werden“,­führt­Willi­Haas­aus.­

Es­werden­daher­vor­allem­die­Städte­be­sonders­stark­unter­den­steigenden­Tempe­raturen­leiden.­Erwin­Mayer­erklärt­das­so:­„Es­gibt­einen­Hitzeinseleffekt.­Beton­ist­eine­riesige­Speichermasse,­nimmt­sehr­viel­Energie­auf­und­gibt­sie­erst­langsam­wie­der­ab.­Das­heißt,­die­Hitzeperioden­werden­in­den­Städten­noch­dramatischer­sein­als­am­Land.“­Die­Zahl­aufeinanderfolgender­Tropennächte,­also­jener­Nächte,­in­denen­die­Temperatur­nicht­unter­20­Grad­Cel­sius­fällt,­werden­infolge­mangelnder­Ab­kühlungsperioden­zunehmen.­Abkühlung­lässt­sich­mit­Klimaanlagen­erreichen.­Da­mit­würde­aber­unser­Energiebedarf­steigen.­Einsparungen­durch­kürzere­Heizperioden­werden­durch­die­Kosten­der­Klimaanlagen­deutlich­überkompensiert.

Der Klospülungseffekt in den StädtenNicht­nur­aufgrund­der­CO2­Emissionen­ist­eine­Zukunft­mit­weniger­Autos­erstre­benswert:­„Je­weniger­motorisierter­Indi­vidualverkehr­ im­ urbanen­ Raum,­ desto­mehr­Möglichkeiten­gibt­es,­mikroklima­tische­Verbesserungen­herbeizuführen“,­er­klärt­Willi­Haas.­„Dazu­braucht­man­ge­staltbaren­Raum,­der­ohne­größere­Kon­flikte­zur­Verfügung­steht.­Hier­können­Sy­nergien­von­Anpassung­und­Klimaschutz­hergestellt­werden.“­

Die­Idee:­Kühlung­nicht­durch­techni­sche­Anlagen,­sondern­durch­die­Errichtung­von­Grünflächen­anstelle­von­Straßen­oder­Stellplätzen.­Das­ brächte­ natürliche­Be­schattung­ebenso­wie­­Verdunstungskühle,­erläutert­Erwin­Mayer.­„Wie­wir­das­von­unserer­eigenen­Haut­kennen,­ist­die­Ver­dunstung­von­Wasser­ein­effizientes­und­billiges­Kühlmittel­–­besser­als­jede­Kühl­anlage­im­Sommer.­Wenn­wir­das­Wasser­länger­in­der­Stadt­halten­und­damit­einen­Verdunstungsprozess­auslösen,­können­wir­die­Stadt­massiv­kühlen.“­

Für­die­Stadt­gilt­schon­jetzt,­was­uns­in­den­Alpen­vermehrt­bevorsteht:­der­Klo­spülungseffekt.­Durch­die­Versiegelung­der­städtischen­Oberfläche­bleibt­der­Nieder­schlag­als­mögliches­Kühlmittel­nie­lange­in­der­Stadt,­sondern­wird­über­Kanäle­rasch­abgeleitet.­Es­gelte­daher,­mehr­Biomas­se­in­die­Stadt­zu­bringen,­um­so­Wasser­für­die­Verdunstung­speichern­zu­können.­Das­kann­spektakulär­sein­wie­die­vertika­len­Gärten­des­Botanikers­und­Künstlers­­Patrick­ Blanc­ im­ Innenhof­ des­ Sofitel­Hotels­ am­Donaukanal.­ In­ den­meisten­

Klimaverlierer in Österreich

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Adam Pawloff, Politikwissenschaf-ter, BOKU Wien„Wir sehen zunehmend, dass alle größeren Probleme die Grenzen der Nationalstaaten überschreiten: Klima, Luftverschmutzung, Wassernutzung. Konflikte werden sich erheblich verschärfen.“

Erwin Mayer, denkstatt.at„Man muss sich auch eine Einigung mit der Versicherungswirtschaft überlegen.“

Michael Hofstätter, Klimaforscher, ZAMG „Man müsste das Konsum- und Mobilitäts-verhalten ändern. Dazu braucht es den politischen Willen, das der Wirtschaft schmackhaft zu machen.“

„Die wirtschaftlichen Voraus-setzungen machen den großen Unterschied bei den Folgewir-kungen aus. Setzt eine Gemein-de auf harten Tourismus, wird sie wesentlicher anfälliger für klimatische Änderungen“ W O l f G A n G s c H ö n E rK L i m A F o L g E n F o R s c h E R , Z A m g

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Neue Immigranten in ÖsterreichS A B I N E E D I T H B R A U N

Die Dornfi ngerspinne verbreitete im Sommer 2006 medial Angst und Schrecken. Der Klimawandel sei

schuld, hieß es. Falsch! „Dornfi nger sind keine Neozoen, sie sind seit Langem in Mitteleuropa nachgewiesen“, sagt Konrad Fiedler von der Uni Wien. „Sie sind wär-meliebend, können also durch den Klima-wandel häufi ger auft reten und sich weiter ausbreiten, am Alpenostrand und der Ther-menlinie.“ Dornfi nger-Arten nördlich der Alpen gebe es zwar, sie seien in Österreich aber selten. Wirklich neu ist die mediter-rane „Falsche Schwarze Witwe“. „Es sieht verdächtig danach aus, als hätte sie in den letzten zwei Jahrzehnten im Süden Öster-reichs Fuß gefasst“, meint Fiedler. Sie wur-de nicht vom Menschen eingeschleppt, son-dern wanderte von selbst ein.

Neozoen und NeophytenAlles, was nach 1492 nach Europa kam, ist defi nitionsgemäß Neophyt/Neozoon – und nicht notwendig invasiv. „Invasive Arten breiten sich invasionsartig über ein Gebiet aus, wie in der ersten Hälft e des 20. Jahr-hunderts die Türkentaube“, sagt Fiedler. Sie ist nicht die problematische Stadttaube. Und mit dem Klimawandel hat sie auch nichts zu tun. „Türkentauben sind spontan in vom Menschen veränderte, urbane Lebensräume eingewandert. Viele andere Neozoen, wie Kastanien-Miniermotte und Buchsbaum-Zünsler, wurden mit zunehmendem Waren-verkehr eingeschleppt.“ Letztere sind aber ökologisch weitgehend belanglos, weil we-der Rosskastanie noch Buchsbaum in Ost-österreich heimisch sind.

