Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische ... · Dr.Sven Baszio leitet das Referat...

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Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen Diskussionspapier der Alexander von Humboldt-Stiftung 10/2007 Jean-Paul-Straße 12 . D-53173 Bonn · Tel: +49(0) 228/833-0 . Fax: +49 (0) 228/833-199 E-Mail: [email protected] . Internet: www.humboldt-foundation.de

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Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen Diskussionspapier der Alexander von Humboldt-Stiftung 10/2007

Jean-Paul-Straße 12 . D-53173 Bonn · Tel: +49(0) 228/833-0 . Fax: +49 (0) 228/833-199 E-Mail: [email protected] . Internet: www.humboldt-foundation.de

Kolloquien der Alexander von Humboldt-Stiftung

Die Förderphilosophie der Alexander von Humboldt-Stiftung ist auf Einzelpersonen ausgerichtet. Die exzellente Forscherin, der exzellente Forscher steht im Mittelpunkt aller Förderaktivitäten. Dieses Konzept der Personenförderung mag in einer internationalen Wissenschaftslandschaft, die primär auf die Förderung von Projekten, oftmals auch unter Berücksichtigung aktuell besonders interessanter Fachrichtungen, ausgerichtet ist, zunächst ungewöhnlich erscheinen. Die meisten Projekte enden nach wenigen Jahren. Und damit auch die – oft rein materielle – Beziehung zwischen Gefördertem und Förderer. Die Humboldt-Stiftung begleitet hingegen die einmal von ihr unter hohen Qualitätsanforderungen ausgewählten Wissenschaftler ein Leben lang. Das Ergebnis von über fünf Jahrzehnten personenzentrierter Förderung und Betreuung exzellenter Wissenschaftler aus allen Ländern und allen Fächern kann sich sehen lassen: Über 22.000 Wissenschaftler, die nach ihrem Forschungsaufenthalt in Deutschland wieder ins Ausland zurückgekehrt sind, nehmen in über 130 Ländern der Welt in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft wichtige Positionen ein und bilden ein aktives, weltumspannendes Elitenetzwerk. Mit einer breiten Palette an Förderangeboten hält die Alexander von Humboldt-Stiftung den Kontakt zu ihren Alumni – den Humboldtianern – lebenslang. In 65 Ländern wurden von Humboldtianern über 120 Humboldt-Vereinigungen gegründet. So treffen sich fachübergreifend die Spitzenwissenschaftler eines Landes, um über aktuelle Themen zu diskutieren. Verbindendes Element ist die Forschungserfahrung in Deutschland. Das weltumspannende und stets wachsende Netzwerk von Humboldtianern ist weit mehr als eine Plattform für internationale Wissenschaftler zur Kontaktaufnahme mit Fachkollegen aus aller Welt. Vielmehr hat die Humboldt-Stiftung Zugang zu einem großen Pool an hoch qualifizierten Personen in Schlüsselpositionen weltweit. Diese können wissenschaftliche und politische Entwicklungen in ihren Ländern "von innen heraus" kommentieren und erläutern. Zusätzlich – und das ist entscheidend – setzen sie ihre Erläuterungen vor den Hintergrund eines langfristigen Deutschlandaufenthaltes, können also die Besonderheiten ihres Landes teilweise "durch die deutsche Brille" beschreiben. Um dieses Potential zu heben, veranstaltet die Alexander von Humboldt-Stiftung regelmäßig Kolloquien im Ausland, zu denen alle Humboldtianer eines Landes eingeladen werden. Ziel dieser Veranstaltungen ist es, die Humboldtianer in ihrem Heimatland zu vernetzen, ihren Kontakt mit der Humboldt-Stiftung aufzufrischen und der deutschen Delegation – hochrangigen Vertretern aus Wissenschaft und Politik – länderspezifische Erkenntnisse zu ermöglichen.

Die Diskussionspapiere der Alexander von Humboldt-Stiftung erscheinen mehrmals im Jahr zu unterschied-lichen Themen. Sie sollen die Ergebnisse der Arbeit der Stiftung und ihres weltweiten Humboldt-Netzwerkstransparent machen und Impulse geben f¿r die auÇenkulturpolitische und forschungspolitische Diskussion. Die Beitrªge geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder.

Inhalt

Vorwort

Das Humboldt-Kolloquium in Helsinki – ein Überblick Dr. Sven Baszio ................................................. 3

Analysen

Innovationssysteme im globalen Wettbewerb –europäische Modelle und ReflektionenProf. Dr. Wolfgang Frühwald .............................. 5

Finnische HochschulpolitikProf. Dr. Tapio Varis ........................................... 9

Unternehmensgründungen aus Hochschulen – Erfahrungen aus 15 Jahren Gründungs-förderung an der Ruhr-UniversitätDr. Karl Grosse .................................................. 10

Internationalisierung der öffentlich finanziertenWissenschaftDr. Jakob Edler .................................................. 13

Deutsche Universitäten im Umbruch – Neuere EntwicklungenDr. Josef Lange .................................................. 18

Erfahrungsberichte

Anmerkungen zum Humboldt-Kolloquium und Eindrücke aus der Fachgruppe Germanistik, Sprach- und Literatur-wissenschaften Prof. Dr. Waltraud Wiethölter .............................. 25

Eindrücke aus der Fachgruppe Theologie, Philosophie und SozialwissenschaftenProf. Dr. Christoph Horn .................................... 27

Eindrücke aus der Fachgruppe Geschichte und Rechtswissenschaften Prof. Dr. Norbert Frei .......................................... 29

Erfahrungsbericht über den Hochschulbesuch in Kupio und aus der Fachgruppe Chemie, Biowissenschaften, MedizinProf. Dr. Thomas C. G. Bosch ............................ 31

Eindrücke vom Humboldt-Kolloquium und Erfahrungen aus der Fachgruppe PhysikProf. Dr. Ulrich Schollwöck ................................. 33

Erfahrungsbericht über den Hochschulbesuch in Espoo und aus der Fachgruppe Mathematik und Ingenieurwissenschaften Prof. Dr. Ursula Hamenstädt .............................. 35

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 1

Vorwort

Das Humboldt-Kolloquium in Helsinki – ein Überblick

von Sven Baszio

Seit ihrer Wiedererrichtung 1953 förderte die Hum-boldt-Stiftung insgesamt 179 Stipendiaten ausFinnland. In den 60er Jahren wurden 11 Stipendia-ten gefördert, in beiden folgenden Dekaden stiegdiese Zahl jeweils auf ca. 50 Stipendiaten an. Nacheinem leichten Rückgang in den 90er Jahrenhaben die Förderzahlen im Zeitraum von 2000 bis2006 einen niedrigen Stand von insgesamt 14 Sti-pendiaten angenommen. Bisher wurden insgesamt8 Preisträger aus Finnland ausgezeichnet. Seit1980 haben ebenfalls 8 deutsche Nachwuchswis-senschaftler im Rahmen des Feodor Lynen-Pro-gramms ihren Forschungsaufenthalt bei finnischenHumboldtianern verbracht.

Besuche an Universitäten in Helsinki, Espoo undKuopio sowie in der finnischen Akademie undTEKES, der größten Förderorganisation für For-schung und Entwicklung Finnlands, boten der deut-schen Delegation Gelegenheit, die finnische For-schungslandschaft exemplarisch kennen zu lernenund Kontakte mit Wissenschaftlern aus Finnlandund den baltischen Ländern zu knüpfen. Finnlandgilt als Musterbeispiel für das erfolgreiche Zu-sammenspiel zwischen Wirtschaft und angewand-ter Forschung. Welches Erfolgsgeheimnis steckthinter dem finnischen Erfolg?

Ein allgemeiner Eindruck, der sich auch in denErfahrungsberichten von Mitgliedern der deutschenDelegation widerspiegelt, ist die starke Spezialisie-rung naturwissenschaftlicher Fakultäten an finni-schen Universitäten. Häufig forscht man in kleinenArbeitsgruppen an klar umgrenzten Fragestellun-gen, fast ausschließlich mit einem starken Anwen-dungsbezug. Ein offenes Bekenntnis zur Grundla-genforschung in den Naturwissenschaften wurde beiunseren Besuchen nicht erkennbar – angewandteForschung nimmt einen höheren Stellenwert ein. Beider Finanzierung spielt offenbar der NOKIA-Konzerneine wesentliche Rolle. Aus einigen Gesprächen

konnte man den Eindruck gewinnen, dass ein Teilder Forschungsfinanzierung vom wirtschaftlichenErfolg dieses Unternehmens abhängt.

Die Helsinki University of Technology (TKK) inEspoo ist mit etwa 12.000 Studenten, 2800 Post-graduierten und ca. 250 Professoren die techni-sche Vorzeigeuniversität Finnlands. Kennzeichnendfür die Ausrichtung der Universität ist die großeNähe der Forschung zur Industrie. Bei der Fragenach Strukturen für die Kommunikation zwischenForschung und Technologie erhielten wir eineebenso erstaunliche wie einfache Antwort: „Wirsind ein kleines Land. Hier kennt jeder jeden.Kooperationen zwischen Wissenschaft und Indus-trie werden persönlich verabredet“. Forschungmüsse sich an ihrem social impact messen lassen,etwa an der Zahl durch sie entstandener Arbeits-plätze sowie an Mehraufkommen von Steuerndurch angewandte Produkte.

Dies wurde auch am Beispiel der mittelfinnischenUniversität Kuopio mit etwa 6.500 Studenten deut-lich. Etwa die Hälfte der Universitätsbudgets musseingeworben werden, die staatlich zugesicherteGrundfinanzierung deckt in etwa die Kosten für dieLehre. Finanzierungsquellen sind TEKES, die Aka-demie und die EU. An dieser relativ kleinen Univer-sität forscht Professor Antti Poso (Department forPharmaceutics) im Bereich Drug Design und ent-wickelt Wirkstoffe am Computer, die direkt im Nach-barlabor synthetisiert werden. Hierin liegt offenbardie große Stärke im Vergleich zu weltweit konkur-rierenden Gruppen, in denen das Design und dieUmsetzung häufig an unterschiedlichen Standor-ten erfolgt. Im A. I. Virtanen Institute for MolecularSciences überraschte uns die Tatsache, dass einSpin-off Unternehmen räumlich im Institut angesie-delt ist. Es wurde vor einigen Jahren gegründet undist an der Londoner Börse notiert. Etwa 190 Stu-denten aus Kuopio verbringen einen Teil ihres Stu-diums im Ausland, bevorzugt in den Niederlanden,in Schweden und in Deutschland. Jährlich studie-ren ca. 260 Studenten aus dem Ausland in Kuopio.Die Bereitschaft promovierter finnischer Wissen-schaftler ins Ausland zu gehen, ist in den letztenJahren stark zurückgegangen, so eine Untersu-chung der Finnischen Akademie; dies bestätigenleider auch die Humboldt-Förderzahlen im Hinblickauf Deutschland.

Der Universitätsbesuch im Fachbereich Germanis-tik der Universität Helsinki vermittelte ein anderes

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Vorwort

Bild: Mit 38.000 Studenten in 11 Fakultäten ist diesdie größte Universität des Landes. Der Sprachwis-senschaftler Professor Jarmo A. Korhonen hat mitzwei Lynen-Stipendiatinnen geforscht, die er überStellenanzeigen in der Wochenzeitung „Die Zeit“gewann: Eine Kooperationspartnerin erhielt einenRuf an die Universität Gießen, die andere hat erstvor wenigen Monaten ihren Forschungsaufenthaltin Helsinki begonnen. Professor Korhonen beklagtdas geringe Interesse an der deutschen Spracheunter finnischen Schülern und sieht dies als einenwesentlichen Grund für den Rückgang der Bewer-berzahlen aus Finnland bei der Humboldt-Stiftung.Die meisten der 400 Germanistik-Studenten in sei-nem Fachbereich wollen sich für einen Beruf in derWirtschaft qualifizieren, das Interesse am Wissen-schaftsfach Germanistik ist eher gering.

Unter den Wissenschaftsförderorganisationenspielt die Nationale Technologie Agentur TEKESeine besondere Rolle. Sie ist die zentrale und auto-nome Verteilerstelle für staatliche Mittel für For-schung und Entwicklung. Vom Ministerium für Han-del und Industrie finanziert verfügte sie 2005 überein Budget von 249 Mio Euro. Der Fokus liegt aufinnovativen und risikoreichen Projekten. Rund 30 % der bei TEKES beantragten Projekte werden

gefördert, die Kooperation zwischen Wissenschaftund Industrie gehört zu den Vergabekriterien. Manversteht sich nicht als reine Forschungsförderorga-nisation, sondern auch als „business incubator“.Die Akademy of Finland ist nach TEKES die zweitegroße Forschungsförderorganisation. Sie fördertdie vier großen Bereiche Biowissneschaften undUmwelt, Kultur und Gesellschaft, Natur- und Inge-nieurwissenschaften sowie Gesundheit.

Das vorliegende Arbeits- und Diskussionspapierfasst die Ergebnisse des Kolloquiums und der vorangegangenen Universitätsbesuche zusam-men. Damit ergibt sich ein zwar punktuelles, aberdoch eindrückliches Bild der Forschungssituation inFinnland. Den Autoren – Humboldtianern, Dele-gationsmitgliedern und Finnland-Experten ausDeutschland – sei herzlich gedankt. Für ihrenscharfen Blick hinter die Kulissen während der Uni-versitätsbesuche, ihren Einsatz für das Kolloquiumund die sehr angenehme Stimmung während derReise sowie das Verfassen hoch interessanter Bei-träge.

Dr. Sven Baszio leitet das Referat Europa I derAlexander von Humboldt-Stiftung und war Organi-sator des Kolloquiums in Finnland.

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Analysen

Innovationssysteme imglobalen Wettbewerb –europäische Modelleund Reflektionen

von Wolfgang Frühwald

Die Staaten rund um das Baltische Meer wurdenvon der Alexander von Humboldt-Stiftung in denletzten Jahren etwas vernachlässigt. In Helsinkifand das letzte Kolloquium der Humboldt-Stiftung1993 statt, für die baltischen Staaten eines (dasbisher einzige) 1994 in Tartu. Seither – und dasheißt seit wenigstens 12 Jahren – haben wir zwarfortlaufend Stipendiatinnen, Stipendiaten undPreisträger aus diesen Ländern in die Stiftung auf-genommen, aber zu einer größeren Veranstaltungsind wir nicht mehr hierher gekommen. Ich bittedafür um Nachsicht und versuche es zu erklären,nicht so sehr mit einer anderen Schwerpunktbil-dung innerhalb der Alexander von Humboldt-Stif-tung, als vielmehr damit, dass die Zahl unserer Sti-pendiaten insgesamt und mit ihr auch die Zahl derLänder zugenommen hat, in denen Humboldt-Sti-pendiatinnen und -Stipendiaten leben und arbeiten.Die Stiftung hat in den fünfzig Jahren ihres Beste-hens rund 25.000 Stipendiaten gefördert, rund22.000 ehemalige Stipendiatinnen und Stipendia-ten in 134 Ländern der Welt haben uns ihre Adres-sen mitgeteilt, sind also gleichsam „bekennendeHumboldtianer“. Die Zahl von derzeit 40 Nobel-preisträgern unter diesen Stipendiaten nehmen wirals etwas fast Selbstverständliches hin, weil es unsdie Qualität der Auswahlarbeit in unseren Gremienbelegt. Vermutlich ebenso selbstverständlich ist es,dass inzwischen auch Staatspräsidenten (wie inUngarn), Parlamentspräsidenten (wie in Griechen-land und China), Minister, wie in Chile undanderswo, Staatssekretäre, Botschafter und natür-lich Frauen und Männer aus allen Rängen und Stu-fen des wissenschaftlichen und akademischenLebens zur Stiftung gehören. In den Transforma-tionsländern haben sich die akademischen Elitenseit der Wende verstärkt politisch engagiert, auchhat sich das Prinzip der sogenannten „Nachbetreu-ung“ für das Gefühl der Zusammengehörigkeit inder Stiftung bewährt. Wer einmal Humboldtianer ist,bleibt es ein Leben lang und kann – mit einer

gewissen Wartefrist nach dem Erstaufenthalt –immer wieder zu Forschungsarbeiten nachDeutschland eingeladen werden. 194 selbständigeNationen gibt es inzwischen auf der Welt, in 80Ländern der Erde bestehen kleinere oder größere,aktive (gelegentlich auch weniger aktive) Alumni-Clubs der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die anuns herangetragenen Besuchswünsche sind sovielfältig und gelegentlich auch dringlich geworden,dass wir (der begrenzten Mittel wegen) auswählenmüssen und kaum noch den Zehnjahres-Turnus fürunsere Länderbesuche einhalten können.

Umso mehr freue ich mich, dass 159 Teilnehmeraus insgesamt zehn Ländern an diesem Kollo-quium teilnahmen, darunter 94 aus Finnland, 21aus Litauen, 16 aus Estland, neun aus Lettlandund sieben aus Dänemark. Das Wiedersehen vonFreunden aus Australien, Israel, Nepal und Russ-land hat mich besondere Freude bereitet. In Finn-land förderte die Stiftung seit ihrer Wiedergrün-dung im Jahr 1953, neben 8 Forschungspreisträ-gern, 179 Stipendiatinnen und Stipendiaten, da-runter 36 % aus den Geisteswissenschaften und59 % aus den Naturwissenschaften, in Estlandwaren es 23 Stipendiaten und vier Preisträger, inLettland 13 Stipendiaten und ein Preisträger, inLitauen 33 Stipendiaten und ebenfalls ein Preis-träger, in Dänemark 62 Stipendiaten und 14 Preis-träger. Sie sehen, dass die Zahlen vor allem inden baltischen Ländern noch der Verbesserungbedürfen. Auch deshalb nämlich, um bei jungenMenschen Interesse an der weltweiten Humboldt-Familie zu wecken, sind wir nach Helsinki gekom-men.

