Jürgen Kaiser GOTIK - shop.greven-verlag.de · Fenster zum Himmel – die Altäre Für die Feier...

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GOTIK GREVEN VERLAG KÖLN Fotografiert von Florian Monheim Jürgen Kaiser im Rheinland

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GOTIK

GREVEN VERLAG KÖLN

Fotogra f i e r t von Flor ian Monheim

Jürgen Kaiser

im Rheinland

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Höchst skurrile Phantasiewesen

bevölkern als Wasserspeier das

Strebewerk des Kölner Doms.

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Vorwort

SCHWERELOSE PRACHTEntwicklung der Gotik im Rheinland

Ein Spitzbogen macht noch keine Gotik – die rheinische SpätromanikSchöpferische Übernahme – Beginn und Weiterentwicklung der Gotik im RheinlandLeuchtend wie Edelsteine – die GlasmalereienDie Glasmalereien der Abteikirche AltenbergDie Glasmalereien des Kölner DomchorsPrachtfenster der SpätgotikFenster zum Himmel – die Altäre

DIE BAUTEN

Aachen, Dom St. MariaAhrweiler, St. LaurentiusAltenberg, Ehemalige Zisterzienserabteikirche

St. MariaBacharach, WernerkapelleBlankenheim, Maria HimmelfahrtBonn-Vilich, St. PeterDüsseldorf, KreuzherrenkircheDüsseldorf, St. LambertusEhrenstein, Kloster LiebfrauenthalFrauwüllesheim, St. Maria HeimsuchungGoch, St. Maria MagdalenaKalkar, St. NikolausKempen, St. Mariae GeburtKleve, St. Maria HimmelfahrtKoblenz, Liebfrauenkirche

Köln, St. AndreasKöln, DomKöln, Kartäuserkloster St. BarbaraKöln, MinoritenkircheKöln, RathausKöln, St. UrsulaKornelimünster, St. Cornelius und

CyprianusKranenburg, St. Petrus und PaulusKyllburg, Unsere Liebe FrauLorch am Rhein, St. MartinMariawald, Ehemaliges Zisterzienser-

priorat und jetzige Trappistenabtei

Marienstatt, Zisterzienserabtei St. MariaMönchengladbach, St. VitusMünstermaifeld, St. Martin und SeverusNiederwerth, St. GeorgOberwesel, LiebfrauenkircheOberwesel, MartinskircheSankt Goar, St. GoarSchleiden, Schlosskirche St. Philippus

und JakobusStraelen, St. Peter und PaulTrier, LiebfrauenkircheTrier, Benediktinerabtei St. MatthiasWesel, St. WillibrordXanten, St. Viktor

ANHANG

ÜbersichtskarteLiteraturauswahl

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Inhalt

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Vorhergehende Doppelseite:

Die ehemalige Zisterzienserabtei-

kirche Altenberg im Tal der

Dhünn.

Mittelschiff der ehemaligen

Stiftskirche St. Viktor in Xanten.

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Vorwort

Das überragende Bauwerk der Gotik nicht nur imRheinland ist der Kölner Dom, dessen 1248 begonnenerChor als einziger Bauteil der riesigen Kathedrale imMittelalter vollendet und ausgestattet werden konnte.Die damaligen Baumeister kannten nicht nur die ak-tuellen Entwicklungen der französischen Hochgotik,die sie in Köln virtuos steigerten, sondern verbessertenzugleich einige Schwachpunkte der großen Vorbilder.Zusammen mit den fast vollständig erhaltenen Glas-malereien, dem Figuren- und Freskenschmuck, Chor-gestühl, Hochaltar und Grabmälern verschafft derKölner Domchor dem Besucher noch heute eine Vor-stellung von der Visualisierung der himmlischen StadtJerusalem, die für den mittelalterlichen Menschen ge-radezu überwältigend gewesen sein muss. Währendder Dom mit seinem mächtigen Strebewerk und derfür damalige Verhältnisse fast unwirklichen Raumhöheprunkt, führt nur wenige Schritte entfernt die zeitgleichbegonnene Minoritenkirche vor Augen, mit welchenbescheidenen Mitteln ein gotischer Bau ebenfalls ver-wirklicht werden konnte.Die Grundidee des vorliegenden Buchs ist es, dieenorme Bandbreite und Qualität der Gotik im Rheinlandanschaulich zu machen sowie die Entdeckerlust beimLeser und Betrachter zu wecken. Wer einmal die kleineFrauwüllesheimer Kirche und ihre vom Kölner Domabgeleiteten Formen gesehen hat, wird das großeVorbild noch staunender betrachten. Von der Mosel

