Inhalt · Untersuchungen weiterentwickelte Konzept des „doppel- ten Perspektivewechsels“...

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1 Doris lucke Die Kategorie Geschlecht in der Soziologie September 2003 gender...politik...online Inhalt Einleitung 1. Das Geschlecht als (A-)Thema der Soziologie 1.1 Thematische Fokussierungen 1.2 Themenfelder 1.3 Themenkonjunkturen 2. Gender-Theorien: Gleichheit - Differenz - Dekonstruktion - Diversity 3. Zum Verhältnis von Frauen- und Geschlechterforschung und Soziologie 3.1 Verortungen 3.2 Selbstverständnisse 4. Frauenbewegung und Frauenforschung 4.1 Entstehungsgeschichte 4.2 Akademische Institutionalisierung 4.3 Frauenforschung - Männerforschung - Geschlechterforschung 4.4 Fremdkörper 4.5 Zwischen „new horizons“ und „roll backs“ 5. Die Soziologie als Tochter einer geschlechtsspezifisch halbierten Aufklärung 5.1 Wissenschaftshistorische und ideengeschichtliche Rekonstruktionen 5.2 Gefeierte Gründerväter - Vergessene Gründermütter 6. Die Kolonialisierung der Soziologie durch das Geschlecht 6.1 Wirkungsgeschichte 6.2 Der „Female Stream“ als Forschung „gegen den Strich“ und gegen den male Mainstream 6.3 Das Projekt Soziologische Aufklärung und das Erkenntnisprojekt Geschlecht 6.4 Kritische Würdigung 7. Fazit: „Gender Matters“! 8. Fragen zum Text 9. Links zum Text 10. Literatur 11. Über die Autorin 11. Veröffentlichungen u.a.: 2 2 2 2 3 5 7 7 7 9 9 10 11 12 13 14 14 16 17 17 18 19 21 22 23 24 24 26 26

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Doris lucke Die Kategorie Geschlecht in der Soziologie September 2003 gender...politik...online

Inhalt

Einleitung

1. Das Geschlecht als (A-)Thema der Soziologie

1.1 Thematische Fokussierungen1.2 Themenfelder 1.3 Themenkonjunkturen

2. Gender-Theorien: Gleichheit - Differenz - Dekonstruktion - Diversity

3. Zum Verhältnis von Frauen- und Geschlechterforschung und Soziologie

3.1 Verortungen3.2 Selbstverständnisse

4. Frauenbewegung und Frauenforschung

4.1 Entstehungsgeschichte4.2 Akademische Institutionalisierung 4.3 Frauenforschung - Männerforschung - Geschlechterforschung 4.4 Fremdkörper4.5 Zwischen „new horizons“ und „roll backs“

5. Die Soziologie als Tochter einer geschlechtsspezifisch halbierten Aufklärung

5.1 Wissenschaftshistorische und ideengeschichtliche Rekonstruktionen 5.2 Gefeierte Gründerväter - Vergessene Gründermütter

6. Die Kolonialisierung der Soziologie durch das Geschlecht

6.1 Wirkungsgeschichte 6.2 Der „Female Stream“ als Forschung „gegen den Strich“ und gegen den male Mainstream6.3 Das Projekt Soziologische Aufklärung und das Erkenntnisprojekt Geschlecht6.4 Kritische Würdigung

7. Fazit: „Gender Matters“!

8. Fragen zum Text

9. Links zum Text

10. Literatur

11. Über die Autorin

11. Veröffentlichungen u.a.:

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Doris Lucke

Die Kategorie Geschlecht in der Soziologie

Einleitung

Das Thema Geschlecht hat, wie kaum ein anderer Gegenstand, die Soziologie beeinflusst und in den vergangenen 25 Jahren deren Forschungsprofil und Lehrgestalt mit geprägt. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie durch die sozialwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung das Fach und mit ihm die deutsche Wissenschaftslandschaft verändert wurde. Dabei sollen auch die engen Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher, soziologischer und politischer The-matisierung des Geschlechts herausgearbeitet sowie fachinterne und fächerübergreifende Forschungs- und Diskussionszusammenhänge im Bereich der Gender Stu-dies dargestellt werden.

1. Das Geschlecht als (A-)Thema der Soziologie

1.1 Thematische Fokussierungen

Die systematische soziologische Befassung mit Frau-en- und Geschlechterfragen wurde in der Bundesrepublik Deutschland institutionell - ursprünglich unter dem (Sek-tions-)Namen „Frauenforschung in den Sozialwissenschaf-ten“ - Ende der 1970er Jahre begründet. Bis dahin stan-den das Geschlecht und alle damit zusammenhängenden Forschungsfragen der akademischen Soziologie eher als „Objekte entgegen“, als dass Frauen- und Geschlechterfra-gen selbst gewählte, legitime Gegenstände der wissensch-aftlich betriebenen Soziologie gewesen wären. Ihr mehr von außen entgegengeschleudert als freiwillig angenom-men und vor allem nicht aus den Universitäten selbst her-aus thematisiert, machten sie dem Begriff „Objekt“ als dem lateinischen „Entgegengeschleuderten“ alle Ehre. Das Geschlecht fand zunächst als (komplementäre) Frau-en- und Männerrolle - noch im vorpluralisierungsbeding-ten Singular - und als Faktor sozialer Ungleichheit, d.h. als Klasse und Institution (Struktur), dann als Norm und soziale Identität (Kultur) und schließlich als Lebensform und umfassende Lebensweise (Struktur und Kultur) Ein-gang in die Soziologie.

Literaturhinweis:Zum Stellenwert der Geschlechterthematik innerhalb

der Sozialwissenschaften allgemein Becker-Schmidt/

Knapp (1995); als Überblick über das u.a. mit „Klasse“ und „Kultur“ begrifflich besetzte Forschungsfeld Frerichs/Steinrücke (1997).

1.2 Themenfelder

Erste theoretische und empirische Thematisierungen des Geschlechts in der Soziologie - freilich noch ohne er-kennbar feministisches Enlightenment - schlagen sich in der Forschungsliteratur nieder. Die Themenkonjunkturen sind anhand von Buchtiteln relativ leicht rekonstruierbar. Frühe, hauptsächlich auf etwa Mitte bis Ende der 1970er Jahre datierbare, z.T. in die 1980er Jahre hineinreichen-de Schwerpunkte finden sich in den Bereichen Familie und Erziehung sowie auf den Gebieten Arbeit und Beruf. Einschlägige Untersuchungen konzentrierten sich auf „Geschlechtsrollen und Arbeitsteilung“ (Eckert 1979), die „Sozialisation: Weiblich - männlich?“ (Hagemann-White 1984) und den Erwerb einer weiblichen Moral (Gilligan 1982) sowie, z.B. in: „Der geschlechtsspezifische Arbeits-markt“ (Beck-Gernsheim 1976), auf Probleme der unter-schiedlichen Aufgabenzuweisung an Männer und Frauen oder, wie in der Studie: „Beruf und Hausarbeit“ (Ostner 1978), auf die Erforschung eines spezifisch weiblichen Arbeitsvermögens.

Als erste Repräsentativerhebung, die sich dieser bis dato vernachlässigten Untersuchungsgruppe zuwandte, ist erwähnenswert die von Helge Pross durchgeführte Stu-die: „Die Wirklichkeit der Hausfrau“ (Pross 1974), der eine weitere über „Die Männer“ (Pross 1978) - gemeint waren keine Hausmänner! - folgte. Regina Becker-Schmidt ent-wickelte am Beispiel von Fabrikarbeiterinnen mit Kindern das inzwischen auch in anderen Forschungszusammen-hängen eingesetzte und in einer Reihe nachfolgender Untersuchungen weiterentwickelte Konzept des „doppel-ten Perspektivewechsels“ (Becker-Schmidt 1980, 1984). Ute Gerhard beschäftigte sich als Pionierin auf diesem Gebiet in ihrem Buch: „Verhältnisse und Verhinderungen“ (Gerhard 1978) mit Frauenrechten in Arbeit und Familie. Bereits 1961 war - vor dem Hintergrund des seinerzeit verbreiteten, die Wahlfreiheiten betonenden euphemisti-schen Konzepts der Doppelrolle bzw. der Alternativrolle

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der Frau in den mittleren Lebensjahren - Elisabeth Pfeils Studie über „Erwerbstätige Mütter“ (Pfeil 1961) erschie-nen. Ihre Ergebnisse lagen nicht im damaligen Vollzeit-mutter-Trend und wurden deswegen zunächst kaum rezipiert. Im selben Jahr publizierten Alva Myrdal und Viola Klein ihre Untersuchung: „Die Doppelrolle der Frau in Familie und Beruf“ (Myrdal/Klein 1961). Sie wird bis heute, in z. T. fälschlicher statistischer Interpretation als empirische Referenzstudie für das sogenannte Drei-Pha-sen-Modell weiblicher Erwerbsbeteiligung herangezogen. Einige der genannten Wissenschaftlerinnen hatten sich - trotz der von ihnen untersuchten Frauen- und Geschlech-terthemen - nicht als Frauenforscherinnen gesehen oder lehnten diese Beziehung sogar ab.

Neuere Themen soziologischer und sozialwissen-schaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung sind - ebenfalls in Auswahl, unterschiedlicher Aktualität und ungeordneter Reihenfolge - Geschlecht und Klasse, Ge-schlecht und Rasse, Geschlecht und Recht, Geschlecht und Politik, Geschlecht und Profession, Geschlecht und Sprache, Geschlecht und Technik, Geschlecht und Medi-en, Geschlecht und Raum, Geschlecht und Globalisierung, Geschlecht und Biographie, Geschlecht und (sexuierte) Gewalt, Körper und Sexualität.

1.3 Themenkonjunkturen

Nach den „invisible women“ der Schichtungsforschung in der Soziologie der 1950er und 1960er Jahre galt das Interesse der Frauenforschung zunächst der Sichtbarma-chung von Frauen als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sowie deren soziologischer Definition als Subjekte und weibliche Individuen mit eige-nem, d.h. nicht von (Ehe-)Männern abgeleitetem Status. Es ging also um Visibilisierung und Sensibilisierung. Zu-vor waren vor allem im Rahmen der traditionellen Mobili-tätsforschung noch ausschließlich die Auf- und Abstiege von Söhnen relativ zu Vätern und Großvätern untersucht und die Mütter und Töchter, von den vergessenen Groß-müttern ganz zu schweigen, systematisch ausgeklammert worden. Als Ergebnis einer geglückten männlichen akade-mischen Sozialisation wurde dies selbst von uns Studen-tinnen damals nicht einmal bemerkt! Nun drückten sich Aufstieg und Aufwertung von Frauen auch im Charakter von Untersuchungen und in deren Stellung nicht mehr nur als beforschte Forschungsobjekte, sondern als aktiv beteiligte Forschungssubjekte aus.

Geschlecht als Sozialkategorie

In der Folge gelang die sukzessive Durchsetzung des Geschlechts als einer in ihrer Zentralität, Ubiquität und Universalität mittlerweile allgemein anerkannten Sozial-kategorie. Heute stellt das Geschlecht eine elementare und zugleich zentrale Analysekategorie und erklärungs-kräftige Interpretationsvariable nicht nur in der Politi-schen Soziologie oder im Bereich der soziologischen Ungleichheitsforschung und der empirischen Sozialstruk-turanalyse dar. Den - auch theoretischen - Durchbruch markiert das von Ursula Beer herausgegebene Buch mit dem programmatisch-doppeldeutigen Titel: „Klasse Ge-schlecht“ (Beer 1987). Soziologische und feministische Ungleichheitsdiskurse wurden jedoch mit je eigenen or-thodoxen und heterodoxen Konsensen in den jeweiligen „communities“ - als ein Dokument für die Existenz zweier getrennter Wissenschaftswelten - weitgehend unabhän-gig voneinander geführt.

Literaturhinweis:Als Versuch zur theoretischen Integration beider zu-

nächst unabhängig voneinander verfolgter Diskussionssträ-nge Gottschall (2000).

Seit den 1990er Jahren konzentrierten sich Forschung und Diskussionen weniger auf die - mittlerweile durch-gesetzten - sozialkategorialen Aspekte von Geschlecht und sozialstruktureller Geschlechterungleichheit als auf Prozesse der soziokulturellen Herstellung und der inter-aktiven Konstruktion von Geschlecht.

Geschlecht als kulturelles Konstrukt

Nach der zunächst vorherrschenden, vor allem auch zahlenmäßigen Erhebung von Geschlechterrelationen, z.B. in bestimmten Berufen, Einkommensgruppen oder So-zialstaatsklientelen, und anderen von der Sozialkategorie Geschlecht angeleiteten Untersuchungen aus dem Bereich der Sozialstrukturanalyse ging es nun vor allem um sym-bolische und performative Geschlechterrepräsentationen, um Inszenierungen von Geschlechtsidentitäten, die kom-petente Darstellung von Geschlechtszugehörigkeiten, um geschlechterspezifische Alltagspraktiken (Dölling/Krais 1998) sowie um Geschlechterrhetoriken (Kotthoff 1996) und um die Kommunikation von Geschlecht (Braun/Pa-sero 1997).

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Diese Umakzentuierung stand in Zusammenhang mit dem in der Soziologie generell seit etwa 1980 beobacht-baren „constructivistic turn“. Sie geschah parallel zu einem Paradigmenwechsel von sozioökonomischen zu soziokulturellen und insgesamt stärker subjektorien-tierten Ungleichheitsmerkmalen, wie er zeitgleich u.a. auch in der soziologischen Ungleichheitsforschung statt-fand. In Zusammenhang damit erlebte Simone de Beau-voirs Anfang der 1950er Jahre auch in deutscher Sprache erschienener Klassiker des Feminismus „Das andere Ge-schlecht“ (Beauvoir 1951) eine unverhoffte Renaissance. Das Buch hatte zunächst einen Skandal ausgelöst und war dann für etwa 20 Jahre in Vergessenheit geraten. Nun konnte an die bei Beauvoir schon lange vor dem aufkommenden feministischen Dekonstruktivismus anzu-treffende Einsicht angeknüpft werden: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“.

Die „Sex/Gender“- und die „Doing Gender“-Debatte

Zunehmend standen nun Diskussionen im Mittelpunkt, die unter dem Stichwort „Doing Gender“ geführt wurden. Diese Diskussionen, zu denen ein gleichnamiger Aufsatz von Candace West und dem Ethnomethodologen Don H. Zimmerman (West/ Zimmerman 1987) den „key term“ lie-ferte, betonten eher die kulturellen, interaktionistischen und konstruktivistischen Aspekte des Geschlechts. In ihrem Zusammenhang steht die Aufdeckung und Analyse zahlreicher „Gender-Paradoxien“ (Lorber 1999) sowie das Aufkommen des feministischen Dekonstruktivismus.

