IG BCE aktuell

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Der demografische Wandel stellt die sozialen Sicherungssysteme vor enorme Herausforderungen. In einer alternden Gesellschaft müssen so- wohl das Gesundheitssystem als auch die Rentenversicherung reformiert werden. Doch die wirklichen Zukunftsfragen geht Schwarz-Gelb nicht an. Stattdessen wird am System herumgedoktert, vor allem die eigene Klientel bedient und die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter voran- getrieben. Weder sozial ungerechte Kopfpauschalen in der Gesetzlichen Krankenversicherung noch das Beharren auf der Rente mit 67 machen unser Sozialsystem zukunftsfest. Derzeit reist Kanzlerin Merkel durch die Republik und wirbt an ihrer Parteibasis für den Regierungskurs. In diesem „Herbst der Entscheidung“ gehe es um Haushaltssanierung, die Energiepolitik und die Zukunft der Sozialsysteme, so Angela Merkel. Was die Themen betrifft, sieht das die IG BCE ähnlich. Doch Schwarz-Gelb stellt die falschen Weichen. Deshalb mobilisiert die IG BCE in diesem Herbst für sozial gerechte Reformen, dafür, dass Solidarität eine Zukunft hat. Sowohl bei der Rente als auch bei der Gesundheitsversorgung muss das Solidarsystem erhalten bleiben. Wir brauchen kein Rentensystem, das Privilegien von Selbstständigen und Beamten festschreibt. Und auch kein Gesundheitssystem, das die Privatversicherer bevorteilt, aber die Finanzierungsprobleme der gesetz- lichen Kassen nicht nachhaltig löst. < SOZIALSYSTEME Herbst der Weichenstellungen STANDPUNKT POLITIK aktuell Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist beunruhigend, wie wenig die Politik in diesen Tagen die Sorgen der Menschen zur Kenntnis nimmt. Da wird die Rente mit 67 exekutiert, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, woher die Arbeitsplätze für die Älteren kommen sollen und als wäre es für alle gleichermaßen zumutbar, länger zu arbeiten. Genauso ungerecht ist die Gesund- heitsreform gestaltet: Sie bringt zusätzliche und einseitige Belastungen für Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer, und die Arbeit- geber kommen mal wieder besser weg. Eine Politik, die vielen schadet und wenigen nutzt, das ist kein Weg in eine gute Zukunft. Gerade unsere alternde Gesellschaft braucht nicht weniger, sondern mehr Solidarität, um leis- tungsstark zu bleiben. Wir wissen: Wer gegen die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit verstößt, löst kein Problem, aber schafft viele neue, von der Altersarmut bis zur Zwei-Klassen-Medi- zin. Es ist also Zeit zur politischen Umkehr, und dazu werden wir unseren Beitrag leisten. Michael Vassiliadis [email protected] Eine Petition an den Bundestag zur ge- planten Gesundheitsreform hat das vom DGB gegründete Bündnis „Köpfe gegen Kopfpauschale“ gestartet. Gefordert wird, die paritätische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Versicherte wieder her- zustellen. Bis zum 25. 10. muss die Petition 50 000 Unterstützer finden, damit sich der Bundestag damit befassen muss. http://bit.ly/aKOQb7 www.igbce.de > Gesundheitspolitik: S. 2, 3 > Rentenpolitik: S. 4,5 > Nachrichten S. 6 Der Newsletter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie 03 | 2010 21. Oktober aktuell

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Newsletter 03/2010

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Der demografische Wandel stellt die sozialen Sicherungssysteme vor enorme Herausforderungen. In einer alternden Gesellschaft müssen so-wohl das Gesundheitssystem als auch die Rentenversicherung reformiert werden. Doch die wirklichen Zukunftsfragen geht Schwarz-Gelb nicht an. Stattdessen wird am System herumgedoktert, vor allem die eigene Klientel bedient und die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter voran-getrieben. Weder sozial ungerechte Kopfpauschalen in der Gesetzlichen Krankenversicherung noch das Beharren auf der Rente mit 67 machen unser Sozialsystem zukunftsfest.

