Kapitel 2 Migration – Hintergründe und Entwicklungen · und Kanada von Südamerika sehr...

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Teil 1 Grundlagen: Vorurteile und Migration Über Gleichheit und Vielfalt in unserer Gesellschaft und die Hintergründe von Migration Kapitel 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Teil 1

Grundlagen: Vorurteile und MigrationÜber Gleichheit und Vielfalt in unserer Gesellschaft und die Hintergründe von Migration

Kapitel 2:

Migration – Hintergründe und Entwicklungen

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Internationale Wanderungen hat es immer schon gegeben. Verschiedene Gründe bringen Menschen dazu, ihr Heimatland zu verlassen und sich an einem anderen Ort ein neues Leben aufzubauen: Viele Menschen werden aufgrund von Kriegen, religiöser oder politischer Verfolgung zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben. Andere verlassen ihr Land auf der Suche nach Beschäftigung oder besseren Arbeitsbedingungen. In den letzten Jahren sind inter­nationale Wanderungsbewegungen angestiegen, und Migration ist zu einer globalen Heraus­forderung geworden.

Bei den Ursachen für Migration werden „Schub“ und „Sog “ unterschieden. „Schub-Faktoren“ bewegen Menschen dazu, ihre Wohngebiete aus einer unerträglichen oder bedrohlichen Situation heraus zu verlassen. Diese Faktoren können unterschiedlicher Art sein: von Natur- katastrophen über Armut und soziale Diskriminierung bis hin zu Krieg und Verfolgung. Im Gegensatz dazu wirken „Sog-Faktoren“ anziehend auf die Menschen. Dabei handelt es sich um Angebote des Ziellandes: zum Beispiel verfügbare Arbeitsplätze, befriedigendes Einkommen, Sicherheit und Freiheit.

„Ein Volk, das seine Fremden nicht ehrt, ist dem Untergang geweiht.“

Goethe

2.1. Wander­ und Fluchtbewegungen von Menschen

ZITAT

„Schon bei den früheren Auswanderungswellen in die Kolonien oder in die ‚klassischen‘ Einwan-derungsregionen in Nord- und Südamerika, im südlichen Afrika und in Ozeanien vermengten sich ebenso Schub- und Sogfaktoren wie bei den heutigen Wanderungs bewegungen aus dem Süden in den Norden oder zu Wohlstandsinseln innerhalb des Südens. Beispielsweise riskierten die irischen ‚boat people‘ die gefahrvolle Überfahrt auf den ‚schwimmenden Särgen‘ nach Nordamerika nicht aus Sehnsucht nach dem gelobten Land, sondern weil sie vom ‚Großen Hunger‘ dazu getrieben wur-den. Sie waren geradezu klassische ‚Wirtschafts-flüchtlinge‘, die vor dem Verhungern flüchteten.“ 1

Franz Nuscheler

Während Schub-Faktoren bei Fluchtbewegun-gen überwiegen, werden Sog-Faktoren vor allem im Zusammenhang mit „Arbeitsmigra-tion“ wirksam. Selten verlassen Menschen jedoch ihre Heimat aus nur einem einzigen Grund. Meist führt eine Kombination mehrerer Gründe zur Migration, wobei es häufig zu einer Vermengung von Schub- und Sog-Faktoren kommt. Ein Motiv haben wohl alle MigrantIn-nen gemeinsam: das Ziel, ihre Lebens situation durch die Wanderung zu verbessern.

1 Franz Nuscheler: Internationale Migration. Flucht und Asyl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, S. 103

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2.1.1. Nicht wirtschaftlich motivierte Migration – Flucht und Vertreibung

Migration ist nicht immer freiwillig. Vielmehr macht erzwungene Migration einen großen Teil der weltweiten Wanderungsbewegungen aus. Flucht und Vertreibung gibt es, seit sich Menschen in Gesellschaften organisieren und um Macht und Raum konkurrieren. Histori-sche und literarische Quellen, die Geschichten von Flucht und Vertreibung erzählen, reichen weit zurück: Ein berühmtes Beispiel ist Homers „Odyssee“. Auch die Bibel steckt voller Flucht-geschichten. Heute sind Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Sie fliehen vor Kriegen, Verfolgung und Repression, ethnischen und religiösen Konflikten oder aufgrund von Umwelt-krisen.