Zuvor hatte sich die Unterscheidung zwischen dem natürlichen, biologischen Geschlecht („sex“) und dem sozial konstruierten und kulturell überformten Ge-schlecht („gender“) durchgesetzt. Hierbei konnte u.a. auf Kate Millets feministischen Bestseller: „Sexual Poli-tics“ (Millet 1970), der genau 20 Jahre nach „Das ande-re Geschlecht“ von Simone de Beauvoir als „Sexus und Herrschaft“ (1971) ebenfalls in Deutschland erschienen ist, zurückgegriffen werden. Diese Unterscheidung hat in-zwischen über die Gender Studies hinaus den Status von Lehrbuchwissen erlangt. Sie ist, ähnlich wie die „Queer-Theory“, ins Deutsche schwer übersetzbar.

Trotz der hiermit vollzogenen sozialkonstruktivisti-schen Abkehr von einem rigiden biologischen Deter-minismus blieb die „sex/gender“-Debatte immer noch einem differenztheoretischen Standpunkt verhaftet. Indem sie die soziale Kategorie „gender“ an den natür-

lichen „sex“ kettete und von hier aus argumentierte, ließ sie die Zweiteilung der Welt in Männer und Frauen letztlich unangetastet und sah biologisches und soziales Geschlecht lediglich in einem durch erweiterte Interpreta-tionskorridore gelockerten Verweisungszusammenhang.

„Ich bin viele, Frauen sind viele, und alle Frauen sind verschieden“ - Pluralisierung des Singulars

Erst mit Sherry Turkle (Turkle 1995, 1998), vor allem aber seit Judith Butler und ihrem inzwischen auch in Deutschland zum Kultbuch des Feminismus avancierten Werk „Gender Trouble“ (Butler 1991), wurde nun auch die prinzipielle Pluralität, Pluralisierung und potentiel-le Pluralisierbarkeit von Geschlecht mitreflektiert. In Fortführung eines radikalen Konstruktivismus, wie er in Deutschland besonders prominent von Ernst von Gla-sersfeld vertreten wird, wurden frühere feministische Theorien teilweise revidiert und mit Hilfe dekonstrukti-vistischer Verfahrensweisen reformuliert. Dies geschah mit dem Ziel, die antagonistische Dipolarität der zwei Geschlechter aufzuheben und die zweistellige Geschlech-terdifferenz auch als Dichotomie zu überwinden. Im „gen-der swapping“ ist dies im Internet heute schon virtuell realisierbar. Dort kann die Geschlechtsidentität, z.B. im Chat, beliebig gewechselt werden. Neuerdings wird das Spiel mit dem Geschlecht durch die „Queer Theory“ (als Einführung Jagose 1996, 2001) und die von Judith Butler bereits in „Gender Trouble“ propagierte und geschlechter-politisch einsetzbare „Subversion der Performanz“ auch theoretisch untermauert. Zuvor war die interaktive Herge-stelltheit und permanente Reproduktion von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit noch ausschließlich am (Ausnahme-)Beispiel von Transvestiten und Transsexu-ellen illustriert worden.

Literaturhinweis:Für eine beispielhafte Darstellung des durch die Irritatio-

nen des doxischen Gender-Blicks ausgelösten Verwirrspiels Hirschauer (1989).

Mit dem Gender-Pluralismus wurde das Augenmerk erneut auf die kulturelle Konstruiertheit des Geschlechts gelenkt und bewusst gemacht, dass die Geschlechts-zugehörigkeit weder als natürliche Eigenschaft ange-boren ist noch „von Natur aus“ lebenslang, von der Wiege bis zur Bahre gewissermaßen, beibehalten wird. Stattdessen wird - dieser Position folgend - die Geschlechtszugehörigkeit in sozialen Kontexten erwor-

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ben und als Geschlechtsidentität immer neu interaktiv hergestellt. Das Geschlecht wird situativ inszeniert und auf dem Wege einer korrekt demonstrierten Geschlechter-kompetenz auch kulturell tradiert.

Erleichtert wurde die allmähliche Durchsetzung dieser Einsichten durch die zeitliche Koinzidenz neue-rer Erkenntnisse aus der Biologie. Demzufolge ist die Definition des biologischen Geschlechts über seine leicht operationalisierbaren und objektivierbaren Bestim-mungskriterien, wie z.B. anhand der äußeren Geschlechts-merkmale, keineswegs so eindeutig, wie dies zunächst angenommen und zur naturwissenschaftlich-empirischen Untermauerung der Zweigeschlechtlichkeit lange be-hauptet wurde. Hierauf - und nicht, wie häufig kritisiert wird, auf eine Leugnung der Existenz des Körpers - zielt im Übrigen auch Butler. Von deren theoretischem Stand-punkt aus betrachtet, der insbesondere in späteren Wer-ken (Butler 1995) entwickelt und zum Anlass heftiger Kritik auch aus den Reihen der Frauenforschung selbst wurde, wird der biologische Körper ebenfalls als soziales Konstrukt und kulturelles Produkt der Naturwissenschaf-ten konzeptualisiert. Die Position Butlers ist damit - über ihren genderkritischen Ansatz hinaus - zugleich ein Bei-spiel feministischer, die Sozial- und die Naturwissenscha-ften gleichermaßen einbeziehender Objektivitätskritik. Sie steht damit ganz in der Tradition frauenforschender Inter- und Transdiszipinarität.

Literaturhinweis:Hierzu ohne explizit feministischen, aber mit naturwis-

senschaftskritischem Hintergrund Knorr-Cetina (1985).

2. Gender-Theorien: Gleichheit - Differenz - Dekonstruktion - Diversity

Gender-Politiken: Egalitäts- bzw. Gleichheitsfeminismus - Differenzfeminismus - Feministischer Konstruktivismus und Dekonstruktivismus – „Pluralitätsfeminismus“

Parallel zu der für den theoretischen Diskurs nach-vollzogenen Durchsetzung des Geschlechts zunächst als Sozialkategorie und dann auch als kulturelles Konstrukt vollzog sich im politisch-praktischen Diskurs eine Ent-wicklung von Gleichheitsdiskursen über Gleichstellungs-, Gleichbehandlungs- und Gleichwertigkeitsdiskurse hin zu Diskursen um Differenz und Verschiedenheit („diversity“). Dieser Prozess stellt sich auf praktischer Ebene dar als Übergang von einfachen Gleichheitsforderungen und For-

derungen nach politischer und formal-rechtlicher Gleich-stellung über den Versuch alltagspraktischer faktischer Gleichbehandlung auf der Basis von Gleichwertigkeit bis zur bewussten Anerkennung der Differenz zwischen Frauen und Männern hin zu einem nicht mehr den einen „kleinen“ Unterschied überwindenden, sondern die vie-len Unterschiede - auch unter den Frauen selbst - akzep-tierenden Konzept von „diversity“.

Egalitätsfeminismus

Am weiblichen als dem minderwertigen, dem mit Si-mone de Beauvoirs „Le deuxième sexe“ (Beauvoir 1949) „zweiten“, im Deutschen mit dem „anderen“ übersetz-ten Geschlecht ansetzend, ging es zu Beginn des neuen feministischen Diskurses zunächst um vollständige Gleic-hheit, also Egalität, mit den Männern. Letztere galten zu jener Zeit- verständlicherweise - nicht nur unter den Männern selbst, sondern - von heute aus betrachtet er-staunlicherweise – auch unter den bewegten Frauen als das unhinterfragte und absolute „Maß aller Dinge“. Mit ihnen wollten die Frauen politisch, rechtlich, wirtschaft-lich, beruflich - weniger in der Familie - in erster Linie formal und dann auch material absolut gleichgestellt sein. Diese erste Phase wird häufig als Gleichheits- oder auch Egalitätsfeminismus bezeichnet.

Differenzfeminismus

Danach kam es zu einer 180-Grad-Wende, die sich zuvor schon mit der Heranziehung nur noch quasi-ega-litärer und als Gleichwertigkeit entsprechend modifi-zierter Maßstabssurrogate angebahnt hatte. Auf das in seinem Gleichheitsfanatismus aus heutiger Sicht eher kurzsichtige und bornierte Streben nach unbedingter Egalität folgte nun die umso prononciertere und vehe-mentere Betonung der Differenz. Ziel war jetzt nicht mehr das mit den Männern Gleichziehen um jeden Preis des Gleichheitsfemininismus. Nachdem erkannt war, dass dieser letztlich nur patriarchale Strukturen festigte und die mit ihm intendierte Imitation am Ende nichts an der maßstabsbildenden Zentralität männli-cher Normen änderte, antwortete der Differenzfeminis-mus stattdessen mit einer Umstellung des Programms von Gleichheit auf Differenz. Er konvertierte, wenn diese Wortschöpfung erlaubt ist, vom auf Zugehörigkeit zielenden Inklusions- zum sich freiwillig abhebenden Exklusionsfeminismus. Die praktisch-politische Folge war der Austausch ehemaliger Minderheitenstrategien

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der Anpassung und Angleichung gegen die selbst-bewusste Mehrheitsstrategie einer „Gleichheit ohne Angleichung“ (Gerhard 1990).

Dieser Differenzfeminismus basierte auf der Ver-schiedenheit von Frauen und Männern und anerkannte ihre Andersartigkeit als gleichwertige - und nicht mehr „von Natur aus“ minderwertige - Alterität und legitime Differenz. Als solcher setzte er dem lateinischen „dif-ferre“ folgend, das sowohl „aufschieben“ wie „verschi-eden sein“ heißt, nicht mehr auf Egalität und erzwunge-ne Gleichheit mit den Männern, sondern berief sich auf den Unterschied und dessen eigenmächtige Wirkung. Mit der Forderung nach einer Geschlechtergerechtigkeit von eigenem Wert und nach eigenem, nicht mehr bedin-gungslos mit den Männern gleichem Maß setzte er auf weibliche Eigenständigkeit. Im Streben um „gender fairness“ setzte er an die Stelle von früheren, eher defensiven Inklusionsbemühungen und oft demütigen-den Bittstellungen eine durchgängige Strategie selbst-bewusster weiblicher Exklusivität. Sie hob die Frauen gegenüber den Männern – analog zur Doppelbedeutung von „differre“ – nicht nur ab, sie hob sie in positivem Sinne als Höherwertige heraus. Der „screen“ wurde von der Projektionsfläche zur Trennwand und verwehrte den Männern, z.B. vor Frauenbuchläden, Frauenseminaren etc., den Einlass. Zuvor waren jahrhundertelang sie es gewesen, die die Frauen an allen relevanten Orten außen vor und - außer der Kirche, der Küche, dem Kosmetiksalon und dem Kinderzimmer - „ante portas“ hielten.

Exkurs: Die Rolle des Rechts

Das Recht spielte in diesem Prozess eine besondere und durchaus ambivalente Rolle. Die frühe Frauenbewe-gung war ursprünglich eine im Wesentlichen von Frauen-rechtlerinnnen, den Suffragetten, getragene Frauenrechts-bewegung. Sie erreichte 1919 mit dem Frauenwahlrecht einen ihrer entscheidenden Erfolge. Auch die neue Frau-enbewegung in Deutschland entzündete sich an einem Gesetzesparagraphen, dem § 218 StGB. Danach kam es zu einer auffallend späten und zögerlichen (Wieder-)Ent-deckung des Rechts und dessen strategischer (Re-)Mobili-sierung. In diesem Zusammenhang steht u.a. „die Quote“ als ein von Frauen lange als männlich betrachtetes und deshalb verschmähtes Rechtsinstrument zur einerseits personunabhängigen und andererseits geschlechts-abhängigen Durchsetzung von faktischer Gleichheit.

Dabei entzündete sich der Streit u.a. daran, ob real Un-gleiches, juristisch aber inzwischen als gleich Fingiertes, rechtlich ungleich behandelt werden dürfe, um am Ende faktische Gleichheit zu erzielen.

Vorausgegangen war, dass sich den Frauen fallweise zu-gestandene „affirmative actions“ in der Praxis oftmals als Teil einer fürsorglich-patriarchalen „soft law“-Strategie positiver Diskriminierung entpuppten. Förderungsmaß-nahmen ohne die entsprechend verbindliche Rechts-grundlage, etwa in Form eines funktionierenden und ggf. sanktionsbewehrten Antidiskriminierungsgesetzes, erwiesen sich als nur bedingt wirksame, aber zweifellos wichtige Schritte. Sie dien(t)en dazu, praktisch mehr Gleichstellung und Gleichbehandlung zu erreichen und durch partielle und vorübergehende pragmatische Be-vorzugung ein Mehr an Geschlechtergerechtigkeit her-zustellen und die ehemalige Geschlechtsvormundschaft des Rechts abzulösen und abzubauen. Frauen mussten dabei die umso schmerzlichere Erfahrung machen, dass sie immer noch Parvenus in fremden Gefilden und Feldern genderisierter Macht darstellten und trotz formal durch-gesetzter Gleichberechtigung weibliche Parias in von Männern besetzten Räumen geblieben waren. Im Zuge einer mehr und mehr um sich greifenden Ernüchterung, aber auch in realistischer Antizipation nicht vorhandener Möglichkeiten, vielleicht gar als Ausdruck einer „female intelligence“, wurde anstelle der absoluten Gleichheit nun die Gleichwertigkeit zum neuen Leitbegriff feministi-scher Gleichheitsforderungen. Der starre Gleichheitssche-matismus wurde - teilweise um den Preis von ihrerseits fragwürdigen Maßstabverlagerungen - wenn nicht aufge-geben, so doch aufgebrochen und modifiziert.

Literaturhinweis:Zum Verhältnis von Recht und Geschlecht aus gender-

und aus rechtssoziologischer Sicht Lucke (1996).

„Dekonstruktions-“ und „Pluralitätsfeminismus“

Damit war eine differenztheoretische Neuorientierung erfolgt. Nachfolgend setzten sich konstruktivistische und dekonstruktivistische Positionen in der Theoriebildung innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung durch. Erst in Verbindung beider wurde es dann auch noch möglich, innerhalb der Eigengruppe Frau weitere Differen-zierungen zu erkennen und die Vielfalt in der Differenz anzuerkennen. Dies folgt einer pluralen Distinktion, die sich an Bourdieus Konzept der „doppelten Distinktion“ ori-

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entiert. Gemeint ist die Möglichkeit zur Unterscheidung innerhalb eigener Milieuzugehörigkeiten. Dieser hier als „Pluralitätsfeminismus“ bezeichnete Feminismus mar-kiert neben dem, wenn man so will, „Dekonstruktions-feminismus“ in etwa den gegenwärtigen Diskurs- und Diskussionsstand am Beginn des 21. Jahrhunderts.