über die Eifel bis hin zum Mittel- und Niederrheinentfaltet sich eine erstaunliche Fülle hochkarätigerKirchen, was die Auswahl schwer macht. Im Gegensatzzu den romanischen Kirchen des Rheinlands, die fastausnahmslos ihre gesamte ursprüngliche Ausstattungverloren haben und im heutigen Zustand wie Rohbautenwirken, besitzen viele rheinische Sakralbauten derGotik einen beglückenden Reichtum an Altären, Glas-malereien und Chorgestühlen. Finanziert wurde dieAusstattung von reichen Stiftern, die sich damit nichtnur ihr Seelenheil, sondern auch einen Teil ihres Nach-ruhms sichern wollten. Wie bestimmend gerade dieGlasmalereien für einen gotischen Kirchenbau einstwaren, verdeutlicht neben dem Kölner Domchor vorallem die ehemalige Abteikirche Altenberg.Lassen Sie sich von den wunderbaren AufnahmenFlorian Monheims dazu verführen, den Gotik-Genussvor Ort zu suchen und die Vielfalt der rheinischenKirchenkunst des Mittelalters zu entdecken.

Dr. Jürgen Kaiser

Gotik im Rheinland

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Fenster zum Himmel – die Altäre

Für die Feier der Liturgie genügte im Mittelalter eineinfacher, gemauerter Steintisch (Mensa), der nachEinlassung einer Reliquie in die aus einem Stück be-stehende Altarplatte geweiht wurde. Eine Ausschmü-ckung war daher nicht zwingend notwendig. Schonin karolingischer Zeit leisteten sich jedoch wohlha-bende Abteien und Bischofskirchen zunehmend Al-tarverkleidungen und -aufsätze aus Metall, um dieWürde der liturgischen Handlung zu betonen. DiesePlatten bestanden vereinzelt aus Goldblech, meist je-doch aus vergoldetem Silber oder Kupfer mit getrie-benen Reliefs, verziert durch Edelsteine und Emails.Im Rheinland haben sich nur zwei dieser Retabel (la-teinisch für „rückwärtige Tafel“) im Aachener Münsterund im Kölner Museum Schnütgen erhalten, die umdas Jahr 1000 beziehungsweise Mitte des 12. Jhs. ent-standen. In der Abtei Brauweiler findet sich im süd -lichen Nebenchor bis heute eine romanische Reliefplatteaus Stein, die ein Vorbild aus Metall kostengünstignachahmte. Trotz des reichen Bestands an großen undprachtvollen Sakralbauten der Romanik im Rheinlandsind darüber hinaus keine weiteren Altaraufsätze er-halten geblieben, obwohl sie sicherlich reichlich vor-handen waren.

Der um 1270 erbaute gotische Chor der KölnerDamenstiftskirche St. Ursula besitzt bis heute denmächtigen gemauerten und mit Blendmaßwerk ver-zierten Block des Hochaltars. Dieser wird durch einenschmalen Aufsatz aus Stein mit den heute erneuertenReliefs der dort verehrten Märtyrerjungfrauen ge-schmückt. Ein großes Altarbild war an dieser Stellenicht nötig, da hinter dem Altar erhöht auf einer Plattedrei Reliquienschreine präsentiert wurden, unter denendie Pilger verehrend hindurchschreiten konnten. Eineähnliche Altarlösung hat sich bis heute auch in derKölner Stiftskirche St. Severin erhalten.

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Der Klarenaltar im Nordseitenschiff des

Kölner Doms befand sich ursprünglich

in der Klarissinnenkirche der Stadt. Er

ist nicht nur einer der ältesten erhalte-

nen Flügelaltäre, sondern präsentiert sich

zugleich als Reliquien- und Sakraments-

altar.

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Die Aachener Pfalzkapelle Karls des Großen

erhielt ab 1355 durch den Anbau der Chorhalle

samt doppelgeschossigen Kapellen eine gotische

Prägung. Zusammen mit der benachbarten Pfarr-

kirche St. Foillan ergibt sich ein Architekturbild

von höchstem Reiz.

