Jayne Anne Phillips: Maschinenträume

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Maschinenträume erzählt die Geschichte der Hampsons, einer Familie in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo im mittleren Süden: Die Eltern Jean und Mitch, Tochter Danner und Sohn Billy führen ein einfaches Leben. Nach der Rezession der Dreißigerjahre und dem Zweiten Weltkrieg, den Mitch in einer Genie-Einheit in Asien erlebt hat, geht der Aufschwung andere Wege. Seine kleine Baufirma macht Konkurs. Jean holt ihren Abschluss nach, um als Lehrerin die Ausbildung der Kinder zu finanzieren. Die Ehe zerbricht, Mitch zieht aus. Adoleszenz, Schule, erste Liebe. Dann wird Billy eingezogen. Er muss nach Vietnam. Bei einem Einsatz mit dem Helikopter wird er abgeschossen. Danner engagiert sich in der Friedensbewegung und setzt alles daran, mehr über das Schicksal ihres verschollenen Bruders zu erfahren.

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Maschinenträume erzählt die Geschichte der Hampsons, einer

Familie in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo im mitt-

leren Süden: Die Eltern Jean und Mitch, Tochter Danner und

Sohn Billy führen ein einfaches Leben. Nach der Rezession der

dreißiger Jahre und dem Zweiten Weltkrieg geht der Aufschwung

an ihnen vorbei. Als Mitchs kleine Baufirma in Konkurs geht,

holt Jean ihren Abschluß nach, um als Lehrerin die Ausbildung

der Kinder zu finanzieren. Doch die Ehe geht zugrunde und

Mitch zieht aus. Dann wird Billy vom Militär eingezogen. Er muß

nach Vietnam, und schon bald wird die Familie endgültig aus-

einandergerissen. Eine tiefsinnige Auseinandersetzung mit der

Zerbrechlichkeit des American Dreams – Maschinenträume hat

auch fünfundzwanzig Jahre nach Erscheinen nichts von seiner

Aktualität verloren.

Jayne Anne Phillips, geboren 1952 in Buckhannon, West Virginia,

ist Literaturprofessorin an der Rutgers-Newark University in

New Jersey. Bei BvT erschienen bereits ihr Roman MutterKind

(2003) und ihr Erzählungsband Das himmlische Tier (2009). Im

Berlin Verlag erschien zuletzt ihr Roman Glasmondmann (2009).

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Jayne anne Ph ill iPsMaschinenträume

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Karin Graf

Berliner Taschenbuch Verlag

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Dezember 2009BvT Berliner Taschenbuch Verlags GmbH, Berlin

© 1985 Jayne Anne PhillipsDie Originalausgabe erschien 1984 unter dem Titel

Machine Dreamsbei E. P. Dutton, Inc., New York

Copyright der deutschsprachigen Übersetzung von Karin Graf© 1985 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

© 2009 Karin GrafUmschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg,unter Verwendung eines Bildes von © Plainpicture

Satz: Greiner & Reichel, KölnDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Printed in Germanyisbn 978-3-8333-0652-5

www.berlinverlage.de

MixProduktgruppe aus vorbildlichbewirtschafteten Wäldern und

anderen kontrollierten Herkünften

Zert.-Nr. GFA-COC-001223www.fsc.org

© 1996 Forest Stewardship Council

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Für meine Familie,

die frühere und die gegenwärtige

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inhalt

Erinnerung für eine Tochter: Jean. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Das Geheime Land: Mitch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Kriegsbriefe: Mitch, 1942–45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Maschinenträume: Mitch, 1946. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Anniversary Song: Jean, 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Korallenmeer: Mitch, 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

Das Haus bei Nacht: Danner, 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Maschinenträume: Billy, 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Erinnerung für eine Tochter: Jean, 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Parade: Danner, 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Die Luftschau: Billy, 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Amazing Grace: Danner, 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

Mondschiff: Danner, 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

November und Dezember: Billy, 1969. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Kriegsbriefe: Billy, 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

Die Welt: Danner, 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Maschinentraum: Danner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

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Anmerkung der Übersetzerin

Eine Reihe von Begriffen, besonders aus dem militärischen Bereich,

sind in englischer Sprache stehengeblieben, da eine Übersetzung

kulturelle Eigenarten verwischt oder stilistisch unglücklich gewirkt

hätte. Sie werden in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.

