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IM BANN DER FREIHEIT CHRISTIAN JELTSCH OLAF KRAEMER Leseprobe

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  • Im bann der freIheIt

    chrIstIan jeltscholaf kraemer

    Lese

    prob

    e

  • 1

    Scheinbar zufällig sind Edda, Simon und Linus in einem Feriencamp

    bei Berlin aufeinandergetroffen und damit einer Organisation namens

    gene-sys ins Netz gegangen. gene-sys sucht junge Menschen, die die

    Fähigkeit haben, zu einer sogenannten „Kritischen Masse“ zusammen-

    zuwachsen. Und in Edda, Simon und Linus scheint die Organisation

    eine solche „Kritischen Masse“ gefunden zu haben. Die Jugendlichen

    sollen in den Dienst von gene-sys treten und an der Entwicklung einer

    neuen menschlichen Elite mitarbeiten. Doch so verlockend die Aus-

    sicht auch ist, im Kreis der Auserwählten zu sein und für eine bessere

    Zukunft zu forschen - die drei fühlen sich benutzt und in die Enge

    getrieben. Sie lassen ihre Angehörigen zurück, darunter auch Eddas

    Großmutter Marie, fliehen aus dem Hauptquartiert von gene-sys und

    tauchen im winterlichen Berlin unter.

    Doch Eifersucht und Gewalt auf den Straßen der Millionenmetropole

    drohen die Freundschaft der drei zu zerstören. Als sie erkennen, dass

    gene-sys ihnen Überwachungschips implantiert hat, holen sie zum

    Gegenschlag aus. Sie kehren in das hoch bewachte Hauptquartier von

    gene-sys zurück, um Marie zu befreien. Die Aktion gelingt, doch der

    Preis ist hoch. Nur Edda, Simon und Marie können entkommen. Linus

    bleibt schwer verletzt zurück.

    -----------------| Was bisher geschah: |------------------------------------------------------------------

  • 2 3

    Alles Licht, das der Himmel ihnen durch die Wolken schickte, ver-

    schwand in dem aufgewühlten Wasser wie in einem schwarzen

    Loch. Das Wetter war stetig rauer und finsterer geworden, und

    am fernen Horizont sah es aus, als würden Wolken und Gischt zu

    einem Ende der Welt verschmelzen.

    Wieder gelang es nicht, das Schlauchboot an dem Pfeiler zu veran-

    kern. Wieder schoss es mit der Strömung hinaus auf das offene Meer.

    „Noch einen letzten Versuch!“, brüllte Schifter über das Krachen

    der Brandung. „Diesmal gelingt es!“

    Simon fragte sich, ob der Typ sie noch alle hatte. Auf jeden Fall

    schien er niemals seine positive Ausstrahlung zu verlieren. Simon

    zwang sich, tapfer zu wirken und zurückzulächeln. Er wollte sich

    keine Blöße mehr geben. Nicht vor Gopal und nicht vor Edda. Er sah,

    wie sie in ihrer Jackentasche nach der kleinen Spieluhr kramte, deren

    Mechanik aus beweglichen Teilen Simon an die Sonnenräder im Un-

    tergrund von Berlin erinnert hatte. Der Gegenstand aus Bernikoffs

    Besitz schien Edda Kraft zu verleihen. Wie eine Reliquie, dachte er.

    Er hätte auch gern etwas gehabt, an dem er sich hätte festhalten

    können. Etwas, das ihn abgelenkt hätte von der Weite des Meeres

    und von seiner alten panischen Angst vor der Tiefe, die er seit dem

    Tod seines Bruders immer gemieden hatte. Er spürte, wie der Mal-

    strom und die Angst ihre Finger nach ihm ausstreckten. Es war der

    Malstrom seiner eigenen Furcht. Deshalb hatte er ohne zu zögern

    auf die Schwimmweste verzichtet; um sich ihr zu stellen. Und weil

    Simon starrte in die Dunkelheit. Das Wasser. Die Luft. Die Nacht.

