Ist Gott mit dem Menschen versöhnt oder der Mensch mit Gott? · 2 Einleitung Wenn Christologie...

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Hartmann, Timo Matr.-Nr.: 2726340 Bachelor of Education Fächer: Mathematik, kath. Religionslehre, Philosophie/Ethik (Erweiterung) Johannes Gutenberg-Universität Mainz Katholisch-Theologische Fakultät Lehrstuhl für Dogmatik und ökumenische Theologie Sommersemester 2017 Jesus Christus und die Kirche [Modul 3] Modulnummer: M.01.086.003 Veranstaltungsnummer: 01.086.111 Seminar: Christologie Seminarleitung: Dr. Frank Ewerszumrode OP Ist Gott mit dem Menschen versöhnt oder der Mensch mit Gott? Dialektische Überlegungen in Anlehnung an Christof Gestrich Timo Hartmann Goethestraße 7 63150 Heusenstamm 01776737367 [email protected] Mainz, den 09.09.2017

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Hartmann, Timo Matr.-Nr.: 2726340 Bachelor of Education Fächer: Mathematik, kath. Religionslehre, Philosophie/Ethik (Erweiterung) Johannes Gutenberg-Universität Mainz Katholisch-Theologische Fakultät Lehrstuhl für Dogmatik und ökumenische Theologie Sommersemester 2017 Jesus Christus und die Kirche [Modul 3] Modulnummer: M.01.086.003 Veranstaltungsnummer: 01.086.111 Seminar: Christologie Seminarleitung: Dr. Frank Ewerszumrode OP

Ist Gott mit dem Menschen versöhnt oder der Mensch mit Gott? Dialektische Überlegungen in Anlehnung an Christof Gestrich

Timo Hartmann Goethestraße 7 63150 Heusenstamm 01776737367 [email protected] Mainz, den 09.09.2017

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung ............................................................................................... Seite 2

Gott ist mit dem Menschen versöhnt ..................................................... Seite 3

Der Mensch ist mit Gott versöhnt …………………………………………. Seite 5

Fazit ………………………………………………………………………...... Seite 9

Literaturverzeichnis …………………………………………………………. Seite 11

Eigenständigkeitserklärung ………………………………………………… Seite 12

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Einleitung

Wenn Christologie betrieben wird, also der Versuch unternommen wird, die

Bedeutung der Person Jesu Christi zu verstehen, muss immer auch über das

Verständnis von Versöhnung gesprochen werden. Denn die Frage nach der

Versöhnung ist die Frage nach dem, was Jesus für die Menschen „erlangt“ hat.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird oft geantwortet: „Jesus ist für unsere

Sünden gestorben.“ Was genau damit gemeint wird, ist dabei aber zutiefst unklar.

Diese Unklarheit führte in der Vergangenheit und führt noch bis heute zu einer

Vielzahl von Erklärungsansätzen zum Verständnis von Versöhnung. Innerhalb

dieser Vielzahl stellte der Theologe Christof Gestrich 2009 fest:

Das Verständnis der Versöhnung (im Sinne des Neuen Testaments) bleibt immer dann

theologisch unterbestimmt, wenn sie allein auf die Vergebung und Sühnung menschlicher

Schuld, auf Jesu Christi stellvertretendes Kreuzesleiden hin, bezogen wird – und nicht auch auf

den ,Generalsieg’ über den Tod ,und alle Übel’ durch Jesu Christi Auferweckung.1

Gestrich bewertet hier eine bestimmte Gruppe von Erklärungsansätzen für die

Versöhnung als „unterbestimmt“. Diese Gruppe sehe Versöhnung als „Sühnung“

an und den Tod Christi als „stellvertretendes Leiden“ und vernachlässige dabei

die „Auferweckung“. Die von Gestrich kritisierte Theorie versteht Versöhnung

offensichtlich als Versöhnung Gottes mit dem Menschen durch eine

Sühneleistung. Es liegt nahe, die zugehörige Gegenthese als Versöhnung des

Menschen mit Gott zu formulieren.