K. G.

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»Hier ist die Geschichte des Fliegens, von den Träumen der alten

Griechen bis zu den Wundern des heutigen Tages, dargestellt in

kurzen, maßgebenden Texten und prachtvollen Aquarellen. Es ist

eine faszinierende Geschichte von Menschen und Erfindungen,

von Abenteuer und Tollkühnheit und von Flugapparaten.«

Melvin B. Zisfein, Das Fliegen, ein Panorama der Luftfahrt

»Die Griechen glaubten, daß ihre heldenmütigen Toten den

Lebenden in Gestalt von Pferden erschienen … Die Seele der

Verstorbenen wurde oftmals in Form eines Pferdes dargestellt.«

Nikolas Yalouris, Pegasus: Die Kunst der Legende

»Nun flog er (Pegasus) fort und verließ die Erde, die Mutter der

Herden, und kam zu den unsterblichen Göttern: und er wohnt

im Hause Zeus’ und bringt dem weisen Zeus Donner und Blitz.«

Hesiod, Die Theogonie, Vers 284–6

»And the voice said:

Well, you don’t know me.

but I know you

And I’ve got a message to give to you

Here come the planes

So you better get ready. Ready to go. You can come

as you are, but pay as you so …

They’re American planes. Made in America.

Smoking or non-smoking?«

Laurie Anderson, O Superman

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erinnerung für e ine tochter

Jean

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Merkwürdig, was man alles nicht vergißt. Wir hatten eine Nach-

barin namens Mrs. Thomas. Ich erinnere mich, daß ich hoch

hinauflangte, um das schwere Telephon – ein Kastentelephon

mit einem Sprachrohr an einer Kordel – zu mir auf den Boden zu

ziehen. Telephonnummern waren damals zweistellig. Ich wählte

Sieben und Null und sagte: »Tommie, ich bin krank. Ich will, daß

du rüberkommst.« Ich habe die Kinderstimme noch im Ohr und

dabei das Gefühl, sie kommt aus mir heraus, genauso deutlich, so

klar wie du da stehst. Ich war drei Jahre alt. Ich sah meine Hände

auf dem Telephonapparat und meine Schuhe und den kratzigen

braunen Stoff des Kleides, das ich trug. Ich war nicht sehr kräftig

und hatte, als ich fünf war, schon zweimal Lungenentzündung

gehabt. Mutter hatte das Kind vor mir durch Diphtherie und

Keuchhusten verloren, und vorher totgeborene Zwillinge. Den

ganzen Winter über kleidete sie mich in mehrere Lagen Wollzeug,

Wadenwärmer und Unterhemden. Sie tränkte saubere Lappen in

Gänsefett und zwang mich, sie um den Hals zu tragen. Gewöhn-

lich half Tommie ihr, und sie schmolzen das Fett in einem großen

schwarzen Kessel, warfen die Lappen hinein und rührten sie

mit einem Stock um, während ich in Decken gehüllt dasaß und

wartete. Sie legten die Lappen zum Abkühlen aufs Fensterbrett,

wickelten mich dann ein, wenn die Dämpfe noch so stark wa-

ren, daß uns die Augen tränten. Ich stand zwischen den beiden

Frauen, während sie mit großen und schnellen Händen über mir

arbeiteten, und sah nichts als ihre weiten dunklen Röcke.

Ich war als Kind sehr mager und hatte große braune Augen. Im

Sommer war ich schwarz wie ein Negerkind, und Mutter nannte

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mich ihr Mohrchen. Sie sagte immer, ich sei das häßlichste Baby,

das sie je gesehen habe; als ich wenige Tage alt war, legte sie mich

mitten auf das hohe Walnußbaumbett und betrachtete mich. Die

Nachbarin sagte: »Warte mal ab! Sie wird noch die Freude deines

Lebens.« Mutter erzählte die Geschichte oft, als ich größer wur-

de – ich weiß nicht, wie oft ich sie gehört habe –, danach lächelte

sie mich immer an und sagte: »Und es stimmt, das bist du.«

Später schaust du zurück und siehst, wie eins das andere nach

sich zieht. Aber wenn du jung bist, sind diese Zusammenhänge

geheim; alles, was du weißt, ist ein Geheimnis vor dir selbst. Ich

bin immer davon ausgegangen, daß ich selbst einmal eine Tochter

haben würde. Ich habe deinen Namen ausgesucht, als ich zwölf

war und ihn aufbewahrt. Auf eine komische Weise warst du für

mich damals schon wirklich. Das Gefühl hatte ich bei deinem

Bruder nie. Du wurdest zuerst geboren; dann kam er und erober-

te sich einen Platz; ich hatte mir keine Vorstellungen von ihm

gemacht. Vielleicht ist das so mit Jungen; vielleicht haben sie

mehr Glück.