3. Zum Verhältnis von Frauen- und Geschlechterfor- schung und Soziologie

3.1 Verortungen

Disziplinierung

Die Soziologie wird heute üblicherweise in die drei Bereiche: Allgemeine (theoretische) Soziologie, Spezielle Soziologien und Methoden und Methodologie, also die Methodenlehre, eingeteilt. Innerhalb des Faches hat die Frauen- und Geschlechterforschung formal den Status einer Bindestrich-Disziplin. Als solche befindet sie sich, ihrem disziplinären Selbstverständnis teilweise zuwider-laufend, in der Gesellschaft von inzwischen mehr als 30 anerkannten Speziellen Soziologien, wie Familiensoziolo-gie, Rechtssoziologie etc. Ihre Zahl wächst ständig; sie sind in aller Regel auch durch eine eigene Sektion inner-halb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) repräsentiert.

Marginalisierung

Innerhalb von Forschungslandschaft und Lehrgestalt der Soziologie war die Frauenforschung zunächst dreifach marginalisiert: erstens wegen ihres ausdrücklich und aus-schließlich auf Frauen fokussierten Gegenstands, zwei-tens wegen des Geschlechts der damals ebenfalls noch ausschließlich weiblichen Forscherinnen, die begannen, sich unter dem Dach der Disziplin zusammenzuschließen, und drittens wegen der von der Frauenforschung in ih-ren Anfängen besonders nachdrücklich und schon früh an exponierter Stelle erhobenen Ansprüche auf eine spezifisch weibliche Methode. Im Zuge des schrittweisen Übergangs von der expliziten Frauenfokussierung der Forschung zu einer auf die gesamte Gender-Thematik ausgeweiteten Geschlechterforschung hat sich entlang von allen drei Dimensionen, dem Forschungsgegenstand, dem Geschlecht der ForscherInnen und den methodi-schen Postulaten zur Frauenforschung, gegenüber den Anfangszeiten einiges verändert. Gleichwohl hat diese anfängliche Marginalisierung auf theoretischer, perso-

neller wie auch auf methodischer Ebene Konsequenzen bis in die Gegenwart. Ihre Nachwirkungen sind in der Fachkultur bis heute spürbar, institutionell sichtbar und auch anhand von individuellen wissenschaftlichen Werde-gängen operationalisierbar.

Distanzierung

Eine Folge dieser anfänglichen Randständigkeit ist die bis heute anhaltende Zweiteilung des Fachs in eine Mainstream-Soziologie auf der einen und in die Frauenfor-schung auf der anderen Seite. Diese lässt beide mit Kah-lert (1995) noch immer als „Zweierlei Soziologien“ mit ge-trennten „scientific communities“ erscheinen. Grenzüber-tritte zwischen beiden Wissenschaftssphären sind selten und lassen sich anhand von Berufungen von ausgewiese-nen Frauenforscherinnen und Gender-Professorinnen auf Lehrstühle der „normal science“ et vice versa an den Fingern einer Hand abzählen. Die Rezeptionsgewohnhei-ten und Zitierweisen sind von wenigen Ausnahmen ge-genseitiger Zurkenntnisnahme abgesehen einseitig, die wechselseitige Nichtzurkenntnisnahme aber nur in einer Richtung reputationsschädlich. Frauenforscherinnen zi-tieren Frauenforscherinnen, Mainstreamers alimentieren sich aus der Mainstream-Literatur - und können es sich ohne das Risiko eines Reputationsverlusts leisten, die sogenannte „Frauenliteratur“ souverän zu ignorieren. Auch die Kommunikationsbeziehungen zwischen bei-den Wissenschaftsgemeinden sind kaum entwickelt und die Rekrutierungsreservoirs, welche die Reputation im einen Feld nahezu automatisch zur De-Qualifikation für das jeweils andere machen, gegeneinander abgeriegelt. Insbesondere die Theoriebildung und die soziologische Zeitdiagnose als die beiden disziplininternen Prestige-domänen sind fast ausnahmslos immer noch in Män-nerhänden.

Literaturhinweis:Zum bis heute schwierigen Verhältnis von Feminismus

und Soziologie Gerhard (1998).

3.2 Selbstverständnisse

Internationalität und Interkulturalität

Die Frauenforschung war von Anfang an international ausgerichtet und in ihren Forschungsfragestellungen inter-kulturell orientiert. Sie ist interdisziplinär angelegt und ihrem wissenschaftlichen Anspruch nach unkonventionell

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und innovativ. Diesen Ansprüchen ist sie, auch als Ge-schlechterforschung, bis heute treu geblieben und ihren Zielen - das lässt sich als vorläufige Zwischenbilanz zie-hen - mehr als manche andere Teildisziplin mit ähnlichen programmatischen Vorstellungen gerecht geworden. Die von ihr erfolgreich praktizierte und nicht nur proklamier-te Interdisziplinarität, welche die Frauenforschung - als eines ihrer Markenzeichen innerhalb des Wissenschaftsbe-triebs - von Beginn an auszeichnete, zeigt sich z.B. nicht nur in der Zulässigkeit fachfremder Methoden. Sie manife-stiert sich auch in der fächer- und länderübergreifenden Zitierfähigkeit von theoretischen AutorInnen, wie Butler, Gilligan, Irigaray, die alle von der akademischen Ausbil-dung her keine Soziologinnen sind, gleichwohl aber in der frauen- und geschlechterforschenden Soziologie in Deutschland keineswegs nur am Rande rezipiert werden. Auch die interkulturelle Kommunikation spielt, z.B. in der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung zu Japan, - für das Andersartige und Fremde aus ihrer eigenen Entstehungsgeschichte heraus per se sensibilisiert - eine wichtige Rolle.

Paradigmenvielfalt und Multiperspektivität

Die theoretischen Ansätze der Frauen- und Geschlech-terforschung sind, wie die der Soziologie insgesamt, multiparadigmatisch und polyperspektivisch. D.h. es gibt nicht, wie z.B. im Recht, die „herrschende Meinung“ (hM), die „herrschende Lehre“ oder die im Fach unum-strittene und allgemein anerkannte „grand theory“. Ihre Theorienlandschaft ist vielmehr gekennzeichnet durch ei-nige vorherrschende Leitideen („ideés directrices“) und, je nach Konjunktur wechselnde, theoretische Hegemo-nien sowie vom wissenschaftlichen Zeitgeist abhängige Vorlieben und Theorieströmungen. Diese oszillieren in fachspezifischen Zyklen, z.B. zwischen makrosoziologi-schen System- und mikrosoziologschen Handlungstheo-rien oder zwischen sozioökonomischen, stärker soziokul-turellen und konstruktivistischen Ansätzen, und setzen sich abwechselnd als „main stream“ durch.

Inter- und Transdisziplinarität

Das methodische Vorgehen ist inter- oder, wie man heute sagt, transdisziplinär. D.h. es werden gezielt auch Forschungsmethoden anderer Disziplinen übernommen, auf den eigenen Gegenstandsbereich übertragen, in Kombination mit anderen Methoden angewandt und phantasievoll zur Mehrung des Erkenntnisgewinns einge-

setzt. Dies gilt z.B. für die von der soziologischen und sozialwissenschaftlichen Frauenforschung praktizierte Übernahme von Vorgehensweisen der „oral history“ aus der Geschichtswissenschaft oder für die Adaption des Lektüreverfahrens der Dekonstruktion aus der Literatur-wissenschaft.

Ganzheitlichkeit

Im Unterschied zu den klassischen Bindestrich-Sozio-logien mit klar abgegrenztem Gegenstandsbereich und prima facie eindeutigem Anwendungsfeldbezug, wie Familie, Recht, Religion etc., war und ist die Frauen- und heutige Geschlechterforschung entgegen anderweitigen - z.T. mit Marginalisierungsabsichten vorgenommenen - Titulierungen von ihrem Selbstverständnis her prinzi-piell und von Grund auf ganzheitlich angelegt. Damit ist sie eine Bindestrich-Soziologie wider Willen. Tatsächlich versteht sie sich als auf ganze Lebenszusammenhänge (Prokop 1976), weibliche Lebenswelten, maßgeblich vom Geschlecht bestimmte Lebensformen und umfassende Existenzweisen (Maihofer 1995) gerichtete Wissenschaft. Sie betrachtet ihren Gegenstand, das Geschlecht, in seiner Gesamtheit und im Kontext - und nicht in Einzel-aspekten analytisch parzelliert.

Mit ihrer Ganzheitlichkeit zusammenhängend ver-steht sich die Frauenforschung auch als Querschni-ttswissenschaft. Ihre Forschungsfragestellungen und Theorieansätze sind übergreifend und transzendieren die einzelnen Teilbereiche der Soziologie. Dabei werden - entgegen der bereichsspezifischen Selbstdefinition der meisten typischen Bindestrich-Soziologien - die Grenzen nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen den Fächern überschritten. Damit greift die Frauen- und Geschlechterforschung den alten Gedanken der Einheits-wissenschaft auf und führt diesen auf einem feministisch inspirierten Niveau weiter. Teilweise wird dabei auch der Boden der Kunst betreten.

Sociological Gender Mainstreaming

Die Soziologie der Geschlechterverhältnisse ist folglich keine isolierte, allein auf die Frauen- bzw. Ge-schlechterthematik beschränkte und - als Ausdruck einer missverstandenen Selbstdisziplinierung - auch nicht hierauf beschränkbare Bindestrich-Disziplin. Vielmehr ist sie Teil eines in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität fortschreitenden Gender Mainstreaming.

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Dieses beginnt mittlerweile nahezu alle Fachdisziplinen zu durchdringen und setzt sich inzwischen nicht nur auf gesellschaftlicher und (europa-)politischer, sondern auch auf wissenschaftlicher Ebene allmählich durch.

Mit dieser durchgängigen Konzentration auf das Geschlecht und dessen konsequenter, die Teilgebiete überschreitender Thematisierung unterscheidet sich das „scientific gender mainstreaming“ in der Soziologie zugleich von den Schutzbehauptungen und Abwehrstrate-gien jener, die insbesondere während der Gründungs-phase der Frauenforschung unter Hinweis auf einige ver-streute Einzelstudien ins Feld führten, Frauenforschung nebenbei immer schon mitgemacht und, wenn auch nicht als „Frauenforschung“, betrieben zu haben. Diese etwas scheinheilige Argumentation gleicht dem Diskurs im Recht. Auch dieses „meint“ Frauen fürsorglich-pat-riarchal „mit„, ohne sie ausdrücklich mitzunennen oder wirklich mitzu(be-)denken. Sicher nicht zufällig hat sich in der Männerbastion Rechtswissenschaft - trotz der auch dort kontinuierlich steigenden Studentinnenzahlen und einsetzender kritischer feministischer Analyse - die Gen-der-Perspektive von allen Fächern bislang mit am wenig-sten durchgesetzt.

4. Frauenbewegung und Frauenforschung

4.1 Entstehungsgeschichte

Die sozialwissenschaftliche Frauen- und in ihrer Folge dann auch die Geschlechterforschung ist - als deren z.T. ungeplantes Nebenprodukt - aus der neuen Frauenbewe-gung hervorgegangen. Diese hatte sich in den 1970er Jahren bekanntlich am Kampf gegen den § 218 StGB entzündet und hat in Alice Schwarzer, der späteren Herausgeberin der feministischen Zeitschrift „Emma“, eine ihrer zentralen und bis heute aktiven Leitfiguren. Als nicht ausschließlich wissenschaftsintern induziert stellt die Frauenforschung ein (Parade-)Beispiel für die Wechselwirkung von interner und externer Steuerung der Wissenschaft dar. Ohne die neue Frauenbewegung und die durch sie geschaffenen soziokulturellen und politi-schen Voraussetzungen ist die Frauenforschung, so wie sie sich heute darstellt, nicht denkbar.

Literaturhinweis:Als Übersicht über die Geschichte der Frauenbewegung

Gerhard (1990) sowie Nave-Herz (1997); zu deren mitt-lerweile weltweiter Ausdehnung Lenz u.a. (2000).

Frauenbewegt und entsprechend inspiriert, hatte sich die Frauenforschung vor diesem Entstehungshin-tergrund zunächst ganz auf den Dreiklang „Forschung von Frauen mit Frauen für Frauen“ eingestimmt und im F-Dur der Feminisierung intonisiert. Sie definierte sich erstens über die Frauenforscherinnen, also über ihre Akteurinnen und Aktivistinnen, zweitens über die Frauen als ihre Untersuchungs- und hauptsächlichen Bezugsgruppen sowie drittens über Frauen als die Adressatinnen und bevorzugten Benefiziarinnen ihrer Ergebnisse. Damit war sie in ihrer Anfangsphase ein unhinterfragt und eindeutig weibliches Projekt. Ziel war es, mit den Frauen auch deren Themen in die Hoch-schulen und Universitäten hinein und von dort dann wieder in eine frauenbewegte Gesellschaft hinaus zu tragen. In diesem Zusammenhang kam bereits die - von Einigen wegen der Gefahr der Ghettoisierung kritisierte - Idee von Frauenuniversitäten auf, wie sie in Form der Monoedukation, also der Geschlechtertrennung, heute mit ähnlichen Intentionen der Frauen- und Mädchenför-derung auch an Schulen praktiziert wird.

Literaturhinweis:Als Überblick über die Diskurse der Frauenforschung in

Form einer Zwischenbilanz Gerhard (1993).

Frauenforscherinnen der ersten Stunde, wie z.B. Regina Becker-Schmidt, standen u.a. mit ihren Thesen von der „doppelten Vergesellschaftung der Frau“ - als Lohnarbeiterin und als Ehe- und Familienfrau - an pro-minenter Stelle für eine Koalition aus Feminismus und Marxismus. In der beide Positionen verbindenden Auf-lehnung gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Margina-lisierung und Diskriminierung richteten sich damals vor-herrschende Strömungen kollektiv und pauschal gegen „das“ Patriarchat und „den“ Kapitalismus. Sie erklärten beide, der jeweiligen Bewegungslogik folgend, zu den im Kollektivsingular fassbar gemachten Hauptgegnern von Frauen und Proletariat. Mit der fast vollständi-gen Zurückdrängung marxistischer Positionen in der zeitgenössischen Soziologie ist die gemeinsame Klas-sen- und Geschlechtsgegnerschaft weitgehend verloren gegangen - trotz der weiterhin auf der Hand liegenden Parallelitäten und Analogien von „class“ und „gender“. Hinzu gekommen ist nun „race“ als weiterer Ungleich-heitsfaktor. Auch ist die Frauenforschung heute in der Sprache gemäßigt und dem wissenschaftlichen Duktus angepasst.

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Die an Klassenverhältnisse anspielende Bezeichnung „Geschlechterverhältnisse“ wurde in der Denomination von Lehrstühlen und ausgeschriebenen Professuren immer häufiger von den versöhnlicher klingenden „Ge-schlechterbeziehungen“ abgelöst. Der kämpferische Feminismus einer „Frauenforschung“, die an den Frauen und ihrer Diskriminierung als ihrem Entstehungsgrund auch weiterhin festhält, wurde durch den Begriff „Ge-schlechterforschung“ sukzessive ersetzt. Dieser hat sich neben den „Gender Studies“ auch in der universitären und akademischen Bezeichnungspraxis des Forschungs- und Lehrgebietes in Deutschland in den vergangenen Jahren immer mehr durchgesetzt, obgleich oder mög-licherweise gerade weil er von Männern und Frauen begrifflich abstrahiert, dadurch geschlechtsneutralisie-rende Wirkung entfaltet und somit beschwichtigend wirkt.