Zwar weiß ich nicht, welche Erfahrungen meineKolleginnen und Kollegen mit Finnland und demFinnischen haben, meine Begegnung mit Finnlandjedenfalls (wenn ich von den Kriegseindrücken alsKind einmal absehe) beginnt mit einer kuriosenAnekdote. Einer meiner akademischen Lehrer, derAltgermanist und Finnougrist Hans Fromm, war fürdie strengen Aufnahmeprüfungen in seine Haupt-seminare bekannt. Gute Kenntnisse des Lateini-schen, des Griechischen, des Althochdeutschenoder Gotischen waren häufig die Voraussetzung fürdie Teilnahme an diesen Seminaren. Sie warendemgemäß, inmitten des Massenbetriebes einesgroßen germanistischen Instituts, klein und elitär.Eines Tages aber, in den sechziger Jahren, übertrafer selbst die Erwartungen erfahrener Schüler. Erkündigte ein Seminar „Lappisch für Fortgeschrit-

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Analysen

tene“ an, ohne je zuvor ein Seminar „Lappisch fürAnfänger“ unterrichtet zu haben. Wir alle dachten,er wolle sich diese beiden Unterrichtsstunden spa-ren, denn wer an der Universität München sollteschon Interesse an „Lappisch für Fortgeschrittene“haben? Bei Beginn des Semesters aber hatten sie-ben Studenten die Hürden, die vor dem Besuchdes Seminars aufgerichtet waren, überwunden. Siealle waren begeisterte Lappland-Touristen mit aus-reichenden Lappisch-Kenntnissen, um an einemSeminar „Lappisch für Fortgeschrittene“ teilneh-men zu können. Das Seminar wurde übrigenseines der arbeits- und ertragreichsten Seminaredes heute 87 Jahre alten Professors.

Hans Fromm hat, zusammen mit seiner ersten FrauLore, 1968 das finnische Nationalepos „Kalevala“(nicht wie die bisherigen Übersetzer auf demUmweg über das Schwedische, sondern) aus demfinnischen Originaltext übertragen und damit dienoch heute gültige deutsche Fassung dieses im 19. Jahrhundert durch Elias Lönnrot kompiliertenund redigierten Epos geschaffen. Sie löste – durchdie epische Langzeile auch im Druckbild – die bisdahin maßgebliche (lyrisierende) Übersetzung vonAnton Schiefner (aus dem Jahre 1852) ab. Dieseaber hatte noch Martin Buber so begeistert, dass ersie 1914 und noch einmal 1921 in verbessertenFassungen neu edierte. In Bubers unvergessenemund nicht veraltetem Vorwort zur Auflage von 1921wird deutlich, was die deutschen Philologen anfinnischer Sprache und Literatur ein ganzes Jahr-hundert lang so faszinierte, dass die Beschäftigungmit dem Epos Elias Lönnrots zu einem Pflicht-Gegenstand der deutschen Finno-Ugristik wurde.Sie glaubten in den Bruchstücken der alten finni-schen Lieder jener bis ins 20. Jahrhundert gesuch-ten Ursprache nahezukommen, deren romanti-schem Konstrukt ungezählte gelehrte, aber vergeb-liche Mühen galten. „Mehr als von irgendeinem Volkgilt vom finnischen“, schrieb Martin Buber, „dassdas Singen älter ist als das Reden. Eine andere,heiligere Sprache hat der finnische Dichter ZachrisTopelius den Gesang genannt; aber er ist mehr alsdas: er ist die Ursprache. [...] Und die finnischeSprache selber: sie scheint nicht für die Rede,scheint zuerst für den Gesang geschaffen.“ Sie sei,sagte schon Jacob Grimm, eine der Sprachen derErde, die am meisten Wohllaut enthielten. Im „Kale-vala“ gelangten die Philologen an die Wurzelnmündlicher Überlieferung, diese Lieder, meintensie, entstammten einer Zeit, in der Zaubern undSingen noch das Gleiche waren.

Die Forschungsinteressen, die Ihnen hier knappskizziert habe, liegen rund eine Generation zurück;sie charakterisieren die Zeit vor den PISA-Studien,als der Finnland-Schock die europäische Bildungs-welt noch nicht erreicht hatte, als noch der Mythosvon den schweigsamen Finnen gepflegt wurde unddie Wallfahrt in das Bildungswunderland noch nichteingesetzt hatte. Inzwischen geben sich die Bil-dungspolitiker der Welt hier die Türe in die Hand,vor allem deshalb, weil die Bildungserfolge der Fin-nen als Grund für ihren wirtschaftlichen Wohlstandgelten. Dabei wird weniger diskutiert, ob es nichtauch genau umgekehrt sein könnte oder ob nichtvielmehr Bildungs- und Wirtschaftssystem, was ichanzunehmen geneigt bin, ein System kommunizie-render Röhren bilden, vor allem, wenn an der Stei-gerung der Forschungs- und Entwicklungsausga-ben nicht so sehr die öffentliche Hand, als vielmehrdie Industrie beteiligt ist. Die finnischen Erfolge iminternationalen Bildungsvergleich sind allerdingsauch dann erstaunlich, wenn man alle diese Über-legungen und alle naheliegenden Einwände (wieetwa die ethnische und kulturelle Homogenitäteiner Gesellschaft) einmal beiseite lässt. Die fünf-zehnjährigen Finnen belegen im OECD-Lesetestden ersten Platz, der Anteil der sehr guten Lese-leistungen liegt nach Neuseeland an zweiter Stelleim Weltvergleich. Knapp 22 % der fünfzehnjährigenSchülerinnen und Schüler in Finnland geben an,sie hätten noch nie zum Vergnügen gelesen, inDeutschland aber sind es 20 % mehr und in man-chen deutschen Bundesländern steigt dieser Pro-zentsatz auf 60 %. Im Mathematiktest liegt Finnlandinternational an vierter Position, in der naturwissen-schaftlichen Grundbildung an dritter Stelle nachKorea und Japan. Hinzukommt, dass die Risiko-gruppen in allen Testbereichen in Finnlandbesonders klein sind.

Leena Lehtolainen, eine in Deutschland bekanntefinnische Kriminalschriftstellerin und Kolumnistin(Maria Kallio heißt bekanntlich die Detektivin ihrerRomane), hat den Bruch in der jüngstenGeschichte Finnlands, als die Entwicklungskur-ven aller Wertbereiche steil anzusteigen began-nen, in die Mitte 90er der Jahre verlegt. Damals,als der Kauf eines Nokia-Mobiltelefons zum natio-nalen Projekt wurde mit dem Ziel, das Land auseiner schweren wirtschaftlichen Rezession zuführen, entdeckten die Finnen ihre Liebe zumkännykkä (also zum Handy). Seither, meint LeenaLehtolainen, sei Finnland das Land der Gesprä-chigen. „Ein proppevoller Bus im Zentrum von

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Analysen

Helsinki. Es ist November, nass und dunkel. Fastjeder im Bus spricht: über Berufliches, Sport-ergebnisse, die Scheidung der Schwester, dieDummheit des Lehrers. Reden die Fahrgäste mit-einander? Keineswegs: Die Finnen sprechen inihr Mobiltelefon [...]. Wer nicht redet, tippt an einerSMS. Für den Banknachbarn hat man keinenBlick übrig, es sei denn, sein Klingelton fälltbesonders auf.“ Dass dies inzwischen keine finni-sche Besonderheit mehr ist, weiß jeder, der ein-mal in einem Bus mit italienischen Teenagerngesessen hat, aber dass es inzwischen auch einefinnische Eigenart ist, fällt offenkundig auf. Wirt-schaftliche und wissenschaftliche Erfolge habennun einmal erhebliche soziale Konsequenzen.Finnland ist nicht der einzige Beleg dafür, Korea,Irland, Schweden, Neuseeland, Taiwan sindandere Beispiele.

Das finnische Erfolgsmodell also scheint (wie über-all in der Welt) die enge Verbindung von Forschungund Entwicklung zu sein. Was dieses Modell aller-dings vom geläufigen Basismodell unterscheidet,ist vermutlich dreierlei:

(1.) Als ich 1997/98 für einen Artikel „Forschung,Forschungsfreiheit“ recherchierte, gab es zwar kei-nen Konsens über die notwendigen und hinrei-chenden Forschungsausgaben eines Landes, fest-gefügt aber schien die pragmatische Grenze,wonach kein Land der Erde mehr als 3 % seinesBruttosozialproduktes für Forschung und Entwick-lung ausgab und Länder, deren Forschungsanteilam BSP (GNP) unter 1 % lag, zu wissenschaft-lichen Entwicklungsländern gezählt wurden. Seit-her hat Finnland, zusammen mit Schweden, die 3 %-Grenze entschieden überschritten. Der finni-sche Anteil der FuE-Ausgaben am BSP liegtbekanntlich inzwischen bei 3,51 %.

(2.) Das Faktum, dass sich damit in Finnland derFuE-Anteil am Bruttoinlandsprodukt seit den 90erJahren des letzten Jahrhunderts verdoppelt hat, istvermutlich weniger entscheidend als das Faktum,dass es Finnland gelungen ist, diesen Anteil (auchbei steigendem BIP) über mehr als ein Jahrzehnthin konstant zu halten. Seit 1995 liegt der Anteil deröffentlichen Bildungsausgaben in Finnland kon-stant zwischen 6 und 7 %. Finnland setzt damiteine europäische Orientierungsmarke, von der frei-lich die Mehrzahl der Länder der EuropäischenUnion (auch die forschungsstarken) noch weit ent-fernt sind.

(3.) Ein dritter Faktor ist vermutlich noch zu beden-ken: die Balance, die hier zwischen Grundlagenfor-schung und Entwicklung gehalten wird und dieIndustrie dazu stimuliert, auch in die Grundlagen-forschung zu investieren. Nicht durch knowledgetransfer, sagte mir unlängst der Präsident der SeoulNational University in Korea, könnten sich die klei-nen Länder im Wettbewerb positionieren, sondernnur durch knowledge creation. Dies aber ist Auf-gabe der Grundlagenforschung, auch in den geis-teswissenschaftlichen Fächern.

Offenkundig sind die Finnen ein bildungswilligesVolk. Jeder Finne lernt in der Schule die zweiteLandessprache, also Schwedisch oder Finnisch,doch da das Finnische, diese reiche Sprache, vol-ler Synonyme, für Ausländer (auch und gerade fürdie aus dem indoeuropäischen Sprachraum) fastunlernbar ist, sind Fremdsprachenkenntnisse (überdie beiden Landessprachen hinaus) weit verbreitet.Dass Musik ein besonderer Exportartikel Finnlandsist, wissen nicht nur die Kenner der Musik von JanSibelius, aber die Literatur hat inzwischen nachge-zogen und sich dabei trotzdem ihre Unschuldbewahrt. Bei einer primären Leserschaft von (idea-liter) wenigen Millionen Menschen kann durchSchreiben niemand reich werden. Ob Finnland, wieoft gesagt wird, ein Globalisierungsgewinner ist,wage ich zu bezweifeln. Die Wirtschaftsdaten,besonders der ausländische Anlagebestand inFinnland, sprechen nicht dafür. Die Öffnung nachEuropa aber, die in diesem Land Tradition hat, weil„Europa“ hier niemals nur Westeuropa geheißenhat, scheint mir die Tür zum Erfolg aufgestoßen zuhaben. Die Humboldt-Stiftung ist eine dezidiertinternationale Familie, die heute einen großen Teilder Bewerbungen aus dem asiatischen Raumbekommt, doch stammen noch immer knapp 50 %ihrer Mitglieder aus Europa. In der Zeit zwischen2001 und 2005 wurden 38 % unserer Stipendien anForscherinnen und Forscher aus Ländern Europasvergeben, 36,5 % an Stipendiaten aus den Län-dern Asiens. Die Herstellung eines europäischenForschungsraumes ist demnach nicht das ersteZiel der Stiftung, aber wir wollen am Bau und ander Struktur dieses Forschungsraumes mitwirkenund den Europäern jene Modelle vor Augen stellen,die nach unserer Überzeugung zielführend sind.Das finnische gehört dazu, auch wenn die Verhält-nisse in einem Staat mit 5 Millionen Einwohnernnicht ohne weiteres auf einen (qualitativ und quan-titativ zerklüfteten) Forschungsraum mit 457 Millio-nen Menschen übertragen werden kann. Aber es

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Analysen

sind gerade kleine Staaten der Gemeinschaft, wiedie Niederlande, Irland, Finnland, Schweden, diewissenschaftlich so avanciert und konsolidiert sind,dass sie sich in der Spitzengruppe der forschungs-starken Länder der Welt positioniert haben. Mit derEtablierung eines European Research Council istein weiterer Schritt auf den Weg des europäischenForschungsraums getan. Wir werden die entste-hende Konkurrenz zwischen der europäischen undder nationalen Forschungsförderung aufmerksambeobachten und wir hoffen, dass das britische Attri-butionsprinzip, das der nationalen Förderung ent-zieht, was an Beiträgen zur europäischen For-schungsförderung geleistet wird, nicht Schulemacht. Finnland jedenfalls ist das wichtigste Binde-glied zwischen der Union und der RussischenFöderation. Spätestens während der jüngstenEnergiekrise haben alle Länder der EU bemerkt,welche Bedeutung diesem Verhältnis beizumessenist, wie unschätzbar die langjährigen finnischenErfahrungen in diesem Bereich sind.

Die Alexander von Humboldt-Stiftung, die ein deut-sches Unikat ist und ein Vertrauensnetz für diesesLand (und damit für Europa) über die ganze Weltausgespannt hat, hat einige vorsichtige Schritte aufdie Europäische Union zugetan. Sie hat im Rah-men des Netzwerkes für Mobilitätszentren (ERA-MORE) seit März 2003 die Aufgaben des Deut-schen Mobilitätszentrums übernommen und istdamit der deutsche Partner in einem europaweitenNetz, das zum Ziel hat, Information und Beratung

für international mobile Forscherinnen und For-scher zu leisten (für solche, die nach Deutschlandkommen und für solche die aus Deutschland inandere Länder gehen). Die Mobilitätshindernissefür weltweit tätige Forscher sind dabei weniger wis-senschaftlicher als sozialer Art, Fragen der Sozial-versicherungen, der Anrechnung von Karrierezei-ten etc. sind zu beraten. Solche Hindernisse zubeheben, ist eines der Ziele dieses europäischenProjekts. Ob im neuen Forschungs-Rahmenpro-gramm das sogenannte cofunding von Stipendien-leistungen möglich sein wird, ist noch nicht sicher.Die Humboldt-Stiftung jedenfalls hat darüberGespräche mit der Arbeitsebene in Brüssel unddem zuständigen Kommissar geführt und ihr Inte-resse an einem solchen Arrangement gezeigt.Europa wächst von unten durch kleine, oftmalsunbeachtete Schritte. Europe, sagte ein niederlän-discher Forschungspräsident vor wenigen Jahrenzurecht, is climbing the hill.

„Wir Finnen“, sagte Leena Lehtolainen, „sind einseltsames Volk: wir reden nur per Handy, wir akzep-tieren ausländische Speisen und Getränke, begeg-nen fremden Menschen aber mit Misstrauen, undam wichtigsten ist uns, was die Ausländer von unshalten. Wenn sie uns ein wenig loben, lohnen wir esihnen mit lebenslanger Freundschaft.“

Professor Wolfgang Frühwald ist Präsident derAlexander von Humboldt-Stiftung in Bonn-BadGodesberg.

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Analysen

Finnische Hochschulpolitik

von Tapio Varis

Der Erfolg Finnlands in der globalen Welt macht dieGrundeinstellung aus, dass die Qualität der Hoch-schulen auf hohem internationalen Niveau seinmuss. Das Wohlbefinden der finnischen Bevölke-rung mit 5,3 Millionen Einwohnern ist aufgrund derInnovation und der aktiven Teilnahme an der globa-len Ökonomie und Zusammenarbeit begründet.Allerdings ist Finnland im Vergleich mit den OECD-Ländern nicht unter den führenden Ländern inBezug auf die Anzahl der Hochschulkandidaten,ebenso ist die Zahl der ausländischen Diplom-Stu-dierenden eine der geringsten in den westlichenLändern.

Durch den Bologna-Prozeß in Europa wurde ein ein-heitliches Prüfungssystem beschlossen. Im Konse-quenz existiert in Finnland ein so genanntes Dual-system: Die Universitäten und die Fachhochschulen(Universitäten für angewandte Wissenschaften)haben gemeinsame, aber auch jeweils spezifischeAufgaben. Die Schwerpunkte der Universitäten lie-gen auf der Entwicklung neuer Erkenntnisse durchForschungsförderung, währenddessen die Fach-hochschulen ihre Schwerpunkte auf die Integrationder Kompetenzen in Verbindung mit der Praxis (derangewandten Wissenschaft) legen. Diese Situationexistiert auch in Deutschland.

Seit 1997 existiert ein Universitätsgesetz in Finn-land, bisher entstanden 20 wissenschaftliche undKunst-Universitäten sowie etliche Fachhochschu-len. Universitäten müssen mindestens vier Fakultä-ten vorweisen. An den Universitäten sind 140 000Studierende eingeschrieben, jährlich werden 1300Magisterprüfungen und Promotionen abgelegt. Inden 1960er und 1970er Jahren wurde in Finnlandeine regionale Erweiterung der Universitätsgrün-dungen gefördert und durchgeführt.

