JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion...

15
JUGENDKULTUR, RELIGION UND DEMOKRATIE Nr. 3/1. DEZ. 2007 POLITISCHE BILDUNG MIT JUNGEN MUSLIMEN Newsletter des Modellprojekts in Berlin-Neukölln und Essen-Katernberg/-Altendorf EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, dies ist der neue Newsletter des bpb-Modellprojekts „Jugendkultur, Religion und Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen“. Der Newsletter richtet sich vor allem an Multiplikato- ren, die mit Jugendlichen aus muslimisch geprägten Milieus arbeiten. Wir informieren über ak- tuelle Entwicklungen und Debatten zu Islam und Muslimen in Deutschland. Dabei konzentrie- ren wir uns auf Medien und jugendkulturelle Phänomene – mit einem besonderen Augenmerk auf demokratiegefährdende Einstellungen unter Jugendlichen. Zuletzt war es der Streit um den Sänger Muhabbet, der deut- lich gemacht hat, wie wenig selbstverständlich Muslime und Migranten in Deutschland immer noch sind: Für die einen eben noch der Deutschtürke zum Vorzeigen, wurde Muhabbet wegen seiner Äußerungen zum Mord am holländischen Filme- macher Theo van Gogh für andere zum Symbol einer islamis- tischen Bedrohung. Zu seiner Verteidigung erklärte Muhabbet, dass sich das Ganze um ein Missverständnis handele und di- stanzierte sich von jeglicher Gewalt. Während es seine Unter- stützer dabei bewenden ließen, verwiesen seine Kritiker auf sexistische und schwulenfeindliche Liedtexte, die der Sänger vor Jahren verfasst hatte. Nun sind Muhabbets Aussagen in der Tat problematisch. Aller- dings spiegeln die kritisierten Texte und Äußerungen des Mu- sikers Haltungen zu Gewalt, Macht und Minderheiten wider, die auch bei anderen nicht-migrantischen Hiphoppern zu fin- den sind. Das mag nicht eben Grund zur Beruhigung sein, re- lativiert aber den Islamismus-Verdacht und stellt zudem die unausgesprochene Vorstellung in Frage, jugendliche Migran- ten seien erst dann „integriert“, wenn sie keine Negativ- Schlagzeilen mehr machen. Vielleicht wird andersherum ein Schuh daraus: Jugendliche Migranten sind gerade mit ihren Problemen, Konflikten und Einstellungen als Teil dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Schließlich sind die meisten von ihnen mittlerweile hier geboren, sie leben seit Jahrzehnten in Deutsch- land und unterscheiden sich in Vielem nicht von ihren nicht-migrantischen Altersgenossen. Probleme mit der Bewertung einzelner Aussagen, Ereignissen oder Organisationen stellen sich auch uns, wenn wir im Newsletter unterschiedliche „muslimische Stimmen“ beispielhaft vor- stellen: Wir bemühen uns, jeweils einen Kontext herzustellen, der zum Verständnis notwendig ist. Gleichzeitig geht es uns darum, einzelne Phänomene oder Institutionen vorzustellen und Positionen zu dokumentieren, ohne sie in jedem Fall gleich zu- und einzuordnen. Das ist im- mer ein Balanceakt – und ein Gesamtbild mag aus den Facetten, wenn überhaupt, erst im Lauf der Zeit entstehen. Zum Schluss noch der Hinweis in eigener Sache: Falls Sie den Newsletter mehrfach bekommen sollten oder nicht weiter erhalten möchten, teilen Sie uns dies bitte in einer kurzen mail an in- [email protected] mit. Wir möchten Sie auch auf den Newsticker auf unserer Seite www.ufuq.de hinwei- sen, wo Sie mehrmals wöchentlich aktuelle Einträge zum Thema finden können. RAA/Büro für interkulturelle Arbeit MaDonna Mädchen- kult.Ur e.V. EDITORIAL 1. HINTERGRUND „Was guckst Du?“ – Mediennutzung von Ju- gendlichen (Teil 3) 2. MUSLIMISCHE, ARABISCHE UND TÜRKISCHE STIMMEN Forum-Diskussion um die Ehe, „Deutschland“ im Hi- phop, Gespräch mit türki- schen Jugendlichen, Sala- fismus in Deutschland, Stimmen aus der libanesi- schen Community 3. PUBLIKATIONEN Comic gegen Islamismus, Extremistische Literatur 4. NEUES AUS DEM PROJEKT Antisemitismus und Isla- mophobie, Essener Erklä- rung 1 2 4 11 13

Transcript of JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion...

Page 1: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

JUGENDKULTUR, RELIGION UND DEMOKRATIE Nr. 3/1. DEZ. 2007

POLITISCHE BILDUNG MIT JUNGEN MUSLIMEN Newsletter des Modellprojekts in Berlin-Neukölln und Essen-Katernberg/-Altendorf

EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

dies ist der neue Newsletter des bpb-Modellprojekts „Jugendkultur, Religion und Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen“. Der Newsletter richtet sich vor allem an Multiplikato-ren, die mit Jugendlichen aus muslimisch geprägten Milieus arbeiten. Wir informieren über ak-tuelle Entwicklungen und Debatten zu Islam und Muslimen in Deutschland. Dabei konzentrie-ren wir uns auf Medien und jugendkulturelle Phänomene – mit einem besonderen Augenmerk auf demokratiegefährdende Einstellungen unter Jugendlichen.

Zuletzt war es der Streit um den Sänger Muhabbet, der deut-lich gemacht hat, wie wenig selbstverständlich Muslime und Migranten in Deutschland immer noch sind: Für die einen eben noch der Deutschtürke zum Vorzeigen, wurde Muhabbet wegen seiner Äußerungen zum Mord am holländischen Filme-macher Theo van Gogh für andere zum Symbol einer islamis-tischen Bedrohung. Zu seiner Verteidigung erklärte Muhabbet, dass sich das Ganze um ein Missverständnis handele und di-stanzierte sich von jeglicher Gewalt. Während es seine Unter-stützer dabei bewenden ließen, verwiesen seine Kritiker auf sexistische und schwulenfeindliche Liedtexte, die der Sänger vor Jahren verfasst hatte.

Nun sind Muhabbets Aussagen in der Tat problematisch. Aller-dings spiegeln die kritisierten Texte und Äußerungen des Mu-sikers Haltungen zu Gewalt, Macht und Minderheiten wider, die auch bei anderen nicht-migrantischen Hiphoppern zu fin-den sind. Das mag nicht eben Grund zur Beruhigung sein, re-lativiert aber den Islamismus-Verdacht und stellt zudem die unausgesprochene Vorstellung in Frage, jugendliche Migran-ten seien erst dann „integriert“, wenn sie keine Negativ-Schlagzeilen mehr machen. Vielleicht wird andersherum ein Schuh daraus: Jugendliche Migranten sind gerade mit ihren

Problemen, Konflikten und Einstellungen als Teil dieser Gesellschaft zu akzeptieren. Schließlich sind die meisten von ihnen mittlerweile hier geboren, sie leben seit Jahrzehnten in Deutsch-land und unterscheiden sich in Vielem nicht von ihren nicht-migrantischen Altersgenossen.

Probleme mit der Bewertung einzelner Aussagen, Ereignissen oder Organisationen stellen sich auch uns, wenn wir im Newsletter unterschiedliche „muslimische Stimmen“ beispielhaft vor-stellen: Wir bemühen uns, jeweils einen Kontext herzustellen, der zum Verständnis notwendig ist. Gleichzeitig geht es uns darum, einzelne Phänomene oder Institutionen vorzustellen und Positionen zu dokumentieren, ohne sie in jedem Fall gleich zu- und einzuordnen. Das ist im-mer ein Balanceakt – und ein Gesamtbild mag aus den Facetten, wenn überhaupt, erst im Lauf der Zeit entstehen.