Derzeit reist Kanzlerin Merkel durch die Republik und wirbt an ihrer Parteibasis für den Regierungskurs. In diesem „Herbst der Entscheidung“ gehe es um Haushaltssanierung, die Energiepolitik und die Zukunft der Sozialsysteme, so Angela Merkel. Was die Themen betrifft, sieht das die IG BCE ähnlich. Doch Schwarz-Gelb stellt die falschen Weichen. Deshalb mobilisiert die IG BCE in diesem Herbst für sozial gerechte Reformen, dafür, dass Solidarität eine Zukunft hat. Sowohl bei der Rente als auch bei der Gesundheitsversorgung muss das Solidarsystem erhalten bleiben. Wir brauchen kein Rentensystem, das Privilegien von Selbstständigen und Beamten festschreibt. Und auch kein Gesundheitssystem, das die Privatversicherer bevorteilt, aber die Finanzierungsprobleme der gesetz-lichen Kassen nicht nachhaltig löst. <

SOZIALSYSTEME Herbst derWeichenstellungen

STANDPUNKT

POLITIKaktuell

Liebe Kolleginnen und Kollegen,es ist beunruhigend, wie wenig die Politik in diesen Tagen die Sorgen der Menschen zur Kenntnis nimmt. Da wird die Rente mit 67 exekutiert, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, woher die Arbeitsplätze für die Älteren kommen sollen und als wäre es für alle gleichermaßen zumutbar, länger zu arbeiten. Genauso ungerecht ist die Gesund-heitsreform gestaltet: Sie bringt zusätzliche und einseitige Belastungen für Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer, und die Arbeit-geber kommen mal wieder besser weg. Eine Politik, die vielen schadet und wenigen nutzt, das ist kein Weg in eine gute Zukunft. Gerade unsere alternde Gesellschaft braucht nicht weniger, sondern mehr Solidarität, um leis-tungsstark zu bleiben. Wir wissen: Wer gegen die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit verstößt, löst kein Problem, aber schafft viele neue, von der Altersarmut bis zur Zwei-Klassen-Medi-zin. Es ist also Zeit zur politischen Umkehr, und dazu werden wir unseren Beitrag leisten.

Michael Vassiliadis [email protected]

Eine Petition an den Bundestag zur ge-planten Gesundheitsreform hat das vom DGB gegründete Bündnis „Köpfe gegen Kopfpauschale“ gestartet. Gefordert wird, die paritätische Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung durch Arbeitgeber und Versicherte wieder her-zustellen. Bis zum 25. 10. muss die Petition 50 000 Unterstützer finden, damit sich der Bundestag damit befassen muss.http://bit.ly/aKOQb7

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de> Gesundheitspolitik: S. 2, 3 > Rentenpolitik: S. 4,5 > Nachrichten S. 6

Der Newsletter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie 03 | 2010 21. Oktober

aktuell

IG BCE aktuell_3|2010

Unser Gesundheitssystem benötigt Reformen. Doch die von Schwarz-Gelb geplante Reform löst nicht die Probleme, sondern führt zur Zwei-Klassen-Medizin. Auf höhere Beitragssätze – für Beschäftigte – und Zusatzbeiträge hat sich die Koalition geeinigt: „Die beschlossenen Re-formvorschläge unterhöhlen das solidarisch finanzierte Krankenversiche-rungssystem auf Dauer und lösen dabei nicht ein einziges Finanzierungs-problem“, bringt der stellvertretende IG BCE-Vorsitzende Ulrich Freese die Kritik auf den Punkt. Gesundheitsminister Rösler beweise sich damit einmal mehr als Lobbyist der Privatkassen.

