Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie ... · Die Arbeitsgemeinschaft...

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Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie – Abgrenzungen und Brückenschläge Arbeitstagung 2019 der AG Inklusionsforschung in der DGfE am 28. und 29. Juni 2019 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.

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Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie – Abgrenzungen und BrückenschlägeArbeitstagung 2019 der AG Inklusionsforschung in der DGfE am 28. und 29. Juni 2019 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.

Die Arbeitsgemeinschaft Inklusionsforschung hat als Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem die Bedeutung von Inklusion in Forschung und Lehre über die teildisziplinären Grenzen hinweg diskutiert werden kann. Nach den beiden bisherigen Tagungen der AG „Differenz als Fokus der Inklusionsfor-schung“ an der Universität zu Köln und „Erziehungswissenschaftliche Inklusionsfor-schung. Norm – Behinderung – Gerechtigkeit“ an der Europa-Universität-Flensburg, wird die kommende Tagung am 28./29. Juni 2019 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg ausgerichtet. Im Zentrum steht hierbei die Frage nach einer Verhältnisbestimmung von Normativi-tät und Empirie in Bezug auf Gegenstände der Inklusionsforschung.Der Debatte um Inklusion wird oft ein ausgeprägt normativer Blick vorgeworfen. In diesem Zusammenhang gibt es einen Ruf nach empirischen Studien, wobei aus me-thodologischen Debatten bekannt ist, dass auch diese nicht vor der Reproduktion normativer Annahmen gefeit sind. Im Rahmen der Tagung sollen daher sowohl theoretische als auch methodologische Beiträge Raum finden zu der Frage, inwiefern eine Normativität in der Inklusionsde-batte problematisch oder auch sinnvoll ist und wie mit Normativität in empirischen Studien umgegangen werden kann bzw. sollte.Auch bei der Arbeitstagung 2019 in Freiburg werden diskursstarke und interaktive Formate (Forschungswerkstätten, Impulsrunden, Themenforen) eine zentrale Rolle spielen. Wir freuen uns sehr, Sie in Freiburg zu begrüßen.

Kontakt: [email protected]

Informationen und Anmeldung zur Tagung: https://www.ph-freiburg.de/ew/tagungaginklusionsforschung2019.html

OrganisationLokales Tagungsteam: Bettina Fritzsche (PH Freiburg), Andreas Köpfer (PH Freiburg), Monika Wagner-Willi (PH FHNW)Erweitertes Tagungsteam: Anselm Böhmer (PH Ludwigsburg), Hannah Nitschmann (Universität zu Köln), Charlotte Rott-Fournier & Florian Weitkämper (PH Freiburg)

ProgrammübersichtFreitag, 28.06.2019

09.00-09.30 Uhr Ankunft und Anmeldung (Raum KG 5, 103)

09.30-09.45 Uhr Begrüßung durch Prof. Dr. Ulrich Druwe, Rektor der Pädagogischen Hochschule Freiburg (Raum KG 5, 103)

09.45-10.45 Uhr Keynote I (Raum KG 5, 103)

Normativität und Beobachtung. Flucht/Migration als Gegenstand sozial- und erziehungswissenschaftlicher In-/ExklusionsforschungMarcus Emmerich (Universität Tübingen)Ulrike Hormel (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)

11.00-12.30 Uhr Themenforen I

Forum "Unterricht und Akteur*innen"Moderation: Juliane Leuders

Forum "Zwischen Diskurs und Praxis I"Moderation: Hanna Siegismund

Symposium "Zur Funktion von Kritik"Moderation: Florian Weitkämper

Forum "Hochschule"Moderation: Anna Großhauser

Forum "Zwischen Diskurs und Praxis II"Moderation: Anselm Böhmer

Raum KG 5, 013 Raum KA 209 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003 Raum KG 3, 004

Formen der unter-richtlichen Inklu-sion = Qualitäten der Inklusion?Daniel Goldmann

Normativität in Handreichungslite-ratur zur Inklusi-ven Schule – Eine Rekonstruktion gegenstandstheo-retischer Prämis-senVildan Aytekin, Mareike Brunk & Ronja Giesen

Zur Funktion von ‚Kritik‘ durch Wis-senschaft. Über das Verhältnis von rekonstruk-tiver Forschung und normativen Ansprüchen an inklusive Schulent-wicklungMarkus Dederich, Thorsten Merl & Kerstin Rabenstein

Positionierungen im Studierenden-diskurs zu Inklu-sion. Ergebnisse einer diskursana-lytischen StudieMarian Laubner

Die Zuschreibung von (In-) Kompe-tenz in der früh-kindlichen Bildung und Betreuung im Kontext von Inklu-sionSylvia Nienhaus

Differenzpro-duktion und -bearbeitung in inklusionsorien-tierten Schulen mit Schulassis-tenz – Empirische, methodische und methodologische Überlegungen zum Umgang mit dop-pelter NormativitätKatrin Ehrenberg

Normativität schu-lischer Inklusion – Ein Blick auf Dis-kurs und EmpirieBettina Reiss-Semmler

„Homogenität wird dann immer di-rekt kritisiert und gesagt, ‚nein, wir müssen aber In-klusion machen‘“. Diskurse von Lehr-amtsstudierenden zu Inklusion und der Be-Deutung von NormativitätSusanne Gottuck

Machtsensible qualitativ-empiri-sche Forschungs-praxis im normati-ven Wissens- und Handlungsfeld „inklusive digitale (Schul-) Entwick-lung“ – eine erste terrainsondierte Bestandsaufnah-meChristian Filk &Ann-Kathrin Stoltenhoff

Normen gegen Visionen. Wie Autismusratgeber Inklusionsvorstel-lungen begrenzenYannick Zobel

(Hetero-)Norma-tivität aufbrechen – Perspektiven von Dozierenden auf Vielfalt in der LehramtslehreHannah Becker, Franziska Schreiter, Tammo Varbelow & Carolin Vierneisel

Inklusionsver-ständnisse von pädagogischen Fachkräften und Expert*innen schulischer Inklu-sion in menschen-rechtlicher Pers-pektiveJürgen Gerdes,Lars Heinemann &Uwe H. Bittling-mayer

12.30-13.30 Uhr Mittagessen

13.30-16.00 Uhr Forschungswerkstätten

FoWe 1Moderation: Monika Wagner-Willi

FoWe 2Moderation: Katharina Papke

FoWe 3Moderation: Tanja Sturm

FoWe 4Moderation: Andrea Dlugosch

FoWe 5Moderation: Argyro Panagiotopoulou

FoWe 6Moderation: Jürgen Budde

Raum KG 4, 011 Raum KA 102 Raum KG 3, 004 Raum KG 5, 013 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003Inklusive und integrative Kindertages-betreuung als Prozess multi-professioneller Zusammenar-beitGabriele Müller

Inklusive Ord-nungen sys-temtheoretisch beobachtenJürgen Braun, Karola Cafantaris, Oliver Hollstein & Wolfgang Meseth

Machtvolles Schüler/innen-handeln – Zur praktischen Bearbeitung pädagogischer Ordnungen im Kontext In-klusion durch Schüler/innen mit und ohne Assistenz. Ursula Böing

Reflexive Nor-mativität re-konstruktiver Sozialforschung am Beispiel eines Disser-tationsprojekts im teilhabezen-trierten Feld Sozialer Arbeit mit Frauen in sozialpsychiat-rischen Wohn-heimenJosephina Schmidt

Zur Norma-tivität päd-agogischer Praktiken. Methodologi-sche und me-thodische Über-legungen zur Rekonstruktion von WertungenTilman Drope, Kerstin Rabenstein & Mark Schäffer

„Nein, du bist noch kein Re-gelschüler…!“ – Exkludierte Inklusion von neuzugewan-derten Kindern und Jugendli-chen an einem Gymnasium in NRWLisa Rosen & Fenna tom Dieck

Samstag, 29.06.2019

09.00-10.30 Uhr Impulsrunde (Raum KG 5, 103)Drei Kurzimpulse mit anschließender Diskussion im Plenum

„Inklusion im Spannungsfeld zwischen Normativität und Empirie“Anja Hackbarth (Universität Mainz)Wolfgang Meseth (Universität Marburg)Michelle Proyer (Universität Wien)

10.45-12.15 Uhr Themenforen II

16.00-17.30 Uhr Podiumsdiskussion (Raum KG 5, 103)

AG Inklusionsforschung – quo vadis?Podiumsgäste:Jürgen Budde (Europa-Universität Flensburg; Initiator/innengruppe der AG Inklusionsforschung)Harm Kuper (Freie Universität Berlin, Vorsitzender Vorstand der DGfE)Vera Moser (Humboldt Universität zu Berlin; DGfE Sektion Sonderpädagogik)Sabine Hornberg (Technische Universität Dortmund; DGfE SIIVE)Kerstin Rabenstein (Universität Göttingen; DGfE Sektion Schulpädagogik)Anja Tervooren (Universität Duisburg-Essen; Allgemeine Pädagogik)Michaela Vogt (Universität Bielefeld; DGfE Sektion Historische Bildungsforschung)

Moderation: Uwe H. Bittlingmayer (Pädagogische Hochschule Freiburg)

17.45-18.45 Uhr Postersession / Reflecting Teams (Raum KG 5, 103)

Ab 19.30 Uhr Gemeinsames Abendessen im Adelhaus Restaurant

FoWe „Raumtheo-retische Per-spektiven“Moderation: Monika Wagner-Willi

FoWe„Inklusive Berufsbera-tung?“Moderation: Lisa Rosen

Forum „Partizipa-tive Forschung“Moderation: Charlotte Rott-Fournier

Forum „Methodolo-gische Fragen“Moderation: Hannah Nitschmann

Forum „Normativi-tät im Fokus“Moderation: Yannick Zobel

Forum „Theoreti-sche Fragen“Moderation: Stephanie Warkentin

Raum KG 4, 011 Raum KA 209 Raum KG 5, 013 Raum KA 211 Raum KG 5, 103 Raum KG 3, 003Frau Kessels Burschen. Raumtheoreti-sche Perspek-tiven auf das Zusammenspiel von Männlich-keit und dis_abilityTobias Buchner

Inklusive Be-rufsberatung? Eine Analy-se zu Macht, Empowerment und Selbstbe-stimmung von Jugendlichen mit sog. „Be-hinderung“ am Übergang von SEK I in (Aus-)BildungSimone Engler & Helga Fasching

Rekonstruktiv und partizipativ forschenSebastian Hempel, Anna Nutz & Matthias Otten

Systemthe-oretische Analyseoptio-nen vor dem Hintergrund empirischer Fragestellungen im Kontext des Inklusionsdis-kursesMartina Kaack

Normativität, Normalität und Normalis-mus. Vorzüge begrifflicher Differenzierung für die Inklusi-onsdebatteMiklas Schulz

Die Orientie-rungsfunktion des Norma-tiven. Zur bildungsthe-oretischen Grundlegung von Empirie in der Inklusions-forschungAnke Redecker

12.15-12.45 Uhr Mittagspause / Snack

12.45-13.30 Uhr Keynote II (Raum KG 5, 103)

Problemdefinitionen und Konzepte von Diskriminierung in der Bildungsforschung: Spannungen zwischen Menschenrechtsansatz und WirksamkeitsorientierungMechtild Gomolla (Helmut Schmidt Universität Hamburg)

13.30-14.00 Uhr Abschlussdiskussion / Ausblick (Raum KG 5, 103)

14.00 Uhr Abschluss / Abreise

Implikationen bei Inklusions-forschungspro-zessenErich Otto Graf

Grenzbeziehun-gen und Grenz-bearbeitung als mögliche Erweiterung der Inklusions-forschungBianca Baßler & Kathrin Leipold

Inklusion als Feld von bil-dungspoliti-scher Normati-vitätJürgen Budde

Theorie schuli-scher Inklusion. Vorstellung ei-nes VorschlagsJennifer Lambrecht

Erfahrungen einer inklusiven For-schungsgruppeForschungs-gruppe Kreativ-werkstatt

Der Capabili-ties-Ansatz als normativ-theo-retischer Metrik für Inklusion am Beispiel der SGB VIII- ReformdebatteBenedikt Hopmann

Keynotes

Marcus Emmerich & Ulrike Hormel

Normativität und Beobachtung. Flucht/Migration als Gegenstand sozial- und

erziehungswissenschaftlicher In-/Exklusionsforschung

Der Vortrag wird Normativität als eine (Selbst-)Beobachtungsweise konturieren, die in

sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht zwischen Sein und Sollen unterscheidet und

daraus Reflexionsoptionen gewinnt. Wissenschaftliche Normativitätsthematisierungen

können daher auch Hinweise auf methodisch-methodologische Beobachtungsprobleme

geben: Die Schwierigkeiten, ‚Inklusion‘ nicht nur als pädagogische und politische

Programmatik, sondern auch als empirischen Gegenstand zu begründen, resultieren

womöglich aus dem Umstand, Zukunft (Sollen) zwar beschreiben, aber nicht als

Phänomen (Sein) beobachten zu können. Faktisch, so die These, weicht die

Inklusionsforschung in der Gegenwart deshalb auf personenbezogene

Exklusionsforschung aus.

Die erkenntnislogisch begründete (normative!) Forderung, ‚von der

Migrant*innenforschung zur Migrationsforschung‘ übergehen zu müssen, markiert ein

ähnlich gelagertes Beobachtungsproblem: Um den Gegenstand ‚Migration‘ als

gesellschaftlich konstituiertes Phänomen verstehen zu können, muss empirisch von einer

Personenbeschreibung im Modus politischer und moralischer Normativität auf die

Beobachtung der strukturgenerierenden In-/Exklusions-Praxis gesellschaftlicher

Institutionen, Systeme und Organisationen umgestellt werden. Am Beispiel eines eigenen

Forschungsprojekts zur Inklusion neu migrierter Schüler*innen in und durch kommunale

Bildungssysteme werden die theoretischen und empirischen Implikationen dieser

Perspektivverschiebung skizziert und zur Diskussion gestellt.

Mechtild Gomolla

Problemdefinitionen und Konzepte von Diskriminierung in der

Bildungsforschung: Spannungen zwischen Menschenrechtsansatz und

Wirksamkeitsorientierung

Vor dem Hintergrund rechtlicher Änderungen (u.a. AGG, BRK) werden auch in

Deutschland seit einiger Zeit normative schulpolitische Ziele der Inklusion, gerechten

Teilhabe und Nicht-Diskriminierung in neue Verfahren der Output- und

Wettbewerbssteuerung integriert. Besonders ausgeprägt ist diese Tendenz im schulischen

Umgang mit ‚Behinderung‘ sowie im Kontext von Migration und sozialer Ungleichheit. In

beiden Diskurszusammenhängen soll eine v.a. empirisch-quantitativ ausgerichtete

pädagogische Wirksamkeitsforschung auf methodisch abgesichertem Weg politisches und

pädagogisches Handeln orientieren und Wissen generieren, ob und in welchem Maße

Interventionen wirken.

Der Vortrag untersucht das Verhältnis von Normativität und Empirie innerhalb

gegenwärtig vorherrschender Ansätze der Wirksamkeitsforschung aus einer

metatheoretischen Perspektive. Aus dem Blickwinkel der Erkenntnispolitik wird die Frage

verfolgt, wie Aspekte der Gerechtigkeit und Diskriminierung in gegenwärtig dominanten

Ansätzen der pädagogischen Wirksamkeitsforschung inkorporiert, verzerrt oder

ausgeschlossen werden und welche Folgen daraus für Bildungsprozesse und -verläufe der

Schüler_innen resultieren sowie der Möglichkeiten von Lehrkräften u.a. Akteuren,

inklusive Entwicklungen zu gestalten. Auf der Basis von Literatur- und Diskursanalysen

wird nachgezeichnet, wie mit der Inkorporierung von Erfordernissen der Inklusion und

migrationsbedingten Heterogenität in die Output- und Wettbewerbssteuerung ein Abzug

der Aufmerksamkeit von sozialen Exklusions- und Ungleichheitsverhältnissen –

insbesondere von Fragen sozialer Macht – als strukturelle Barrieren des Schulerfolgs aber

auch als Gegenstand politischer Bildungsprozesse einhergeht, während organisationale,

technische und betriebswirtschaftliche Belange in den Vordergrund gerückt werden.

Im Schlussteil stelle ich in Anlehnung an Nancy Frasers Theorie der demokratischen

Gerechtigkeit ein alternatives Konzept sozialer Effektivität vor. Dabei sollen auch

Anknüpfungspunkte für die empirische Erforschung der Wirkung (oder auch Nicht-

Wirkung) von Schule identifiziert werden, welche als Wissensgrundlage für

transformierende Politiken der Gerechtigkeit dienen können.

Symposium

Markus Dederich, Thorsten Merl & Kerstin Rabenstein

Zur Funktion von ‚Kritik‘ durch Wissenschaft. Über das Verhältnis von

rekonstruktiver Forschung und normativen Ansprüchen an inklusive

Schulentwicklung

Eine rekonstruktive Forschung, die in Bezug auf das, was in Schulen im Zeichen der

Reformagenda Inklusion implementiert wird, neue theoretische Perspektiven generieren

möchte, steht einer Gegenstandsbestimmung skeptisch gegenüber, die sich sehr nah an

pädagogisch präskriptiven Inklusionskonzepten orientiert (vgl. Rabenstein 2016: 240;

Merl 2019: 49ff). Dies deshalb, weil eine solche Gegenstandsbestimmung den

Forschungsfokus vor allem dahingehend eingrenzt, das Ge- oder Misslingen einer Praxis

empirisch zu analysieren (Meseth 2011: 178). Es wird also eher evaluiert und nicht neue

theoretische Perspektiven generiert. Das Anliegen der Theoriegenerierung bzw. des

Verstehens des Reformprozesses erscheint wiederum aus der Perspektive einer

rekonstruktiven Inklusionsforschung, die sich an normativen Bestimmungen des

Gegenstandes orientiert und infolgedessen auch der Kritik nicht enthält, unzureichend

(Dederich i.E.): Zwar werde so methodisch abgesichert neues Wissen generiert, nicht

aber der gesellschaftliche bzw. pädagogische Prozess der Schulentwicklung auch kritisch

begleitet; es fehle schlicht der Maßstab.

Die Ergebnisse – so die Kritik – einer ja immer auch anwendungsbezogenen

pädagogischen Forschung liefen ins Leere, wenn kein Beitrag zur Verbesserung

pädagogischer Praxis angestrebt würde. Das Themenforum geht dem Verhältnis von

Kritik und Wissenschaft mit zwei Impulsvorträgen nach. Es will Raum zur Diskussion

möglicher Positionsbestimmungen und Begründungen bezüglich der Frage nach den

Möglichkeiten und Grenzen einer ‚kritischen‘ Wissenschaft im Feld der Reformagenda

Inklusion bieten. In einem ersten Beitrag wird Markus Dederich die These entwickeln,

dass die rekonstruktive Inklusionsforschung, will sie sich kritisch zu ihrem

Forschungsgegenstand verhalten, eine zumindest minimal-normative Theorie der

Inklusion bzw. der ‚Inklusivität’ pädagogischer Prozesse benötigt.

Hierbei ist der Gedanke zentral, dass begründete Kriterien der Kritik nicht dem

beobachteten Feld entnommen werden können.

In einem zweiten Beitrag werden Thorsten Merl und Kerstin Rabenstein in

diskurstheoretischer Perspektive vorliegende empirisch-rekonstruktive Studien zu

Inklusion daraufhin befragen, wie jeweils der Forschungsgegenstand mithilfe welcher

Problematisierungen konstruiert wird und wie welche Maßstäbe für Kritik im

Forschungsprozess gewonnen und wie legitimiert werden. Der Beitrag diskutiert, wie

kritische Positionen in der Forschung entstehen und mit welchen Effekten diese kritischen

Positionen verbunden sind.

Literatur

Dederich, M. (i.E.): Rekonstruktion und Kritik. Eine Rückfrage an die rekonstruktive

Inklusionsforschung. In: Wagner-Willi, M; Budde, J.; Dlugosch, A.; Herzmann, P.;

Rosen, L.; Panagiotopoulou, A.; Sturm, T. (Hg.): Inklusionsforschung im

Spannungsfeld von Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. Leverkusen: Budrich.

Merl, T. (2019): un/genügend fähig. Zur Herstellung von Differenz im Unterricht

inklusiver Schulklassen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Meseth, W. (2011): Erziehungswissenschaft – Systemtheorie – Empirische Forschung.

Methodologische Überlegungen zur empirischen Rekonstruktion pädagogischer

Ordnungen. In:Zeitschrift für Qualitative Forschung, Jg. 12, H. 2, S. 177-197.

Rabenstein, K. (2016): Methodologische Fragen einer qualitativen Erforschung inklusiven

Unterrichts.Herausforderungen einer empirisch fundierten didaktischen

Theoriebildung. In: Musenberg, O.; Riegert, J. (Hg.): Didaktik und Differenz. Bad

Heilbrunn: Klinkhardt, S. 233-244.

Forschungswerkstätten

Ursula Böing

Machtvolles Schüler/innenhandeln - Zur praktischen Bearbeitung pädagogischer

Ordnungen im Kontext Inklusion durch Schüler/innen mit und ohne Assistenz.

Rekonstruktionen aus der Studie – ‚Assistenz aus Schüler/innenperspektive‘

(ASP)

In der geplanten Forschungswerkstatt werden ausgewählte Sequenzen aus der qualitativ-

praxeologisch angelegten Studie „Assistenz aus Schüler/innenperspektive –

Orientierungen von Kindern und Jugendlichen in schulisch-unterrichtlichen

Handlungssituationen mit Assistenz in ausgewählten Schulen“ (ASP; Böing & Köpfer)

vorgestellt, diskutiert und interpretiert.

Assistenz gilt als paraprofessionelle Rolle, die im Kontext eines als ‚Inklusion‘

bezeichneten Schulentwicklungsprozesses verstärkt als Differenzierungsmaßnahme für

Kinder und Jugendliche mit zugewiesenem Forderbedarf an Allgemeinen Schulen

vorgehalten wird (vgl. u.a. Laubner et al. 2017).