Zum Schluss noch der Hinweis in eigener Sache: Falls Sie den Newsletter mehrfach bekommen sollten oder nicht weiter erhalten möchten, teilen Sie uns dies bitte in einer kurzen mail an [email protected] mit. Wir möchten Sie auch auf den Newsticker auf unserer Seite www.ufuq.de hinwei-sen, wo Sie mehrmals wöchentlich aktuelle Einträge zum Thema finden können.

RAA/Büro für interkulturelle

ArbeitMaDonna Mädchen-

kult.Ur e.V.

EDITORIAL

1. HINTERGRUND

„Was guckst Du?“ – Mediennutzung von Ju-gendlichen (Teil 3)2. MUSLIMISCHE, ARABISCHE UND TÜRKISCHE STIMMEN

Forum-Diskussion um die Ehe, „Deutschland“ im Hi-phop, Gespräch mit türki-schen Jugendlichen, Sala-fismus in Deutschland, Stimmen aus der libanesi-schen Community 3. PUBLIKATIONEN

Comic gegen Islamismus, Extremistische Literatur4. NEUES AUS DEM PROJEKT

Antisemitismus und Isla-mophobie, Essener Erklä-rung

12

4

11

13

Page 2: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

1. HINTERGRUND

„Was guckst Du?“ – Zur Medien-nutzung von Jugendlichen mit arab-ischen, türkischen und muslimischem Familienhintergrund (Teil 3: Fernsehen)

In der Debatte um die Nutzung von Medien durch jugendliche Migranten in Deutschland geht es immer wieder um die Bedeutung von arabisch- und türkischsprachigen Fernsehsendern. Unter anderem trugen Berichte über gewaltverherrlichende Sendungen, die von arabischen und türkischen Satellitensendern ausgestrahlt und in hiesigen Haushalten empfangen wer-den können, zur öffentlichen Auseinander-setzung bei. Dabei wird die Sorge deutlich, dass Inhalte und Darstellungsweisen dieser Sender einer Radikalisierung von Jugend-lichen mit Migrationshintergrund Vorschub leisten könnten. Neben antisemitischen Sendungen wie der iranischen TV-Serie „Zahras blaue Augen“, die in türkischer Fassung vom Sender TV5 aus-gestrahlt wurde, gelten auch die religiösen Inhalte einiger anderer Sender als problematisch. Ge-nannt wird hier vor allem der saudische Sender Iqra. Aber auch einzelne Programme des Senders Al-Manar, der von der libanesi-schen Hizbullah betrieben wird, sowie Formate von Al-Jazeera fallen in dieses Spektrum.

Übersehen wird dabei oft die Breite des Angebotes nicht-deutschsprachiger Sender, die von Jugendlichen als Ergänzung zum deutschsprachigen Angebot ge-nutzt werden. Allein in türkischer Sprache sind mittlerweile über 40 Sender in Deutschland erhältlich. Kaum weniger vielfältig ist das arabischsprachige Angebot, das in Privathaushalten, aber auch in Cafés und Kultureinrichtungen genutzt wird.

Die ARD/ZDF-Medienkommission führte 2007 eine repräsentative Studie über die

Fernsehnutzung von Migranten und Deutschen mit Migrationshintergrund durch. Danach liegt die tägliche Nutzung des Fernsehen bei Migranten mit 83% leicht un-terhalb des Wertes für die deutsche Bevölkerung (89%). (Walter/Schlinker/Fischer, Fernsehnutzung von Migranten: 436) Im Vergleich zu Hörfunk und Internet spielt das Fernsehen unter Befragten mit türkischem Familienhintergrund eine wesentliche Rolle: Während hier täglich 211 Minuten fern gesehen wird, nehmen Radio (42 Min.) und Internet (32 Min.) merklich weniger Raum ein. Im Vergleich zu anderen Migrantengruppen schalten türkische Zuschauer dabei deutlich häufiger auf heimatsprachliche Sender. Während in bos-nischen, polnischen und italienischen Haushalten weit überwiegend auf deutsch-sprachige Sender zurückgegriffen wird, ent-

fallen unter den Befragten türkischer Herkunft 142 Minuten des täglichen Fern-sehkonsums auf türkischsprachige Pro-gramme. (Walter/Schlinker/Fischer: 437)

Dies spiegelt sich auch in der Rangliste der genutzten Fernsehsender wider. Während unter Migranten allgemein die deutschen Privatsender ProSieben (13,4%) und RTL (11,7%) die größten Marktanteile besitzen,

2 2

Zwischen Scharia und Stöckelschuh: Musikvideo des arabischen Unterhaltungssenders Rotana Europe

Page 3: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

stehen für die Bevölkerung mit türkischem Hintergrund die türkischsprachigen Unter-haltungssender Kanal D, ATV und Show TV auf den ersten Plätzen. (Walter/ Schlinker/Fischer: 440-2)

Für die Gruppe der 14- bis 29-jährigen Mi-granten türkischer Herkunft bietet eine Studie des WDR weitere wichtige Informa-tionen. Danach nimmt unter jüngeren Be-fragten die Bedeutung deutschsprachiger Programme deutlich zu. Die türkischen Be-fragten zwischen 14 und 29 Jahren schalten demnach zu gleichen Anteilen deutsch- und türkischsprachige Sender ein. (Simon/ Klop-penburg, Das Fernsehpublikum türkischer Herkunft: 21)

Die Entscheidung für einen deutsch- oder einen türkischsprachigen Sender ist auch abhängig von den jeweiligen Programmsparten: Während für Nach-richten sowohl deutsch- als auch türkischsprachige Sender gewählt wer-den, entscheiden sich türkische TV-Zuschauer bevorzugt für das türkisch-sprachige Angebot, wenn sie Unterhal-tungssendungen, Serien oder Mu-siksendungen suchen.

Für Migranten arabischer Herkunft lie-gen ähnlich detaillierte Daten nicht vor. Die Ergebnisse einer kleineren Umfrage, die von Ala Al-Hamarneh in 200 Haushalten im Rhein-Main-Gebiet durchgeführt wurde, deuten allerdings auf eine ähnlich facettenreiche, oft zweisprachige Fernsehnutzung unter arab-ischen Migranten hin. Wie im Falle des türkischsprachigen Angebots bieten auch die arabischsprachigen Fernsehsender ein breites Sortiment an Unterhaltungssendun-gen, Nachrichten, politischen Talkshows und religiösen Unterweisungen. (Al-Hamarneh, Re-Arabisierung arabischer Einwanderer in Deutschland durch Satellitenfernsehen) Während Sender wie Al-Jazeera (Qatar) und Al-Arabiyya (VAE) gerade auch für ihre In-formationssendungen und Talkshows pop-ulär sind, wenden sich Sender wie Rotana Europe mit Musiksendungen ausdrücklich an ein jüngeres Publikum. Vor allem in Zeiten von akuten Konflikten im Nahen Osten

scheinen jedoch die Sendungen auf Al-Jaz-eera oder Al-Manar große Aufmerksamkeit zu erlangen. Die oft martialischen und ein-peitschenden Darstellungen hinterlassen dabei auch unter Jugendlichen ihre Spuren.