Anders am Mittelmeer, wo die Argen-tinische Ameise das ökologische Gleichge-wicht stört, weil sie keine Blütensamen wei-terträgt und die autochthonen Ameisen, die das tun, verdrängt. In Österreich gibt es sie nur im Gewächshaus, draußen ist es ihr zu kalt. „Aber wie lange noch? Darüber kann man nur spekulieren“, so Konrad Fiedler.

Tiere als Opfer neuer Erreger Von welchen neuen Krankheiten sind Tiere betroff en? „Das West-Nil-Virus, ursprüng-lich aus Afrika, kam 2008 via Ungarn zu uns. Die Übertragungskette verläuft Vogel – Pferd, kann aber auch den Menschen be-treff en“, erläutert Katja Silbermayr von der Vetmeduni Wien. Große Probleme machte 2006 die Blauzungenkrankheit, die höchst-wahrscheinlich durch Tiertransporte ins Grenzgebiet Holland-Deutschland- Belgien eingeschleppt wurde und sich schnell in Europa verbreitete.

Auch das Schmallenberg-Virus, das von Gnitzen übertragen wird, kam über Nord-europa nach Österreich. Es betriff t vor allem Wiederkäuer. „Es führt zu Fruchtbarkeits-störungen, Lämmer und Kälber kommen deformiert zur Welt. Dieses Virus gibt es noch nicht lange, es wurde letztes Jahr neu beschrieben“, erklärt Silbermayr. Hunde,

aber auch Menschen sind durch den Faden-wurm Dirofi laria gefährdet, der von Stech-mücken übertragen wird und häufi g im Mit-telmeerraum auft ritt. „Es gibt eine Herz-form und eine Hautform. Die Hautform trat hier erstmals im Jahr 2006 beim Menschen auf. Die Herzform gibt es in Österreich der-zeit noch nicht, aber das ist nur eine Fra-ge der Zeit.“

Ist nun der Klimawandel schuld oder nicht? „Jein“, sagt Silbermayr. „An den neu-en Mücken ist er nicht ursächlich schuld. Aber es gibt durch ihn höhere Tempera-turen und mehr Regen. Mücken, Gnitzen oder Zecken können dann mehr Nachwuchs produzieren.“ Auch die Globalisierung trage dazu bei. „Die Tigermücke brütet in stehen-den Gewässern – etwa Wasserpfützen, alten Autoreifen oder Blumentöpfen. Auch unsere heimischen Stechmücken können Malaria-überträger sein, das müssen nicht unbedingt exotische Arten sein.“

Infektionsgefahren„Eine Stechmücken-Infektion des Men-schen kann klinisch unauff ällig oder als milde oder akute fi eberhaft e Erkrankung mit Ausschlägen bzw. Gelenksschmerzen verlaufen. In seltenen Fällen kann es aber zu Komplikationen – zu Pneumonie oder sogar zum Befall des Zentralnervensystems – kommen“, erläutert der Parasitologe Horst Aspöck von der MedUni Wien. „Neben den HI-Viren stellen Leishmanien die wichtigsten Neobiota unter den Krank-heitserregern in Mitteleuropa dar.“ Leish-manien sind intrazelluläre Parasiten, die ihre Wirte wechseln. „Die Übertragung er-folgt durch Sandmücken, deren Auft reten in Österreich und Deutschland erst in jüngs-ter Zeit nachgewiesen wurde.“ In Deutsch-land gab es bereits autochthone Leishmani-ose-Fälle, sowohl beim Menschen als auch bei Tieren. In Österreich traten bisher ei-nige Verdachtsfälle auf.

Hochallergenes Unkraut„Der für den Menschen derzeit gefähr-lichste Neophyt ist die Ambrosia artemi-siifolia“, sagt Swen Follak von der AGES. Bei einer Studie (2009) zeigten 11 Prozent der Allergiker Reaktionen. „Dieser Wert ist in den letzten Jahren gestiegen und wird weiter steigen.“ Die Höhe der Folgekosten dürft e bei 80 bis 90 Millionen Euro liegen. Auch Rispenkraut, Dreilappige Ambrosia und Einjähriger Beifuß sind ähnlich aller-gen wie die „klassische“ Ambrosia. Sie tre-ten in Österreich aber seltener auf bzw. be-fi nden sich erst vor der Ausbreitung.

Die Ambrosia, die im 19. Jahrhundert mit verunreinigtem Getreide aus Nordame-rika zu uns kam, war zuerst unbeständig. Echte Probleme gibt es seit den 1990er-Jah-ren. „In Ungarn, wo es etwas wärmer ist, setzte die Ausbreitung früher ein, auch we-gen der Kollektivierung. Die Samen werden über Erntemaschinen von Feld zu Feld und

Es ist ein unau� altsamer Strom: Fremde kommen zu uns, weil sie höhere Temperaturen schätzen. Treibt sie der Klimawandel zu uns?

über die Grenzen transportiert“, so Follak. Ein massives Problem stellt die Ambrosia für Sonnenblumen-, Soja- und Ölkürbiskul-turen dar. Wirksame Herbizide fehlen.

Was kann der Einzelne tun? „Die Pfl an-zern ausreißen, am besten samt Wurzel und noch vor der Blüte Mitte Juli.“ Die Entsor-gung erfolgt auf dem Komposthaufen. Aber Vorsicht! „Sobald die Ambrosia geblüht hat, gehört sie über den Hausmüll – im Plastik-sack – entsorgt, denn am Komposthaufen kann sie nachreifen“, warnt Follak.

Eine allgemeine Melde- oder Bekämp-fungspfl icht für Ambrosiabefall gibt es in Österreich – im Unterschied zur Schweiz oder zu Ungarn – nicht. „Das liegt in Hän-den der Gemeinden. In der am stärksten be-troff enen Steiermark gibt es viele Initiativen. Die AGES stellt Informationen bereit.“

Gewinner und Verlierer Der Klimawandel übersteige die Anpas-sungsfähigkeit vieler oder sogar der meisten Arten und Lebensräume. „Dieses Phäno-men ist in seiner Geschwindigkeit, Rasanz und globalen Bedeutung erdgeschichtlich ohne Präzedenzfall“, sagt Franz Essl vom Umweltbundesamt. Unter den betroff enen Arten gebe es Gewinner und Verlierer.