Eine „Feministische Soziologie“ - etwa nach dem Vorbild einer Feministischen Theologie oder einer Femi-nistischen Soziolinguistik als den Aushängeschildern und frühen Domänen explizit feministischer Forschung, die für die Theologie u.a. mit den Namen Dorothee Sölle, Uta Ranke-Heinemann, Elisabeth Gössmann so-wie in der Linguistik mit Senta Trömel-Plötz und Luise Pusch verbunden sind - konnte sich dagegen trotz eini-ger Vorstöße zu deren begrifflicher Etablierung, etwa im Lehrbuchbereich (stellvertretend Brück u.a. 1992), nicht behaupten. Sie fand auch bei der Benennung von Professuren an deutschen Universitäten keine Mehr-heiten. Gleiches gilt für die nicht erfolgte - in diesem Fall allerdings auch nicht verfolgte - Einrichtung einer zum Feministischen Juristinnentag analogen Veranstal-tungsform bei der Abhaltung von Kongressen soziolo-gischer Wissenschaftsvereinigungen. Immerhin ist es gelungen, in den 1990er Jahren eine Umbenennung der früheren Soziologentage in „Soziologiekongress“ zu erreichen, der auch Soziologinnen ansprechen sollte. Hieran hatten Vertreterinnen der Sektion Frauenforsc-hung maßgeblich und mit der nötigen Ausdauer mitge-wirkt.

4.2 Akademische Institutionalisierung

Soziologische Disziplinierung

„Feminae ante portas“: Anfang der 1980er Jahre setzte in der Tradition der us-amerikanischen „Summer Schools“ und der „Women‘s Studies“ die akademische

Institutionalisierung der Frauenforschung - mit einem Schwerpunkt in den Kultur- und Sozialwissenschaften - auch in Deutschland ein. Innerhalb der sozial- und kul-turwissenschaftlichen Fächergruppe spielte die Soziolo-gie vor allem bei der Neueinrichtung von einschlägigen Professuren die Rolle einer Vorreiterin. Die soziologi-sche Frauenforschung war außerdem schon früh um eine Integration in den Kernbereich des Fachs und in die Allgemeine (Theoretische) Soziologie bemüht und strebte eine intensive Kooperation mit den bereits eta-blierten Speziellen Soziologien an.

Sektionsgründung

Als institutioneller Initialimpuls kann die Gründung der Sektion „Frauenforschung in den Sozialwissenschaf-ten“ innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Sozio-logie (DGS) vor nunmehr fast 25 Jahren gelten. Sie avancierte schnell zur mitgliederstärksten und einer der auch tagungsmäßig aktivsten DGS-Sektionen. Ihre Aktivitäten wurden vor allem in ihren Anfangszeiten auch außerhalb der soziologischen Fachöffentlichkeit, z.B. durch die Presseberichterstattung auf Soziologie-kongressen, viel beachtet.

Soziologische Gender-Literatur und Fachzeitschriften

Der Sektionsbildung folgte - als ein weiterer Schritt auf dem Wege zur akademischen Institutionalisierung - wenige Jahre nach „Signs“ (1976) in den USA die Grün-dung einschlägiger Fachzeitschriften. Beispielhaft zu nennen sind u.a. die „Feministischen Studien“ (1982), die vom Institut Frau und Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift „Frauenforschung“, jetzt: „Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien“, sowie die „beiträge aus der feministischen theorie und praxis“. Wichtige Buchreihen, die z.T. in renommierten Fach-verlagen erscheinen, sind die von der DGS-Sektion herausgegebene Reihe „Forum Frauenforschung“, die Reihe „Geschlecht und Gesellschaft“ bei Leske+Budrich (seit 1995), „Gender Studies“ bei Suhrkamp oder „Frau-en - Gesellschaft – Kritik“ bei Centaurus. Dazu kommen eigenständige Lektionen zum Thema Geschlecht in weit verbreiteten Standardwerken der Soziologie, wie in dem inzwischen in 6. Auflage herausgegebenen Lehrbuch: „Einführung in Hauptbegriffe der Soziolo-gie“ (Korte/Schäfers 2002), Übersichts- und, wie der „Fischer Frauen Atlas“, laufend fortgeschriebene Zah-lenwerke, auch auf internationaler Ebene, sowie Lehr-

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buchreihen zur sozialwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung. In den letzten Jahren vermehrt erschienen nach dem ersten, fast schon legendären und inzwischen 20 Jahre alten „Frauenhandlexikon“ (Beyer u.a. 1983) einschlägige Fachlexika, wie das „Metzler Lexikon Gender Studies/Geschlechterforschung“ (Kroll 2002), sowie Sonderhefte wichtiger Fachzeitschriften, z.B. das von Bettina Heintz zur „Geschlechtersoziolo-gie“ herausgegebene Sonderheft 41 der Kölner Zeit-schrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfSS 2001), die ebenfalls aktuelle Überblicke über den ge-genwärtigen State of the Art geben. Nach breit angeleg-ten fächerübergreifenden Einführungen, wie „Gender Studien“ (von Braun/Stephan 2000) befinden sich nun weitere Handbücher, wie das „Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung“ (Becker/Kortendiek 2003), in Vorbereitung.

Frauenforschungsprofessuren und curriculare Veran-kerung

In den 1990er Jahren wurden bundesweit verstärkt eigene Frauenforschungsprofessuren eingerichtet. Diese waren auch als Instrument der Frauenförderung intendiert. Sie haben nachweislich zu einer Erhöhung des Anteils an Soziologieprofessorinnen geführt. Als qualitativer Sprung im Rahmen dieses Institutionalisie-rungsprozesses kann die gegen Ende der 1990er Jahre an einigen deutschen Universitäten, z.B. in Form von Magisterstudiengängen, nach us-amerikanischem Vor-bild einsetzende curriculare Verankerung der Frauen- und Geschlechterforschung gelten. Ihr Entwicklungs-stand ist jedoch, verglichen etwa mit den USA, wo die Gender Studies als Forschungs- und Lehrgebiet wie als Studienfach längst etabliert und fester Bestandteil des allgemeinen Lehrbetriebs sind, rudimentär.

Institutsgründungen und Netzwerke

Parallel dazu vollzog sich der Auf- und weitere Aus-bau von interdisziplinären Forschungsinstituten. Nach der Zentraleinrichtung (ZE) für Frauenförderung und Frauenstudien an der Freien Universität Berlin als einer der ersten Einrichtungen dieser Art ist ein weiteres Bei-spiel das an der Humboldt-Universität zu Berlin ange-siedelte Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (ZiF). Dazu kam die Bildung von Netzwerken, z.B. des Netzwerks Frauenforschung in Nordrhein-Westfalen, in dem derzeit über vierzig Professorinnen unterschiedli-

cher Fachrichtungen zusammengeschlossen sind, und die Gründung der nach einer Pionierin der Sozialfor-schung benannten Internationalen Marie-Jahoda-Gastprofessur in Bochum. Seit 2000 existiert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kompetenzzentrum „Center of Competen-ce. Women and Science - Frauen in Wissenschaft und Forschung“ an der Universität Bonn, an dem auch Soziologinnen als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen beschäftigt sind. Daneben gibt es Datenbanken und Informationssysteme, wie z.B. Infosys, die u.a. bei der Stellenvermittlung und bei Berufungsverfahren zum Ein-satz kommen und den Frauenanteil insbesondere auch auf den höheren Ebenen nicht nur der akademischen Hierarchien erhöhen sollen.

Mit Querelles-Net entstand die erste Online Rezensi-onszeitschrift für Frauen- und Geschlechterforschung, mit dem Frauen-Info-Netz ein Fachinformationssystem zur deutschsprachigen Frauenforschung und Frauenför-derung und mit den Virtual International Gender Stu-dies (VINGS) eine Frauenuniversität im Internet.

4.3 Frauenforschung - Männerforschung - Geschlechterforschung

Divergenzen und Konvergenzen

Mit einer Zeitverzögerung von ca. 15 Jahren ge-genüber der Frauenforschung formierte sich - gewis-sermaßen als deren gegengeschlechtliches Pendant - während der 1990er Jahre eine Kritische Männerfor-schung. Ihr Aufkommen zu einem Zeitpunkt, in dem die Frauenforschung in ihrem akademischen Institu-tionalisierungsprozess bereits weiter fortgeschritten war und die Einrichtung von Frauenforschungsprofes-suren ihren Höhepunkt erreichte, führte in Deutschland zu weiteren Ausdifferenzierungen und neuerlichen Verwerfungen innerhalb der in (Frauen-)Bewegung geratenen Wissenschaftslandschaft. Mit dem durch die Bezeichnung „Männerforschung“ explizit gemachten, zuvor noch unausgesprochen männlichen Charakter wissenschaftlicher Forschung verlor die Soziologie - und mit ihr die anderen beteiligten Disziplinen - end-gültig ihre Unschuld in Sachen Geschlecht.

Literaturhinweis:Zum zwischenzeitlich konsolidierten Verhältnis von

Frauen- und Männerforschung Janshen (2000).

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Gleichzeitig geriet eine mögliche Umbenennung der - ihren Geburtsnamen demonstrativ beibehaltenden - „Frauenforschung“ in „Geschlechterforschung“ ver-stärkt in die Diskussion. Eine solche Namensänderung war - als konzeptionell und programmatisch ebenso implikationsreich wie weitreichend - in der sozialwis-senschaftlichen Frauenöffentlichkeit von Anfang an nicht unumstritten. Ein Grund hierfür ist, dass sie die Geschlechterbarrieren wenn nicht qua Subsumption ignoriert, so doch zumindest dem Namen nach von Männern und Frauen abstrahiert. Die Diskussion über eine endgültige Umbenennung ist gegenwärtig, wie sich an der in Übergangszeiten gewählten Doppelbe-zeichnung „Frauen- und Geschlechterforschung“ able-sen lässt, noch nicht abgeschlossen. Als bevorzugter Titel von Lehrveranstaltungen oder Fachtagungen wurde diese Doppelbezeichnung in den letzten Jahren wissenschaftlich salonfähig und vor allem als „Ge-schlechterforschung“ auch für männliche Forscher und Hochschullehrer zunehmend attraktiv.

Zuvor waren Frauenthemen, wie die als Re-präsentativerhebung durchgeführte Soziologinnen-En-quête (Wetterer 1990) Ende der 1980er Jahre ergab, an (west-)deutschen Universitäten noch nahezu aus-schließlich von weiblichen Dozierenden angeboten worden. Bereits damals zeichnete sich jedoch eine gewisse Öffnung der Lehrangebote auch für männliche Dozierende ab, wenn für den Veranstaltungstitel der Begiff „Geschlecht“ gewählt wurde. Inzwischen gab es - zu Beginn der Frauenforschung noch undenkbar - vereinzelte Rufe auf Geschlechterprofessuren oder auf zumindest im Ausschreibungstext mit dem Erfordernis der „Geschlechtersensibilität“ ausgestattete Profes-suren - an männliche Kollegen. Zuvor galt die unaus-gesprochene Regel, dass Frauenforschungsprofessuren auch tatsächlich mit leibhaftigen Frauen besetzt wurden. Abzuwarten bleibt, inwieweit sich die aus der Berufssoziologie und der soziologischen Professionsfor-schung bekannten Zusammenhänge zwischen der Femi-nisierung von Tätigkeiten und deren gesellschaftlicher Abwertung mit umgekehrtem Geschlechtsvorzeichen auf eine mögliche Gentrifizierung der Gender-Thematik auswirken werden. In diesem Fall würde das bedeuten, dass das ursprüngliche A-Thema Geschlecht durch die Zunahme von Männern, die sich mit ihm von Berufs wegen in Forschung und Lehre beschäftigen, in den akademischen Adelsstand gehoben wird.

4.4 Fremdkörper

Frauen in der Soziologie

Wie mit den Frauen die Frauen-Themen in die Sozi-ologie kamen, so gelangten mit dem Einzug von Frau-en-Themen umgekehrt auch immer mehr Frauen in die akademische Soziologie und in die außeruniversitäre Forschung (speziell zu Frauenanteilen in außeruniver-sitären Forschungsinstituten Wimbauer 1999). Heute vertreten Frauen als Professorinnen und Dozentinnen das Fach in Forschung und Lehre mit einem gegenüber den 1960er Jahren deutlich gestiegenen Anteil. Ihre Zahl lässt freilich - auf den höheren Hierarchieebenen zumal - nach oben immer noch zahlreiche Potentiale offen. Nach Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und dem ersten Soziologentag 1910 in Frankfurt am Main dauerte es fast 90 Jahre, ehe 1999 erstmals eine Frau zur DGS-Vorsitzenden gewählt wur-de. Ihre Nachfolge wurde nach zwei Amtsperioden - und einer weiblichen Gegenkandidatin – inzwischen wieder zwischen zwei männlichen Kollegen entschieden. Dies zeigt, dass der Aufstieg der Soziologinnen innerhalb ihrer Disziplin - trotz einiger aus Frauensicht und unter Gender-Perspektiven positiven Entwicklungen - ein all-mählicher und vor allem ein aufhaltsamer ist.

Seit Mitte der 1990er Jahre geht inzwischen Jahr für Jahr jede dritte im Fach Soziologie erlangte Lehrbe-fugnis (venia) an eine Frau. Die Zunahme bei den habilitierten Soziologinnen hat sich zwar noch nicht so weit durchgesetzt, dass nun auch schon jede drit-te, nicht einmal jede vierte Soziologieprofessur mit einer Frau besetzt wäre. Bei insgesamt abnehmender Zahl der in Deutschland bestehenden, derzeit etwas über 300 Soziologieprofessuren ist der Anteil der Soziologieprofessorinnen jedoch - gegen den fachspe-zifischen Trend - steigend. Mit ca. 14 % liegt er über dem Professorinnenanteil im Durchschnitt der übrigen Fächer. Gemessen an der ständig weiter wachsenden Studentinnenzahl, die bei den Studienanfängerinnen im Durchschnitt aller Fächer mittlerweile die 50%-Gren-ze überschritten hat, ist dies jedoch immer noch eine deutliche Unterrepräsentanz. Ein Missverhältnis stellt diese Relation speziell auch in der Soziologie als einem Studienfach mit traditionell geschlechterparitätischer Präferenz dar, zumal die Soziologie vor allem in den Magisterstudiengängen an Philosophischen Fakultäten - dem Vorbild der Fächer Pädagogik und Psychologie

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folgend - langsam in ein weibliches Studienfach umzu-kippen scheint.