Dennoch spiegelt die Programm- und Gen-revielfalt, die von arabischen Sendern ange-boten wird, ähnlich wie im Falle der türkischen Sender eine zunehmende kul-turelle und soziale Differenzierung des Zielpublikums wider. Während einzelne Sender und Sendungen über soziale Gren-zen hinweg populär sind – hier sei als ak-tuelles Beispiel das Geschichtsepos „Bab al-

Hara“ genannt, das während des Ramadans 2007 nicht nur in arabischen Ländern, son-dern auch in Deutschland über Wochen auf enormes Interesse stieß –, erreichen andere Sender nur ein deutlich begrenztes Pub-likumssegment. So beschreibt Jutta Aumüller den Einfluss von türkisch-islam-istischen Fernsehsendern wie TV 5, Meltem TV und Mesaj TV als gering. (Aumüller, Türkische Fernsehmedien in Deutschland: 37) Religiöse Sendungen, die auch von an-deren Fernsehsendern angeboten werden, stehen dennoch auch in Deutschland hoch auf der Beliebtheitsskala der türkischspra-chigen Fernsehzuschauer. (Simon, Kloppen-burg: 26) Wichtig ist dabei auch die Fests-

3 3

"Die Scharia und das Leben" - Religiöse Sendung mit dem populären Scheich Yusuf al-Qaradawi auf Al-Jazeera

Page 4: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

tellung, dass es hier weniger um Sender-präferenzen als um Vorlieben für einzelne Sendungen geht. Eine “Senderbindung” ist auch bei arabischen Zuschauern weniger ausgeprägt. (Al-Hamarneh)

Noch immer fehlen allerdings Studien über den Einfluss dieser Sender auf die Mein-ungsbildung gerade unter jugendlichen Zuschauern. Anhaltspunkte bieten hier al-lein Aussagen über die Motive, weshalb je-mand einen bestimmten Sender auswählt. Für die Zuschauer mit arabischen Familien-hintergrund nennt Al-Hamarneh vor allem drei Gründe, die die Auswahl eines arab-ischsprachigen Senders bedingen: 1. Das bessere Verständnis beispielsweise des Un-terhaltungsprogramms in arabischer Sprache, 2. der Wunsch, über die arab-ischsprachlichen Sender einen Kontakt zum Herkunftsland aufrechtzuerhalten und 3. das ausdrückliche Interesse, die “arabische” Sichtweise auf aktuelle Themen und Debat-ten vermittelt zu bekommen. (Al-Hama-rneh)

Genauere Aussagen über mögliche Einflüsse von Sendern und Sendungen auf die Mein-ungs- und Einstellungsbildung von Mi-granten arabischer und türkischer Herkunft liegen bisher nicht vor. Neben der Unter-suchung von Sehgewohnheiten wären dazu Inhaltsanalysen einzelner Sender und ihrer Programme erforderlich.

In den nächsten Newslettern werden wir ein-zelne arabische und türkische Medien vorstel-len. Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf die jeweils vermittelten politischen Inhalte und Orientierungen.

Literatur:Ala Al-Hamarneh, Re-Arabisierung arabischer Einwanderer in Deutschland durch Satelliten-fernsehen. In: Günther Meyer (Hg.), Die arab-ische Welt im Spiegel der Kulturgeographie, Mainz 2004.

Jutta Aumüller, Türkische Fernsehmedien in Deutschland. In: Heinz Bonfadelli, Heinz Moser (Hg.), Medien und Migration. Europa als mul-tikultureller Raum, Wiesbaden, 2007.

Erk Simon, Gerhard Kloppenburg, Das Fernsehpublikum türkischer Herkunft –

Fernsehnutzung, Einstellungen, Programmer-wartungen. In: WDR Köln (Hg.), Zwischen den Kulturen. Fernsehen, Einstellungen und Integra-tion junger Erwachsener mit türkischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen, Köln 2006.

Mignon Walter, Ute Schlinker, ChristianeFischer, Fernsehnutzung von Migranten. In: Me-dia Perspektiven, 9/2007.

2. MUSLIMISCHE, ARABISCHE UND TÜRKISCHE STIMMEN

Al-Hiwar: Dialog über die Ehe

Impulse für eine Erneuerung des Verhältnis-ses von Islam und Moderne seien am ehes-ten von Muslimen aus Europa zu erwarten, lautet eine These des französischen Islam-wissenschaftlers Gilles Kepel. Ob er dabei auch jene jungen und sehr konservativen religiösen Muslime im Blick hatte, die sich in Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen, ist fraglich. Grundsätzlich gilt aber: Überall dort, wo Muslime in der Minderheit sind und wo junge - unter ihnen viele „neue“ - Musli-me das Bild prägen, werden Fragen gestellt und Antworten gesucht, die oft weit über das hinausgehen, was in den Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens üblicher-weise diskutiert wird.

Das geschieht nicht zuletzt auf den zahlrei-chen Websites von und für junge Muslime. Al-Hiwar (dt. „Dialog“) ist eine deutschspra-chige von schiitischen Muslimen „unter-schiedlicher Nationalitäten“ geprägte Inter-netseite, die ihren Besuchern „ein korrektes und tiefgründiges Islamverständnis“ vermit-teln soll. Zudem diene der Dialog dazu, auf andere Religionen einzugehen, um ein „har-monisches Miteinander zu verwirklichen“. Lerninhalte, so heißt es in der Selbstdarstel-lung der Seite, sollen „durch Dialoge und Diskussionen“ vermittelt werden, „da so das Interesse der Jugendlichen geweckt wird

4 4

Page 5: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

und zusätzlich Erarbeitung und Präsentation von Argumenten für den Alltag trainiert wird.“

Da'wa (dt. etwa „Verkündung“, „Ausrufung“, „Verbreitung“ des Islam) ist demnach ein offenkundiges Ziel des Dialogs von Al-Hiwar. Zu dessen Zielgruppe gehö-ren Angehörige anderer Religionen ebenso wie muslimische Jugendliche, die den Islam eher kulturell als streng religiös definieren. Einzelne Debatten auf der Seite zeigen in-des die Grenzen des Dialogs: Wenn sie auf ihren Ansichten bestehen, werden sunnit-ische oder christliche Forumsteilnehmer für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Hiwar-Foren mitunter schnell zu Un-gläubigen.

Dennoch können auch konservative islami-sche Haltungen, wie sie auf Al-Hiwar vertre-ten werden, kontroverse Auseinanderset-zungen auslösen. Während nämlich traditio-nalistische Normen in den meisten islami-

schen Gesellschaften als selbstverständlich gelten, sehen sich junge Muslime in nicht-

muslimischer Umgebung dazu gezwungen, diese für sich selbst und ihre Umgebung zu begründen. Dies fördert Debatten über Glaubensinhalte. Ein Beispiel dafür ist ein stark frequentierter Hiwar-Thread zum The-ma „Ehe? Ja? Nein?“ Darin fragt etwa die 20-jährige, aus dem Irak stammende „not-but2001“:

„Selam, leute ich muss mit euch was disku-tieren. Aber ich möchte nicht das ihr mich als schlecht seht, weil ich eigentlich ein gu-tes herz habe! Aber es gibt im Islam sachen die ich wirklich nicht verstehe! Ich akzeptie-re wirklich alles was im Koran steht und was der Islam befiehlt außer eins! Der un-terschied zwischen Mann und Frau! Beson-ders hervorgerufen ist dies in der Ehe! (Aber...) warum MUSS ich auf meinen Mann hören und darf ihm nicht widersprechen? Bin ich kein Wesen mit Hirn, der sich genau so bilden kann und auch vielleicht besser denken kann als der Mann? Weiß eine Frau nicht wie sie handeln soll? Habt ihr eine Antwort dazu?“

Später fügt sie hinzu: „Meine Bekannte und Verwandte sind alle religiös und die sind sich einig das eine Frau ihren Mann gehorchen muss, dass sie nicht rausgehen darf ohne ih-ren Mann zu fragen! Warum frägt der Mann nie seine Frau? Ich denke beide sollten die gleichen Rechten und Pflichten in einer Fami-lie haben! (…) Ich kann mich einfach nieman-den außer Gott unterordnen! Da kann ich nicht einfach sagen, okay ich sitze jetzt da-heim und hör auf meinen Mann und mach was er mir sagt. Ich kann es einfach nicht einsehen, mich unter dem Mann einzuordnen, obwohl ich die selben Fähigkeiten habe!!! Und all das was über typisch Mann und ty-pisch Frau gesagt wird, ist bei mir und mei-nen Brüdern das genaue Gegenteil. In der Familie bin ich der Denker und sie die Emo-tionalen.“

