Jayne Anne Phillips: Maschinenträume
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Transcript of Jayne Anne Phillips: Maschinenträume
Maschinenträume erzählt die Geschichte der Hampsons, einer
Familie in einer amerikanischen Kleinstadt irgendwo im mitt-
leren Süden: Die Eltern Jean und Mitch, Tochter Danner und
Sohn Billy führen ein einfaches Leben. Nach der Rezession der
dreißiger Jahre und dem Zweiten Weltkrieg geht der Aufschwung
an ihnen vorbei. Als Mitchs kleine Baufirma in Konkurs geht,
holt Jean ihren Abschluß nach, um als Lehrerin die Ausbildung
der Kinder zu finanzieren. Doch die Ehe geht zugrunde und
Mitch zieht aus. Dann wird Billy vom Militär eingezogen. Er muß
nach Vietnam, und schon bald wird die Familie endgültig aus-
einandergerissen. Eine tiefsinnige Auseinandersetzung mit der
Zerbrechlichkeit des American Dreams – Maschinenträume hat
auch fünfundzwanzig Jahre nach Erscheinen nichts von seiner
Aktualität verloren.
Jayne Anne Phillips, geboren 1952 in Buckhannon, West Virginia,
ist Literaturprofessorin an der Rutgers-Newark University in
New Jersey. Bei BvT erschienen bereits ihr Roman MutterKind
(2003) und ihr Erzählungsband Das himmlische Tier (2009). Im
Berlin Verlag erschien zuletzt ihr Roman Glasmondmann (2009).
Jayne anne Ph ill iPsMaschinenträume
Roman
Aus dem Amerikanischen
von Karin Graf
Berliner Taschenbuch Verlag
Dezember 2009BvT Berliner Taschenbuch Verlags GmbH, Berlin
© 1985 Jayne Anne PhillipsDie Originalausgabe erschien 1984 unter dem Titel
Machine Dreamsbei E. P. Dutton, Inc., New York
Copyright der deutschsprachigen Übersetzung von Karin Graf© 1985 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
© 2009 Karin GrafUmschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg,unter Verwendung eines Bildes von © Plainpicture
Satz: Greiner & Reichel, KölnDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germanyisbn 978-3-8333-0652-5
www.berlinverlage.de
MixProduktgruppe aus vorbildlichbewirtschafteten Wäldern und
anderen kontrollierten Herkünften
Zert.-Nr. GFA-COC-001223www.fsc.org
© 1996 Forest Stewardship Council
Für meine Familie,
die frühere und die gegenwärtige
inhalt
Erinnerung für eine Tochter: Jean. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Das Geheime Land: Mitch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Kriegsbriefe: Mitch, 1942–45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Maschinenträume: Mitch, 1946. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
Anniversary Song: Jean, 1948 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
Korallenmeer: Mitch, 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
Das Haus bei Nacht: Danner, 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
Maschinenträume: Billy, 1957 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Erinnerung für eine Tochter: Jean, 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Parade: Danner, 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
Die Luftschau: Billy, 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Amazing Grace: Danner, 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Mondschiff: Danner, 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
November und Dezember: Billy, 1969. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Kriegsbriefe: Billy, 1970 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Die Welt: Danner, 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
Maschinentraum: Danner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
Anmerkung der Übersetzerin
Eine Reihe von Begriffen, besonders aus dem militärischen Bereich,
sind in englischer Sprache stehengeblieben, da eine Übersetzung
kulturelle Eigenarten verwischt oder stilistisch unglücklich gewirkt
hätte. Sie werden in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.
