Interview mit Dieter Kempf

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Werdegang Dieter Kempf studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universita ¨t Mu ¨nchen. Von 1978 bis 1991 arbeitete er fu ¨r die Wirtschaftspru ¨- fungsgesellschaft Arthur Young GmbH (spa ¨- ter: Ernst & Young GmbH). Er war dort Revisi- onsassistent mit der Spezialisierung als EDV-Pru ¨fer, Leiter der „EDP-Auditing and EDP-Consulting Group“ und schließlich Part- ner. 1991 trat er in die DATEVeG als Mitglied des Vorstands, verantwortlich fu ¨r die Ressorts Produkt- und Softwareentwicklung, ein. Seit 1996 ist er Vorsitzender des Vorstands. Herr Kempf bekleidet unter anderem mehrere Ȗm- ter, die Verbindungen zur Wirtschaftsinforma- tik haben. So ist er Mitglied im Beirat externer Berater bei BayernOnline, Mitglied des Aus- schusses fu ¨r Telekommunikation und neue Dienste im DIHT, Mitglied im Pra ¨sidium des BITKOM, sitzt im Aufsichtsrat der sd&m AG und ist Vorsitzender des Fo ¨rderkreises des Bayerischen Forschungszentrums fu ¨r Wissens- basierte Systeme. WI: Kann man die DATEV als den ersten großen Anbieter von ASP sehen? Kempf: Wenn man dem Handelsblatt glau- ben darf, ist DATEV einer der a ¨ltesten und mit rund 39.000 Mitgliedern gro ¨ ßten deut- schen ASP-Anbieter. Seit ihrer Gru ¨ ndung im Jahr 1966 ist es eine Hauptaufgabe der Genossenschaft, zentral Anwendungssys- teme zur Verfu ¨ gung zu stellen, auf welche die Mitglieder via Datenfernu ¨ bertragung zugreifen ko ¨ nnen. Was sich im Zeitablauf gea ¨ndert hat, sind die verwendeten Informations- und Kom- munikationstechnologien. Das Prinzip von zentralem Hosting und vergleichsweise einfachen Rechnern in den Kanzleien, ver- bunden durch die jeweils dem aktuellen Stand entsprechende Kommunikations- form (derzeit Internet), ist das Gleiche ge- blieben. Es ha ¨ngt deshalb von der gewa ¨hl- ten Definition ab, ob DATEV auch schon vor zehn oder zwanzig Jahren als ASP-An- bieter gesehen werden konnte. WI: Stimmt die These, dass das deutsche Steuerrecht nur deshalb das wohl komple- xeste der Welt (etwa gemessen an der Zahl der Seiten mit Gesetzestexten, Richtlinien, Ausfu ¨ hrungsvorschriften, Neuerscheinun- gen pro Jahr usw.) geworden ist, weil DATEV den Steuerberatern hilft, diese Komplexita ¨ t zu bewa ¨ ltigen? Kempf: Das ist eine interessante Frage, selbst wenn man sicherlich keine Kausalita ¨t im gefragten Sinne unterstellen kann. Viel- leicht wa ¨re aber ohne unsere Hilfe die Er- hebung an der einen oder anderen Stelle schon kollabiert. Die Anzahl der Bestimmungen beson- ders scho ¨ n abzulesen in Regalmetern hat WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 1, S. 81 83 Interviewt von Peter Mertens Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Mertens, Universita ¨t Erlangen-Nu ¨rnberg, Bereich Wirtschaftsinformatik I, Lange Gasse 20, 90403 Nu ¨rnberg, E-Mail: [email protected] Dieter Kempf Interview mit Dieter Kempf WI – Interview

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Page 1: Interview mit Dieter Kempf

Werdegang

Dieter Kempf studierte Betriebswirtschaftslehrean der Universitat Munchen. Von 1978 bis1991 arbeitete er fur die Wirtschaftspru-fungsgesellschaft Arthur Young GmbH (spa-ter: Ernst & Young GmbH). Er war dort Revisi-onsassistent mit der Spezialisierung alsEDV-Prufer, Leiter der „EDP-Auditing andEDP-Consulting Group“ und schließlich Part-ner. 1991 trat er in die DATEV eG als Mitglieddes Vorstands, verantwortlich fur die RessortsProdukt- und Softwareentwicklung, ein. Seit1996 ist er Vorsitzender des Vorstands. HerrKempf bekleidet unter anderem mehrere �m-ter, die Verbindungen zur Wirtschaftsinforma-tik haben. So ist er Mitglied im Beirat externerBerater bei BayernOnline, Mitglied des Aus-schusses fur Telekommunikation und neueDienste im DIHT, Mitglied im Prasidium desBITKOM, sitzt im Aufsichtsrat der sd&m AGund ist Vorsitzender des Forderkreises desBayerischen Forschungszentrums fur Wissens-basierte Systeme.