An der größten Schwäche der Gesetzlichen Krankenversicherung ändern Röslers Reformen nichts. Zentrale Finanzierungsquelle der GKV bleiben die Arbeitseinkommen, deren Anteil am Brutto-Inlandsprodukt seit langem sinkt. Kapital- und Gewinneinkommen haben zugelegt, sollen aber weiter außen vor bleiben. So entsteht keine sichere Finanzierungs-basis. Wenn die Gesundheitszuschüsse aus Steuermitteln nicht steigen, ist die nächste ungedeckte Finanzierungslücke bald da. Und dann ist mit weiteren sozialen Härten durch Leistungskürzungen oder höhere Zusatz-beiträge zu rechnen. Mehr Netto vom Brutto hatte Schwarz-Gelb verspro-chen, herausgekommen ist eine Mini-Reform, die vor allem die Bezieher mittlerer und kleiner Einkommen sowie die Rentner belastet. <

FAQaktuell

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KRANKENVERSICHERUNG Das Solidarprinzip erhalten

BÜRGERVERSICHERUNG

?Die IG BCE setzt sich für eine Bür-gerversicherung als Alternative

ein. Was sind die Vorteile?Die heutige Abgrenzung von ge-setzlicher und privater Kranken-versicherung hat sich überlebt. Es ist mit den Sozialstaatsprinzipien nicht vereinbar, wenn ein Besserver-diener die Wahl zwischen PKV und GKV hat, andere Beschäftigte aber keine Wahlalternative haben. Das befördert die Entsolidarisierung der Versicherten – zumal privat Versi-cherte von den Leistungserbringern bevorzugt werden. Wir wollen keine Zwei-Klassen-Medizin. Für gesetz-liche und private Krankenversiche-rungen müssen einheitliche gesetz-liche Rahmenbedingungen gelten. Die Bürgerversicherung, die alle Einkommensarten mit einbezieht, ist sozial gerecht und Vorausset-zung für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem.

PRIVATE KRANKENVERSICHERUNG

?Die Gewerkschaften kritisie-ren, dass die Koalition in ihrer

Gesundheitsreform die privaten Versicherer eindeutig bevorzugt. Wie das?Die Koalition erleichtert zum ei-nen den Wechsel von der GKV in die Private Krankenversicherung (PKV) – so soll die nach dem Willen von Schwarz-Gelb die Wartefrist für den Wechsel von der GKV in die PKV von drei auf ein Jahr verkürzt werden. Im Übrigen wird auch Ende des Jahres zum ersten Mal seit 1949 die Mindesteinkommensgrenze, die für einen Wechsel erforderlich ist, heruntergesetzt – von 49 950 Euro Bruttojahreseinkommen auf 49 500 Euro. Auch finanziell greift Schwarz-Gelb den Privaten unter die Arme: Die PKV soll jetzt eben-falls von den staatlich verordneten Medikamentenrabatten für die GKV profitieren. Und künftig sollen nur

noch die Privaten attraktive Zusatz-policen in der Krankenversicherung anbieten können.

SOZIALAUSGLEICH

?Die Koalition will die Einführung von einkommensunabhängigen

Zusatzbeiträgen durch einen „Sozialausgleich“ abfedern. Reicht das nicht aus? Nein. Zwar sieht der Gesetzent-wurf tatsächlich den angekündig-ten Sozialausgleich vor, setzt aber gleichzeitig hohe Hürden: Erst ab Mehrbelastungen von zwei Pro-zent des Einkommens soll ein Aus-gleich stattfinden. Die tatsächli-chen – einkommensunabhängigen – Pauschalzusatzbeiträge, die die Krankenkasse erhebt werden nicht ausgeglichen. Für Durchschnitts-verdiener mit 2500 Euro monatlich gäbe es damit selbst bei einem Zu-satzbeitrag von 50 Euro im Monat keinerlei Entlastung.

Die IG BCE fordert:

> Die unsoziale Kopfpauschale muss gestoppt werden.