Der bis heute an deutschen Hochschulen und Uni-versitäten herrschende Mangel an gleichgeschlecht-lichen Identifikationsfiguren für die ständig wach-senden Zahlen weiblicher Studierender war auch Aus-gangspunkt des von der Gleichstellungsbeauftragten an der Universität Bonn initiierten interdisziplinären Forschungs- und multimedialen Ausstellungsprojektes: „VorBilder“. Das Projekt wurde seit Juli 2001 an der Universität Bonn von Historikerinnen, Soziologinnen, Kulturwissenschaftlerinnen und Kunsthistorikerinnen bearbeitet und gemeinsam mit KünstlerInnen realisie-rt. Als solches ist es zugleich ein Beitrag zur Zusam-menarbeit von Wissenschaften und Künsten. Das Gemeinschaftsprojekt wurde im Mai 2003 mit einer Multimedia-Ausstellung abgeschlossen, zu der auch ein Katalog erschienen ist. Aus dem Soziologischen Projekt-teil, dem GenderIndex(GIX)-Projekt, das gemeinsam mit dem infas-Institut Bad Godesberg durchgeführt wurde und u.a. eine Repräsentativerhebung unter Studierenden und Lehrenden an der Universität Bonn beinhaltete, liegt seit September 2002 ein ausführ-licher Forschungsbericht mit zahlreichen Schaubildern und Tabellen vor (Lucke/Guschker/Caumanns 2002).

4.5 Zwischen „new horizons“ und „roll backs“

Der lange Marsch durch die Institutionen

Nach einer insgesamt schwierigen und konfliktrei-chen Anfangsphase avancierte das Geschlecht wegen der Innovativität und Kreativität, die mit der Kategorie und der von ihr angeleiteten Forschung inzwischen über die Frauenöffentlichkeit hinaus verbunden wurde, vor allem als „Gender“ vorübergehend zum Zauberwort erfolgrei-cher Drittmitteleinwerbung. Als anglizistisch verfremde-ter und dadurch noch attraktiver gewordener „key term“ eröffnete die Kategorie Geschlecht Geldquellen, u.a. für die Neueinrichtung von Professuren und Lehrstühlen mit Gender-Denomination sowie für den Aufbau von einschlägigen Forschungsschwerpunkten und Studien- und Graduiertenkollegen.

Inzwischen ist der Gender-Trend innerhalb der deut-schen Hochschulen und Universitäten wieder etwas abgeflacht und die soziologische Geschlechterforschung

spätestens mit der Jahrtausendwende, zumindest intra muros, Teil einer um Gender-Aspekte bereicherten „nor-mal science“ geworden. Damit scheint sie in ein Stadium postrevolutionärer Normalität eingetreten zu sein. Als solche wird sie heute ohne den spektakulären Aufmerk-samkeitswert und die hervorgehobene Beachtung der ersten Jahre mit einigen Einschränkungen an der alma mater fast schon unauffällig, als „business as usual“, betrieben. Dabei ist die Frauen- und Geschlechterfor-schung thematisch und personell an den Universitäten in Deutschland - mit einem gewissen Nord-Süd-Gefälle - in Forschung und Lehre sehr ungleich vertreten. Nach der Anfangsphase in den späten 1970er und einem Gründungsboom in den 1990er Jahren ist ihre inneruni-versitäre Etablierung zu einem gewissen Stillstand gekom-men, wenn man von einigen neuerlichen Ausdifferenzie-rungen, wie der Neueinrichtung einer Professur „Queer Theory“ an der Universität Hamburg, absieht.

An die Stelle anfänglicher Spektakularität sind nun Wahrnehmungsverzögerungen zwischen Frauen-, Gleich-stellungs- und Geschlechterpolitik auf der einen und der in und außerhalb von Hochschulen stattfindenden sozial-wissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung auf der anderen Seite zu beobachten. Diese Friktionen und „receptive lags“ deuten auf die teilweise Nichtrezep-tion feministischer Diskurse auch zwischen angewandter Politik(-wissenschaft) und Soziologie hin. So stellt bei-spielsweise der u.a. von Luce Irigaray und Judith Butler vertretene feministische Dekonstruktivismus in den Au-gen seiner pragmatischen KritikerInnen - nicht nur aus der realpolitischen Praxis - eine Preisgabe des (Emanzipa-tions-)Subjekts Frau dar, ohne das keine politische oder soziale Bewegung auskommen kann, weil ohne leibhaf-tige Akteurinnen und deren persongebundene „agency“ jede Bewegung zwangsläufig handlungsunfähig wird.

Nach strategisch zunächst sinnvoller Singularisierung der Sozialkategorie Frau setzt sich nun mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass nicht alle Frauen allein auf-grund ihres biologischen Frau-Seins, nicht einmal allein aufgrund ihres gemeinsamen Sozialstatus Frau gleich betroffen sind. Angesichts bestehender und weiter zu-nehmender sozialkategorialer Binnenstrukturierungen innerhalb der sozialen Großgruppen Frauen und Männer wurde in der Soziologie der binäre Code Frau/Mann - so-wohl als distinktiver Ansatzpunkt wissenschaftlich-theo-retischer Reflexionen wie als zweistelliges Differenzieru-ngskriterium empirischer Untersuchungen mit weiblichen

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und männlichen Erhebungspolulationen - strittig und seine Berechtigung zunehmend in Frage gestellt. Auf politischer Ebene führte dieselbe Einsicht zu einer Wei-terführung und Ergänzung der gezielt nur auf Frauen be-zogenen Frauenförderung durch ein beide Geschlechter adressierendes umfassendes Gender Mainstreaming mit breit gefächertem, neuerdings um ein Gender Budgeting erweitertem Maßnahmenangebot.

5. Die Soziologie als Tochter einer geschlechtsspe- zifisch halbierten Aufklärung

5.1 Wissenschaftshistorische und ideengeschichtliche Rekonstruktionen

Die Rolle, welche das Geschlecht und die Geschlech-terverhältnisse innerhalb der Soziologie in Deutschland gegenwärtig spielen, ist zwiespältig. Ambivalenz, Margi-nalität und unzugelassene Priorität lassen sich anhand der Entstehungs- und Ideengeschichte des Fachs nach-zeichnen und, wie die eigentümliche Sonderstellung, wel-che die Gender Studies - und mit ihnen die Frauen und Frauenforscherinnen - innerhalb des Faches bis heute einnehmen, aus seiner Entwicklungsgeschichte heraus begründen.

Die Soziologie als verspätete Disziplin

Wissenschaftshistorisch betrachtet ist die Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin in der Zeit der Aufklärung - und damit im Vergleich zu anderen Fä-chern erst relativ spät - am Ende des 18. Jahrhunderts an der Schwelle zum 19. Jahrhundert entstanden. Angren-zende Disziplinen und heutige Nachbarwissenschaften, wie die Philosophie, die Psychologie oder auch die Juris-prudenz, waren im Zuge der einsetzenden Modernisierung zu dieser Zeit bereits ausdifferenziert und im Kanon der modernen Wissenschaften etabliert. Die Soziologie dage-gen ist mit einem Wissenschaftsalter von ca. 200 Jahren ein vergleichsweise junges und entsprechend lebendiges Fach, eine „living sociology“. Das Geschlecht als sehr viel später hinzu gekommener Teil ihres Gegenstandsbereichs ist mit ca. 25 Jahren noch neueren Datums. Dies hatte zur Folge, dass beide - Frauen- bzw. Geschlechterfor-schung und Soziologie - sich Platz und Gehör im Konzert der Wissenschaften erst suchen mussten und nur gegen Widerstand finden konnten. Heute ist die Soziologie eine Teildisziplin innerhalb der umfassenderen Sozialwissensc-haften. Zu diesen zählen neben der Soziologie Fächer

wie z.B. die Politik- oder die Wirtschaftswissenschaft. Während einer vereinnahmenden Hochkonjunktur der Sozialwissenschaften wurde zeitweilig auch die Rechts-wissenschaft dazu gerechnet.

Die Soziologie als „hintergründige“ Wissenschaft

Ideengeschichtlich betrachtet verdankt die Sozio-logie, als deren Namensgeber und Schöpfer des Kunstwor-tes „Soziologie“ (lat.: socius = Gefährte, griech.: logos = Wort, Rede, Vernunft) Auguste Comte (1798-1857) gilt, ihre Entstehung der bis in die Gegenwart maßgeblichen und erkenntnisgenerierenden Einsicht in die prinzipielle Hergestelltheit vorgefundener Verhältnisse. Zu ihren for-schungsleitenden Ideen und Impulsen gehört es, dem (Von-)Selbstverständlichen den Schein des (Quasi-)Na-türlichen, Gottgewollten und damit unveränderlich (Vor-)Gegebenen zu nehmen. Ihrem disziplinären Selbstver-ständnis entsprechend besteht eine der Hauptaufgaben der Soziologie darin, die vorgängige gesellschaftliche Produziertheit des zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in einem konkreten Raum Bestehenden ins Bewusstsein zu heben. Das in der jeweiligen Gegenwart an einem bestimmten Ort Gegebene wird als entäußerte Geschichte - im Sinne des „Habitat“ nach Bourdieu - und als das Ergebnis von zu Strukturen geronnenen Hand-lungen - anstelle eines einfachen so und nicht anders (Geworden- oder Möglich-)Seins - sichtbar gemacht. Dabei ist es der Soziologie im Unterschied zu den klas-sischen Professionen, wie dem Recht oder der Medizin, trotz des Postulats von Emile Durkheim (1858-1917), Soziales durch Soziales und nur durch Soziales erkären zu wollen, bezeichnenderweise nie gelungen, eine eige-ne - eben diese soziale - Rationalität monopolhaft für sich zu vereinnahmen, diese exklusiv zu verwalten und gegen Übergriffe anderer Disziplinen als Gegenstand und Zuständigkeitsdomäne sui generis auf Dauer erfolgreich zu verteidigen.

Seit ihren Anfängen beschäftigt sich die Soziolo-gie damit, Sachzwänge ihrer strukturell-funktionalen Sachnotwendigkeit und apodiktischen Alternativlosig-keit zu berauben und Sachzwänge als Sozialzwänge offen zu legen. Ihr geht es darum, gesellschaftliche Tatbestände und soziale Institutionen in ihrer über-höhenden Rechtfertigungskraft zu entzaubern. Ebenso sollen deren legitimationsentlastende Effekte in ihrem dem naiven Alltagsverständnis weithin verborgen blei-benden Implikations-, Voraussetzungs-, Options- und

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Alternativenreichtum soweit enttabuisiert werden, dass diese sich nicht mehr allein auf dem Wege einer bloßen Legitimation qua aktueller Existenz dauerhaft rechtfer-tigen. Eines ihrer wichtigsten Anliegen ist es dabei, die vorsoziologische doxische Wahrnehmung durch spezifisch soziologische Einsichten nicht nur in die Komplexität und Kompliziertheit, sondern auch in die Potentialität und Kontingenz faktischer Gegebenheiten zu ersetzen. Ziel ist es, auf die Menschengemachtheit gesellschaftlicher Verhältnisse aufmerksam und dabei klar zu machen, dass diese auch andere als die jeweils realisierten sein könnten. Befreiung aus selbst verschul-deter Unmündigkeit, deren Selbstverschuldetheit zuvor im Sinne der lateinischen „causa“, als Schuld und als Ursache, erkannt wurde: Nichts Anderes meint das Kantische Projekt einer auf die zeitgenössische Sozio-logie übertragenen soziologischen Aufklärung.

Die Soziologie als „geschlechtsloses“ und „frauenfreies“ Fach

Diese vor dem Hintergrund von Französischer Revo-lution und Industrialisierung seinerzeit revolutionäre und für die Soziologie als Fach und dessen Identität und seine Konturen bis heute konstitutive Einsicht setzte sich auch in Bezug auf die Geschlechterverhält-nisse durch. Dass dies aber in der von Grund auf sozial-kritischen und dem wissenschaftlichen Zweifel(n) in besonderer Weise verpflichteten Disziplin erst mit einer Verspätung von mehr als eineinviertel Jahrhunderten geschah, ist eine nicht nur in wissenschaftshistorischer Hinsicht bemerkenswerte Tatsache. Es bietet sich der Vergleich mit der Thematisierung des Geschlechter-kampfs zunächst in der Literatur und dann auch in den Bildenden Künsten, der Malerei und der Musik an. In der Kunst beispielsweise wurde der „Der Kampf der Geschlechter“ (Eschenburg 1995) schon viel früher, um ca. 1850, zum bestimmenden Thema und erreichte in der Zeit zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg einen Höhepunkt.

Oberflächlich betrachtet könnte die konsequente Nichtbeachtung des Geschlechts und dessen Behand-lung als bestenfalls randständige Quantité négligeable als Beleg dafür gelten, dass offenbar nicht nur gesell-schaftliche Institutionen, sondern auch wissenschaft-liche Disziplinen die eigenen Entstehungsgründe aus ihrem Gedächtnis streichen und kollektiv vergessen können. Ebenso könnte argumentiert werden, dass

Fächer dazu neigen, ihre Wurzeln abzuschneiden oder unter dem Erdboden geschickter Selbstdarstellung verschwinden zu lassen, wenn die eigenen Ursprün-ge sich später als professions- und disziplinpolitisch inopportun erweisen und der fachspezifischen wissen-schaftlichen Dignitität abträglich erscheinen sollten. Die systematische Ausblendung des Geschlechts und der Geschlechterverhältnisse hat jedoch Ursachen, die tiefer gehen und zugleich weiter - und weiter zurück - reichen.

Bei näherem Hinsehen offenbart sich die Große Erzählung von der gottgewollten und gleichsam natur-wüchsigen (Co-)Existenz zweier Geschlechter und der nur hierarchisch - bei apriorischer Inferiorität, also der Nach- und gleichzeitigen Unterordnung, des Weiblichen als des Anderen, Andersartigen, (System-)Fremden - möglichen Kohabitation von Frauen und Männern als gut erfundenes und klug konstruiertes Märchen. Dieses wurde entwicklungsgeschichtlich früh genug aufgebracht, um in Form des Patriarchats - einschließlich der sich um die Erzählung rankenden Legendenbildungen - historisch lange genug überleben zu können. Hilfreich war ein die Rationalitätssphären - in der vermännlichten Sprache der Systemtheorie - „interpenetrierendes“ Kartell über die Fächergrenzen hinweg geschmiedeter patriarchaler Deutungsmacht, bestehend aus Theologen, Medizinern, Juristen, Pä-dagogen und Biologen sowie anderen Vertretern der Humanwissenschaften des 18. bis 20. Jahrhunderts. Dem Kartell gelang es, diese (Geschlechter-)Geschichte über die Jahrhunderte hinweg lebendig zu halten und als Thema mit Variationen wirkungsmächtig und entsprechend folgenreich bis heute zu tradieren. Die absichtsvolle Komponiertheit dieser Geschichte, zu der die Malerei die schlagkräftigen Bilder und die Musik den entsprechenden Grundtenor lieferte, blieb lange unerkannt. In ihrer kunstvollen und verschwörerischen Konstruiertheit konnte sie erst sehr spät, im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, als machterhaltende kul-turelle Strategie der Ontologisierung und Naturalisie-rung der Geschlechterdifferenz dekonstruiert werden. Verständlich wird diese kaschierende Kulturleistung nur vor dem Hintergrund der „gentlemen‘s agreements“ eines in Männerbünden erfolgreich arkanisierten Herr-schaftswissens, das in der Folge einer geschlechtsspe-zifisch halbierten Aufklärung besonders nachhaltig perpetuiert wurde. Diese verbannte mit dem Geschlecht auch die Frauen in den unaufgeklärten blinden Fleck

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systematischen Nichtwissen(wollen)s und behielt das „sapere aude“ Kantischer Aufgeklärtheit als „tacit know-ledge“ dem männlichen Teil der Menschheit vor.