Wichtige Aspekte für finnische Universitäten sind:• Sich den Globalisierungsprozessen öffnen und

beteiligen• Aktive Nutzung der neuen Technologien in allen

Bereichen

• Vernetzung der regionalen Aktivitäten• Aktive Rolle in den europäischen, akademi-

schen Prozessen (Bologna etc.) einnehmen

Für die Universitäten bedeuten die neuen Aufga-ben stärkere regionale und gesellschaftliche Akti-vitäten. Universitäten sind hierbei Motoren für diefinnische Entwicklungsstrategie. Die Veränderun-gen sind Konsequenzen der Globalisierungspro-zesse, der technologischen Entwicklung und derveränderten Altersstruktur der Bevölkerung. Des-halb müssen heutzutage Universitäten darauf rea-gieren und neue Erkenntnisse im Rahmen dieserveränderten Bedürfnisse produzieren und anwen-den.

Finnische Universitäten werden in allen globalenNetzen teilnehmen, in denen neue, relevanteErkenntnisse geschaffen werden. Gleichzeitig istdie Aufgabe zu erfüllen, die menschlichen Bedürf-nisse der eigenen Regionen und der eigenen Kulturzu bedienen sowie neue Technologien zu ent-wickeln und zu nutzen.

Die aktive Teilnahme an den internationalen Dialo-gen und kommunikative Kompetenzen sind eine all-gemeine Forderung. Finnische Forscher müssenmehr als früher mit Unternehmen zusammen arbei-ten. Sie sind Teilnehmer der regionalen Entwick-lungsstrategie, weil dieses Interesse gleichzeitigder globalen Öffnung dient.

Die existierenden Universitäten funktionieren mitund durch eine disziplingebende und strukturge-bende Basis, dies wäre für die globale Informa-tionsgesellschaft mit ihren multiplen (multidiszipli-nären) Problemen ebenfalls ein anzuratendesDenkmodell, um Lösungen zu schaffen.

Der öffentliche und der private Sektor arbeitenmehr zusammen, auch bedingt durch weiter veran-schlagte Finanzierungsquellen. Dies führt durch dieengere Zusammenarbeit und Orientierung der Uni-versitäten und Unternehmen zu einer Qualitätsstei-gerung durch Kontrollen bei internationalen Institu-tionen ebenso wie im Privatsektor.

Professor Tapio Varis lehrt Berufliche Ausbildungmit dem Schwerpunkt „Global Learning Environ-ments“ an der Universität Tampere, Finnland undhat den UNESCO-Lehrstuhl Global e-Learninginne.

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Analysen

Unternehmens-gründungen aus Hochschulen – Erfahrungen aus 15 Jahren Gründungs-förderung an der Ruhr-Universität

von Karl Grosse

Ausgangslage

Der Erfolg eines Wirtschaftsstandortes im weltwei-ten Wettbewerb der Industrieländer wird u.a. vomPotenzial der Umsetzung von Forschungs- undEntwicklungsergebnissen in marktfähige Produkteund Verfahren bestimmt. In vielen Technologiefel-dern sind dabei die Hochschulen leistungsstarkePartner der Wirtschaft. Die Ergebnisse von For-schung und Entwicklung (F+E) der Hochschulensind für viele Unternehmen eine wichtige Quelle fürInnovation und neue Produkte.

Gleichzeitig sind die Hochschulen nicht nur Partnerder Unternehmen im Innovationsprozess, sondernauch eine wesentliche Quelle für die Gründung jun-ger Unternehmen. Ausgründungen aus Hochschu-len, mit einer innovativen technologischen Basisund einem hohen Wachstumspotenzial sind eineder Säulen einer auf Wachstum und Beschäftigungausgerichteten modernen Industriegesellschaft.

Die Ruhr-Universität und ihr regionales Umfeld

Die Ruhr-Universität liegt im Ruhrgebiet, eineralten Industrieregion mit einer über lange Zeit-räume hinweg monostrukturell ausgerichteten Wirt-schaft und daraus resultierenden Problemen in denBereichen Beschäftigung, Produktinnovation undWirtschaftsstruktur. Im Vergleich mit anderen Re-gionen des Landes besteht ein Nachholbedarf anzukunftsorientierten und strukturstabilisierendenWirtschaftsbereichen. Der Einfluss der früher domi-nanten Branchen Kohle und Stahl ist immer nochdeutlich spürbar.

Gleichzeitig verfügt das Ruhrgebiet mit den dortangesiedelten Hochschulen und Forschungsein-richtungen über ein enormes Innovationspotenzial.Die Ruhr-Universität ist dabei eine der größten undbedeutendsten Hochschulen. Mit über 2 000 Wis-senschaftlern und mehr als 32 000 Studierenden in20 Fakultäten ist die Hochschule einer der wesent-lichen Innovationsfaktoren im Ruhrgebiet und ver-fügt gleichzeitig über ein hohes Gründungspoten-zial. Bereits in der Vergangenheit hat diese Hoch-schule durch Ausgründungen technologieorientier-ter Unternehmen einen bedeutenden Beitrag zumStrukturwandel im Ruhrgebiet geleistet.

Die Mobilisierung von Studierenden und Forschernfür die Gründung eines Unternehmens ist ein wich-tiges Ziel der Landespolitik. Die Hochschulen unter-stützen diese politischen Zielsetzungen und versu-chen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Zahl derAusgründungen und den Erfolg dieser Unterneh-men positiv zu beeinflussen.

Maßnahmen sind dabei die frühzeitige Sensibilisie-rung Studierender für das Thema Gründung, dieMotivierung potenzieller Gründer und die Qualifi-zierung junger Unternehmer. Das Spektrum derUnterstützungsmaßnahmen umfasst aber auch dieEntwicklung eines gründungsfördernden Umfeldesin der Hochschule, ein attraktives Angebot anGründerseminaren und Workshops sowie die Mög-lichkeiten der Nutzung von Ressourcen der Hoch-schulen für den Aufbau eines Unternehmens.

Regionales Gründungsnetzwerk

Seit Anfang der 90er Jahre hat sich innerhalb undim Umfeld der Bochumer Hochschulen ein Netz-werk von Einrichtungen etabliert, die im Bereichder Gründungsförderung und -unterstützung aktivsind. Gemeinsam mit Partnern aus der Region wur-den speziell für Hochschulgründer Unterstützungs-maßnahmen entwickelt und ausgebaut. Zielset-zung dabei war es, Studierende stärker für dasThema „unternehmerische Selbstständigkeit“ zuinteressieren und das bestehende Gründungspo-tenzial besser auszuschöpfen. Gleichzeitig solltedurch geeignete Maßnahmen die Zahl erfolgreicherAusgründungen erhöht werden.

Innerhalb der Universität wurden diese Aktivitäteni.w. von der damaligen Transferstelle getragen.Netzwerkpartner waren die örtliche IHK, die Wirt-schaftsförderung der Stadt Bochum, regionale

10 Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen

Analysen

Banken und Sparkassen sowie das auf dem Cam-pusgelände angesiedelte Technologiezentrum. EinGründungslehrstuhl oder sonstige Einrichtungender Gründungsforschung existieren nicht an derHochschule.

Mit Gründung der rubitec – Gesellschaft für Innova-tion und Technologie der Ruhr-Universität BochummbH Anfang 1998 wurden die Aufgaben der Grün-dungsinitiierung und -betreuung in der Hochschuleauf die hochschuleigene Transfergesellschaft über-tragen. Wesentliche Tätigkeitsfelder der Gesell-schaft sind die Initiierung und das Management vonF+E-Projekten, Schutzrechtsanmeldungen/Lizen-zierung von Patenten und die Vermarktung techni-scher Dienstleistungen. Das Unternehmen trägtsich wirtschaftlich selbst und vermarktet erfolgreichtechnologische Innovationen aus der Hochschule.

Gemeinsam mit den regionalen Partnern arbeitetrubitec auch weiterhin in der Hochschule daran,erfolgreiche Gründungen zu initiieren und Gründeraktiv zu unterstützen. Der damit zusammenhän-gende personelle Aufwand auf Seiten der rubitecliegt in der Größenordnung von einer halben Stelleund wird i.w. aus anderen Geschäftsbereichenquerfinanziert.

Schwerpunkte

Wesentliche Bereiche der Gründungsinitiierungund -förderung lassen sich den folgenden vier Fel-dern zuordnen:

1. Sensibilisierung und Qualifizierung potenzieller Gründer

Wichtiges Element der Gründungsförderung ist diefrühzeitige Sensibilisierung von Studierenden undHochschulmitarbeitern für das Thema „Gründungeines Unternehmens“. Dabei haben sich im Laufeder Jahre folgende Maßnahmen als sinnvoll her-ausgestellt.– Hochschulinternes Marketing für das Thema

Gründung aus der Hochschule.Präsenz des Themas „Unternehmensgründung“in der Hochschule durch Auslage von Flyern,Plakatierung, …Regelmäßige Information Studierender, Wis-senschaftler(innen) und Hochschullehrer(innen)über Unterstützungsangebote für potenzielleUnternehmensgründer (Seminare, Vorträge,Förderinformationen, Beratungstage,..).

– Identifikation von Gründungsinteressenten undderen Begleitung/Betreuung.

– Beratungsgespräche zur Bewertung von Grün-dungsideen im Hinblick auf wirtschaftliche Trag-fähigkeit und Umsetzbarkeit unter Einbindungvon Experten und Netzwerkpartnern.

Im Bereich der Qualifizierung von Gründern habensich dabei Veranstaltungen in der Hochschuleetabliert wie ein viertägiges Kompaktseminar „VomStudium in die Selbstständigkeit“ jeweils im Winter-semester sowie eine zweiwöchige Summer School„Gründungsmanagement“ zum Ende des Som-mersemesters. Hinzu kommen Workshops zuwichtigen gründungsrelevanten Themen. Darüberhinausgehende Seminarangebote zur fachlichenVertiefung von Einzelthemen bieten die Netzwerk-partner an.

2. Business-Incubator

In der Vergangenheit wurden in Einzelfällen ersteunternehmerische Aktivitäten von Gründern überdie rubitec GmbH abgewickelt. Dabei zeigte sich,dass für eine Übergangsphase zwischen Grün-dungsidee und Etablierung eines eigenen Unter-nehmens ein Bedarf an einer Struktur besteht, dieGründer(innen) insbesondere bei ersten geschäft-lichen Aktivitäten (Angebotserstellung, -abgabe,Auftragsabwicklung, Geschäftsentwicklung) unter-stützt und auf dem Weg in eine tragfähige, unter-nehmerische Selbstständigkeit begleitet.

Vor diesem Hintergrund wurde Anfang 2002 einBusiness-Incubator konzipiert, der als rechtlicheigenständige Gesellschaft am Markt tätig ist.Unter dem Dach dieser Gesellschaft können Exis-tenzgründer die Umsetzung von Geschäftsideenerproben und den Aufbau von Geschäftsfeldernbetreiben. Dabei können die Gründer die vorhan-dene Firmenstruktur nutzen und geschäftlich tätigwerden, ohne anfangs ein eigenes Unternehmengründen zu müssen. Beratungsangebote, Marke-tingunterstützung und ein Coachingangebot ergän-zen die Leistungen des Incubators. Die Nutzungerfolgt gegen eine Aufwandsentschädigung und istzeitlich auf max. zwei Jahre begrenzt.

3. Bereitstellung von Infrastruktur/Patente

Die Ruhr-Universität Bochum hat bereits in der Ver-gangenheit Hochschulausgründungen, z. B. durchBereitstellung von Infrastruktur (Labor, Geräte etc.)in vielfältiger Weise unterstützt.

Insbesondere mit dem seit 2002 stattfindendenAufbau von Patentverwertungsstrukturen an den

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 11

Analysen

deutschen Hochschulen kommt ein wichtigerAspekt der Gründungsunterstützung hinzu. Erfin-der sind zu einem gewissen Prozentsatz auchpotenzielle Gründer und ihre Erfindungen sind häu-fig auch die technologische Basis einer Unterneh-mensgründung. Das Interesse der Hochschulen ander Vermarktung ihrer Patente und die Nutzung vonPatenten durch den Unternehmensgründer führtdabei für beide Seiten zu Synergieeffekten.

Vor diesem Hintergrund stellt die Ruhr-Universitätden Diensterfindern die ein eigenes Unternehmengründen wollen, gegen eine entsprechende Beteili-gungs-/Lizenzoption, bevorzugt Schutzrechte fürden Unternehmensaufbau zur Verfügung. Danebenunterstützt die Hochschule auch weiterhin Gründerdurch die Bereitstellung von Infrastruktur (Labor/Räume/Geräte).

4. Gründungsfinanzierung

Im Bereich der Finanzierung von Unternehmens-gründungen gibt es eine Reihe öffentlicher Förder-programmen, die sich vorzugsweise an Hochschul-gründer richten. Daneben werden von Seiten derKreditwirtschaft und von Kapitalgebern Darlehen,Bürgschaften und Risikokapital für technologie-orientierte Ausgründungen bereit gestellt.

In den letzten 10 Jahren hat die rubitecr ca. 60-70Gründer bei der Beantragung von Fördermitteln,häufig erfolgreich, unterstützt. Dabei werden hoch-schulintern Gründungskonzepte diskutiert, Ge-schäftspläne entwickelt sowie die Antragsstellungbis zu einer Bewilligung begleitet. Aber auch dieKontaktanbahnung zu Risikokapitalgebern ist eineder Leistungen für Gründer.

Ergebnisse

Das bisherige Engagement des Netzwerkes hat inVerbindung mit dem Gründungspotenzial derHochschule dazu geführt, dass die Ruhr-Univer-sität in den letzten Jahren im Bereich technologie-orientierter Gründungen im Land NRW einen derSpitzenplätze einnimmt.

Dabei sind die Gründer in ihren Marktsegmenten i. a. bestens mit dem Stand der Technik vertraut.Defizite bestehen jedoch häufig bei der Einschät-zung der Marktreife/-fähigkeit ihrer Produktidee undin den Bereichen Marketing und Geschäftsplanent-

wicklung. Diese Lücken zu schließen ist Aufgabedes Seminar- und Beratungsangebotes des regio-nalen Netzwerkes.

Als wichtiges Instrument der Förderung von Aus-gründungen aus Hochschulen hat sich dabei dasPFAU-Programm des Landes NRW herausgestellt.Gründern wird mit der Absicherung durch einehalbe Arbeitsstelle an der Hochschule über bis zu 2 Jahren die Möglichkeit eingeräumt, eine Grün-dung zu planen, erste Markterfahrungen zu sam-meln und ein Unternehmen zu gründen.

In den letzten Jahren sind so eine Reihe erfolgrei-cher Gründungen aus der Ruhr-Universität mitUnterstützung durch dieses Programms gestartet.Beispiele sind Unternehmen wie z. B. diePROT@GEN AG (Proteomics), ScienLab GmbH(Elektronische Schaltungstechnik) oder AdvICoGmbH (Mikroelektronik). Rubitec hat dabei dieseAntragsstellungen unterstützt und begleitet. MitUnterstützung durch den Business-Incubator grün-deten sich die RUBOKAT (Katalyse) und die ELFI –Gesellschaft für Forschungsdienstleistungen mbH(Förderdatenbanken).

Das Potenzial der Ruhr-Universität im Bereichtechnologieorientierter Gründungen wird die rubi-tec auch zunehmend selber kommerziell nutzen.Bereits Anfang 2002 wurde als weiteres Geschäfts-feld die Beteiligung an Ausgründungen hinzugenommen. Eine erste Beteiligung im Life-Science-Bereich wurde 2002 eingegangen und bereits einJahr später gewinnbringend veräußert.

Aufgrund der bisherigen Ergebnisse unserer Grün-dungsförderaktivitäten und der in den Unterneh-men geschaffenen Arbeitsplätzen hat sich der Ein-satz bezahlt gemacht. Finanzielle Unterstützungvon Seiten Dritter – auch der öffentlichen Hand –gab es dafür nicht. Es konnte gezeigt werden, dassKreativität und Engagement bei der Entwicklungund Umsetzung von Unterstützungsangeboten inVerbindung mit einer moderaten Förderung desExistenzgründers zu einem deutlichen Anstiegerfolgreicher Ausgründungen führt.

Dr. Karl Grosse ist Geschäftsführer der rubitec –Gesellschaft für Innovation und Technologie derRuhr-Universität Bochum mbH und führt dieGeschäfte des Unternehmens seit Gründung derGesellschaft im Jahr 1998.

12 Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen

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Internationalisierungder öffentlich finan-zierten Wissenschaft

von Jakob Edler

Einleitung

Die Internationalisierung von Forschung und Ent-wicklung ist seit etwa zwei Jahrzehnten Gegen-stand wissenschaftlicher Untersuchungen. Aller-dings beschränken sich diese Untersuchungen bisauf ganz wenige Ausnahmen auf die industrielleForschung. Doch auch die öffentlich finanzierteForschung wird immer internationaler. Selbst wenndie Wissenschaft, die grundlagenorientierte zumal,seit jeher Internationalität als Wesensmerkmal fürsich reklamiert, die Dynamik, mit der auch dieöffentlich finanzierte Forschung internationalisiertist beeindruckend. Dieser Artikel gibt einen sehrkursorischen Überblick über die Trends, die Motiva-tionen und den Nutzen in Bezug auf internationaleAktivitäten deutscher, öffentlich finanzierter Wis-senschaftler und nenntmögliche Verbesserun-gen, um internationaleAktivitäten effektiver zumachen. Denn angesichtsdes wachsenden Wettbe-werbs auch von wissen-schaftlichen Standortenwird dies eine wesentlicheAufgabe der Forschungs-politik in Deutschland inden nächsten Jahren sein.