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Das Aachener Münster ist der historisch wichtigsteKirchenbau Deutschlands. Mit seiner Kombinationaus dem Zentralbau der Palastkapelle Karls des Großen,die spätantiken Vorbildern verpflichtet ist, und demgotischen Langchor, der von der französischen Kathe-dralgotik abgeleitet ist, ist das Münster darüber hinausein äußerst ungewöhnlicher Sakralbau. Die Chorhalle,wie der Langchor in Aachen genannt wird, ist die nachdem Kölner Dom bedeutendste Bauschöpfung der Go-tik im Rheinland und darüber hinaus. Im Gegensatzzum Kölner Dom, der im 19. Jh. von jeder Umbauung„befreit“ und damit denkmalhaft isoliert wurde, wur-den die historischen Plätze und Gassen rund um dasAachener Münster selbst nach den erheblichen Zer-störungen des Zweiten Weltkriegs wieder rekonstruiert.Besonders der Blick aus den Gassen nördlich des Lang-chors vermittelt daher bis heute das unvergessliche Bildeiner Sakralarchitektur, die himmelwärts aus dem All-tagstrubel aufstrebt und alle Maßstäbe sprengt. Zu-sammen mit der gotischen Pfarrkirche St. Foillan, dieunmittelbar östlich der Chorhalle steht und nur durcheine schmale Straße von ihr getrennt ist, ergibt sichein dichtes mittelalterliches Architekturbild von höchs-tem Reiz.

1355 entschloss sich das Stiftskapitel, dem kleinenkarolingischen Ostchor der Pfalzkapelle Karls des Gro-ßen einen mehr als großzügigen Langchor anzufügen.Als Begründung der Baumaßnahme wird das lebens-gefährliche und unwürdige Gedränge unter den Pil-germassen in der Pfalzkapelle angeführt. Doch war derBau des neuen Chors nicht allein aufgrund des Auf-stiegs Aachens im 14. Jh. zu einem der führenden eu-ropäischen Wallfahrtsorte begonnen worden. Zugleichgalt es auch, einen repräsentativen Rahmen für die seitOtto I. traditionell in der Pfalzkapelle Karls des Großenstattfindenden Krönungen der deutschen Könige zuschaffen. Nicht zuletzt sollte die Chorhalle auch alsneuer Ort für das ungestörte Chorgebet der Kanoniker

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AachenDom St . Maria

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dienen. Besonders eilig hatten es die Stiftsherren aller-dings nicht mit der Vollendung des höchst ambitio-nierten Neubaus. Die Weihe des fertiggestellten Chorskonnte erst 1414 gefeiert werden, da die Finanzierungdurch das Stift nicht allzu üppig war und daher nurwenige Werkleute auf der Baustelle arbeiteten. Zudemgab es offenbar eine jahrelange Bauunterbrechung.

Blickt man aus nördlicher oder südlicher Richtungvon außen auf das Münster, so scheint die ungewöhn-lich hohe gotische Chorhalle die karolingische Pfalz-kapelle Karls des Großen fast zu erdrücken. Dennochhaben sich die Baumeister des 14. Jhs. deutlich an ihrorientiert. So erhielt die Chorhalle mit ihrer Breitevon 13 Metern und ihrer Raumhöhe von rund 31 Me-tern exakt die Maße des karolingischen Raums. Dasgotische Chorpolygon, in dem der Hochaltar mit demSchrein Karls des Großen stand, ist aus neun Seiteneines Vierzehnecks gebildet und greift damit dieGrundfläche und die Zentralbaugestalt des karolingi-schen Kuppelraums auf, in dessen Mitte sich der Karls-schrein zuvor befand.