Die Studie untersucht Praktiken von Kindern und Jugendlichen in schulisch-

unterrichtlichen Situationen mit Assistenz und fragt danach, wie diese in ihrer Rolle als

Schüler/innen im Handlungsfeld Schule und in „diskursiver Verstrickung“ (vgl. Machold

2013) mit den darin eingelagerten formalen Regulierungen, Steuerungen und

machtbesetzten Ordnungen Differenzen herstellen und bearbeiten.

Konkret können im Rahmen der Forschungswerkstatt entlang des Materials folgende

Fragen fokussiert werden:

• Wie bearbeiten die Kinder und Jugendlichen pädagogische Ordnungen im Kontext

der formalen Differenzierungsmaßnahme „Assistenz“?

• Wie konstruieren Kinder und Jugendliche in diesem Kontext Raum?

Wie wird unter diesen Bedingungen in den Praktiken der Kinder und Jugendlichen

Behinderung hervorgebracht?

Methodologisch basiert die Studie auf der Dokumentarischen Methode, die im Anschluss

an die Praxeologische Wissenssoziologie von Karl Mannheim das Soziale als interaktiv

erzeugt, d.h. als sprachlich und körperlich-räumlich, performativ hervorgebracht

betrachtet (vgl. Bohnsack 2014; Sturm 2015). Methodisch wurden in Anlehnung an

Nentwig-Gesemann (2017) fotobasierte Schulführungen durchgeführt und durch

videogestützte Gruppendiskussionen (vgl. Loos et al. 2001) ergänzt.

Abschließend werden die Erkenntnisse entlang möglicher normativer Implikationen

eingeordnet und reflektiert.

Literatur

Bohnsack, R. (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Eine Einführung in qualitative

Methode (9. Aufl.). Opladen u.a.: Verlag Barbara Budrich.

Laubner, M.; Lindmeier, B.; & Lübeck, A. (2017) (Hrsg.): Schulbegleitung – ein

Arbeitsbuch für Theorie und inklusive Praxis. Weinheim: Beltz, 11-27

Loos, P. & Schäffer, B. (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren. Theoretische

Grundlagen und empirische Anwendung. Opladen: Leske + Budrich.

Machold, C. (2013): Kinder und Differenz. Eine ethnografische Studie im

elementarpa dagogischen Kontext. Wiesbaden: Springer VS

Nentwig-Gesemann, I.; Walther, B.; Thedinga, M. (2017): Kita-Qualität aus Kindersicht.

Eine Studie des DESI-Instituts im Auftrag der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

Abschlussbericht. Online unter: https://www.qualitaet-vor-ort.org/wp-

content/uploads/2017/10/171026_Quaki_Abschlussbericht_WEB.pdf. Entnahme:

20.01.2019

Sturm, T. (2015): Rekonstruktiv-praxeologische Schul- und Unterrichtsforschung im

Kontext von Inklusion. Inklusion online 9, Nr. 4.

Jürgen Braun, Karola Cafantaris, Oliver Hollstein & Wolfgang Meseth

Inklusive Ordnungen systemtheoretisch beobachten

Im Unterschied zu geläufigen pädagogischen und bildungspolitischen Vorverständnissen

des Inklusionsbegriffs, die zumeist eng mit normativen Kategorien wie „Partizipation“,

„Teilhabe“ oder „Integration“ verbunden sind, bezeichnet ein systemtheoretisches

Verständnis von Inklusion keinen Mechanismus, durch den Menschen gleichsam

topographisch in „Räume“, „Bereiche“ oder „Gruppen“ eingeschlossen werden (sollen),

sondern zunächst – je nach Systemebene – die operative Relevanzsetzung von Personen

in einem Kommunikationszusammenhang (vgl. Nassehi 2011, S. 171ff.).

Auf der Ebene der Gesellschaft wird die normative Erwartung auf Vollinklusion in das

Erziehungssystem entlang der Idee der Bildsamkeit formuliert (vgl. Tenorth 2013). Auf

der Ebene der Organisation vollzieht sich Inklusion qua institutioneller Entscheidung über

Mitgliedschaft, die sich in Deutschland traditionell durch Differenzierung (mehrgliedriges

Schulsystem) realisiert. Schließlich bezieht sich Inklusion auf der Ebene der Interaktion

auf die in einem sozialen System sich immer wieder neu vollziehende, ereignishafte

kommunikative Adressierung (vgl. Kade 2004). Die jeweiligen Adressierungen im

Klassenzimmer lassen sich hinsichtlich unterschiedlicher Abstraktionsgrade

unterscheiden, die sich entlang der Begriffe „Person“ und „Rolle“ sowie unterschiedlicher

Formen der Selbstthematisierung von „Wir-Gruppen“ differenzieren lassen. Damit legt die

Verwendungsweise von Inklusion noch nicht fest, in welchen sprunghaften und selektiven

Modi sich die Adressierungen von je unterschiedlichen Schüler*innen in

Unterrichtsinteraktionen ereignen.

Im Rahmen der Forschungswerkstatt möchten wir am Beispiel von empirischem Material

aus dem laufenden Forschungsprojekt „Von der Förderschule zur inklusiven Regelschule“

die Leistungsfähigkeit einer solchen systemtheoretischen re-description zur Diskussion

stellen.1 Anhand von Beobachtungsprotokollen, transkribierten Audioaufzeichnungen und

videographierten Unterrichtsszenen geht das Projekt der Frage nach, wie sich im sozialen

System Schulunterricht inklusive Ordnungen durch unterschiedliche Adressierungen

herausbilden und verfestigen (vgl. Meseth/Proske/Radtke 2011). Gegenstand der

sequenzanalytischen und mikroethnographischen Analysen des empirischen Materials

sind die normativen Erwartungen, die in der Form von Rollenordnungen und höher

aggregierten Selbstthematisierungen durch eine reflexive Rückwendung der

Kommunikation auf sich selbst festgelegt und somit empirisch greifbar werden (Wir/Sie-

Unterscheidungen, inhaltlich-thematische Zielsetzungen, Etablierung von

Verhaltenserwartungen und zeitliche Verfügungen).

Durch diesen systemtheoretischen Zugriff soll das Verhältnis von Inklusionsforschung

und Normativität aus zwei Perspektiven thematisiert werden. Zum einen soll der

erziehungswissenschaftliche Mehrwert einer systemtheoretisch distanzierten

Forschungsperspektive auf das normativ geladene Feld der „Inklusion“ ausgelotet

werden. Zum anderen geht es darum, den Wiedereintritt jener Normativität in das

Forschungsdesign (Reifizierungsproblem) in den Blick zu nehmen, der im Vollzug der

eigenen Forschung unbeobachtbar bleiben muss.

Literatur

Kade, Jochen (2004): Erziehung als pädagogische Kommunikation. In: Lenzen, D.

(Hrsg.): Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf die

Systemtheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 199-232.

Meseth, Wolfgang/ Proske, Matthias/ Radtke, Frank-Olaf (2011): „Was leistet eine

kommunikationstheoretische Modellierung des Gegenstandes Unterricht‘?“. In:

Meseth, W./Proske, M./Radtke, F.-O. (Hrsg.): Unterrichtstheorien in Forschung und

Lehre. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 223-40.

Nassehi, Armin (2011): Gesellschaft der Gegenwarten. Studien zur Theorie der modernen

Gesellschaft II. Berlin: Suhrkamp.

Tenorth, Heinz-Elmar (2013): Inklusion – Prämissen und Problemzonen eines

kontroversen Themas. In: Baumert, J./Masuhr, V./Möller, J./ Riecke-Baulecke,

T./Tenorth, H.-E./Werning, R. (Hg.): Inklusion. Forschungsergebnisse und

Perspektiven. München: Oldenbourg, S. 6–14.

1 Das Schulbegleitprojekt untersucht eine ehemalige Förderschule mit dem Schwerpunkt

Blindheit und Seheinschränkung, die nun im Zuge einer sogenannten „umgedrehten

Inklusion“ blinde, seheingeschränkte und sehende Schüler*innen gemeinsam

unterrichtet.

Tobias Buchner

Frau Kessels Burschen. Raumtheoretische Perspektiven auf das Zusammenspiel

von Männlichkeit und dis_ability

Im Forschungsprojekt ‚Inclusive Spaces 3: Differenz, Raum und Schule‘ wird über ein

methodenplurales Vorgehen das Zusammenspiel von Differenz(en) und Raum in als

inklusiv intendierten, schulischen Bildungssettings untersucht. Der heuristische Rahmen

der Studie setzt sich aus raumsoziologischen, macht- und differenztheoretischen

Überlegungen sowie einer fähigkeitskritischen Perspektive auf die Produktion von

dis_ability zusammen.

Das Projekt ist als Längsschnittstudie angelegt. So finden vom Schuljahr 2017/2018 –

2020/2021 in jährlichen Abständen Erhebungen an fünf Neuen Mittelschulen in Wien

(Sekundarstufe I) statt. Im Zuge der ersten Welle von Feldforschung wurden 60

problemzentrierte Interviews mit Schüler*innen und 21 problemzentrierte Interviews mit

Lehrer*innen geführt. Alle an den Interviews teilnehmenden Schüler*innen fertigten

zudem eine soziale Landkarte ihrer Schule an. Auf Basis teilnehmender Beobachtungen

an Unterrichtsstunden sowie Pausen wurden 234 ethnographische Stundenprotokolle und

122 Feldnotizen angefertigt.

Das empirische Material, das bei der angedachten Forschungswerkstatt präsentiert und

gemeinsam analysiert werden soll, wurde im Rahmen der Untersuchung einer

Integrationsklasse der 5. Schulstufe an einer Neuen Mittelschule produziert. Diese Klasse

wurde von verschiedenen Professionist*innen an der Schule als leistungsschwach und

‚schwer zu führen‘ beschrieben. Vor allem den Jungen der Klasse wurde ein störendes

Verhalten attestiert, was von den Lehrkräften mit einer Eingrenzung der Pausenräume

und weiteren Disziplinierungspraktiken beantwortet wurde. Über diese sollen die

Jugendlichen laut der Klassenlehrerin jene Fähigkeiten erlernen, die sie am Ende der

Sekundarstufe I ‚jobready‘ machen: höflich grüßen, aufmerksam sein, aufzeigen, still

sitzen, etc.

Auffallend ist zudem, dass die Klasse durch eine strikte Zweiteilung der

Schüler*innenschaft in mit und ohne Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) geprägt

ist, die sich unter anderem in einer getrennten Unterrichtung in den Hauptfächern

manifestiert. Letztere Gruppe, also jene, die mit der Zuschreibung SPF versehen ist,

besteht ausschließlich aus Jungen und wurde von verschiedenen Akteur*innen als ‚Frau

Kessels Burschen‘ adressiert. Diese unterrichtet die Schüler mit SPF in den getrennten

Lehreinheiten. Dabei ließ sich neben den bereits erwähnten Disziplinierungspraktiken

auch das beobachten, was als Beschäftigungspraktiken bezeichnet werden könnte:

Praktiken, über die verringerte Fähigkeitserwartungen transportiert und gleichzeitig eine

schulisch sinnvolle Beschäftigung der Schüler ermöglicht werden soll.

Als Teil einer ethnographischen Fallstudie werden die während der getrennten

Lehreinheiten von den Schülern mit SPF aufgeführten Praktiken, die zwischen

Widerspenstigkeit und marginalisierter Männlichkeit oszillieren, in den Blick genommen.

In der Forschungswerkstatt sollen dazu Sequenzen aus Unterrichtsprotokollen sowie

Interviews mit den Jugendlichen präsentiert werden. Anhand der gemeinsamen Analyse

der Daten soll diskutiert werden, welche Raumkonstruktionen über die Praktiken der

Schüler (re-)produziert werden bzw. aufgrund welcher Raumkonfigurationen diese

überhaupt erst vollzogen werden können. Zudem soll untersucht werden, welche

Fähigkeiten von den Schülern gegenüber den schulischen Fähigkeitserwartungen als

relevant gesetzt werden.

Tilman Drope, Kerstin Rabenstein & Mark Schäffer

Zur Normativität pädagogischer Praktiken. Methodologische und methodische

Überlegungen zur Rekonstruktion von Wertungen

Die qualitative Forschung beansprucht (in Teilen), statt aus einer an die ‚Praxis‘

herangetragenen Normativität, die Normativität der Praxis empirisch zu untersuchen. Die

Diskussion, wie theoretisch begründet wird, die Normativität pädagogischer Praxis zu

rekonstruieren, ist immer mal wieder geführt worden, aber in Bezug auf den Gegenstand

Inklusion hat sie sich intensiviert. In dem Forschungsforum soll für die Untersuchung von

Subjektivierung in Praktiken der Frage nach den Möglichkeiten (und Grenzen) der

Rekonstruktion der Normativität in den Bezugnahmen von Subjekten aufeinander (und

auf Dinge) nachgegangen werden und das Vorgehen an Datenmaterial ausprobiert und

diskutiert werden.

Die Subjektivierungsforschung hat im Kontext der Forschung zu

Differenzaktualisierungen in einem Unterricht im Anspruch an Inklusion in den letzten

Jahren an Relevanz zugenommen. In den mittlerweile entwickelten theoretisch ähnlich

begründeten Operationalisierungen für die Erforschung von Subjektivierungsprozessen

z.B. als Positionierungen in diskursiven Praktiken (Wrana 2015) bzw. Re-Adressierungen

in pädagogischen Praktiken (Reh/Ricken 2012) ist die Frage nach den in Praktiken

vorgenommenen Wertungen stets wichtig. Aber es wird nicht weiter diskutiert, wie

Wertungen (Wrana 2015) bzw. ‚Valuation‘ (Reh/Ricken 2012) begründet rekonstruiert

werden. Wir schlagen vor, die emotional-affektive Dimension von Praktiken stärker in die

Beobachtung aufzunehmen. Dabei nehmen wir Bezug auf z.B. Schatzkis Herausstellen

eines teleo-affektiven Moments in Praktiken (Schatzki 2016, 33f.), um

Subjektivierungsprozesse im Zusammenhang mit dem Herausbilden bestimmter

„Zwecke, Zielorientierungen und entsprechende[r] affektive[r] Lagen“ im Vollzug von

Praktiken zu verstehen (Ricken 2019, 37).

An ethnographischem Datenmaterial aus einer laufenden Beobachtung zur Konstitution

von Schulklassen als Schulklassen in einer sich inklusiv verstehenden Gesamtschule

wollen wir den Zugang forschungspraktisch ausprobieren und diskutieren. In diesem

2018 begonnenen ethnographischen Projekt untersuchen wir von Beginn des fünften

Schuljahres den Prozess der Klassenbildung und darin Praktiken der Subjektivierung als

Mitglieder einer (bestimmten) Schulklasse bzw. Differenzordnung.

Literatur

Reh, S./Ricken, N. (2012): Das Konzept der Adressierung. Zur Methodologie einer

qualitativempirischen Erforschung von Subjektivation. In Miethe, I./Müller, H.-R.

(Hg.): Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie. Opladen & Farmington Hills:

Barbara Budrich, 35-56.

Ricken, N. (2019): Aspekte einer Praxeologik. Beiträge zu einem Gespräch. In

Berdelmann, K./Fritzsche, B./Rabenstein, K./Scholz, J. (Hg.): Transformationen von

Schule, Unterricht und Profession. Wiesbaden: Springer VS, 29-48.

Schatzki, R. T. (2016): Praxistheorie als flache Ontologie. In Schäfer, H. (Hg.):

Praxistheorie. Ein soziologisches Forschungsprogramm. Bielefeld: transcript, 29-44.

Wrana, D. (2015): Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken.

Methodologische Reflexionen anhand von zwei Studien. In Fegter, S./Kessl, F./Langer,

A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hg.): Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung.

Wiesbaden: Springer VS, 123-142.

Simone Engler & Helga Fasching

Inklusive Berufsberatung? Eine Analyse zu Macht, Empowerment und

Selbstbestimmung von Jugendlichen mit sog. „Behinderung“ am Übergang von

SEK I in (Aus-)Bildung

Der Übergang von SEK I (Pflichtschule) in (Aus-)Bildung oder Beschäftigung, stellt für

Jugendliche mit sog. „Behinderung“ im Vergleich zu nichtbehindert markierten

Jugendlichen, eine intensiviere Herausforderung dar. Insbesondere intersektional

wirkmächtige Differenzkategorien (sozio-kultureller Status, Geschlecht, Herkunft, Körper)

erweitern soziale Ungleichheit und bilden Grenzen zu inklusiven Le(h)rnräumen und

Entwicklungsmöglichkeiten für Individuen. Innerhalb des pädagogischen Diskurses wird

partizipative Kooperation als Schlüssel einer inklusiven Bildung betrachtet. Voraussetzung

dafür ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur*innen und

Machtreflexionen.

Inklusionsbezogene Forschung: Das vom österreichischen Wissenschaftsfond (FWF)

geförderte Forschungsprojekt „Kooperation für Inklusion in Bildungsübergängen“

(Projektnummer: P-29291; Laufzeit: 01.10.2016–30.09.2021; Leitung: Helga Fasching;

http://kooperation-fuer-inklusion.univie.ac.at/), ist auf eine längsschnittliche Betrachtung

partizipativer Kooperation im Übergangsplanungsprozess bei Jugendlichen mit sog.

„Behinderung“ ausgerichtet und der explorativen Grundlagenforschung zuzuordnen. Es

fragt nach Kooperationserfahrungen Jugendlicher und deren Eltern/Familien mit

verschiedenen professionellen Unterstützer*innen.

Methodologisch-methodischer Zugang: Methodologisch wird nach der konstruktivistischen

Grounded Theory (Charmaz 2014) vorgegangen, methodisch werden „Intensive

interviews“ (Charmaz 2014) und Reflecting-Teams (Andersen 1992, 2011) genutzt. Eine

intersektionale Perspektive (Winker/Degele 2007, 2009) fokussiert die einreichende

Dissertantin.

Forschungswerkstatt: Interviewmaterial + mögliche Analysefragen: Welche subjektiven

Erfahrungen in Bezug auf Äußerungen und Umsetzungen von Berufs-/Lebenswünschen

benennt die jugendliche Person mit sog. „Behinderung“ am Übergang? Wie lassen sich

diese Erfahrungen und Normative reflexiv intersektional deuten?

Literatur zum methodologischen und methodischen Rahmen

Andersen, T. (1992): Reflections on reflecting with families. In: McNamee, S./Gergen, K.

J. (eds.): Therapy as Social Construction. London: Sage, 55-68.

Andersen, T. (2011): The Reflektierende Team: Dialoge und Dialoge über Dialoge.

Dortmund: Verlag modernes lernen.

Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. 2nd Edition. Thousand Oaks: Sage.

Degele, N. /Winker, G. (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. URL:

https://www.soziologie.uni-freiburg.de/personen/degele/dokumente-

publikationen/intersektionalitaet-mehrebenen.pdf (09.01.2019)

Winker, G./Degele, N. (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten.

Bielefeld: transcript Verlag.

Gabriele Müller

Dissertationsprojekt – Arbeitstitel: „Inklusive und integrative

Kindertagesbetreuung als Prozess multiprofessioneller Zusammenarbeit“

Projektskizze:

Auf dem Hintergrund zunehmend diversifizierender Anforderungen an das Handlungsfeld

der Kindertageseinrichtungen im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse,

stehen Forderungen nach organisationsstrukturellen und konzeptionellen

Weiterentwicklungen im Zentrum fachpolitischer Diskurse. Das Leitbild inklusiver Bildung

als Teilhabeversprechen für alle, verbunden mit dem Anspruch nach mehr

Chancengerechtigkeit, steht dabei derzeit im Zentrum (vgl. z.B. Cloos 2015). Hierbei

werden „multiprofessionelle Teams als qualitäts- und zukunftsorientierte Antwort auf die

Veränderungen und Herausforderungen institutioneller Bildung, Betreuung und Erziehung

(Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017, S. 72)“ bewertet. In der Bewältigung von

Inklusion als komplexe Herausforderung wird multiprofessionelles Arbeiten zudem als

Standard definiert (vgl. z.B. Heimlich und Üffing 2018; Prengel 2014). Bisher liegen

jedoch wenig empirische Erkenntnisse darüber vor, wie Multiprofessionalität unter dem

Anspruch inklusiven Handelns in Kindertageseinrichtungen hergestellt wird.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, ein vertieftes Verständnis über die Ressourcen und

Potentiale von Multiprofessionalität für eine inklusive Arbeit mit Kindern und ihren

Familien zu gewinnen. Im Zentrum des Forschungsvorhabens steht die Untersuchung

sprachlicher Performanz über Erfahrungen aus der Praxis aus der Perspektive der

Fachkräfte.

Forschungsfragen: Welches Verständnis von Zusammenarbeit wird unter der Prämisse

von Inklusion im Team sprachlich hergestellt? Welche Rolle nehmen hierbei

organisationsstrukturelle Bedingungen, institutionalisierte Normen und habituelle

Orientierungen ein?

Der Forschungsfrage nähere ich mich mit einer praxeologisch-rekonstruktiven

Perspektive (vgl. Bohnsack 2018). Ich arbeite mit der Methode der Gruppendiskussion

und interessiere mich insbesondere für die kommunikative Bewältigung gemeinsamer

Erfahrungen und die Möglichkeit der Aktualisierung von atheoretischen oder impliziten

kollektiven Wissensbeständen und Strukturen. Karl Mannheim hat dies als „konjunktive

Erfahrungsräume“ bezeichnet. (vgl. Mannheim 2003). In der Analyse arbeite ich mit der

Dokumentarischen Methode, mit der durch die Rekonstruktion der Diskursorganisation

die Entstehung und Entwicklung eines Themas ebenso erfasst werden kann wie deren

kollektive Rahmung (vgl. Loos und Schäffer 2001).