Große Migrationsströme zu Beginn des 21. Jahrhunderts

UNHCR Statistik: Arten von Vertriebenen (Ende 2009)

Quelle: Martin und Wídgren 2002

Quelle: UNHCR 2009 Global Trends Report

Staatenlose: 18,0 %

Binnenvertriebene: 42,9 %

zurückgekehrte Binnenvertriebene: 6,1 %

Asylsuchende: 2,7 %zurückgekehrte Flüchtlinge: 0,7 %

Flüchtlinge: 28,5 %

Andere: 1,1 %

Gesamtzahl: 36,5 Mio.

von Asien

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von Südamerika

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Manchmal haben Menschen bei plötzlicher Bedrohung keine andere Wahl als die sofortige Flucht. In anderen Fällen bereiten Menschen ihre Flucht etappenweise vor. Die Unterscheidung von freiwilliger Migration und erzwungener Flucht ist nicht immer eindeutig. Gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling eine Person, die aus der begründeten Furcht vor Ver-folgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung geflohen ist, keinen Schutz vor dieser Verfolgung durch den Heimatstaat erhalten hat und nicht in ihre Heimat zurückkehren kann und will. 2

2 vgl. www.unhcr.at/fileadmin/unhcr_data/pdfs/rechtsinformationen/1_International/1_Voelkerrechtliche_Dokumente/01_GFK/02_Gfk-de-logo.pdf3 vgl. ebd.

Asyl, AsylwerberInnen und AsylberechtigteAsyl (griechisch­lateinisch: „Unverletzliches“) bedeutet Unterkunft, Heim, Aufnahme und Schutz, Zufluchtsort.

Wer in einem Land z. B. aufgrund seiner Herkunft, seiner Religion oder seiner politischen Überzeugung verfolgt wird, hat das Recht, in einem anderen Land als seinem Heimatland um Asyl anzusuchen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht.

Das Ansuchen bedeutet jedoch nicht, dass Asyl auch gewährt wird. Die einzelnen Länder überprüfen die Asylansuchen genau. Die konkreten Bestimmun-gen zur Asylgewährung sind dabei von Land zu Land verschieden. AsylwerberInnen beantragen in einem fremden Land Aufnahme und Schutz vor politischer, religiöser, ethnischer oder geschlechtsspezifischer Verfolgung in ihrer Heimat. Das heißt, sie stellen einen

Asylantrag oder Antrag auf internationalen Schutz. In einem rechtsstaatlichen Verfahren wird überprüft, ob sie unter den Schutz des Asylrechtes fallen oder nicht. Trifft dies zu, wird aus einer/einem AsylwerberIn ein/e Asylberechtigte/r.

Asylberechtigte sind Personen, die Asyl erhalten haben. Sie sind somit Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flücht-lingskonvention und werden in ihrem Heimatland z. B. wegen ihrer Religion, Nationalität, politischen Überzeu-gung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt. Asylberechtigte bleiben dauerhaft in Österreich und sind ÖsterreicherInnen weitgehend (auch arbeitsrechtlich) gleichgestellt.

Quellen: http://www.politik-lexikon.at/asyl/ und www.integrationsfonds.at/publikationen/glossar/

Genfer Flüchtlingskonvention

Seit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 dürfen Personen, auf welche die Kriterien eines Flüchtlings zutreffen, nicht gegen ihren Willen in den Verfolgerstaat zurückgeschickt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde von den meisten Staaten der Welt unterzeichnet, in Österreich trat sie im Jahr 1955 in Kraft.

ZITAT

„Kein vertragschließender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in ein Gebiet ausweisen oder zurückweisen, wo sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.“ 3

Genfer Flüchtlingskonvention, Artikel 33, Abs. 1

Das UNHCR (United Nations High Commissio-ner for Refugees) ist zuständig für solche Men-schen, auf die die Beschreibung „Flüchtling“ zutrifft, wie sie im Abkommen von 1951 ent-halten ist. Angesichts von Massenfluchten ist aber gar nicht feststellbar, ob diese Merkmale – in jüngerer Zeit wird auch geschlechtspezifi-sche Verfolgung als Fluchtgrund anerkannt – für jeden einzelnen Flüchtling wirklich zu-treffen. So erweiterte sich allmählich der

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Aufgabenbereich des UN-Flüchtlingskommissars. Seine Bevollmächtigten sind, in Zusammen-arbeit mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Roten Kreuz, auch in den Brennpunkten von Massen fluchtbewegungen tätig, versuchen aktuelle Not in den Flüchtlingslagern zu lindern, kümmern sich um Weiterleitung und um Aufnahme der Heimatlosen.