In der Folge erhält „notbut2001“ von anderen Teilnehmern Rat. Es herrscht Einigkeit über eine konkrete Rollenverteilung zwischen Män-nern und Frauen. Von einer „Unterordnung“ der Frau möchte man dabei nicht reden - auch wenn „notbut2001“ erklärt: „Es ist aber doch so, es ist im Islam vorgeschrieben, dass

5 5

Im Newsletter 2-2007 haben wir die Einladung zu einer Veranstaltung des Vereins Al-Hiwar do-kumentiert. Im Online-Forum Rache-Engel.com finden sich Videoaufnahmen [] der Vorträge, die im Rahmen des Seminars gehalten wurden. Im Forum wird auch davon berichtet, dass viele muslimische Frauen deutliche Kritik an der Ge-staltung des Flyers und an dem darin reprodu-zierten Frauenbild geäußert hätten. []

Page 6: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

die Frau nicht rausgehen darf wenn der Mann nein sagt. So hab ich das im Fernsehen von vielen religiösen Programmen gehört.“

Ihre “Ratgeber“ im Forum sind da pragmati-scher: Sie fordern „notbut2001“ auf, sich doch einfach einen muslimischen Ehemann zu suchen, der ihre Bedürfnisse und ihre Wün-sche nach Reisen, dem Kennenlernen anderer Kulturen und nach einer beruflichen Karriere akzeptiert.

So entsteht ein doppeltes Bild: Auf der einen Seite die sehr konservativ-dogmatische Aus-richtung von Al-Hiwar. Auf der anderen Seite stehen die relativ kontroversen Debatten un-ter Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Hier wird der Glaube zum Inhalt kritischer und – in Grenzen – auch pluralistischer Aus-einandersetzung. Meinungen und persönliche Überzeugungen treten dabei an die Stelle von autoritären Texten und deren Interpreten.

„... der Umgang mit euch ist gar nicht leicht“ – Rappen über Deutschland

In der aktuellen Kontroverse [] um den deutsch-türkischen Sänger Muhabbet traten die Inhalte seines aktuellen Lieds „Deutschland“ in den Hintergrund. In diesem Lied, das er als “Liebeserklärung” an Deutschland beschreibt, setzt er sich mit der Situation von Migranten in Deutschland auseinander. Dabei geht es nicht um eine konfliktfreie Erfolgsgeschichte der Integra-tion, für die er selbst bisher gerne als Sym-bol genommen wurde.

Im Mittelpunkt des Textes steht vielmehr die Erfahrung, trotz des ausdrücklichen Wunsches, an der Gesellschaft teilzuhaben, auf Ablehnung zu stoßen: „Deutschland – warum verschließt du dich, Deutschland – leg deine Karten auf den Tisch. Denkst du, ich werde mich ergeben, denkst du, ich halt nicht dagegen, denkst du, dass ich still und schweigend mich hier einfach auf deinen Boden lege?“

Das Verhältnis zu Deutschland und zur deutschen Gesellschaft ist in vielen Hiphop-

Liedern der letzten Monate Thema. Während in „Deutschlands Alptraum“ von Königskette SoSa die Abgrenzung ge-genüber der 'anderen' Gesellschaft im Vordergrund steht, geht es in dem pop-ulären Stück „Ausländer“ des Berliner Rap-pers Alpa Gun vor allem um eine Kritik der Stereotype und Vorbehalte, denen Mi-granten trotz ihres Bemühens um gesell-schaftliche Anerkenung begegnen. Bei Alpa

Gun heißt es:

„Ihr müsst mir glauben, der Umgang mit euch ist gar nicht leicht. Ihr schmeißt uns alle auf einen Haufen und sagt, wir sind alle gleich. Ich hab mich oft geschlagen, doch mein Bruder wollte nicht so sein. Trotzdem kommt er wegen seines Aussehens in keine Disko rein. Türken töten für Ehre und dre-

6 6

Ankündigung des Lieds "Wir sind Deutsch-land!" von Ammar114

Page 7: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

hen oft krumme Dinger, und manche Deutsche machen lieber Sex mit kleinen Kindern. Nicht jeder von uns würde mit Koks oder Hero dealen. Ich sag doch auch nicht, jeder Deutsche ist gestört und pädo-phil.“ []

Besondere Beachtung fand auch Ammar 114 mit seinem Lied „Wir sind Deutschland“, das sich als wütende Stel-lungnahme zu den Diskussionen um die In-tegration von Muslimen und Migranten ver-stehen lässt. (Die Zahl 114 verweist auf die Anzahl der Suren im Koran.) Der 28-jährige in Äthiopien geborene und zum Islam kon-vertierte Sänger stößt unter überzeugten jungen Muslimen wegen seiner oft sehr reli-giösen Texte auf Begeisterung. In seinem Lied „Wir sind Deutschland“ singt er:

„Wir sind Deutschland, ja wir sind ein Teil davon. Es wird Zeit, dass wir endlich volle Rechte bekommen. Wir sind Deutschland. Es wird Zeit, dass ihr das versteht, uns nicht mehr als Gäste seht. Unsere Kinder sind hier geboren, manche fragen sich, was haben die hier verloren. (...) Wir zahlen deutsche Steuern, haben investiert, in den deutschen Staat, der uns jetzt attackiert, uns nicht respektiert, uns die Rechtenimmt. Wir sollen uns integrieren, auch wenn wir Deutsche sind. (...) Haben mit euch aufgebaut, lang genug habt ihr auf uns herab geschaut. Es ist Zeit, dass ihr das versteht, uns als Bürger und nicht mehr als Gäste seht. Ihr wollt uns ausweisen oder raus schmeißen, wir sollen nach eurer Pfeife tanzen oder heim reisen? Hier ist unsere Heimat, also was ist euer Ziel? Soll ich als deutscher Flüchtling ins Exil?“ []

„Heimat ist…“ – Ein Gespräch mit türkischen Jugendlichen über Kurden, Graue Wölfe, Islam und Deutschland

Ende Oktober kam es in mehreren Städten in Deutschland zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen und kurdischen Ju-gendlichen, die sich am Konflikt zwischen

der Türkei und der PKK entzündeten. Im Anschluss an eine türkische Demonstration, die am 28. Oktober 2007 in Berlin-Neukölln gegen die PKK stattfand, versuchten einige Jugendliche, kurdische Einrichtungen anzu-greifen.

In einem Gespräch haben wir fünf Berliner Jugendliche türkischer Herkunft nach ihrer Sicht der Dinge befragt. (Eine ausführliche Fassung des von Aycan Demirel moderier-ten Gesprächs finden Sie hier.)

Die 16-19jährigen jungen Männer sind poli-tisch interessiert, informiert, differenziert – und selbstbewusst. Von Benachteiligungen in Deutschland ist nur am Rande die Rede.