In der vorliegenden Arbeit sollen nun These und Gegenthese mithilfe

dogmatischer Theorien zu Christologie und Versöhnungslehre mit Inhalt gefüllt

und diskutiert werden. Dazu wird zunächst der Begriff der Versöhnung innerhalb

verschiedener Zusammenhänge geklärt. Anschließend wird die von Gestrich

kritisierte Gruppe von Versöhnungstheorien, allen voran die Satisfaktionslehre

Anselms von Canterbury, dargelegt. Dem werden danach mögliche

Gegenpositionen (Abaelard, Kasper,…) entgegengesetzt, um schließlich zu einer

Synthese zu gelangen und die Kritik Gestrichs auf ihre Berechtigung zu

überprüfen und zu bewerten. Wer ist nun also mit wem versöhnt?

1 Gestrich, Christof: Warum sollen wir versöhnt werden? Ist Jesus Christus Gottes Sühnopfer? Hermeneutische Überlegungen zu einer ausgeuferten Diskussion, in: Acklin Zimmermann, Béatrice & Annen, Franz (Hg.): Versöhnt durch den Opfertod Jesu Christi? - Die christliche Sühnopfertheologie auf der Anklagebank, Zürich 2009, 77.

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Gott ist mit dem Menschen versöhnt

Im ursprünglichen Verständnis des Alten Testaments wird Versöhnung stets als

der Wille Gottes erfahren, eine „Störung des von Gott geordneten Miteinanders“2

zu beheben. Die Notwendigkeit dessen ergibt sich aus dem exegetisch

prominenten „Tun-Ergehen-Zusammenhang“3 in Bezug auf die Sünde und ihre

Folgen. So ist es typisch für das Alte Testament, dass Sünde und Schuld in

irgendeiner Form „wiedergutgemacht“ werden müssen, um den Tun-Ergehen-

Zusammenhang der Sünde zu durchbrechen und so das Verhältnis zu Gott

wieder ins Reine zu bringen. Die „einfachste“ Möglichkeit der Wiedergutmachung

ist im AT die Strafe, so beispielsweise in der Interpretation des Unterganges des

Nordreiches und Juda als Folge des Zorns Gottes im deuteronomistischen

Geschichtswerk (2Kön 17,18; 24,20). Häufiger jedoch gibt Gott in den

Erzählungen des Alten Testaments die Möglichkeit zur Versöhnung durch die Tat

des Menschen. Für die Menschen bedeutete dies zumeist Sühnehandlungen

durch kultische Opfer (vgl. Ritualtexte Lev 1-7). Zugrunde liegt hierbei eine

konkrete Lösegeld- bzw. Kompensationsvorstellung der Autoren. Durch die Riten

erhofften sich die Menschen „Sühne (כ פ לסנ) kippær) sowie Vergebung ר ח

nislach) für die Opfergeber“4. Versöhnung Gottes mit den Menschen wird also als

Folge notwendiger Kompensationsleistungen betrachtet und der Begriff der

Versöhnung bezieht sich hierbei direkt auf die „Wurzel כ פ kippær `sühnen´“.5 ר

Wird der Blick nun auf die Texte des Neuen Testaments gerichtet, so liegt es

nicht sehr fern, eine Übertragung dieser unmittelbaren Lösegeldvorstellung (vgl.

Mk 10,45; Mt 20,28) eines Sühneopfers auf das Leiden und Sterben Jesu

vorzunehmen. Dies wurde von einigen Autoren auch getan. Prominentestes

Beispiel hierfür ist Anselm von Canterbury, der in seiner Satisfaktionstheorie

ebendiese Vorstellung, allerdings im Sinne der Scholastik „sola ratione“ und

„quasi nihil sciatur de Christo“6, abgeleitet hat. Grundlage hierfür bildet bei

Anselm die bereits erwähnte Vorstellung, wonach Gott stets bestrebt sei, seine

2 Deselaers, Paul: Art. Versöhnung – Biblisch-theologisch, in: LThK3 10 (2001), 720f. 3 Fehling, Ruth: Jesus ist für unsere Sünden gestorben – Eine praktisch-theologische Hermeneutik, Stuttgart 2010, 52. 4 Eberhart, Christian: Art. Sühne (AT), in: WiBiLex (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31922, Zugriff am 29.08.2017). 5 Eberhart, Christian: Art Versöhnung (AT), in: WiBiLex (http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34155, Zugriff am 29.08.2017). 6 Meinhart, Helmut: Art. Anselm v. Canterbury, in: LThK³ 1 (1993), 711f.