Gewinner schaff en es, einen Wandel zu nutzen und können viele verschiedene Le-bensräume besiedeln, wie die Ambrosia oder die Feuerlibelle aus dem Mittelmeergebiet. Letztere kommt seit einigen Jahren auch in Österreich vor. „Libellen sind sehr ausbrei-tungsfähig, sie können hunderte Kilometer fl iegen. Manche Arten haben keine hohen Ansprüche, solange es warm ist.“

Verlierer sind Arten, die an kühlere Tem-peraturen und somit an größere Höhen angepasst sind. „Nach oben hin ist es ir-gendwann aus, man kann nicht ewig aus-weichen.“ Der Sonnentau, eine heimische fl eischfressende Pfl anze, sei ein Verlierer: „Arten, die Moore oder Feuchtwiesen besie-deln, sind speziell an diese angepasst, und wenn es zu wenig Wasser gibt, wird es kri-tisch: Ein Hochmoor kann nicht einfach ab-wandern, es entsteht über Jahrhunderte.“

Verliererin FichteAm stärksten unter dem Klimawandel lei-den wird die Fichte. „Sie wurde von der Forstwirtschaft in suboptimalen, weil zu warmen Bereichen großfl ächig angepfl anzt“, erklärt Essl. Ihre Hauptgefahr: der Buch-drucker, ein Borkenkäfer, der durch höhere Temperaturen mehrere Generationen von Larven produziert. „Früher kam er nur bis 1000 Meter Seehöhe, seit zehn Jahren gibt es ihn bis zur Waldgrenze, bei 1700 Meter. Da die Fichte auch eine Schutzfunktion hat, muss man sich darauf einstellen, dass Erd-rutsche häufi ger werden.“

DAISIE (Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe) listet die „schlimmsten 100“ invasiven Arten auf. www.europe-aliens.org

Katja Silbermayr, Vetmeduni Wien„Das West-Nil-Virus, ursprünglich aus Afrika, kam 2008 via Ungarn zu uns.“

Konrad Fiedler, Universität Wien „Invasive Arten breiten sich invasionsartig über ein Gebiet aus, wie in der ersten Häl� e des 20. Jh. die Türkentaube.“

Franz Essl, Umweltbundesamt „Der Klimawandel ist in seiner Geschwindigkeit, Rasanz und globalen Bedeutung erdgeschicht-lich ohne Präzedenzfall.“

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Im März dieses Jahres stellten sich die österreichischen Umweltorganisationen WWF, Greenpeace, GLOBAL 2000 und

Ökobüro gegen den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal der Tiroler TIWAG. Fünf neue große Wasserkraftwerke will der Strom-lieferant errichten bzw. erweitern, um in den nächsten zwanzig Jahren ein Ausbau-ziel von 2.800 Gigawattstunden (GWh) zu erreichen.

Wasserkraftwerke versus UmweltschutzDas größte Bauvorhaben, das Kaunertaler Kraftwerk, soll künftig 620 GWh Strom liefern. Eine 120 Meter hohe und 450 Me-ter breite Staumauer für 42 Milliarden Liter Wasser, ein rund 50 Kilometer lan-ger Druckstollen mit dem Durchmesser des Brennerbasistunnels und ein neues Pump-speicherkraftwerk sind dafür geplant. Da-gegen wehren sich die Umweltorganisati-onen. Man sei nicht grundsätzlich gegen den Ausbau der Wasserkraft – wohl aber, wenn unberührte Fließgewässer und intak-te Lebensräume betroffen sind, wie jene im Tiroler Oberland.

Dort soll der bestehende Gepatschspeicher durch die Aufstauung und Ableitung von ökologisch intakten Bächen (einige von ih-nen wurden vom Lebensministerium und dem WWF 1998 als „nationale Flussheilig-tümer“ ausgewiesen) mehr Wasser bekom-men. Betroffen sind die Venter und Gurgler Ache aus dem Ötztal sowie ihre Zubringer, der Königsbach und der Ferwallbach.

Zur Ableitung des Wassers müssten rund 70 Kilometer untertunnelt werden. Die Tunnelsysteme berühren gleichzei-tig das größte zusammenhängende Glet-scher-areal der Ostalpen, das Natura-2000- Gebiet „Ötztaler Alpen“ und Bereiche des Naturparks „Ötztal“. Das sei nicht mit dem Schutzzweck zu vereinbaren, meinen die Umweltorganisationen.

Im neuen Stausee müsste zudem das Platzertal verschwinden, ein Hochtal auf 2300 Metern Höhe, Teil eines alpenweiten „Wildnisgebietsverbundes“ und von über-regionaler ökologischer Bedeutung. Es ge-hört zu den am stärksten bedrohten Regio-nen im ganzen Alpenraum, zeigt die Studie „Wildnisareal Ötztaler Alpen“ von Armin Landmann von der Universität Innsbruck.

Pumpspeicherkraftwerke: keine grünen BatterienEine weitere ökologische Herausforde-rung stellt unter derzeitigen rechtlichen Rahmen bedingungen der Bau eines Pump-speicherkraftwerks im Kaunertal dar. Sol-che Kraftwerke bieten bis dato die einzige

Möglichkeit, größere Mengen Strom zu speichern, um sie bei Bedarf ins Netz einzu-speisen. Weil sie die unregelmäßige Strom-produktion ausgleichen können, die der ver-mehrte Einsatz von alternativen Energie-quellen unter Umständen mit sich bringt, werden Pumpspeicherkraftwerke oft als „grüne Batterien“ bezeichnet. Sie sollen künftig nicht nur Strom speichern, sondern Österreich auch einen strategischen Vorteil am europäischen Strommarkt bringen.

Strom aus Pumpspeicherkraftwerken wird nicht notwendigerweise aus Wasser-kraft generiert. Energiekonzerne betreiben solche Kraftwerke auch mit dem an der Strombörse gekauften Euromix-Strom. Die-

ser „Graustrom“ unbekannter Herkunft ent-hält unter anderem Strom aus Kohle und Atomkraftwerken, erklärt Reinhard Uhrig, Atomexperte bei GLOBAL 2000: „Hinter Graustrom verbirgt sich mehr als ein Drit-tel Atomstrom. Sieht man sich den Zukauf von Graustrom hierzulande an, kann man für das Jahr 2011 davon ausgehen, dass in Österreichs Leitungen Atomstrom im Wert von 140 Millionen Euro geflossen ist. Das sind rund 1,8 Prozent des gesamten jährli-chen Stromverbrauchs.“

Ohne gesetzliche Regelung, die vorschreibt, dass die Herkunft von Strom lückenlos gekennzeichnet und ein Pump-speicherkraftwerk vorrangig mit Strom aus alternativen Energiequellen gespeist werden muss, sind Pumpspeicherkraftwerke keine „grüne Batterien“.