Sehr deutlich ist bei ihnen der Einfluss des türkischen Nationalismus. Der aktuelle Kon-flikt mobilisiert auch unter ihnen nationalis-tische Stimmungen. So wurde bei den Pro-testen in Berlin von vielen Teilnehmern das Handzeichen der radikal-nationalistischen Organisation der Grauen Wölfe gezeigt. Bei den jungen Männern, die wir zu diesem Ge-spräche eingeladen haben, stehen auf der einen Seite Ressentiments gegenüber den „PKK-Terroristen“, die „auch kleine Kinder töten“ und „unser Vaterland“ spalten wol-len. Auf der anderen Seite äußern sie auf Nachfrage auch Verständnis für kurdische Interessen: „Jedes Volk will ein Land haben, damit man seine eigene Kultur leben kann. Ich kann die schon verstehen. Ich find es auch scheiße, dass Saddam Hussein so viele Kurden vergast hat.“ Und: Wenn wir den Osten aufbauen würden, so wie die West-Türkei, würde die PKK keine Unterstützer bekommen. So aber haben die Kurden kein Geld, sind bildungslos, die haben gar nichts.“

Ihren Nationalismus wollen die jungen Män-ner aber von Rassismus und Faschismus unterschieden wissen. Ahmed: „Die Grauen Wölfe sind nicht rechts. Rechts sein heißt ja rassistisch, aber die Grauen Wölfe sind nicht gegen Ausländer, sondern sind eigentlich gegen den Terror. Okay, es kann sein, dass manche zwischen Kurden und PKK nicht un-terscheiden können. Das finde ich auch schlecht, die meisten unterscheiden das

7 7

Page 8: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

aber.“ Und Murat ergänzt: „Graue Wölfe sind keine Faschisten. Ich bin auch von den Grauen Wölfen, aber ich sag nie: Scheiß-Kurden.“

Türkischer Nationalismus und Islam schlie-ßen sich für die Jugendlichen nicht aus. Zwar gilt Mustafa Kemal Atatürk, der Grün-der der modernen Türkei, auch unter ihnen als Held, der die Gesellschaft modernisierte, die Rolle der Frau stärkte und die Religion aus dem öffentlichen Leben drängte. Den-noch kritisieren sie die Vorbehalte gegen-über dem Islam in der deutschen Gesell-schaft. Diesem müsse in der deutschen Ge-sellschaft mehr Raum gegeben werden. Ha-kan meint dazu: „Jeder Mensch hat doch ein Recht, sich so anzuziehen, wie er will. Und wenn eine ein Kopftuch tragen will, dann darf sie das doch. Meinungsfreiheit. Wenn sie das tragen will, dann muss man sie las-sen.“ Trotzdem findet Hakan angesichts von Solarienbräune und Augenschminke: „Die, die kein Kopftuch tragen, sind oft sauberer, viel rei-ner.“

Der Islam gehört für die Jugendli-chen ganz selbst-verständlich in den Zusammen-hang von Identi-tät und Heimat. Sie sehen keine Notwendigkeit, zwischen „Deut-schland“, „Türkei“ und dem „Islam“ zu wählen: „Na-türlich“ sei die Türkei „ihr“ Land, sagt Hakan, schließlich seien sie mit dem Her-zen in der Türkei. Dennoch würden sie sich auch als Deutsche be-zeichnen. Schließlich sei

Deutschland „sehr gut“, findet Murat: „Deutschland ist das demokratischste Land in Europa. Deutschland ist perfekt.“ Und Dogan ergänzt: „Heimat ist dort, wo man sich wohlfühlt. In unseren Heimatstädten fühlen wir uns wohl, und hier fühlen wir uns auch wohl. Hier haben wir unser Zuhause, unsere Arbeit, die Leute, die wir mögen. Weil wir uns hier wohlfühlen, ist das Zuhau-se.“

Deutsche Libanesen: Konfessionelles Denken statt

gemeinsamer Interessenvertretung?

Was bewegt die libanesische Community in Deutschland? Die arabischsprachige Zeit-schrift Al-Dalil befragte für ihre Oktober-Ausgabe libanesische Berliner nach ihren Ansichten und Sorgen. Dabei ging es auch um die Frage, wie sich die Spannungen im

8 8

Zum 69. Jahrestag von Mustafa Kemal Atatürk am 10. Nov. 2007 brachte die Jugendbeilage der tür-kischen Hürriyet ein ganzseitiges Bild des Begründers der modernen Türkei. Hürriyet zählt zu den größ-ten türkischen Zeitungen und wird allein in Deutschland in einer Auf-lage von 50-70.000 Exemplaren vertrieben. Die Jugendbeilage der Zeitung erscheint freitags auf deutsch.Neben dem Bild heißt es:„Atatürk lebt in unserem Herzen. Atatürk hat niemals an sich selbst gedacht. Seine ganze Existenz in-vestierte er seinem Land und ei-nem gehobenen Menschheitsideal. Die Geschichte der neuen Türkei ist fest verbunden mit der Geschichte

Atatürks. Er, Atatürk schuf die Republik. Die Türkei hat in einer Zeit, in der man von ihr annahm, sie sei am Untergang, Europa eine gute Lekti-on erteilt. Er war nicht auf Illusionen aus. Daher kommt es, das selbst 69 Jahre nach Atatürks Tod seine Existenz tief in unserem Herzen wei-ter lebt und seiner Nation den Weg weißt.“ (Hürriyet, 9. Nov. 2007)

Page 9: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

Libanon in der hiesigen Community auswir-ken und um die Perspektiven libanesischer Jugendlicher in Deutschland.

Die 1992 nach Deutschland emigrierte Bau-ingenieurin Zaynab Ayyad zeigt sich ent-täuscht darüber, das viele Libanesen in Deutschland wenig Interesse für die Bildung und Erziehung ihrer Kinder aufbringen: ein

„schändlicher Mangel“, wie sie sagt. Außer-dem ist sie enttäuscht über die Uneinigkeit innerhalb der hiesigen libanesischen Com-munity. Auch der Geschäftsmann Adib al-Harb hat keine gute Meinung von den liba-nesischen Vereinen – diese würden vor al-lem private Interessen verfolgen. Wenn es diesen Vereinen um die libanesische Com-munity insgesamt ginge, „dann würden sie

9 9

In der Agitation radikaler türkischer Nationalisten dienen Kurden als wichtiges Feindbild. Dies zeigt sich auch unter Jugendlichen in Deutschland. Die Hetze gegen Kurden entlädt sich nicht nur in Zeiten akuter politischer Konflikte – wie jüngst in Übergriffen auf kurdische Einrichtungen –, sondern spiegelt sich auch in allgemeineren Äußerungen, in denen der türkischen Nation gehuldigt wird. Diese sind nicht auf Sympathisanten rechtsextremer Organisationen beschränkt – z.B. in der Darstellung eines Wolfes, dem Symbol der „Grauen Wölfe“, der über eine kurdische Fahne herfällt (1). Sie finden sich auch in spontanen, jugendkulturellen Ausdrucksformen. Beispielhaft steht hierfür ein Vi-deo, in dem zwei deutsch-türkische Jugendliche die Erschießung eines PKK-Anhängers nachstellen (2). Auch ein Musikvideo, das zu einem Lied des Sängers Massiv produziert wurde, bringt dies zum Ausdruck (3): „Mit dem Sä-belschwert schneide ich euch die Zungen ab!“ heißt es im Lied, während der Text „Türken, Araba, Persa vs. die schwulen Kurden“ durch das Bild läuft. Diese Art der Hetze ist nicht auf die türkische Seite des Konflikts beschränkt. Das Lied „Kurdistan“ des Sän-gers Xatar macht deutlich, dass auch unter Kurden ähnlich martialische Angriffe auf Türken verbreitet sind. „Ich bin Kurde, bei uns hat Kämpfen Tradition“, heißt es in diesem Video, dem es an genre-typischen Dar-stellungen brachialer Gewalt nicht mangelt. (4)Die Videos fanden sich ursprünglich auf Youtube. Zum Ansehen der Videos klicken Sie bitte auf die Bilder.

Page 10: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

einen Verein gründen, der die Interessen al-ler Libanesen gegenüber dem deutschen Staat vertreten und sich für die Rechte der hiesigen libanesischen Gemeinde einsetzen würde.“

Erschwert wird dies indes durch die konfes-sionelle Spaltung: So meint Amadu Mu'ayni, dass ein „grundsätzliches Umdenken“ erfor-derlich sei, um das Handeln und Denken entlang konfessioneller Grenzen aufgeben zu können. Vor diesem Hintergrund kriti-siert er die libanesischen Vereine, die sich immer stärker an einzelnen politischen Strömungen und Konfessionen orientierten. Damit sei die libanesische Community in Deutschland nur „ein Abbild des Libanons im Kleinen“. Außerdem, so beklagt Muayni, würden auf Dauer immer mehr Libanesen in Deutschland ihr „Libanesentum“ aufgeben.