Informationen zum vorgesehenen Datenmaterial:

Für die Forschungswerkstatt möchte ich gerne einen Ausschnitt aus einer

Gruppendiskussion mit einem Teil eines Teams aus einem inklusiven Kinderhaus

einbringen. Die ausgewählte Passage mit dem Thema „Inklusive Kita als Beitrag zu einer

besseren Welt“ ist durch eine hohe interaktive Dichte mit selbstläufigen Gesprächsphasen

gekennzeichnet. Für die Forschungswerkstatt möchte ich das erste Oberthema der

Passage „Keine etikettierenden Strukturen“ einbringen (knapp 4 Minuten) und mit der

Gruppe auf Basis der Dokumentarischen Methode interpretieren.

Literatur

Loos, Peter; Schäffer, Burkhard (2001): Das Gruppendiskussionsverfahren.

Theoretische Grundlagen und empirische Anwendung. Wiesbaden: VS Verlag für

Sozialwissenschaften

Mannheim, Karl (2003): Strukturen des Denkens. Herausgegeben von David Kettler,

Volker Meja und Nico Stehr. [Nachdr.]. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Prengel 2014

Heimlich, Ulrich; Üffing, Claudia (2018): Leitfaden für inklusive

Kindertageseinrichtungen. Bestandsaufnahme und Entwicklung:

Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 51.

München

Cloos, Peter (2015): Diversität und Inklusion in der aktuellen

kindheitspädagogischen Professions-und Professionalisierungsforschung. In:

Christin Haude (Hg.): Diversity Education in der Ausbildung frühpädagogischer

Fachkräfte. 1. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa, S. 47–71

Autorengruppe Fachkräftebarometer (2017): Fachkräftebarometer Frühe Bildung

2017. Hg. v. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. DJI. München

Bohnsack, Ralf (2018): Die Dokumentarische Methode und ihre praxeologischen und

praxistheoretischen Grundlagen. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung &

Sozialisation; Vol. 38 Issue 1, p103-111. In: Zeitschrift für Soziologie der

Erziehung & Sozialisation 38 (1), S. 103–111.

Lisa Rosen & Fenna tom Dieck

„Nein, du bist noch kein Regelschüler...!“ – Exkludierte Inklusion von

neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen an einem Gymnasium in NRW

Kritik an der separierenden Beschulung von neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen

ist bereits im Zuge der sogenannten Gastarbeiter*innenmigration in den 1960- und 70-er

Jahren aus Sicht der Interkulturellen Pädagogik geäußert worden (Neumann 1981,

Radtke 1996) und wird aktuell erneuert (Karakayali et al. 2016; Schroeder & Seukwa

2017). Im Zusammenhang mit der Realisierung der UN-Behindertenrechtskonvention

(UN-BRK) wird – wie auch im internationalen Diskurs – aufgezeigt, dass „introductory

classes are obviously not in agreement with the ideal of inclusive education“ (Hilt 2017:

586) und darüber hinaus problematisiert, dass „the education offered in introductory

classes is based on a construction of newly arrived students as deviant from the

mainstream“ (ebd.: 599). Als ein Beispiel für eine solche Konstruktion gilt in Deutschland

das Label „Seiteneinsteiger“, das für neuzugewanderte Schüler*innen in Deutschland

bereits in den 1980-er Jahren etabliert wurde (vgl. Mecheril & Shure 2015: 113) und

auch im Kontext des aktuellen bildungspolitischen Diskurses neben Bezeichnungen wie

„Deutsch-als-Zweitsprache-Schüler*innen“, „Vorbereitungsklassen-Schüler*innen“ und

häufiger auch dem Sammelbegriff „Flüchtlinge“ für die Gesamtgruppe neuzugewanderter

Schüler*innen wieder an Prominenz gewonnen hat. Durch derartige Bezeichnungen

werden vermeintliche Gruppen von Schüler*innen „mit“ und „ohne besondere Bedarfe“

und somit machtvolle Verhältnisse von Normalität und Abweichung konstruiert werden

(vgl. dies.: 109).

An den ethnographischen Forschungsstand zu Differenzkonstruktionen und Othering-

Prozessen entlang von Sprache(n) und Mehrsprachigkeit (Khakpour 2016,

Panagiotopoulou, Rosen & Karduck 2018; Panagiotopoulou, Rosen & Strzykala 2018;

Panagiotopoulou & Rosen 2018) in separierenden Beschulungsformen für

neuzugewanderte Kinder und Jugendliche anknüpfend möchten wir in der

Forschungswerkstatt den Blick auf Beobachtungsprotokolle richten, die in einer

sogenannter teilintegrativen Beschulungsform an einem Gymnasium in NRW (Köln) im

vergangenen Schuljahr über einen Zeitraum von vier Monaten (April-Juli 2018) im

Rahmen einer sog. Sprachfördermaßnahme erhoben worden sind. Bei dieser

Beschulungsform werden neuzugewanderte Schüler*innen teilweise in Regelklassen und

teilweise in separierten Klassen im Rahmen spezifischer Sprachförderung

jahrgangsübergreifend unterrichtet. Die insgesamt neun Feldaufenthalte sind von Fenna

tom Dieck durchgeführt worden sind, die bereits ihre Masterarbeit in einem

vergleichbaren Untersuchungsfeld in Niedersachsen absolviert hat (tom Dieck 2017) und

im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens eine international vergleichende Ethnographie

in Italien und in Deutschland durchführt.

Literatur

Hilt, L. (2017). Education without a shared language: dynamics of inclusion and exclusion

in Norwegian introductory classes for newly arrived minority language students.

International Journal of Inclusive Education, 21(6), 585-601.

Karakayali, J. et al. (2016). Mit Segregation zur Inklusion? URL:

https://www.bim.huberlin.de/media/Expertise_Willkommensklassen.pdf

Khakpour, N. (2016). Zugehörigkeitskonstruktionen im Kontext von Schulbesuch und

Seiteneinstieg. In C. Benholz, M. Frank & C. Niederhaus (Hg.), Neu zugewanderte

Schüler*innen und Schüler (pp. 151–170). Münster: Waxmann.

Mecheril, P., & Shure, S. (2015). Natio-ethnokulturelle Zugehörigkeitsordnungen – über

die Unterscheidungspraxis „Seiteneinsteiger“. In K. Bräu & C. Schlickum (Hg.), Soziale

Konstruktionen in Schule und Unterricht (pp. 109–121). Opladen: Budrich.

Neumann, U. (1981). Sozialisation ausländischer Kinder in der Grundschule. Lernen in

Deutschland, 6, 34-39.

Panagiotopoulou, A., & Rosen, L. (2018). Denied inclusion of migration-related

multilingualism: an ethnographic approach to a preparatory class for newly arrived

children in Germany. Language and Education, 32(5), 394-409.

Panagiotopoulou, A., Rosen, L., & Karduck, St. (2018). Exklusion durch institutionalisierte

Barrieren. In R. Ceylan, M. Ottersbach & P. Wiedemann (Hg.), Neue Mobilitäts- und

Migrationsprozesse und sozialräumliche Segregation (115-131). Wiesbaden: Springer

VS.

Panagiotopoulou, A., Rosen, L., & Stryzkala, J. (2018). Inklusion von neuzugewanderten

Schüler*innen durch mehrsprachige Lehrkräfte aus zugewanderten Familien?

Deutschförderung unter den Bedingungen von (Flucht-)Migration. In: İ. Dirim & A.

Wegner (Hg.), Normative Grundlagen und reflexive Verortungen im Feld DaF und DaZ

(210-227). Leverkusen & Berlin: Verlag Barbara Budrich,.

Radtke, F.-O. (1996). Seiteneinsteiger – Über eine fragwürdige Ikone der Schulpolitik. In

G. Auernheimer & P. Gstettner (Hg.), Pädagogik in multikulturellen Gesellschaften (pp.

49–63). Peter Lang.

Schroeder, J., & Seukwa, L. (2017). Access to Education in Germany. In A. Korntheuer,

P. Pritchard & D. Maehler (Ed.), Structural Context of Refugee Integration in Canada

and Germany. Köln: Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.

tom Dieck, F. (2017). Processes of Inclusion and Exclusion in the Social Space of Schools

from the Perspective of Newly Arrvied Students (Unpublished master’s thesis).

Osnabrück.

Josephina Schmidt

Reflexive Normativität rekonstruktiver Sozialforschung am Beispiel eines

Dissertationsprojekts im teilhabezentrierten Feld Sozialer Arbeit mit Frauen in

sozialpsychiatrischen Wohnheimen

Werden herrschende Normen und das Verständnis von Normativität verstanden als „als

konstitutive Elemente bürgerlich kapitalistischer, patriarchaler Herrschaft“ (Maihofer

2013: 169) ist es die Aufgabe rekonstruktiver Sozialwissenschaft nicht nur die

Verständigung zwischen Subjekten über Normen zu untersuchen, sondern auch

gesellschaftliche Bedingungen dieser Verständigung zu reflektieren, die durch

Forschungspraxis selbst hergestellte Differenzkonstruktion bzw. die durch privilegierte

Forscher*innen vorgenommene Unterdrückung der Stimmen der Repräsentierten

offenzulegen (vgl. do Mar Castro/Dhawan 2015: 200) und die geteilten Erfahrungen von

an Forschung beteiligten Subjekten in Solidarität anzuerkennen (vgl. Hark et al 2015:

99).

Normen und Normativität spielen im der rekonstruktiven Sozialforschung zuzuordnenden

Dissertationsprojekt „Frauen in sozialpsychiatrischen Wohnheimen“, welches sich mit der

Frage beschäftigt, wie Frauen dort zu langjährigen Fällen werden, für die ein Leben

außerhalb der Einrichtung derzeit von allen Beteiligten nicht vorstellbar ist, sowohl

bezogen auf den Forschungsgegenstand als auch auf methodologischer Ebene eine große

Rolle. Während in der Sozialpsychiatrie Teilhabe bzw. Inklusion von Psychiatrieerfahrenen

spätestens seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention eine rechtliche und

professionelle Norm ist, welche die eingeschränkte Teilhabe von Menschen in ihren

(besonders stationären) Institutionen in den Fokus nehmen lässt (z.B. Daum et al 2017;

Bliemetsrieder et al 2018) drängt sich methodologisch die Frage nach der Normativität

hinter der Konstruktion und dem Blick auf die Verschränkung der die Gesellschaft

strukturierenden Kategorien „Geschlecht“ und „Behinderung“ des intersektionalen

Forschungszugangs auf (Schildmann/Schramme 2017, Peter/Waldschmidt 2017).

In der Forschungswerkstatt werden Sequenzen zum Thema „Frausein in der Psychiatrie“

aus biografischen Interviews mit langjährig in sozialpsychiatrischen Wohnheimen

lebenden Frauen anhand der Methode der Objektiven Hermeneutik (Oevermann 2002)

mit folgenden Fragestellungen konfrontiert:

• Wie kann mit der Objektiven Hermeneutik eine Intersektionalitätsforschung in Form

einer Mehrebenen-Analyse (gesamtgesellschaftliche strukturelle

Herrschaftsverhältnisse, symbolische Repräsentationen, individuelle

Identitätskonstruktionen (Winker/Degele 2009)) in Bezug auf die Praxis der

Fallherstellung vorgenommen werden bzw. wie kann diese Analyse mit dem

Bedingungsverhältnis von Allgemeinem und Besonderem (z.B. Kraimer 2000; Garz

2015) zusammengedacht werden?

• Wie notwendig bzw. problematisch ist die Positionierung einer auf Frauen

bezogenen emanzipatorischen Forschung, vor dem Hintergrund, dass Frauen mit

psychischer Erkrankung in mehrfacher Hinsicht eine besonders vulnerable Gruppe

sind (z.B. BMFSFJ 2014; Krumm et al 2018: 70) bzw. wie kann die dem

Dissertationsprojekt zugrundeliegende Normativität expliziert werden, um mit

dieser Selbstkritik dem Forschungsgegenstand eine empirisch angemessene

dialektische Analyse unterziehen zu können?

• Welche normativen Grundlagen hat die marginalisierte sozialwissenschaftliche

Perspektive (z.B. Salize 2017) in vorwiegend bio-medizinisch geprägten

Forschungsdiskursen in der Psychiatrie und welche Herausforderungen sind damit

verbunden?

Literatur

Bliemetsrieder, Sandro; Maar, Katja; Schmidt, Josephina; Tsirikiotis, Athanasios (Hg.)

(2018): Partizipation in sozialpsychiatrischen Handlungsfeldern. Reflexionen und

Forschungsbericht. Verfügbar unter: https://hses.bsz-

bw.de/frontdoor/index/index/docId/612.

BMFSFJ - Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2014):

Gewalterfahrungen von in Einrichtungen lebenden Frauen mit Behinderungen –

Ausmaß, Risikofaktoren, Prävention.

Daum, Marcel; Höptner, Anja; Speck, Andreas; Steinhart, Ingmar (2017): Teilhabe für

chronisch psychisch kranke Menschen in Deutschland oder Die Sozialpsychiatrie und

die Soziale Gerechtigkeit. In: Psychiatrische Praxis 2017(2), S. 108-110.

Do Mar Castro Varela, María; Dhawan, Nikita (2015): Postkoloniale Theorie. Eine

kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete und erweiterte Auflage. Bielefeld:

Transcipt Verlag.

Garz, Detlef (2015): Theorie der Lebenspraxis. Einführung in das Werk Ulrich

Oevermanns. Wiesbaden: Springer VS.

Hark, Sabine; Jaeggi, Rahel; Kerner, Ina; Meißner, Hanna; Saar, Martin (2015): Das

umkämpfte Allgemeine und das neue Gemeinsame. Solidarität ohne Identität. In:

Feministische Studien 33 (1), S. 99–103.

Krumm, Silvia; Checchia, Carmen; Kilian, Reinhold; Becker, Thomas (2018):

Viktimisierung im Erwachsenenalter von Personen mit Psychiatrieerfahrung. Eine

Übersichtsarbeit zu Prävalenzen, Risikofaktoren und Offenlegung. In: Psychiatrische

Praxis (45), S. 66–77.

Maihofer, Andrea (2013) Überlegungen zu einem materialistisch-(de)konstruktivistischen

Verständnis von Normativität. In: Jaeggi, Rahel; Loick, Daniel (Hg.): Nach Marx.

Philosophie, Kritik, Praxis. Suhrkamp-Verlag: Berlin, S. 164-191.

Oevermann, Ulrich (2002): Klinische Soziologie auf der Basis der Methodologie der

objektiven Hermeneutik –Manifest der objektiv hermeneutischen Sozialforschung.

Salize, Hans Joachim (2017): Welche Aufgaben hat sozialpsychiatrische Forschung im

galoppierenden sozialstrukturellen Wandel? In: Sozialpsychiatrische Informationen

(2), 3–7.

Schildmann, Ulrike; Schramme, Sabrina (2017): Behinderung: Verortung einer sozialen

Kategorie in der Geschlechterforschung und Intersektionalitätsforschung. In: Beate

Kortendiek, Birgit Riegraf und Katja Sabisch (Hg.): Handbuch interdisziplinäre

Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer, S. 1-9.

Peter, Tobias; Waldschmidt, Anne (2017): Inklusion. Genealogie und Dispositivanalyse

eines Leitbegriffs der Gegenwart. In: SUG 2017; 14 (1): 29–52.

Winker, Gabriele; Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer

Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript.

Themenforen

Vildan Aytekin, Mareike Brunk & Ronja Giesen:

Normativität in Handreichungsliteratur zur Inklusiven Schule – Eine

Rekonstruktion gegenstandstheoretischer Prämissen (Forum "Zwischen Diskurs

und Praxis I")

Die Leitidee der inklusiven Schule selbst beruht bereits auf normativen Prämissen und

Entscheidungen, aber auch deren Entwicklung setzt für die Einzelschule eine Vielzahl von

Entscheidungen voraus. Dabei werden sowohl Fragen bezüglich der Ebene der Interaktion

als auch der der Organisation virulent (vgl. Wischer 2019).

Zu den Optionen einer inklusiven Schulentwicklung ist innerhalb der Schulpädagogik eine

Bandbreite an sog. Handreichungsliteratur (vgl. z.B. Werning 2013; Klauß & Sliwka 2013)

entstanden, die sich im Spannungsfeld der doppelten Erwartungsstruktur an die

Erziehungswissenschaft bewegt (vgl. Meseth 2014): Die Beiträge sind auf der einen Seite

Teil des wissenschaftlichen Diskurses, tragen also zur Bestimmung ihres Gegenstandes

bei. Zugleich richten sie sich an die schulische Praxis mit dem Versprechen,

Entwicklungsmaßnahmen für eine inklusive Schule aufzuzeigen.

Bei diesem Spannungsfeld setzt der Beitrag an: Es wird zunächst rekonstruiert, wie die

inklusive Schule und ihre Entwicklung unter diesen Vorzeichen innerhalb der

Handreichungsliteratur modelliert und konstituiert werden. Dabei sollen präskriptive

Aussagen und implizite Prämissen zur inklusiven Schule herausgearbeitet und so die

Normativität des Diskurses zugänglich gemacht werden. Ein besonderer Fokus liegt also

auf gegenstandstheoretischen Prämissen, die im Anschluss mit

organisationstheoretischen Perspektiven konfrontiert und kritisch eingeordnet werden

sollen. Dabei geht es darum, mögliche Verkürzungen, „blinde Flecken“ und

Folgeprobleme einer schulpädagogisch-normativen Perspektive auf Inklusion sichtbar zu

machen. Ausgehend von diesen vorgestellten Analysen soll aber im Kern die Frage

diskutiert werden, ob und wie die unterschiedlichen Funktionen der

erziehungswissenschaftlichen Reflexion ausbalanciert werden können.

Literatur

Klauß, T. & Sliwka, A. (2013): Schulen entwickeln sich in Richtung Inklusion. Wie kann

die Wissenschaft sie unterstützen? In: Klauß, T. & Terfloth, K. (Hg.): Besser gemeinsam

lernen! Inklusive Schulentwicklung. Heidelberg: Universitätsverlag, 29-53.

Meseth, W. (2014); Erziehungswissenschaft als sozialwissenschaftliche Disziplin.

Überlegungen zur Normativität in der empirischen Forschung. In: Ricken, N. et al. (Hg.):

Die Idee der Universität – revisited. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 249-268.

Werning, R. (2013): Inklusive Schulentwicklung. In: Moser, V. (Hg.): Die inklusive

Schule. Standards für die Umsetzung. Stuttgart: Kohlhammer, 51-63.

Wischer, B. (2019): Heterogenität als Grundprinzip der Schulgestaltung.

Herausforderungen und Probleme schulpädagogischer Reformideen. In: Westphal, M. &

Wansing, G. (Hg.): Migration, Flucht und Behinderung. Herausforderungen für Politik,

Bildung und psychosoziale Dienste. Wiesbaden: Springer VS, 281-300.

Bianca Baßler & Kathrin Leipold

Grenzbeziehungen und Grenzbearbeitung als mögliche Erweiterung der

Inklusionsforschung (Forum „Methodologische Fragen“)

In unserem Beitrag, den wir gerne im Rahmen eines Themenforums vorstellen möchten,

gehen wir der Frage nach, inwiefern eine bewusste Positionierung im Forschungsprozess

zu einem konstruktiven Umgang mit Normativität und in der Reproduktion von

Ungleichheitsverhältnissen in der Empirie führen kann.

Wir gehen zum einen davon aus, dass auch wissenschaftliches Arbeiten an sozialen

Unterscheidungen selbst stark normativ ist (Emmerich, Hormel 2013: 13). In den

mittlerweile standardisierten Prozessen rund um die Erforschung von Inklusion geraten

ungleichheitsgenerierende Praktiken häufig aus dem Blick. Zum anderen gehen wir davon

aus, dass wissenschaftliches Wissen häufig durch eine Illusion von Objektivität getragen

wird, in der Machtverhältnisse (Wer forscht wie und weshalb? Wer wird wie und weshalb

beforscht?) dethematisiert werden. Wir plädieren daher für Transparenz in der

Wissensproduktion und wollen empirisches Wissen als situiertes Wissen (Haraway)

aufzeigen. Mit diesen Perspektivierungen zeichnen wir normativ-präskriptive Momente im

Inklusionsdiskurs nach.

Hierzu erläutern wir zunächst das Forschungsprogramm von Susan Leigh Star. Die us-

amerikanische Wissenschaftsforscherin spricht von dem Monströsen (Klausner 2012 mit

Bezug auf Bowker und Leigh Star), das sich zeigt, sobald die Grenzen dessen, was als

diskutier- und handhabbar gilt, erreicht sind.

Hier finden wir tragbare Konzepte, um Ausgrenzung aufgrund von Etikettierungen und

deren Verfestigungen über Technologien und Materialisierungen im Forschungstun zu

durchleuchten. In diesem Teil stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie

Forschungsinstrumente, Forschungslogiken oder Forschungsmittel das Monströse im

Wissen um Inklusion erst hervorbringen und welche Beziehungen zwischen

Inklusionsforschung und Inklusionswissen bestehen.

In unserem zweiten Teil wollen wir das Konzept von Grenzbearbeitung nach Susanne

Maurer und Fabian Kessl vorstellen (Maurer 2001; Kessl, Maurer 2014). Einem

Wissenschaftsverständnis, das sich als objektiv begreift und die Involviertheit der

Forschenden verneint, wollen wir das Konzept, das aus der Sozialen Arbeit entstammt

und eine Möglichkeit von Thematisierung von Machtverhältnissen bietet, entgegenstellen.

Dort lassen sich Hinweise finden, inwiefern Transparenz im Forschungsprozess durch

Historisierung, Kontextualisierung sowie Positionierung (Bock/ Baßler 2018) hergestellt

werden kann.

Durch diese Möglichkeit der Sichtbarmachung und Reflexion von Grenzziehungsprozessen

im Forschungsprozess werden diese auch method(olog)isch bearbeitbar.