Ich war wie ein Einzelkind, wuchs allein bei meiner Mutter

auf. Die drei Babys vor mir hatte sie verloren, und der Bruder und

die Schwester, die überlebten, waren zehn und zwölf Jahre älter –

schon aus dem Haus, als ich jemanden brauchte, mit dem ich

reden konnte. Sie waren ganz anders aufgewachsen – Dad hatte

Geld damals. Mutters Möbel waren neu; das Haus war gepflegt;

die Straße mit all den hohen schattenspendenden Bäumen am

Bürgersteig wurde Quality Hill genannt. Dad hatte einmal die

größte Holzhandlung im Staat. Er war fünfundzwanzig Jahre

älter als Mutter, und sie war seine zweite Frau; als sie heirateten,

hatte er erwachsene Kinder, die fast so alt waren wie sie. Obwohl

er reich war, hatten Mutters Eltern sie nicht mit ihm ziehen lassen

wollen – ich vermute, er hatte einen ziemlich schlechten Ruf:

ein Exzentriker, ein Frauenheld. Ihre Familie führte ein kleines

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Hotel in Pickens. Die Stadt ist jetzt eine Geisterstadt, aber das

Haus, das alte Hotel, steht noch. Habe ich dich je mitgenommen

und es dir gezeigt? Er übernachtete dort auf Geschäftsreisen, und

Mutter hatte ihn kommen und gehen sehen. Eines Abends tat sie

Dienst an der Rezeption, und plötzlich fiel sie ihm auf. Sie war

siebzehn; er muß ihr wie ein Weltmann und ein Draufgänger vor-

gekommen sein. Nachdem er ihr einige Monate den Hof gemacht

und sie beschenkt hatte – meistens per Post – brannten sie durch

und fuhren auf Hochzeitsreise an die Niagarafälle. Sie war zum

ersten Mal seit ihrer Kindheit von zu Hause weg; sie hatte lauter

neue Kleider, und sie wohnten in einer Suite großartiger Räume,

Mutter erzählte mir, wie sie des Nachts aufsaß und Briefe nach

Hause schrieb über den Dampfer und die Gischt der Wasserfälle;

wie die Gischt in der Sonne farbig wurde, aber selbst im Sommer

kalt war und für sie nach Minze und Veilchen roch. Sie bat ihre

Mutter, ihr zu verzeihen, doch die Briefe wurden nicht beant-

wortet; es dauerte ein Jahr, ehe sie sie zu Besuch kommen ließen.

Dad brachte sie durch Hampton nach Hause, um sie zu be-

eindrucken. Jetzt stehen dort bloß vom Bergwerk aufgekaufte

und total verfallene Hütten, aber damals war es eine Stadt aus

vierzig hölzernen Kastenhäusern, die er am Fluß gebaut hatte,

um seine Arbeiter unterzubringen. Die Mühlenarbeiter säumten

die Gleise und jubelten, als der Zug einfuhr.

Die ersten Jahre wohnten sie dort im Haupthaus bei der

Mühle. Sie war ihm eine Hilfe im Geschäft, obwohl er das nie zu-

gab und so tat, als nähme er ihren Rat nicht an. Bald schickte er

sie in das große Haus in der Stadt und kam jeden zweiten Abend

nach Hause; er war gewohnt zu tun, wozu er Lust hatte und hatte

eine Reihe von »Sekretärinnen« draußen in der Mühle. Meine

Schwester erzählte mir, sie erinnerte sich an einen großen Krach

zwischen den beiden, als sie dreizehn war oder so. Ich war noch

ein Baby. Er hatte in dem Sommer einen Geschäftsführer einge-