Wie verbreitet die Kritik am Konfessionalis-mus ist – und wie sehr dieser gleichzeitig den Alltag von Libanesen auch in Deutsch-land prägt, kommt in der Haltung von Ibra-him Fawaz zum Ausdruck. Seit 2004 ist er Vertreter des libanesischen Hohen Schiiti-schen Rates in Berlin. Diese Funktion als Vertreter einer Gruppe hält ihn aber nicht davon ab, in die Kritik an der konfessionel-len Zersplitterung der libanesischen Com-munity in Deutschland einzustimmen. Die Araber, so erklärt er, neigen dazu, „die Pro-bleme ihrer Länder in die Fremde mitzuneh-men.“ (Al-Dalil, November 2007 [])

salaf.de: Schriften und Predigten saudischer Gelehrter auf deutsch (Teil I)

Seit den 60er Jahren zählen islamische Ge-lehrte und Einrichtungen aus Saudi Arabien weltweit zu den Protagonisten der sunni-tisch-islamistischen Bewegung. Im Kampf um die regionale Vorherrschaft mit Ägypten und später dem Iran konzentrierten sich die saudischen Bemühungen zunächst auf die islamische Welt. Seit langem ist der ideolo-gische und finanzielle Einfluss Saudi-Ara-

biens jedoch auch unter Muslimen in ande-ren Regionen spürbar.

Sowohl staatliche Stellen als auch private saudische Stiftungen wenden immense Summen auf, um weltweit islamische Ein-richtungen zu gründen, zu fördern und mit religiöser Literatur zu versorgen. Auf die-sem Wege wollen sie die salafistische Ideo-logie verbreiten.

Unter Salafismus versteht man eine religi-öse Bewegung, die sich an einem idealisier-ten Bild der Frühzeit des Islam (arab. salaf steht für „Ahnen“, „Vorfahren“) und strikt am Wortlaut von Koran und den Überliefe-rungen des Propheten (sunna) orientiert. In Saudi Arabien ist dieses Denken durch eine enge Verbindung der Religionsgelehrten mit dem Herrscherhaus zu einer Art Staatsislam geworden. Dabei sind die Übergänge zwi-schen der hier formulierten und exportier-ten traditionalistischen, rigiden Form des Is-lam und der Ideologie des militanten Jiha-dismus fließend.

Auch in Deutschland und anderen europäi-schen Ländern findet der Salafismus unter Jugendlichen und unter Konvertiten ein ge-wisses Echo. Zu nennen wären etwa Grup-pen um die Prediger Pierre Vogel und Abdul Adhim Qamous (Berlin-Neukölln). Die Popu-larität dieser Prediger und des Salafismus basiert nicht zuletzt auf der eindeutigen Ori-entierung, die mit der dogmatischen Ausle-gung der religiösen Quellen angeboten wird. Zudem scheint die Propagierung eines „vor-bildlichen“ Lebens ohne Drogen, „Unzucht“ und andere Versuchungen attraktiv.

Wer sich auf der Grundlage von historischen und aktuellen Quellentexten einen Einblick in diese Ideologie verschaffen will, wird auf der deutschen Website salaf.de fündig. Die hier präsentierten und ins deutsche über-setzten Schriften stammen zum Großteil von Gelehrten, die aus Saudi Arabien kom-men oder an saudischen Einrichtungen ihre religiöse Ausbildung absolviert haben. Auch die von salaf.de ausgewählten und ins Deutsche übertragenen Predigten sind in den vergangenen Jahren in saudi-arabi-schen Moscheen gehalten worden.

10 10

Page 11: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

Über die Betreiber der Seite selbst, die seit Oktober 2001 Veröffentlichungen ins Netz stellen, erfährt man wenig. Dennoch deutet einiges darauf hin, dass auch diese Seite im Kontext des saudischen Ideologieexports anzusiedeln ist.

Eines der augenfälligen Merkmale des pro-pagierten Salafismus ist seine extreme Schrift- und Gelehrtenhörigkeit. Absolute Autorität genießen dabei die religiösen Quellen (Koran und Hadith) sowie deren Auslegung durch einzelne Gelehrte. Bei-spielhaft für die Textgläubigkeit steht etwa die Überzeugung von der Existenz des Anti-christen (arab. dadschal). Dieser wird laut einer Schrift von Scheich Muhammad Salih al-Munadschid ein Jude sein, der aus dem Osten kommen und von 70.000 Juden be-gleitet werden wird. Die Gläubigen werden ihn, so al-Munadschid, an „seiner rötlichen Gesichtsfarbe, dicken gekräuselten Haaren“ und seiner Einäugigkeit erkennen.

Dieses „Wissen“ über den Dadschal bezieht der Gelehrte aus einer ganzen Reihe von Hadithen - den überlieferten Aussprüchen und Geschichten vom Propheten Mu-hammad, die in den Jahrhunderten nach seinem Tod gesammelt wurden. Dabei wi-derspricht Al-Munadschid entschieden sol-chen Interpretationen, die etwa die Einäu-gigkeit des Dadschals als Metapher für den einseitigen Materialismus der Menschen deuten: Nein, der Dadschal wird ein leibhaf-tiger Mensch sein und er wird auf dem rech-ten Auge blind sein, weil es so in den Tex-ten stehe.

Ähnlich verfährt Scheich Yasir Qadhi in dem Vortrag „Absolute Gerechtigkeit. Die Entlar-vung des Märchens von der Bevorzugung des Mannes“, der im April vergangenen Jah-res in Chicago gehalten wurde. Qadhi be-schäftigt sich darin mit der Frage, wie Mus-lime reagieren sollen, wenn ihnen vorge-worfen wird, dass der Islam Frauen benach-teilige. Dazu setzt er sich zunächst ausführ-lich mit verschiedenen Bewegungen in Ge-schichte und Gegenwart des Islam ausein-ander, die darauf zielten, den Koran zu übertragen, um ihn mit wissenschaftlichen Erkenntnissen oder politisch-intellektuellen

Konzepten wie den Menschenrechten in Ein-klang zu bringen.

Das alles sei falsch, denn der Koran sei Got-tes unveränderliches Wort und als solches wortwörtlich zu verstehen und zu befolgen.

So kommt der Gelehrte auch zu seinem Ur-teil zur Frage nach dem Geschlechterver-hältnis: Frauen und Männer, meint er, seien wie Äpfel und Birnen, die man nicht verglei-chen dürfe. Dementsprechend habe der Ko-ran die Aufgaben von Frauen und Männern klar verteilt. Da gebe es nichts zu erklären oder zu rechtfertigen. Und so gelte es auch für das Kopftuch: Das haben Frauen nun einmal zu tragen, weil es im Koran stehe. Und weil es dort stehe, sei es auch das Bes-te für die Menschen und bedürfe keiner wei-teren Begründung.

Im nächsten Newsletter geht es unter an-derem um die Beschreibung von „wahrem Islam“ und Ungläubigen auf salaf.de. Zum Einfluss und zu den Inhalten des Salafismus in Deutschland siehe auch die beiden Ein-träge zu Pierre Vogel [] und Muhammad 'Arifi [].

3. PUBLIKATIONEN

Verfassungsschutz-Comic für Jugendliche gegen Islamismus

Andi heißt eine Comicfigur, die sich der Ver-fassungsschutz Nordrhein-Westfalen ausge-dacht hat. Die erste Ausgabe der Reihe „Co-mic für Demokratie und gegen Extremis-mus“, kurz CoDex, dessen Hauptfigur Andi ist, beschäftigte sich mit Rechtsextremis-mus und Skinheads. In der zweiten Ausga-be ist es nun Andis Freund Murat, der „Stress hat“ – und zwar mit radikalen Isla-misten, denen er – beinahe, versteht sich – auf den Leim geht:

11 11

Page 12: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

Aus Frust darüber, keine Lehrstelle zu be-kommen, freundet sich Murat mit einem jungen Islamisten namens Ha-run an, der ihn mit zu seinem radikalen Imam nimmt. Dort erfährt er – und mit ihm die Leser/innen –, was es mit dem Islamismus und seiner Ideologie so auf sich hat: Schuld an der Misere der Muslime sei-en die Ungläubigen (wir lernen: Ungläubige = Kuffar) und die Zionis-ten. Und um die Welt nach Allahs Willen um-zugestalten (Koran, Sunna, Scharia) seien auch Terroranschläge (Jihad) legitim.