Die Diskussion konzen-triert sich auf die indivi-duelle Ebene, lässt alsoinstitutionelle Strategienvon Forschungsorganisa-tionen notwendigerweise außer Acht. Zudem kannsie nur einen Ausschnitt von internationalen Akti-vitäten betrachten, nämlich grenzüberschreitendeMobilität und Kooperation, d.h. Aktivitäten wie daswissenschaftliche Monitoring oder das institutionel-len Engagement im Ausland werden hier nichtbetrachtet. Der größte teil der empirischen Basis ist

eine Analyse im Rahmen einer aktuellen Studie fürdas BMBF, die unter Leitung des Autors am Fraun-hofer Institut ISI in Kooperation mit dem ZEW(Mannheim) und Technopolis (Amsterdam) durch-geführt worden ist. Diese Studie umfasste breiteBefragungen von deutsche Wissenschaftlern undausländischen Wissenschaftlern mit Deutschland-erfahrung sowie Befragung der öffentlichen außer-universitären Forschungseinrichtungen und derUniversitätsleitungen in Deutschland. Nähere An-gaben hierzu finden sich am Ende des Artikels.

Wie international ist die deutsche Forschung?

Die internationalen Kooperationen deutscher For-scher mit ausländischen Kollegen haben über dieletzten Jahre drastisch zugenommen (Abbildung1). Der Anstieg der Ko-Publikationen mit internatio-nalen Partnern beträgt weit über 40 % in den sie-ben Jahren von 1995 bis 2002. Zudem ist die Basisder Kooperation relativ breit und der Anstieg vonKooperationen war innerhalb Europas prozentualhöher als mit den USA.

Abbildung 1: Internationale Kooperationen deut-scher Wissenschaftler (absolute Zahlen, differen-ziert nach Partnerländer)

Quelle: Science Citation Index, Erhebung und Analyse: Fraun-hofer ISI (Rainer Frietsch)

Interessanterweise gilt dieser Anstieg der interna-tionalen Kooperation für alle Wissenschaftsberei-che, mit Ausnahme der Geisteswissenschaften(Abbildung 2).

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 13

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Abbildung 2: Ko-Publikationen deutscher Autoren. differenziert nach Wissenschaftsgebieten(Prozentualer Anteil internationaler Ko-Publikationen an allen ko-Publikationen)

Die Zahlen zu Ko-Publikationen werden in unsererschriftlichen Befragung exakt bestätigt, denn über40 % aller Projekte der Befragten sind internatio-nale Kooperationen. Das heißt, wenn deutscheWissenschaftler kooperieren, und das tun sie inzwei Dritteln ihrer Projekte, so sind die Projekte mitinternationalen Partnern mittlerweile in der Mehr-zahl. Die Entwicklung zu mehr Kooperationen wird– so die Ergebnisse der Befragung von For-schungseinrichtungen – auch weiter anhalten.Diese Befragung bestätigt auch eindrücklich, dassChina – und etwas geringer – Russland in derZukunft wesentlich wichtigere Partner für Koopera-tionen werden.

Die Betrachtung zur Mobilität verdeutlicht denTrend zur verstärkten Internationalisierung. Diezunehmende internationale Aktivität der deutschenWissenschaftler zeigt sich z. B. an der verstärktenTeilnahme an internationalen Austauschprogram-men bzw. Stipendien. Nach Angaben des DAADund des Hochschulinformationsdienstes HIS – dienicht erschöpfend sind, aber doch einen erheb-lichen Anteil abdecken – sind die Zahlen der durchStipendien oder sonstige Programmförderungen imAusland aktiven deutschen „erfahrenen“ Wissen-schaftler/ Hochschullehrer in den letzten drei Jah-ren stark angestiegen, von 1.186 in 2001 auf 1.658in 2003. Doch nicht nur Mobilität in das Ausland istgestiegen, auch die Zahl der Wissenschaftler, die

14 Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen

Quelle: Science Citation Index, Erhebung und Analyse: Fraunhofer ISI

über Stiftungen und Austauschprogramme nachDeutschland gekommen sind, ist von ca. 3.000„erfahrenen Wissenschaftlern“ in 2000 auf über5.100 in 2003 angewachsen. (siehe www.wissen-schaft-weltoffen.de).

Die schriftliche Befragung bestätigt diesen Trendeindrücklich. Etwa 1.700, und damit zwei Drittel derdeutschen Wissenschaftler, die in unserer Befra-gung geantwortet haben, haben Auslandserfah-rung oder befinden sich zur Zeit im Ausland. Dabeihandelt es sich bei Weitem nicht nur um kurzfristigeAufenthalte. Von den insgesamt 2.500 Auslands-aufenthalten dieser Wissenschaftler waren 745mittelfristig (3-12 Monate) und 770 längerfristig(über 12 Monate). Diese hohe Mobilitätsaktivität giltfür männliche und weibliche Wissenschaftlergleichermaßen. Forscher an Universitäten sind imVergleich zur außeruniversitären Forschung nochetwas auslandsaktiver. Auch die Mobilität weistUnterschiede nach Wissenschaftsbereichen auf,sie ist den Naturwissenschaftlern am höchsten,während sie bei den Ingenieurs- und Wirtschafts-wissenschaftlern am niedrigsten ist. Damit wirdeine gängige These bestätigt, wonach sich dasAusmaß und die Intensität internationaler Aktivitätnach Wissenschaftsgebieten unterscheiden.

Es zeigt sich ferner, dass ein Auslandsaufenthaltschon im Studium die Wahrscheinlichkeit für spä-

1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991 1991

Agriculture

Computer, Natural Sciences

Engineering, Optics, Electronics

Social Sciences and Economics

Biotech, Chemistry, Pharmacy

Arts and Humanties

Medicine

Total

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40

30

20

10

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Analysen

tere Mobilität erhöht. Zugleich führen Wissenschaft-ler mit Auslandserfahrung auch deutlich mehr inter-nationale Kooperationsprojekte durch. Die Schluss-folgerung kann deshalb nur lauten: Auslandserfah-rung ist ein Schlüssel zu internationalen Aktivitätenim Verlauf von Wissenschaftlerkarrieren, und je frü-her diese Erfahrungen gemacht werden, umso bes-ser.

Da in der Befragung auch knapp 800 ausländischeWissenschaftler geantwortet haben, ist es möglich,die Zielländer der Mobilität der deutschen Forscherund die Herkunftsländer der ausländischen For-scher in Deutschland miteinander zu vergleichen.Hier ergibt sich eine auffallende Asymmetrie. Deut-sche Forscher zieht es in die Länder, die in Bezugauf Ausstattung, wissenschaftliche Exzellenz undkultureller Nähe als attraktiv erscheinen. Die USA(57 % aller Aufenthalte) und die „alten“ Länder derEU (EU 15, 27 %) sind mithin am attraktivsten, Ost-europa (3 %) und Asien (6 %) sind trotz leichtwachsender Bedeutung noch immer unterreprä-sentiert. Demgegenüber ist Deutschland überpro-portional attraktiv für Forscher aus Osteuropa (19 %) und Asien (26), während nur 12 % aus denUSA kommen.

Was treibt die Internationalisierung voran?

Um die Frage nach den Treibern der Internationali-sierung in der öffentlich finanzierten Wissenschaftzu beantworten, können neben den Ergebnissenunserer Befragungen und Interviews auch Erklä-rungen der Literatur zur Wissensgenerierung he-rangezogen werden.

Ein wesentlicher Grund liegt in der sich wandeln-den Natur des wissenschaftlichen Erkenntnisge-winns selbst. Unter dem Schlagwort „Mode 2 ofKnowledge Production“ (Gibbons et. al. 2004) wirdbeschrieben, dass Wissen immer spezialisierter,arbeitsteiliger, interdisziplinärer und schneller pro-duziert wird. Einzeln Länder, kleinere zumal, sindvor diesem Hintergrund auf den zunehmendenAustausch mit der global differenzierten Wissen-schaftslandschaft angewiesen, weniger denn jekönnen Länder wissenschaftlich „autark“ prosperie-ren.

Zweitens sind auch für die öffentlich finanzierteForschung Kosten der Forschung ein wichtigerFaktor geworden. Arbeitsteilung anstatt Duplizie-rung, das Teilen von teurer Infrastruktur, und nichtzuletzt auch billigere Arbeitskräfte im Ausland

machen internationale Kooperationen zunehmendattraktiv oder gar zwingend. Moderne Kommunika-tionsinfrastruktur macht gleichzeitig diese Koopera-tionen immer kostengünstiger.

Ein weiterer, eher traditioneller Grund für internatio-nale Forschung ist der gemeinsame Beitrag zumLösen globaler Probleme. Klimaforschung, Genom-forschung etc. sind national schlechterdings nichtmehr denkbar.

Für industrienahe Forschung ist schließlich dieInternationalisierung industrieller Forschung einwesentlicher Treiber, sich für internationale Koope-rationen zu öffnen oder gar institutionell im Auslandund damit in der Nähe zu wichtigen Industriepart-ner aktiv zu werden. Die tendenzielle Ökonomisie-rung der öffentlich finanzierten Forschung – Stich-wort dritte Mission der Hochschulen – forciert die-sen Trend.

Schließlich hat die deutsche, ja die europäischeForschungslandschaft – schon allein aus demogra-fischen Gründen – mit einem zunehmenden Man-gel an wissenschaftlichem Nachwuchs zu kämp-fen. Der Wettbewerb um Nachwuchswissenschaft-ler, sowohl zwischen Ländern als auch zwischenForschungseinrichtungen (und Industrie), nimmtzu, und die traditionellen Konkurrenten werden inZukunft um neue Wissensmärkte insbesondere inAsien ergänzt werden. Aus diesem Grunde wird dieAttraktion von Wissenschaftler aus dem Auslandoder die Rückgewinnung von im Ausland aktiveneinheimischen Forschern für europäische Ländertendenziell wichtiger (Brain Gain).

Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich,dass in unseren Befragungen Internationalität fürWissenschaftler unmittelbar mit dem eigenenErfolg verbunden wird. Das wichtigste Motiv – undder wichtigste Nutzen – in Bezug auf Auslandsauf-enthalte der befragten Wissenschaftler ist derenBedeutung für die eigene wissenschaftliche Kar-riere, direkt gefolgt von der Zusammenarbeit mitanderen Forschern. Zudem sind auslandsmobileWissenschaftler in der Regel auch produktiver, esgibt eine hohe positive Korrelation zwischen denPublikationsleistungen von Forschern und derenAuslandsmobilität.

Für Forschungseinrichtungen sind neben Drittmit-telquellen (EU) die wichtigsten der zahlreichenabgefragten Motive Zugang zu exzellentem Wissen

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 15

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(und damit Verbesserung der eigenen Forschungs-leistung) und Steigerung der eigenen Reputation.Gefragt nach dem konkreten Nutzen ihrer interna-tionalen Aktivitäten antworten die Forschungsein-richtungen relativ einheitlich, dass internationaleAktivitäten ihre Reputation mehren und ihre For-schungskompetenz erhöhen. Dieser Kompetenz-gewinn kommt auch mittelbar dem Forschungs-standort Deutschland zu Gute, denn insbesonderedie Mehrzahl der anwendungsorientierten Einrich-tungen sieht eine unmittelbare Verbesserung beiinländischer Kooperation und Auftragsforschungdurch eigene internationale Aktivitäten.

Was wäre zu tun?

Während die Möglichkeiten der EU die Bedingungenfür innereuropäische Forschungskooperationen aus-reichend erscheinen – und durch den geplantenEuropean Research Council um eine weitere, grund-lagennahe Facette bereichert werden – gibt esoffensichtlich einen großen Bedarf an Fördermög-lichkeiten für Kooperationen mit Partnern außerhalbEuropas. Angesichts der globalen Bedeutungsver-schiebung von Forschungskompetenz und -attrakti-vität insbesondere in Richtung China und Indien istein solches Angebot wünschenswert. Zudem fühlensich viele Forscher durch die thematischen Vorga-ben von Kooperationsprogrammen eingeengt. Inter-disziplinäre Themen und Themen, die nicht durchbestehende Programme abgedeckt werden, sindinternational deswegen schwierig zu bearbeiten.Und schließlich sind für die Forschungseinrichtun-gen Hilfestellungen notwendig in Bezug auf intel-lektuelle Schutzrechte in grenzüberschreitendenKooperationen, denn insbesondere im anwendungs-nahen Bereich liegt hier für viele Einrichtungen eingroßes Risikopotenzial.

In Bezug auf Mobilität deutscher Forscher scheinendie Angebote in der deutschen Förderlandschaft imPrinzip ausreichend, allerdings scheint es sinnvoll,mehr Möglichkeiten zu schaffen, damit junge For-scher auch kurzfristig und ad hoc Auslandsaufent-halte unternehmen können. Ferner sollte einSchwerpunkt zukünftiger Förderung von Mobilitätin den Ländern – also insbesondere China – gelegtwerden, die in Zukunft als Kooperationspartner anBedeutung gewinnen, in denen aber immer nochsehr wenig deutsche Wissenschaftler vor Ort aktivsind.

Ein zentrales Problem stellen schließlich die gene-rellen Bedingungen an deutschen Hochschulen

und Forschungseinrichtungen dar, die den Stand-ort für ausländische Wissenschaftler und für Deut-sche, die im Ausland und im Prinzip auch rückkehr-willig sind, unattraktiv machen und in vielen Fällenaus notwendiger „brain circulation“ einen „braindrain“ werden lassen. Ohne verbesserter eigeneAttraktivität droht das Land, zu einem Netto-Verlie-rer in der Internationalisierung von Wissenschaft zuwerden – dies gilt bei allen befragten und interview-ten Akteuren als größte Gefahr in Bezug auf Inter-nationalisierung der Wissenschaft. Als wesentlicheMerkmale dieser mangelnden Attraktivität nennenForschern, Leiter von Forschungseinrichtungenund Kontextexperten gleichermaßen die man-gelnde Ausstattung an Hochschulen und die in vie-len Bereichen fehlende kritische Masse, die iminternationalen Exzellenzwettbewerb nicht wettbe-werbsfähige Bezahlung bzw. deren mangelnde Fle-xibilität bei der Eingruppierung ausländischer Wis-senschaftler, die mangelnde Verfügbarkeit aus-sichtsreicher, planbarer wissenschaftlicher Stellenund die als relativ geschlossen empfundenen Netz-werke und starren Hierarchien an deutschen Hoch-schulen. Für ausländische, insbesondere außer-europäische Forscher kommen Bestimmungen desZuwanderungsgesetzes hinzu, wie etwa die Vor-gabe, dass Graduierte nach dem Abschluss desStudiums wieder in ihr Heimatland zurück müssen,erschwerend hinzu. Des Weiteren ergeben sichProbleme in der Handhabung des Zuwanderungs-rechts durch die jeweils zuständigen Ausländerbe-hörden. Da entsprechendes Wissen über denUmgang mit Gastwissenschaftlern nicht gebündeltist, sind Erfolg oder Misserfolg vom Geschick derbetroffenen Forschungseinrichtung oder Hoch-schule sowie dem Wohlwollen des einzelnen Bear-beiters abhängig.

Das BMBF plant zurzeit eine Internationalisie-rungsinitiative, die Impulse für die verschiedenenDimensionen der Internationalisierung setzen sollund die Aktivitäten der vielfältigen Akteure besseraufeinander bezieht und unterstützt. Die Zeit ist reiffür eine solche Initiative. In Bezug auf die Attrakti-vität des Wissenschaftsstandortes kann diese Initi-ative einem einfach formulierten Leitsatz folgen:Die wesentlichen Stellschrauben sind – bei allerBedeutung etwa verbesserter Einwanderungsbe-stimmungen – nicht Sonderprogramme für auslän-dische Forscher, vielmehr ist für die internationaleAttraktivität alles dienlich, was die Bedingungen fürexzellente Forschung und für die Entwicklung deswissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland

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ganz generell verbessert. Und dies wird ohne eineVerbesserung der Ausstattung und dem Aufbre-chen tradierter Strukturen insbesondere an Univer-sitäten nicht zu erreichen sein.

Dr. Jakob Edler leitet die Abteilung Innovations-systeme und Politik am Fraunhofer Institut für Sys-tem und Innovationsforschung in Karlsruhe

Referenzen

Frietsch, R. (2004). Entwicklung der internationalenWissenschaftskooperationen. Analysen im Rah-men der jährlichen Berichterstattung ,Zur Technolo-gischen Leistungsfähigkeit Deutschlands‘, Karls-ruhe (Studien zum deutschen InnovationssystemNr. 11-2004).

Gibbons, M. et al. (1994): The New Production ofKnowledge, London: Sage

Anmerkung: Die empirische Basis für diesen Arti-kel bildet eine aktuelle Studie, die das BMBF finan-zierte und die von einem internationalen Konsor-tium von ZEW Mannheim, Technopolis, Amster-dam/Wien und dem Fraunhofer ISI, Karlsruhe(Gesamtleitung J. Edler) durchgeführt wurde. Darin

hat das ZEW Mannheim (Dr. Georg Licht, Dr. Chris-toph Grimpe, Heide Löhlein) in Abstimmung mitdem Fraunhofer ISI deutsche Wissenschaftler(2680 Antworten) und ausländische Wissenschaft-ler in Deutschland (783 Antworten) befragt. DasFraunhofer ISI hat eine Befragung von öffentlichfinanzierten Forschungsinstitute der Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer Gesellschaft, LeibnizGemeinschaft und Helmholtz Gemeinschaft (insge-samt 118 Antworten) und Universitätsleitungen (76Antworten) durchgeführt (federführend von Dr.Bernd Ebersberger). Dabei können die Ergebnissezu den Universitäten nicht mit den Ergebnissen zuden öffentlichen Forschungseinrichtungen ver-glichen werden, denn die operativen Einheiten derUniversitäten (Fachbereiche/Institute/Lehrstühle)konnten nicht befragt werden, die Universitätsbe-fragung deckte folglich ausschließlich Aktivitätenund Sichtweise der Universitätsleitungen aus unddient der Ergänzung, keinesfalls der vertieften Ana-lyse in Bezug auf Universitäten. Ferner wurden imersten Halbjahr 2006 ca. 60 Kontextakteure inter-viewt und sieben Fallstudien erstellt. Zudem hatdas Fraunhofer ISI (federführend Rainer Frietsch)mittels einer Ko-Publikations- und Ko-Patentana-lyse internationale Kooperationen ermittelt.