Mit unserem Beitrag wollen wir Perspektiven im Inklusionsdiskurs und in der

Lehrer*innenbildung stärken, die ebenfalls nach den praktischen Folgen unseres

wissenschaftlichen Tuns fragen – und damit der Frage nachgehen: Welche Grenzen in

Bezug auf Wissens- und Erkenntnisproduktion gilt es noch einzureißen?

Literatur

Baßler, Bianca; Bock, Paula (2018): Methodologische Überlegungen zur Denkfigur

'Soziale Arbeit als Grenzbearbeitung'. Eine intersektional informierte Grenzbearbeitung

als Reflexions- und Analyseinstrument im Kontext von Jugendberufshilfe. In: Birgit

Bütow, Jean-Luc Patry und Hermann Astleitner (Hg.): Grenzanalysen.

Erziehungswissenschaftliche Perspektiven zu einer aktuellen Denkfigur. 1. Auflage.

Weinheim, Basel: Beltz Juventa (Edition Erziehungswissenschaft), S. 95–116.

Emmerich, Marcus; Hormel, Ulrike (2013): Heterogenität - Diversity - Intersektionalität:

zur Logik sozialer Unterscheidungen in pädagogischen Semantiken der Differenz.

Wiesbaden: Springer VS.

Abstract von Bianca Baßler und Kathrin Leipold zur 3. Arbeitstagung der AG

Inklusionsforschung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft:

„Inklusionsforschung zwischen Normativität und Empirie – Abgrenzungen und

Brückenschläge“, 28./29. Juni 2019 in Freiburg

Klausner, Martina (2012): Klassifikationen und Rückkopplungseffekte, in: Beck, S.,

Niewöhner, J. und Sørensen, E. (Hg.): Science and Technology Studies. Eine

sozialanthropologische Einführung. Bielefeld: Transcript, S. 275-298.

Maurer, Susanne; Kessl, Fabian (2014): Radikale Reflexivität - eine realistische

Perspektive für (sozial)pädagogische Forschung? In: Eric Mührel und Bernd Birgmeier

(Hg.): Perspektiven sozialpädagogischer Forschung. Methodologien -

Arbeitsfeldbezüge - Forschungspraxen. Wiesbaden: Springer VS (Research), S. 141–

153.

Maurer, Susanne (2001): Das Soziale und die Differenz. Zur (De-) Thematisierung von

Differenz in der Sozialpädagogik. In: Helma Lutz und Norbert Wenning (Hg.):

Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft. Opladen: Leske

+ Budrich, S. 125–142.

Hannah Becker, Franziska Schreiter, Tammo Varbelow & Carolin Vierneisel

(Hetero-)Normativitat aufbrechen – Perspektiven von Dozierenden auf Vielfalt

in der Lehramtslehre (Forum „Hochschule“)

Ausgangslage

Die Berücksichtigung vielfältiger Lebensweisen (vgl. Hartmann 2002) – als Teil eines

intersektionalen Inklusionsverständnisses (vgl. Budde und Hummrich 2015) – in der

Lehre der Lehramtsausbildung zu stärken, ist eine Konsequenz aus Studien zu

psychosozialen Folgen und Coming-Out Erfahrungen im Kontext Schule (vgl. Krell und

Oldemeier 2018). Bei quantitativen Studien zu Perspektiven und Bedarfen von

Dozierenden in Bezug auf Vielfalt, wie der hier vorgestellten, zeigen sich

Herausforderungen durch die Reproduktion normativitätsbildender Kategorien (vgl. Voß

2011).

Methodik

Die Studie „Vielfalt Lehren!“ erhob Daten an den drei sächsischen lehramtsbildenden

Hochschulen Leipzig, Dresden und Chemnitz. Dokumentiert wurden die Perspektiven und

Bedarfe von Dozierenden auf und mit vielfältige_n Lebensweisen in der Lehramtslehre.

An den drei Standorten konnten 263 vollständige Datensätze erhoben werden, die

anschließend mit SPSS 25 ausgewertet wurden. Um die Reproduktion normativer

Kategorien zu reduzieren, gab es bei der Erhebung soziodemografischer Daten

Anpassungen im Vergleich zu einem standardisierten quantitativen Vorgehen.

Ergebnisse

Neben Fragen zu vielfaltsbezogenen/m Relevanzsetzungen, Wissen und Umsetzungen,

lag ein Schwerpunkt auf dem Bereich Wahrnehmung und Diskriminierung. 13,4% der

Befragten geben an, noch nie queere Student_innen in ihrer Lehre wahrgenommen zu

haben. Die Beobachtung diskriminierenden Verhaltens gegenüber queeren Menschen

berichten 5,4% - dabei gibt ein Viertel an, voll und ganz zu wissen, wie auf

diskriminierendes Verhalten reagiert werden kann. Antidiskriminierung wird von den

Befragten als priorisiertes Fortbildungsthema im Spektrum Vielfalt benannt. Es zeigen

sich über die Fragen hinweg (signifikante) Unterschiede nach Standort und Geschlecht.

Diskussion

Die Ergebnisse zur Wahrnehmung queerer Menschen bzw. von Diskriminierung lassen

eine Unterschätzung der Situationen vermuten (vgl. Gleichstellungsbüro UL) und eine

weitere Sensibilisierung der Personen als sinnvoll erscheinen. Eine Adressierung

Hochschuldozierender zeigt sich über das Schlüsselthema Antidiskriminierung als

erfolgversprechend. Weiter zu diskutieren bleibt in dieser Studie das Verhältnis von

Nutzen, d. h. Erkenntnisgewinn für die Angebotsgestaltung, und Herausforderung, d. h.

Reproduktion normativer Kategorien.

Literatur

Budde, Jürgen, und Merle Hummrich. 2015. „Inklusion aus erziehungswissenschaftlicher

Perspektive“. Erziehungswissenschaft 26 (2): 33–42.

Gleichstellungsbüro Universität Leipzig. Unveröffentlichte Präsentation an der Universität

Leipzig am 06.10.2017.

Hartmann, Jutta. 2002. Vielfältige Lebensweisen. Dynamisierung in der Triade

Geschlecht-Sexualität-Lebensform. Bd. 157. Forschung Erziehungswissenschaft.

Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Krell, Claudia, und Kerstin Oldemeier. 2018. Coming-out - und dann ... ?! Bd. 10170.

Schriftenreihe. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Voß, Heinz-Jürgen. 2011. Geschlecht. Stuttgart: Schmetterling Verlag.

Jürgen Budde

Inklusion als Feld von bildungspolitischer Normativität (Forum „Normativität im

Fokus“)

Der vorgeschlagene Einzelbeitrag beschäftigt sich mit aktuellen bildungspolitischen

Entwicklungen zu schulischer Inklusion und fragt nach den normativen Grundlegungen

von Inklusionsforschung.

Den Ausgangspunkt bildet einerseits die Beobachtung, dass Inklusion (hier dem aktuellen

kategorisierenden Diskursmainstream folgend verstanden als Aufnahme von

Schüler*innen mit Förderbedarf in das Regelschulsystem) oftmals mit Bezug zur UN-BRK

als eine ‚unumstößliche Entwicklung‘ dargestellt wird. Gleichzeitig wird eine sukzessive

Entwicklung von segregativer über integrativer zu inklusiver Beschulung attestiert und

mit euphorisch-normativ eingefärbten Vorstellungen ‚positiver‘ oder ‚gelingender‘

Inklusion‘ unterlegt (z.B. BMBF 2018).

Andererseits lassen sich bildungspolitische Entwicklungen registrieren, die Inklusion

kritisch anfragen und eine wieder verstärkte Leistungsselektion propagieren. Hier wäre

die jüngste Bildungspolitik der Bundesländer Nordrhein-Westfahlen (MSB NRW 2018)

oder Schleswig-Holstein zu nennen. Ein weiteres Beispiel wären Positionen der AfD zu

schulischer Inklusion, wie sie exemplarisch in der Parole „eine Marschkolonne ist nur so

schnell wir ihr langsamstes Mitglied“ sichtbar wird. Ähnliche exklusionsorientierte

bildungspolitischen wie gesellschaftlichen Entwicklungen scheinen auch in anderen

Staaten an Bedeutung zu gewinnen, sodass mit diesem ‚Backlash‘ auch die Idee eines

inklusiven Bildungs- und Gesellschaftssystems zunehmend zur Disposition stehen könnte.

Darüber hinaus steht die Idee schulischer Inklusion und eines gemeinsamen Lernens

auch spannungsreich zur einer zunehmenden Individualisierung im Schulsystem.

So erscheint Inklusion als ein strittiges Feld. Zu fragen wäre mithin zum einen, wie sich

die normative Idee der Inklusion zu exkludierender und gleichzeitig individualisierender

Gesellschaft und ihrem Schulsystem verhält. Dazu wird der jeweilige normative Horizont

von Inklusion zwischen Euphorie und Backlash im Vortrag rekonstruiert. Zum anderen

soll die Position der erziehungswissenschaftlichen Inklusionsforschung, die sich

intersektional argumentierend für Fragen von De-Kategorisierung und sozialer

Ungleichheit interessiert und ihre eigenen normativen Grundlegungen angefragt werden.

Anstelle von Forderung nach entweder strikter Nicht-Normativität von Wissenschaft oder

aber ideologischer Parteinahmen wird für einen reflexiven Umgang mit Normativität in

der Forschungspraxis plädiert.

Literatur

BMBF (2018): Perspektiven für eine gelingende Inklusion. Beiträge der

„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ für Forschung und Praxis. Berlin.

MSB NRW (2018): Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion in der Schule.

www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Inklusion/Kontext/Eckpunkte-

Inklusion/index.html

Katrin Ehrenberg

Differenzproduktion und -bearbeitung in inklusionsorientierten Schulen mit

Schulassistenz – Empirische, methodische und methodologische Überlegungen

zum Umgang mit doppelter Normativität (Forum „Unterricht und Akteur*innen“)

Die Diskussion um den Einsatz von Schulassistenz in inklusionsorientierten Schulen weist

sowohl in der Praxis als auch in der Forschung einen normativ aufgeladenen Charakter

auf. Schulassistenz wird dabei ambivalent gesehen: Sie ist als Sozialhilfemaßnahme nicht

im Schulsystem verankert, was häufig in Unklarheiten hinsichtlich Zuständigkeit und

Weisungsbefugnis sowie Tätigkeitsfeld und Professionalisierung resultiert. Ausgehend von

der Norm der gleichberechtigten Teilhabe der Schüler*innen kommt Schulassistent*innen

jedoch die überwiegende und zuweilen alleinige Zuständigkeit für Teilhabe an Bildungs-

und Lernprozessen einzelner Schüler*innen zu. Sie werden somit zugleich zu einem

funktionalen Bestandteil des Bildungssystems (Ehrenberg/Lindmeier 2019). Ein Scheitern

der Teilhabe wird in Forschung und Praxis häufig normativ am Handeln der

Schulassistenz festgemacht, was v.a. durch die Forderungen nach Professionalisierung

von Schulassistent*innen und die Gefahr der Vernachlässigung struktureller Aspekte

deutlich wird.

Forschende sind dabei in doppelter Hinsicht mit Normativität konfrontiert: Zum einen ist

Normativität ist als „bindende Kraft von Normen“ (Reh/Rabenstein 2012, 228) immer ein

Bestandteil der erforschten Praktiken. Normen wirken als „Formen sozialer Macht“ (Butler

2009, 84) und „impliziter Standard der Normalisierung“ (ebd., 73) und rahmen das

Handeln der Akteur*innen. Vor diesem Hintergrund begegnen Forschenden im

Forschungsprozess normative Annahmen der Akteur*innen gegenüber der Arbeit von

Schulassistent*innen. Zum anderen impliziert der Forschungsprozess immer auch

normative Annahmen, da Differenzkategorien und Normen reifiziert und (re-)produziert

werden. Normativität ist somit sowohl Bestandteil der erforschten Praxis als auch des

Forschungsprozesses selbst.

Ziel des Beitrags sind empirische, methodische und methodologische Überlegungen zu

dieser doppelten Normativität im Kontext der Erforschung von Schulassistenz, welche

entlang der Ergebnisse einer eigenen ethnographischen Studie erfolgen. Bezugspunkt der

Überlegungen sind die im Fokus der Untersuchung stehenden Praktiken der Herstellung

und Bearbeitung von Differenz in inklusionsorientierten Primarschulen mit Schulassistenz.

Es wird rekonstruiert, wie die schulische Ordnung durch die beteiligten Akteur*innen

hergestellt wird und wie Gleichheit und Differenz sowie Zugehörigkeit und Nicht-

Zugehörigkeit ausgehandelt werden. Ausgehend von der theoretischen

Analyseperspektive des ,Othering‘ (Riegel 2016) wird rekonstruiert, welche Normen dabei

auf unterschiedlichen Ebenen des Sozialen, resp. der beobachtbaren Praktiken, des

Diskurses und der strukturellen Macht- und Ungleichheitsverhältnisse wirksam werden

und in welchen normativen Annahmen dies resultiert. Weiterhin werden im

Forschungsprozess liegende normative Annahmen sowie reifizierte Normen und

Differenzkategorien und deren Auswirkung auf die Betrachtung Schulassistenz- und

Schüler*innenhandeln fokussiert.

Christian Filk & Ann-Kathrin Stoltenhoff

Machtsensible qualitativ-empirische Forschungspraxis im normativen Wissens-

und Handlungsfeld ›inklusive digitale (Schul-)Entwicklung‹ – eine erste

terrainsondierende Bestandsaufnahme (Forum „Zwischen Diskurs und Praxis II“)

Inspiriert von der Idee, dass eine inklusive Schule zu mehr Bildungsgerechtigkeit und

Teilhabe führt (Scholz 2016, Lütje-Klose 2017), verbindet das dezidiert Disziplin

überschreitend angelegte Vorhaben „Digitalisierung und Inklusion (Dig*In)“ die

theoretische und empirische Untersuchung zweier von der Bildungspolitik derzeit stark

forcierter, normativ aufgeladener Prozesse: die Digitalisierung des schulischen

Bildungsbereichs (BMBF 2018a, KMK 2016) sowie die Einrichtung einer inklusiven Schule

(BMBF 2018b, KMK 2011). Das BMBF-geförderte Verbundprojekt Dig*In der Europa-

Universität Flensburg und der Humboldt Universität zu Berlin exploriert im Kontext

qualitativer Bildungsforschung Grundsatzfragen und Gelingensbedingungen einer

inklusiven digitalen Schul- und Unterrichtsentwicklung.

Dig*In will Überlegungen, die aus der schulpraktischen Umsetzung von Inklusion und

Digitalisierung resultieren, systematisch aufeinander beziehen und mittels eines

komplementären Methodensets (Dokumentenanalyse, qualitative Interviews,

teilnehmende Beobachtung qua Videographie, kommunikativ-diskursive Validierung)

herausarbeiten, wie inklusive und digitale Schul- und Unterrichtsentwicklung verbunden

und realisiert werden können. Eine inter- bzw. transdisziplinäre Forschungsperspektive

und ein ebensolches Team sollen helfen, die in den beteiligten Disziplinen

(Medienforschung, Medienbildung, Rehabilitationswissenschaft und Medieninformatik)

bestehenden Ansätze so zu verzahnen, dass im Projektverlauf ein theoretisch und

empirisch validiertes Modell inklusiver digitaler Schul- und Unterrichtsentwicklung

entwickelt werden kann. Bereits in der aktuellen ersten Phase des Projekts wird deutlich,

dass die in der Anlage des Studiendesigns (re-) produzierten bzw. reifizierten normativen

Explikationen, Artikulationsweisen und Rhetoriken einer (selbst-)kritischen Reflexion

bedürfen. Daher ist geboten, sich zu Beginn der gemeinsamen Arbeit darüber zu

verständigen, welches (gegen-) hegemoniale Wissen in Form von Hypothesen,

Forschungsperspektiven und disziplinär geprägten Praktiken hinsichtlich des

Erkenntnisinteresses und des Gegenstandes respektive des Formal- und Materialobjektes

des zu untersuchenden Feldes in der erziehungswissenschaftlichen Debatte ebenso wie

seitens der beteiligten Forschenden besteht. Dafür sollen widerstreitende Perspektiven

auf eine inklusive Schule bzw. Gesellschaft „ohne Behinderte“ (Spirgatis 2013) ebenso

diskutiert werden wie ökonomisch motivierte Begründungslogiken auf menschliche

Vielfalt als Ressource für einen globalen Arbeitsmarkt und die Idee der Steuerbarkeit von

Bildung und deren Subjekten. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das

akademische Feld von Machtstrukturen geprägt ist, die durch neue Forschungen

wahlweise gestärkt oder geschwächt werden können (Jergus 2014), möchten wir in

unserem Vortrag im Bereich „Themenforen“ zur Debatte stellen, wie eine machtkritische

bzw. machtsensible Forschung zum/im Wissens- und Handlungsfeld Inklusion aussehen

sowie auf allen Ebenen eines öffentlich geförderten Forschungsprojekts praktiziert

werden könnte.

Literatur

Bohl, T./Budde, J./Rieger-Ladich, M. (Hrsg.) (2017): Umgang mit Heterogenität in Schule

und Unterricht. Grundlagentheoretische Beiträge, empirische Befunde und didaktische

Reflexionen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2018a): Wissenswertes zum

DigitalPakt Schule. In: BMBF (Hrsg.) (11.07.2018): Bildung, Bildung digital,

DigitalPakt Schule. https://www.bmbf.de/de/wissenswerteszum-digitalpakt-schule-

6496.html (letzter Abruf: 20.02.2019).

Dasselbe (2018b): Perspektiven für eine gelingende Inklusion. Beiträge der

„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ für Forschung und Praxis.

https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/Perspektiven_fuer_eine_gelingende_Inklus

ion.pdf. (letzter Abruf: 20.02.2019).

Feuser, G. (1995): Behinderte Kinder und Jugendliche. Zwischen Integration und

Aussonderung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

Hinz, A. (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder

konzeptionelle Weiterentwicklung? Zeitschrift für Heilpädagogik 53, S. 354-361.

Jergus, K. (2014): Zur Verortung im Feld. Anerkennungslogiken und Zitierfähigkeit. In:

Angermuller, J. et al. (Hrsg.): Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Band

1. Theorien, Methodologien und Kontroversen. Bielefeld: Transcript, S. 655-664.

KMK (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der

Bundesrepublik Deutschland) (2011): Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen

mit Behinderungen in der Schule. Beschluss vom 20.10.2011.

https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2011/2011_10_20-

Inklusive-Bildung.pdf (letzter Abruf: 20.02.2019).

Dasselbe (2016): Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“.

Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.12.2016 in der Fassung vom

07.12.2017.

www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_

mit_Weiterbildung.pdf (letzter Abruf: 20.02.2019).

Lütje-Klose, B. (Hrsg.) (2017): Inklusion. Profile für die Schul- und Unterrichtsent-

wicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Theoretische Grundlagen –

Empirische Befunde – Praxisbeispiele. Münster/New York: Waxmann.

Pfahl, L./Plangger, S./Schönwiese, V. (2017): Institutionelle Eigendynamik,

Unübersichtlichkeit und Ambivalenzen im Bildungswesen: Wo steht Inklusion? In:

Kruschel, R. (Hrsg.): Menschenrechtsbasierte Bildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S.

19-28.

Scholz, I. (2016): Das heterogene Klassenzimmer. Differenziert unterrichten. 2.,

unveränd. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Spirgatis, M. (2014): Inklusion – neues Paradigma der Gleichstellungsarbeit? Vortrag im

Rahmen der Ringvorlesung „Disability Studies – Behinderung ohne Behinderte“,

Universität Hamburg, 9. Juli 2013.

https://www.uni-flensburg.de/fileadmin/content/portale/die_universitaet/dokumente/

gleichstellung/inklusionparadigma-gleichstellungsarbeit.pdf (letzter Abruf:

22.02.2019).

Forschungsgruppe Kreativwerkstatt

Erfahrungen einer inklusiven Forschungsgruppe (Forum „Partizipative Forschung“)

Unsere inklusive Forschungsgruppe, bestehend aus Personen mit verschiedenen

sogenannten Beeinträchtigungen, die in einer Kreativ- und Textilwerkstatt arbeiten und

Forschenden aus dem Hochschulbereich, ist seit Ende 2013 tätig. In einem ersten Schritt

haben wir unsere Werkstatt untersucht und ein Buch dazu geschrieben und gestaltet.

Seither treten wir als Verein auf und arbeiten unabhängig von der Universität. Wir führen

Lehrveranstaltungen an Pädagogischen Hochschulen durch, wobei wir verschiedene

Aspekte des Lebens mit Beeinträchtigungen behandeln, halten Vorträgen an

Fachtagungen zur gemeinsamen Forschungsarbeit und haben ein Themenheft einer

Fachzeitschrift mit Texten zu diesem Thema gefüllt und gestaltet. (vgl.

www.forschungsgruppe-kreativwerstatt.ch)

Wir möchten den Zuhörern von unserer gemeinsamen Forschungs- und Lehrtätigkeit,

sowie unseren Erfahrungen, die wir an wissenschaftlichen Tagungen gesammelt haben,

berichten: Wie forschen und arbeiten wir zusammen? Was ist uns an der gemeinsamen

Forschungsarbeit wichtig? Was hat sich durch diese verändert? Welche Hürden galt/gilt

es zu überwinden?

Literatur

Die Forschungsgruppe (2016): Ein Buch über eine Werkstatt von Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern mit Rente und ohne Rente. In: Sturm, T., Köpfer, A. & Wagener, B.

(Hrsg.): Bildungs- und Erziehungsorganisationen im Spannungsfeld von Inklusion und

Ökonomisierung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Verein Forschungsgruppe Kreativwerkstatt (2017): Begegnungswelten in der

Kreativwerkstatt. Ein Forschungsbericht des Vereins Forschungsgruppe

Kreativwerkstatt. Berlin: epubli. Vierteljahresschrift für Behindertenpädagogik (2018),

Jg. 57, Heft 1: Themenheft zur partizipativen Forschung der Forschungsgruppe

Kreativwerkstatt.