Die Konstruktion der Chorhalle ist von erstaun-licher Kühnheit. Trotz der enormen Raumhöhe ist dasMauerwerk zugunsten der 26 Meter hohen Fenster,die gerade auf den Längsseiten sehr breit angelegt sind,fast vollständig verschwunden. Die Strebepfeiler alseinzige sichtbare Stützen des Bauwerks sind von be-ängstigend schmalem Format. Dass die Chorhalle den-noch nun seit fast 600 Jahren stabil steht, verdankt sieunsichtbaren technischen Vorkehrungen: Zum einensind die Fundamente der Strebepfeiler sehr tief ge-gründet und untereinander verbunden. Zum anderenverwendeten die mittelalterlichen Baumeister gleichsechs Ringanker aus Stahl, die wie ein Korsett die sta-tisch am meisten gefährdeten Bauteile im oberen Drit-tel der Chorhalle fest zusammenhalten und an die ka-rolingische Kuppel als Widerlager anbinden. Dort, woder Druck des einst deutlich steileren Dachs und der

steinernen Gewölbe die völlig durchfensterte Wandbelastet, sichern sie das Bauwerk. Nur so war der Ver-zicht auf ein sehr viel ausgreifenderes Strebewerk, wiees eigentlich nötig gewesen wäre, möglich. Für denBetrachter waren die Ringanker nicht zu erkennen, dasie in den Fenstern zusätzlich als Windeisen für dieGlasmalereien genutzt wurden. Nur im Innern sindaus der Erbauungszeit unter den Gewölben bis heutevier stählerne Zuganker mit vergoldeten Kugeln anden Verbindungsstellen zu sehen, die das Ringanker-system, das immerhin aus 15 Tonnen Stahl bestand,zusätzlich fixieren. Als Mitte des 19. Jhs. das in derBarockzeit ausgebaute Maßwerk neu geschaffen wurde,riss man die durch das Fenster laufenden Eisen heraus,da man sie fatalerweise nicht als Teile eines Ringanker -systems erkannte. Schwere Bauschäden waren die Folge,die erst durch die Erneuerung und Verstärkung derRinganker in jüngster Zeit dauerhaft behoben werdenkonnten. Oberhalb der Maßwerkfenster ist das Mau-erwerk verstärkt und verbindet in Form großer, reichverzierter Spitzbogenblenden die Strebepfeiler, um diesehorizontal zu versteifen und dem Dachansatz ein Wi-derlager zu geben. Der üppige Figurenschmuck derChorhalle wie der Kapellen entstand erst in den1870er-Jahren, da er im Mittelalter vermutlich nie aus-geführt worden war.

Betritt man das Innere der Chorhalle aus demdunklen Umgang des karolingischen Zentralbaus he-raus, ist die Wirkung gewaltig. Nicht nur die enormeHöhe, auch die völlige Durchbrechung der Wändelässt den Bau wie einen kostbaren Reliquienschreinaus buntem Glas erscheinen. Denkt man sich nunnoch die nicht mehr erhaltenen gotischen Farbfenster,die einstige Farbfassung der heute steinsichtigen Ge-wölbe und Dienste sowie die verlorene prächtige Aus-stattung hinzu, so kann man die überwältigende Wir-kung erahnen. Für einen gotischen Chorneubau einerStiftskirche wäre auch eine schlichtere Lösung ange-

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Die Statik der turmhohen Chor-

halle ist trotz ihrer zerbrechlich

dünnen Strebepfeiler und riesigen

Maßwerkfenster überraschend

stabil, was auf das von vornherein

eingebaute eiserne Ringankersystem

zurückzuführen ist.

Nachfolgende Doppelseite:

Das Innere der Aachener Chorhalle

gehört zu den beeindruckendsten

Raumschöpfungen der Gotik.

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messen gewesen. Aber anscheinend fühlten sich Propstund Kapitel des Aachener Marienstifts der Bedeutungihrer Kirche und Wallfahrt derart verpflichtet, dass siezur Ehre Gottes und Mariens – und wohl auch ihrereigenen – ein Spitzenwerk gotischer Architektur inAuftrag gaben. Vorbild war die 1248 vollendete Sainte-Chapelle in Paris, einst Palastkapelle König Ludwigsdes Heiligen von Frankreich und gläserner Reliquien-schrein für die Dornenkrone Christi. Auf das Vorbildder Sainte-Chapelle, die von der Aachener Chorhalleaber deutlich übertroffen wurde, verweisen die fastvöllige Auflösung der Wände zugunsten von Glasfens-tern und der Zyklus der zwölf Apostel vor den Pfeilern.Wie in der Beschreibung der Himmelsstadt in der Of-fenbarung des Johannes sind sie gleichsam die Grund-pfeiler des Baus. Die Apostel gruppieren sich zudemals himmlischer Hofstaat um Maria und Karl den Gro-ßen, wobei dieser anstelle Christi erscheint und alsStifter ein Modell der Pfalzkapelle trägt. An den Figu-renkonsolen erscheint ein ganzes Ensemble musizie-render Engel.