> Die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversiche-rung muss wieder hergestellt, das Einfrieren der Arbeitgeber-beiträge aufgehoben werden.

> Die heutige Abgrenzung von gesetzlicher und privater Kran-kenversicherung hat sich über-lebt. Wir brauchen eine Bürger-versicherung, die alle Ver sicher-ten mit einschließt und weitere Einkünfte berücksichtigt – neben Einkommen aus Arbeit auch Einkünfte aus Zins- und Kapital-ausgaben.

> Eine Reform gelingt nur auf Basis des Solidarprinzips. Notwendige medizinische Leistungen müssen auch künftig garantiert sein.

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GESUNDHEITSPOLITIK

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ZUSATZBEITRÄGE Kopfpauschale durch die Hintertür

LEISTUNGSERBRINGER Gleiche Belastung für alleDie IG BCE will, dass bei der Ge-sundheitsreform Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleich belastet werden. Nichts anderes gilt für die Leistungserbringer – für Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken und Pharmaindustrie. Doch auch die Leistungserbringer werden von der Bundesregierung einseitig belas-tet: Sparpotenziale bei Ärzten und Apotheken werden kaum genutzt, die Arzneimittelhersteller müssen sich hingegen der Herausforde-rung neuer Rabatte stellen. Die Ra-batte dürften aus Sicht der IG BCE allenfalls für kurzfristige Einspa-rungen sorgen, belasten aber vor allem kleine und mittlere deutsche Hersteller – und gefährden hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Unter-nehmen, die viel Geld in Innovati-onen und Forschung investieren, dürfen keinen zusätzlichen Risiken ausgesetzt werden. Gesundheits-politik ist auch Arbeitsmarkt- und Industriepolitik. <Die IG BCE-Position zum Arzneimittel-Sparpaket:http://bit.ly/aOcyhb

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GESUNDHEITSPOLITIK

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt einkommensunabhängige Kopfpau-schalen in der Krankenversicherung ab. Das hat die Regierung verstanden – und plant stattdessen neue Zusatzbeiträge der Krankenkassen, die in beliebiger Höhe erhoben werden können: Das ist nichts anderes als die „Kopfpauschale durch die Hintertür“, kritisieren die Gewerkschaften. Bei Amtsübernahme der konservativ-liberalen Bundesregierung hatte die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) noch ein Finanzpolster von 1,8 Milliarden Euro. Es folgte ein Jahr schwarz-gelber Tatenlosigkeit. Jetzt wird der GKV für 2011 ein Defizit von bis zu 11 Milliarden Euro prognosti-ziert, und die Koalition bittet zur Kasse. Abkassiert werden soll vor allem bei den Versicherten. Die von Schwarz-Gelb in der GKV geplanten „Zu-satzbeiträge“ könnten bereits innerhalb weniger Jahre zu einer massiven monatlichen Belastung der Versicherten führen. Eine vom DGB in Auftrag gegebene Studie der Uni Köln rechnet vor: Steigen die Gesundheitskos-ten jährlich nur um zwei Prozent, liegt die Kopfpauschale innerhalb von zehn Jahren rechnerisch schon bei über 70 zusätzlichen Euro im Monat. Bei stärkerem Kostenanstieg sind sogar über 150 Euro möglich. Wider-stand gegen Röslers Pläne gibt es auch in den Regierungsparteien. Bay-erns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) sieht bei der geplanten Gesundheitsreform „erheblichen Nachbesserungsbedarf“. <

Die Pläne der Bundesregierung sehen vor, den Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenkasse (GKV) 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent zu erhöhen. Letztmalig soll auch der Beitrag der Arbeitgeber von 7,0 auf 7,3 % erhöht werden und danach eingefroren werden. Künftige Erhöhungen sollen allein die Versicherten, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, tragen. Damit setzt sich fort, was bereits seit 2004 gilt: Vom ursprünglich solidarisch finanzierten Gesundheitssystem ist Deutsch-land immer weiter entfernt. Seit 2004 steigt der Arbeitnehmeranteil in der GKV überproportional gegenüber dem Arbeitgeberanteil. Mittlerweile zahlen die Versicherten 60 % der Kosten in der GKV. Auf diese Weise wird die solidarisch finanzierte Krankenversicherung ausgehöhlt. Gerecht wäre, wenn die Arbeitgeber wieder den gleichen Beitrag zahlen wie die Beschäftigten. Die IG BCE streitet deshalb für eine volle paritätische Finanzierung.