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angedachte Ordnung der Dinge aufrechtzuerhalten.7 In dieser Ordnung sei auch

die Sünde als Verletzung der Ehre Gottes eingeordnet. Aus diesem Grund

müsse auf jede Sünde zum Ausgleich entweder Strafe oder „Abzahlung der […]

genommenen Ehre“8 folgen, während ein Nachlass der Sünde ohne eine solche

Gegenleistung ausgeschlossen sei, da die Sünde andernfalls ungeordnet

belassen würde. Diese Abzahlung der genommenen Ehre nennt Anselm

satisfactio und aufgrund der Barmherzigkeit Gottes würde diese der Strafe stets

vorgezogen. Gott gegenüber satisfactio zu erbringen, erfordere allerdings, dass

es „jemanden gibt, der Gott für die Sünde des Menschen etwas Größeres gibt,

als alles, was außerhalb Gottes existiert.“9 Da nun Gott aber gerade das Größte

sei, was existiert, folge daraus, dass der Mensch und niemand anderes zwar die

satisfactio zu erbringen habe, lediglich Gott selbst aber imstande sei, diese zu

erbringen, da die nötige Gegenleistung gezwungenermaßen eine göttliche sein

müsse, um ausreichend zu sein. Hieraus folgert Anselm die Notwendigkeit eines

Gott-Menschen, der die satisfactio als wahrer Mensch leisten müsse und als

wahrer Gott zu leisten imstande sei.10 Andernfalls sei eine Wiederherstellung der

göttlichen Ordnung bzw. eine Durchbrechung des Tun-Ergehen-

Zusammenhangs (s.o.) nicht möglich. Dieser Gott-Mensch wird letztlich mit dem

sündenlosen Christus assoziiert, der durch seinen Tod die nötige satisfactio für

die Sünden der Menschen leiste und so Gott mit dem Mensch versöhne.

Die Parallelen zwischen dieser Deutung des Sterbens Jesu als Gegenleistung

und einem alttestamentlichen, kultischen Sühneopfer, wie es eingangs

beschrieben wurde, sind offensichtlich, wenngleich Anselm im Sinne der

scholastischen Methodik sehr viel Wert auf eine bibelfreie Herleitung seiner

Theorie gelegt hat. Die Betrachtung weiterer Autoren verstärkt diesen Eindruck.

So findet sich bei Augustinus weitergehend das sehr konkrete Bild vom

„Teufelsbetrug“. Demnach werde dem Teufel der Gottmensch Jesus „gegen die

sündige Menschheit angeboten“.11 Dieser gehe darauf ein, könne den göttlichen

und sündlosen Christus jedoch nicht festhalten. Auch hier liegt eine klare

Lösegeld-Vorstellung vor.

7 Vgl. Canterbury, Anselm von: Cur Deus homo – übers. v. Franciscus Salesius Schmitt, Darmstadt 41986, 43. 8 Ebd., 41. 9 Ebd., 97. 10 Ebd., 99. 11 Wenz, Gunther zit. nach Augustinus: De Trin XIII, 13/MPL 42, 1026f.

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Etwas neutraler formuliert es Karl Barth, wenn er den Gottmensch als den

Einzigen ansieht, der sowohl für Gott, als auch für den Menschen „zur neuen

Einigung beider“12 zu handeln imstande sei. Barth geht also ebenfalls von der

Notwendigkeit einer Wiederherstellung der göttlichen Ordnung durch die

Zufriedenstellung Gottes aus.

Bei allen genannten Autoren kommt die souveräne Vergebung Gottes ohne

Sühne, Strafe oder einen sonstigen Ausgleich13 nicht in Frage. Es wird stringent

von der Notwendigkeit der „Wiedergutmachung“ ausgegangen. Ob diese

Notwendigkeit jedoch wirklich so selbstverständlich besteht, wird nicht

hinterfragt. Die Argumentation einer Sühnevorstellung im Fall Jesu Christi ist

durchaus sehr schlüssig. Jedoch wird sie bei allen Autoren von der Notwendigkeit

des Ausgleiches zur Herstellung der göttlichen Ordnung abgeleitet. Dieser

Ausgangspunkt ist es also offenbar, der eine Angriffsfläche der

Sühneopfertheologie darstellt und Möglichkeiten für alternative Christologien

bietet. Im Folgenden werden solche Alternativen diskutiert, um in der Frage nach

der Versöhnung weitere Denkoptionen einzubeziehen.

Der Mensch ist mit Gott versöhnt

Es ist sicherlich leicht, zu behaupten, Gott könne als Antwort auf die menschliche

Sünde seine Ordnung nur durch ein angemessenes Opfer widerherstellen.