Andere Muslime halten von diesem Denken gar nichts: Zum Beispiel Murats kopftuch-tragende Schwester Ayshe, die mit Andi flir-tet, und ihr Vater, der seinen Kindern einen liberalen und toleranten Islam vorlebt: „In der Religion gibt es keinen Zwang.“ Am Ende muss Murat sich entscheiden …

Der Comic ist gut gemeint und „jugendge-recht“ gemacht. Dabei geben Handlung und eingestreute Informationskästen (zu den Themen Islam/Islamismus, Feindbild Wes-ten, Jihad und Terror, Antisemitismus, Scharia und Vielfalt im Islam) die verschie-denen Motive des Islamismus treffend, wenn auch einigermaßen schematisch wi-der. So macht der Infoteil der Broschüre zwar sehr deutlich, dass nur eine ver-schwindend kleine Minderheit der Muslime in Deutschland radikalen Einstellungen an-hängt. Gleichzeitig legt der NRW-Verfas-sungsschutz in „Andi 2“ jedoch Kriterien an, mit denen er selbst einen Großteil der Mus-lime zu Islamisten erklärt – etwa wenn die Aussage, dass Gott den Menschen im Koran eine perfekte Anleitung für alle Lebensberei-che gegeben habe, als islamistisch charak-terisiert wird. Außerdem hätte man sich Fragen wie „Sind alle Muslime Terroristen?“ im Infoteil getrost sparen können. Und die

Überzeugungsarbeit des Verfassungsschut-zes für die bundesdeutsche FDGO wäre umso überzeugen-der, wenn sie den Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft nicht gänzlich ausblenden würde.

All dies mögen Gründe dafür gewesen sein, dass sich der Zentralrat der Muslime verär-gert darüber zeigte, bei der Entwicklung von „Andi 2“ nicht um Rat gefragt worden zu sein. Ein lohnendes Experi-ment wäre dies sicherlich ge-wesen.

Ob sich nun diese spezielle Art von Aufklärung und Präventi-

on in der pädagogischen Arbeit mit Jugend-lichen bewährt, muss sich erst zeigen. Einen Versuch ist es jedenfalls wert. „Andi 2“ kann unter www.andi.nrw.de kostenlos bestellt werden.

Britische Studie über islamistische Literatur in Moscheen und Vereine

Unter dem Titel “The Hijacking of British Is-lam: How extremist literature is subverting Britain's mosques” veröffentlichte das briti-sche Institut Policy Exchange jüngst eine Studie über die Verbreitung islamistischer Texte in islamischen Einrichtungen in Groß-britannien. [] Die Studie basiert auf der Auswertung von Buchbeständen, die in den Jahren 2006 und 2007 von muslimischen Forschern in etwa 100 islamischen Einrich-tungen gesichtet wurden.

Ein Großteil der Texte sei harmlos, urteilen die Autoren. Dennoch finden sich in knapp 25% der ausgewerteten Quellen Passagen, in denen gegen Andersgläubige, Frauen, Ju-den, den Westen und „schlechte Muslime“ gehetzt wird. Ausdrücklich werden Muslime in einigen Texten davor gewarnt, sich in ihre nicht-muslimische Umgebung zu inte-

12 12

"Murat hat Stress": Verfassungsschutz-Comic "Andi 2"

Page 13: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

grieren. Die Unterdrückung und körperliche „Züchtigung“ von Frauen wird hier ebenso legitimiert wie Steinigungen für Ehebruch und die Todesstrafe für Homosexuelle oder Apostaten. Die Leser werden daher aufge-fordert, sich von der nicht-muslimischen Gesellschaft und dem Leben der „Ungläubi-gen“ fernzuhalten. Hinzu kommen antisemi-tische Verschwörungstheorien und Aufrufe zum Jihad.

Etwas plakativ setzt die Studie an, indem einige der in den Büchern gefundenen radi-kalen Passagen herausgestellt werden:

„Es gibt keinen Aufruhr, in dem die Juden nicht eine Rolle spielen… Sie versuchen, die Nationen in Laster zu verwickeln und außer-ehelichen Geschlechtsverkehr zu verbreiten. Die Juden kontrollierten dieses Geschäft und förderten es. Sie betreiben all die Clubs in Europa, den USA und in Israel selbst.“

“Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine Bewegung für die Befreiung der Frau gest-artet, die das Hauptziel verfolgte, Frauen auf Abwege zu bringen und von Juden und Christen gefördert wurde.“

“Und wenn er dann von seiner Religion ab-fällt, dann soll er geköpft werden, entspre-chend dem Hadith: 'Wer seine Religion wechselt, tötet ihn.'“ „Wer an der Steini-gung eines Ehebrechers teilnimmt, wird da-für belohnt. Niemand sollte sich fernhalten, wenn eine Steinigung angeordnet wird.“

Zwar ließe sich, so die Autoren, aus einzel-nen Werken in den Buchbeständen von Mo-scheen oder anderen islamischen Einrich-tung nicht direkt auf deren politische Orien-tierung schließen. Auch riefen nicht alle der zitierten Passagen gleich zum Terrorismus auf. Aber – so die Schlussfolgerung – in ih-nen komme eine Weltanschauung zum Aus-druck, die „eine Art kulturelles und in religi-öse Terminologie gebettetes Hinterland dar-stellt, auf das die Minderheit der Muslime, die mit Gewalt sympathisiert, zurückgreifen kann“. Das Predigen von Abscheu und Ab-grenzung von den „Ungläubigen“ oder „dem Westen“ und seiner liberalen Kultur (insbe-sondere in punkto Religion, Moral, Sexuali-tät und Rolle der Frau) erzeuge einen „ideo-

logischen Raum“, der zur Legitimation von Abwendung und Gewalt ausgenutzt werden könne.

Dies sei umso bedeutender als die Mehrheit der Muslime sich nicht genügend um die ra-dikalen Strömungen kümmere. Unter ande-rem fehle es ihnen an der Kompentenz, selbst „Koran und Hadithe zu interpretieren“. Traditionellerweise bleibt dies den religiösen Gelehrten überlassen, die vielfach saudischen Einrichtungen nahe stehen.Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Propaganda aus saudischen Quellen stamme und von dort an Moscheen sowie andere islamische Einrichtungen in England und andernorts verteilt würde, formuliert die Studie eine klare Forderung an die sau-dische Monarchie: Saudi Arabien solle Re-chenschaft über die Inhalte von Büchern – insbesondere von Schulbüchern – ablegen, die dort publiziert und weltweit verbreitet werden.