Bislang nimmt die gesundheitliche Versorgung in Deutschland weltweit eine Spitzenstellung ein. Das muss so bleiben, sagt die IG BCE. Foto: colourbox

Quelle: DGB

Arbeitnehmer zahlen immer mehr Entwicklung der Ausgaben der Gesetzlichen Kranken-versicherung (GKV), des Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteils sowie des durchschnittlichen Bruttojahresgehalts von 1993 bis 2008 (Zunahme gegenüber 1992, in Prozent)

62,2

50,443,6

24,9

ArbeitnehmeranteilAusgaben GKV gesamtArbeitgeberanteil

durchschnittlichesBruttojahresgehalt

60

50

40

30

20

10

01994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008

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FAKTENaktuell20,4 Millionen Menschen bezo-gen Mitte 2009 eine Rente (ohne Waisenrenten). >>> 2009 wurden 1,59 Millionen Rentenneuanträge gestellt. Von den 1,25 Millionen neuen Ruhe-ständlern in 2009 sind 50 % aus Altersgründen in Rente gegangen, 28 % gesundheitsbedingt vorzei-tig ausgeschieden und 22 % zuvor arbeitslos oder im Vorruhestand gewesen. >>> Das durchschnittliche Ren-teneintrittsalter lag 2009 bei 63,2 Jahren (Altersrente). >>> Ende 2008 betrug die durchschnittliche Altersrente von Männern 970 Euro in den alten Bundesländern und 1044 Euro in den neuen, von Frauen 473 Euro im Westen und 676 Euro im Osten. Die Durchschnittsrente der Neuzugänge wegen Alters-rente lag noch niedriger – bei den Männern 865 Euro (West), 902 Eu-

>>> Erhebliche Renteneinbußen müssen diejenigen hinnehmen, die wegen Erwerbsminderung vorzeitig aus dem Job aus-scheiden. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente ist mittlerweile auf 643 Euro gesun-ken – und liegt damit unter dem Sozialhilfeniveau. >>> Nur mit betrieblicher und privater Altersvorsorge können Versicherte künftig im Rentenal-ter ihren Lebensstandard weiter aufrecht erhalten. Wegen der Finanzkrise hat aber bereits jeder fünfte Beschäftigte seine private Altersvorsorge gekappt – mit steigender Tendenz. Nach einer Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag der Postbank haben 20 % aller Berufstätigen 2010 private Vorsorgeverträge gekün-digt oder reduziert. Bei den über 50-Jährigen beträgt der Anteil sogar 23 %.

ro (Ost), bei den Frauen 449 Euro (West), 667 Euro (Ost). >>> Altersarmut ist nach wie vor überwiegend weiblich. Frauen arbeiten überdurchschnittlich häufig in Teilzeit und Minijobs. Daraus resultieren Armutsrenten. >>> Die Zahl der Älteren mit geringen Rentenansprüchen wird steigen. Zum einen wird das Leis-tungsniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesenkt, zum anderen nehmen unstete Erwerbsbiografien mit Zeiten geringfügiger Beschäftigung, der Arbeitslosigkeit, der Kurzar-beit oder der vorübergehenden Selbstständigkeit zu. Die wenigs-ten Beschäftigten erreichen 45 Beitragsjahre, die der Bemessung der so genannten Standardrente (1224 Euro monatlich bei einem jährlichem Einkommen von 30 240 Euro, Stand: 1.7.2009) zugrun-de liegen.