Dieses angemessene Opfer sei nun Christus, da er wahrer Mensch und wahrer

Gott ist. Hier muss aber ein Erstes hervorgehoben werden. Seit Nizäa ist klar:

Vater und Sohn sind „ὁμοούσιος“ (DH 125). Somit ist auch klar, dass Gott sich in

dieser Theorie selbst „opfert“. Es stellt sich die bereits angedeutete Frage, ob

dies so gedacht werden kann, ob es Gottes würdig ist und uns wirklich versöhnt.14

Die im vorausgegangenen Kapitel besprochenen Theorien haben sich stark auf

die Bedeutung des Todes Jesu Christi beschränkt. Diese kann jedoch ohne die

Botschaft der Auferstehung gewiss nicht verstanden werden. In diesem

Zusammenhang meint Christof Gestrich:

Das Verständnis der Versöhnung (im Sinne des Neuen Testaments) bleibt immer dann

theologisch unterbestimmt, wenn sie allein auf die Vergebung und Sühnung menschlicher

12 Barth, Karl: Die Lehre von der Versöhnung. Bd. 3 (Unterricht in der christlichen Religion), 1925 (Nachdruck Zürich 2003), 89. 13 Vgl. Fehling: Jesus, 52. 14 Vgl. Gestrich: Warum, 75.

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Schuld, auf Jesu Christi stellvertretendes Kreuzesleiden hin, bezogen wird – und nicht auch auf

den ,Generalsieg’ über den Tod ,und alle Übel’ durch Jesu Christi Auferweckung.15

Dieses Zitat kann als Zusammenfassung der Kritik an der Sühneopfertheologie

gelesen werden. So kritisiert Gestrich zum einen die Engführung der Versöhnung

auf den Tod Jesu als stellvertretende Sühne und zum anderen die Engführung

auf den Tod Jesu an sich, denn ohne einen Erklärungsansatz für die Bedeutung

der Auferstehung, kann auch kein Verständnis vom Tod Jesu und somit von der

Versöhnung gewonnen werden. Wie können diese Lücken also geschlossen

werden? Wie ist Versöhnung zu verstehen?

Friedrich Nietzsche bezeichnet das Verständnis vom Schuldopfer etwas

reißerisch als „schauderhaftes Heidentum“16 und begründet diese Wertung mit

Christus selbst, der die Schuld schon zu Lebzeiten in seinen Worten abgeschafft

und „jede Kluft zwischen Gott und Menschen geleugnet“17 habe. Die

Notwendigkeit einer Rolle als Sühneopfer sei demnach schlicht nicht

nachvollziehbar.

Der Fokus muss wohl viel stärker auf dem Werk und der Botschaft Jesu liegen.

Auch dies findet sich bei den besprochenen Sühneopfertheologen nur sehr

unzureichend. Eine Annäherung an den Begriff der Versöhnung kann nicht nur

vertikal geschehen, indem gefragt wird, wie Gott „besänftigt“ wurde und wird,

sondern vielmehr auch horizontal, indem gefragt wird, was Jesus zu seinen

Mitmenschen gesagt hat und warum. So ergibt sich tatsächlich ein

Spannungsfeld zwischen der Verkündigung Jesu vom nahegekommenen Reich

Gottes und der bedingungslosen Liebe Gottes auf der einen Seite und der bloßen

Opferfunktion auf der anderen Seite. Als reines Sühneopfer ohne weitere

Funktion, müsste Jesus nicht verkündigen.

Er tut es aber. Er tut es im Selbstverständnis einer Vollmachtstellung, das Reich

Gottes zu verkündigen, das allen Menschen zuteilwird (vgl. Lk 15). Er tut es und

schart so eine wachsende Anhängerschaft um sich, schließt einen neuen Bund

(Vgl. Mk 14,22-24; Mt 26,26-28; Lk 22,19-20).

Mithilfe solcher inhaltlichen Argumente entstand bereits zu Lebzeiten Anselms

von Canterbury ein scholastisches Alternativkonzept zur Satisfaktionstheorie,

15 Ebd., 77. 16 Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, in: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich Nietzsche Bd. 4, München 1966 (Nachdruck Wien 1980), 1203. 17 Ebd.