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 17

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Deutsche Universitätenim Umbruch – NeuereEntwicklungen

von Josef Lange

Häufig wurde im Rahmen des Humboldt-Kollo-quiums in Helsinki die Frage gestellt: Wasgeschieht zur Zeit in Deutschland in den Hoch-schulen und einige Schlagworte wie Föderalismus-reform, Studienbeiträge oder Studiengebühren undExzellenzinitiative sind auch außerhalb Deutsch-lands bekannt. Bevor ich auf die aktuellen Themeneingehe, möchte ich einige Grundaussagen dar-stellen, die die hochschulpolitische Diskussion inDeutschland öffentlich oder verdeckt bestimmen.

Erwartungen an die Hochschulen

Die Hochschulen sollen Lehre und Studium fürinzwischen mehr als ein Drittel eines Altersjahr-gangs anbieten. Die Tendenz ist steigend. In dendeutschen Hochschulen wurden in den letzten Jah-ren zwischen 37 und 39 % eines Altersjahrgangsimmatrikuliert. In manchen Ländern ist der Anteilder Abiturienten an der gleichaltrigen Bevölkerungauf mehr als 50 Prozent angestiegen.

Universitäten sind nicht nur Einrichtungen derLehre, sondern sind Einrichtungen von Lehre undForschung. Deshalb müssen Universitäten trotz derstarken außeruniversitären Forschung in Deutsch-land auch an der Weiterentwicklung der Wissen-schaft teilnehmen und die Entwicklung der Wissen-schaft mitbestimmen, wenn sie – um den früherenPräsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Pro-fessor Hans-Uwe Erichsen, zu zitieren – weiterhin„Mutterwesen der Wissenschaft“ bleiben wollen.Aus meiner Sicht müssen Universitäten solche„Mutterwesen“ bleiben.

Deutschland befindet sich wie alle Länder im Zeit-alter der Globalisierung nicht nur der Wirtschaft,sondern auch der Wissenschaft, die ja nach ihrerDefinition international ist. Aber wenn wir in Europain der Internationalität unserer Hochschulen schonso weit wären, wie die Universitäten des Mittelal-ters waren, dann wären wir im europäischen Hoch-schulraum schon ein Stückchen weiter und des-halb wird von den Hochschulen in Deutschland ein

Beitrag zur Internationalisierung und auch zurInterkulturalität erwartet. Denn Realität in Deutsch-land ist, dass von den gut 80 Mio. Einwohnern 15Mio. einen Migrationshintergrund haben. DieDiskussion in Deutschland über die Entwicklungvon Parallelgesellschaften insbesondere in denBallungsräumen und den Großstädten kann dieHochschulen nicht ruhen lassen. Und schließlichwird von den Universitäten, wird von den Hoch-schulen auch ein Beitrag zu Problemlösungen fürdie Gesellschaft erwartet.

Was heißt die Formulierung solcher Erwartungenfür die Hochschulen? Die rund 100 Universitäten in Deutschland könneninsgesamt die Fülle der Wissenschaften repräsen-tieren, aber nicht jede einzelne für sich. Auch diegroßen klassischen Universitäten können diesnicht. Das bedeutet, dass von den Hochschulen,jedenfalls aus der Hochschulpolitik, aber auch ausder Wissenschaft heraus eine Differenzierungerwartet wird zwischen den einzelnen Universitätenund innerhalb der einzelnen Universitäten. MancheEntwicklungen der letzten Jahre in Deutschland imBereich der Hochschulpolitik treiben diese Differen-zierung innerhalb der Universitäten voran. Es gibtunterschiedliche Erwartungen an die Hochschulen:• Erwartungen der Studienbewerber und Studie-

renden. Wir wissen aus Umfragen in Deutsch-land, dass etwa 80 Prozent der Studierendenauch an Universitäten eine hoch qualifizierteBerufsausbildung erwarten, aber nicht an Bil-dung durch Wissenschaft und eine anschlie-ßende Tätigkeit in der Wissenschaft interessiertsind.

• Erwartungen des Arbeitsmarktes, der in einerGesellschaft, die auf dem Weg zur Wissensge-sellschaft ist, immer stärker höher qualifizierteAbsolventinnen und Absolventen verlangt.

• Erwartungen der Wissenschaft, der Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler aus denunterschiedlichen Fächern, dass Absolventin-nen und Absolventen Beiträge zur Weiterent-wicklung der Wissenschaft leisten.

Herausforderungen für die Hochschulen

Vertreter der Wirtschaft in Deutschland lieben esseit einigen Jahren, den Hochschulen mehr Wett-bewerb vorzuschreiben. Als ob Hochschulen sichnicht längst im Wettbewerb befänden. Ich will dreiBereiche nennen. Hochschulen sind im Wettbe-werb um Reputation, um Personen und um Res-sourcen.

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Reputation um wissenschaftliches Ansehen ist dieentscheidende Währung auch in der Wissen-schaft. Der Wettbewerb um Personen ist der Wett-bewerb um die besten Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler, der Wettbewerb um den bestenwissenschaftlichen Nachwuchs und – auch wennmanche Universitäten in Deutschland immer nochüber Überlastung klagen – der Wettbewerb um diebesten Studierenden. Bei den Ressourcenbesteht nicht nur Wettbewerb um Drittmittel beider Deutschen Forschungsgemeinschaft, bei denBundesministerien, bei der Europäischen Unionfür den Bereich der Forschung. Es ist auch einWettbewerb um Drittmittel für die Lehre, wie in derdeutschen Diskussion inzwischen Studienbeiträgebezeichnet werden. Und schließlich herrscht auchein Wettbewerb um die Grundausstattung, die für die Hochschulen in Deutschland von den Län-dern zur Verfügung gestellt wird, die immer stärkerauf Leistung und Belastung der Hochschulen ein-geht.

Um wettbewerbsfähig zu sein bei diesen Heraus-forderungen für die wissenschaftliche Entwick-lung, denn dies ist Hauptaufgabe der Universitä-ten, müssen die Hochschulen, insbesondere dieUniversitäten, ihr eigenes Profil schärfen. Sie kön-nen mir jetzt zu Recht vorhalten, das sind dieWorte, die die Politiker im Munde führen, wennihnen sonst nichts einfällt. Profilbildung durchPrioritäten und Posterioritäten. Wenn Universitä-ten oder Politik Schwerpunkte bilden wollen ineiner Universität und sie können dies über zusätz-liche Mittel gestalten, ist Schwerpunktbildung ver-hältnismäßig einfach. Wenn Schwerpunkte gebil-det werden müssen, um international wettbe-werbsfähig zu sein, ohne zusätzliche Mittel, dannbedeutet dieses Umschichtung bis hin zur Schlie-ßung an anderer Stelle. Dies führt zur internenDifferenzierung, aber auch zu schwierigen inter-nen Auseinandersetzungen und Entscheidungenin den Universitäten.

Universitäten müssen stärker miteinander koope-rieren auf der Ebene der Fächer, aber auch derInstitutionen und dafür manchmal auch strategi-sche Allianzen bilden. Die Exzellenzinitiative desBundes und der Länder in Deutschland führt zudiesen strategischen Allianzen zwischen Univer-sitäten und außeruniversitären Forschungseinrich-tungen, insbesondere mit den Instituten der Max-Planck-Gesellschaft und der Wissenschaftsge-meinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz.

Schließlich betrachte ich es als Herausforderungfür die Hochschulen, stärker zu Einrichtungen zuwerden, mit denen sich die Mitglieder der Hoch-schule tatsächlich identifizieren, um aus einer sol-chen Position der Stärke heraus eine strategischePlanung für den Generationswechsel bei Professo-rinnen und Professoren einzuleiten und dann auchumzusetzen. Bis zum Jahre 2014 wird etwa dieHälfte aller Professorinnen und Professoren andeutschen Universitäten aus Altersgründen in denRuhestand gehen. Wenn wir es nicht schaffen, inden nächsten acht Jahren die Hochschulen neu zustrukturieren und über gezielte Berufungspolitik tat-sächlich international konkurrenzfähige und füh-rende Schwerpunkte zu schaffen, dann haben wireine Chance verspielt. Diese Perspektiven undHerausforderungen führen natürlich auch manch-mal zu schwierigen Auseinandersetzungen zwi-schen einer Landesregierung und ihren Hochschu-len und zu schwierigen Auseinandersetzungen inden Hochschulen.

Neuere Entwicklungen für das Hochschul- undForschungssystem in Deutschland

Die Stichworte sind: Föderalismusreform, Pla-nungssicherheit für die Hochschulen, leistungs-orientierte Mittelverteilung, die Einführung von Stu-dienbeiträgen, sozialverträglich in einer zunehmen-den Zahl von Ländern, die Auswirkungen desBologna-Prozesses, die Selbstauswahl der Studie-renden durch die Hochschulen, eine Entwicklung,die erst in den letzten zwei, drei Jahren in Deutsch-land eingesetzt hat, und schließlich die Exzellenz-initiative des Bundes und der Länder.

Föderalismusreform

Bundestag und Bundesrat haben diese Änderungder Verfassung im Sommer beschlossen. Damitwird die Zahl der Gesetze, die durch die zweiteKammer, durch den Bundesrat, beschlossen wer-den müssen, auf ein Drittel reduziert. Eines derZiele der Verfassungsreform war, die Verantwort-lichkeiten zwischen der Ebene des Bundes und derEbene der Länder klarer zu formulieren und in derVerfassung zu verankern. Gemäß dem Grundsatzder Kulturhoheit der Länder ist die Verantwortungfür die Hochschulen eindeutig den Ländern zuge-wiesen worden, während die bisherige Gemein-schaftsaufgabe Forschungsförderung weiterhineine solche des Bundes und der Länder bleibt.Deshalb werden die Deutsche Forschungsgemein-schaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Wissen-schaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz, die

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 19

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Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungs-zentren und die Fraunhofer-Gesellschaft weiterhinvon Bund und Ländern gemeinsam finanziert. Esbleibt auch dabei, dass der Deutsche AkademischeAustauschdienst und die Alexander von Humboldt-Stiftung durch den Bund weiter finanziert werden.

Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wurdeabgeschafft. Sie geht an die Länder über, die dafürbis zum Jahre 2019 vom Bund eine Ausgleichsfi-nanzierung erhalten.

Weil es aber in der Forschung und damit auch inden Universitäten Bereiche gibt, die von gesamt-staatlicher Bedeutung sind, wurde die Gemein-schaftsaufgabe Forschungsförderung erweitert umdie Gemeinschaftsaufgabe Forschungsbauten undGroßgeräte von überregionaler Bedeutung. Als Kri-terium für die Förderung in dieser Gemeinschafts-aufgabe wurde definiert: hervorragende Qualität.Diese soll festgestellt werden nach Anmeldung derVorhaben durch die Länder durch eine Begutach-tung der Bauvorhaben durch den Wissenschaftsratund der Großgeräte durch die Deutsche For-schungsgemeinschaft. Das hört sich kompliziert anund ist geschuldet dem komplexen Verhältnis zwi-schen dem Bund und sechzehn Ländern in derBundesrepublik Deutschland. Ich bin aber sicher,dass wir ab Beginn des nächsten Jahrs die Umset-zung dieser Veränderungen in der Verfassung fürdie Praxis der Hochschulen realisiert haben wer-den.

Mittelfristig verlässliche Planung

Wenn heute ein Studium begonnen wird, bedeutetdies, dass die Studierenden drei bis fünf Jahre inden Hochschulen sind. Haushalte werden von denRegierungen für ein bis maximal zwei Jahre aufge-stellt und von den Parlamenten entsprechend ver-abschiedet. Aus den Hochschulen kommt seit lan-gem die Forderung, eine mittelfristig verlässlicheFinanzplanung zu erhalten und nicht von Jahr zuJahr mit Steigerungen oder – viel schlimmer – Kür-zungen konfrontiert zu werden.

In inzwischen mehr als die Hälfte der Länder derBundesrepublik Deutschland gibt es mehrjährigeVerträge zwischen den Landesregierungen undden Hochschulen über die Hochschulfinanzierung.

Da ich in Niedersachsen tätig bin, berichte ich vomniedersächsischen Beispiel. Im Oktober 2005haben die Landesregierung und die Hochschulen

einen so genannten Zukunftsvertrag unterzeichnet,der die Hochschulfinanzierung auf der Basis desHaushalts 2006 bis zum Jahr 2010 einschließlichsichert. Die zusätzlichen Mittel, die der Bund überdie Exzellenzinitiative für die Hochschulen zur Ver-fügung stellt mit 75 % der Gesamtsumme, müssen25 % vom Land gegenfinanziert werden. Dazu hatsich das Land verpflichtet, ohne zu wissen, wiehoch diese Summe sein wird. Die Mittelzuweisungan die Universitäten wird aus dem historischGewachsenen leicht verändert und ein Teil derMittel wird nach Leistung und Belastung zugeord-net. In diesem Jahr 2006 beträgt die leistungsorien-tierte Mittelverteilung 3 %, im nächsten Jahr 6 %,im Jahre 2008 10 % der Mittel. Die Hochschulenhaben sich, um handlungsfähig zu werden, ver-pflichtet, interne Innovations- und Berufungspoolszu bilden, bei den Universitäten 1,5 % der Mittel.Unsere Erwartung als Landesregierung hatte sichauf mindestens 5 oder 10 Prozent bezogen. DiePräsidentinnen und Präsidenten haben uns er-klärt, das schaffen wir nicht in einem Zeitraum vonfünf Jahren, und insofern haben wir uns als Wis-senschaftsministerium mit 1,5 % begnügen müs-sen.

Auf dieser Basis, nämlich einer verlässliche Finan-zierung bis zum Jahre 2010, hat der Niedersächsi-sche Landtag im Dezember vergangenen Jahresdie Einführung von Studienbeiträgen in Höhe von500 € pro Semester beschlossen. Die Mittel ausStudienbeträgen, die die Studierenden finanzieren,werden nicht auf der anderen Seite vom Finanzmi-nister den Hochschulen wieder abgezogen. DieseÜberlegung war durchaus in der Diskussion. DerErhalt der staatlichen Finanzierung im bisherigenUmfang war für den Wissenschaftsminister die ent-scheidende Voraussetzung, um der Einführung vonStudienbeiträgen oder Studiengebühren zuzustim-men. Dieser Zukunftsvertrag ist vom Landtag, alsovom Parlament des Landes, gebilligt worden und erkann auch nur mit Zustimmung des Parlamentsgeändert werden. Er gilt bis zum Jahre 2010, alsoüber die Legislaturperiode hinaus. Eine größereSicherheit kann eine Landesregierung den Hoch-schulen des Landes nicht bieten, als wenn derHaushaltsgesetzgeber einem solchen Vertragzustimmt und sich damit für knapp 10 % des Lan-deshaushalts bis zum Jahre 2010 bindet.

Leistungsorientierte Mittelverteilung

In Niedersachsen wird differenziert zwischen Geis-tes- und Sozialwissenschaften, Naturwissenschaf-

20 Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen

Analysen

ten und Ingenieurwissenschaften. Wir haben beiden Universitäten Gleichgewichte zwischen Lehreund Forschung und eine Komponente Gleichstel-lung einbezogen. Ich will Ihnen die einzelnen Pro-zent-Zahlen nicht vortragen, das kann man dannvielleicht nachlesen. Ich will für den Bereich For-schung die drei Komponenten herausheben. Wirhaben die Zahl der Promotionen mit 24 Prozentgewichtet. Die eingeworbenen Drittmittel werdenmit 74 Prozent gewichtet. Für die KomponenteInternationalität sind als einzige Indikator für Inter-nationalität die Stipendiaten und Preisträger derAlexander von Humboldt-Stiftung eingefügt. DieserVorschlag des Ministeriums ist von den Universitä-ten – auch von denjenigen, die davon nicht profitie-ren, – akzeptiert worden.

Wann immer Sie also als Humboldt-Fellows an eineniedersächsische Universität kommen, tragen Siedamit auch zum finanziellen Erfolg dieser Univer-sität bei.

Über den Indikator hat es auch keinerlei Diskussio-nen gegeben, weil die Qualität der Auswahl derAlexander von Humboldt-Stiftung bei den deut-schen Universitäten unstreitig ist. Und wir sind alsWissenschaftsministerium ein bisschen stolz da-rauf, dass es uns gelungen ist, dieses Kriteriumauch innerhalb der Landesregierung durchzuset-zen und das war nicht selbstverständlich.

Studienbeiträge

Studienbeiträge sind für die Erstsemester in die-sem Wintersemester eingeführt. Aus Gründen derRechtssicherheit sind sie von den bereits Immatri-kulierten erst zum kommenden Sommersemesterzu entrichten. Sie betragen einheitlich 500 € proSemester, und zwar für die Regelstudienzeit plusvier Semester. Das Landesparlament hat uns auf-gegeben, nach drei Jahren – bis Mitte 2010 – einenBericht vorzulegen, welche Auswirkungen die Ein-führung der Studienbeiträge gehabt hat und wie diezusätzlichen Einnahmen aus Studienbeiträgen inden Hochschulen verwandt wurden.