Die entstehungs- und ideengeschichtlich rekonstru-ierbare Geschlechtsblindheit der Soziologie steht somit in auffallendem Gegensatz zu ihrem Selbstverständnis als emanzipatorische und (gesellschafts-)kritische Wis-senschaft.

Die Soziologie als kritisch-emanzipatorische Wissen-schaft

Als emanzipatorische Wissenschaft ist die Soziologie für eine (sozial-)wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Geschlecht und den Geschlechterverhältnis-sen in Gesellschaften, in denen Frauen systematisch unterprivilegiert sind, geradezu privilegiert. Als kriti-sche (Gesellschafts-)Wissenschaft ist sie außerdem dazu prädestiniert, hinter der Fassade quasi-natürlicher Unterschiede zwischen Männern und Frauen die sozia-len, d.h. die menschengemachten und gesellschaftlich verursachten Ungleichheiten zwischen Herrschenden und Unterdrückten zu erkennen und als solche zu be-nennen. Dies schließt die Analyse der strukturellen Verankerungen, aber auch der kulturellen und normati-ven Überformungen von Herrschaftsverhältnissen und Ungleichheitsbeziehungen, einschließlich ihrer daraus resultierenden Veränderbarkeit, mit ein. Auch in dieser Beziehung ist die Soziologie - trotz ihrer Pionierinnen-rolle bei der akademischen Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung - eine verspätete Disziplin und eine in Bezug auf Frauen, wenn nicht ver-hinderte, so doch lange behinderte Aufklärerin.

5.2 Gefeierte Gründerväter - Vergessene Gründermütter

Geteilte Welten

Dass Freud seine Psychoanalyse und Piaget und Kohlberg ihre Entwicklungspsychologie in Männer-köpfen erdachten und mit der spitzen Feder männlicher Forschungsgenies zu Papier brachten, hat die femi-nistische Kritik u.a. mit Carol Gilligans „In A Different Voice“ (Gilligan 1982) inzwischen zutage gefördert. Ähnliches gilt für die Zivilisationstheorie von Norbert Elias. Deren weiblicher Entwicklungsstrang wurde erst durch den von Gabriele Klein und Katharina Liebsch aus Anlass seines 100. Geburtstages herausgegebenen

Sammelband: „Zivilisierung des weiblichen Ich“ (Klein/Liebsch 1997) entdeckt und einer breiteren Wissen-schaftsöffentlichkeit präsentiert.

Auch die Soziologie hat scheinbar nur Gründerväter und gleicht darin unserem Grundgesetz. Das Thomas-Theorem besagt: “If men define situations as real, they are real in their consequences”. Dass es außer auf William I. auch auf dessen Ehefrau Dorothy Tho-mas zurückgeht und - der Referenzliteratur folgend - ausgerechnet im Rahmen einer Fallstudie mit dem Titel: „The Unadjusted Girl“ (Thomas 1923), die auch als Emanzipationsstudie gelesen werden könnte, ent-wickelt wurde, ist in der „sociological scientific com-munity“ ebenfalls kaum bekannt. Dasselbe dürfte für die gemeinsame AutorInnenschaft anderer „sociological couples“, etwa des Ehepaars Helen M. und Robert S. Lynd mit ihren „community studies“, gelten. Das Tho-mas-Theorem war überaus einflussreich und bildete mit der hierdurch begründeten Objektivität subjektiver Perspektiven die Grundlage für eine konstruktivistische subjektorientierte Soziologie. Auch der amerikanische Soziologe Alvin Gouldner als Vertreter einer der Frau-enforschung ebenfalls intentional und methodisch nahen Betroffenenforschung sprach nur von - den diplomierten Soziologen gleichberechtigten - „brother sociologists“, von „sister sociologists“ war keine Rede. Vilfredo Pareto hielt in seiner ansonsten frauenfreien Elitentheorie pikanterweise nur politisch einflussreiche Maitressen für erwähnenswert.

Selbst August Bebel, der mit seinem Buch: „Die Frau und der Sozialismus“ (Bebel 1879) als früher „Frauenrechtler“ reklamiert und heute gerne als so-zialdemokratischer Gewährsmann der Frauenemanzipa-tion zitiert wird, zementierte mit seiner unkritisch über-nommenen Zweiteilung in Produktion und Reproduktion unfreiwillig die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und reproduzierte die hemisphärische Zuweisung der Berufswelt an Männer und der Familienwelt an Frauen. Damit stand er - möglicherweise unbewusst - ganz in der Tradition der Zwei-Sphären-Theorie eines Wilhelm Heinrich Riehl. Seine in dem Buch: „Die Familie“ (Riehl 1855) entwickelte erzpatriarchale Familiensoziologie und die dort dargelegten konservativen familienrecht-lichen Auffassungen hatten weite Kreisen des Bürge-rtums des ausgehenden 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusst und fanden Eingang in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB 1896) der Jahrhundertwende. Damit

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kopierte auch Bebels vermeintliches „Emanzipations“-Werk nur das „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“ der Französischen Revolution, welches das Männliche mit dem Menschlichen gleichsetzt und auf dem anderen Auge geschlechtsblind ist.

Literaturhinweis:Zur Frauen- und Geschlechtergeschichte allgemein

Hausen/Wunder (1992).

Die Geschichte der Soziologie erscheint mithin, wie diejenige anderer wissenschaftlicher Disziplinen, aber auch die Geschichte ganzer Gesellschaften als eine ausschließlich von Männern gemachte, von ihnen geschriebene, allein durch sie in Lehrbüchern repräsen-tierte und im Schrifttum für die Nachwelt konservierte. Tatsächlich spielten, wie u.a. der von Claudia Honegger und Theresa Wobbe herausgegebene gleichnamige Sam-melband erhellt, „Frauen in der Soziologie“ (Honegger/Wobbe 1998) eine größere und weitaus bedeutendere Rol-le, als selbst manche Frauenforscherinnen heute wissen.

Zu diesen Frauen, die zeitlebens - und oft auch noch lange danach - im Schatten ihrer schon zu Lebzeiten sehr viel berühmteren Männer geblieben sind, zählt neben anderen in dem genannten Buch vorgestellten Sozialwissenschaftlerinnen u.a. Marianne Weber. Ein Marianne-Weber-Archiv mit Forschungsstätte in Oerling-hausen, wo auch seit wenigen Jahren Niklas Luhmann begraben liegt, wurde erst 1993, also fast 40 Jahre nach ihrem Tod, gegründet. Dies ist das Ergebnis einer von der soziologischen Frauenforschung wesentlich mitbetrie-benen Spurensuche. In dieselbe, bislang nirgendwo voll-ständig zusammengetragene und öffentlich zugänglich gemachte Ahninnengalerie gehört Marie Jahoda. Sie hat mit ihrer Studie über „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1933) Pionierinnenarbeit der empirischen Sozialforschung geleistet. Gleiches gilt für die heute weithin unbekannte Mathilde Vaerting. Sie wurde 1923, wenige Monate nach dem ersten Ruf an eine Frau, dem von Margarethe von Wrangell nach Hohenheim, als zweite Professorin in Deutschland über-haupt auf eine Professur für Pädagogik und Soziologie nach Jena berufen - gegen den Widerstand der Fakultät. Zuvor war ihre Habilitationsschrift von der Berliner Hum-boldt-Universität als unwissenschaftlich abgelehnt und ihr Emanzipationsstreben von den ausschließlich männ-lichen Gutachtern ins Lächerliche gezogen worden. Allein an ihrem Fall erweist sich die Notwendigkeit, auch der

Wissenschaftsgeschichte der Soziologie als bisheriger „hi-story“ eine „herstory“ zur Seite zu stellen.6. Die Kolonialisierung der Soziologie durch das Geschlecht

6.1 Wirkungsgeschichte

Die von der Frauen- und Geschlechterforschung gewonnenen theoretischen und empirischen Ergebnisse und Erkenntnisse diffundieren mittlerweile nicht nur in unterschiedliche Lebensbereiche. Sie haben auch in sämtliche einzeldisziplinäre Teilgebiete und Spezielle So-ziologien Eingang gefunden, deren Analysen angeleitet und ihre Interpretationen beeinflusst. Auf dem gegen-wärtig erreichten Diskussionsstand kann es sich kaum mehr ein Fachgebiet, das wissenschaftlich ernst genom-men werden will, leisten, vom Geschlecht und den Ge-schlechterverhältnissen abzusehen. Insoweit kann man in analogisierender Anlehnung an Habermas von einer Kolonialisierung der Lebenswelt und der sie erforschen-den Wissenschaften durch das Geschlecht sprechen. Indiziert wird dies u.a. durch eine mittlerweile kaum mehr überschaubare Fülle von Buchtiteln, die das Wort „Geschlecht“ im Titel tragen, wie „Das Geschlecht des Wis-sens“, „Das Geschlecht der Globalisierung“. Dazu kommt eine die Politik und die Alltagssprache durchziehende Geschlechterrhetorik sowie eine über die Jahre hinweg florierende Gender-Tagungsindustrie. Dabei ist vor allem eine Genderisierung der Kultur- und Sozialwissenschaften feststellbar. Inzwischen geht es um „gendered organiza-tions“ oder ein „gendered self“ bis hin zur Vergeschle-chtlichung der Kantischen Apriorien von Raum und Zeit.

Literaturhinweis:Als Überblick über die Frauen- und Geschlechterfor-

schung in unterschiedlichen Disziplinen Pasero/ Braun (1993) sowie Cottmann/Kortendiek/Schildmann (2000).

Kritische Grundpositionen

Allein in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens - das ist wissenschaftshistorisch betrachtet ein sehr kurzer Zeit-raum - sind aus der Frauen- und Geschlechterforschung wichtige Ansätze zu einer feministischen Wissenscha-fts-, Demokratie-, Rechts-, Technik-, Geschichtsschrei-bungs- und Gesellschaftskritik hervorgegangen. Ihre Tabugrenzen bisweilen überschreitenden Einwände sind so grundlegend und weitreichend, dass sie sich nicht in die Zuständigkeitsbereiche der jeweiligen Spezialgebiete

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aufteilen und der Wissenschafts-, der politischen, der historischen oder der Rechts- bzw. Techniksoziologie allein zuordnen lassen. Indem die Frauenforschung die traditionelle Wissenschaft als bislang vorgeblich ausschließlich männliche Kulturleistung, die bisherige Geschichte als reine Männergeschichte, das Recht als von Männern für Männer gemachtes Recht etc. aufdeckt und in ihren patriarchalen Strukturen und Normierungen entlarvt, berührt sie das Fach und die angrenzenden Diszi-plinen im Kern - einschließlich ihrer theoretischen Grund-lagen und methodologischen Grundvoraussetzungen.

Insbesondere die in der Soziologie seit Max Weber (1864-1920) klassischen Wertfreiheits- und Objektivi-tätspostulate blieben hiervon nicht ausgenommen. Auch sie wurden ins Visier genommen und von der Frauenfor-schung einer fundamentalkritischen Überprüfung unter-zogen.

Feministische Wissenschaftskritik

Im Zuge der in feministischer Perspektive betriebenen Wissenschaftskritik wurden Wertfreiheit und Objektivität als Ergebnisse einer Wissenschafts- und Wissenschaftlich-keitsideologie sichtbar gemacht, die nur in unzulässiger Generalisierung des Männlichen überhaupt möglich ge-worden war. Sie beruhte auf bis dato unhinterfragten Universalitätsbehauptungen des männlichen Menschen, die diesen - und nur diesen - zu ihrem objektiven Maß-stab erhoben. In der Kritik wurde deutlich, wo und wie Geschlechtslosigkeit mit wissenschaftlicher Objektivität und Neutralität gleich gesetzt oder hierauf verkürzt und die eine zur unausgesprochenen Grundvoraussetzung der jeweils anderen erhoben wurde: Die wissenschaftliche Unabhängigkeit und Objektivität verbot den Blick auf das Geschlecht und verhinderte dessen angemessene Be-rücksichtigung sowohl auf Seiten der Forschungssubjekte wie der Forschungsobjekte. Der Geschlechterblick ver-hinderte umgekehrt eine wissenschaftlich objektive Sich-tweise - oder behinderte sie zumindest.

Mit dieser, die Wissenschaft in ihren Grundsätzen und impliziten Qualitätsannahmen irritierenden Herange-hensweise wurde die wissenschaftliche Objektivität als das (Kunst-)Produkt einer gegen alle empirische Evidenz und wider die praktische Forschungserfahrung aufrech-terhaltenen Geschlechtsneutralität erkannt und die Geschlechtslosigkeit als axiomatische methodologische Grundvoraussetzung wissenschaftlicher Objektivität of-

fen gelegt. Aus dieser Neutralitätsforderung war bereits von Max Weber in seinem Aufsatz: „Die ‚Objektivität’ so-zialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ (Weber 1995), dem sogenannten „Objektivitätsaufsatz“ aus dem Jahre 1904, mit dem berühmten Wertfreiheits-postulat ein Verbot auch jeden politischen und advokato-rischen Engagements des Wissenschaftlers abgeleitet worden. In der in gängigen Methodenlehrbüchern heute noch auftauchenden (Kunst-)Figur des unbeteiligten, als geschlechtsneutral fingierten Betrachters (männli-chen Geschlechts), der nicht nur räumlich außen steht, seinem Forschungsgegenstand gegenüber gleichgültig ist und diesen sine ira et studio beurteilt, findet diese Auffassung ihren idealtypisch personifizierten Ausdruck. Bis in die Gegenwart lebt diese Kunstfigur an deutschen Universitäten im Habitus des Wissenschaftlers und Pro-fessors, d.h. des gelehrten Mannes, fort.

Die Objektivitätsdiskussion wurde – mit etwas ande-ren Akzentuierungen und ohne den Gender-Aspekt - auch innerhalb der Mainstream-Soziologie selbst geführt. Sie hat u.a. im Zusammenhang mit dem Werturteils- bzw. Positivismusstreit eine Fülle von hier im Einzelnen nicht aufzuarbeitender epistemologischer und methodologi-scher Grundlagenliteratur produziert.