4. NEUES AUS DEM PROJEKT

Veranstaltung zum Verhältnis vonAntisemitismus und „Islamophobie“

in der pädagogischen Arbeit

„Wieso Antisemitismus?! Lasst uns lieber über Islamophobie sprechen!“ So oder ähn-lich reagieren Jugendliche muslimischer Herkunft mitunter, wenn es um die Ausein-andersetzung mit Hass auf Israel und Anti-semitismus geht. Weil viele Pädagogen von solchen Erfahrungen berichten, hat MaDon-na Mädchenkult.Ur e.V. und ufuq.de sie und Vertreter von muslimischen Einrichtungen zu einer öffentlichen Diskussionsveranstal-tung eingeladen. Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Wer vom Antisemitismus sprechen will, darf über die Islamophobie nicht schweigen…!?“ Auf dem Podium spra-chen Ufuk Topkara (Politikwissenschaftler

13 13

Page 14: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

und Tour-Guide im Jüdischen Museum Ber-lin), Khaled al-Khatib (Sozialwissenschaft-ler, leitete Workcamps mit palästinensi-schen und israelischen Jugendlichen) und Jochen Müller (Islamwissenschaftler, ufuq.-de). Die anschließende Diskussion mit etwa 80 Zuhörern machte noch einmal deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Antisemi-tismus in der pädagogischen Arbeit mit jun-gen Muslimen noch in den Anfängen steckt. Zwar waren sich alle Seiten einig, dass Anti-semitismus ein Problem darstellt (Ufuk Top-kara sprach von einer großen „Affinität zu Verschwörungstheorien“ unter türkischen Jugendlichen). Schon an der Frage, welche Motive dem Hass auf Juden zugrunde lie-gen, schieden sich dagegen die Geister. Khaled Al-Khatib betonte die konkreten Er-fahrungen vieler arabischer Familien mit der Gewalt des Nahostkonflikt. Zudem betonte er, dass islamophobe Haltungen in Deutsch-land nicht mehr auf den rechten Rand der Gesellschaft beschränkt seien, sondern zu-nehmend auch zu einem Problem der politi-schen Mitte würden. Gegen Khatibs These, man müsse die direkte Betroffenheit der hiesigen Palästinenser verstehen, um deren Bild von den Juden einordnen zu können, gab es Widerspruch aus dem Publikum: Antisemitismus sei schließlich eine Weltan-schauung, deren Zerrbild von den Juden weit mehr umfasse als Israels Rolle im Nahostkonflikt. Jochen Müller plädierte da-für, konkrete Erfahrungen von Jugendlichen und ihren Eltern ernst zu nehmen und anzu-erkennen, sie aber in der pädagogischen Ar-beit deutlich von ideologischen Verzerrun-gen zu unterscheiden.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Diskussionen werden im Rahmen des Pro-jekts weitere Treffen stattfinden, die auf einen Erfahrungsaustausch mit und unter Pädagogen abzielen.

Essener Erklärung: Muslime für Dialog, Integration und Frieden

Die RAA/Büro für interkulturelle Arbeit un-terstützt die „Essener Erklärung“, mit der sich zahlreiche muslimische Einrichtungen gegen Terroranschläge im Namen des Islam ausgesprochen haben:

„Anlässlich des Gedenkens an die weltwei-ten Terrorakte, anlässlich des großen Scha-dens, den diese beispiellosen Gewaltakte dem Ansehen muslimischer Gläubigen auf der ganzen Welt zufügen, erklären wir als Multiplikatoren, Vertreter, Repräsentanten der Essener Muslime in aller Deutlichkeit und Schärfe:

• Islam bedeutet Frieden.

• Wir Muslime verurteilen Terror und Ge-walt, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, Pauschalisierungen und Un-frieden, gleich von wem und wo dies verübt oder geduldet wird.

• Wir Muslime treten ein für Integration, ge-genseitigen Respekt und Toleranz, Men-schenwürde und Frieden.

Wir Muslime bekennen uns eindeutig zur Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und der freiheitlich demokratischen Grund-ordnung.

Wir Muslime erachten es als selbstverständ-lich und verpflichten uns erneut, demokrati-sche Strukturen zu unterstützen und mit Si-cherheitsbehörden zusammenzuarbeiten und entsprechend Anzeige zu erstatten, wenn im Einzelfall erkennbar das friedliche Zusammenleben gefährdet ist.

Wir Muslime fordern auf, zu einem zivilen und demokratischen Engagement gegen Tendenzen, welche die Angst in unserer Ge-sellschaft schüren, Muslime in ihrer Ge-samtheit dabei in den Fokus rücken und eine Ausgrenzung im sozialen, schulischen und beruflichen Lebensalltag erreichen wol-len.

Wir Muslime haben mit Mördern unschuldi-ger Menschen und Selbstmordattentätern

14 14

Page 15: JUGENDKULTUR, RELIGION D POLITISCHE BILDUNG … · Internetforen wie Al-Hiwar über ihre Reli-gion und deren Bedeutung für Politik, Ge-sellschaft und privates Leben austauschen,

nichts gemeinsam. Unsere Religion steht unmissverständlich für den Erhalt und die Rettung von Leben.

Terrorismus hat keine Religion. Für den Zu-sammenhalt der Gesellschaft.

Unterzeichner:Arabische Frauengruppe e. V., Barisspor Es-sen, D.I.T.I.B Islamische Gemeinde zu Es-sen-Kray e. V., D.I.T.I.B Islamische Gemein-de zu Essen-Steele e. V., D.I.T.I.B. Türki-sche Moschee Essen-Katernberg e. V., D.I.T.I.B. Türkisch-Islamische Union e. V., Helenenstr., Deutsch-Arabischer Kulturverein e. V., Deutsch-Tunesischer Verein für Famili-en und Kultur e. V., Fatihspor Essen e. V., FC Alanya 1990 Essen e. V. , Horizont Bil-dungszentrum e. V., Interkulturelles Bil-dungszentrum e. V. (IBZ), Internationaler Ruhr Akademikerbund Essen e. V., ISB-Isla-mischer Studentenbund Universität Essen, Islam. Gem. Zentrum Essen e. V. - AYASOF-YA Moschee, Islamisch-Deutscher Kulturver-ein e. V., Islamische Elterninitiative e.V., Is-lamische Gemeinde Essen-Kupferdreh und Umgebung e.V., Islamischer Bund Essen e. V., Islamischer Förderungsverein e.V., Isla-mischer Verein für soziale Aktivitäten e. V.,

JAMIA MASJID e. V., Kultur und Solidaritäts-verein aus Bartin e. V., Kulturzentrum Dze-mat Essen e. V., Libanesische Renaissance e. V., Libanesischer Zedernverein e. V., Marok-kanischer Verein-Moschee ELMUAHIDDIN e. V., Medical Islamic Bridge e. V., PG Katern-berg e. V., Salah Eddin Moschee e. V., Schonnebeckhöfe, Türkische Gemeinde Rhein-Ruhr e. V., Türkischer Elternverband in Essen und Umgebung e. V., Türkischer Kulturverein e. V., Türkischer Sport- und Kulturverein, TSK Essen e. V., Türkisch-Is-lam.-Kulturverein Essen-Dellwig e. V., Tür-kiyemspor Essen e.V., Türkspor Essen e.V., Verband der islamischen Kulturzentren e.V. Zweig-stelle Essen, Verbund muslimischer Medizinstudentin-nen Essen e.V., Verein für Christlich-Islamische Be-gegnung, Vereinigung demokratischer Frauen Afgha-nistans e.V.

Diese gemeinsame Aktion wird unterstützt durch Dr. Wolfgang Reiniger, Oberbürgermeister der Stadt Essen, Gudrun Hock, Geschäftsbereichs-vorstand Soziales, Arbeit und Gesundheit, Poli-zei Essen, Integrationsbeirat der Stadt Essen, RAA/Büro für interkulturelle Arbeit, Essener Ver-bund der Immigrantenvereine e. V., Zentrum für Türkeistudien, Islambeauftragte der Polizei, der katholischen und der evangelischen Kirche in Essen“

15 15

Impressum:ufuq.de – Medienforschung und politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft, Dieffenbachstr. 74, 10967 Berlin, [email protected]: Götz Nordbruch und Dr. Jochen Müller.

Der Newsletter erscheint sechswöchentlich im Rah-men des Modellprojekts “Jugendkultur, Religion und Demokratie. Politische Bildung mit jungen Muslimen” der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Ko-operationspartner sind das Bezirksamt Berlin-Neu-kölln, die RAA/Büro für interkulturelle Arbeit der Stadt Essen, der RAA Verein in NRW e. V., der Berli-ner Mädchentreff MaDonna e.V. und ufuq.de.