    Wie lange Peitschen krümmten sich die Wellen in die Höhe, bevor

    sie in feine Tropfen zersprangen, in der Tiefe versanken und

    schäumend wieder an die kalte Luft zurückkehrten, um ihr schein-

    bar sinn loses Werden und Vergehen von Neuem zu beginnen.

    Er  brauchte einen Augenblick, bis er erkannte, dass dort Metall

    pfeiler auftauchten, die aus dem schwarzen Meer in den Himmel

    ragten und an denen sich die Wellen brachen. Die Pfeiler führten

    hinauf zu einem riesigen Plateau, auf dem in der Ferne ein paar

    Warnlichter blinkten. Für die Dauer einer Sekunde streifte der

    Suchscheinwerfer des Schlauchboots über die gigantischen, senk-

    recht verlaufenden Röhren. Im Wogen einer Welle erkannte Simon

    das rostige, mit Seepocken überwucherte, metallene Gebein der

    Plattform, von dem die Gischt in das kleine Boot brach und es her-

    umschleuderte wie ein vergessenes Kinderspielzeug.

    Die Fahrt zur Plattform stand unter keinem guten Stern. Schon

    beim Zu-Wasser-Lassen des Schlauchbootes hatte es Schwierig-

    keiten gegeben. Und als sie endlich im Boot saßen, stellten sie fest,

    dass nur drei der vorgeschriebenen sechs Schwimmwesten an Bord

    waren. Also hatte Simon auf seine verzichtet. So sehr auch Schifter

    und Gopal dagegen protestiert hatten, Simon ließ sich nicht beirren.

    Er wollte hier der Held sein. Oder war er nur der Depp?

    Seit vor einer halben Stunde von Norden Schlechtwetter aufgezo-

    gen war, hatte die grüne See ihre Farbe in dunkles Grau verwandelt.

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    dass alles wieder in Ordnung war zwischen ihnen. Doch Edda wich

    seinem Blick aus und senkte den Blick. Sie ließ sich von Gopal

    halten, ließ sich von ihm zur Stiege führen.

    Was sollte Simon tun, wenn nicht nur Linus verschwunden war,

    sondern wenn Edda seine Gefühle nicht mehr erwiderte? Hatte sie

    sie je erwidert? Weshalb hatte er sie nie gefragt? Weil er feige war.

    Weil er Angst hatte, dass sie ihn ablehnen könnte.

    Eine gigantische Welle baute sich unter dem Plateau auf und griff

    nach dem Boot und dann nach Edda, die eben den ersten Schritt

    auf die Stufe der Stiege gesetzt hatte, während Simon ihr die Hand

    reichte. Wie eine Tatze aus Wasser schlug die Welle das Boot in die

    Höhe und zog es dann sofort mit sich in die strudelnde Tiefe, sodass

    Edda gleichzeitig den Kontakt zu Simon und der Treppe verlor und

    in die schwarze See stürzte.

    Simon zögerte nicht und sprang ihr nach. Sein Körper versank in

    dem dunklen Wasser und wurde von einer Welle gegen den Pfeiler

    geschlagen. Doch bevor er zu sinken begann, bekam er Edda zu

    fassen. Der Auftrieb ihrer Schwimmweste wollte sie nach oben

    ziehen. Simon begriff, dass er sie wieder loslassen musste, damit sie

    gerettet werden konnte. Gemeinsam waren sie zu schwer. Er öffnete

    seine Hand, gab sie frei und Edda schoss an die Wasseroberfläche.

    Verzweifelt begann Simon zu schwimmen, während er gleichzeitig

    versuchte, von den unermüdlichen Wellen nicht an den finsteren

    Pfeiler geschleudert zu werden. Er sah, wie Gopals kräftige Hände

    nach Edda griffen und sie an Bord zogen. Im selben Moment fuhr

    er dem Beispiel von Linus folgen wollte. Er spürte, wie sehr Linus

    mit seiner Selbstlosigkeit Edda imponiert hatte. Wäre es ihr lieber

    gewesen, wenn er an Linus’ Stelle in Berlin zurückgeblieben wäre?