Literaturhinweis: für eine feministische Wissenschafts-kritik stellvertretend Harding (1994) sowie zu Gender-Aspekten speziell bei der Konstruktion der wissenschaftli-chen Persönlichkeit Engler (2001).

6.2 Der „Female Stream“ als Forschung „gegen den Strich“ und gegen den „Male Mainstream“

Methodische und methodologische Positionierungen

Die vor allem in den 1980er Jahren in der frauenfor-schenden Fachöffentlichkeit viel diskutierten „Methodi-schen Postulate zur Frauenforschung“ (Mies 1978) waren den Wertfreiheits- und Objektivitätsidealen der „male mainstream“-Soziologie diametral entgegen-gesetzt. Ihre spezifisch weiblichen, aus der Entwick-lungssoziologie heraus entwickelten Ansprüche auf (Selbst-)Betroffenheit, Parteilichkeit und Partizipation befanden sich, von Maria Mies in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre formuliert, in scharfem Gegensatz zur her-kömmlichen Wissenschaft. Sie stellten eine bewusste Provokation der traditionell männlichen Wissenschaft-lichkeitsvorstellungen dar.

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Das politische Klima der Gesellschaft der Bundes-republik in den ausgehenden 1970er und beginnenden 1980er Jahren war von Bürgerbeteiligung und so-zialen Bewegungen geprägt; in der Soziologie jener Zeit herrschte Hochkonjunktur für eine beteiligungs-orientierte und auf lebenspraktische Veränderungen zielende Betroffenen-, Handlungs- und Aktionsfor-schung. Die Ansätze orientierten sich methodisch und methodologisch am Bild des mündigen Bürgers, der sich im - von der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder allerdings auch hier wieder als männlich vorgestellten - Bewusstsein seiner Mündigkeit „in die eigenen Ange-legenheiten einmischt“ (Max Frisch) und dabei notfalls auch gegen den Strom schwimmt. Hinzu kamen als wei-tere Postulate der direkte Theorie-Praxis-Bezug und die nachdrücklich eingeforderte Lebensnähe. Damit waren auch Primärerfahrungen und die eigene Biographie als legitime Ausgangspunkte und nachträgliche Korrektive wissenschaftlich-theoretischer Reflexionen und empiri-scher Forschungen anerkannt.

An diesen, im 7. Jahrgang der „beiträge zur femi-nistischen theorie und praxis“ zuerst veröffentlichten „Methodischen Postulaten“ nahm die feministische Me-thoden- und Methodologiedebatte ihren Ausgang. An prominenter Stellte artikulierte sie sich auf der ersten großen, Ende 1983 in Berlin stattfindenden Methodenta-gung mit der dort gestellten und in ihrer Beantwortung in dem betreffenden Tagungsband nachzulesenden Frage: „Gibt es eine spezifisch weibliche Methode?“ Inzwischen ist die von der Frauenforschung mit ausge-löste Methodendiskussion in den Sozialwissenschaften wieder etwas verstummt. Im Laufe der allgemeinen Dis-kussion um quantifizierende und qualitative Verfahren, der sogenannten „Quanti-Quali“-Debatte innerhalb der Soziologie, ist sie in ein Stadium übergegangen, in dem die qualitativen Forschungsmethoden nahezu gleichberechtigt neben den quantitativen stehen. Beim heutigen Stand der fachinternen Diskussion werden beide Methodenstränge mehrheitlich in einem Verhält-nis der wechselseitigen Ergänzung und nicht mehr so sehr in einem Verhältnis der zu Gunsten der quanti-tativen Sozialforschung vorentschiedenen Konkurrenz gesehen.

Literaturhinweis: Als Überblick über die Methoden der Frauenforschung und die Entwicklung einer feministi-schen Methodologie Diezinger u.a. (1994) sowie Alt-hoff u.a. (2001).

6.3 Das Projekt Soziologische Aufklärung und das Er- kenntnisprojekt Geschlecht

Joint Ventures

Die Frauen- und Geschlechterforschung hat mit ih-ren theoretischen Orientierungen sowohl die Diskurse der Allgemeinen (theoretischen) Soziologie als auch mit ihren „weiblichen“ Methoden und der feministi-schen Methodologie die sozialwissenschaftliche Metho-dendiskussion nachhaltig beeinflusst. Die soziologische Theoriebildung wurde ebenso wie die empirische Sozial-forschung mit wegweisenden Impulsen und neuen Ideen gleichermaßen vorangebracht. Mit der Frauenfor-schung setzten sich innerhalb der deutschen Soziologie - auch im übertragenen Sinne - konstruktive Theorien-dynamiken in Gang. Das bisherige Theorienrepertoire kam in (Frauen-)Bewegung. Der geschlechtsneutrale orthodoxe (Männer-)Konsens wurde mit den damit zwangsläufig einhergehenden Tabubrüchen um bislang unbekannte heterodoxe Sichtweisen erweitert.

Literaturhinweis: Zum gegenwärtigen Stand feministi-scher Theoriebildung Becker-Schmidt/Knapp (2000); als exemplarischer Überblick über die Geschichte femini-stischer Theoriebildung in den Sozialwissenschaften Hark (2001); als Überblick über die empirische Frauen-forschung Milz (1994).

Auf theoretischer Ebene wurde im Zusammenwirken mit anderen wissenschaftsinternen und -externen Ent-wicklungen eine allmähliche Abkehr von einer nicht nur frauenfreien, sondern insgesamt akteurlosen und für eine „Menschenwissenschaft“ (Norbert Elias) seltsam menschenleeren Soziologie der Subsysteme und entsub-jektivierten Funktions- und Wertträger eingeleitet. Mit einer akteurorientierten Systemtheorie oder einem in-dividualistischen Strukturfunktionalismus führte dies zu einer bis heute anhaltenden und, wie es aussieht, wei-ter fortschreitenden Subjektorientierung - nicht nur in der immer schon handlungstheoretisch ausgerichteten Soziologie. Zudem kam es zu einer Historisierung fach-spezifischer Betrachtungs- und Herangehensweisen, die immer stärker u.a. auch um Authentizität bemüht sind. Dabei werden zunehmend weniger Negativabgren-zungen, etwa zur Deutungskunst, vorgenommen und die mehr als nur heuristische Berechtigung der Herme-neutik unterstrichen.

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Literaturhinweis: Als Überblick über den in der zeit-genössischen Soziologie beobachtbaren Trend zur Subjektorientierung Lucke (1997).

Auf inhaltlicher Ebene wurden über ein gendersensi-bles Forschungsprogramm von den Frauenforscherinnen nicht nur neue Themen auf die soziologische Agenda gesetzt und deren Themenfelder mit genderspezifischen Inhalten und genderfokussierten Forschungsfragestel-lungen mitbestimmt. Der gesamte Gegenstandsbereich der Soziologie wurde erweitert und ihr disziplinäres Er-scheinungsbild nach innen und außen verändert.

Auf methodischer und methodologischer Ebene ha-ben die durch die Frauen- und Geschlechterforschung ausgelösten fachinternen Diskussionen maßgeblich zur Aufwertung qualitativer, insbesondere auch histori-scher und biographischer Methoden, wie der „oral histo-ry“, beigetragen. Es ist sicher nicht zu hoch gegriffen festzustellen, dass der frauenforschende Methoden- und Methodologiediskurs dem interpretativen Paradigma, welches die qualitative Sozialforschung als „ground theory“ wissenschaftstheoretisch grundiert, gegen das normative Paradigma einer erklärenden Soziologie ent-scheidend mit zum Durchbruch verholfen hat. Dies war der Fall, ohne dass, wie vielfach unterstellt wurde und - trotz des empirischen Gegenbeweises etwa durch Abels (1993) - z.T. auch noch wird, die Frauenforschung als „soft science“ sich vorwiegend oder gar ausschließlich „weicher“ qualitativer Methoden bedienen würde.

Literaturhinweis: Zum Verhältnis von Geschlechterfor-schung und qualitativen Methoden Behnke/Meuser (1999).

Darüber hinaus wurde in einer späteren Phase ein inner- und interdisziplinärer Dialog auch zwischen expliziter Frauen- und impliziter Männerforschung ange-stoßen. Im Zuge eines, wie es sich derzeit darstellt, überaus fruchtbaren feministischen Enlightenment wurde nach anfänglicher frauenzentrierter Fokussierung und zu befürchtender eingeschlechtlicher, in diesem Fall weiblicher Homogenisierung eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass auch der eine oder andere Klassi-ker des soziologischen male Mainstream an den Female Stream anschlussfähig ist. Im Lichte feministischer Theorien reinterpretiert, kann dies einen Beitrag zur theoretischen Integration sowie zu künftig gemeinsa-mer Traditions- und Theoriebildung leisten.

In diesem Zusammenhang zu nennen sind Georg Simmels „Schriften zur Philosophie und Soziologie der Geschlechter“ (Simmel 1985) als eine der frühesten, erst sehr viel später publizierten soziologischen Thema-tisierungen des Geschlechts und Erving Goffmans „In-teraktion und Geschlecht“ (Goffman 1994) als eine der ersten interaktionistischen Perspektiven auf das Ge-schlecht sowie die von ihm vertretene Theorierichtung der Ethnomethodologie insgesamt. Deren Konzepte Kontextualität, Indexikalität und kulturelle Rahmung ließen sich in ein „gender framing“ ausbauen und zu einer hiermit vorgeschlagenen Gendromethodologie weiterentwickeln.

In dieser in feministische Grundströmungen inte-grierbaren Traditionslinie stehen neben den aus den USA - mit der üblichen Zeitverzögerung und den das West-Ost-Gefälle in der gesamten Soziologie bestim-menden „jet lags“ - importierten Gender Studies vor allem die Einflüsse französischer Theoretiker. Dies gilt namentlich für die Theorie der Postmoderne von Jean Francois Lyotard sowie für den französischen Struktu-ralismus und Poststrukturalismus. Als Autor, der von der deutschen Frauen- und Geschlechterforschung nun schon seit Jahren mit Gewinn rezipiert wird, ist weiter-hin der französische Kultursoziologe Pierre Bourdieu zu nennen. Er wird mit seinem Konzept des Habitus und der Inkorporation sowie mit seinem reproduktionstheo-retischen Ansatz u.a. in der geschlechtsspezifischen Un-gleichheits-, Lebensstil-, Lebenslauf- und Biographie-diskussion breit diskutiert und dabei teilweise auch in Kontrast zu Ulrich Becks individualistischem Ansatz gesetzt. Als für die feministische und frauenforschende Theoriebildung nicht nur in Deutschland besonders ein-flussreich gilt der insbesondere durch Jacques Derrida und Michel Foucault repräsentierte Dekonstruktivismus, auf dem vor allem auch das Werk der feministischen (De-)Konstruktivistin Judith Butler aufbaut.

Literaturhinweis: Als Übersichtswerk, in dem auch ande-re wichtige Theoretikerinnen des dekonstruktivistischen und poststrukturalistischen Feminismus der Postmoder-ne repräsentiert sind, Benhabib u.a. (1993).

6.4 Kritische Würdigung

Das Geschlecht als Faktor sozialer Ungleichheiten und als Produkt sozialer Konstruktionen

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Über die Durchsetzung des Geschlechts als einer ne-ben Alter und Ethnie „neuen“ sozialen Ungleichheit - in Wirklichkeit wurde das Geschlecht als ungleichheitsre-levanter Faktor, wie die beiden anderen, ebenfalls as-kriptiven Merkmale von der Soziologie nur neu entdeckt - gelang es einerseits, Verbindungen zwischen „gen-der“, „class“ und „race“ herzustellen. Es wurde mög-lich, die Gemeinsamkeiten dieser sozialkategorialen Benachteiligungsfaktoren in ihren von vollständiger gesellschaftlicher Integration und gleichberechtigter Teilhabe ausschließenden Wirkungen zu erkennen.

Andererseits gelang es, mit der Sensibilisierung für die soziokulturelle Konstruiertheit des Geschlechts und für die innerhalb eines erweiterten Spektrums mög-licher Geschlechtsvariabilitäten relative Beliebigkeit der historisch durchgesetzten Zweigeschlechtlichkeit zugleich auch auf andere, zuvor ebenfalls als per se existierend unterstellte Konstruktionen, wie den Frem-den, den Anderen, aufmerksam zu machen und mit in der Soziologie bereits vorhandenen Ansätzen, wie dem „labelling approach“, zu verbinden. Auf diese Weise konnte z.B. der aus der Soziologie des abweichenden Verhaltens und der Kriminologie kommende Etikettie-rungsansatz für die Frauen- und Geschlechterforschung theoriebildend nutzbar gemacht und argumentativ ge-gen jede naturalisierende Ontologisierung der Dipolari-tät zweier Geschlechter eingesetzt werden.

Namentlich der sich zurzeit auch im soziologi-schen Mainstream mehr und mehr durchsetzende Konstruktivismus und vor allem der feministische Dekonstruktivismus verstehen sich als gegen onto-logisierende, naturalisierende und sakralisierende Positionen gerichtet. Sie bilden eine zunehmend radi-kalisierte theoretische Gegenposition zu jedem Essen-tialismus und erlaubten es, die hierarchische Dualität der Geschlechter als Kunstprodukt patriarchalen Mach-terhalts zu dekonstruieren.Auf diese Weise wurde es möglich, nicht nur Einsichten innerhalb der Soziologie diskursfähig zu machen, wonach Bedeutung und Identi-tät nie eindeutig und nie endgültig sind. Es gelang im Besonderen auch, den Gedanken von Iterativität, Permeabilität und Temporalität, also von Vorläufigkeit, vorübergehendem Charakter und Zeitlichkeit, auf ver-meintlich klare Geschlechtsmarker und eine von Geburt an lebenslängliche Geschlechtsidentität zu übertragen.

Diese Errungenschaften feministischer Forschung

und theoretischer Analyse haben jedoch auch Nachteile und bergen gewisse Gefahren.

Reifizierung der Zweigeschlechtlichkeit

Die geschlechtsspezifische Ausdifferenzierung und Ausweisung nahezu aller Erhebungsdaten und Stati-stiken hat, seitdem bei der Anlage und Durchführung empirischer Untersuchungen mittlerweile standardmä-ßig nach Geschlecht differenziert wird, einerseits den Vorteil, dass mehr empirisch gesichertes Wissen über die Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Frauen vor-liegt. Dadurch ist ihre spezifische Situation (als Arbeit-nehmerinnen, Wissenschaftlerinnen, Erziehende etc.), insbesondere auch in ihren nach wie vor bestehenden materialen Benachteiligungen und soziokulturellen Dis-kriminierungen, hinreichend detailliert belegbar. Der hiermit verbundene Wissensvorsprung und Informati-ons- und Erkenntnisgewinn geht allerdings auf Kosten einer unbeabsichtigten Reifizierung, d.h. Verdingli-chung, der Zweigeschlechtlichkeit (zur Ausführung dieses Gedankens Gildemeister/Wetterer 1992). Sie leistet so einen unfreiwilligen Betrag zu deren wahr-nehmungsmäßiger und stets aufs Neue artikulierter Verfestigung.