Die Errichtung der Chorhalle war nicht die einzigeBaumaßnahme, mit der das Aachener Marienstift diekarolingische Pfalzkapelle erweiterte. Sukzessive ent-standen im 14. und 15. Jh. fünf gotische Kapellen,die sich an den Umgang der Pfalzkapelle anschließenund mit Ausnahme der im Barock neu gebauten Un-garnkapelle bis heute erhalten sind. Die Kapellen be-saßen unterschiedliche Funktionen; sie dienten als Sa-kristei, Archiv, Eingangshallen, Friedhofskapelle oderSonderräume für den Pilgerbetrieb. Auch wenn siesich wie ein Fremdkörper an die Pfalzkapelle schmie-gen, passen sie sich ihr doch in gewisser Weise an. Sosind die Kapellen alle doppelgeschossig angelegt, daihre Innenräume auf die beiden übereinanderliegendenUmgänge des Baus Karls des Großen ausgerichtet sind.Zudem wurden alle Kapellen als chorartige, gotischeZentralbauten gestaltet, wodurch sie sich sowohl auf

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Nach der Offenbarung des Johannes und dem

Vorbild der Pariser Sainte-Chapelle dienen im

Innern der Chorhalle Apostelfiguren als Stützen

dieses Abbilds des Himmlischen Jerusalem.

An den Konsolen veranstalten Engelsfiguren mit

mittelalterlichen Musikinstrumenten ein über-

irdisches Konzert.

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die Pfalzkapelle als auch auf die Chorhalle beziehen.Besonders reizvoll sind die beiden Kapellen auf derNordseite, die vom Katschhof aus bestens betrachtetwerden können. Die Hubertuskapelle im Winkel zwi-schen Chorhalle und Pfalzkapelle dient im Erdgeschosszugleich als Eingangshalle. Die darüberliegende Karls-kapelle, die vermutlich beim Krönungsgeschehen eineSonderfunktion besaß, ist durch einen chorartigen Er-ker ausgezeichnet. Einzigartig in ihrer Baugestalt istdie Nikolaus-Michael-Kapelle im Winkel zwischenPfalzkapelle und Kreuzgang. Während der Chor zwei-geschossig angelegt ist, bildet das Langhaus einen Raummit dreiseitiger Empore, die nur durch das Pracht-fenster der Nordseite mit dem Stiftswappen des Adlersim Maßwerk unterbrochen wird. Diese Kapelle dientemehrfach täglich als Durchgang für die Stiftsherrenvom Kreuzgang in ihre Stiftskirche, vor allem aberals Grablege dieser Kleriker und Ort ihres Totenge-denkens.

Vom Domhof aus, dem einstigen karolingischenAtrium westlich der Pfalzkapelle, sind die gotischenAufbauten des Westbaus gut zu erkennen, die allerdingsim späten 19. Jh. erneuert werden mussten. Auf denbeiden seitlichen karolingischen Treppentürmen sitzenjeweils zwei übereinanderliegende Kapellen in Formkleiner polygonaler Chöre. Sie werden durch eine of-fene Galerie verbunden, von der eine Brücke zusätzlichzum Oktogon hinüberführt. Diese Galerien dientender wohl ab Mitte des 14. Jhs. belegten öffentlichenReliquienzeigung, die nur alle sieben Jahre stattfand.An großen Stoffreliquien besaß der Aachener Domdas Kleid Mariens aus der Geburtsnacht, die WindelChristi, das Lendentuch Christi am Kreuz sowie dasEnthauptungstuch Johannes des Täufers. Um einergroßen Zahl an Gläubigen ihren heilsbringenden An-blick zu ermöglichen, gleichzeitig aber ein gefährlichesGedränge zu vermeiden und die kostbaren Stoffe zuschützen, wurden die Reliquien im Freien gezeigt. Da-

für errichtete man nun die Galerien, die über die brei-ten Treppen der Karolingerzeit bequem zu betretenwaren. Die Stoffe wurden dem Marienschrein ent-nommen und ausgerollt den Pilgern von hoch obenpräsentiert. Während der zweiwöchigen Zeigung, dieam 10. Juli begann, ruhten die Reliquien in den goti-schen Turmkapellen, wo sie rund um die Uhr bewachtwurden. Erst danach verschloss man sie wieder für sie-ben Jahre im spätromanischen Marienschrein.