Sind Pumpspeicherkraftwerke ökonomisch?Pumpspeicherkraftwerke sind keine Strom-erzeuger im eigentlichen Sinn. Um 1 KWh Strom zu produzieren, sind 1,3 KWh Pump energie notwendig. Dieser Energie-verlust rechnet sich dank der Gewinnspan-ne zwischen günstigem Euromix-Strom und teurem Spitzenstrom zur Abdeckung von Verbrauchsspitzen.

Prognosen deuten darauf hin, dass die Gewinnspanne durch den technischen Fortschritt in Zukunft sinken wird, sagt Christoph Walder, Flussexperte beim WWF Österreich: „Derzeit sieht es so aus, dass Pumpspeicherkraftwerke an Bedeutung ver-lieren werden, weil das zukünftige europäi-sche Leistungsnetz weniger auf diese Kraft-werke angewiesen sein wird. So lange keine

konkreten Pläne zum Aus- und Umbau des Leistungsnetzes vorliegen, lässt sich die Wirtschaftlichkeit dieser Kraftwerke nicht überprüfen. Demnach macht es vorerst auch in ökonomischer Hinsicht keinen Sinn, in sie zu investieren.“

Selbst ohne Pumpspeicherkraftwerk sei der Ausbau des Kaunertaler Kraft-werks fragwürdig. Die Ausbaustrategie der Österreichischen Wasserkraft gilt als alter-native Energiegewinnung – aber wie steht sie zum Umweltschutz? Ziel der Energie-strategie Österreich ist, den Anteil der er-neuerbaren Energieträger auf 34 Prozent zu erhöhen. Dabei kommt der Wasserkraft eine besondere Bedeutung zu, erklärt Fluss- experte Christoph Walder: „Bis zum Jahr 2015 soll sie auf 3,5 Terawattstunden aus-gebaut werden, bis 2020 strebt man eine Leistung von 7 TWh an.“

Wie ökologisch sind Wasserbauprojekte?Eine Vielzahl der vorgesehenen Wasserbau-projekte betrifft ökologisch intakte Fließ-gewässerstrecken, die hierzulande schon jetzt rar sind: „Sechs ausgewiesene „Fluss- heiligtümer“ sind akut durch Wasserkraft-projekte bedroht. Vor allem Fließgewässer in gutem und sehr gutem Zustand gilt es zu schützen, denn die Qualität der heimischen Flüsse ist im europäischen Vergleich ohne-dies kritisch“, mahnt Walder.

Bei einem Ausbaugrad der Wasserkraft von 70 Prozent sind nur mehr 14 Prozent der heimischen Fließgewässer in ökolo-gisch einwandfreiem Zustand. Laut Natio-nalem Gewässerbewirtschaftungsplan ver-fehlen heute 63 Prozent der Fließgewässer das in der EU-Wasserrahmenrichtlinie de-finierte Umweltziel. Österreich liegt damit im EU-Schlussfeld.

„Das liegt vor allem an der intensiven energiewirtschaftlichen Nutzung", sagt der Flussexperte Walder und verweist auf die BOKU-Studie „Ökologischer Zustand der Fließgewässer Österreichs“ aus dem Jahr 2010, die zum selben Schluss kommt.

Der Ausbau der Wasserkraft wird als Umweltschutzmaßnahme vorangetrieben – allerdings wäre er aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll. Der Kraftwerksausbau der TIWAG im Kaunertal steht beispielhaft für das Problem, dass ökologische Ziel-setzungen gegeneinander ausgespielt wer-den. Um künftig Umweltschutzziele zu er-reichen, empfiehlt Waldner, sich vorrangig auf das Energie-Einsparpotenzial in Öster-reich zu konzentrieren, etwa bei der Ge-bäudesanierung und beim Verkehr. „Laut unseren Berechnungen könnte hierzulande Strom eingespart werden, für dessen Pro-duktion es 15 bis 20 Pumpspeicherkraft-werke bräuchte.“

murmeltier, Kaunertal: Sein Habitat würde durch Kraftwerksbauten in Mitleidenschaft gezogen

reinhard Uhrig, GLObaL 2000: „Man kann davon ausgehen, dass in Õsterreichs Leitungen im Jahr 2011 Atomstrom im Wert von 140 Millionen Euro geflossen ist.“

Bei einem Ausbaugrad der Wasserkraft von 70 Prozent sind nur mehr 14 Prozent der heimischen Fließgewässer ökologisch einwandfrei

Wasserspeicher statt Hochtäler Die wasser kraft soll uns ökologisch verträglichen Strom bringen. Doch das bei spiel des geplanten Kraftwerks Kaunertalzeigt die Problematik solcher Über legungen

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Klimaverlierer (in Österreich): Das Glossar Der Wintertourismus in Österreich bangt um seine Schneesicherheit, besonders im Süden des Landes

j o c h e n S t a D L e r

allergienDa die CO2-Konzentration in der Luft steigt, wachsen Pflanzen besser, wo-durch aber auch die Pollenproduk tion beschleunigt wird. Die milderen Tem-peraturen verlängern außerdem die Pollenflugsaison. Dies seien die wahr-scheinlichsten Ursachen, weshalb der Klimawandel die Situation für Aller-giker verschärft, so ein internationales Forscherteam unter der Leitung der TU München, das den Anstieg der Pollenbelastung dokumentierte.

aussterbe-VerzögerungWird der Lebensraum für eine Pflan-ze langsam, aber sicher zum Über-leben ungeeignet, stirbt sie dennoch nicht sofort aus: selbst wenn sie sich nicht mehr geschlechtlich fortpflanzen kann, vermehrt sie sich oft über Able-ger. Funktioniert auch diese Technik nicht mehr, dauert es nicht selten eini-ge Jahrzehnte, bis sie ausgestorben ist, da viele Gebirgspflanzen sehr langlebig sind, so Ökologen der Uni Wien.