Auf diese Kehrseite hatte - von einem system-theoretischen (nicht feministischen!) Standpunkt aus - zuvor auch schon Niklas Luhmann hingewiesen. In seinem Aufsatz: „Frauen, Männer und George Spencer Brown“ erhebt Luhmann (1988) den am scharfsinnigen Blick des englischen Logikers geschulten und an die Frauenforschung adressierten Vorwurf, sie gehe mit ihrer Initialunterscheidung von Frauen und Männern als ihrer theoretischen Leitdifferenz („distinction directrice“) von einer grundsätzlich falschen Grenz-ziehung aus, wenn sie als binären Code denjenigen von männlich - weiblich einführe, um mit politischen und rechtlichen Gleichheitsforderungen anschließend gerade die Irrelevanz dieser von ihr selbst getroffenen forschungsleitenden Unterscheidung herbeiführen zu wollen. Mit der vor allem durch Judith Butler zwische-nzeitlich erreichten Position, welche eine Pluralisierung des Geschlechts zumindest als Denkmöglichkeit zulässt und damit die Dipolarität der Geschlechter theoretisch transzendiert, erscheint dieser Widerspruch zwischen zweistelliger Geschlechterlogik und einer auf Gleich-heit zielenden Geschlechterpolitik teilweise auflösbar. Der Übergang des feministischen Gleichheitsdiskurses

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in den Differenz- und Pluralitätsfeminismus setzt diese Erkenntnis auch politisch um.

Einseitige Feminisierung

Eine weitere unbeabsichtigte Nebenfolge der Gende-risierung nahezu aller Gegenstände und Gegenstands-bereiche der Soziologie ist ihre teilweise einseitige Feminisierung. Erst neuerdings wird „das vergessene Geschlecht“, das z.B. in der Familie das männliche Geschlecht meint, in aktuellen Tagungen thematisiert. Dies gilt auch für geschlechterpolitische Debatten, die zum weitaus überwiegenden Teil als frauenpolitische Debatten geführt werden. Die Diskussion um die Verein-barkeit von Erziehung und Beruf z.B. wird überwiegend nur als Frauendiskussion und mit Blick auf die Mütter und, wie bei der Teilzeitarbeit, kaum mit Blick auf die Väter geführt. Dieser Feminisierungseffekt wird nun durch das Gender Mainstreaming intentional und pro-grammatisch abgefedert und auch sprachlich zurecht gerückt.

7. Fazit: „Gender Matters“!

From „out“ to „in“ oder: Vom Rand ins Zentrum?

Die soziologische Befassung mit dem Geschlecht und dessen innerdisziplinäre Durchsetzung als elementare Interpretations- und zentrale Analysekategorie liegt in vielerlei Hinsichten näher am Zentrum des Fachs, als viele wahrnehmen und vor allem jene wahrhaben wollen, die in der Geschlechtersoziologie nur eine Spe-zielle Soziologie unter vielen anderen sehen und sie als Bindestrich-Soziologie auch weiterhin marginalisieren wollen. Das Geschlecht durchzieht sämtliche Lebens-bereiche, die es als (Meta-)Struktur zugleich unterlegt und grundiert und als (Meta-)Kultur überlegt und kul-turell überformt. Mit Fragen nach struktureller sozialer Ungleichheit als der nach Ralf Dahrendorf „ersten Fra-ge der Soziologie“ und der gleichzeitigen Offenlegung soziokultureller Konstruktionsprozesse - einschließlich deren folgenreicher Etikettierungen und ihrer prin-zipiellen Dekonstruier- und Veränderbarkeit - bewegt sich die Frauen- und Geschlechterforschung in unmit-telbarer Nähe zum Kern der soziologischen Disziplin. Indem sie in einer Gender-Perspektive deren Grundfra-gestellungen und Kardinalprobleme behandelt, berührt sie zugleich nahezu alle Speziellen Soziologien. Damit ist sie weit mehr als ein nur modisches Accessoire oder

ein bloßes Attribut bzw. ein Tribut der zeitgenössi-schen Soziologie an einen genderisierten Zeitgeist, der in seiner Gender-Sensibilität seinerseits wesentlich von ihr mit geprägt wurde.

Insgesamt hat die Frauen- und Geschlechter-forschung die Soziologie wohl nicht von Grund auf revo-lutioniert. Mit Sicherheit hat sie sie aber über mehr als nur perspektivische Umakzentuierungen und homöopa-thische Schwerpunktverlagerungen hinaus reformiert. Auf theoretischer, epistemologischer wie auf metho-discher und empirischer Ebene wurden gleich mehrere Tabus gebrochen und damit z.T. irreversible Positionen geschaffen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das „Erkenntnisprojekt Geschlecht“ (Dausien u.a. 1999) das Projekt der soziologischen Aufklärung um einen wesentlichen, bislang vergessenen oder verdräng-ten Aspekt erweitert und die Soziologie - und mit ihr die übrigen Kultur- und Sozialwissenschaften - grundle-gend und nachhaltig gewandelt hat.

Ein zentrales - und selbst in der heutigen Wissen-schaftlerInnengeneration fast schon wieder etwas in Vergessenheit geratenes - Verdienst der Frau-en- und Geschlechterforschung besteht darin, dass es ihr gelungen ist, aus dem früheren A-Thema Ge-schlecht das Generalthema Geschlecht zu machen. Die Geschlechterverhältnisse wurden vom früheren Neben-widerspruch in den Status eines Hauptwiderspruchs erhoben. Damit ist das Geschlecht in der Soziologie und in den Kultur- und Sozialwissenschaften insge-samt - teilweise auch darüber hinaus - als Gegenstand etabliert und zumindest mittel- und kurzfristig einer erneuten Tabuierung entzogen. Das Erreichte und erst gegen Widerstand Erkämpfte erscheint in dem Maße, in dem es Teil einer nie anders gekannten Wis-senschaftslandschaft und Lebenswirklichkeit geworden ist, Betroffenen und Unbeteiligten als Gegebenes und immer schon Bestehendes - und damit als etwas (Von-)Selbstverständliches. Allein schon die geglückte The-matisierung und angemessene Platzierung im Fach ist nicht deren geringster Erfolg. Wohl aber handelt es sich bei der Selbstverständlichkeit, mit der über Frauen- und Geschlechterfragen heute (fach-)öffentlich geredet und (sozial-)wissenschaftlich diskutiert wird, um ein typi-sches Bewegungsschicksal. Dieses teilt die Frauenbewe-gung und die auf ihr aufbauende Frauenforschung mit anderen sozialen Bewegungen und gesellschaftlichen Projekten. Auch deren Errungenschaften werden am

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Ende vielfach nicht mehr als mit langem Atem durchge-setzte Ziele wahrgenommen und ihnen als Verdienste zugerechnet.

Nach der durch die Mainstream-Soziologie, allen voran durch Max Weber, in den Blick gerückten Entzau-berung der Lebenswelt und deren rationalisierungsbe-dingter (sozial-)wissenschaftlicher Kolonialisierung hat die Frauen- und Geschlechterforschung die Perspektive auch auf die Genderisierung der gesellschaftlichen Realität geöffnet. Mit einem feministisch inspirierten „consciousness raising“ wurde die Geschlechtlichkeit ihrer nur vermeintlich geschlechtsneutralen Strukturen und Kulturen zunächst ins inner- und interdisziplinäre und als „gendered structures“ und „gendered cultures“ dann auch ins allgemeine Bewusstsein gehoben. Die Frauen- und Geschlechterforschung führte das Fach aus seiner ideologischen Geschlechtslosigkeit heraus und löste die Soziologie in einer spektakulären Aktion der Aufklärung der Aufklärerin auch in Bezug auf das Geschlecht aus den Fesseln ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Indem die Frauenforscherinnen den soziologisch sensibilisierten Gender-Blick entwickelten und den soziologischen Blick um spezifisch weibliche Sicht-weisen erweiterten, befreiten sie die Soziologie und die Sozialwissenschaften insgesamt aus ihren selbs-tdisziplinierenden, die eigenen Forschungspotentiale und Erkenntnismöglichkeiten beschneidenden Begren-zungen. In sinngemäßer Anwendung der juristischen Umkehr der Beweislast wurden ein Diskursniveau und eine Diskursqualität erreicht, die sicher stellen kön-nen, dass beim derzeitigen, nicht mehr hintergehbaren Stand der soziologischen und sozialwissenschaftlichen Gender-Debatte und der hierdurch in einer soziologi-sierten Lebenswelt initiierten gesellschaftlichen Selbst-thematisierung nicht mehr eigens begründet werden muss, warum das Geschlecht eine, sondern warum es keine Rolle spielen soll.

Eine ggf. versuchte Zentrierung des ehedem Marginalen oder eine feministische Kolonialisierung der wissenschaftlichen und alltäglichen Lebenswelt wäre demgegenüber lediglich eine neu aufgelegte Stra-tegie des Ausschlusses und der Ausschließlichkeit mit geschlechtsspezifisch umgekehrtem Vorzeichen. Einen überzogenen Gendrozentrismus zu proklamieren und weiter zu verfolgen würde nur beweisen, dass auch aus

der (Geschlechter-)Geschichte nichts gelernt wurde. Fernziel müsste vielmehr sein, das Geschlecht als Fak-tor gesellschaftlicher und kultureller Diskriminierung zu relativieren und neben anderen (Ungleichheits-)Katego-rien zunehmend irrelevant und am Ende überflüssig zu machen.

8. Fragen zum Text

8.1 Benennen Sie wichtige Themenfelder auf dem Ge-biet der soziologischen Geschlechterforschung. Rekon-struieren Sie die Themenkonjunkturen seit den 1970er Jahren. Worum geht es in der „Sex/Gender“-, worum in der „Doing Gender“-Debatte?

8.2 Benennen und beschreiben Sie die wichtigsten Gender-Theorien und Gender-Politiken in ihren jewei-ligen Ausgangsannahmen und Hauptanliegen. Stellen Sie Zusammenhänge zwischen Gender-Theorien und Gender-Politiken her.

8.3 Wie kam das Thema Geschlecht in die Soziologie und wie kam die Soziologie auf das Thema Geschlecht? Stellen Sie die einzelnen Etappen der akademischen Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterfor-schung in Deutschland dar. Welche Zusammenhänge und Wechselwirkungen bestehen zwischen zeitgenös-sischer und historischer Frauenforschung - alter und neuer Frauenbewegung?

8.4 Welchen Stellenwert nimmt die Frauen- und Ge-schlechterforschung bzw. die Soziologie der Geschlech-terverhältnisse in der Soziologie heute ein? Wie stellt sich aus Ihrer Sicht das Dreiecksverhältnis Frauen-forschung - Männerforschung – Geschlechterforschung dar? Welche Soziologinnen sind Ihnen bekannt und welche Forschungsarbeiten, Theorieansätze etc. ver-binden Sie mit deren Namen?

8.5 Was sind die Hauptkritikpunkte einer soziologisch-feministischen Wissenschaftskritik? Diskutieren Sie die methodischen Postulate der Frauenforschung und set-zen Sie den hierdurch repräsentierten „female stream“ in Bezug zu den methodischen und methodologi-schen Grundanforderungen und -voraussetzungen der herkömmlichen Sozialwissenschaften.

8.6 Worin bestehen, soweit beim gegenwärtigen in der Fachliteratur dokumentierten Diskussionsstand abseh-

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bar, nachhaltige Wirkungen und bleibende Einflüsse bisheriger Frauen- und Geschlechterforschung zum ei-nem für die theoretische Soziologie und, zum anderen die empirische Sozialforschung? Wo und inwiefern sind einige dieser Effekte ambivalent und kritisch zu beur-teilen?

9. Links zum Text

Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS):http://www.soziologie.de

DGS-Sektion Frauen- und Geschlechterforschung:http://www.soziologie.de/f02/index.htm(Dort weiterführende Links)

Kompetenzzentrum CEWS (Center of Excellence – Wom-en and Science):http://www.cews.uni-bonn.de

Virtual International Gender Studies:http://www.vings.de

Fachportale, Dokumentationen:http://www.kompetenzz.de/link/category/50/

„Integrierte Lehre Soziologie“ (ILSO), ein Gemein-schaftsprojekt der Universität Hamburg und der Fernu-ni Hagen:http://www.ilsohh.de bzw. http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/Isoz/Ilso.htm bzw.http://www.stud.fernuni-hagen.de.

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11. Über die Autorin

Doris Lucke, Hochschullehrerin in Bonn. Ausbildung: Studium der Soziologie, Psychologie und Philosophie in München; 1977 Diplom-Soziologin; 1980 Promotion; 1994 Habilitation; 1996 Hochschuldozentin; 1998 apl. Professorin.

Zurückliegende Tätigkeiten: Dozentin an der Aka-demie für Führungskräfte der Wirtschaft Bad Harzburg; Forschungsreferentin bei der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn; Projektmitarbeiterin an der Universität Bremen; Vertretungs-, Gastprofessuren und Lehraufträge an den Universitäten Bonn, Salzburg, Humboldt-Universität zu

Berlin und Zürich.

Funktionen: 1988-1996 Sprecherin der Sektion Rechtssoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS); 1999-2003 Mitglied des Konzils der DGS; 1999 assoziierte Professorin im Netzwerk Frauen-forschung Nordrhein-Westfalen; 1999/2001 Stellvertre-tende Vorsitzende der Fachkommission Soziologie bei der Gemeinsamen Bund-Länder-Kommission der Kultus-ministerkonferenz (KMK); seit 2000 Mitherausgeberin der Zeitschrift für Rechtssoziologie (ZfRSoz).

Schwerpunkte: Allgemeine (theoretische) Soziolo-gie; Soziologie der Lebensformen; Rechtssoziologie; Gender Studies.

11. Veröffentlichungen u.a.:

1995: Akzeptanz. Legitimität in der „Abstimmungs-gesellschaft“. Opladen.

1995: Familie der Zukunft (Hrsg. mit U. Gerhardt, S. Hradil, B. Nauck). Opladen.

1996: Recht ohne Geschlecht? Zu einer Rechts-soziologie der Geschlechterverhältnisse. Pfaffenweiler.

2000: Institutionelle Rahmenbedingungen bio-graphischer Optionen. Zur politischen Gestaltung (post)familialer Lebensformen. Expertise für das Bun-desfamilienministerium. Bonn-Berlin.

2003: Jugendkulturen und Rechtskulturen. In: D. Dölling (Hg.), Jus humanum. Berlin.

2003: Geschlechterrelationen und Geschlechter-repräsentationen im akademischen Raum (gemeinsam mit K. Caumanns). In: VorBilder. Ausstellungskatalog. Bonn.