Julia Gasterstädt

Zwischen Offenheit und Perspektivität – Normativität in Grounded Theory und

Situational Analysis (Forum „Methodologische Fragen“)

Der Call zur 3. Arbeitstagung der AG Inklusionsforschung verortet Inklusionsforschung

zwischen den Begriffen Normativität und Empirie. Dabei sind beide Begriffe

erklärungsbedürftig. Mit dem Begriff der Normativität werden Normen als Ausdruck eines

‚Sollen‘ angesprochen, das durch Akteure interpretiert und mit Sinn angereichert werden

muss. Mit einem ersten Zugang können Normen so als Rechtsnormen (z.B. die UN-BRK)

näher bestimmt werden. Solche Setzungen werden in anderen Systemen, z. B. dem

Schulsystem oder dem Wissenschaftssystem, wahrgenommen und reinterpretiert. In

einer zweiten Lesart können Normen als gesellschaftlich vermittelt und individuelles

Handeln rahmend verstanden werden. Mit beiden Lesarten ist davon auszugehen, dass

Forschende einerseits normativ handeln bzw. eben forschen und andererseits Normen

Gegenstand von Forschung sein können. Der Beitrag will einen Versuch unternehmen,

sich dem Begriff der Norm(-ativität) anzunähern und diesen in Bezug zu

methodologischen Fragen setzen. Diese werden am Beispiel Situational Analysis (Clarke,

2012) als Weiterentwicklung der Grounded Theory Methodologie diskutiert.

Dazu wird der Begriff der Norm(-ativität) theoretisch ausgelotet und in seiner Bedeutung

für (Inklusions-)Forschung diskutiert. Hier wird erstens die These verfolgt, dass Normen

unser ‚Wissen können‘ beeinflussen bzw. Forschung daher explizit oder implizit normativ

ist. Damit zusammenhängend wird zweitens davon ausgegangen, dass wissenschaftlich

gewonnenes Wissen und Alltagswissen voneinander nicht qualitativ zu unterscheiden

sind. Mit dieser doppelten Bestimmung lässt sich dann diskutieren, dass sich (Inklusions-

)Forschung nicht zwischen Normativität und Empirie verorten lässt. Gefragt werden kann

dabei auch, welche Funktion die Rede von Normativität bezogen auf Forschung erfüllt.

Diese theoretische und methodologische Diskussion wird am Beispiel eines

durchgeführten Forschungsprojekts (Gasterstädt, i.V.) expliziert. Im Rahmen des

Projektes wurde die Situational Analysis als „Theorie-Methoden-Paket“ (Clarke & Star,

2008) zur Rekonstruktion von Steuerungsprozessen im Anschluss zur Entwicklung

inklusiver Schulen genutzt. Statt der Frage nach Normativität von Forschung rückt damit

das Verhältnis nach der schon alten Forderung nach Offenheit und der etwas jüngeren

Betonung von Perspektivität im Forschungsprozess in den Blick.

Literatur

Clarke, A. E. (2012): Situationsanalyse: Grounded Theory nach dem Postmodern Turn.

Wiesbaden: Springer VS.

Clarke, A. E. & Star, S. L. (2008): The Social Worlds Framework: A Theory/Methods

Package. In E. J. Hackett et al. (Ed.), The Handbook of Science & Technology Studies

(S. 113-137), 3. Vol. Cambridge: MIT Press.

Gasterstädt, J. (i.V.): Der Komplexität begegnen und Inklusion steuern. Eine

Situationsanalyse zur Umsetzung von Artikel 24 der UN-BRK in zwei Bundesländern.

Springer VS.

Jürgen Gerdes, Lars Heinemann & Uwe H. Bittlingmayer

Inklusionsverständnisse von pädagogischen Fachkräften und Expert*innen

schulischer Inklusion in menschenrechtlicher Perspektive (Forum „Zwischen

Diskurs und Praxis II“)

Die empirische Sozialwissenschaft hat es in vielfältiger Weise mit impliziten und expliziten

normativen Implikationen zu tun, z.B. im Zusammenhang von Forschungsinteressen der

Forschenden oder ihrer Auftraggeber*innen, der Selektion von „Analysegegenständen“,

der Wahl von Theoriebezügen und Methoden sowie im Rahmen von gesellschaftlichen

Themenkonjunkturen und Optionen der Forschungsförderung. Im Kontext der

Inklusionsforschung gibt es zwei Aspekte von besonderer normativer Relevanz: Zum

einen stellt die menschenrechtliche Perspektive im Zusammenhang der UN-

Behindertenrechtskonvention die wohl bedeutendste und gleichzeitig allgemeinste

normative Vorgabe dar, der sich die mit der Aufgabe und dem Ziel von Inklusion

befassten Akteure ausgesetzt sehen. Zum anderen sind es die z.B. ethischen,

moralischen, pragmatischen, strategischen, professionsbezogenen, politischen

Intuitionen, Einstellungen und Überzeugungen der in einer Praxis involvierten Akteure

selbst, die einen normativen Gehalt haben, der sich im Spektrum von für

selbstverständlich gehaltenen Normalitäts- und Normalisierungserwartungen und (noch)

tolerierbaren Verhaltensabweichungen einerseits und Vorstellungen über die (realistische

bis utopische) Transformation von Strukturen, Kulturen und Praktiken im Namen von

Inklusion andererseits erstrecken kann.

Der anvisierte Beitrag analysiert – auf Basis der Auswertung von Expert*innen-

Interviews, die im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekts

„StiEL – Schule tatsächlich inklusiv“ geführt worden sind – verschiedene

Inklusionsverständnisse von pädagogischen Fachkräften und sonstigen Expert*innen

schulischer Inklusion im Hinblick auf die Frage, ob, inwieweit und in welcher Hinsicht

diese eine menschenrechtliche Perspektive adressieren oder mit einer solchen kompatibel

sind und ob und inwieweit diese Inklusionsverständnisse von anderen

bildungspolitischen, pädagogischen, professionsbezogenen, institutionell-kontextuellen,

weltanschaulich-politischen Interessen, Normen und Vorstellungen, die im

Zusammenhang von Interpretationen der eigenen Rollen, Aufgaben und Praktiken

relevant sein können, überformt oder gar konterkariert werden. In diesem

Zusammenhang ist auch die Frage nach Wahrnehmung und subjektiver Verarbeitung von

inklusionstypischen Dilemmata (Leistungsförderung vs. vorbehaltloser Anerkennung,

Lernzieldifferenzierung vs. soziale Integration, Ressourcen-Etikettierungsdilemma u.a.)

von Bedeutung. Dieses Vorgehen setzt die vorgängige theoretische Klärung einer

menschenrechtlichen Perspektive auf Inklusion voraus, die auf Basis einschlägiger

Beiträge des menschenrechtlichen Inklusionsdiskurses im Kontext des Deutschen

Instituts für Menschenrechte erfolgt.*

* Bei entsprechendem Bedarf und genügendem Raum könnte die theoretische Klärung

einer menschenrechtlichen Perspektive auch einen eigenständigen weiteren Beitrag im

Rahmen eines Themenforums zu ‚normativen Rahmenbedingungen der Inklusion‘ oder zu

‚Inklusion in menschenrechtlicher Perspektive‘ darstellen.

Daniel Goldmann

Formen der unterrichtlichen Inklusion = Qualitäten der Inklusion? (Forum

„Unterricht und Akteur*innen“)

Ausgehend von der grundlegenden Unterscheidung von "Mitgliedschaft und Teilhabe"

(Herzmann/Merl 2017) ist die zentrale Frage qualitativer Inklusionsforschung im

Unterricht, wie jenseits der Ermöglichung von Anwesenheit im Unterricht Inklusion

tatsächlich vollzogen wird. Bisher werden aber fast ausschließlich unterrichtliche

Phänomene in der Sozialdimension untersucht (vgl. Rabenstein 2016). Die inhaltliche

Dimension und damit die Frage, wie Inklusion über das Lernen von

Unterrichtsgegenständen erfolgt, ist demnach weitgehend unterbelichtet.

Der Vorschlag dieses Beitrags besteht darin, über die systemtheoretischen

Begriffsverständnisse von Inklusion und der Kommunikation von Lernen (Dinkelaker

2007) die lern- bzw. wissensbezogene Inklusion von SchülerInnen in den Unterricht

beobachtbar zu machen. Im Fokus des Beitrags steht jedoch die darüber hinaus gehende

Frage, inwieweit diese Inklusion deskriptiv in verschiedene Qualitäten unterschieden

werden kann. Der Zugang zu diesen unterschiedlichen Qualitäten erfolgt über empirische

Erfassung verschiedener Komplexitäten struktureller Kopplungen der unterrichtlichen

Interaktion mit dem psychischen Lernen der Schüler*innen. Von dort aus soll diskutiert

werden, inwieweit diese beobachtbaren Komplexitäten Momente von Qualität sein

können und darüber Unterricht in seiner Inklusionsqualität bewertet werden kann. Diese

Überlegungen werden anhand von Fallbeispielen illustriert und zur Diskussion gestellt.

Literatur

Dinkelaker, J. (2007): Kommunikation von Lernen. In: Zeitschrift für

Erziehungswissenschaft, 10. Jg., H. 2, S. 199–213.

Herzmann, P./Merl, T. (2017): Zwischen Mitgliedschaft und Teilhabe. Praxeologische

Rekonstruktionen von Teilhabeformen im inklusiven Unterricht. In: ZISU – Zeitschrift

für interpretative Schul- und Unterrichtsforschung, 6. Jg., H. 1.

Rabenstein, K. (2016): Methodologische Fragen einer qualitativen Erforschung inklusiven

Unterrichts. Herausforderungen einer empirisch fundierten didaktischen

Theoriebildung. In: Musenberg, O./Riegert, J. (Hrsg.): Didaktik und Differenz. Bad

Heilbrunn, S. 233–244.

Susanne Gottuck

„Homogenität wird dann direkt immer kritisiert und gesagt, ‚nein wir müssen

aber Inklusion machen‘“. Diskurse von Lehramtsstudierenden zu Inklusion und

der Be-Deutung von Normativität (Forum „Hochschule“)

Mit der bildungspolitischen Reformagenda Inklusion sind Lehrer*innen und

Lehrer*innenbildung herausgefordert, diskriminierende Praktiken und Strukturen der

Institution Schule und ihre Beiträge zur Reproduktion und Produktion von sozialer

Ungleichheit stärker als bisher zu thematisieren (vgl. Budde & Hummrich 2013,

Tervooren & Pfaff 2017). Im Kontext der Lehrer*innenbildung ist der Studieninhalt

‚Inklusion‘ mit jeweils unterschiedlichen inhaltlichen Positionen (vgl. Rabenstein 2017 et

al.) konstitutiver Bestandteil aller lehramtsbildenden Fächer an vielen deutschen

Universitäten. Normative Programmatiken der bildungspolitischen Reformagenda und

damit einhergehende pädagogische Diskurse werden somit zum Gegenstand des

Lehramtsstudiums aller Schulformen. Sie treffen im Feld der Lehrer*innenbildung auf

historisch gewachsene disziplinäre Strukturen, Selbstverständnisse und Praktiken des

Thematisierens von Schule und professionellem Handeln.

Im Fokus des Vortrags steht die Frage, wie jene Programmatiken schulischer Inklusion

von Lehramtsstudierenden inklusionsbezogener Lehre entworfen, aufgerufen und

verhandelt werden. In der Analyse von Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden

wird aus diskursanalytischer Perspektive gefragt: Wie wird ‚schulische Inklusion‘ als

thematischer Gegenstand und Handlungszusammenhang in den Äußerungen der

Studierenden diskursiv konstruiert und performativ hervorgebracht und welche Praktiken

des Be-Deutens, der Positionierung und der Subjektivierung gehen hiermit einher? Der

Blick darauf, wie Studierende in ihren Äußerungen auf normative Programmatiken

schulischer Inklusion Bezug nehmen wird hierbei mit Hilfe eines poststrukturalistisch-

praxeologischen Zugangs (Wrana 2015) geschärft.

Wie sich eine Normativität inklusiver Programmatiken konstituiert, wird nicht vorab

bestimmt, sondern durch die jeweils situative Bedeutung in den Äußerungsakten der

Studierenden als In-Verhältnissetzung und als spezifische Antwortverhältnisse

rekonstruiert.

Die Analyse fokussiert zum einen auf normative Ordnungen, die von den Studierenden

(im Sprechen über Inklusion) aufgerufen und re-aktualisiert oder verschoben werden.

Zum anderen werden die Subjektpositionen, die in der Anerkennung dieser Ordnungen

bezogen werden, analysiert. Welche Spannungen und Widersprüche werden dabei in

Bezug auf unterschiedliche Handlungsanforderungen von den Studierenden verhandelt

und bearbeitet? Abschließend wird diskutiert, welche Rückschlüsse aus einer

rekonstruktiven Perspektive auf Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden für

Professionalisierungsprozesse im Kontext einer inklusionsorientierten

Lehrer*innenbildung gezogen werden können.

Literatur

Budde, J., & Hummrich, M. (2013). Reflexive Inklusion. Zeitschrift für Inklusion.

Rabenstein, K., Bührmann, A. D., Biele Mefebue, A., & Laubner, M. (2017). Lehrer*

innenbildung, Diversitätsforschung und Diversitätsmanagement. journal für

lehrerInnenbildung, 2, 7-13.

Tervooren, A. & Pfaff, N. (2017). Inklusion und Differenz. In Sturm, T.& Wagner-Willi, M.

(Hrsg.), Handbuch Schulische Inklusion (S. 31-44). Opladen/Berlin/Toronto: Barbara

Budrich,

Wrana, D. (2015). Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken. In Fegter,

S., Kessl, F., Langer, A., Ott, M., Rothe, D., & Wrana, D. (Hrsg.),

Erziehungswissenschaftliche Diskursforschung (S. 123-141). Wiesbaden: Springer VS.

Erich Otto Graf

Implikationen bei Inklusionsforschungsprozessen (Forum „Partizipative

Forschung“)

Seit mehr als fünfeinhalb Jahre arbeite ich in der Forschungsgruppe Kreativwerkstatt

(https://www.forschungsgruppe-kreativwerkstatt.ch/ ) mit Menschen mit und ohne so

genannte Behinderungen zusammen. Wir untersuchen das Entstehen und Erleben von

Behinderungsphänomenen in spezifischen Situationen. Wir untersuchen wie Phänomene

von Behinderung entstehen, was „Behinderung" schliesslich ausmacht in vielen Bereichen

unseres Alltags (Arbeiten, Wohnen, öffentliches Leben, in der Bildungsinstitution), wie wir

damit umgehen lernen und explorieren Copingstrategien zum Umgang mit

Behinderungssituationen. Ich möchte in meinem Beitrag kurz vorstellen, wie wir die

Forschungsgruppe aufgebaut haben, welche Lernprozesse wir gemacht haben und wo wir

in der Entwicklung unseres Projektes heute aus meiner Sicht stehen.

Im Zentrum des Vortrages stehen das das theoretische und methodische Konzept dieser

Art zu forschen. Es gelangen verschiedene Arbeitstechniken zur Anwendung, im Zentrum

jenes der operativen Gruppe ((Graf 2003)) und die Ethnopsychoanalyse (Graf 2017).

Inklusionsforschung heisst für mich, dass ich gemeinsam mit sogenannt behinderten und

so genannt nichtbehinderten Menschen forsche. Zentrales Moment eines solchen

Forschungsansatzes ist das grundlegende Verstehen des vielfältigen

Übertragungsgeschehens innerhalb der Forschungsgruppe und zwischen dem

Forschungskontext und dem Kontext der Forschung. Neben der Analyse der

Gegenübertragungen gilt es die verschiedenen institutionellen Implikationen zu beachten,

die eine solche Forschungsweise mit sich bringt. Forschen in diesem Zusammenhang wird

so zu einem zweiseitigen Lernprozess.

Sebastian Hempel, Anna Nutz, Matthias Otten

Rekonstruktiv und partizipativ forschen – ein (un)auflösbares

Spannungsverhältnis? (Forum „Partizipative Forschung“)

Im Forschungsprojekt „Partizipative Lehre im Kontext inklusionssensibler Hochschule

(ParLink)“1 geht es um die Entwicklung einer „inklusiven“ Hochschuldidaktik unter

Beteiligung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als Bildungsfachkräfte. Die

Bildungsfachkräfte haben eine dreijährige Qualifikation absolviert und führen seitdem an

Hochschulen und anderen Erwachsenenbildungskontexten Lehreinheiten zum

Themengebiet Inklusion durch. Teile des Projekts sind in einem rekonstruktiven

Forschungsdesign angelegt. Es werden Videografien und Gruppendiskussionen

durchgeführt, um die interaktionale Konstitution von Lern‐ und Bildungssituationen und

die Handlungsorientierungen der Beteiligten (Studierende und Bildungsfachkräfte) zu

rekonstruieren. Was dabei von wem unter welchen Aspekten als „inklusiv“ erlebt und

erachtet wird, ist eine empirische Frage. Die Daten werden mit der Dokumentarischen

Methode ausgewertet (vgl. Bohnsack 2010, 2014). Teilweise sind im Projekt Elemente

partizipativer Forschung vorgesehen, insbesondere in der halbjährlich tagenden

Fokusgruppe (vgl. Buchner et al. 2011), in der Bildungsfachkräfte, Studierende und

Wissenschaftler*innen vertreten sind. Dort wird gemeinsam der Forschungsprozess

reflektiert, z.T. werden auch Auswertungen besprochen. An einigen Stellen wird im

Projekt jedoch die Frage aufgeworfen, inwiefern rekonstruktive und partizipative

Forschung miteinander vereinbar sind (vgl. Hametner 2013, Wagner‐Willi 2011). Diesen

Aspekt möchten wir in der Forschungswerkstatt gemeinsam auf einer methodologischen

und forschungspraktischen Ebene diskutieren, gerne anschaulich gemacht mit Sequenzen

aus bereits durchgeführten Videografien.

Folgende Fragen spielen dabei – angelehnt an konkrete Beispiele aus unserem

Forschungsprojekt – eine Rolle:

• Inwieweit ist die Rekonstruktion von implizitem Wissen und handlungsleitenden

Orientierungen der Beforschten mit einen partizipativen Vorgehen (Beteiligung der

Co‐Forschenden in der Dateninterpretation) vereinbar?

• Welche (Forschungs)Funktion nehmen die partizipierenden Co‐Forscher*innen dabei

ein?

• Welche Rolle spielen hierbei vorgängige bzw. (re)konstruierte

Identitätszuschreibungen (Forscher*innen mit und ohne Behinderung) und das

jeweilige Erfahrungswissen der Forschenden/ Beforschten?

• Wie kann mit Asymmetrien im Hinblick auf die Deutungsmacht über

Forschungsdaten umgegangen werden?

• Welche ethisch‐normativen Konflikte werden ausgelöst und wie können diese

entschärft werden?

• Welche Erfahrungen wurden in anderen Projekten hinsichtlich eines

partizipationsorientierten Forschungsanspruchs gesammelt?

Literatur

Bohnsack, Ralf (2010): Die Dokumentarische Methode. In: Ingrid Miethe und Karin Bock

(Hg.): Handbuch qualitative Methoden in der Sozialen Arbeit. Opladen & Farmington

Hills: B. Budrich, S. 247‐258.

Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative

Methoden. 9. Überarbeitete und erweiterte Auflage, Opladen: UTB.

Buchner, Tobias; König, Oliver; Schuppener, Saskia (2011): Von Standorten,

Ontologisierungen und Parteilichkeit: Methodische Reflexionen im Rahmen

Partizipativer Forschung. Teilhabe 50 (4), S. 167‐168.

Hametner, Katharina (2013): Wie kritisch ist die rekonstruktive Sozialforschung? Zum

Umgang mit Machtverhältnissen und Subjektpositionen in der dokumentarischen

Methode. In: Phil C. Langer, Angela Kühner und Panja Schweder (Hg.): Reflexive

Wissensproduktion. Anregungen zu einem kritischen Methodenverständnis in

qualitativer Forschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 135‐147.

Wagner‐Willi, Monika (2011): Standortverbundenheit und Fremdverstehen. Anmerkungen

zu Schwerpunktthema „Partizipative Forschung“. In: Teilhabe 50 (2), S. 66‐68.

1 Verbundprojekt zwischen der Technischen Hochschule Köln, der Universität Leipzig und

dem Institut für inklusive Bildung Kiel, Laufzeit: 05/2018‐03/2021, gefördert durch das

BMBF.

Martina Kaack

Systemtheoretische Analyseoptionen vor dem Hintergrund empirischer

Fragestellungen im Kontext des Inklusionsdiskurses (Forum „Methodologische

Fragen“)

Der systemtheoretische Inklusionsbegriff differenziert nicht auf behindert/nichtbehindert

hin, sondern auf die Relevanz sozialer Adressen für Kommunikation. Insofern steht hier

die Ausrichtung auf Funktionalität in Bezug auf aktuell bedeutsame Sinnbezüge im

Vordergrund. Die im Call der Tagung problematisierte normative Ausprägung empirischer

Arbeiten ist dadurch optional.

Wesentliche Bezugspunkte, auf die das Prozessieren von Sinn verweist, sind nach

Luhmann die der Sinndimensionen: Sach-, Zeit- und Sozialdimension. So kann unter

ihrer Berücksichtigung die Generierung sozialer Adressen rekonstruiert und damit auf

Inklusions- und Exklusionsprozesse hin-beobachtet werden.

Als konstruktivistische Theorie bezieht die Systemtheorie zudem die

Beobachtungsposition mit ein. Das ermöglicht, Kontingenz zu berücksichtigen und den je

gewählten Referenzpunkt zu reflektieren. Eine weitere Möglichkeit des Umgangs mit

Normativität.

Im Rahmen dieses Einzelbeitrags werden Auswertungs- und Deutungsoptionen

vorgestellt, die in einer erziehungswissenschaftlichen Forschungsarbeit vor diesem

Hintergrund erprobt worden sind und sich auch in Bezug auf praktische Fragestellungen

als hilfreich erwiesen haben.