Angesichts der Entscheidungen des Bundesverfas-sungsgerichts in Deutschland war es wichtig,sicher zu stellen, dass die Mittel tatsächlich zur Ver-besserung der Qualität der Lehre eingesetzt wer-den. In den Nds. Gesetzen ist festgelegt, dass dieMittel nicht zur Ausweitung der Studienplatzkapa-zität verwandt werden dürfen, sondern dass sie als Drittmittel für die Lehre zur Verbesserung

der Qualität eingesetzt werden sollen. Wir habendazu den Hochschulen die Freiheit gelassen,unterschiedliche Maßnahmen zu finanzieren.Bereits jetzt ist zu Beginn des Wintersemestersabsehbar, dass die Hochschulen unterschiedlicheStrategien dazu einschlagen werden. Es gab inNiedersachsen bereits Langzeitstudiengebühren –die bleiben. Das sog. Seniorenstudium für Studie-rende über sechzig Jahre wird auch gebühren-pflichtig belegt mit 800 € pro Semester.

Sozialverträglichkeit der Studienbeiträge

Niemand soll durch Studienbeiträge davon abge-halten werden, ein Studium aufzunehmen. Studie-rende, die ein Kind bis zum 14. Lebensjahr erzie-hen oder kranke oder alte Angehörige pflegen, dieschwer behindert sind oder Opfer einer Straftagwaren, werden von Studienbeiträgen frei gestellt.Gleiches gilt für ein Auslandssemester. Menschen,die an zwei Hochschulen eingeschrieben werden,zahlen Studienbeiträge selbstverständlich nur aneiner Hochschule. Die Frage, wie kann man denHochschulen Anreize geben, haben wir dadurchbeantwortet, dass die Hochschulen gesetzlich dieMöglichkeit erhalten, im Rahmen ihrer Eigenverant-wortung und im Rahmen ihrer Autonomie auch Sti-pendien zu vergeben, z. B. für Studierende mitbesonderen wissenschaftlichen Leistungen. EineHochschule hat bereits angekündigt, Stipendien fürsolche Studierenden zu vergeben, die sich inbesonderer Weise in sozialen Brennpunkten enga-gieren und damit ihre Fähigkeiten einsetzen, umnützliche und erforderliche Aufgaben für die Gesell-schaft zu erfüllen.

Für Studierende, die nicht von Studienbeiträgenfreigestellt werden, gibt es die Möglichkeit, ein Dar-lehen aufzunehmen. Dieses ist unabhängig von derEinkommens- und Vermögenssituation der Studie-renden. Es wird zurückgezahlt zwei Jahre nachStudienabschluss und wenn ein entsprechendesnachgewiesenes Einkommen vorliegt, damit dasExistenzminimum gesichert wird. Als Rückzah-lungsgrenze haben wir die Grenze angesetzt, diefür die Rückzahlung von Studiendarlehen für Stu-dierende aus einkommensschwachen Familien indem entsprechenden Bundesgesetz vorgesehensind, plus 100 € pro Monat. Alle Darlehen, die über15.000 € liegen, werden auf dieser Höhe gekappt.Die entfallenden Mittel werden aufgefangen voneinem gemeinsamen Ausfallfonds, in den die Hoch-schulen zwischen 6 und 10 % der Einnahmen ausden Studienbeiträgen einzahlen.

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 21

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Bologna-Prozess

Zum Thema Bolognaprozess kennen Sie die Ent-scheidungen, auf die sich die Hochschulen unddie europäischen Wissenschaftsminister seit 1999in Bologna, dann in Prag, in Berlin und in Bergen,verständigt haben. Die nächste Konferenz findetim nächsten Frühjahr in London statt. Ich will dieses nicht im Einzelnen ausführen, weil esIhnen vermutlich alles bekannt ist, aber kurz zumStand in Deutschland im Sommersemester 2006berichten. 36 % aller Studiengänge an deutschenUniversitäten und Fachhochschulen sind bereitsauf Bachelor- und Masterstudiengänge umge-stellt. Die Fachhochschulen sind den Universitä-ten mit gut 56 Prozent voraus, an den Universitä-ten sind es 31 Prozent. Die künstlerischen Hoch-schulen haben nur einen kleinen Anteil vonBachelor- und Masterstudiengängen mit knapp7,5 Prozent. Niedersachsen ist in diesem Prozessrelativ weit vorn mit 46 Prozent aller Studien-gänge, die auf die Bachelor-/Masterstrukturumgesellt sind. Für unser Bundesland bin ichzuversichtlich, dass mit Ausnahme derjenigenStudiengänge, die staatlich reguliert sind – Medi-zin, Pharmazie, Jura – die Umstellung bis zumJahr 2010 gelungen sein wird. 15 Prozent allerStudienanfänger in Deutschland waren im Winter-semester 2004/2005 in Bachelor- und Masterstu-diengängen eingeschrieben. Die spezifischenDaten für das vergangene Wintersemester habenwir leider noch nicht. Knapp 10.000 Abschlüssewaren im Jahre 2005 im Bachelor- und im Master-bereich zu verzeichnen.

Interessant ist, dass etwa die Hälfte der Masterab-schlüsse von Studierenden mit ausländischemPass abgelegt wurde. Das zeigt schon nach weni-gen Jahren, dass die Einführung dieser Struktur,die Einführung der Masterstudiengänge, Hoch-schulen in Deutschland attraktiver macht fürBachelor-Absolventen aus anderen Ländern, umnach Deutschland zu kommen. Das Durchschnitts-alter von Bachelor-Absolventen liegt deutlich unterdem der Diplomabsolventen an Universitäten undFachhochschulen. Dies zeigt auch: die Erwartung,dass man mit einem strukturierten Studium densehr hohen Altersdurchschnitt deutscher Hoch-schulabsolventinnen und -absolventen senkenkann, scheint sich zu bestätigen. Aber wir sindnoch in den ersten Jahren der neuen Struktur undinsofern sind die Erfolgreichen natürlich diejenigen,die besonders zügig studieren.

Auswahl der Studierenden

Wettbewerb um Studierende heißt, dass sich dieStudierenden ihre Hochschulen aussuchen könnenund die Hochschulen ihre Studierenden. Das ist fürUniversitäten weltweit selbstverständlich. Das ist inDeutschland aufgrund des Rechtsanspruchs, dassjeder, der ein Abitur oder eine andere Hochschulzu-gangsberechtigung hat, auch studieren darf, nichtselbstverständlich. Dieser Rechtsanspruch hat u. a.zu den schwierigen Entwicklungen in den letzten 30Jahren in Deutschland geführt. In Niedersachsensind die Zulassungsregelungen jetzt gesetzlich sogetroffen, dass die Hochschulen bei Studiengängenmit Zulassungsbeschränkungen 75 bis 90 Prozentder Studierenden selbst auswählen können. Dastraditionelle Kriterium war die Auswahl nach derDurchschnittsnote des letzten Zeugnisses. Um abereine stärker profilierte Auswahl treffen zu ermög-lichen, hat der Gesetzgeber in Niedersachsen fest-gelegt, dass für mindestens die Hälfte der Plätzeein weiteres Kriterium definiert werden muss. Krite-rium können fachspezifisch gewichtete Leistungensein, das kann eine Berufsausbildung oder einepraktische Tätigkeit sein, das können Essays sein,das kann ein Auswahlgespräch sein, es kann eineschriftliche Arbeit sein oder eine Kombination dieserKriterien. Diese Definition ist den Hochschulenübertragen und sie müssen die Auswahl und dasVerfahren selbst verantworten. Wir haben nachzähen Diskussionen mit den Hochschulen, aberauch mit der eigenen Ministerialbürokratie, die los-lassen muss, die die Hochschulen in die Freiheitentlassen muss, durchgesetzt, dass die Hochschu-len dieses selbst entscheiden können. Und auch dieMitglieder des Parlaments mussten erst davonüberzeugt werden, dass Hochschulen besser überdie Zulassung ihrer Studienbewerber entscheidenkönnen als der Gesetzgeber.

Exzellenzinitiative

Die Bundesregierung und die Regierungen dersechzehn Länder haben sich darauf verständigt,bis zum Jahre 2011 1,9 Mrd. € zusätzlich in dieHochschulen im Rahmen einer Exzellenzinitiativezu investieren. Die Mittel sollen im Wettbewerb ver-geben werden. Entschieden wird dieser Wettbe-werb über die Deutsche Forschungsgemeinschaftund den Wissenschaftsrat mit überwiegend auslän-dischen Gutachtern. Die Peer-Groups von DFGund Wissenschaftsrat haben einen Anteil ausländi-scher Gutachter von deutlich über 80 %, um ineinem Wettbewerb, in dem sich nahezu alle deut-

22 Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen

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schen Universitäten beteiligen, auch eine möglichstobjektive Begutachtung zu ermöglichen. Das Zielist, etwa 40 Graduiertenschulen mit einem zusätz-lichen Förderaufwand von 1 Mio. € pro Jahr einzu-richten und in der Forschung etwa 30 Exzellenz-cluster zu bilden, in die pro Jahr 6,5 Mio. € inves-tiert werden. Etwa zehn Universitäten in Deutsch-land, die für ihre eigene Entwicklung Zukunftskon-zepte vorlegen können, die es ihnen ermöglichen,mit entsprechender Finanzierung über einen mittel-fristigen Zeitraum tatsächlich international als Insti-tutionen an die Spitze zu kommen, sollen entspre-chend zusätzlich gefördert werden.

Neu in diesem Konzept ist darüber hinaus, dassder Einstieg in die Vollkostenfinanzierung von For-schungsvorhaben beginnt. Es gibt eine Overhead-finanzierung von 20 Prozent, die zunächst durchden Bund gezahlt wird. Derzeit wird zwischen demBund und den Landesregierungen diskutiert, dassauch für andere, zunächst für die strukturiertenForschungsvorhaben, mittelfristig für alle von derDFG geförderten Vorhaben solche Overheadkos-ten bezahlt werden sollen.

Zum Verfahren sind zunächst zwei Wettbewerbs-runden vorgesehen. Eine hat im vergangenen Jahrbegonnen und wird am 13. Oktober entschieden,eine zweite hat im April d. J. begonnen und wird imOktober 2007 entschieden werden.

In der ersten Runde sind Skizzen für 130 Graduier-tenschulen vorgelegt worden, die nach einerBegutachtung reduziert wurden. 39 Anträge sindjetzt im Begutachtungsverfahren. In der zweitenRunde sind 137 Skizzen bei der DFG vorgelegtworden und im Januar wird entschieden, wie vieledieser Skizzen zu Anträgen ausgebaut werden sol-len, also ein zweitstufiges Verfahren.

Bei den Exzellenzclustern wurden von den 157Skizzen in der ersten Runde 39 zur Antragstellungaufgefordert. In der zweiten Runde sind 145 Skiz-zen eingereicht worden.

Bei den Konzepten für Spitzenuniversitäten lagen27 Skizzen in der ersten Runde, 18 in der zweitenRunde vor. Über 10 Anträge wird am 13. Oktoberentschieden. Erstaunlich ist, dass trotz so großerZahlen von Anträgen und trotz der Begutachtungbisher keinerlei Gerüchte durch Deutschland kur-sieren, wer erfolgreich oder nicht erfolgreich seinwird. Ich denke, darin zeigt sich, dass es eine rich-

tige Entscheidung war, das Begutachtungsverfah-ren im Wesentlichen auf Gutachter zu konzentrie-ren oder mit Gutachtern durchzuführen, die nichtaus der Bundesrepublik Deutschland kommen.

Diese Exzellenzinitiative wird die Universitäten inDeutschland nachhaltig verändern im Sinne einerDifferenzierung.

Universität der Zukunft

Dennoch ist es – so scheint mir – sinnvoll, bei all’den geschilderten Aktivitäten inne zu halten unddarüber nachzudenken, was gestaltet die Zukunftder Universitäten und wie gestalten wir die Zukunftder Universität.

Wenn man Wissenschaft als „Erwartung des Uner-warteten“ bezeichnet, wo die Möglichkeiten eröff-net werden, Neues, bisher nicht Gedachtes zu den-ken, bisher nicht Gefundenes zu finden und zu ent-wickeln, dann ist die Universität nicht Selbstzweck,sondern ein Ort, in dem Wissenschaft ermöglichtwird. Nicht nur in großen Clustern, nicht nur in gro-ßen Gruppen, sondern auch für die Einzelne undfür den Einzelnen.

Die Universität ist nicht nur ein Ort der Bildung,sondern sie muss auch ein Ort kritischer Reflektionin der Gesellschaft bleiben oder in manchen Berei-chen auch wieder werden. Und dazu gehört ausmeiner persönlichen Sicht auch, dass wir von dem,was in den letzten Jahren in Deutschland etwasMode geworden ist, abrücken, nämlich in der öko-nomischen Betrachtung der Hochschulen die Stu-dierenden als Kunden der Universität zu bezeich-nen. Nein, Studierende sind Mitglieder der Univer-sitäten und ohne die Studierenden kann nicht gelin-gen, was Wilhelm von Humboldt in seiner Schriftzur Gründung der Universität in Berlin 1810geschrieben hat, dass Wissenschaft vom Zusam-menwirken der Alten und der Erfahrenen, der Mitt-leren und der ganz Jungen lebt, die Fragen stellen,die neu sind.

Die Universitäten müssen ihre Eigenverantwortungselbst wahrnehmen und sie müssen, weil sie inDeutschland überwiegend vom Steuern zahlendenBürger, d.h. von den Ländern oder auch vomBund, finanziert werden, darüber Rechenschaftablegen. Das bedeutet, dass Kollegialität auch soetwas wie soziale Kontrolle einschließt, damit allegemeinsam dem Ziel der Universität verpflichtetsind.

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 23

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Da ich lange auch im Hochschulmanagement tätigwar, bedeutet diese Sicht von Universität auch,dass Hochschulverwaltung und Hochschulma-nagement verlässlich sein müssen in der Routine.Sie bedeutet auch, dass strategische Planung vor-genommen werden muss, die aber in der Verwal-tung und in der Planung so gestaltet werden muss,dass das Unerwartete möglich werden kann. Wennwir es nicht schaffen, in der Universität die Frei-räume für die Wissenschaftlerin und den Wissen-

schaftler zu schaffen, die abseits der ausgetrete-nen Wege gehen, dann haben wir ein Gutteil des-sen, was wir mit der Reform der Hochschulen, mitder Reform der Universitäten anstreben, verfehlt.Deswegen müssen wir Universitäten so gestalten,dass Wissenschaft als Erwartung des Unerwarte-ten möglich wird.

Dr. Josef Lange ist Staatssekretär im Niedersäch-sischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur.

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Erfahrungsberichte

Anmerkungen zumHumboldt-Kolloquiumund Eindrücke aus der FachgruppeGermanistik, Sprach-und Literaturwissen-schaften

von Waltraud Wiethölter

Durch die Gespräche, die ich zunächst disziplinen-übergreifend, dann aber vor allem mit meinen ger-manistischen Fachkollegen/-kolleginnen führenkonnte, hat sich für mich relativ rasch die Moment-aufnahme eines Landes ergeben, mit dem ich bisdahin weder persönlich noch als Gutachterin derHumboldt-Stiftung in einen nennenswerten Kontaktgekommen war. Beides aber: der Eindruck, der mirvermittelt wurde, und die geringe, wenn nicht mar-ginale Stipendien-Nachfrage der zurückliegendenJahre – eine Tatsache, die sich nicht ohne weiteresmit der Einwohnerzahl Finnlands erklären läßt –,stehen offensichtlich in einem direkten Zusammen-hang.

So war allen diesen Gesprächen zu entnehmen,daß sich die Finnen nach Jahren spürbarer (volks-)wirtschaftlicher Zuwächse, die mit der EU-Anbin-dung, insbesondere aber mit dem weltweiten Erfolgvon Nokia zu tun hatten und die sich nicht zuletzt imStadtbild, in der Etablierung neuer, verhältnismäßigaufwendiger und sichtbar an westlichen Standardsorientierten Wohn- oder Einkaufsquartiere nieder-schlagen, bis zu einem gewissen Grade in einerStagnationsphase und einer Phase des dadurchprovozierten Umbruchs sehen. Man sucht nachWegen, die Abhängigkeit vom Wohlergehen Nokiaszu verringern, indem man in möglichst industrie-nahe Bereiche der Wissenschaft investiert und sichdabei auf sog. Nischenproduktionen konzentriert.Den EU-Beitritt der baltischen Staaten und dendamit veränderten Geldflüsse bzw. die allmählicheRealisierung einer im Norden wachsenden Konkur-renz sieht man in diesem Konnex nicht ohne Sorge.

Was die Lage der Hochschulen betrifft, so stehtähnlich wie bei uns das Stichwort der Ökonomisie-rung im Raum; die Kollegen berichten von umfas-senden Evaluationen und Umstrukturierungen, dieeindeutig zu Lasten der Geisteswissenschaftengehen. Für die Universität Helsinki und zumal dieGermanistik heißt das im Detail, daß z. B. der ein-zige literaturwissenchaftliche (und derzeit vakante)Lehrstuhl aller Voraussicht nach nicht wiederbe-setzt werden wird – man wird sich künftig auf diegegenwärtig von Prof. Korhonen und Prof. Hyväri-nen vertretene Sprachwissenschaft und deren vor-zugsweise auf den Spracherwerb bezogenes Lehr-angebot beschränken. Im stillen rechnen die Kolle-gen jedoch auch auf diesem Sektor mit einer weite-ren Reduktion; was dann aus dem bislang interna-tional hoch angesehenen finnischen Forschungs-beitrag zur deutschen Sprachwissenschaft wird,wagt niemand zu sagen.