    Warum beschäftigte sie sich die ganze Zeit mit diesem Gopal? Sie

    kannte ihn doch kaum, und doch taten die beiden so, als wären sie

    unendlich vertraut.

    Was waren das für Fragen?

    Während das Boot wie eine Flaschenpost zwischen den Pfosten auf

    und nieder tanzte, öffnete sich ein paar Meter über der brausen-

    den See plötzlich eine Luke, aus der ein heller Strahl hinab in das

    Wasser fiel, wie eine Leiter aus Licht. Das Wasser unter der Luke

    war etwas ruhiger und für einen Augenblick schaute der Kopf eines

    jungen Mannes auf das Boot herab. Edda und Simon beobachte-

    ten, wie er eine lange Leine mit bunten Schwimmern herab warf,

    und sie spürten gleichzeitig große Erleichterung. Gleich würde die

    Odyssee ein Ende haben.

    Nach mehreren Versuchen gelang es Simon und Gopal schließlich,

    die Leine zu fassen und das Boot nahe genug an den Pfeiler her-

    anzuziehen, um es an beiden Enden zu vertäuen. Auf ein Zeichen

    von Schifter erhob Simon sich in dem schwankenden Boot und

    ergriff das Ende einer Metallstiege, die in das Wasser hinab und

    zu der Luke hinauf führte. Simon spürte die raue Oberfläche der

    nassen Sprossen unter seinen Händen, als er sich aus dem Boot

    zog. Er blickte zurück zu Edda, die sich als Nächste auf die Stiege

    ziehen wollte, als wolle er sich vergewissern, dass es ihr gut ging,

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    Oder war es nur ein Versuch, sich vor der Traurigkeit zu schützen,

    die hinter jedem Gedanken darauf lauerte, ihn zu schwächen und

    hinabzuziehen. Linus wusste ja nicht einmal, wo seine Freunde

    waren. Furcht kam in ihm auf. Dass die Freunde un endlich weit fort

    von ihm waren. Machte er sich nur etwas vor mit seinem Optimis-

    mus? Sich selber täuschen ... darin war er schon immer richtig gut

    gewesen. Wenn er ehrlich war, empfand er nichts als Einsamkeit.

    Er hatte fast vergessen, wie sie sich anfühlte. Aber nun war sie mit

    so großer Wucht in ihn eingedrungen, dass er das Gefühl hatte, sie

    hätte ihn niemals verlassen. Ein schrecklich vertrautes Gefühl.

    Als er Edda und Simon begegnet war, als sie für ihn auf die groß-

    artige Zukunft bei gene-sys verzichtet hatten, da hatte Linus

    geglaubt, dass es für immer vorbei sei mit seiner Einsamkeit. Er

    hatte echte Freunde gefunden. Nicht von der Art, die er vom Schul-

    hof kannte, die in ihrer oberflächlichen Eifersucht ständig neue

    Beweise für ihre Freundschaft brauchten. Edda und Simon waren

    seine Verbündeten und Kampfgefährten. Sie waren seine Familie.

    Die einzigen Menschen, auf die er sich ohne Bedenken verlassen

    konnte. Das, was Linus und Edda und Simon verband, war so ehr-

    lich. Und so tief. Es war eine so große Nähe, dass es Linus, wenn er

    nur daran dachte, vor Glück Tränen in die Augen trieb. Wie kann

    man mehr eins sein mit anderen Menschen? Menschen, mit denen

    man „ reden“ kann, ohne zu sprechen. Mit denen man sich nur über

    die Gedanken verständigt. Es war das große, gute Gefühl, wirklich

    besonders zu sein. Das sie gemeinsam erschufen, wenn sie sich

    eine noch gewaltigere Welle unter das Plateau und sog Simon in

    die Tiefe der dunklen Wasser. Sofort wurde Simon von Eindrücken

    geflutet, die ihn seit dem Tod seines kleinen Bruders verfolgt hatten

    und die in den Archiven seines Körpers gespeichert waren. Waren

    sie früher ab und an in seinen Träumen aufgetaucht, hatte er sich

    vor ihnen retten können, indem er sich vorstellte, durch einen lan-

    gen, engen Tunnel ins Licht und Vergessen zu tauchen. Doch hier

    unten gab es keinen Tunnel. Keine Rettung. Nun war er tatsächlich

    in diese Tiefe gestürzt. Gehalten von einer Strömung, schwer und

    unbeholfen wie ein verdammter Stein. Ein Stein, der fühlte.

