Isolierte Trochlearislähmung bei Diabetes mellitus

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Isolierte Troehlearisliihmung bei Diabetes mellitus. Von Dr. Kaiser, Anstaltsarzt der stitdtisehen tteil- und Pflegeanstalt zu Dresden. Dag Lghmungen 5.ufterer Augenmuskeln bei Diabetes mellitus vor- kommen, ist bekannt. Leber hat 12 derartige Fiille aus der Literatur zusammengestellt. Einer davon betraf den Troehlearis (K wia t o w s k i, Etude g6n6rale sur les affections oeulaires diab6tiques. Th6se de Paris 1879). Ieh bin in der Lage, fiber einen zweiten Fall diabetiseher Trochle- arisliihmung zu beriehten. Es handelte sieh um einen 64 Jahre alten, etwas untersetzten Herrn, der am 23. Sept. 1908 mich aufsuehte und angab, er sei am 5. Sept. zu Boden gefMlen, nicht infolge eines SehwindelanfaUes oder gar einer Ohnmacht, sondern einfaeh, weil er iiber ein Hindernis gestolpert sei. Eine Verletzung habe nieht stattgefunden. 12 Tage (!) darauf, am 17. Sept., sei Doppelsehen aufgetreten, das ihn besonders beim Treppensteigen bel/~stige. Die Untersuehung ergab eine ausgesproehene isolierte L~hmung des reehten M. obliquus superior. Pupillen, Augenhintergrund, Sehseharfe und Akkommodation zeigten niehts Besonderes. Linkerseits waren in der Linse ein paar feine periphere Speiehen zu sehen. Uber sein Allgemeinbefinden hatte der Pat. niehts zu klagen, speziell deutete niehts auf Diabetes hin. Er litt weder an auffallendem Durst, noeh an Kopfsehmerzen oder Mattigkeit, hatte keine Zunahme der Urinmenge beinerkt, war nieht abgemagert, kurz, er hielt sieh fiir kerngesund. Die Untersuehung des Urins ergab abet einen Zuekergehalt yon 5%. Unter Anwendung des konstanten 8troms und Anordnung einer geeigneten Digt trat rasehe Besserung ein. Nach 5 Wochen war die Lghmung restlos ge- heilt und der Zuckergehalt des Urins auf 0,8~ gesunken, obwohl sieh der Pat. nach eigener Angabe keine grol3en Entbehrungen bezfglieh der Kohlehydrate auferlegt hatte. Was war nun die Ursaehe der TrochlearisKihmung ? KSnnte nieht eine Gehirnerkrankung vorgelegen haben ? Der Sturz am 5. September legt die Vermutung nahe, dag der bejahrte, etwas dieke Her,' einen apoplektisehen Insult hatte. Dem ist aber entgegenzuhalten, dab der Sturz von keiner Bewugtseinstrfibung begleitet war, dab ferner keine Symptome einer Sklerose der Hirnarterien vorhergegangen waren, und vor allen Dingen, dab die Troehlearisliihmung erst 12 Tage nach dem Sturz aufgetreten ist. Ffir Lues, die zudem nur sehr selten isolierte Trochlearislfihmungen maeht, fanden sieh keine Anhaltspunkte. Rheu- matische Augenmuskell~ihmungen sind von Allgemeinerseheinungen und

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Isolierte Troehlearisliihmung bei Diabetes mellitus. V o n

Dr. Kaiser, Anstaltsarzt der stitdtisehen tteil- und Pflegeanstalt zu Dresden.

Dag Lghmungen 5.ufterer Augenmuskeln bei Diabetes mellitus vor- kommen, ist bekannt. L e b e r hat 12 derartige Fiille aus der Li tera tur zusammengestellt . Einer davon betraf den Troehlearis (K wia t o w s k i, E tude g6n6rale sur les affections oeulaires diab6tiques. Th6se de Paris 1879). Ieh bin in der Lage, fiber einen zweiten Fall diabetiseher Trochle- arisliihmung zu beriehten.

Es handelte sieh um einen 64 Jahre alten, etwas untersetzten Herrn, der am 23. Sept. 1908 mich aufsuehte und angab, er sei am 5. Sept. zu Boden gefMlen, nicht infolge eines SehwindelanfaUes oder gar einer Ohnmacht, sondern einfaeh, weil er iiber ein Hindernis gestolpert sei. Eine Verletzung habe nieht stattgefunden. 12 Tage (!) darauf, am 17. Sept., sei Doppelsehen aufgetreten, das ihn besonders beim Treppensteigen bel/~stige. Die Untersuehung ergab eine ausgesproehene isolierte L~hmung des reehten M. obliquus superior. Pupillen, Augenhintergrund, Sehseharfe und Akkommodation zeigten niehts Besonderes. Linkerseits waren in der Linse ein paar feine periphere Speiehen zu sehen. Uber sein Allgemeinbefinden hatte der Pat. niehts zu klagen, speziell deutete niehts auf Diabetes hin. Er litt weder an auffallendem Durst, noeh an Kopfsehmerzen oder Mattigkeit, hatte keine Zunahme der Urinmenge beinerkt, war nieht abgemagert, kurz, er hielt sieh fiir kerngesund. Die Untersuehung des Urins ergab abet einen Zuekergehalt yon 5%.