Bergsteiger und alpine InfrastrukturHöhere Temperaturen tauen den Dauerfrostboden in den Alpen auf. Dieses Phänomen kostete dem Gipfel-kreuz des Groß venedigers sein gefro-renes Fundament: es musste versetzt und im Fels verankert werden; Obser-vatorium und Zittelhaus am Sonnblick wurden mit Beton gesichert, damit sie nicht in die Tiefe stürzen. Wegen der steigenden Felssturzgefahr sind man-che klassischen alpinen Routen nur noch im Winter begehbar; Höhenwege müssen saniert werden.

endemitenPflanzen und Tiere, die in einem bestimmten Gebirgstal, auf einer Bergwiese oder Insel existieren, also in einem kleinen, abgeschlossenen Gebiet. Durch den Klimawandel sind sie besonders gefährdet: sterben sie in ihrem angestammten Revier aus, gibt es sie auch weltweit nicht mehr.

GeneralistenLebewesen, die mit unterschiedlichen Umweltbedingungen gut zurechtkom-men und verschiedene Ressourcen nut-zen können. Ihre Ansprüche sind leicht zu erfüllen, ihr Verhalten passen sie an die Gegebenheiten an, wie zum Bei-spiel Menschen und Ratten.

GesundheitHeiße Sommer erhöhen die Sterb-lichkeit bei alten Menschen, da sie

den Körper zusätzlich belasten. Laut Schätzungen des Earth Policy Insti-tute sind etwa wegen der Hitzewelle 2003 mehr als 52.000 Europäer ge-storben. Auch die erwartete Reduzie-rung der Bewölkung im Sommer durch den Klimawandel hat eine Schatten-seite: Sie führt zu einer erhöhten Be-lastung durch UV-Strahlung, wodurch das Hautkrebsrisiko steigt.

GletscherDurch den Klimawandel weltweit dezimierte und in Österreich vom Aus-sterben bedrohte Eisriesen mit ent-scheidendem Einfluss auf das Welt-klima. Sie sind der größte Süßwas-serspeicher auf der Welt und damit ein wichtiges Reservoir für Trinkwas-ser wie auch Lieferant für Wasser-kraft. Laut einer Studie war 1850 in den Alpen doppelt so viel Fläche mit Eis bedeckt wie heute. 2011 sind in Österreich 95 von 99 Gletschern ge-schrumpft, die restlichen blieben gleich groß, berichtete der Alpenverein.

Grüne Infrastruktur/BiotopvernetzungVerbindet Naturgebiete, die etwa durch Städte, Felder, Weiden und Straßen voneinander getrennt sind, zum Bei-spiel Grünbrücken über Autobahnen. Damit gibt man Pflanzen und Tieren, die wegen der globalen Erwärmung in neue Gebiete auswandern müssen, die Möglichkeit dazu.

Kälteliebende artenFlüchten in Österreich vor den steigenden Temperaturen nach Nor-den und höher in die Berge. Aller-dings sind die Berge bekanntermaßen nicht endlos hoch und oben spitz, was bedeutet, dass der Platz mit der Höhe zunehmend knapp wird. Der Weg in den Norden ist oft durch bebaute Ge-biete und Ackerland versperrt.

KlimaAlles, was sich im Jahresverlauf an einem bestimmten Ort wettermäßig abspielt.

KlimagewinnerWärmeliebende Wesen und der allge-meine Sommertourismus, dem mehr Sonnentage prophezeit werden.

KlimaverliererMenschen, Tiere, Pflanzen, Pilze, Bak-terien, denen der Klimawandel Proble-me beschert. Manche sterben aus, man-che verlieren ihre Heimat und den Le-bensraum, etwa Skihüttenbetreiber.

Klimawandel – KlimakriseDas durch die Menschheit verursachte Aufheizen des Klimas auf der ganzen Erde, daher auch „globale Erwärmung“ genannt. Je nachdem, ob die Mensch-heit ihren Energiehunger bremsen kann oder nicht, sagen Wissenschafter eine Erwärmung auf der Erde von 1,1 bis 6,4 Grad Celsius bis 2100 voraus.

Mountain top extinctionsViele Pflanzen und Tiere in den Alpen „flüchten“ vor der steigenden Tempe-ratur und zunehmender Konkurrenz von wärmeliebenden Arten in höhere Gebiete. Dort wird aber der Platz eng – und spätestens am Gipfel stecken sie in der Sackgasse, dann sind sie akut vom Aussterben bedroht.

neobiotaGebietsfremde, von Menschen ab-sichtlich oder unabsichtlich einge-schleppte Pflanzen (Neophyten), Tiere (Neozoen) oder Pilze (Neomyzeten). Durch die globale Erwärmung können sich Arten festsetzen, die sich bislang nicht fortpflanzen konnten oder durch einen strengen Winter gleich wieder verschwanden. Wenn sie mit den ver-änderten Bedingungen besser zurecht-kommen als die heimischen Arten, können sie diese verdrängen. Dann charakterisiert man sie als „invasiv“.

ÖkologieBeziehungswissenschaft, die unter-sucht, wie etwa Räuber und Beute, Blume und Bestäuber voneinander ab-hängen oder Pflanzen und Tiere von ihrer Umwelt.

opportunistenKönnen sich gut an unterschiedliche Bedingungen anpassen. Pflanzen sol-cher Art werden als „Unkraut“, dem-gemäße Menschen als „Wendehälse“ bezeichnet.

PhänologieDie Vorgänge in der Natur, die im Jahreslauf kommen und gehen, etwa die Blüte von Blumen und Bäumen, das Schlüpfen von Insekten und Vö-geln und das Einfrieren und Auftauen von Seen und Flüssen. Durch den ra-schen Klimawandel kann es passieren, dass das präzise Timing verloren geht. Das kann fatal sein, wenn etwa Zugvö-gel aus ihren Winterquartieren früher zurückkehren und kein Futter finden, weil Schmetterlingsraupen, die früher zu dieser Zeit reichlich vorhanden wa-ren, noch nicht geschlüpft sind.

SommertourismusVermutlich einer der wenigen Gewin-ner des Klimaverlierers. Bade- und Wandersaisonen könnten wegen der milderen Temperaturen und längeren Schönwetterperioden früher beginnen und länger dauern. Bloß Städtetouris-ten mag es zu heiß werden.

SpezialistenSind an einen bestimmten Lebens-raum angepasst, können dort die Res-sourcen optimal nutzen und unter teils schwierigen Bedingungen wach-sen und gedeihen. Ändert sich aber der Lebensraum oder schwindet ihre oft einzige Futterquelle, stehen sie vor einer Existenzkrise.