    Salzwasser drängte unerbittlich in Nase und Ohren. In der düsteren

    Welt aus Blasen, Tiefe und grünlich schwarzem Licht gab es nichts,

    woran Simon sich hätte orientieren oder festhalten können. Und

    die Strömung war stärker als er und als die Menschen im Boot.

    „Simon!“, schrie Edda über Wasser. „Simon! Simon!“ Gopal und

    Schifter, die das Sicherungsseil gehalten hatten, wankten, als der

    Zug, der auf dem Seil gelegen hatte, plötzlich verschwand. Eilig

    zogen sie das Seil ins Boot. Fassungslos starrten sie darauf. Sie

    wussten alle drei, was das bedeutete.

    Linus lag in seinem Krankenbett und lauschte auf seinen Atem. Er

    spürte seinen Gedanken nach. Und seinen Gefühlen. Was empfand

    er bei dem Gedanken, dass nun Simon mit Edda unterwegs war?

    Glaubte er wirklich, dass er die Freunde jemals wiedersehen würde?

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    hellem Ton. Sie kam näher und beobachtete ihn wie einen seltenen

    Käfer. Er wollte nicken, lächeln. Aber, klar, das ging ja noch nicht.

    Doch er hatte seine Augen offen und insofern war das eine furchtbar

    dämliche Frage.

    „Wissen wir, wie wir heißen?"

    „Nebukadnezar“, sagte Linus.

    „Wissen wir denn, warum wir hier sind?“, fragte die Schwester

    unbeirrbar freundlich.

    „Ich weiß es. Wenn du’s nicht weißt, schau in die Akte!“

    Linus versuchte, großzügig zu bleiben in seiner Beurteilung der

    Schwester. Dann aber sah er plötzlich die Veränderung in ihrem

    Gesicht, wie sich ihre Augenbrauen besorgt zusammenzogen.

    Dann war sie aus seinem Blickfeld wieder verschwunden.

    „Was ist los?“, rief Linus. Ihm fiel auf, wie still es war. „Wo sind Sie?“,

    rief er.

    Wieder war alles still. Irritiert bemerkte Linus, dass er seine eige-

    ne Stimme nicht hören konnte. Aber er hatte doch eben die Stim-

    me der Schwester gehört. Wie eine schreckliche Flut breitete sich

    die logische Erklärung dafür in seinem Hirn aus und verdrängte

    alles andere. Stumm! Er war stumm. Er konnte nicht mehr spre-

    chen. Er probierte es wieder. Kein Ton kam aus seinem Mund.

    „Verdammt“, sagte schließlich die Ärztin. „Gelähmt.“ Es klang

    durch den Raum, und ihr war selber sofort klar, dass es we-

    niger nach einem Fluch als nach einem vernichtenden Urteil

    geklungen hatte. Linus war es, als hätte ihn zum zweiten Mal

    „zusammenschlossen“. Das war wie eine Wolke aus Gefühlen. Aus

    guten Gefühlen. Überwältigend.

    Nein. Viel mehr!

    Es war grenzenlose Freiheit, die sie sich gegenseitig gewährten.

    Jeder hatte Zugang zu allen Geheimnissen der anderen, jeder legte

    alles von sich offen, voll Vertrauen. Aus diesem Schritt war Edda,

    Simon und Linus eine ungeheure Kraft erwachsen, ein Gefühl der

    Unbesiegbarkeit. Als hätte man drei Super-Computer vernetzt, die

    gemeinsam noch leistungsfähiger waren. Mehr als die Summe aus

    drei. Viel mehr.