Wie Ansätze an der Taufkapelle zeigen, war derDomhof einst durch ein prächtiges spätgotischesDoppeltor abgeschlossen. 1811 ließ es der französischeStadtpräfekt abreißen, damit er mit seiner ausladendenKutsche bis vor das Hauptportal des Münsters fahrenkonnte. Eine Vorstellung von der Schönheit diesesTors vermittelt noch das wenige Schritte entfernte,figurengeschmückte Portal zum wieder aufgebautenKreuzgang des 15. Jhs. Von dort aus sollte jederBesucher auch die Schatzkammer besuchen, die zuden reichhaltigsten Europas zählt. In ihr sind nebender großartigen Karlsbüste auch zwei Reliquiare inGestalt gotischer Miniaturarchitekturen zu bewundern.Weiterhin sind zwei kostbare und überaus selteneZeugnisse spätgotischen Frauenschmucks ausgestellt,die von ihrer Trägerin Margarethe von York, Gemahlindes burgundischen Herzogs Karl des Kühnen, demgotischen Mariengnadenbild des Münsters gestiftetwurden und so jeder Veränderung entzogen waren.

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Zu den schönsten gotischen Räumen des Rheinlandszählt der Chor von St. Ursula in Köln. Äbtissin undKanonissen des Damenstifts waren vom 1248 in un-mittelbarer Nähe begonnenen Neubau des KölnerDomchors derart beeindruckt, dass sie ihre dreischiffigeromanische Emporenbasilika um 1270/80 durch einengrazilen Langchor erweitern ließen. Dabei kopiertensie nicht die Formen der um 1265 vollendeten Chor-kapellen des Doms, sondern beriefen einen französischgeschulten Meister zur Errichtung eines eigenständigenWerks. Dieser schuf eine innere Wandstruktur, die dasMaßwerk der Fenster und die bodenlangen Gewölbe-dienste zu einer straffen Einheit verbindet. Im Gegensatzzum Domchor sind die runden Dienste untereinanderdurch geschwungene, schmale Wandabschnitte verbun-den. Die umlaufende, zweistufige Sockelbank hebt dasvollständig in Glas und Gliederungselemente aufgelösteBauwerk zusätzlich empor. Außen durchzieht wie beider Kölner Minoritenkirche ein Laufgang auf Sohl-

bankhöhe die schlanken Strebepfeiler, die oben durchein ausladendes Dachgesims versteift werden.

Hauptzweck des neuen Chors war die Verherr -lichung des Kults der Elftausend Jungfrauen, weshalber die Gestalt eines Reliquiars aus Stein und Glas, ver-gleichbar der 1248 geweihten Sainte-Chapelle in Paris,erhielt. Der Chor von St. Ursula geht allerdings nochüber dieses Vorbild hinaus, indem innen unterhalb derFenster vergitterte Nischen ins Mauerwerk eingelassensind. Sie waren einst vollständig mit einem Teil derangeblichen Märtyrerinnengebeine gefüllt und ver-stärkten dadurch den Heilscharakter der Pilgerstättefür die Gläubigen erheblich. Die Bauherrinnenwünschten zudem die Zahl von elf Maßwerkfenstern,deren heute verlorene Glasfenster den Wallfahrern si-cherlich die wichtigsten Mitglieder der Jungfrauenscharund ihre reiche Legende vor Augen führten.