UmweltflüchtlingJemand, der wegen einer Naturkata-strophe oder durch sich schleichend verschlechternde Umweltbedingungen seine Heimat verlassen muss. Ist der Klimawandel daran schuld, nennt man Menschen dieser Art Klimaflüchtlinge – so zum Beispiel die 980 Einwohner der Cateret-Inseln im Südpazifik, die wegen des steigenden Meeresspiegels den Boden unter den Füßen verlieren. Nachdem Salzwasserüberschwemmun-gen den Boden unfruchtbar gemacht hatten und Gezeitenhochwässer die Häuser wegspülten, entschloss sich die Regierung Papua-Neuguineas 2005, die Bewohner auf eine andere Insel-gruppe umzusiedeln. Nach Schätzun-gen werden die Inseln im Jahr 2015 größtenteils vom Meer bedeckt und unbewohnbar sein.

Wärmeliebende artenKönnten vom Klimawandel profitieren und auf Kosten anderer Arten neue Lebensräume erschließen.

WasserversorgungDas Verschwinden der Gletscher könn-te Europa den Wasserhahn zudrehen, so europäische Wasserexperten. Dazu würde der Grundwasserspiegel sinken und im Sommer häufigere Hitzewel-len auftreten. Im Norden Österreichs würde der Niederschlag dafür leicht zunehmen, im Süden sich jedoch reduzieren.

WintertourismusBangt um seine Schneesicherheit, vor allem im Süden Österreichs, wo schon in den vergangenen fünfzig Jahren die Tage, während der das Land mit einer weißen Pracht bedeckt war, signifikant weniger wurden.

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Eine Akademie will in die Champions LeagueGebeutelt durch Sparmaßnahmen und erschüttert durch Austritte prominenter Mitglieder, will sich die Österreichische Akademie der Wissenschaften neu aufstellen

E s erinnert ein bisschen an ein Privat­unternehmen, betrachtet man das neue Organigramm der ÖAW, bei

dem es zwei Säulen geben wird: Einerseits die Forschung, andererseits die sogenannte Gelehrtengesellschaft. Erstere soll interna­tionale Spitzenklasse sein, letztere hat die Aufgabe, Gesellschaft und Politik wissen­schaftlich auf hohem Niveau zu beraten.

Waren diese beiden Bereiche vor der gro­ßen Reform eng miteinander verwoben, so sollen sie künftig voneinander getrennt sein: Die Forschung soll in Zukunft ganz eigen­ständig von zwei Geschäftsführern (je ei­ner für Wissenschaft bzw. Finanzen)gelei­tet werden. Kontrolliert werden die beiden von einem neu gegründeten Akademierat, der mit einem Aufsichtsrat in der Privat­wirtschaft vergleichbar ist.

Die zweite Säule, die Gelehrtengesell­schaft, soll von nun an „ÖAW Mitglieder“ heißen und sich so besser auf ihre beraten­de Aufgabe konzentrieren können. Außer­dem sind getrennte Budgets für die beiden Säulen vorgesehen.

Alles nur ein PR-Gag?Geld soll bei der ganzen Strukturreform keines eingespart werden. Kritische Stim­men aus der Akademie meinen deshalb, das Ganze sei möglicherweise nur ein PR­Gag, damit die Akademie besser dastehe, werde ihr doch bisweilen „Reformfaulheit“ nach­gesagt. Doch das weist Präsident Helmut Denk vehement zurück: „Wir sind nicht re­formresistent, und es ist auch keine PR­Maßnahme. Es handelt sich um eine kon­sequente Weiterführung des seit etwa drei Jahren laufenden Reformprozesses, auf den die Turbulenzen der letzten Monate keinen Einfluss hatten. Die Reform wird sich posi­tiv auf die Qualität und die Effizienz aus­wirken. Die Akademie wird ihre Aufgaben in Forschung und Beratung besser erfüllen können. Wir gehörten zwar immer schon zu den Speerspitzen der Wissenschaft in Österreich, aber wir wollen uns nicht dar­auf ausruhen.“

Ein weiterer Kritikpunkt bei der ganzen Reform ist, dass der Akademierat nur aus Personen bestehen soll, die von außerhalb der Akademie kommen: Stimmen der eige­nen Wissenschafterinnen und Wissenschaf­ter könnten so womöglich zu kurz kommen, befürchten manche. Präsident Denk recht­fertigt das so: „Auch diese Behauptung ist nur teilweise richtig. Richtig ist, dass die auswärtigen Mitglieder dieses Aufsichts­ und Kontrollgremiums die Mehrheit bil­den werden. Wir brauchen in diesem Kon­trollgremium Mitglieder von außen zur Le­gitimation des vom Geldgeber, also letzt­lich vom Steuerzahler, für die Akademie zur Verfügung gestellten Budgets. Wir brauchen Akademieratsmitglieder, die, ohne dem Vor­wurf ausgesetzt zu sein, womöglich Partiku­larinteressen zu verfolgen, feststellen: ‚Die Akademie arbeitet erstklassig!‘, aber die, wenn nötig, auch Kritik einbringen.“

„Arbeiten“ lautet das Schlüsselwort„Wir wollen eine Arbeitsakademie schaffen“, erklärt ÖAW­Präsident Helmut Denk. Das betreffe vor allem die Gelehrtengesellschaft, die in Hinkunft „ÖAW Mitglieder“ heißen

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For a list of faculty members please visit www.ist.ac.at. For further information and access to the online application please consult www.ist.ac.at/gradschool. For inquiries, please contact [email protected]. For students wishing to enter the program in the fall of 2013, the deadline for applications is January 15, 2013.

IST Austria is committed to Equality and Diversity.

CALL FOR PhD STUDENTSThe Graduate School at IST Austria invites applicants from all countries to its PhD program. IST Austria is a new institution located on the outskirts of Vienna dedicated to cutting-edge basic research in the natural sciences and related disciplines. The language at the Institute and the Graduate School is English.

The PhD program combines advanced coursework and research, with a focus on Biology, Computer Science, Mathematics, Physics, Neuroscience, and interdisciplinary areas. IST Austria offers inter-nationally competitive PhD salaries supporting 4–5 years of study. Applicants must hold either a BS or MS degree or equivalent.