Marian Laubner

Positionierungen im Studierendendiskurs zu Inklusion. Ergebnisse einer

diskursanalytischen Studie. (Forum „Hochschule“)

Universitäten sind seit Längerem dazu aufgefordert, Konzepte für eine inklusive

Lehrer*innenbildung zu entwickeln, um angehende Lehrkräfte auf den „Umgang mit

Heterogenität“ vorzubereiten (vgl. KMK & HRK 2015). In diesen Konzepten lassen sich

unterschiedliche normative Positionierungen beobachten, z. B. bei Fragen nach dem

Inklusions- oder des zukünftigen Berufsverständnisses (vgl. Rabenstein et al. 2017).

Lehramtsstudierende sind dazu aufgefordert, sich mit normativen Positionen des

Inklusionsdiskurses auseinander- und mit ihnen in ein Verhältnis zu setzen. In meiner

diskursanalytischen Studie wurden vier Gruppendiskussionen mit Lehramtsstudierenden

im Anschluss an den Besuch inklusionsbezogener Lehrveranstaltungen erhoben, deren

Ergebnisse in dem Vortrag vorgestellt werden. Das methodologische Vorgehen folgt dem

Ansatz einer „diskursanalytische[n] Ethnographie“ (Langer/Richter 2015, S. 210). Die

Gruppendiskussionen wurden mit heuristischen Fragen (vgl. Rabenstein et al. 2019)

ausgewertet, die – ausgehend von einer kontingenzgegenwärtigen Differenzperspektive

(Hirschauer 2014) und normalismustheoretisch sensibilisiert (Waldschmidt et al. 2009) –

nach Differenz- und Normalitätskonstruktionen in diskursiven Praktiken fragt. Ziel ist es

die Positionierungen der Studierenden zu analysieren und damit ihren Umgang mit der

normativen Adressierung im Inklusionsdiskurs und wie diese legitimiert werden. Der

Vortrag kommt zu der These, dass über spezifische Differenz- und

Normalitätskonstruktionen spezifische Positionierungen zu Inklusion produziert und mit

bestimmten normativen Setzungen wiederum legitimiert werden. In dem Vortrag wird –

anschließend an bisherige Ergebnisse, die auf im Studierendendiskurs stabile und eher

feste Differenz- und Normalitätskonstruktionen und Funktion einer Stabilisierung

unterrichtlicher Ordnungen hinweisen (vgl. Laubner 2019) – dargestellt, welche

(Verschiebungen von) Positionierungen und Legitimierungen sich beobachten lassen, z.

B. vor dem Hintergrund des Besuchs eines inklusionsbezogenen Seminars und darin

thematisierten normativen Programmatiken oder der Erzählung über praktische

Erfahrungen. Zudem wird explorativ analysiert, welche Ambivalenzen, Widersprüche,

Brüche und Diskontinuitäten sich zu Differenz und Normalitätskonstruktionen und

Positionierungen beobachten lassen.

Literatur

Kultusministerkonferenz & Hochschulrektorenkonferenz (2015): Lehrerbildung für eine

Schule der Vielfalt. Gemeinsame Empfehlung von Hochschulrektorenkonferenz und

Kultusministerkonferenz.

Hirschauer, S. (2014): Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten.

In: Zeitschrift für Soziologie 43 (3), 170–191.

Langer, A./Richter, S. (2015): Disziplin ohne Disziplinierung. Zur diskursanalytischen

Ethnographie eines ‚Disziplin-Problems‘ von Schule und Pädagogik. In: Fegter, S./

Kessl, F./ Langer, A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche

Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen.

Wiesbaden: Springer, 211-229.

Laubner, M. (2019 i.V.): Gymnasium – eine Leerstelle im Diskurs um Inklusion als

Reformthema? Eine diskursanalytische Skizze zu Normalitätskonstruktionen von

Schule und Unterricht in Diskursen Studierender des gymnasialen Lehramts. In: Horn,

K.-P./Rabenstein, K./Stubbe, T. C. (Hrsg.): Gymnasium und Inklusion. Göttingen:

Universitätsverlag.

Rabenstein, K./Bührmann, A. D./Biele Mefebue, A./Laubner, M. (2017):

Lehrer*innenbildung, Diversitätsforschung und Diversitätsmanagement. In: Journal für

LehrerInnenbildung 17 (2), 7-13.

Rabenstein, K./Laubner, M./Schäffer, M. (2019 i.E.): Diskursive Praktiken des

Differenzierens und Normalisierens. Eine Heuristik für eine diskursanalytische

Ethnographie zu Inklusion als pädagogische Reformagenda. In: Leontiy, H./Schulz, M.

(Hrsg.): Ethnographie und Diversität. Wissensproduktion an den Grenzen und die

Grenzen der Wissensproduktion. Wiesbaden: Springer VS.

Waldschmidt, A./Klein, A./Korte, M. T. (2009): Das Wissen der Leute. Bioethik, Alltag

und Macht im Internet. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Wrana, D. (2015): Zur Analyse von Positionierungen in diskursiven Praktiken.

Methodologische Reflexionen anhand von zwei Studien. In: Fegter, S./Kessl, F./

Langer, A./Ott, M./Rothe, D./Wrana, D. (Hrsg.): Erziehungswissenschaftliche

Diskursforschung. Empirische Analysen zu Bildungs- und Erziehungsverhältnissen.

Wiesbaden: Springer, 123-142.

Sylvia Nienhaus

Die Zuschreibung von (In-)Kompetenz in der frühkindlichen Bildung und

Betreuung im Kontext von Inklusion (Forum „Zwischen Diskurs und Praxis II“)

Bereits vor der Einschulung ist Bildung und ihre gezielte Förderung ein zentrales Thema

im kindlichen Alltag (OECD Starting Strong 2017). Dies zeigt sich gut am differenzierten

System frühkindlicher Bildung und Betreuung in Luxemburg, welches sehr

unterschiedliche Angebote für die heterogene Bevölkerung Luxemburgs (STATEC 2017)

macht. Diese Angebote werden von Familien individuell genutzt und tagtäglich

unterschiedlich ausgestaltet, sodass eine „Vielfalt betreuter Kindheiten“ (Bollig, Honig

und Nienhaus 2016) entsteht. Betrachtet man dies aus der Perspektive der

Inklusionsforschung, lässt sich Diversität als in Prozesse der Differenzierung verwoben

betrachten, die zu In- oder Exklusion führen können (Merl 2017), dadurch, dass Kinder

vorteilhaft oder nachteilig im Bildungs- und Betreuungssystem positioniert werden, indem

ErzieherInnen oder LehrerInnen ihnen z.B. soziale (In-)Kompetenzen zugeschreiben

(Nienhaus 2018). Vor diesem Hintergrund möchte ich das Thema der Arbeitstagung

anhand von ethnographischem Material zu einer mehrstufigen Gruppenaktivität in einer

luxemburgischen Kindertageseinrichtung in einem Forenbeitrag aufgreifen. Ein Junge, der

unter spezieller Beobachtung durch zwei Erzieherinnen steht, die die Aktivität leiten, wird

über die Dauer der Aktivität hinweg mehrmals ermahnt, es zu unterlassen, während des

kollektiven Spiels eigene „Agenden“ zu setzen. Da der Junge den Ermahnungen der

beiden pädagogischen Fachkräfte wiederholt nicht Folge leistet, wird er phasenweise aus

der mehrstufigen Aktivität ausgeschlossen und anschließend wieder integriert. Dieser

Prozess überlagert sich mit einer verdeckten Zuschreibung von (In-)Kompetenz

hinsichtlich eines spezifischen Verhaltens in Gruppen, welches ich unter Rückgriff auf eine

Studie zur Klassifizierung von abweichendem Verhalten durch pädagogisches Personal in

einer Kindertageseinrichtung (Waksler 1991) analysiere. Indem ich mich darauf

konzentriere, wie der Junge wiederholt aus dem Kinderkollektiv aus- und eingegliedert

wird, kann ich zeigen, wann und unter welchen Bedingungen die Befolgung bzw. der

Widerstand gegenüber Gruppenregeln zu Inklusion bzw. Exklusion führt. Mit dem Fokus

auf diese situative Beobachtung scheint es, als würden normative Festlegungen

ausgeklammert; dennoch und gerade weil ich als Feldforscherin den Jungen auch in

anderen Kontexten begleitet, d.h. sein „Bildungs- und Betreuungsarrangement“ (Bollig,

Honig und Nienhaus 2016) kennengelernt habe, ist mir bewusstgeworden, wie zentral es

ist, wahrgenommene Differenzierungen als solche zu explizieren (Fritzsche und

Tervooren 2012), z.B. anhand des von mir verwendeten Begriffes der verdeckten

Zuschreibung. Vor diesem Hintergrund möchte ich in meinem Beitrag die Frage des

Umgangs mit doppelter Normativität in empirischen Studien diskutieren.

Bettina Reiss-Semmler

Normativität schulischer Inklusion – Ein Blick auf Diskurs und Empirie (Forum

"Zwischen Diskurs und Praxis I")

Bei Inklusion handelt es sich seit jeher um ein hoch normatives Konzept. So war der

normative Anspruch der gleichberechtigten Teilhabe von jungen Menschen mit und ohne

Behinderung (vgl. Schnell 2006), verbunden mit der Hoffnung auf eine insgesamt

gerechtere Gesellschaft, bereits für die Integrationsbewegung der 1970er Jahre der

Antrieb, die bestehenden Strukturen des Schulsystems in Frage zu stellen und auf

Veränderungen hinzuwirken (vgl. hierzu die Beiträge in Müller 2018; Stähling/Wenders

2011). Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wird Inklusion durch die UN-

Behindertenrechtskonvention normativ-politisch (vgl. Cramer/Harant 2014) begründet

und erhält ein dementsprechend hohes moralisches Gewicht.

Wenn ein Diskurs darauf ausgerichtet ist, die pädagogische Praxis auf Grundlage einer

normativ-pädagogischen Reflexion – oder eines Dogmas (vgl. Klemenz/Paschen 2012) –

zu verändern, führt dies fast zwangsläufig zu einer unvollständigen Argumentation (vgl.

Wischer 2009). Die Argumentation eines breit rezipierten Teils des Inklusionsdiskurses

erscheint vor allem im Hinblick auf die unzureichende Berücksichtigung der

gesellschaftlichen Funktionen von Schule unvollständig (vgl. z.B. Budde/Hummrich 2013;

Katzenbach 2012; Wischer 2015). Unvollständig bleibt die Argumentation, da Inklusion

als grundsätzlich pädagogisch lösbare Herausforderung angenommen wird und die – dem

entgegenstehenden – Funktionen von Schule wie Selektion und Allokation ausgeblendet

oder als überwindbar betrachtet werden. Zugleich wird innerhalb des Diskurses Inklusion

als gesellschaftliche Herausforderung nur bedingt reflektiert (Budde/Hummrich 2013;

2015; Feuser 2017).

Hieraus resultiert auch eine besondere Herausforderung für die pädagogische Praxis. Am

Beispiel von sich dezidiert als inklusiv verstehenden Grundschulen wirft der Vortrag einen

Blick auf Parallelen zwischen der Argumentation des Inklusionsdiskurses und inklusiver

Schulentwicklung. Grundlage bilden hierbei sechs Gruppendiskussionen, welche im

Rahmen einer an der Praxeologischen Wissenssoziologie ausgerichteten Dissertation

(Reiss-Semmler 2019) erhoben und mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet

wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass auch an diesen Schulen das Regelschulsystem und

die Norm kognitiver Leistungsfähigkeit als Bezugspunkt implizit bestehen bleiben und es

vor allem zwei Strategien zum Umgang mit der Inklusionsforderung gibt: Zum einen

nehmen Lehrkräfte die eigene Praxis als grundsätzlich inklusiv und gelingend an und

betrachten Inklusion somit als pädagogisch

lösbare Herausforderung; zum anderen weisen Lehrkräfte, die das inklusive Ideal nicht

mit ihrer schulischen Handlungspraxis in Einklang bringen können, Inklusion als

unrealistische Anforderung zurück und delegieren die Verantwortung zur Lösung der

Probleme an Externe. Der Vortrag nimmt in diesem Zusammenhang vor allem die

Bedeutung des hohen moralischen Gewichts der Inklusionsforderung für die schulische

Praxis in den Blick.

Miklas Schulz

Normativität, Normalität und Normalismus. Vorzüge begrifflicher

Differenzierung für die Inklusionsdebatte (Forum „Normativität im Fokus“)

Für eine diversitätssensible (Um-)Gestaltung von Bildungsinstitutionen ist die Frage nach

einer (wünschenswerten) Normativität höchst relevant. Bereits der menschenrechtlich

verbürgte Anspruch von Inklusion legt hiervon Zeugnis ab. Dabei hat die

Normalismusforschung – an die angeknüpft werden soll - schon in Anschluss an die

Arbeiten von Jürgen Link ab Ende der 1990er Jahre darauf verwiesen, dass es

unterschiedliche Normen gibt. Insbesondere die Inklusionsdebatte ist vermutlich gut

beraten, diese analytischen Differenzierungen (weiterhin) ernst zu nehmen und produktiv

mit ihnen zu arbeiten.

In meinem Vortrag möchte ich einen Beitrag zur konzeptionellen Schärfung leisten,

indem ich die Begriffe Norm, Normativität, Normalität und Normalismus unterscheide.

Eine Verhältnisbestimmung kann helfen, deutlicher zu erkennen, worin die

Herausforderungen im Kontext der Inklusion liegen. Schließlich macht es einen

Unterschied, ob von einer normativen oder einer normalistischen Norm die Rede ist.

Während erstere einer sozialen Wirklichkeit vorgängig ist, leitet sich letztere erst aus

einer über Daten konstruierten (Normal-)Verteilung innerhalb eines beobachteten

Zusammenhangs ab.

Insofern es einer Inklusionsforschung um ein geklärtes Verhältnis zu ihren eigenen und

gesellschaftlichen normativen Grundlagen geht, die entsprechend differenziert in

empirischen Studien aufgegriffen werden können und sollen, mag die

Begriffsdifferenzierung vermehrt Berücksichtigung finden. Auf diese Weise können

Verwicklungen von normativen Normen und normalistischen Normen transparent

gemacht werden, was der (selbst-)kritischen Auseinandersetzung gleichfalls förderlich

sein dürfte. Denn Inklusion ist normativ und somit präskriptiv orientiert; gleichwohl gilt

das Phänomen Behinderung (um die sich die Inklusion gegenwärtig überwiegend dreht)

als ein normalistisch orientiertes, und damit dem massenhaft beobachtbaren Verhalten

nachgelagertes, Konzept. Das bedeutet, dass sich bereits in dem Gegenstand der

Inklusionsdebatte sich diese beiden Dimensionen verschränken.

Benedikt Hopmann

Der Capabilities-Ansatz als normativ-theoretische Metrik für Inklusion am

Beispiel der SGB VIII-Reformdebatte (Forum „Normativität im Fokus“)

Vor dem Hintergrund des im Rahmen der SGB VIII-Reform forcierten Vorhabens einer

sog. ‚Inklusiven Lösung‘, welche auf die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe

für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung abzielt, soll in diesem Beitrag

die Frage aufgeworfen werden, was Inklusion im Zuge der Reformdebatte für die Kinder-

und Jugendhilfe mit Blick auf das maßgeblich im Fokus stehende Handlungsfeld der Hilfen

zur Erziehung überhaupt bedeuten kann (dazu Hopmann 2019). Dieser Fragestellung

liegt die Annahme zugrunde, dass nicht nur die Debatte um die ‚Inklusive Lösung‘,

sondern auch der Inklusionsbegriff Normativität zwar in höchstem Maße einzufordern

scheinen, sie dabei jedoch den normativen „Point of Inclusion“ (Ziegler & Clark 2016,

585) nicht selbst herzustellen vermögen.

Die Klärung dessen, dass und inwiefern nun „Inklusion und Exklusion gut oder schlecht

[sind]“ (Felder 2012, 121), verlangt nach dem Entwurf einer gemeinsamen

„informational basis“ (Sen 2000, 56), die über (menschen-)rechtliche

Implementationsfragen hinausreicht – ohne letztere grundsätzlich infrage zu stellen.

Am Beispiel der Hilfen zur Erziehung wird dargelegt, dass und inwiefern sich der

Capabilities- Ansatz nach Nussbaum (2007) als normativer und evaluativer

Bezugsrahmen zur Theoretisierung von Inklusion heranziehen lässt. Die Präferenz für

diesen Ansatz liegt – neben seinem normativen Gehalt – in dessen grundsätzlicher Nähe

zu sonder- und sozialpädagogischen sowie inklusionsbezogenen Fragestellungen

begründet. Es werden zwei analytische Teilperspektiven der capabilities-basierten

Inklusionsperspektive herausgearbeitet. Während die Teilperspektive der substantiellen

Inklusivität auf der Ebene der Handlungen und Daseinsweisen aktuelle Umgangsweisen

fokussiert, zielt die prozedurale Inklusionsperspektive auf der Ebene der Befähigungen

auf Konsequenzen und Zielvorstellungen von Förderungs- und Hilfemaßnahmen.

Gleichwohl stellen die Befähigungen und deren Ermöglichung den maßgeblichen Dreh-

und Angelpunkt der capabilities-basierten Inklusionsperspektive dar. Abschließend sollen

Potentiale und offene Fragen der vorgeschlagenen normativ-theoretischen Metrik für die

Inklusionsforschung diskutiert werden.

Literatur

Felder, F. (2012): Inklusion und Gerechtigkeit. Das Recht behinderter Menschen auf

Teilhabe. Frankfurt: Campus Verlag.

Hopmann, B. (2019): Inklusion in den Hilfen zur Erziehung. Ein capabilities-basierter

Inklusionsansatz. Dissertation. Universität Bielefeld.

Nussbaum, M. C. (2007): Frontiers of Justice: Disability, Nationality, Species

Membership. Cambridge: Harvard University Press.

Sen, A. (2000): Development as freedom. New York: Alfred A. Knopf.

Ziegler, H.; Clark, Z. (2016): Philosophie/Ökonomie: Capability Approach. In: Hedderich,

I. et al. (Hrsg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Verlag

Julius Klinkhardt, S. 580–585.

Anke Redecker

Die Orientierungsfunktion des Normativen. Zur bildungstheoretischen

Grundlegung von Empirie in der Inklusionsforschung (Forum „Theoretische

Fragen“)

Empirische Inklusionsforschung hat sich über grundlegende Begrifflichkeiten wie

„Bildsamkeit“. „Anerkennung“ oder „Förderung“ zu verständigen, um untersuchen zu

können, inwieweit Inklusionspädagogik gelingt. Diese Begrifflichkeiten können insofern

die normative Basis der Empirie ausmachen. Wo z.B. Förderkonzepte geprüft werden, ist

der Begriff der Bildsamkeit vorauszusetzen, um die Aussicht auf Lernfortschritte zu

berücksichtigen. Werden bildungstheoretische Grundbegriffe hier nicht dogmatisch oder

dirigistisch eingesetzt, so können sie als Orientierungsvorstellungen aufgefasst werden,

die weder zu fixen Idealzielen gerinnen noch faktische Untersuchungsergebnisse

entbehrlich machen. Theorie und Empirie haben so die Möglichkeit, als jeweils

dynamische sich an- und miteinander weiterzuentwickeln, indem eine Verständigung

über Grundbegriffe und eine stetige Wachsamkeit in Bezug auf empirische

Errungenschaften aufrechterhalten werden. Auf diese Weise können empirische

Forschungsergebnisse dazu anregen, begriffliche Grundlegungen zu überdenken,

während eine Reflexion über diese Grundlegungen wiederum empirisches Vorgehen

dimensionieren und hinterfragen kann.

So kann auch der Versuch unternommen werden, das oft krisenhafte

Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Empirie, Formalem und Faktischem,

Gefordertem und Getestetem immer wieder neu anforderungsgerecht zu gestalten. In

Inklusionsprozessen kann hier zum Beispiel die Anerkennung des Anderen als zu

bezeigende Achtung und Wertschätzung gefordert und zugleich untersucht werden,

inwiefern reale Anerkennungsverhältnisse im Inklusionskontext vage und ambivalent

bleiben, da die Annäherung an den Anderen und die Abgrenzung von ihm sowie

Befähigung und Bemächtigung einander durchkreuzen und durchdringen. Die realen,

empirisch in den Blick kommenden Ambivalenzen von Anerkennungsverhältnissen

können hierbei immer wieder prüfend zu den Orientierungsvorstellungen der Achtung

und Wertschätzung ins Verhältnis gesetzt werden.

Hinsichtlich der in der Phänomenologie des Fremden betonten unaufhebbaren Andersheit

des Anderen (auch als eines Menschen mit Behinderung) sind ebenfalls empirisch

relevante Szenarien zu berücksichtigen, die die theoretischen Vorgaben immer wieder

durchbrechen und relativieren. So bleibt es erforderlich, die Andersheit des Anderen

durch Kategorisierungen und Schematisierungen zu hintergehen oder zu überwältigen,

um ein je angemessenes Diagnostizieren und Fördern zu ermöglichen. Art und Grad der

Behinderung sind zum Beispiel festzustellen, um bedarfsgerecht ansetzen zu können.

PädagogInnen und ForscherInnen haben jeweils situationsangemessen zu entscheiden,

inwieweit sie in die Andersheit des Anderen eingreifen, um sie transparenter werden zu

lassen und somit der Forschung zugänglich zu machen. So bleibt empirische

Inklusionsforschung auf ein je situationsrelevantes Fallverstehen verwiesen, um mit

hermeneutischem Geschick das konkret zu Untersuchende zu theoretischen

Vorstellungen sinn- und verantwortungsvoll ins Verhältnis zu setzen.