Wie stark der Chor auf den Pilgerbetrieb ausge-richtet ist, verdeutlicht der erhaltene Hochaltar ausder Erbauungszeit. Der steinerne Unterbau trägt einenfrühen Altaraufsatz aus Stein mit elf gotischen Nischen,in denen sich heute Jungfrauenfiguren des 19. Jhs. be-finden. Hinter dem großen Altarblock stützen vierhohe Säulen eine große Schieferplatte, damit die Gläu-bigen verehrend unter den darauf aufgestellten Reli-quienschreinen vorbei gehen konnten. So kam dasHeil der Reliquien auf sie herab, ohne dass die kostba-ren Heiligtümer angefasst werden konnten. Geradefür große Pilgermengen bot sich diese Aufstellung an,die sich in Köln auch noch in der Stiftskirche St. Seve-rin findet. Die heutigen Vitrinen aus Panzerglas erset-zen drei im Zweiten Weltkrieg zerstörte Holzkästenmit umlaufender Eisenkette, die im Mittelalter dieSchreine zusätzlich vor Dieben schützten. Seit Kurzemhängen vor den Wänden des Chors 24 bemalte Holz-tafeln aus dem Jahr 1456, die wie ein mittelalterlicherComic in aller Ausführlichkeit die Legende der hl. Ur-sula und ihrer Elftausend Jungfrauen schildern.

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KölnSt . Ursu la

Der Chorneubau der Damenstifts-

kirche St. Ursula gehört zu den

schönsten Bauten der rheinischen

Gotik.

Zahlreiche Gebeine der Elftausend Märtyrerjung-

frauen erhielten in der Gotik höchst ansprechende

Verpackungen in Gestalt lächelnder Mädchen.

Der Kopf ist aufklappbar, um einen Blick auf den

Schädel zu ermöglichen. Die Maßwerköffnung

auf Bauchhöhe lenkt den Blick auf weitere

Körperreliquien.

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Um den Chor der fünfschiffigen

Kirche verläuft auf Dachhöhe eine

Galerie, die einst der Präsentation

des Reliquienschatzes für die auf

den Vorplätzen versammelten

Pilgermassen diente.

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Neben Prüm war Kornelimünster die historisch be-deutendste Benediktinerabtei der Eifel. Doch währendin Prüm nur noch Bauten der Barockzeit zu sehensind, bietet Kornelimünster geradezu das Musterbei-spiel einer spätmittelalterlichen Kirche, die vollkom-men auf einen immer stärker anwachsenden Pilger-strom ausgerichtet wurde. Kein geringerer als KaiserLudwig der Fromme, Sohn und Nachfolger Karls desGroßen, stiftete 814/17 im Tal der Inde eine Benedik-tinerabtei, die er seinem Freund Benedikt von Anianeanvertraute. Die Gründung war als Vorbild für alleBenediktinerklöster im riesigen Karolingerreich ge-dacht, da Ludwig auf der Aachener Reformsynode 817die Benediktsregel bindend für alle Klostergemein-schaften vorgeschrieben hatte. Er übergab der Abteidrei äußerst kostbare Stoffreliquien: zwei große Tücheraus dem Grab Christi sowie das Schürztuch, das Jesusbei der Fußwaschung vor dem Letzten Abendmahl be-nutzt hatte und das Judas’ schwarzen Fußabdruck auf-weist, der aber eigentlich ein Ölfleck ist. 875 tauschte

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KornelimünsterSt . Corne l iu s und Cyprianus

Detailgetreue, spätgotische

Pilgerdarstellung am Sockel der

Korneliusfigur.

Gothik_Kornelimünster_2011.08.30_f_Layout 1 07.09.11 09:38 Seite 155

der westfränkische Karolingerkönig Karl der Kahle ge-gen die Hälfte des Grabtuchs Reliquien des hl. PapstesKornelius und des hl. Cyprianus, Bischof von Kar-thago, ein. Die Korneliusverehrung verstärkte sich imLaufe des Mittelalters derart, dass die Abtei den Namendes Heiligen annahm. Im 14. Jh. ließen Abt und Kon-vent eine ungemein prachtvolle Reliquienbüste für dasHaupt des hl. Kornelius anfertigen, die bis heute er-halten ist. Dank dem dreifachen Kronreif der päpst -lichen Tiara ist sie ein beeindruckendes Werk rheinischerGoldschmiedekunst der Gotik.