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formuliert von Peter Abaelard. Dieses richtet sich vor allem gegen die Vorstellung

der Besänftigung Gottes durch das Blut eines Unschuldigen. Das Leben und der

Tod Christi seien vielmehr die „höchste uns von Gott erwiesene Gnade“18. Der

Tod Jesu sei die vollendete Offenbarung der Liebe Gottes mit dem Ziel der

Gegenliebe. Die Selbstverschlossenheit vor Gott sei nämlich die wahre Sünde,

aus der Jesus die Menschen durch seine Botschaft herausführe.19 Jesus

proklamierte die Nähe des Reiches Gottes und den Aufruf zur bedingungslosen

Gottes- und Nächstenliebe. Seine Botschaft sei es, die nicht nur aus der Sünde,

verstanden als Gottesferne, herausführe, sondern vielmehr die „wahre Freiheit

der Kinder Gottes“20 hervorbringe.

Bei der Theorie Abaelards kann also durchaus von einer Richtungsänderung

gesprochen werden. Es ist nicht Gott, der besänftigt werden muss. Es ist der

Mensch, der zur Liebe Gottes und dem Nächsten hin ausgerichtet wird. Nicht

Gott wird mit dem Menschen versöhnt sondern vielmehr der Mensch mit Gott,

indem ihm seine Nähe in Jesus Christus offenbar wird. Auch im Sinne der Kritik

Gestrichs kann bei Abaelard eine Abwendung von der Engführung der Passion

auf einen Sühnetod festgestellt werden.

Wo sich bei der Satisfaktionstheorie allerdings die Frage gestellt hat, warum

Jesus als reines Sühneopfer verkündigen musste, stellt sich in der Gegenthese

Abaelards nun die Frage, warum Jesus sterben musste, wenn es doch vor allem

um Jesu Botschaft geht. Abaelard spricht in diesem Zusammenhang zwar von

der vollendeten Offenbarung, zeigt sich diese allerdings nicht vielmehr im Reden

und Handeln Jesu? Welche Bedeutung hat der Tod Jesu für die Versöhnung?

Auch Walter Kasper hält zunächst fest: „Gott braucht sich nicht seiner Allmacht

zu entäußern, um seine Liebe zu offenbaren.“21 Gott müsste sich nicht im

Menschen Jesus Christus selbst offenbaren und Gott müsste erst recht nicht als

Mensch Jesus Christus sterben. Dennoch tut er es. Ähnlich wie Abaelard sieht

Kasper darin die, wenn auch nicht notwendige, „beste Anschauung der Liebe

Gottes.“22 Diese sei eine „allmächtige Liebe, [die sich] ganz dem anderen

18 Abaelard, Peter: Expositio in epistolam ad Romanos – Römerbriefkommentar – übers. u. eingel. v. Rolf Peppermüller, Freiburg 2000, 277. 19 Vgl. Wenz, Gunther: Versöhnung – Soteriologische Fallstudien, in: Studium Systematische Theologie Bd. 9, Göttingen 2015, 138. 20 Abaelard: Expositio, 291. 21 Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi, Freiburg 2008, 312. 22 Ebd., 309.

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ausliefer[e] [und dennoch keine] ohnmächtige Liebe“23 sei. Dies sei

charakteristisch für Gottes Liebe und Allmacht. Gott gestehe dem Menschen

seine uneingeschränkte Freiheit zu, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Gerade dieser Aspekt richtet sich klar gegen die Vorstellung einer bloßen

Satisfaktion hin zu der Vorstellung einer freiwilligen Hingabe. Denn Gott „opfert“

sich in dieser Theorie selbst zur ultimativen Offenbarung seiner Liebe und nicht

zur ausgleichenden Sühne.

Dies bringt Georg Essen auf den Punkt, wenn er Christus nicht als bloßen

Übermittler der Liebe Gottes, sondern vielmehr als „Gottes Selbstoffenbarung als

Liebe“24 versteht. Subjekt und Inhalt sind hier identisch. Jesus verkündige in

seinem Selbstverständnis das nahe Reich Gottes. Zur Bestätigung dieses

Anspruches sei das Zeichen der Auferweckung notwendig. Im

Auferweckungshandeln identifiziere sich Gott mit dem Gekreuzigten und dem

von Jesus verkündigten Gott. Gleichzeitig werde so der Anspruch Jesu und seine

Verkündigung bestätigt.25 Den Menschen werde dadurch endgültig klar, dass

Gottes Liebe tatsächlich gegenwärtig ist. Also kann auch hier von einer

Versöhnung des Menschen mit Gott durch die Offenbarung der unbedingten

Liebe gesprochen werden. Essen hebt damit genau den „Generalsieg über […]

alle Übel“ (s.o.) hervor, wie Gestrich es fordert. Hieraus ergibt sich bei Essen

auch der Grund für Jesu Sterben, denn zur Auferweckung braucht es zuvor

logischerweise den Tod.