    Linus rief sich Eddas Lachen vor das innere Auge und empfand

    eine große Ruhe. Wie sehr er sich am Anfang in diesem Mädchen

    getäuscht hatte; aufgetakelt wie eine blöde Tusse war sie ins Camp

    gekommen. Aber das war alles nur Fassade gewesen. Ein Schutz,

    mit dem sie sich umgeben hatte, um sich nicht selber nahekommen

    zu müssen. Sie hatte sich in den letzten Monaten komplett gewan-

    delt, war zu einer Kriegerin geworden und Linus war ihr verfallen. Zu

    dumm, dass er nie den Mut gehabt hatte, ihr zu sagen, was er wirk-

    lich für sie empfand. Wirklich wirklich. Aber war das Liebe? Oder

    war das nicht viel mehr? Woran sollte er bloß festmachen, ob es nur

    Liebe war? Und warum nannte er es in seinen Gedanken gerade „nur

    Liebe“? Mein Gott, war das alles kompliziert. Und dennoch war Linus

    voller Vorfreude auf das, was das Leben noch für ihn bereithielt.

    „Sind wir aufgewacht?“ Das rötliche Gesicht einer rundlichen Kran-

    kenschwester kam in sein Blickfeld. „Feinfeinfein“, zwitscherte sie in

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    Er führte Simon zu einem Becken, in dem in Nährflüssigkeit un-

    endlich viele, verdrahtete, weiße Schalen lagen. „Frag nicht, wie

    es funktioniert. Das ist unser Geheimnis – und ich könnte es dir

    sowieso nicht erklären.“

    Simon war beeindruckt.

    „Und ihr alle arbeitet umsonst hier?“, fragte er ungläubig.

    „Na, das hoffen wir nicht“, sagte Schifter und lachte. „Aber wenn

    du meinst, ob wir Geld für die Arbeit bekommen ... Nein. Niemand

    von uns besitzt Privateigentum. Jeder kann alles benutzen und

    alles lernen. So hat jeder von uns mehr als alle anderen da draußen

    und trägt nur einen Teil der Verantwortung. Wir sind frei ... so frei,

    wie man heute nur sein kann.“

    „Klar. Außer dass ihr auf der Insel gefangen seid, seid ihr frei.“

    Belustigt schaute Schifter ihn an.

    „Dafür brauchen wir eben Edda und dich. Komm, ich möchte dir

    jemanden vorstellen. Jemanden, der mir sehr wichtig ist.“

    Simons Augen hatten sich an das Halbdunkel gewöhnt und sie

    gingen zu einem Jungen, der in einem verwaschenen T-Shirt, auf

    dem das Sonnenrad-Logo der Truppe prangte, an seinem Arbeits-

    platz saß. Er drehte sich zu Simon um. Er war nicht viel älter als

    Simon – und er war ein Mädchen.

    „Sudden“, sagte sie und streckte Simon die Hand entgegen.

    „Hi. Ich bin ...“

    „Simon. Ja. Kenn dich schon.“

    „Ach ja?“, sagte Simon und ging sofort auf den frechen Ton ein.

    ein Geschoss in die Eingeweide getroffen. Doch diesmal mit noch

    größerer Wucht.

    Über hundert Rechner-Blöcke standen nebeneinander montiert in

    dem Saal, der sich im mittleren Deck der zweiten Plattform befand.

    Sie waren durch dicke Kabelstränge verbunden. Die Bullaugen des

    Raums waren geschlossen. Rot und grün blinkten LED-Lichter in

    unregelmäßigen Abständen. Die Luft roch nach Elektrizität und

    dem Plastik von zahllosen Kabeln. Die Metallwände des Saals

    waren mit Dämmmaterial verkleidet, sodass das Rauschen des

    Ozeans kaum noch zu hören war. Im Halbdunkel saßen zwei junge

    Männer vor den wenigen Bildschirmen.

    „Computerserver“, sagte Simon. Er war baff.

    Schifter nickte.

    „Hier und nebenan auf der dritten Plattform stehen noch mehr

    unserer Server. Genau wie an vierzig anderen Orten auf der ganzen

    Welt, mit denen wir seit dem letzten Jahr die größte Cloud der Welt

    unterhalten, in die Tausende von Unternehmen und Behörden ihre

    Daten auslagern.“

    Simon schaute auf die langen Reihen von Rechnern und zweifelte.