WI: Kann man die DATEV als den erstengroßen Anbieter von ASP sehen?

Kempf: Wenn man dem Handelsblatt glau-ben darf, ist DATEV einer der altesten undmit rund 39.000 Mitgliedern großten deut-schen ASP-Anbieter. Seit ihrer Grundungim Jahr 1966 ist es eine Hauptaufgabe derGenossenschaft, zentral Anwendungssys-teme zur Verfugung zu stellen, auf welchedie Mitglieder via Datenfernubertragungzugreifen konnen.

Was sich im Zeitablauf geandert hat, sinddie verwendeten Informations- und Kom-munikationstechnologien. Das Prinzip vonzentralem Hosting und vergleichsweiseeinfachen Rechnern in den Kanzleien, ver-bunden durch die jeweils dem aktuellenStand entsprechende Kommunikations-form (derzeit Internet), ist das Gleiche ge-blieben. Es hangt deshalb von der gewahl-ten Definition ab, ob DATEV auch schonvor zehn oder zwanzig Jahren als ASP-An-bieter gesehen werden konnte.

WI: Stimmt die These, dass das deutscheSteuerrecht nur deshalb das wohl komple-xeste der Welt (etwa gemessen an der Zahlder Seiten mit Gesetzestexten, Richtlinien,Ausfuhrungsvorschriften, Neuerscheinun-gen pro Jahr usw.) geworden ist, weilDATEV den Steuerberatern hilft, dieseKomplexitat zu bewaltigen?

Kempf: Das ist eine interessante Frage,selbst wenn man sicherlich keine Kausalitatim gefragten Sinne unterstellen kann. Viel-leicht ware aber ohne unsere Hilfe die Er-hebung an der einen oder anderen Stelleschon kollabiert.

Die Anzahl der Bestimmungen – beson-ders schon abzulesen in Regalmetern – hat

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Interviewt von

Peter Mertens

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Mertens,Universitat Erlangen-Nurnberg,Bereich Wirtschaftsinformatik I,Lange Gasse 20,90403 Nurnberg,E-Mail: [email protected]

Dieter Kempf

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einen Umfang erreicht, der dem Burgernur noch schwer vermittelbar ist. Dass dieRegelungsdichte nicht immer zur inhalt-lichen Klarung beitragt, ist auch ein Ne-beneffekt der Tatsache, dass die Ausnahmezur Regel mittlerweile die Regel ist.

Nehmen Sie als Beispiel den 1999 novel-lierten § 2 Absatz 3 des Einkommensteuer-gesetzes: Dessen weit reichende Bestim-mungen zum horizontalen Verlustausgleichsind nicht nur inhaltlich hochst umstritten.Nach einem Urteil des Berliner Finanz-gerichts ist – ich zitiere – „schon derWortlaut des Gesetzes weitgehend unver-standlich“.

Oder betrachten Sie jene zunehmend hau-figen Falle, in denen steuerlich relevanteSachverhalte in Artikelgesetzen andererRechtsbereiche verpackt durch die Legis-lative gebracht werden. Wer hatte z. B.gedacht, dass sich im Solidarpaktfortfuh-rungsgesetz �nderungen des Korperschaft-steuergesetzes und des Gewerbesteuerge-setzes verbergen? Und wer hatte vermutet,dass das Gesetz zur �nderung des Ver-sicherungsaufsichtsgesetzes den § 40 Abs. 2des Einkommensteuergesetzes um eineneue Variante zur Lohnsteuerpauschalie-rung bereichert?

Ich nenne so etwas „Camouflage-Gesetze“.Mit systematischer Gesetzgebung, Trans-parenz oder gar berechenbarer Steuer-rechtsentwicklung hat das nichts mehr zutun.

WI: Angenommen, eine Bundesregierungwollte mit einer Vereinfachung des Steuer-rechts Ernst machen. Sie wurden als Mit-glied eines kleinen Beraterstabes engagiertund sollten die wichtigsten Anliegen undAnregungen aus der Sicht der Informa-tionsverarbeitung einbringen. Welche Vor-schlage wurden Sie unterbreiten?