Unter Anwendung des konstanten 8troms und Anordnung einer geeigneten Digt trat rasehe Besserung ein. Nach 5 Wochen war die Lghmung restlos ge- heilt und der Zuckergehalt des Urins auf 0,8~ gesunken, obwohl sieh der Pat. nach eigener Angabe keine grol3en Entbehrungen bezfglieh der Kohlehydrate auferlegt hatte.

Was war nun die Ursaehe der TrochlearisKihmung ? KSnnte nieht eine Gehirnerkrankung vorgelegen haben ? Der Sturz am 5. September legt die Vermutung nahe, dag der bejahrte, etwas dieke Her, ' einen apoplektisehen Insul t hatte. Dem ist aber entgegenzuhalten, dab der Sturz von keiner Bewugtseinstrf ibung begleitet war, dab ferner keine S y m p t o m e einer Sklerose der Hirnarterien vorhergegangen waren, und vor allen Dingen, dab die Troehlearisliihmung erst 12 Tage nach dem Sturz aufgetreten ist. Ffir Lues, die zudem nur sehr selten isolierte Trochlearislfihmungen maeht, fanden sieh keine Anhal tspunkte . Rheu- matische Augenmuskell~ihmungen sind von Allgemeinerseheinungen und

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in der Regel von Schmerzen begleitet, beides fehlte im vorliegenden Falle. Von den fibrigen gtiologisch hier in Frage kommenden Krank- heiten bleibt nur noch der Diabetes tibrig. Nun entwickelte sich die L~ihmung, als eine recht erhebliche Zuckeraussclieidung stattfand, und ging zurfick, als diese bis auf einen geringen Rest geschwunden war. Ich glaube daher auf keinen Widerspruch zu stol~en, wenn ich der Glyko- surie die Schuld an der Augenmuskell~ihmung zuschreibe.

Auffallend ist in dem Krankheitsbild, dab der Diabetes so wenig Allgemeinsymptome hervorgerufen hatte. Es scheint demnach, dal3 er noch nicht lange bestanden hatte, vielleicht nur einen transitorischen Charakter hatte. Erw~ihnenswert ist ferner, dal] AkkommodationsstS- rungen fehlten. Es ist ja bekanntlich noch eine strittige Frage, ob iiberhaupt Akkommodationsparese info]ge von Diabetes vorkommt, ob- wohl es yon verschiedenen Seiten behauptet wird. L e b e r hat die ver- 5ffentlichten F~ille gepriift und ist zu einer ablehnenden Auffassung gekommen. Gleiehwohl findet man in jedem Lehrbuch der Augenheil- kunde den Diabetes unter den Ursaehen der Akkommodationsparese angeftihrt.

Uber die pathologisch-anatomisehe Ursache der besehriebenen Trochlearisl~ihmung lassen sich nattirlich nur Vermutungen ~uBern. M a u t h n e r behauptete 1885, da$ jene F/ille, wo L~ihmung der ~ul3eren Augenmuskeln bei erhaltener Lichtreaktion und Akkommodation oder wo L~hmung dieser bei normal funktionierenden ~iu~eren Augenmuskeln besteht, als Kernliihmungen aufzufassen sind. B e r n h e i m e r weist je- doch auf Grund der neueren Forschungen den Alterationen der Wurzel- gebiete eine groBe Rolle bei derartigen LKhmungen zu. F r e r i e h s will speziell bei Diabetes mellitus in der Oblongata mikroskopisch h/~ufig eine starke Erweiterung der Gef~l]e sowie kleine frisehere und ~ltere capill~re H~morrhagien gefunden haben. Mag man sich nun in unserem Fall auf diesen Befund F r e r i c h s berufen oder ihm mit S t r i i m p e l l nur eine zweifelhafte Bedeutung zumessen, jedenfalls ist man m. E. berechtigt, anzunehmen, dab eine wahrscheinlich h~morrhagische Alte- ration des Troehleariskei~s oder seines Wurzelgebietes die L~hmung verursacht hat.

Literaturverzeichnis.

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1866 Ogle, On disease of the brain as a result of diabetes mellitus. St. George's Hosp. Rep. I, 177.

1875 Leber, Ober die Erkrankungcn des Auges bei Diabetes mellitus. Archiv f. Ophthalmol. 21.

1878 Galezowski, Accidents oculaircs dans la glycosurie. Rec. d'Ophthahn. S. 83.

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1879 Kwia towsk i , Etude g~nbrale sur les affections oculaires diab6tiques. Th~se de Paris.

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1899 H a w t h o r n e , On peripheral neuritis and retinal changes in diabetes mel- litus. Lancet, 30. Sept.

Handbuch der Augenheilkunde yon G r a e f e - S a e m i s c h , 2. Aufl. 1. 11. Band, 1. Abt.: Groenow, Beziehungen der Allgemeinleiden usw. zu

Vergnderungen der Sehorgane. 2. 8. Band, XI. Kap., Nachtrag Ih B e r n h e i m e r , J~tiologie und patholog.

Anatomie der Augenmuskellghmungen.