    „Vier zig sind zwar viele, aber für die größte Cloud ... da reicht das nicht.“

    „Stimmt“, sagte Schifter. „Wenn man klassische Speichermedien

    benutzt. Aber wir haben einen Weg gefunden, Eiweiße als Medium

    einzusetzen.“

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    „Katzen und Babys“, erklärte Sudden. „Aber die Katzen haben bei

    Weitem gewonnen. Wir rätseln selbst noch, warum das so ist. Wer

    das Katzen-Mem knackt, wird Zugang zur Weltherrschaft haben!“

    Sie lachten über Suddens Witz, der nicht völlig realitätsfern war.

    Simon ließ sich auf einen der freien Drehstühle fallen, betrachtete

    Sudden prüfend, schaute zu Schifter und wieder zu dem Mädchen.

    „Diese Servergeschichte ... Regierungen und Unternehmen würden

    euch doch nie freiwillig ihre Daten zur Verfügung stellen“, sagte er

    misstrauisch.

    Schifter nickte und lächelte.

    „Natürlich fungieren wir offiziell als seriöses Unternehmen, das

    selbst auch die Rechner herstellt. ‚MegaLine 2.0‘. Wir sind weltweit

    führend als Big-Data-Träger. Noch bringt uns niemand in Verbin-

    dung mit der Station hier auf hoher See. Um genau zu sein, weiß

    überhaupt niemand, dass wir hier sind. Wir befinden uns außer-

    halb der Drei-Meilen-Zone. Und wenn jemand fragt, dann betreiben

    wir hier ein Test-Projekt zum Thema Gezeitenkraftwerk.“

    „Aber ihr habt die Plattformen doch nicht gebaut“, sagte Simon.

    „Nein. Sie stammen aus dem Zweiten Weltkrieg. Dienten als Abhör-

    anlagen und um vorzeitig zu erkennen, ob sich Schiffe oder Flieger

    Richtung Küste bewegen. Oder auch U-Boote“, erklärte Schifter wei-

    ter. „Als wir ankamen, haben wir kaum noch Technik hier gefunden.

    Bixby hatte die Insel entdeckt. Sie liegt strategisch perfekt.“

    Während sie sprachen, kamen immer mehr Leute in den Saal,

    Jugendliche und junge Erwachsene, die seit einiger Zeit alle auf der

    „Ja“, sagte Sudden lapidar. „Ich war eine von denen, die den Daten-

    strom von gene-sys angezapft haben. Wer weiß – vielleicht kenne

    ich dich ja besser als du dich selbst.“

    Sudden forderte ihn heraus. Das gefiel ihm, lockte ihn aus seiner

    trüben Stimmung.

    „Was bin ich denn für einer?“, wollte Simon wissen.

    „Nachdenklich. Cool, wenn’s sein muss. Einer zum Verlieben.

    Wenn’s sein muss.“

    Sie schaute kurz von ihrem Rechner auf und verzog für den Bruch-

    teil einer Sekunde ihren Mund zu einem Lächeln. Simon war baff.

    Eben noch hatte er eifersüchtig um Edda getrauert und jetzt hockte

    da vor ihm ein weiteres faszinierendes weibliches Wesen. Das

    musste er erst mal verkraften. Er lenkte ab.

    „Was machst du hier?“, wollte er wissen.

    „Programme und Viren. Internet-Meme und eine Menge berühmter

    Katzenvideos, die von hier aus ihren Weg ins Netz und um die Welt

    gefunden haben.“

    „Katzenvideos?“ Simon lächelte. Das Wort passte nicht zu dem mar-

    tialischen Aussehen der Plattform und auch nicht zu dem cleveren

    Mädchen mit den kurzen Haaren und den vielen kleinen Sommer-

    sprossen auf ihrer Haut.

    „Eines der beliebtesten Meme im Netz“, sagte sie. „Eine Erfindung

    von Bixby, der sich gefragt hat, welche Meme sich auf freiwilliger

    Basis am schnellsten und vor allem weltweit verbreiten“, fügte

    Schifter hinzu.