Die heute von zwei Plätzen und einer Bebauungdes 17. und 18. Jh. respektvoll eingerahmte Kirchepräsentiert sich als imposante fünfschiffige Hallenkir-che. Allein die im Osten angefügte achteckige Reli-quienkapelle und die im Westen neu errichteten Klos-tergebäude entstammen dem 18. Jh. Als älteste Bauteilehaben sich die ottonischen Pfeiler des Mittelschiffsnebst Resten des Westbaus erhalten. 1310 ließ dieStadt Aachen die Reichsabtei in ihrem Kampf gegen

die Grafen von Jülich, damals Vögte von Kornelimüns-ter, niederbrennen. Mit der Geldbuße, zu die der Kaiserdie Aachener verurteilte, konnten die Mönche nichtnur den Wiederaufbau, sondern auch einen zeitgemä-ßen Neubau des Chors durch Werkleute der KölnerDombauhütte finanzieren. Die Maßwerkformen desChors lehnen sich daher deutlich an die des Oberga-dens im Kölner Domchor an. 1317 entstand als Ab-schluss der Baumaßnahmen das jüngst wieder aufge-stellte Chorgestühl aus Eiche, dessen Wangen ebenfallsmit Maßwerkfiguren der Kölner Dombauhütte verziertsind.

Im Chor findet sich zudem die um 1460 von AbtHeribert von Lülsdorf gestiftete prächtige Steinfigurdes hl. Kornelius mit seinem Kennzeichen, einem Horn.Der Abt ließ sich zu Füßen des Heiligen zusammenmit einem detailgetreu wiedergegebenen Pilgerpaardarstellen. Vermutlich schuf der Kölner DombaumeisterKonrad Kuyn die Figur samt Maßwerkbaldachin. He-ribert von Lülsdorf war es auch, der den Umbau des

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Für das kurzzeitig auf kuriosem

Weg nach Kornelimünster gelangte

Haupt der hl. Anna ließ der

damalige Abt 1501 den

Annenaltar anfertigen.

Die lehrende Mutter Mariens, die

hl. Anna, aus ihrem gleichnamigen

Altar.

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südlichen Seitenschiffs zu einer zweischiffigen Pilger-kirche in Auftrag gab. Durch den Aufstieg der AachenerHeiltumsfahrt zu einer der populärsten europäischenWallfahrten strömten auch immer mehr Pilger in dasnahe Kornelimünster, um dessen Reliquienschatz zuverehren. Um den Massenandrang besser zu steuern,sollten die Pilger die Kirche jetzt durch den Haupt-eingang des Südseitenschiffs betreten und dort im Ein-bahnsystem die auf den Altären vor den Rundpfeilernaufgestellten Reliquiare umrunden. Der Abt ließ da-mals auch das Mittelschiff auf die Höhe des gotischenChors aufmauern und einwölben.

Zu Beginn des 16. Jhs. begann sein Nachfolger AbtHeinrich von Binsfeld mit dem Neubau des nördlichenSeitenschiffs. Am östlichen Ende entstand eine Sakristeimit darüberliegender Reliquienkammer, die auch einFenster zum Innenraum erhielt. Der Abt besaß einhöchst einträgliches Sonderzeigerecht der Reliquienfür hochgestellte und entsprechend spendenfreudigePilger, die außerhalb der nur alle sieben Jahre stattfin-denden Heiltumsfahrt eintrafen. Die vornehmen Gästekonnten auf der heute noch erhaltenen spätgotischenHolzbank im höher gelegenen Erker des nördlichenSeitenschiffs Platz nehmen, während ihnen aus demgegenüberliegenden Zeigefenster der Reliquienkapelledie Stoffe und Reliquiare präsentiert wurden. Für denMassenbetrieb alle sieben Jahre sind die spätmittelal-terlichen Holzgalerien am Außenbau der Ostseite derKirche gedacht. Genau wie am Aachener Münsterkonnten Abt und Mönche von dort, geschützt vor je-dem Gedränge, den zu Tausenden rund um die Kircheversammelten Pilgern die Reliquien würdig und füralle gut sichtbar zeigen. Da auch das nördliche Seiten-schiff zweischiffig angelegt ist, entstand ein fünfschif-figer Innenraum. Damit folgt die Abteikirche im Sinneihres hl. Papstes Kornelius der wichtigsten PilgerkircheEuropas, dem konstantinischen Petersdom in Rom.

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Vermutlich schuf der Kölner Dom-

baumeister Konrad Kuyn diese

Figur des hl. Papstes Kornelius,

dessen Haupt in Kornelimünster bis

heute verehrt wird.

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