K. G.
»Hier ist die Geschichte des Fliegens, von den Träumen der alten
Griechen bis zu den Wundern des heutigen Tages, dargestellt in
kurzen, maßgebenden Texten und prachtvollen Aquarellen. Es ist
eine faszinierende Geschichte von Menschen und Erfindungen,
von Abenteuer und Tollkühnheit und von Flugapparaten.«
Melvin B. Zisfein, Das Fliegen, ein Panorama der Luftfahrt
»Die Griechen glaubten, daß ihre heldenmütigen Toten den
Lebenden in Gestalt von Pferden erschienen … Die Seele der
Verstorbenen wurde oftmals in Form eines Pferdes dargestellt.«
Nikolas Yalouris, Pegasus: Die Kunst der Legende
»Nun flog er (Pegasus) fort und verließ die Erde, die Mutter der
Herden, und kam zu den unsterblichen Göttern: und er wohnt
im Hause Zeus’ und bringt dem weisen Zeus Donner und Blitz.«
Hesiod, Die Theogonie, Vers 284–6
»And the voice said:
Well, you don’t know me.
but I know you
And I’ve got a message to give to you
Here come the planes
So you better get ready. Ready to go. You can come
as you are, but pay as you so …
They’re American planes. Made in America.
Smoking or non-smoking?«
Laurie Anderson, O Superman
erinnerung für e ine tochter
Jean
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Merkwürdig, was man alles nicht vergißt. Wir hatten eine Nach-
barin namens Mrs. Thomas. Ich erinnere mich, daß ich hoch
hinauflangte, um das schwere Telephon – ein Kastentelephon
mit einem Sprachrohr an einer Kordel – zu mir auf den Boden zu
ziehen. Telephonnummern waren damals zweistellig. Ich wählte
Sieben und Null und sagte: »Tommie, ich bin krank. Ich will, daß
du rüberkommst.« Ich habe die Kinderstimme noch im Ohr und
dabei das Gefühl, sie kommt aus mir heraus, genauso deutlich, so
klar wie du da stehst. Ich war drei Jahre alt. Ich sah meine Hände
auf dem Telephonapparat und meine Schuhe und den kratzigen
braunen Stoff des Kleides, das ich trug. Ich war nicht sehr kräftig
und hatte, als ich fünf war, schon zweimal Lungenentzündung
gehabt. Mutter hatte das Kind vor mir durch Diphtherie und
Keuchhusten verloren, und vorher totgeborene Zwillinge. Den
ganzen Winter über kleidete sie mich in mehrere Lagen Wollzeug,
Wadenwärmer und Unterhemden. Sie tränkte saubere Lappen in
Gänsefett und zwang mich, sie um den Hals zu tragen. Gewöhn-
lich half Tommie ihr, und sie schmolzen das Fett in einem großen
schwarzen Kessel, warfen die Lappen hinein und rührten sie
mit einem Stock um, während ich in Decken gehüllt dasaß und
wartete. Sie legten die Lappen zum Abkühlen aufs Fensterbrett,
wickelten mich dann ein, wenn die Dämpfe noch so stark wa-
ren, daß uns die Augen tränten. Ich stand zwischen den beiden
Frauen, während sie mit großen und schnellen Händen über mir
arbeiteten, und sah nichts als ihre weiten dunklen Röcke.
Ich war als Kind sehr mager und hatte große braune Augen. Im
Sommer war ich schwarz wie ein Negerkind, und Mutter nannte
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mich ihr Mohrchen. Sie sagte immer, ich sei das häßlichste Baby,
das sie je gesehen habe; als ich wenige Tage alt war, legte sie mich
mitten auf das hohe Walnußbaumbett und betrachtete mich. Die
Nachbarin sagte: »Warte mal ab! Sie wird noch die Freude deines
Lebens.« Mutter erzählte die Geschichte oft, als ich größer wur-
de – ich weiß nicht, wie oft ich sie gehört habe –, danach lächelte
sie mich immer an und sagte: »Und es stimmt, das bist du.«
Später schaust du zurück und siehst, wie eins das andere nach
sich zieht. Aber wenn du jung bist, sind diese Zusammenhänge
geheim; alles, was du weißt, ist ein Geheimnis vor dir selbst. Ich
bin immer davon ausgegangen, daß ich selbst einmal eine Tochter
haben würde. Ich habe deinen Namen ausgesucht, als ich zwölf
war und ihn aufbewahrt. Auf eine komische Weise warst du für
mich damals schon wirklich. Das Gefühl hatte ich bei deinem
Bruder nie. Du wurdest zuerst geboren; dann kam er und erober-
te sich einen Platz; ich hatte mir keine Vorstellungen von ihm
gemacht. Vielleicht ist das so mit Jungen; vielleicht haben sie
mehr Glück.