  • 14 15

    Simon spürte, wie er immer unruhiger wurde. Nicht nur weil es hier

    um ihn zu gehen schien, sondern auch weil Edda fehlte.

    Und als sie kam, trat sie an der Seite von Gopal in den Raum. Er

    spürte, wie ihm Blut in den Kopf schoss, und fühlte einen tiefen

    Stich in seinem Herzen, der sich bis in seine Magengrube fortsetzte.

    Er hätte es nie zugegeben, aber die beiden sahen wie ein perfektes

    Paar aus. Neben Gopal wirkte Edda reif und erwachsen und Simon

    kam sich vor wie ein kleiner Junge. Er spürte, wie er innerlich

    zusammensackte.

    Edda und Gopal kamen auf ihn zu. Gopal legte die Hand auf seine

    Schulter.

    „Freut mich, dass du wieder dabei bist, Simon!“

    Simon reagierte nicht. Er schaute vor sich hin, wollte Edda nicht

    anschauen. Wollte nicht sehen, wie gut es ihr auf einmal ging. Die

    Begegnung mit Sudden hatte nicht ausgereicht, seinen Schmerz um

    Edda zu vertreiben.

    „Ruhe bitte“, unterbrach Schifter das Murmeln im Raum. Er wand-

    te sich den Anwesenden zu, die interessiert auf den Stühlen oder

    Tischen hockten. An einigen Bildschirmen wurde weitergearbeitet.

    „Ich brauche euch Edda und Simon nicht vorzustellen“, sagte Schif-

    ter. Die Menge klatschte und Edda und Simon schauten sich an.

    „Obwohl Linus, der Dritte im Bunde, heute nicht hier ist, werden

    Edda und Simon Kontakt mit Linus aufnehmen und eine Kritische

    Masse bilden und dann wie geplant eine Cloud, ein Brain-Interface

    erschaffen, dass einen regen weltweiten Börsenhandel suggeriert.

    Plattform lebten und Simon anschauten, ihn grüßten, als ob sie ihn

    kannten, oder ihm freundlich auf die Schulter klopften.

    Als Simon sich unbeobachtet glaubte, warf er einen Blick auf

    Sudden. Sie sah ihm zu, und er schaute nicht fort, sondern lächelte

    und sie lächelte zurück.

    „Viele hier sind auch in Camps von gene-sys gewesen“, sagte sie. „Ein

    paar haben ein ähnliches Schicksal wie Edda oder Linus oder du. Ha-

    ben Eltern, die Forscher sind und von gene-sys gekauft wurden. Dafür

    haben sie ihre Kids bei ihren Großeltern oder Verwandten gelassen.“

    „Und du?“, fragte Simon.

    „Anders“, sagte Sudden nur und lachte.

    „gene-sys hat oft Kinder von genialen Wissenschaftlern benutzt und

    Kinder, deren Eltern ungewöhnliche Erfahrungen gemacht haben“,

    sagte Schifter. „Menschen, die so etwas wie ein zweites Gesicht hatten

    oder eine schizoide Störung oder Spaltung in ihrem Krankheitsbild.“

    „Und was wollen die alle hier?“, fragte Simon unruhig.

    „Dich und Edda kennenlernen“, sagte Schifter. „Seit einem halben

    Jahr verfolgen wir euer Leben. Und seit einem halben Jahr setzen

    wir große Hoffnung in euch.“

    „Ist das die ‚Truman Show‘ hier, oder was?“

    „Besser!“, antwortete Sudden und lachte. „Viel besser. Das hier ist

    echt. Echt echt.“

    Immer mehr Leute füllten den Raum. Bald waren dreißig oder

    vierzig Menschen, Männer, Jungen, Mädchen und junge Frauen

    in dem Raum.

  • 16 17

    das letzte Boot aus dem Verband aus und steuerte im Flüster modus

    der Motoren auf die P1 zu. Zwei Söldner waren an Deck und

    warteten, bis das Boot an die äußere der Stützen herangefahren

    war. Einer der Söldner hielt das Boot in Position, während der

    andere knapp unter der Wasseroberfläche mit einem Magneten den

    Sprengsatz befestigte.