Robert Schneider

Person als Moment der Forschung inklusiver Pädagogik – Normativität und ihr

realistisches Pendant im Anschluss an kritische Anthropologien (Forum

„Theoretische Fragen“)

Sowohl im Kritischen Personalismus1 als auch in der marxistischen Anthropologie2 wird

der Mensch allgemein als eine bestimmte Form des Seins beschrieben, die ihrerseits der

Praxis bedarf, um sich im Werden an Personen zu konkretisieren. Marx schreibt dazu in

einem Brief an Annenkow: „Die soziale Geschichte des Menschen [Gattung, Person als

Begriff] ist stets nur die Geschichte ihrer individuellen Entwicklung“3.

Dabei spielen Vorgänge der Subjektivierung und Objektivierung (Marx) bzw. der

Erhaltung und Entfaltung (Stern), d. h. der kooperativen Produktivität als (natürliche)

Arbeit eine zentrale Rolle. Dies ist im Rahmen einer kritischen Bildungstheorie (z. B.

Heydorn 1970/2004) an die Idee transformativer Bezüge (Dialog) von Person und Welt

anschlussfähig:

„Bildung wird wieder, was sie am Anfang war: Selbsthilfe.4 (…) Bildung intendiert die

umfassende empirische Verwirklichung des Menschen als Gattung, deren Möglichkeiten

sie im Gegenüber erfährt.“5

Teilhabe erweist sich vor diesem Hintergrund als das Bildungsmoment schlechthin –

Bildung als Dialog, der sich ethisch als Prozess charakterisieren lässt „in welchem der

eigene Selbstwert und die Werte der Welt zugleich bejaht“6 werden. Die Gattung Mensch

zeigt sich dann als Person bzw. „unitas multiplex“7; diese seine Auffassung als vielfältige

Einheit und einheitliche Vielheit (d. i. Person) scheint zudem geeignet, um sie zur

Bedingung der Möglichkeit von Dialog und Demokratie zu erheben. Diese Vermutung wird

durch die Analyse des Prozesses der Menschenrechte zusätzlich gestützt8.

Zur inhaltlichen Struktur:

1. Neben einer Einführung in eine derart anthropologisch-ethische Bildungstheorie,

2. erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit den ›Folgen‹ dieser normativen

Bestimmung der Menschheit/des Menschen vor dem Hintergrund inklusiver Pädagogik.

Exemplarisch kann dabei die Dialektik von Autonomie und Partizipation im Rahmen

personaler Praxis diskutiert werden, die schon von ihrer Idee her auf Diversität verweist:

„Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen,

aber dieses auf die merkwürdige Art und Weise, dass keiner dieser Menschen je einem

anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder leben wird.“9

3. Außerdem wird versucht, den Zusammenhang von Normativität und Empirie im

Rahmen dieser anthropologisch-ethischen Theorie exemplarisch anhand der Erforschung

von Gefühlen (als Aspekt von Bildung) zu exemplifizieren.10

Literatur 1 Vgl. William Stern, Ableitung und Grundlehre des Kritischen Personalismus, Leipzig

1923.

2 Vgl. Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (hgg. v. B. Zehnpfennig),

Hamburg 2005

[1844], S. 1–158; vgl. Erich Fromm, Marx’ Concept of Man. New York 1961. 3 Karl Marx, „an P.W. Annenkow“, in: MEW (Bd. 4). Berlin 1990 [1846], S. 547–557,

hier: S. 548 f. 4 Hans-Joachim Heydorn, Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft. Wetzlar

2004 [1970],

S. 289. 5 Ebd., S. 23. 6 William Stern, Wertphilosophie, Leipzig 1924, S. 243. 7 Stern, Ableitung und Grundlehre, S. 163. 8 Vgl. Bodo von Borries, Geschichtslernen und Menschenrechtsbildung. Auswege aus

einem

Missverhältnis? Normative Überlegungen und praktische Beispiele. Schwalbach/Ts 2014. 9 Hannah Arendt, Vita activa. Oder: Vom tätigen Leben. München/Zürich 2014 [1958], S.

17. 10 Siehe dazu: Agnes Heller, Theorie der Gefühle. Hamburg 1981.

Jennifer Lambrecht

Theorie schulischer Inklusion. Vorstellung eines Vorschlags (Forum „Theoretische

Fragen“)

Eine Dekade nach in-Kraft treten der Konvention über die Rechte von Menschen mit

Behinderungen der Vereinten Nationen (UN-BRK), die ein inklusives Schulsystem fordert,

zeigte sich empirisch, dass die Mehrheit der Kinder mit Behinderungen in Deutschland

weiterhin Förderschulen besucht (KMK, 2018). Auf normativer Ebene gibt es zur

Implementation von Inklusion verschiedene Konzepte (z. B. Prengel, 2006; Boban &

Hinz, 2003). Des Weiteren wurden quantitative Forschungsprojekte durchgeführt, die

Erkenntnisse über die Entwicklung der Schulkinder, Lehrpersonen und der Schulen und

Bildungslandschaften lieferten (Preuss-Lausitz, 2014). Jedoch können weder normative

noch empirische Ansätze die Frage klären, warum Inklusion in Deutschland so langsam

voran geht.

Es mangelt an einer Theorie schulischer Inklusion, die erklären kann, was Inklusion im

Sinne der UN-BRK für das deutsche Schulsystem bedeutet und die im Paradigma des

kritischen Rationalismus empirisch überprüfbar ist.

Eine solche Theorie habe ich nach einem Modell theoretisch-empirischer Forschung (in

Anlehnung an Schlömerkemper, 2010) entwickelt. Kern der Theorie schulischer Inklusion,

die basierend auf der Systemtheorie Luhmanns durch rekonstruktive quantitative und

qualitative Forschung spezifiziert wurde, sind fünf Thesen, die sich (gekürzt) wie folgt

darstellen:

1. Verlagerung der Komplexitätsreduktion: Inklusion bedeutet, dass die Handhabung von

Differenzen im Schulsystem kontingent ist, da die primäre Differenzierung an Hand einer

Behinderung wegfällt.

2. Autopoiese der Systeme: Inklusion bedeutet, dass die institutionellen Grenzen der

Systeme „Allgemeines Schulsystem“ und „Sonderschulsystem“ aufgehoben werden. Ein

inklusives Schulsystem entsteht dann, wenn es neue Differenzierungslinien zur

Komplexitätsreduktion nutzt.

3. Komplexitätsreduktion im System in Relation zur Umwelt: Die Entstehung inklusiver

Systeme ist kontingent und vollzieht sich in Relation zur Umwelt des jeweiligen Systems.

Das Inklusionsverständnis der Umwelt steht in Beziehung zum Inklusionsverständnis des

Systems.

4. Rationalität - Differenzierungslinien: Welche Differenzierungslinie in inklusiven

Systemen zur Komplexitätsreduktion genutzt wird, ist kontingent und muss jeweils

empirisch festgestellt und vor dem Hintergrund des Inklusionsverständnisses reflektiert

werden.

5. Systemrationalität(en): Die Bildung inklusiver Systeme ist dann wahrscheinlich, wenn

das allgemeine Schulsystem mit den Erfordernissen der sonderpädagogischen

Förderschwerpunkte übereinstimmt. Diese Passung variiert mit dem jeweiligen

Inklusionsverständnis.

Im Einzelbeitrag werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie mit der Theorie schulischer

Inklusion die Umsetzung von Inklusion beobachtet, analysiert und ggf. korrigiert werden

kann. Dazu wird die Theorie zunächst kurz vorgestellt und anschließend konkrete

Forschungsmöglichkeiten skizziert, an Hand derer die Theorie überprüft und empirische

Forschungsergebnisse eingeordnet werden können.

Literatur

Boban, I. & Hinz, A. (2003). Index für Inklusion. Lernen und Teilhabe in Schulen der

Vielfalt entwickeln. Halle (Saale): Martin-Luther-Universität

KMK (Kultusministerkonferenz der Länder) (2018). Datensammlung Sonderpädagogische

Förderung in allgemeinen Schulen ohne Förderschulen 2017/2018. Verfügbar unter

https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Aus_SoPae_I

nt_2017.xlsx

Prengel, A. (2006). Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in

Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik (3. Aufl.). Wiesbaden: VS

Verlag für Sozialwissenschaften.

Preuss-Lausitz, U. (2014). Wissenschaftliche Begleitungen der Wege zur inklusiven

Schulentwicklung in den Bundesländern. Versuch einer Übersicht. Technische

Universität Berlin. Verfügbar unter http://www.ewi.tu-

berlin.de/fileadmin/i49/dokumente/Preuss-Lausitz/Wiss._Begleitung_Inklusion.pdf

Schlömerkemper, J. (2010). Konzepte pädagogischer Forschung. Eine Einführung in

Hermeneutik und Empirie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Yannick Zobel

Normen gegen Visionen. Wie Autismusratgeber Inklusionsvorstellungen

begrenzen (Forum "Zwischen Diskurs und Praxis I")

In diesem Vortrag zeige ich anhand einer qualitativen Analyse von aktuellen

Schulratgebern zum Thema Autismus wie in Inklusionsdiskursen an der Grenze von

Wissenschaft und Praxis etablierte Normen in Konflikt mit den Visionen für eine andere

Schule treten. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse wie die Entwicklung inklusiver

Schulformen finden nie in einem normfreien Raum statt. Da die Erziehungswissenschaft

diesen Prozess begleitet aber auch gestaltet, kann sie sich nicht auf die Position einer

scheinbar wertfreien Empirie zurückziehen. Mit einer wissenschaftstheoretischen

Einordnung meiner Analyseergebnisse diskutiere ich, wie sich qualitativ-empirische

Forschung zu diesem Normenkonflikt verhalten kann.

Schulratgeber zum Thema Autismus (z.B. Sautter et. al. 2012, Schirmer 2016, Schuster

2016) spiegeln den Konflikt zwischen Normativität und Empirie ganz konkret. In meiner

rekonstruktiven Analyse zeige ich, welche Grundannahmen über Schule, Bildung und

Behinderung das Inklusionsverständnis der Ratgeberliteratur stützen, und wieso sie in

ihrer gewordenen Selbstverständlichkeit nicht unmittelbar als Normen erkennbar sind.

Beispielsweise legt bereits die Publikationsform eine Auffassung von Inklusion nahe, die

sich weiterhin an Förderbedarfs-kategorien orientiert und versucht, Betroffenen durch

kompensatorische Maßnahmen einen Nachteilsausgleich innerhalb der bestehenden

Strukturen zu verschaffen. So werden grundlegende institutionelle Voraussetzungen

verstetigt und bilden innerhalb dieses Diskurses das Fundament, auf dem Inklusion

errichtet werden muss, schließen dadurch aber gleichzeitig andere

Inklusionsvorstellungen aus.

Wenn der Inklusionsforschung im Kontext solcher Systemdiskurse vorgeworfen wird, zu

präskriptiv zu agieren, wird häufig vernachlässigt, dass auch das gegenwärtige

Schulsystem nicht aus neutralen, wertfreien Erwägungen entstanden ist, sondern aus

einem langen historischen Prozess normativ gefärbter Entscheidungen. Dieses Gerüst aus

älteren Überzeugungen ist aber im Laufe der Jahrzehnte zu einer scheinbar

selbstverständlichen Grundfeste des Bildungssystems und damit weitgehend unsichtbar

geworden.

Qualitativ-empirischer Forschung kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es um die

Aushandlung von Normativitäten in aktuellen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen

geht. Am Beispiel meiner Forschung zeige ich, wie es gelingen kann, durch kritische

Rekonstruktion (Hummrich/Kramer 2016) verschüttete Normen aufzudecken und im

Sinne einer Entselbstverständlichung des bestehenden Wissens (Degele 2008) ihre

Notwendigkeit erneut zur Debatte zu stellen. So können neue Ausgangspunkte und

Räume für Alternativen entstehen.

Poster

Bernadette Bernasconi

Didaktisches Handeln und Reflektieren inklusiven Unterrichts

Schulische Inklusion meint das Miteinanderlernen aller Schülerinnen und Schüler und

erfordert eine Orientierung an normativen Leitlinien (Dederich 2013, Prengel 2013, Reich

2017, Textor 2014/2015). Lehrerinnen und Lehrer stoßen in der praktischen Arbeit

allerdings genau hier häufig an ihre Grenzen. Nach Speck-Hamdan (2015) bewegt sich

inklusiver Unterricht zwischen Programmatik und Praxis, zwischen Zugehörigkeit und

indivi-dueller Unterstützung, zwischen Adaptivität und Standardisierung sowie zwischen

Inklusion und Exklusion. Innerhalb dieser Spannungsfelder, die zum Teil auch in

Widerspruch zueinander stehen, haben Lehrerinnen und Lehrer die Aufgabe, professionell

tätig zu sein, Beziehungen aufzubauen und ihren Unterricht didaktisch sinnvoll

aufzubereiten. Es ergibt sich folgende Fragestellung: Welche didaktischen Arrangements

erweisen sich für den inklusiven Unterricht als geeignet und wie werden sie von

Lehrerinnen und Lehrern umgesetzt und reflektiert?

Die qualitative Studie fokussiert durch Unterrichtsbeobachtungen und

Gruppendiskussionen mit Lehrpersonen inklusionserfahrener Schulen didaktisches

Handeln und Reflektieren im Kontext inklusiven Unterrichts. Das Poster stellt

Forschungsdesign und erste Ergebnisse vor.

Literatur

Dederich, M. (2013): Anerkennung. In: Inklusion Lexikon [Online Zugriff unter:

http://www.inklusion-lexikon.de/anerkennung_dederich.php]

Prengel, A. (2013): Inklusive Bildung in der Primarstufe. Eine wissenschaftliche Expertise

des Grundschulverbandes. Frankfurt am Main: Grundschulverband e.V.

Speck-Hamdan, A. (2019): Inklusion: der Anspruch an die Grundschule. In: Blöhmer, D.

et al. (Hrsg.): Perspektiven auf inklusive Bildung. Jahrbuch Grundschulforschung 18,

Wiesbaden: Springer, 13-22

Textor, A. (2015): Einführung in die Inklusionspädagogik. Bad Heilbrunn: UTB

Reich, K. (2017): Inklusive Didaktik. Bausteine für eine inklusive Schule Reihe: Inklusive

Pädagogik. Weinheim/ Basel: Beltz 2014.

Textor, A., Kullmann, H. & Lütje-Klose, B. (2014): Eine Inklusion unterstützende Didaktik

‒ Rekonstruktionen aus der Perspektive inklusionserfahrener Lehrkräfte. Jahrbuch für

Allgemeine Didaktik, 4, 69‒90.

Lisa Effelsberg

Konstruktion des Förderschwerpunkts Emotionale und soziale Entwicklung -

Erwartungsnormen und Urteile von Lehrkräften im Feststellungsprozess des

sonderpädagogischem Förderbedarfs

Eine Grundfrage im Inklusionsdiskurs betrifft den Umgang mit diagnostischen Kategorien.

Seit einigen Jahren ist daher eine Debatte über die Kategorie sonderpädagogischer

Förderbedarf auszumachen. Aus Sicht von KritikerInnen handelt es sich dabei um ein

Konstrukt eines sozialen Systems, der Ausdruck einer subjektiven

Bedeutungszuschreibung ist (Wagner 2016, Katzenbach 2014, Haas 2012, Gomolla und

Radtke 2009, Hinz 2009 u.v.m.).

In der BRD ist seit 2009 ein Anstieg der gesamten sonderpädagogischen Förderquote von

5,3% auf 7,1% zu verzeichnen (Klemm 2015). Im sonderpädagogischen

Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung hat sich die SchülerInnenzahl

dabei mehr als verdoppelt („Etikettierungsschwemme“, Wocken 2017). Als Definitionen

dieses Förderschwerpunkts werden Abweichungen im Verhalten von den

kulturspezifischen Normen beschrieben (Myschker & Stein 2018). Eine Zuweisung von

SchülerInnen zu diesem Förderschwerpunkt wird damit zu einer sozialen Konstruktion,

die beliebig ausgelegt werden kann.

In der Forschungsarbeit soll die Frage nach der Feststellung dieses Förderschwerpunkts

in inklusiven Kontexten auf Basis der soziologischen Perspektiven von Etikettierung

(Goffman, Becker), Stigma (Goffman) und Anerkennung (Honneth) betrachtet werden.

Es sollen lehrerseitige Überzeugungen im Rahmen einer qualitativen Explorationsstudie

anhand von leitfadengestützten Interviews mit Lehrkräften ermittelt werden, die an

inklusiven Primar- und weiterführenden Schulen Kinder mit und ohne

sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichten und sich im Feststellungsprozess des

Förderschwerpunkts Emotionale und soziale Entwicklung befinden. Es sollen folgende

Fragen bearbeitet werden: Auf Basis welcher Erwartungsnormen und Urteile entscheiden

Lehrkräfte, dass ein Kind diesem Förderschwerpunkt zugeordnet werden soll? Aus

welchen Motiven heraus beantragen Lehrkräfte in inklusiv unterrichtenden Schulen

diesen sonderpädagogischen Förderbedarf? Welche Normen und Urteile besitzen

Lehrkräfte in Bezug auf diesen Förderschwerpunkt?

Philipp Hackstein

Normative Motivation für 'beschreibende' Zugänge? Oder: Wieviel Haltung

braucht Inklusionsforschung? - Die Diskursanalyse im Spannungsfeld

In Bezug auf die im Call angesprochenen Brückenschläge zwischen Normativität und

Empirie im Rahmen der Inklusionsforschung möchte mein Posterbeitrag zur Diskussion

einladen. Gerade die wissenssoziologische Diskursanalyse befindet sich mit ihrer

Befragung der wissenschaftlichen Wahrheitsproduktion auf ihre Machtverstrickungen hin

in diesem Spannungsfeld. Hierfür möchte ich ein Modell vorschlagen, das es

gewährleistet, dem radikal-emanzipatorischen Anliegen der Inklusion gerade durch

empirische Forschung treu zu bleiben. Grundlage dafür ist eine Forschungshaltung, die

die Realisierungen der eigenen Fortschrittsgedanken stets problematisiert.

Anne Köhler

Partizipation im inklusiven Sportunterricht

Problemstellung und Fragestellung:

Im Zuge des bildungspolitisch hoch aktuellen Themas der Inklusion wird Partizipation auf

allen gesellschaftlichen Ebenen gefordert (UN, 2006; DVS, 2015). Auf der konkreten

Ebene der Rahmenvorgaben für den Schulsport in NRW ist Partizipation ein

Gestaltungsprinzip für den Unterricht. Hier bedeutet Partizipation „…gemeinsame

Vereinbarungen zu treffen und Heranwachsende zunehmend selbst- und mitbestimmt an

der Planung, Durchführung und Auswertung der Lerngelegenheiten zu beteiligen.“

(MSWNRW, 2014, S. 15). Die Fragestellung lautet:

• Wie und wo wird im inklusiven Sportunterricht Partizipation durch die Sportlehrkraft

und durch die Schüler*innen hergestellt?

Forschungsmethodisches Vorgehen:

Partizipation im inklusiven Sportunterricht und insbesondere die Frage nach dem Wie

wird mittels qualitativer Methoden erhoben. Im Sinne einer ethnographischen

Forschungsstrategie wird die Datenerhebung mit teilnehmender Beobachtung oder mit

Videographie durchgeführt.

Der Begriff der Inklusion ist bildungspolitisch und auch gesellschaftlich per se normativ

geladen, da er in gewisser Weise vorschreibt, wie einzelne Gesellschaftsmitglieder und

ganze Systeme handeln sollen. Somit zeigt sich Normativität auch in der eigenen

Forschung bei der Konstitution des Gegenstandes der Partizipation als mögliche

Gelingensdimension von Inklusion. Im Rahmen des forschungsmethodischen Vorgehens

zeigt ein deduktives Verfahren, bei dem theoriegeleitet ein Kategoriensystem für einen

möglichen Beobachtungsleitfaden erstellt wird, das hier der Versuch einer

Operationalisierung normative An-nahmen offen legt. Eine Auswertung der Daten mit

einem induktiven Vorgehen insbesondere mit einer ethnographischen

Forschungsstrategie, kann an dieser Stelle zu einer Reduktion von Normativität

beitragen. Im Rahmen des eigenen Forschungsprozesses gilt es an den jeweiligen Stellen

normative Implikationen zu erkennen und zu reflektieren, um ei-ne eindimensionale

Betrachtung zu vermeiden.

Literatur

Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft. "Inklusion und Sportwissenschaft".

Positionspapier der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Zugriff unter

https://www.sportwissenschaft.de/fileadmin/pdf/download/dvs_Inklusion-und-

Sportwissenschaft_2015.pdf

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (2014).

Rahmenvorgaben für den Schulsport in Nordrhein-Westfalen. Zugriff unter

http://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/HS/sp/Rahmenvorgab

en_Schulsport_Endfassung.pdf

UN [United Nations]. United Nations Convention on the Rights of Persons with

Disabilities. Zugriff unter https://www.institut-fuer-

menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-

Dateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_en.pdf

Kathrin Lemmer

Kooperationspraktiken und -vorstellungen von Lehrkräften und angehenden

Lehrkräften in inklusionsorientierten Schulen

Dieses Poster präsentiert die Ergebnisse aus der Studie „Unterstützung von Lehrpersonen

im Kontext inklusiver Lehr-Lernprozesse“ (UNIP). Unter Anwendung qualitativ-

rekonstruktiver Forschungsstrategien fragt diese Studie schulethnographisch nach

Unterstützungsadressierungen im Kontext kooperativer Prozesse an baden-

württembergischen Gemeinschaftsschulen. Mittels Interviews mit Regel- und

Sonderpädagog*innen sowie Gruppendiskussionen mit angehenden Regelschullehrkräften

werden Kooperations- und Unterstützungspraktiken rekonstruiert und hieraus

Professionsspezifika sowie „Kontextrelationen“ (Weiß 2016, 292) ermittelt (vgl. Köpfer

2018; Lemmer 2018). Die Auswertung erfolgt auf Basis der konstruktivistischen

Grounded Theory Methodology (Charmaz 2014). In theoretischer Hinsicht wird der Studie

ein relationales Handlungsmodell zugrunde gelegt, das davon ausgeht, dass in der

schulischen Handlungspraxis unter entsprechenden (materialisierten)

Rahmenbedingungen Kooperation prozessiert wird und hierin (sonder-)pädagogische

Expertise und Unterstützung relevant/irrelevant gemacht bzw. konstruiert werden. Das

auf dem Poster dargestellte Projekt „UNIP – Unterstützung von Lehrpersonen im Kontext

inklusiver Lehr-Lernprozesse“ wurde im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an

der Universität Freiburg und Pädagogischen Hochschule Freiburg entwickelt und

durchgeführt.