Ich war wie ein Einzelkind, wuchs allein bei meiner Mutter
auf. Die drei Babys vor mir hatte sie verloren, und der Bruder und
die Schwester, die überlebten, waren zehn und zwölf Jahre älter –
schon aus dem Haus, als ich jemanden brauchte, mit dem ich
reden konnte. Sie waren ganz anders aufgewachsen – Dad hatte
Geld damals. Mutters Möbel waren neu; das Haus war gepflegt;
die Straße mit all den hohen schattenspendenden Bäumen am
Bürgersteig wurde Quality Hill genannt. Dad hatte einmal die
größte Holzhandlung im Staat. Er war fünfundzwanzig Jahre
älter als Mutter, und sie war seine zweite Frau; als sie heirateten,
hatte er erwachsene Kinder, die fast so alt waren wie sie. Obwohl
er reich war, hatten Mutters Eltern sie nicht mit ihm ziehen lassen
wollen – ich vermute, er hatte einen ziemlich schlechten Ruf:
ein Exzentriker, ein Frauenheld. Ihre Familie führte ein kleines
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Hotel in Pickens. Die Stadt ist jetzt eine Geisterstadt, aber das
Haus, das alte Hotel, steht noch. Habe ich dich je mitgenommen
und es dir gezeigt? Er übernachtete dort auf Geschäftsreisen, und
Mutter hatte ihn kommen und gehen sehen. Eines Abends tat sie
Dienst an der Rezeption, und plötzlich fiel sie ihm auf. Sie war
siebzehn; er muß ihr wie ein Weltmann und ein Draufgänger vor-
gekommen sein. Nachdem er ihr einige Monate den Hof gemacht
und sie beschenkt hatte – meistens per Post – brannten sie durch
und fuhren auf Hochzeitsreise an die Niagarafälle. Sie war zum
ersten Mal seit ihrer Kindheit von zu Hause weg; sie hatte lauter
neue Kleider, und sie wohnten in einer Suite großartiger Räume,
Mutter erzählte mir, wie sie des Nachts aufsaß und Briefe nach
Hause schrieb über den Dampfer und die Gischt der Wasserfälle;
wie die Gischt in der Sonne farbig wurde, aber selbst im Sommer
kalt war und für sie nach Minze und Veilchen roch. Sie bat ihre
Mutter, ihr zu verzeihen, doch die Briefe wurden nicht beant-
wortet; es dauerte ein Jahr, ehe sie sie zu Besuch kommen ließen.
Dad brachte sie durch Hampton nach Hause, um sie zu be-
eindrucken. Jetzt stehen dort bloß vom Bergwerk aufgekaufte
und total verfallene Hütten, aber damals war es eine Stadt aus
vierzig hölzernen Kastenhäusern, die er am Fluß gebaut hatte,
um seine Arbeiter unterzubringen. Die Mühlenarbeiter säumten
die Gleise und jubelten, als der Zug einfuhr.
Die ersten Jahre wohnten sie dort im Haupthaus bei der
Mühle. Sie war ihm eine Hilfe im Geschäft, obwohl er das nie zu-
gab und so tat, als nähme er ihren Rat nicht an. Bald schickte er
sie in das große Haus in der Stadt und kam jeden zweiten Abend
nach Hause; er war gewohnt zu tun, wozu er Lust hatte und hatte
eine Reihe von »Sekretärinnen« draußen in der Mühle. Meine
Schwester erzählte mir, sie erinnerte sich an einen großen Krach
zwischen den beiden, als sie dreizehn war oder so. Ich war noch
ein Baby. Er hatte in dem Sommer einen Geschäftsführer einge-