Entscheidender ist zum Verständnis des Todes Jesu jedoch die bereits

angedeutete Nähe der Liebe Gottes. Wenn es bei Johannes heißt: „Größere

Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh

15,13), dann liefert das wohl die Grundlage für die Deutung des Kreuzestodes

Jesu durch Walter Kasper als „das Äußerste, das Gott in seiner sich selbst

wegschenkenden Liebe möglich ist.“26 Am Kreuz zeige sich die Liebe Gottes in

seiner radikalsten Form. Nur durch diese Radikalität ist eine ansatzweise

Vorstellung von der Größe der göttlichen Liebe überhaupt möglich.

Der Aspekt des Wegschenkens kann in heutigen Worten schlicht mit Sympathie,

also Mitleiden, gleichgesetzt werden. Der Exeget Jürgen Moltmann versteht

23 Ebd., 212. 24 Essen, Georg: Die Freiheit Jesu – Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personphilosophie, Regensburg 2001, 260. 25 Vgl. ebd., 264. 26 Kasper: Der Gott, 312.

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genau das unter Solidaritätschristologie. Gott lasse die Leidenden nicht im Stich,

sondern leide mit ihnen am Kreuz.27 Dies liefert den vielleicht stärksten Grund für

das Leiden und Sterben Jesu und auch das vielleicht stärkste Argument,

Versöhnung als Versöhnung des Menschen mit Gott durch Selbstoffenbarung als

Liebe bis zum letzten Schritt der radikalen Hingabe am Kreuz zum „Sieg über

den Tod und alle Übel“ zu verstehen.

Fazit

Wenn Christof Gestrich die Unterbestimmung des Verständnisses von

Versöhnung kritisiert, dann zielt er damit direkt auf die Lehre der Satisfaktion des

Anselm von Canterbury und weiterer Autoren ab. Diese versucht zu erklären,

warum Gott Mensch geworden ist. Dies tut sie, indem sie von einer durch die

Sünde gestörten göttlichen Ordnung ausgeht und daraus die Notwendigkeit eines

Gottmenschen ableitet, der Gott durch sein Opfer die notwendige Gegenleistung

verschafft, das notwendige Lösegeld zahlt, die notwendige Sühne erbringt. In

Bezug auf die Versöhnung kann diese Lehre vertikal als Versöhnung Gottes mit

dem Menschen verstanden werden.

Die Argumentation hin zu dieser Erkenntnis ist durchaus schlüssig. Sie ist aber

vor allem deshalb schlüssig, weil sie einiges ausklammert. Sie klammert erstens

die Bedeutung der Botschaft Jesu aus. Sie klammert zweitens aus, dass es Gott

in seiner Allmacht auch möglich sein muss, Schuld ohne Gegenleistung zu

vergeben. Sie klammert drittens das Ereignis der Auferstehung aus. Verständlich

ist dies aufgrund der Tatsache, dass in der Scholastik versucht wurde, ohne die

Bibel zu Erkenntnissen zu gelangen. Eine Rechtfertigung für die Auslassung des

Genannten liefert dies jedoch nicht. Genau das ist es, was auch Christof Gestrich

aufgefallen ist, wenn er von Unterbestimmung der Versöhnung spricht. Und

genau das ist es auch, was die Möglichkeit für Gegenpositionen bietet.

Bei der Betrachtung der Botschaft Jesu und der Analyse der Bedeutung der

Auferstehung gelangten Peter Abaelard, Walter Kasper, Georg Essen und

Weitere zum zentralen Argument ihrer Gegenthese: Gott liebt den Menschen und

offenbart sich deshalb als Liebe in Jesus Christus, um Gegenliebe hervorzurufen

und den Menschen aus seiner Gottesferne herauszuholen. Dazu schenkt er sich

27 Vgl. Moltmann, Jürgen: Die Rechtfertigung Gottes, in: Weth, Rudolf (Hg.): Das Kreuz Jesu – Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001, 132.

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dem Menschen in seiner Allmacht bis zum letzten Schritt des Todes hin und wird

durch die Auferstehung in seiner Botschaft legitimiert. Dadurch wird die Liebe

Gottes in ihrer radikalsten Form offenbar.