Kempf: Ich wurde mich huten, meine For-derungen aus der Sicht der Informations-verarbeitung zu formulieren. Der Erfolgversprechendere Weg scheint mir zu sein,erst den gesunden Menschenverstand an-zuwenden und dessen Erkenntnisse an-schließend in Software zu gießen. Nachdieser Maxime wurde ich dann zuerst lang-fristige Berechenbarkeit einer Steuerrechts-entwicklung fordern. Nur wenn der Bur-ger weiß, wo er morgen oder ubermorgenEntlastung erwarten darf, wird er bereitsein, auf den einen oder anderen kurzfristi-gen Vorteil zu verzichten. Nur so ist derdringend notwendige Wegfall bisherigerSonderregelungen „zu verkaufen“.

Inhaltlich gefallen mir die Reformvorschla-ge des Verfassungsrechtlers Prof. Kirchhofund jene des Heidelberger Kreises ganzgut. Beide wurden zu gravierenden Verein-fachungen des Steuer- und Sozialrechtsfuhren, die Bemessungsgrundlage verbrei-tern und das Leistungselement fordern, so-dass dem Burger wieder eine großere Frei-heit zur eigenverantwortlichen Dispositionseines Einkommens bliebe. Beide Vorschla-ge hatten nach den bisher bekannten oko-nomischen Gesetzen positive Auswirkun-gen auf Wachstum und Beschaftigung.

Nur sind Erkennen und Tun bekanntlichzweierlei. Denn um solche Vorschlage um-zusetzen, musste es Wahler geben, die Wer-ten wie Freiheit, Leistung und Eigenver-antwortung wieder großere Bedeutungbeimessen als einem Versorgungsstaat, undGewahlte, die mit diesen Werten auchWahlen gewinnen. Das scheint im Momentnicht der Fall zu sein.

WI: DATEV betreibt eines der ersten TrustCenters fur die elektronische Signatur. Wo-zu braucht die „Gemeinde der Steuerzah-ler“ dies?

Kempf: Die vom DATEV Trust Centerausgegebenen SmartCards sowie die zuge-horige Software ermoglichen einen mitdem deutschen Signaturgesetz konformenRechts- und Geschaftsverkehr via Internet.Die Produkte garantieren die Identitat unddie Legitimation des Nutzers sowie dieAuthentizitat und die Vertraulichkeit derubermittelten Dokumente – alles Fak-toren, derer man sich sonst im Internet-ba-sierten Datenverkehr nicht sicher seinkann. Die zu einer besonderen Verschwie-genheit verpflichteten Angehorigen derrechts- und steuerberatenden und wirt-schaftsprufenden Berufe konnten ohne ei-ne derartige Sicherheit das Internet wohlkaum fur ihren Rechts- und Geschaftsver-kehr nutzen.

WI: Nachdem die Deutsche Post eines dergroßten Trust Center fur Signaturen ge-schlossen hat, weil sich das Geschaft damitnicht lohne: Welches sind Ihre bisherigenErfahrungen?

Kempf: Die Grundung und der Betrieb ei-nes Trust Centers verlangen erhebliche In-vestitionen, die sich nur dann amortisieren,wenn sich eine hinreichende Zahl von Nut-zern fur die zugehorigen Anwendungenfindet. Im Falle der DATEV sind dies bei-spielsweise alle Systeme, die einen Zugriffauf das Rechenzentrum beinhalten (Identi-fikation, Verschlusselung, elektronische

Signatur). Letztlich mussen diese also min-destens einen Teil der Sicherheitsinfra-struktur finanzieren.

Die DATEV-Mitglieder benotigen dieTechnologie qua Gesetz, wenn sie am elek-tronischen Rechts- und Geschaftsverkehrvia Internet teilnehmen wollen. Es gibt der-zeit keine andere Moglichkeit, im Internetder Wahrung des Verschwiegenheitsgrund-satzes gem. § 57 Steuerberatungsgesetz,§ 43 Wirtschaftspruferordnung und § 43aBundesrechtsanwaltsordnung zu genugen.Die Frage des „ob“ stellt sich also furDATEV nicht.

Was wir uns naturlich wunschen, ist einewesentlich großere Verbreitung der elekt-ronischen Signatur im allgemeinen Rechts-und Geschaftsverkehr, der bisher noch klarzu wenige Anwendungsszenarios bietet.Erst dann fuhren die Investitionen derTrust Centers auch zum okonomischen Er-folg.

WI: Es liegt nahe, dass DATEV Anwen-dungssysteme fur kleine und mittlere Be-triebe, abhangig von Branche und Be-triebstyp, auf dem Wege des Komponenten-Ansatzes schafft. Wie sehen Sie dies?

Kempf: Mit der Komponentenbildung er-reichen wir gleichzeitig mehrere Ziele: DasMitglied bzw. der Mandant kann aus denKomponenten innerhalb eines bestimmtenSpielraums (Branche, Betriebstyp) indivi-dualisierte Gesamtlosungen fur sich zusam-menstellen. DATEV halt die Anwendungs-komplexitat beherrschbar und verkurzt dieZeit bis zur Erstellung des marktreifenProdukts.