RENTE Sicher und armutsfest

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RENTENPOLITIK

Quelle: Deutsche Rentenversicherung

Jeder Zweite mit Abschlag Anteil der Altersrenten mit Abschlag unter allen Renten-zugängen 2009 (in Prozent)

Insgesamt

Männer/West

Frauen/West

Männer/Ost

Frauen/Ost

42,4

42,5

59,377,4

46,6

Die Rente mit 67 ist eine falsche Weichenstellung. Solange der Arbeits-markt älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kaum Beschäfti-gungschancen bietet, ist sie nichts anderes als ein Rentenkürzungspro-gramm. Klar ist: Die Zahl der Älteren wächst. Aber nicht alle können oder wollen bis 63, 65 oder 67 arbeiten. Statt starrer Altersgrenzen brauchen die Menschen deshalb flexible Übergänge in den Ruhestand – und eine armutsfeste Alterssicherung. Davon ist die IG BCE überzeugt und setzt sich deshalb für flexible Übergänge in den Ruhestand ein.

2007 hat der Bundestag die stufenweise Einführung der Rente mit 67 beschlossen. Derzeit überbieten sich Arbeitgeberfunktionäre und „Exper-ten“ in Forderungen, das Rentenalter noch weiter zu erhöhen. Den Vogel schießt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ab: Dessen Präsident Michael Hüther fordert: „Ein weiterer Anstieg des Rentenzu-gangsalters ist geboten. Die Zielmarke liegt bei 70 Jahren.“ Die Wirklich-keit in der Arbeitswelt nimmt keiner dieser „Experten“ zur Kenntnis.

Die IG BCE ist überzeugt: Es kann keine Lösung nach Schema F geben, starre Altersgrenzen sind falsch. Notwendig sind flexible Übergänge in den Ruhestand. Schließlich sind die Belastungen in den einzelnen Berufen und Tätigkeitsgruppen sehr unterschiedlich. Die IG BCE setzt sich ein für eine armutsfeste Alterssicherung, für ein sorgenfreies Leben im Alter. <

Schon heute erreichen viele das reguläre Renteneintrittsalter von 65 nicht mehr gesund und in Arbeit. Deshalb müssen fast die Hälfte aller Altersrentner Ab-schläge bei der Rente in Kauf nehmen – durchschnittlich 114 Euro pro Monat. Kommt die Rente mit 67, wird sich diese Zahl erhöhen und damit auch die Al-tersarmut steigen. Für jeden Monat, den man vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand geht, müssen 0,3 % Abschlag in Kauf genommen werden – ein ganzes Rentnerleben lang.

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ÄLTERE BESCHÄFTIGTE Kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt

RENTE MIT 67 Der FahrplanDas Gesetz zur Rente mit 67 sieht vor, in diesem Herbst zu prüfen, wie es um die Beschäftigungssituati-on Älterer bestellt ist. Je nachdem wie das Ergebnis ausfällt, muss die Rente mit 67 auf Eis gelegt werden. Voraussichtlich soll der Bericht da-zu am 17. November im Kabinett beraten werden. Ansonsten sieht das Gesetz vor, ab 2012 bis 2029 für die Jahrgänge ab 1947 stufen-weise das Renteneintrittsalter zu erhöhen. 1961 Geborene können danach erst ab 66,5 Jahren eine ungekürzte Rente erwarten. Für alle, die 1964 oder später geboren sind, gilt die Rente mit 67. <

IG BCE Unser GenerationenvertragAuch die Tarifvertragsparteien sind in der Pflicht, sich dem demografi-schen Wandel und seinen Auswir-kungen auf Arbeitswelt und Sozi-alsysteme zu stellen. Deshalb hat die IG BCE gemeinsam mit dem Arbeitgeberverband BAVC für die Chemiebranche 2008 den Tarifver-trag „Lebensarbeitszeit und Demo-grafie“ abgeschlossen. Ähnliche Regelungen gibt es inzwischen auch für drei weitere IG BCE-Tarif-bereiche.