Diese Form institutioneller Dezimierung ist dieReaktion auf eine Sachlage, die sich binnen einesJahrzehnts geradezu grundstürzend verändert hat.Den Informationen zufolge, die Prof. Korhonenanhand präziser Statistiken im Rahmen unseresWorkshops unterbreitet hat, ist die Zahl der Schü-ler/innen, die während ihrer gymnasialen Ausbil-dung Deutsch als erste Fremdsprache lernen, wiedas Generationen lang der Fall war, dramatischzurückgegangen – wenn ich mich recht erinnere,stehen in dieser Hinsicht nur noch zwei Prozentaller Schüler/innen in Rede. Das Interesse für deut-sche Sprache (und Literatur) ist dem Interesse amEnglischen gewichen – und zwar derart radikal,daß sich mittlerweile selbst die Jugendlichen aufenglisch verständigen, wenn es darum geht, zwi-schen der finnisch sprechenden Mehrheit und derschwedisch sprechenden Minderheit zu vermitteln.Hinzu kommt allerdings, daß die finnisch sprechen-den Abiturienten inzwischen nicht mehr – wie nochvor einigen Jahren – obligatorischerweise auch aufihre Schwedischkenntnisse überprüft werden.

Mit anderen Worten: Die traditionell festverankertePräsenz der deutschen Sprache, auf die man imheutigen Finnland allenthalben trifft, wird in Kürze,und wie es scheint: im Sinne einer unumkehrbarenEntwicklung, der Vergangenheit angehören – es seidenn, daß sich in irgendeiner Zukunft eine Situa-tion ergibt, die es aus wirtschaftlichen oder wissen-schaftlichen Gründen erneut sinnvoll – gewinnver-sprechend – erscheinen läßt, für die verlorenge-gangenen Kompetenzen zu sorgen. Ein solcher

Diskussionspapier | Innovationssysteme im globalen Wettbewerb – europäische Modelle und Reflektionen 25

Erfahrungsberichte

Hinweis kam immerhin vom dänischen Kollegen,Prof. Colliander; danach sind es unter den Studie-renden die karrierebewußten, die nach wie vorDeutsch lernen, weil sie glauben, es werde ihnenauf ihrem Berufsweg den erwünschten Erfolg ver-schaffen.

Professor Waltraut Wiethölter hat die Professurfür Neuere Deutsche Philologie und Hermeneutikinne und ist Mitglied in den Auswahlausschüssender Alexander von Humboldt-Stiftung.

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Eindrücke aus derFachgruppe Theologie,Philosophie und Sozialwissenschaften

von Christoph Horn

Insgesamt bildete das Humboldt-Kolloquium in Hel-sinki für mich eine herausragend positive Erfah-rung. Ich habe selten in Vier-Augen-Situationenoder in kleinen Gruppen so viele intensive Gesprä-che in so kurzer Zeit geführt wie in den dreieinhalbTagen in Helsinki. Wesentliche Bedingung dafürwar natürlich die Kombination zahlreicher hochka-rätiger in- und ausländischer Wissenschaftler(innen) aus weit auseinander liegenden Disziplinenund mit äußerst verschiedenen Standorten. Alsnicht minder hilfreich erwiesen sich die in der Mehr-zahl spannenden Plenumsvorträge und die reizvol-len Kontextbedingungen des finnischen Spätsom-mers in der wundervollen Landeshauptstadt. Vor-herrschende Themen dieser Gespräche warennatürlich wissenschaftliche Leistungs- und Quali-tätsstandards, Standortfragen, Rankings, Pro-bleme von Spezialisierung und Profilbildung, dasPrestige und die Leistungsfähigkeit der finnischenund der deutschen Wissenschaft, die deutscheExzellenzinitiative, der Bologna-Prozess sowie Fra-gen der Wissenschaftsorganisation und -admi-nistration.

Ein bisschen weniger enthusiastisch fällt meinUrteil dagegen mit Blick auf die Fachgruppenarbeitaus. Hier hatte ich nicht den Eindruck, dass sich fürmich selbst oder für andere inländische Wissen-schaftler(innen) aus der Philosophie oder denNachbardisziplinen herausragend attraktive Ko-operationsmöglichkeiten mit den anwesendenFachkolleg(inn)en anbieten würden. Ich muss aller-dings vorausschicken, dass mein Fachkolloquium(Theologie, Philosophie und Sozialwissenschaften)durch zwei gravierende Handicaps beeinträchtigtwar. Eines der beiden Probleme bestand darin,dass die Fächer Theologie, Philosophie und Sozial-wissenschaften so differente Fachkulturen undDiskussionsformen aufweisen, dass die Debattezwischen den Anwesenden nur äußerst mühsam inGang kam und von mir als Moderator mehrfach

wieder in Gang gesetzt werden musste. Die zweiteSchwierigkeit ergab sich daraus, dass die jeweili-gen Fachvertreter auch innerhalb der Disziplinenso unterschiedliche Forschungsthemen und wis-senschaftliche Paradigmen repräsentierten, dasssie miteinander relativ distanziert umgingen.

Der lebendigste und meistdiskutierte Vortrag desFachkolloquiums stammte von Herrn Prof. Dr.Zenonas Norkas (Vilinius/Litauen). Herr Norkasuntersuchte anhand von anschaulichem und rechteinleuchtendem Zahlenmaterial die mentalitätsge-schichtlichen Grundlagen des auffälligen ökonomi-schen Vorsprungs, den Estland unter den balti-schen Staaten innehat. Neben den Sonderbezie-hungen zu Finnland war es (natürlich, möchte mansagen) der Protestantismus, den er als Hinter-grundphänomen für die besondere Ökonomieaffi-nität und Leistungsbereitschaft der Esten identifi-zieren konnte. In meinem Urteil über die wissen-schaftliche Qualität des Referats bin ich sehr vor-sichtig; denn so überzeugend die Pointe desGesagten wirkte, so erwartbar war sie auch.

Herr Dr. Pekka J. Särkiö (Helsinki) ist ein jüngererfinnischer Alttestamentler, der die Frage nach derRolle der „fremden Frauen“ im Alten Testament –die Frage nach dem relativen Sozialstatus undSozialprestige von eingeheirateten Ausländerinnen– recht differenziert und auf der methodischenBasis historisch-philologischer Wissenschaft zuklären versuchte. Offenbar handelt es sich bei ihmum einen sehr professionellen und exakt arbeiten-den Kollegen. Beim anschließenden Mittagessen,das ich mit den beiden Theologinnen Prof. AnneliAejmelaeus und Prof. Alia Lauha einnahm, ent-spann sich eine höchst interessante und weiterfüh-rende Diskussion um die These von Herrn Särkiö,wonach die tendenziell abschätzigen AT-Äußerun-gen über fremde Frauen sich aus juda-kritischenAbsichten einiger der AT-Autoren ergäben. Die bei-den Theologinnen wussten dagegen erheblicheEinwände vorzutragen; insbesondere Frau KolleginAejmelaeus beeindruckte mich durch die Genauig-keit ihrer Analyse des Projekts von Herrn Särkiö.

Etwas ausführlicher habe ich mich mit Herrn PDJuhani Laurinkari (Kuopio, Finnland) unterhalten;Herr Laurinkari – der als Wirtschaftssoziologe undGenossenschaftstheoretiker sehr professionell undkompetent wirkte – drückte deutlich seine Besorg-nis darüber aus, dass man sich in Finnland zuse-hends von Kooperationsprojekten mit den deut-

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Erfahrungsberichte

schen Wirtschaftswissenschaften abwenden könn-te, um sich an der angelsächsischen Szene derökonomischen Forschung auszurichten.

Ich sehe durchaus ein, dass sich die Fachgruppen-arbeit nicht viel besser organisieren lässt, als eshier der Fall war. Allerdings waren die Bedingungenso deutlich suboptimal, dass ich zur Diskussionstellen möchte, ob man nicht anstelle der Fach-gruppe Theologie, Philosophie und Sozialwissen-schaften drei Roundtable-Gespräche (für Theolo-gie, Philosophie und Sozialwissenschaften) hätteeinrichten sollen, die dem Diskussionsstand, der

Fachsituation, den Kooperationsmöglichkeiten undverschiedenen organisatorischen Fragen der jewei-ligen Wissenschaften in den beteiligten Länderngewidmet gewesen wäre. Ich wäre gerne bereitgewesen, mich an jedem der drei Gespräche alsModerator und Mitdiskutant zu beteiligen.

Professor Christoph Horn hat den Lehrstuhl fürPraktische Philosophie und Philosophie der Antikeinne und ist Geschäftsführender Direktor des Insti-tuts für Philosophie an der Universität Bonn sowieMitglied in den Auswahlausschüssen der Alexandervon Humboldt-Stiftung.

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Eindrücke aus derFachgruppeGeschichte undRechtswissenschaften

von Norbert Frei

Bedingt durch die Verspätung meines Flugs nachHelsinki konnte ich nur an der zweiten Hälfte derEröffnungsveranstaltung teilnehmen. Immerhinkam ich aber noch rechtzeitig, um den Eröffnungs-vortrag über die Hanse zu hören. Der Kurzvortragwar anschaulich formuliert, ging allerdings nicht aufden für mich sich sehr naheliegende Zusammen-hang von Fernhandel, transnationaler Entwicklungund „Globalisierung“ als moderne Fragestellungein.

Damit ist dann auch schon ein allgemeiner Ein-druck formuliert, der sich am zweiten Kolloquiums-tag in dem von mir geleiteten Workshop für die Teil-nehmer aus der Rechts- und der Geschichtswis-senschaft im wesentlichen bestätigen sollte: Eineintellektuelle Frage- und Diskussionskultur, wie siein einer vergleichbaren Veranstaltung etwa imangelsächsischen Raum, aber auch in Deutsch-land zu erwarten gewesen wäre, kam nichtzustande. Damit bestätigte dieses Kolloquium eineErfahrung, die ich bei mehreren Reisen in die balti-schen Staaten in den letzten Jahren gemacht hatte:Die Geschichtswissenschaft in diesen Ländern ist –vermutlich vor allem aufgrund der starken gesell-schaftlichen Gegenkräfte und ihrer eher margina-len Position auch innerhalb der Universitäten –noch weit davon entfernt, jene kritisch-aufkläreri-sche Rolle zu übernehmen, wie sie die deutscheZeitgeschichtsforschung in den ersten Jahrzehntender Bundesrepublik zweifellos ausgefüllt hat.

Diese Feststellung darf allerdings nicht als Hinweisauf Uninteressiertheit verstanden werden. ImGegenteil hatte ich den Eindruck, dass das Inte-resse an der Sektion „Geschichte“, die ich im Rah-men des Humboldt-Kolloquiums für Humboldtiane-rinnen und Humboldtianer aus der Geschichte undverwandten Fachgebieten anbot, bemerkenswertgroß war. So stellte sich in der Vorstellungsrunde zuBeginn des Workshops heraus, dass mehrere

Naturwissenschaftler unsere Gruppe der eigentlichfür sie bestimmten vorgezogen hatten. Die Begrün-dung dafür war jedes Mal das Thema „DeutscheVergangenheits- und Schulddiskurse seit 1945“,das sich ja eher zufällig aus meinem Vortragsange-bot ergeben hatte. Man wird diese Bemerkungensicherlich als ein Indiz dafür lesen können, dass diejüngere deutsche Geschichte nach wie vor als eineBesonderheit betrachtet wird; zugleich schien dieFrage, wie die Deutschen mit ihrer NS-Vergangen-heit im Laufe der Jahrzehnte umgegangen sind, fürdie Teilnehmer aus den baltischen Staaten vonaktueller politischer Bedeutung im Blick auf dieTransformationsprozesse zu sein, die sie als inihren jeweiligen Gesellschaften noch längst nichtabgeschlossen empfinden. (In den Gesprächen amRande wurde diesbezüglich vielfach Ungedulderkennbar.)

Um so erstaunlicher war dann der Verlauf derDiskussion: Diese gestaltete sich lebhaft, aber kei-ner der Teilnehmer verließ mit seiner – oft kenntnis-reichen – Frage oder seinem Kommentar denengeren thematischen Rahmen; meine vorsichti-gen Angebote, den Gegenstandsbereich auf Pro-bleme der aktuellen Auseinandersetzung mit Dikta-turerfahrungen nach dem Ende des sowjetischenImperiums hin zu öffnen, wurde von niemandemaufgegriffen; das Gespräch darüber zu forcieren,hätte ich in dieser Situation nicht für angemessengehalten. So schien die ja in allen vertretenen Staa-ten präsente Kollaborationserfahrung, die ich imZusammenhang mit der europäischen Erinnerungan den Zweiten Weltkrieg ansprach, lediglich ineiner Frage nach der genauen Funktion undBedeutung der Waffen-SS (vor dem Hintergrundder großen lettischen Freiwilligen-Division) einwenig durch.

Um so mehr sollte seitens der AvH der Versuchunternommen werden, unter den jungen Wissen-schaftlern, die sich im Bereich der Geisteswissen-schaften aufgrund der Qualität ihrer Leistungen füreine Förderung durch AvH anbieten, jene heraus-zufinden und auszuwählen, bei denen auch eineBereitschaft zu gesellschaftspolitischem Engage-ment zu erkennen ist. Der Typus des – überspitztformuliert – positivistisch-spezialistischen Gelehr-ten, der dort – vielleicht auch in Reaktion auf diefrühere politische Inanspruchnahme der Geistes-wissenschaften – vorherrschend erscheint, unter-scheidet sich doch stark von dem in Deutschlandverbreiteten Wissenschaftlertypus.

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Erfahrungsberichte

Drei Kurzvorträgen wurden in unserem Workshopgehalten. Prof. Sileikis erläuterte er, wie das – offen-bar dem deutschen in vielem nachgebildete – litaui-sche Verfassungsgericht sich eine wachsende Rolleim politischen Prozess angeeignet hat und einen imZweifel eindeutig neoliberalen Kurs verfolgt. Der Vor-trag von Prof. Sakalauskas stellte die auffallendhohen Strafgefangenenraten in Litauen dar undbenannte die Gründe, die einen direkten Vergleichmit anderen Ländern (auch mit den baltischen undnordischen Nachbarn) schwierig machen. ProfessorHovi berichtete über eine jüngere Kontroverse überdas Zustandekommen der Entscheidung der Finnenzum Waffenstillstand mit der Sowjetunion im Winter-krieg 1940 referierte. Eine interessante Diskussionkam zustande, weil mit Prof. Seppinen, Prof. Hentiläund vor allem Prof. Yilkangas drei Kollegen erläu-ternd und kommentierend Stellung bezogen. Diesveranlasste mich zu der Anregung, die finnischen

Kollegen sollten einen Bericht über diese Kontro-verse, in der es besonders um die Einflussnahmeder deutschen Reichsregierung (v. a. Görings) geht,für eine der hiesigen Fachzeitschriften, vorzugs-weise die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, ver-fassen. Möglicherweise wird dies Herr Seppinenübernehmen; ich erklärte mich bereit, ggf.Vermittler-dienste zu leisten.

Herrn Hentilä, der im nächsten Frühjahr einen län-geren Aufenthalt in Berlin nehmen wird, habe ichdarüber hinaus zu einem Vortrag in unseremJenaer Zeitgeschichtlichen Forschungskolloquiumeinladen können.

Professor Norbert Frei hat den Lehrstuhl für Neu-ere und Neueste Geschichte an der UniversitätJena inne und ist Mitglied in den Auswahlausschüs-sen der Alexander von Humboldt-Stiftung.

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Erfahrungsbericht überden Hochschulbesuchin Kupio und aus derFachgruppe Chemie,Biowissenschaften,Medizin

von Thomas C.G. Bosch

Das Besuchsprogramm war von Herrn ProfessorAntti Poso zusammengestellt mit dem Ziel, uns inder zur Verfügung stehenden Zeit möglichst einenGesamteindruck der akademischen Aktivitäten ander Universität Kuopio zu vermitteln. Dies ist ihm inhervorragender Weise gelungen.

Bereits die Begrüßung durch Vice-Rector FrauSirpa Suntioinen und Frau Anitta Eutala (Head of„International Affairs“) machte deutlich, dass essich hier um eine zwar junge und kleine (etwa 6000Studenten), aber hoch aktive Universität im OstenFinnlands handelt, die den vermeintlichen Nachteilder geographischen Randlage durch ein Höchst-maß an Engagement der Mitarbeiter in Verwaltung,Lehre und Forschung sowie einer klugen Politik derSchwerpunktbildung auf den Gebieten MolekulareMedizin/Biotechnologie/Pharmazie nicht nur aus-gleicht, sondern Kuopio zu einem in Finnland sehrsichtbaren Wissenschaftsstandort gemacht hat, andem mittlerweile eine ganze Reihe internationalangesehener Arbeitsgruppen tätig sind.

Die Infrastruktur und Ausstattung der Universität inden von uns besuchten Departments war durch-wegs gut bis sehr gut; die Praktikums-, Lese-,Computerräume etc für die Studierenden warengeradezu vorbildlich. Es war interessant zu erfah-ren dass die Universität alle Räumlichkeiten voneiner staatlichen, aber UniversitätsunabhängigenInstitution anmietet und daher von den jeweiligenNutzern auch eine Miete einfordert. Dies hat zumeinen zur Folge, dass die Nutzer nur den Platzanfordern und beanspruchen den sie auch tatsäch-lich benötigen. Zum andern ist der Gebäudebesit-zer bzw. der Verwalter dadurch auch angehalten,

die Liegenschaften ständig in einem guten Zustandzu halten.