The Institute offers PhD students positions in the following fi elds:Biology | Computer Science | Mathematics | Physics | Neuroscience

CAMPUS VISIT DAY

November 24, 2012

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Josef Penninger, Molekularbiologe: „Wir wollen in der Champions League mitkicken! Wir sind jetzt schon sehr gut drauf und kõnnen international mithalten.“

Bedanna Bapuly, Betriebsrätin ÖAW: „Die Mitarbeiterschaft hat die strikte Trennung von Forschungsträger und Gelehrtengesell-schaft schon länger gefordert.“

soll. Alexia Fürnkranz-Prskawetz, eine Vertreterin dieses Gremiums, erklärt: „Wir hatten durch die enge Verflechtung mit den Forschungseinrichtungen und der damit verbundenen Bürokratie zu wenig Zeit für unsere eigentliche Aufgabe.“ Die-se sei es nämlich, nicht nur Politikerinnen und Politiker in wissenschaftlich brisan-ten Fragen zu beraten, sondern auch eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesell-schaft zu bauen: „Wir müssen die Gesell-schaft wieder für die Wissenschaft moti-vieren und die Akzeptanz für Wissenschaft in der Gesellschaft erhöhen.“

Die WissenschaftspolitikDer Molekularbiologe Josef Penninger ist einer der „Vorzeige forscher“ an der Öster-reichischen Akademie der Wissenschaf-ten. Nach einigen Jahren in Kanada wur-de er 2003 Chef des Instituts für moleku-lare Biotechnologie (IMBA) an der ÖAW. Für ihn ist die Reform eine der wichtigsten forschungspolitischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte: „In den letzten Jahren haben wir uns im Kreis gedreht. Das Gan-ze ist aber auch ein Problem der Wissen-schaftspolitik in diesem Land: Alle sagen, Forschung sei so wichtig. Dabei hat man die Akademie mit ihren Geldnöten einfach allein gelassen und gesagt: Sollen sich die doch intern um’s Geld streiten. Frei nach dem Motto: Wenn der Penninger mehr Geld will, dann müssen andere Forschungsberei-che eben zusperren.“

Die jetzige Reform mache zwar den Sparz-wang nicht geringer, doch durch die neue Organisation und die Entflechtung von For-schung und Beratung ziehe nun die ganze Akademie an einem gemeinsamen Strang. „Wir sind exzellent aufgestellt, wir stehen nun gemeinsam mit breiter Brust da!“

Denn laut Penninger sei der Umbau an der Akademie die einzige Möglichkeit, trotz vergleichsweise geringer Finanzmittel in Zukunft in der weltweit obersten For-schungs-Liga mitzuspielen. „Wir wollen in der Champions League mitkicken! Wir sind zwar jetzt schon sehr gut drauf und können international mithalten, doch wir wollen Erster in der Champions-League-Gruppen-phase werden und ins Finale aufsteigen.“ Und erklärt selbstkritisch: „Wenn wir das nicht schaffen, dann soll man uns austau-schen. Das gilt auch für mein Institut!“

Wer profitiert vom Umbau?Anpacken und nach vorne schauen: In-nerhalb der ganzen Akademie scheint die Reform-Euphorie groß zu sein. „Wir alle profitieren sehr vom Umbau“, freut sich Molekularbiologe Penninger, dessen Insti-tut zu den größten und finanziell höchst-dotierten Einrichtungen der ÖAW gehört.

Doch wie sehen die Chefs kleinerer For-schungsinstitute den derzeitigen Umbau? Helmut Kowar, Direktor des Phonogramm-archivs, das zu den kleineren und zugleich ältesten Einrichtungen der Akademie gehört, ist bei all der Reform-Euphorie an

der ÖAW etwas vorsichtiger: Seiner Mei-nung nach ist es für eine Einschätzung zum Reformprozess noch zu früh, doch auch er begrüßt die Veränderungen: „Der Wille der Akademie, Veränderung anzustreben, ist auf jeden Fall zu unterstützen.“

Vorsichtig zeigt sich auch der Betriebs-rat. „Die Mitarbeiterschaft hat die strikte Trennung von Forschungsträger und Ge-lehrtengesellschaft schon länger gefordert“, erklärt die Vorsitzende des Betriebsrates Bedanna Bapuly. Hinsichtlich des Akade-mierates, der die beiden Geschäftsführer des Forschungsbereichs kontrollieren soll, zeigt sie sich leicht skeptisch: „Bei dieser Art von Aufsichtsrat muss es eigentlich nicht sein, dass auch das Präsidium der Mitgliederge-meinschaft drinnen sitzt.“

Alle unter einem DachAuch wenn die zwei Säulen der Akade-mie künftig weitgehend voneinander ge-trennt agieren sollen, „wollen wir trotz-dem nicht völlig isoliert sein“, betont Fürnkranz-Prskawetz, Mitglied der Ge-lehrtengesellschaft. „Da wir uns künf-tig besser auf unsere beratende Funktion konzentrieren können, glaube ich, dass wir bei forschungsrelevanten Fragen so-gar mehr mitreden werden können als bis-her.“ Und trotz Entflechtung und getrenn-ter Budgets tragen die beiden Säulen im-mer noch ein gemeinsames Dach, nämlich jenes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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Gedicht

Rätsel von Gaja

Sprachlos wandelnde Dichter

e r i c h k l e i n

Was bleibet aber, stiften die Dichter. An Hölderlins Wort bestehen eine Zeit-lang schon Zweifel – zumindest, was die Mittel betrifft. Robert Musil etwa wendet fünfzehn Zeilen und einen halben Thesaurus der Wissenschaft an, um im ersten Satz seines Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ einen einfachen Tatbestand zu evozieren. Dessen ironische Auflösung: „Mit ei-nem Wort, dass das Tatsächliche recht gut bezeichnet, wenn es auch etwas altmodisch ist: Es war ein schöner Augusttag des Jahres 1913.“ Bezeich-nend, dass Musils Groß-Satire über Kakaniens Untergang auf die Welt vor dem Ersten Weltkrieg, der „Urkatas-trophe des 20. Jahrhunderts“, zurück-griff, während die nächste schon her-aufzog. Noch bezeichnender aber, dass die ironische Utopie von einem „Er-densekretariat der Genauigkeit und Seele“ in der Folge von keinem Au-tor weiterverfolgt wurde. Die Litera-turen von Thomas Mann bis Brecht, von Benn bis Paul Celan nahmen zu Mythen, Ideologien, diversen „Is-men“ und poetologischen Verdikten Zuflucht. An eine Darstellung unse-rer Lebenswelt, die sich auf der Höhe der Wissenschaften ihrer Zeit bewegte, wagte sich keiner mehr heran.