Mit dem Vertrag zwischen IG BCE und BAVC haben die Sozial-partner Tarifgeschichte geschrie-ben. Nie zuvor haben Gewerk-schaften und Arbeitgeber das Thema so umfassend gemeinsam

in Angriff genommen. „Unser Ge-nerationenvertrag“ umfasst Re-gelungen zu allen betrieblichen Themen, die in Hinblick auf eine alternde Gesellschaft unter den Nägeln brennen – von der alters- und alternsgerechten Arbeitsor-ganisation über Langzeitarbeits-konten und Qualifizierung bis hin zur die Gesundheitsvorsorge. Er bietet den Betriebsparteien einen kompletten Werkzeugkasten für ein produktives und faires Mitei-nander von jüngeren und älteren Beschäftigten.

In der Folge wurden 2009 in allen Betrieben Demografie-Ana-lysen durchgeführt. 2010 sind 180 Millionen Euro von den Arbeitge-bern in den Demografie-Fonds für Maßnahmen nach dem Tarifver-trag geflossen. <

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RENTENPOLITIK

IM NETZ4. Monitoring-Bericht des Netz-werks für eine gerechte Rente: http://bit.ly/dis529Video-Statement von Michael Vassiliadis zur Altersvorsorge der Zukunft: http://bit.ly/9Kg1lqIG BCE-Positionen zur Alters-sicherung: http://bit.ly/awAx8M

Alle reden vom Fachkräftemangel – und davon, dass die Unternehmen künftig verstärkt auf ältere Beschäftigte angewiesen sind. Noch ist die Realität eine andere: Gerade mal ein Fünftel aller 60- bis 64-Jährigen hat noch einen sozialversicherten Job. Folgt man dem Gesetz zur Rente mit 67, dann müsste die Anhebung des Renteneintrittsalters gestoppt werden.

Wie schlecht es um die Beschäftigungschancen von älteren Menschen bestellt ist, zeigt der 4. Monitoring-Bericht des „Netzwerkes für eine ge-rechte Rente“. Die Zahlen sind ernüchternd: Nur 9,2 Prozent der 63-Jähri-gen und 6,3 Prozent der 64-Jährigen haben noch eine Vollzeitbeschäfti-gung. Doch die Bundesregierung arbeitet mit anderen, „schöneren“ Zahlen. Nach dem Deutschen Alterssurvey hat sich etwa die Erwerbsquo-te der 60- bis 64-Jährigen im Zeitraum 2000 bis 2008 von 20 auf 33 % er-höht. Statistiken, die täuschen – Grundlage der Untersuchung sind nicht die sozialversicherten Beschäftigten, sondern jede/r wird mitgezählt, der mindestens eine Stunde in der Woche erwerbstätig ist. <

Die IG BCE fordert> flexible Übergänge in die Rente zu schaffen> die Rente mit 67 auszusetzen> die Altersteilzeitregelung wieder in Kraft zu setzen> die Teilrente aufzuwerten> alternsgerechte Arbeitsbedingungen, damit die Jungen von heute irgendwann gesund in Rente gehen können> altersgerechte Arbeitsbedingungen für ältere Beschäftigte.

Quelle: EU-Kommission

insgesamtüber 65-Jährige

2000 2005 2007

Altersarmut wächstEntwicklung der Armuts-risikoquote in Deutschland insgesamt und für über 65-Jährige (in Prozent)

1715

14

121010

Altersarmut wird zunehmend zum Pro-blem – auch wenn die Zahl der Grund-sicherungsempfänger im Alter noch relativ gering ist. Sie steigt aber stark an. Schon heute sind 17 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland von Armut bedroht, so die EU.