Die Universität Kuopio hat in der Form zweier For-schungszentren, dem A. I. Virtanen Institute forMolecular Sciences and dem Center for DrugDevelopment ein klares Bekenntnis hin zu exzellen-ter Forschung auf zwei sehr aktuellen und kompeti-tiven Aktivitätsfeldern abgelegt.

Das A.I. Virtanen Institute wurde uns von Frau Dr.Ritta Keinanen vorgestellt als ein Forschungsinsti-tut gehobener Klasse, in dem sich insbesondereFragen der Gentransfer-Technolgie, MolekularenPhysiologie und Biomedizin zugewandt wird. Ichmusste nach Kuopio kommen um zu lernen, dasshier bereits 1991 eine der ersten transgenen Kühehergestellt wurde, die als „Bioreaktor“ menschli-ches Erythropoietin (Epo) produzieren sollte. Dieim Institut erarbeiteten Grundlagenkenntnisse etwazur Gentherapie werden in einer auf demselbenFlur gelegenen Spin-off Firma unmittelbar in Indus-trienähe gebracht.

Ein Gespräch mit Frau Dr. Leena Alhoven aus derAbteilung Biotechnology and Animal Biotechno-logy untermauerte den Eindruck, dass sich hiersehr forschungsaktive Arbeitsgruppen hochaktuel-len Aspekten der Zell- und Molekularbiologie wid-men. Das überraschende Antreffen von Herrn PDDr. Radek Sedlaczek vom Biochemischen Institutder Universität Kiel in der Abteilung von Frau Aln-hoven machte uns deutlich, dass die in Kuopioansässige Expertise auf dem Gebiet der Herstel-lung transgener Tiere offensichtlich bereits vondeutschen Nachwuchskräften sehr erfolgreichgenutzt wird.

Dass Herr Dr. Sedlaczek beim gemeinsamenAbendessen sich als weitgehend unwissend überZiele und Förderprogramme der AvH darstellte,zeigte darüber hinaus, dass die Sichtbarkeit derAvH bei den deutschen Nachwuchswissenschaft-lern durchaus erhöht werden könnte und sollte.

Beeindruckend war schließlich der Besuch imPharmazeutischen Institut, in dem Herr Prof. AnttiPoso in den vergangenen 4-5 Jahren zusammenmit einem weiteren AvH-Stipendiaten (Dr. YukkaLeppänen) eine Arbeitsgruppe aufgebaut hat, ander unter dem Thema „Drug Design“ von der vir-tuellen, Computer-unterstützten Seite bis zur Syn-these des gewünschten Moleküls alle Verfahrens-

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schritte unter einem Dach in einer einzigen Arbeits-gruppe durchgeführt werden. Kein Wunder, dassbegabte Studentinnen aus Basel hierher kommen,um Teile der Masterarbeit durchzuführen, die vonAusstattung und Know-how her offensichtlich ander Universität Basel so nicht durchführbar gewe-sen wären.

Zusammenfassend stellt sich damit Kuopio als einattraktiver Wissenschaftsstandort dar, (i) an dem auf dem Gebiet der Biotechnologieexzellente Forschung und Lehre betrieben wird;

(ii) zwei sehr aktive Humboldtianer maßgeblich fürden bisherigen Erfolg dieser jungen Universität mit-verantwortlich sind und ihr auch eine glänzendePerspektive geben; und (iii) der künftigen Lynenstipendiaten nur wärmstensempfohlen werden kann.

Professor Thomas C. G. Bosch ist Professor fürAllgemeine Zoologie und Direktor des Zoologi-schen Instituts der Universität zu Kiel (Biozentrum)sowie Mitglied in den Auswahlausschüssen derAlexander von Humboldt-Stiftung.

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Eindrücke vom Hum-boldt-Kolloquium undErfahrungen aus derFachgruppe Physik

von Ulrich Schollwöck

Da ich in meiner bisherigen Laufbahn noch keinewissenschaftlichen Kontakte nach Finnland unter-halten hatte, habe ich der Einladung der Humboldt-Stiftung, am Humboldt-Kolloquium in Helsinki 2006teilzunehmen, mit großem Interesse Folge geleis-tet. Dabei stand für mich persönlich eindeutig imVordergrund, einerseits, wenn möglich, fruchtbarepersönliche Kontakte zu knüpfen, andererseits, dasfinnische Bildungs- und Wissenschaftswunder ausnächster Nähe kennenzulernen. Ich will es gleichvorwegschicken: ich war nicht über die Maßenbeeindruckt, oder, um es positiver zu formulieren,das deutsche Wissenschaftssystem – das ich sel-ber gerne bei vielen Gelegenheiten kritisiere – istweit besser als sein Ruf. Generell erhebt sich fürmich nach diesem Besuch noch stärker die Frage,inwieweit diverse der politisch gewollten strategi-schen Ziele – die ja in Finnland verwirklicht seinsollen – für die deutsche Wissenschaft überhauptsinnhaltig sind.

Was mir (und, wie ich aus Gesprächen mit ande-ren deutschen Reiseteilnehmern entnehmenkonnte, nicht nur mir) als äußerst ungewöhnlichaufgefallen ist, war, dass viele unserer finnischenPartner kaum über Wissenschaft gesprochenhaben oder sprechen wollten – vielleicht war diesbei den direkten Besuchen vor Ort, an denen ichnicht teilgenommen habe, der Fall. Es mag ja sein,dass dies auch mit dem angeblich eher schweigsa-men Naturell der Finnen zu tun hat, aber es decktsich nicht mit meiner Erfahrung auf zahlreicheninternationalen Konferenzen, dass die meistenWissenschaftler über nichts lieber reden als dieeigene Forschung und die Forschungsinteressender anderen in Erfahrung bringen zu suchen. Dasin fast allen Fällen fließende Deutsch und Englischunserer Partner hätte auch keine Hürden aufge-baut, denn Gespräche über an sich schwierigereallgemeine Themen gelangen sehr gut. Auf jedenFall gab es auch nach meinem Langvortrag (den

ich in ähnlicher Form in den letzten 12 Monatemehr als zehnmal als eher breit angelegten Kollo-quiumsvortrag in Deutschland, Österreich, Frank-reich, Japan und den Vereinigten Staaten gehaltenhabe) noch nie so wenig Fragen (1-2) bzw. hinter-her Einzeldiskussionen zur Nachbereitung (keine)wie in Helsinki, obwohl dieser Vortrag im Grenzge-biet mehrerer großer Gebiete der Physik (Festkör-perphysik, Quantenoptik, Atomphysik, Quantenin-formation, computational physics) speziell daraufangelegt war – allerdings im Bereich der Grundla-genforschung! Auch untereinander schien mir dasInteresse unserer Stipendiaten nicht besondersgroß, aber hier ist es für mich als nicht Finnisch-Sprechenden natürlich sehr schwer, zu einemobjektiven Urteil zu kommen.

Ich kann daher in diesem Bericht nicht wirklich sehrviel über das Humboldt-Netzwerk in Finnlandschreiben, und will diesen Bericht deswegen eherdazu nützen, ein paar allgemeine Beobachtungenanzustellen. Da es sich nach meinem Eindruck in(fast) allen Fällen um intellektuell sehr starke For-scher handelte, und die Erfolge der finnischen For-schung angeblich nicht zu übersehen sind, frageich mich, ob im Kontext der extrem einseitig aufindustrielle Anwendungen ausgerichteten For-schung die allgemeine wissenschaftliche Neugierverloren gegangen ist. Oder ist die Forschung auspatentrechtlichen Gründen nicht diskutierbar? Oderhandelt es sich bei der industrienahen Forschungum im Endeffekt zwar äußerst wichtige und ver-dienstvolle, aber dann doch eher langweilige Opti-mierungsforschung? Sind die Geisteswissenschaf-ten, die dazu ohnehin nicht direkt herangezogenwerden können, bereits auf das rein Akzessori-sche, beruflich Nützliche reduziert worden (etwa inden Sprachen weg von Literatur- hin zur Sprach-wissenschaft, und von dort hin zur besserenFremdsprachenausbildung?)? Alles Fragen, die fürmich offen geblieben sind.

Die Fähigkeit zur Kommunikation war zumindestbei den offiziellen Vertretern eindeutig dann vor-handen, wenn es darum ging, die übliche inhalts-leere Innovationsrhetorik zu transportieren. Hiermöchte ich auch ganz besonders auf die Selbstdar-stellung der Institution TEKES verweisen, die sichja besonders mit Innovationsförderung befasst undenormen Einfluss auf die Fördermittelvergabe inFinnland hat. Dem mission statement war nichtsKonkretes zu entnehmen und wäre bei Anonymi-sierung in keiner Weise das Heimatland Finnland

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anzusehen gewesen; es hätte genauso gut ausirgendeinem anderen Land der EU kommen kön-nen. Inwieweit bei Vorträgen die in Organigrammenbehaupteten Zusammenhänge zwischen well-being, social stability, happiness, progress, innova-tion etc. tatsächlich geglaubt werden, wage ichnicht zu beurteilen – von der Praxis hochklassigerForschung ist all das weit entfernt.

In mehreren Gesprächen wurde unter der Handdurchaus die Befürchtung geäußert, dass es sichbei der gegenwärtigen wissenschaftlichen Situationinsofern um eine Scheinblüte handelt, als – etwasüberspitzt ausgedrückt – ein nicht geringer Teil derfinnischen Forschung letztlich die verlängerteWerkbank von Nokia darstellt und damit – wie jagenerell das wirtschaftliche Wohlergehen des gan-zen (kleinen) Landes – der Konjunktur dieses ein-zelnen Unternehmens ausgeliefert ist. Man sollteauch berücksichtigen, dass in Finnland in den letz-ten 10 Jahren der Wohlstand und das Niveau derwirtschaftlichen und wissenschaftlichen Aktivitätenauch deswegen so stark angestiegen ist, weil Finn-land nach 1990 durch das Wegbrechen des sowje-tischen Marktes in eine tiefe Krise geraten war und

deswegen von einem sehr niedrigen Niveau gestar-tet ist. Vielleicht macht hier also der Gradient dieStimmung?

Eine Frage, der ich mit meinen begrenzten Mög-lichkeiten nicht nachgehen kann, ist, inwieweit dasbesonders innovative Klima sich wissenschaftlichdarin ausdrückt, dass finnische Forscher im scien-tific citation index besonders überdurchschnittlichabschneiden würden. Es wäre ja durchaus mög-lich, dass es sich bei dieser Bewertung durch Gre-mien der EU oder andere Agenturen um einengeschlossenen Kreislauf von Auflagen und Aufla-generfüllung handelt, ohne dass der Nexus zwi-schen dem Inhalt der Auflagen und tatsächlicherwissenschaftlicher Leistungserbringung jemalsetabliert worden wäre. Letztlich ist dies mein per-sönlicher Verdacht.

Professor Ulrich Schollwöck hat den Lehrstuhlfür Theoretische Physik am Institut für TheoretischePhysik C der Rheinisch-Westfälischen TechnischenHochschule in Aachen inne und ist Mitglied in denAuswahlausschüssen der Alexander von Hum-boldt-Stiftung.

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Erfahrungsbericht überden Hochschulbesuchin Espoo und aus derFachgruppe Mathe-matik und Ingenieur-wissenschaften

von Ursula Hamenstädt

Bei der Helsinki University of Technology in Espoo(TKK) handelt es sich um eine in der Forschungsehr stark anwendungsorientierte Einrichtung, diezu einem großen Prozentsatz durch privat-wirtschaftliche Projektkooperationen und direkteprivatwirtschaftliche Zuwendung, insbesonderedurch das Unternehmen Nokia, finanziert wird. DieTKK ist eine relativ kleine Universität, die durchSpezialisierung in der Lage ist, in einigen wenigen,auf industrielle Anwendung ausgerichteten Berei-chen Spitzenleistungen zu erbringen. Das Umfeldempfand ich als durchweg ansprechend und sym-pathisch. Defizite im Bereich der Grundlagenfor-schung werden offen zugegeben. Stolz ist man –aus meiner Sicht Recht – auf kurze administrativeWege (“Whom you know, you can trust”) und dasBewusstsein, nur durch Konzentration aufNischenbereiche im internationalen Wettbewerbkonkurrenzfähig zu sein. Von einem solchen An-satz könnten insbesondere kleinere technischeUniversitäten und Fachhochschulen in Deutsch-land profitieren.

Bei mehr auf (in Finnland bedauerlicherweise starkzurück gedrängte) Grundlagenforschung ausge-richteten größeren Universitäten erscheint er nichtsinnvoll.

Nach der Einführung besuchten wir das AMI-For-schungszentrum für Gehirnforschung. Der jungetechnische Leiter des Labors schien sehr kompe-tent, gab auf alle neugierigen Fragen klar formu-lierte, freundliche und versierte Auskunft. Die kurzeVorstellung der im Labor durchgeführten Versuchezur Untersuchung von spezifischen Aktivitäten imGehirn war sehr interessant und machte einen aus

mich – als fachferne Wissenschaftlerin – ausge-zeichneten Eindruck.

Als Mathematikerin ist mir die Arbeit im Tieftempe-raturlabor eher zugänglich. Vielleicht ergab sichdeshalb ein etwas ambivalenteres Bild. Die Beset-zung einer Nische in der Forschung erschien eherals ein Zwang, als die einzig sinnvolle aber viel-leicht nicht optimale Lösung. Gerade im Bereichder Experimentalphysik, die international nachimmer aufwändigeren und kostspieligeren Appara-turen verlangt, erscheint eine Überspezialisierungwenig zukunftsträchtig.

Einen anderen Eindruck gewann ich im “Automa-tion Technology Lab”, wo ein junges, engagiertesTeam sehr anwendungsorientierte Arbeit beispiels-weise auf dem Gebiet der Robotik leistet. DerBesuch dieses Labors hat mir großes Vergnügenbereitet. Zusammenfassend ergibt sich der Ein-druck einer jungen, dynamischen Einrichtung, derallerdings zur echten Grundlagenforschung teil-weise die Voraussetzungen fehlen.

Ein etwas ähnliches Bild ergab sich bei dem Kollo-quium am Folgetag. Das Durchschnittsalter derTeilnehmer meiner Arbeitsgruppe war sehr hoch,die Vorträge waren von unterschiedlicher Qualität.Einige der älteren Teilnehmer machten auf micheinen außerordentlich kompetenten Eindruck.

Streng nach wissenschaftlichen Kriterien geurteiltwar dies bei den Teilnehmern des Baltikums nichtimmer der Fall. Dies betrifft insbesondere die For-schungsthemen bei denen ebenfalls ein Hang zurNischenbesetzung vorhanden zu sein scheint, abernicht auf höchstem Niveau. Meine Einschätzungist, dass hier die Humboldt-Stiftung nur sehrbegrenzt helfen kann. Vielmehr scheint der (in mei-nem Fachgebiet beispielsweise in China sehr starkund erfolgreich praktizierte) Ansatz sinnvoller,junge, talentierte Balten zu einem Promotionsstu-dium im Ausland (beispielsweise Deutschland) zuermuntern, um sie frühzeitig in den Forschungsbe-trieb zu integrieren und mit seinen internationalaktuellen Themen vertraut zu machen. Das Risiko,dass diese jungen Menschen nach abgeschlosse-ner Promotion und einem eventuellen Postdokto-randenaufenthalt nicht wieder in ihre Heimatländerzurückkehren, ist sicherlich groß. Zur Beseitigungder strukturellen Probleme ist internationale Kon-kurrenzfähigkeit notwendig. Dabei könnte Finnlandals Vorbild dienen, insbesondere auch auf Grund

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seiner speziellen Ausgangssituation als Land mitvergleichsweise kleiner Bevölkerungszahl, dasaber seine spezielle Situation in ziemlich optimalerWeise zu nutzen scheint. Einzelgespräche habe ichvor allem mit den jungen Teilnehmern des Kollo-quiums gesucht. Diese Gespräche verliefen sehrunkompliziert und offen. Bei Gesprächen mit jun-gen Finnen, die bisher noch nicht im Auslandwaren, ergab sich überraschend der Eindruck einerstarken Heimatverbundenheit, die eher als Verwur-zelung in vorhandene soziale Strukturen als einMangel an Weltoffenheit erschien. Ich denke, dassfür diese jungen Menschen eine gezielte Ermunte-rung zur Mobilität, d. h. zu einem Auslandsaufent-halt, sehr sinnvoll ist und gute Chancen besitztangenommen zu werden.

Abschließen möchte ich mit einer persönlichenBemerkung. Der Besuch in Helsinki gab mir Gele-genheit, alte wissenschaftliche Kontakte zu Kolle-

gen an der Universität in Helsinki wieder aufzufri-schen, allerdings unter sehr ungünstigen Randbe-dingungen. Inzwischen stehe ich wieder im regel-mäßigen Austausch mit meinen Kollegen dort,deren Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der quasikon-formen Analysis und Modulräume weltweit höchs-tes Niveau hat. Im August des nächsten Jahreswerde ich Helsinki auf Einladung der dortigen Kol-legen wieder besuchen. Mein Besuch schließt einKolloquium in Gedenken an den einhundertstenGeburtstag des berühmtesten finnischen Mathe-matikers ein, den Fieldsmedaillenträger Lars Ahl-fors, bei dem ich zu einem wissenschaftlichen Vor-trag geladen bin. Ich werde ich mir erlauben, dortfür die Humboldt-Stiftung zu werben.

Professor Ursula Hamenstädt ist Professorin amMathematischen Institut der Universität Bonn undMitglied in den Auswahlausschüssen der Alexandervon Humboldt-Stiftung.

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ISSN 1864-824X