Die Versuche, Atomkriegsgefahr oder Genetik an der moralischen An-stalt des Theaters zu verhandeln, wir-ken heute ebenso veraltet, wie der Be-troffenheitsfuror eines Erich Fried läp-pisch, dessen „Liebesgedichte“ immer-hin eine Viertelmillion Mal verkauft wurde: „Seit der Gärtner die Zweige gestutzt hat / sind meine Äpfel grö-ßer / Aber die Blätter des Birnbaums / sind krank. Sie rollen sich ein / In Viet nam sind die Bäume entlaubt.“

Warum brachte der Paradigmen-wechsel der „grünen Revolution“ keine andere Literatur hervor außer ökologi-schen SF-Trash à la Frank Schätzings „Der Schwarm“? Bedürfen Umwelt-schutz und gesellschaftliche Fantasie einer literarischen Darstellung?

Oder liegt es am Paradigma selbst? Der Philosoph Hans Blumenberg, Chefanalytiker in Sachen metapho-risches Sprechen von Grenzbegriffen wie „Welt“ oder „Umwelt“, notier-te einmal zum Wort „Schutz“: „Und dann wurde immer mehr „geschützt“, dazu noch: immer mehr vor immer denselben. Das Blut und die Ehre und der Wald … Der vertraute Schutzmann betrat die Häuser, statt an den Ecken zu stehen.“ Umweltschutz, eine Erfin-dung der Nazis? Wir kennen deren „Landschaftswart“, und Blumenberg geht auch nicht ganz so weit: „Es wür-de den „Schutzmann“ nicht mehr ge-ben, dafür ein Volk von „Schützern“.

r o b e r t a D a p u n t

ćiantia dadomanRafa l’noc pro l’nauz, se miora devënta bun, l’tier contënt, slunfa la böta, sò cioce florësc.Y incö dadoman te chërda na usc, tö coriusi vas do a tò bocà.Snüfa, l’nês s’infiza, runćia stöp y paia,n’aicia y n bòt, tomest’ ia por tera, fej l’sanch na burta vera, cöc’ fostü tla nëi arfera.Chît bocà t’aspeta, mör porcel!Sterne maestra, ponü te moltrà, abonora lënga tomay sëdes la morona se romona.Pür’ porcel tüa pel desnüda, taca sö l’bestiun, insnöt les liagnes se mangiunse.

Lied am Morgen

Hastig frisst das Schwein am Trog, wird fett und gut,

das zufriedene Tier legt zu, seine Schwarte blüht auf.

Heute morgen nun ruft eine Stimme nach dir

und du trottest neugierig auf deinen Metzger zu.

Der Rüssel stöbert am Boden, durchwühlt Heu und Stroh,

ein zärtlicher Klaps, ein Schuss, und du kippst in die Spreu.

Das Blut gurgelt, die rote Spur versiegt im Schnee.

Schweigend wartet der Metzger auf dich, stirb Schwein!

Geharzt, die Borsten abgeschabt, liegst du in der Wanne,

aus dem Maul rutscht dir die Zunge.

Armes Schwein, hängt nackt am Haken,

heute Abend soll es Würste geben.

Roberta Dapunt (Jg. 1970) lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof im Südtiroler Gadertal und schreibt in italienischer und ladinischer Sprache. Veröffentlichte drei Gedicht-bände: Oscura Mente (1993), La carezzata mela (1999), La terra piú del paradiso (2008). „Nauz“ – ladinisch für „Futtertrog“ – hebt mit einem dramatischen Moment an: Ein Schwein wird geschlachtet. „Tafel, wiederkäuen werden wir das unbestattete Tier.“

Roberta Dapuntnauz Gedichte und bilder. Aus dem Ladinischen von Alma Vallazza Folio Verlag Wien–Bozen 2012

e r i c h k l e i n

Was am Ende bleibt

Waagrecht: 1 Abgängiges Schlamassel6 Grenzwertig: Von der Gesellschaft ausgestoßen 8 Lebensförmlich: Ich atme, also bin ich ... 9 Hält nicht nur Schlafwandler in Bewegung (Abk.) 10 Zeigt Größe, wobei Datenverarbeiter 210 auch mal 103 sein lassen (Abk.)11 Skandinavischer Tierversuch, sorgte für A-klassischen Umfaller 14 Unbelievable! Da kann man mittendrin mit einer Lüge richtig liegen15 Zeitwort für belastende Aussagen im Burnout-Verfahren17 Kleine Energiebündel für Heizer auf dem Holzweg18 Machen sich literarisch gut in Keller-Kleidern20 Erwiesenermaßen eine Hochschätzung22 Dazu verurteilen englische Gerichte 23 Kann Löwenzahn auf den Tod nicht ausstehen 25 Hauptbeschäftigung beim Herum-Lungern 27 Maradona-ErscheinungSenkrecht:1 Reflektiert steigende Gefahr für die Landbevölkerung2 In der Branche sind die Natur-Talente unter den Ingenieuren gefragt3 Den Amerikanern meist um eine Nasa-Länge hinterher (Abk.)4 Anatomische Rückenwinde? Meteorologen warnen vor direktem Augenkontakt!5 Gottesdienstleistung7 Feste-Nahrung, lässt Flöten erklingen 12 Wo die wilden Teufelskerle wohnen13 Sorgt in Spanien für Ruhe16 Am Boden im Dreiländereck19 Der Multikulti-Graf ist ein Logen-Bruder21 Den erzeugt Laufkundschaft im Must-Have-Modus24 Golf im Scharfpelz26 Kurz nach Dienstschluss

lösungswort: auflösung aus Falter heureka 4/2012. lösungswort: bioMaSSe Waagrecht: 1 WINDPARK 8 ANARCHIE 9 NER 10 SUSHI 12 ESOTERIK 14 EGO 15 KRISEN 16 RISE 17 TOP 18 AE 19 LEINE 22 TRAVERSE 24 OB 25 NEIN 26 STUFEN Senkrecht: 1 WASSER-KRAFT 2 INDUSTRIE 3 DRAHTESEL 4 PC 5 AHN 6 RIESIG 7 KERNKOMPETENZ 11 SO 13 RENTIE-REN 20 EBENE 21 TABU 23 ROT

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