Literatur

Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. 2nd Edition. London: SAGE

Publications.

Köpfer, A. (2018) Die Konstruktion von Kooperation und Unterstützung in

multiprofessionellen Settings - Annäherungen an die Relation von Kooperation, Raum

und Expertise. In A. Langner (Hg.). Inklusion im Dialog: Fachdidaktik -

Erziehungswissenschaft - Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Lemmer, K. (2018). Kooperationsvorstellungen und -erfahrungen angehender Lehrkräfte

in Bezug auf schulische Inklusion. Zeitschrift Für Inklusion, (4). Abgerufen von

https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online/article/view/486

Weiß, A. (2017): Soziologie globaler Ungleichheiten. Frankfurt am Main: suhrkamp

wissenschaft.

Katharina Maria Pongratz

„Das wollte ich schon immer einmal machen“. Eine qualitative Studie zu Bildung

und Teilhabe am Beispiel des Schriftspracherwerbkurses der Otto-von-Guericke

Universität für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung.

Der Kurs Schriftspracherwerb fu r Menschen mit einer geistigen Behinderung wird seit

dem Wintersemester 2017 an der Otto-von-Guericke Universität vom Lehrstuhl fur

Soziale Integration und Berufliche Rehabilitation – Benachteiligtenförderung fu r

Mitarbeiter:innen der Werksta tten fu r behinderte Menschen der Pfeifferschen Stiftungen

entwickelt und angeboten. Aktuell werden zwei Kurse angeboten. Dieses

Weiterbildungsangebot der Universität dient sowohl als Seminarangebot fu r die

Student:innen des Masterstudienganges Bildungs- wissenschaften, Integrative und

Inklusive Bildung als auch Menschen mit einer geistigen Behinderung. Es werden den

Teilnehmer:innen der WfbM Grundkenntnisse vermittelt, damit diese noch besser Lesen

und Schreiben lernen, und den Student:innen theoretische und praktische Grundlagen

der Lehre im Kontext Behinderung vermittelt. Die Projektleitung liegt bei Dr. Marion

Schulze.

Grundlage des Konzepts Schriftspracherwerb fu r erwachsene Menschen mit einer

geistigen Behinderung bildet die Ta tigkeitstheorie fu r das lesen, schreiben, und rechnen

lernen nach Manske (1999). Die individuelle Gestaltung des Konzeptes fu r die KTN erfolgt

in qualitativen Spru ngen nach Vygotskijs „Zone der nächsten Entwicklung“. Als

unterstützende Materialien werden Montessori und angemessene, teils individuell von den

Student:innen entwickelte Materialien eingesetzt. Die Dokumentation erfolgt durch

teilnehmende Beobachtung, biografische Interviews, individuelle Lernkarteien und

Fotodokumentation. Die Forschungsfrage der hier vorgestellten Masterarbeit lautet:

Welche Bildungsorientierungen lassen sich bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen

Behinderung rekonstruieren? Hierfür werden drei biografische Interviews in Anlehnung an

Demmer (2014) ausgewa hlt und auszugsweise transkribiert. Die Auswertung erfolgt

mittels der Dokumentarischen Methode in der Erwachsenenbildung (Schäffer 2012, 198).

Literatur

Chaiklin, Seth. (2010): Die Zone der nächsten Entwicklung. In: Kaiser, Astrid; Schmetz,

Ditmar; Wachtel, Peter; Werner, Birgit (Hrsg.): Behinderung, Bildung, Partizipation.

Enzyklopädisches Handbuch der Behindertenpädagogik. Band 3. Bildung und

Erziehung. Stuttgart: W. Kohlhammer. S. 78-87.

Demmer, Christine (2014) , Working Paper Reihe der Universität Siegen, Autobiografisch

narrative Interviews -(k)ein Erhebungsformat fu r Menschen mit kognitiver

Beeinträchtigung? (S. 1-21)

Heyl, Vera/Seifried, Stefanie (2014): „Inklusion? Da ist ja sowieso jeder dafür!?“

Einstellungsforschung zu Inklusion. In: Trumpa, Silke/Seifried, Stefanie/Franz,

Eva/Klauß, Theo [Hrsg.]: Inklusive Bildung: Erkenntnisse und Konzepte aus

Fachdidaktik und Sonderpädagogik. Beltz Juventa. Weinheim und Basel. S 47-60.

Jantzen, Wolfgang (2002): Materialistische Behindertenpädagogik als basale und

allgemeine Pädagogik. In: A Bernard, A Kra mer, F Riess (Hrsg.): Kritische

Erziehungswissenschaft und Bildungsreform. Programmatik – Brüche – Neuansätze.

(Bd. 1, S. 104–125) Mann, Iris (1999), Lernen konnen ja alle Leute (1. Auflage S. 1-

202).

Daniel Roos

Basierend auf dem im IBEB der Hochschule Koblenz entwickelten Ansatz

Qualitätsentwicklung im Diskurs, wird derzeit ein Forschungsprojekt durchgeführt, das

die Weiterentwicklung des Ansatzes in den Bereichen Vielfalt und Inklusion in

Kindertagesstätten thematisiert.

Inklusion ist ein schillernder Begriff in der Kitalandschaft. In der Fachpraxis führt dies oft

zu vagen und divergenten Vorstellungen darüber, was Inklusion bedeutet und wie diese

in der Kindertagesbetreuung ausgestaltet werden kann. Dem Projekt liegt ein

Inklusionsverständnis zugrunde, das unterschiedliche Heterogenitätsdimensionen und

divergente Gruppenzugehörigkeiten berücksichtigt.

Kindertagesstätten sind Orte, an denen sich Heterogenität manifestiert (vgl. Herrmann et

al. 2018: 5). Es stellt sich die Frage, wie Fachkräfte mit diesen Erscheinungsformen von

Vielfalt umgehen und was sie befähigt, sensibel damit umzugehen. Die Forschungsfrage

lautet: Welche Faktoren sind in Bezug auf die Umsetzung einer inklusiven/

vielfaltssensiblen Pädagogik im Praxisfeld rheinland-pfälzischer Kindertagesstätten als

handlungsleitend zu identifizieren?

Ziele des Forschungsprojektes:

Erkenntnisgewinn zum Inklusionsverständnis unterschiedlicher Akteure aus dem Feld der

Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz

Wahrnehmung von für das Praxisfeld relevanten Problemstellungen und Bedarfen bzgl.

der Umsetzung von Inklusion in Kindertagesstätten

Im Forschungsprojekt wurden bislang schriftliche Datenquellen (Trägerkonzepte) und

Expert*inneninterviews mit unterschiedlichen Akteuren aus der rheinland-pfälzischen

Kitalandschaft genutzt. Die Auswertung fand auf der Basis inhaltsanalytischer Verfahren

statt (vgl. Gläser/ Laudel 2010: 203ff.). Orientiert an der Forschungsfrage wurde das

Ablaufschema angepasst.

In den Ergebnissen finden sich Hinweise, dass die Perspektive auf Inklusion primär von

der jeweiligen Position des einzelnen Akteurs abhängt. Darüber hinaus zeigt sich in der

Dokumentenanalyse, dass die Handlungsebene als eine von sieben Ebenen nur marginal

gefüllt ist und kaum konkrete Vorstellungen über deren Ausgestaltung bestehen.

Literatur

Gläser, J., Laudel, G. (2010). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als

Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 4. Auflage. Wiesbaden: Springer

Fachmedien GmbH.

Herrmann, K., Sauerhering, M., Völker, S. (2018). nifbe-Beiträge zur Professionalisierung

Nr. 7. Vielfalt leben und erleben! Chancen und Herausforderungen der Heterogenität.

Niedersächsisches Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe).

Osnabrück.

Nadine Schallenkammer, Felix Buchhaupt

Metavorhaben „Qualifizierung für inklusive Bildung“ (MQInkBi)

Zur Förderung inklusiver Bildung hat das BMBF 2016 die Förderrichtlinie „Qualifizierung

der pädagogischen Fachkräfte für inklusive Bildung“ ausgeschrieben. Ziel ist es, die

Qualifizierung der pädagogischen Fachkräfte in allen Bildungsbereichen besser auf

inklusive Lehr-Lernprozesse auszurichten. In der Förderrichtlinie werden 39

Forschungsprojekte bundesweit gefördert. Das zugehörige Metavorhaben (MQInkBi)

unterstützt eine Vernetzung der geförderten Forschungsvorhaben und den

Wissenstransfer in die Praxis. Damit soll neben einem kontinuierlichen Austausch

zwischen den Forschungsprojekten auch ein schneller und nachhaltiger Transfer

relevanter Wissensbestände in die Bildungspraxis, in die Ausbildung von pädagogischen

Fachkräften, in die Politik und in die Öffentlichkeit befördert werden.

Vom Metavorhaben werden verschiedene Maßnahmen durchgeführt und sollen auf einem

Poster in Kürze beschrieben und dargestellt werden:

• Beobachtung der Ergebnisse und Entwicklungen in der Förderlinie mit dem Ziel

einer Zusammenführung der dort gewonnenen Erkenntnisse in eine

Forschungssynthese.

• Vernetzung der Projekte untereinander durch unterschiedliche Tagungsformate.

• Bereitstellung einer Website, Einrichtung eines Newsletters und Aufbau einer

Online-Zeitschrift.

Maximilian Seidler

Körperbasierte Zugänge in einem inklusiv naturwissenschaftlich-technischen

Sachunterricht

Ausgehend von einem weiten Inklusionsverständnis, versteht sich Inklusion als Theorie

einer heterogenen Gruppe, in der es zu keiner Klassifizierung bzw. Stigmatisierung von

Personen kommt und Heterogenität als Grundprinzip angesehen wird. Für den

schulischen Kontext bedeutet diese Zielvorstellung, dass Barrieren abgebaut und eine

Teilhabe aller Schüler*innen ermöglicht wird (vgl. Boban/Hinz 2009, S. 32f.). Diesem

Anspruch wird man im deutschen Schulsystem nur teilweise gerecht (vgl. Löser/Werning

2015, S. 20). Insbesondere das Grundschulfach Sachunterricht ist laut Hinz (2011) für

eine inklusionsdidaktische Auslegung und gelebte Inklusion prädestiniert (vgl. Hinz 2011,

S. 35). Gleichzeitig spiegelt sich diese Sichtweise nur geringfügig in der Empirie wider,

weshalb wir im Bereich des inklusiven Sachunterrichts ein Forschungsdesiderat

wiederfinden (vgl. Lange-Schubert/Tretter 2017a, S. 287; Schroeder 2014, S. 291). In

den wenigen Forschungsergebnissen zum inklusiven Sachunterricht werden

körperbasierten Zugängen eine große Bedeutsamkeit beigemessen (vgl. Kaiser/Seitz

2017, S. 13; Lange- Schubert/Tretter 2017b, S. 240). Gleichzeitig fehlen dazu genügend

ausgearbeitete Konzepte, welche die Bedeutsamkeit bestätigen oder evaluieren (vgl.

Kaiser/Seitz 2017, S. 21). Somit lässt sich in diesem Bereich ein weiteres

Forschungsdesiderat vermerken (vgl. Lange-Schubert/Tretter 2017a, S. 287), welches zu

meinem Forschungsvorhaben führt. Ziel soll sein, eine inklusive Lernumgebung mit

körperbasierten Zugängen für den naturwissenschaftlich-technischen Sachunterricht zu

entwickeln. Auf Grundlage der normativen UN-BRK und Salamanca Erklärung soll ein

empirischer Beitrag geleistet werden, welcher aufzeigt, dass körperbasierte

Zugangsweisen Conceptual Change Prozesse für alle Schüler*innen fördern. Als

Forschungsmethode kommt der Design-Based-Research Ansatz in Frage, welcher eine

Forschung in realen Situationen ermöglicht und somit eine Kooperation zwischen

Wissenschaft und Praxis leistet (vgl. Reinmann 2005, S. 59- 61).

Literatur

Boban, Ines; Hinz, Andreas (2009): Integration und Inklusion als Leitbegriffe der

schulischen Sonderpädagogik. In: Günther Opp und Georg Theunissen (Hg.):

Handbuch schulische Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB, S. 29–35.

Hinz, Andreas (2011): Inklusive Pädagogik - Vision und konkretes Handlungsprogramm

für den Sachunterricht? In: Hartmut Giest, Astrid Kaiser und Claudia Schomaker

(Hg.): Sachunterricht - auf dem Weg zur Inklusion. Bad Heilbrunn: Verlag Julius

Klinkhardt, S. 23–38.

Kaiser, Astrid; Seitz, Simone (2017): Inklusiver Sachunterricht. Theorie und Praxis.

Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Lange-Schubert, Kim; Tretter, Tobias (2017a): Inklusives Lernen im

naturwissenschaftlichen Sachunterricht. Vom guten Unterricht in heterogenen

Lerngruppen. In: Frank Hellmich und Eva Blumberg (Hg.): Inklusiver Unterricht in der

Grundschule. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, S. 268–293.

Lange-Schubert, Kim; Tretter, Tobias (2017b): Inklusives Lernen im Sachunterricht. In:

Andreas Hartinger und Kim Lange-Schubert (Hg.): Sachunterricht. Didaktik für die

Grundschule. 4. Auflage. Berlin: Cornelsen, S. 235–256.

Löser, Jessica M.; Werning, Rolf (2015): Inklusion – allgegenwärtig, kontrovers, diffus?.

Erziehungswissenschaft. Nr. 51, 26/2015, S. 17-24.

Reinmann, Gabi (2005): Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den Design-Based

Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung. In: Zeitschrift für Lernforschung 33 (1),

S. 52–69.

Schroeder, René (2014): Inklusiver Sachunterricht in der Grundschule - Konzeption und

Befunde zur Unterrichtspraxis. In: Michael Lichtblau, Daniel Blömer, Ann-Kathrin

Jüttner, Katja Koch, Michaela Krüger und Rolf Werning (Hg.): Forschung zu inklusiver

Bildung. Gemeinsam anders lehren und lernen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 289–

304.

Michaela Sindermann, Andreas Brenne

Normative Orientierungen im Hinblick auf eine inklusive Kunstpädagogik: Zum

Verhältnis von theoretischem Anspruch und empirischer Wirklichkeit

Zwar verbindet sich die menschenrechtliche Forderung der Inklusion nicht mit einem

politischen Auftrag, jedoch ist die Kunstpädagogik herausgefordert, die

programmatischen und ethischen Implikationen theoretisch und empirisch zu reflektieren

(vgl. Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, 2017, S. 4). Dieser Beitrag

adressiert daher die Frage, wie sich ein gerechtigkeitstheoretischer Bezugsrahmen einer

inklusiven Kunstpädagogik definieren lässt. In Bezug gesetzt werden theoretische

Ausgangspunkte mit empirisch analysierten Gerechtigkeitsvorstellungen über inklusive

Kunstpädagogik. Es werden Ergebnisse zum Verhältnis von gerechtigkeitstheoretischen

Annahmen und empirischen Befunden vorgestellt.

In einem ersten Schritt wird dazu in diesem Beitrag ein Begriffsverständnis inklusiver

Pädagogik weiterentwickelt, welches auf dem Feld der Kunstpädagogik wirksam wird.

Basis ist ein gerechtigkeitstheoretischer Orientierungsrahmen, der die Diskurse der

Bildungsungleichheit und der Bildungsungerechtigkeit aufeinander bezieht und sich im

Prinzip der Teilhabegerechtigkeit verdichtet (Sindermann, 2018). Dies erweist sich als

fruchtbar, wenn es nicht um die Verteilung von Ressourcen, sondern um die Entwicklung

von Potenzialen geht. Hieran wird in diesem Beitrag in einem zweiten Schritt angeknüpft,

indem die Genese und Manifestation inklusionsbezogener Gerechtigkeitsvorstellungen

angehender Kunstlehrer*innen mittels Grounded Theory exploriert werden.

Datengrundlage sind 23 problemzentrierte Interviews mit starken narrativen Anteilen.

Die Befunde werden mit den gerechtigkeitstheoretischen Ausgangspunkten ins Verhältnis

gesetzt, um ein realistisches Bild der theoretischen Ansprüche und empirischen

Realitäten nachzuzeichnen.

Aus den Analysen sind Impulse für die Weiterentwicklung einer inklusiven

Kunstpädagogik, vor allem aber für die akademische Lehrer*innenbildung abzuleiten. Die

vorgestellten Befunde stehen symbolisch für den Professionalisierungsbedarf und weisen

auf die Nicht-Technologisierbarkeit einer inklusiven (Kunst-)Pädagogik hin.

Literatur

Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. (2017). Inklusion: Bedeutung und

Aufgabe für die Erziehungswissenschaft. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft

für Erziehungswissenschaft (DGfE), Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft.

Zugriff am 24.12.2018. Verfügbar unter

https://www.dgfe.de/fileadmin/OrdnerRedakteure/Stellungnahmen/2017.01_Inklusion_S

tellungnahme.pdf

Sindermann, M. (2018). Inklusive Kunstpädagogik – potenzial- und differenzaffin.

Zeitschrift für Inklusion online.(1) Zugriff am 02.01.2019. Zugriff am 28.12.2018.

Verfügbar unter https://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-

online/article/view/428

Sarah Aileen Söhnen

InkluKiT - Inklusionskompetenz in Kita-Teams. Entwicklung, Erprobung und

empirische Absicherung eines Curriculums für die Weiterbil-dung von Kita-

Teams für die pädagogische Arbeit im Kontext von Inklusion.

Projektleitung Freiburg:

Prof. Dr. Dörte Weltzien

Zentrum für Kinder- und Jugendforschung im Forschungsverbund FIVE e.V.

Evangelische Hochschule Freiburg I Bugginger Str. 38 I 79114 Freiburg

E-Mail: [email protected]

Mitarbeitende: Sabrina Döther, Christina Bücklein, Sarah Aileen Söhnen

Projektleitung Paderborn:

Prof. Dr. Timm Albers

Institut für Erziehungswissenschaft I Wartburger Straße 100 I 33098 Paderborn

E-Mail: [email protected]

Mitarbeitende: Caroline Ali-Tani

Geplante Teilnahme an der Arbeitstagung: Sarah Aileen Söhnen (M.Sc. Psych.),

Zuständig-keit im Projekt: quantitative Methoden, Datenanalyse, Datenmanagement

Projektträger: BMBF (Förderkennzeichen: 01NV1707B)

Laufzeit: Oktober 2017-September 2020

Projektziele:

Inklusive Pädagogik und die Umsetzung entsprechender Konzepte durch qualifizierte

pädagogische Fachkräfte ist seit Inkrafttreten der UN Behindertenrechtskonvention in

Deutschland im Jahre 2009 auch in Kindertageseinrichtungen eine bindende

Verpflichtung. Demgegenüber stellt sich die Praxis in Deutschland sehr heterogen dar: In

einigen Bundesländern gelten integrativ arbeitende Kitas als Standard, in anderen

bestehen viele Formen von Sondereinrichtungen. Ebenso heterogen sind

bildungspolitische Vorgaben und Qualifizierungsstrategien (Heimlich, 2013; Albers,

2011).

Demgegenüber existieren jedoch wenige empirische Ergebnisse zur Praxis der Inklusion

von Kindern mit (drohenden) Behinderungen oder von Kindern, die durch andere

Merkmale von Exklusion bedroht sind. Ebenso wenig gibt es empirisches Material zu

Realisierung und Entwicklung von Kompetenzen der pädagogischen Fachkräfte, um eine

wirkungsvolle inklusive pädagogische Praxis im Sinne der betroffenen Kinder und ihrer

Familien entfalten zu können (Albers & Lichtblau, 2014; Seitz, Finnern, Korff & Thim,

2013).

Das Projekt „InkluKiT“ möchte diese Lücke schließen, indem die gegenwärtige Praxis

inklusiven Handelns auf Ebene einzelner Fachkräfte wie der jeweiligen Teams in

Kindertageseinrichtungen untersucht wird. Auf dieser empirischen Grundlage sollen

Kompetenzen für gute, gelingende pädagogische Praxis auf Fachkraft- und Teamebene

beschrieben werden, die dann in ein Weiterbildungskonzept für Kitateams (Curriculum)

münden. Das auf diese Weise empirisch begründete Curriculum wird exemplarisch an 12

Piloteinrichtungen in zwei Bundesländern (Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen)

erprobt und evaluiert. Ziel des Vorhabens ist es, ein empirisch begründetes, erprobtes

und evaluiertes Curriculum für die Weiterbildung von gesamten Kita Teams im Sinne der

Entwicklung zur inklusiven Kindertageseinrichtung in ganz Deutschland zur Verfügung

stellen zu können.

Inhalte der Posterpräsentation:

Die Hintergründe der Projektidee und die Ziele werden skizziert, das Forschungsdesign

und im Besondern die prozessbegleitende Vorgehensweise hinsichtlich der Entwicklung

eines Curriculums zur Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte im Kontext von

Inklusion, werden dargestellt. Darüber hinaus werden Einblicke in den aktuellen

Projektstand gewährt.

Erste Ergebnisse liegen bereits vor, beziehen sich jedoch primär auf eine Ist-Stands-

Analyse und Item-Skalen-Analysen zur Entwicklung von Erhebungsinstrumenten, weshalb

auf diese zum jetzigen Zeitpunkt lediglich kurz verwiesen wird (bisherige

Veröffentlichungen).