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IMPRESSUMHerausgeber: IG Bergbau, Chemie, EnergieMichael VassiliadisChefredakteur und verantwortlich: Christian Hülsmeier Redaktion: Michael Denecke, Rudolf HeimText: Graewis Verlag GmbHGestaltung: zang.designInfografik: Niesen MediendesignKontakt: IG Bergbau, Chemie, EnergieAbteilung Medien + KommunikationKönigsworther Platz 6, 30167 HannoverTel. 0511 / 76 31 - 698, Fax 0511 / 7 00 08 [email protected]

IG BCE aktuell, der IG BCE-Newsletter für Aktive, kann – unter Angabe der E-Mail-Adresse – im Internet bestellt werden unter: http://bit.ly/a8vPp5 oder per Fax: 0511/7000891.Ca

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DGB Gegen vorzeitiges Zechen-AusIm Dezember wird sich in Brüssel entscheiden, ob es gelingt, das von der EU-Kommission vorgesehene Aus für die deutschen Zechen 2014, statt wie vereinbart 2018, zu ver-hindern. Unterstützung erhalten die Bergleute vom DGB. Am 5. Ok-tober hat der DGB-Bundesvorstand die Bundesregierung aufgefordert, „ihren Einfluss gegenüber dem EU-Ministerrat geltend zu machen, sodass der 2007 in Deutschland gefundene gesellschaftliche Kom-promiss bis 2018 erhalten bleibt“. Deutschland könne nicht auf die bewährte Technologie in Form ei-nes Sockelbergbaus verzichten. Zudem wäre der frühere Ausstieg ein nicht „vertretbarer Vertrauens-bruch gegenüber den Beschäftig-ten“. < http://bit.ly/duTEHh

LESEZEICHENMichael Vassiliadis: Für den Fort-schritt. Industriepolitik im 21. Jahr-hundert, Vorwärts Verlag, Berlin 2010, 117 Seiten, 10 Euro

Es ist Zeit für „eine neue Kultur des Fortschritts“, fordert der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassili-adis. Sein Buch lädt zur Debatte ein, was wir in Deutschland unter Fortschritt verstehen und wie wir eine neue Fortschrittskultur entwickeln können. „Zukunft hat der Fortschritt nur in ganzheitli-cher Dimension“, stellt Vassiliadis klar: Technologischer und wirt-schaftlicher Fortschritt müssen mit sozialem und ökologischem Fortschritt verbunden werden. In neun Thesen bietet der IG BCE-Vorsitzende anregenden Stoff für Diskussionen. Er bekräftigt, dass innovative Industrien auch im 21. Jahrhundert der Schlüssel zum Fortschritt hierzulande sind. Er kri-tisiert, dass es immer schwieriger wird, industrielle Neuinvestitionen in der Gesellschaft durchzuset-zen. Er fordert, den Gedanken der

Teilhabe in umfassender Weise neu zu beleben. Von der Politik erwar-tet er mehr Mut zu Entscheidun-gen, von den Unternehmen mehr Verantwortung auch für die soziale und ökologische Entwicklung. Er ist überzeugt: Wer, wenn nicht die Gewerkschaften, sollte die Debatte über nachhaltigen Fortschritt an-stoßen. Die Diskussionen werden fortgesetzt, verspricht Vassiliadis – zunächst in der eigenen Organisa-tion, später mit allen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die an der Entwicklung einer neuen Fort-schrittskultur mitwirken wollen.

BRAUNKOHLE KundgebungIn den Energiemix der Zukunft ge-hört die heimische Braunkohle – die Aktionen der IG BCE Nordost für eine „Zukunft mit unserer Kohle“ ge-hen am 28.10., 17 Uhr, mit einer Kund-gebung in Cottbus weiter. Haupt-redner ist neben Michael Vassilia dis der brandenburgische Arbeits-minister Günter Baaske (SPD). <www.nordost.igbce.de

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NACHRICHTEN