So ist es letztlich das Gottesbild Jesu vom barmherzigen, liebenden Gott, das

zwar auch von Anselm zur Rechtfertigung der Notwendigkeit der satisfactio

anstelle der Strafe verwendet wurde, in letzter Konsequenz allerdings viel mehr

bedeuten muss, nämlich die Legitimierung der Botschaft Jesu vom nahen Reich

Gottes in Tod und Auferstehung durch die Liebe des Vaters. Nur wenn dies so

zu Ende gedacht wird, ist das Verständnis von Versöhnung nicht

„unterbestimmt“. Dann wird Versöhnung verstanden als Versöhnung des

Menschen mit Gott und der Satz „Jesus ist für unsere Sünden gestorben“ wird

nicht gleichgesetzt mit einem Stellvertretertod zur Sühne, sondern mit dem

Herausführen des Menschen aus der Gottesferne durch die in Christus offenbare

Liebe Gottes, die sich am Kreuz in ihrer radikalsten Form zeigt.

Zu diesem Verständnis kann nur gelangt werden, wenn Leben, Wirken,

Botschaft, Tod und Auferstehung Jesu Christi in die Überlegungen einbezogen

werden. Somit ist die Warnung Gestrichs vor einer Unterbestimmung des

Versöhnungsverständnisses auch im Sinne vollständiger, wissenschaftlicher

Aufarbeitung absolut gerechtfertigt.

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Literaturverzeichnis

Abaelard, Peter: Expositio in epistolam ad Romanos – Römerbriefkommentar –

übers. u. eingel. v. Rolf Peppermüller, Freiburg 2000.

Barth, Karl: Die Lehre von der Versöhnung. Bd. 3 (Unterricht in der christlichen

Religion), 1925 (Nachdruck Zürich 2003).

Canterbury, Anselm von: Cur Deus homo – übers. v. Franciscus Salesius

Schmitt, Darmstadt 41986.

Deselaers, Paul: Art. Versöhnung – Biblisch-theologisch, in: LThK3 10 (2001),

720-721.

Eberhart, Christian: Art. Sühne (AT), in: WiBiLex

(http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31922, Zugriff am 09.09.2017).

Eberhart, Christian: Art Versöhnung (AT), in: WiBiLex

(http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34155, Zugriff am 09.09.2017).

Essen, Georg: Die Freiheit Jesu – Der neuchalkedonische Enhypostasiebegriff

im Horizont neuzeitlicher Subjekt- und Personphilosophie, Regensburg 2001.

Fehling, Ruth: Jesus ist für unsere Sünden gestorben – Eine praktisch-

theologische Hermeneutik, Stuttgart 2010.

Gestrich, Christof: Warum sollen wir versöhnt werden? Ist Jesus Christus

Gottes Sühnopfer? Hermeneutische Überlegungen zu einer ausgeuferten

Diskussion, in: Acklin Zimmermann, Béatrice & Annen, Franz (Hg.): Versöhnt

durch den Opfertod Jesu Christi? - Die christliche Sühnopfertheologie auf der

Anklagebank, Zürich 2009, 75-100.

Kasper, Walter: Der Gott Jesu Christi, Freiburg 2008.

Meinhart, Helmut: Art. Anselm v. Canterbury, in: LThK³ 1 (1993), 711-712.

Moltmann, Jürgen: Die Rechtfertigung Gottes, in: Weth, Rudolf (Hg.): Das

Kreuz Jesu – Gewalt – Opfer – Sühne, Neukirchen-Vluyn 2001.

Nietzsche, Friedrich: Der Antichrist, in: Schlechta, Karl (Hg.): Friedrich

Nietzsche Bd. 4, München 1966 (Nachdruck Wien 1980).

Wenz, Gunther: Versöhnung – Soteriologische Fallstudien, in: Studium

Systematische Theologie Bd. 9, Göttingen 2015.

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Eigenständigkeitserklärung

Hiermit erkläre ich, Timo Hartmann (Matr.-Nr.: 2726340), dass ich die

vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die

angegebenen Quellen oder Hilfsmittel (einschließlich elektronischer Medien

und Online-Quellen) benutzt habe. Mir ist bewusst, dass ein

Täuschungsversuch oder ein Ordnungsverstoß vorliegt, wenn sich diese

Erklärung als unwahr erweist.

Mainz, den 09.09.17 Timo Hartmann