Ein Beispiel ist die Warenwirtschaft: Imtechnischen Kern basiert sie auf Microsoft-Komponenten, funktional auf unseren Er-kenntnissen, welche Elemente unseresRechnungswesens zu Warenwirtschaftssys-temen korrespondieren. Fur das daruberhinaus gehende logistische Know-how hatDATEV einen Partner gesucht – in diesemFalle HS Hamburger Software. So war dieGenossenschaft in der Lage, mit geringerVorlaufzeit ein an ihre Systeme gekoppeltesWarenwirtschaftssystem anzubieten.

WI: Auf einer Pressekonferenz in diesemJahr außerten Sie, dass ein weiteres Wachs-tum der DATEV nur uber Unternehmens-beratung moglich sei. Sie tun dies in einerZeit, wo die Unternehmensstrategien vonder Konzentration auf Kernkompetenzendominiert werden. Fuhlen Sie sich damit alsVorreiter einer Trendwende?

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Kempf: Ganz klares nein. Ich habe aberhoffentlich in der Pressekonferenz auch ge-sagt, dass weiteres Wachstum nur in neuenGeschaftsfeldern moglich ist. Eines davonist die Unternehmensberatung. DATEVversteht Unternehmensberatung als diekonsequente und langfristig ausgerichteteFortsetzung der betriebswirtschaftlichenund rechtlichen Beratung, die das DATEV-Mitglied taglich leistet. Ich mochte Ihnenzwei Beispiele nennen:

a) Der DATEV-Unternehmens-Check isteine gemeinsam mit der Bundessteuer-beraterkammer entwickelte Mittel-standsberatung. Dreh- und Angelpunktsind die i. d. R. langjahrigen Mandats-beziehungen der Mitglieder zu den be-ratenen Firmen. Methodisch unter-stutzt durch DATEV-Consultantsentwickeln Mandant und Steuerberatergemeinsam eine Wettbewerbs- undBranchenanalyse, bewerten die inter-nen Erfolgsfaktoren und leiten Zieleund Strategien sowie konkrete Maß-nahmen fur den kleinen oder mittlerenBetrieb her. Die anschließende Realisie-

rungsphase begleitet der Steuerberaterdauerhaft.

b) Kleine und mittelstandische Betriebe se-hen sich durch Basel II Anforderungengegenuber, die sie ohne fachliche Hilfe-stellung kaum erfullen konnen. Aberwer sollte diese geben? Die Banken?Gewiss nicht, denn sie arbeiten in eige-ner Sache. Externe Rating-Agenturen?Fur manchen Betrieb ja, fur die meistenallein aus Kostengrunden nein.Bleibt also der Steuerberater: Er verfugtohnehin uber jene Daten, die ein Exter-ner erst abfragen muss, er kennt denBetrieb und seine Eigentumer meistuber Jahre und er weiß, wie belastbarEigen- und Fremdkapital in- und au-ßerhalb des Unternehmens sind. Ratingist aus unserer Sicht eine originare Bera-tungsaufgabe des Steuerberaters. Er istes, der den Mandanten mithilfe seinerQualifikation im Bankgesprach wennimmer moglich auf Augenhohe mit derBank bringt.Aufgabe der DATEV ist es, ihn hierbeiso gut wie moglich mit adaquaten An-wendungsbausteinen zu unterstutzen.

WI: Sie werben fur McDonald’s mit fol-gendem Satz: „Ich habe im ersten deut-schen McDonald’s-Restaurant in Munchen1971 begonnen. Von der Zubereitung derProdukte uber Aufgaben im Restaurant-Management habe ich schließlich meineBegeisterung fur ,Soll und Haben‘ ent-deckt.“ Konnen Sie uns diesen Text er-schließen?

Kempf: Ja, ich war tatsachlich einer der ers-ten Mitarbeiter, die McDonald’s inDeutschland angeheuert hat. In der Zeitvon Herbst 1971 bis Februar 1978 habe ichals Teilzeitmitarbeiter dort gearbeitet. Zu-erst im Restaurant, wo ich es bis zum„Store-Manager Assistant“ und dann auchzum „Store-Manager“ gebracht habe, undanschließend noch ca. 15 Monate in derBuchhaltung, wo ich Soll und Haben bes-ser unterscheiden lernte als im Propadeuti-kum meines BWL-Studiums.

WI: Dann sollen unsere Leserinnen undLeser aber wissen, dass Sie nicht in meinerFakultat studiert haben.

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