    Wir werden dann, wenn es uns gelingt, zum ersten Mal die in

    der Cloud erzeugte Frequenz digitalisieren und aufzeichnen, um

    diese Realitätssimulation des weltweiten Börsenhandels über das

    Netz einzuspeisen. Vorausgesetzt das klappt, können wir hinter

    dieser „Fassade“ von hier aus den Status quo aller Börsenkurse

    einfrieren und in diesem Stadium festhalten. Ohne dass jemand

    etwas davon merkt.“

    Applaus. Johlen erklang. Lachen.

    „Die Simulation werden wir für genau so lange aufrechterhalten,

    bis alle Börsen stillstehen. Sobald das der Fall ist, lösen wir die

    Simulation auf und man wird erkennen, dass trotz brachliegenden

    Aktienhandels die Welt weiter funktioniert. Dass die Macht der

    Trader nur ein Schein ist. Weil die Menschen geglaubt haben, was

    Politiker und Geldmanager uns immer wieder eingeredet hatten.“

    Alle klatschten. Die Idee war so einmalig wie genial.

    „Die Menschen werden merken, dass Wachstum keine Notwendig-

    keit ist, sondern ein Hirngespinst, an das die ganze Welt glaubt wie

    an einen Gott“, sagte Gopal.

    Wie Raubfische auf ihre Beute lauerten die drei Schnellboote auf

    ruhiger See unweit der Plattformen. Die Motoren waren abgestellt.

    Durch die Nacht drang die Musik von den Plattformen heran.

    Birdsdale wandte sich nur an das dritte Schnellboot. „Kommando

    Zulu: Sprengung von Plattform 1 vorbereiten.“ Kurz darauf scherte

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  • Christian Jeltsch,

    geboren 1958 in Köln, versuchte sich als Fußballspieler, im Studium

    der Psychologie, als Filmtechniker, als Regieassistent am Theater und

    beim Film. Jetzt schreibt er Drehbücher für Fernsehfilme und erhielt

    dafür u.a. den Adolf-Grimme-Preis.

    Olaf Kraemer

    studierte Ethnologie und Publizistik in Berlin, war Sänger und Texter

    in einer Garagen-Band und arbeitete zwölf Jahre als Journalist und

    Übersetzer in Los  Angeles. Heute lebt er als Buch- und Filmautor in

    München. Christian Jeltsch lernte er auf dem Spielplatz kennen.

    -----------------| Autoren |------------------------------------------------------------------------------------

    1918

  • Die Abaton-Trilogie

    Band 1

    »Vom Ende der Angst«

    Band 2

    »Die Verlockung des Bösen«

    Band 3

    »Im Bann der Freiheit«

    www.mixtvision-verlag.de

    www.abaton-trilogie.de / www.abaton-netzwerk.de / www.facebook.com/ABATONTrilogie

  • „Ein faszinierender actionreicher Jugendroman“ Süddeutsche Zeitung

    Edda und Simon landen auf einer geheimnisvollen

    Plattform mitten im eiskalten Meer. Von hier aus

    planen die Rebellen den ultimativen Schlag gegen

    Gene-Sys und die Macht des Geldes. Edda, Simon

    und Linus sind der wichtigste Teil diese Aktion.

    Doch Linus ist immer noch verschwunden. Als die

    Rebellen vernichtet werden, bleibt nur eine Chance:

    Linus zu finden, um das Abaton zu erwecken und

    die komplette Gleichschaltung zu verhindern. Cover

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    x] G

    mbH

    www.abaton-trilogie.de

    Abaton

    Im Bann der Freiheit / Bd. 3 der Abaton-Trilogie

    Christian Jeltsch & Olaf Kraemer

    Jugendbuch, ab 14 Jahren

    456 Seiten, gebunden

    [D] €16,90 / [A] €17,40 / [CH] sFr. 24,50

    ISBN 978-3-939435-68-6

    „Ein faszinierender actionreicher Jugendroman“ Süddeutsche Zeitung