4 Nuscheler 2004, S. 1075 vgl. www.unhcr.at

ZITAT

„Der Flüchtlingsbegriff ist also ein Sammel-begriff, der sehr unterschiedliche Typen von Flücht-lingen mit jeweils spezifischen Fluchtmotiven um-greift. Dem asylrechtlichen Flüchtlingsbegriff liegt dagegen ein Idealtypus des Flüchtlings mit ganz besonderen Eigenschaften, nicht der Realtypus heutiger Massenfluchtbewegungen zugrunde.“ 4

Franz Nuscheler

Auch wenn die Stellung von Flüchtlingen in der Genfer Flüchtlingskonvention definiert ist, ihre rechtliche Situation ist schwierig. Können Verfolgung und Bedrohung glaub-haft nachgewiesen werden, wird der Flücht-lingsstatus anerkannt und das Recht auf Asyl gewährt. Tendenziell werden die Voraus-setzungen für die Asylgewährung in Europa zunehmend eingeschränkt und schwieriger zu durchblicken.

UNHCR: Schutz für FlüchtlingeDas UNHCR ist das Flüchtlingskommissariat der Verein-ten Nationen. Derzeit bietet es Schutz und Unterstüt-zung für mehr als 20 Millionen Menschen, von denen etwa die Hälfte Flüchtlinge oder Asylsuchende sind. Das UNHCR wurde 1951 von der UN-Generalversammlung gegründet, um Millionen von europäischen Flüchtlingen in der Folge des Zweiten Weltkrieges zu helfen. Es setzt

sich auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention weltweit dafür ein, dass Menschen, die von Verfolgung bedroht sind, in anderen Staaten Asyl erhalten. Laut sei-nem Mandat hat das UNHCR auch die Aufgabe, dauer-hafte Lösungen für Flüchtlinge zu finden. Dazu gehören die freiwillige Rückkehr, die Integration im Aufnahme-land oder die Neuansiedlung in einem Drittland. 5

Fluchtursachen

Quelle: siehe Nuscheler: Internationale Migration, S. 109

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Zerstörung traditioneller Lebensformen

Verfehlte Entwicklungspolitik;

Misswirtschaft;

Wachsende Auslandsverschuldung;

ARMUT

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2.1.2. ökonomisch motivierte Migration – Arbeitsmigration

MexikanerInnen wandern auf der Suche nach Arbeit in die USA aus, chinesische Arbeitskräfte ziehen nach Russland, junge AfrikanerInnen aus den Sahelländern arbeiten auf Plantagen in den Küsten staaten. Heute findet man ArbeitsmigrantInnen über die ganze Welt verteilt. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen oder schlichtweg keine Chance auf einen Arbeitsplatz sind Auslöser, die Menschen zur Auswanderung in ein anderes Land bewegen. Dort erhoffen sie sich größere Chancen am Arbeitsmarkt und bessere Lebensumstände.

Arbeitsmigration ist kein neues Phänomen. Sie war und ist stets von Veränderungen in der Wirt-schaft geprägt: Im 18. und 19. Jahrhundert führten wachsende industrielle Zentren zu neuartigen Arbeitswanderungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen europäische Länder mit der Anwer-bung von „GastarbeiterInnen“ – so auch Österreich in den 1960er- und 1970er-Jahren (siehe Kapitel 2.2). Mit der zunehmenden Globalisierung wurde das Phänomen der Arbeitsmigration verstärkt.

„Globalisierung“ der Arbeit

Durch die Öffnung der Märkte und die globale Konkurrenz verlieren viele Menschen ihre Arbeit in ihren Herkunftsorten, BäuerInnen und ArbeiterInnen sehen sich gezwungen abzuwandern. Gleichzeitig entstehen neue Industriestädte und neue Arbeitsplätze: Großunternehmen verlagern ihre Produktionsstätten in „Billiglohnländer“ in der Dritten Welt, wo große Nachfrage nach güns-tigen Arbeitskräften entsteht. Auf diese Weise werden Migrationsschübe wie etwa in Südostasien ausgelöst: In Singapur haben rund 30 Prozent der Arbeitskräfte eine ausländische Staatsbürger-schaft. Vor allem junge Frauen aus Indonesien und von den Philippinen kommen zum Beispiel als Arbeiterinnen in der Textilindustrie zum Einsatz – oft unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen.

„Brain Drain“ Computerfachleute aus Indien gehen nach Österreich, österreichische WissenschaftlerInnen finden in den USA bessere Arbeitsbedingungen und Förderungen.

Der Begriff „Brain Drain“ (wörtl. „Abfließen von Verstand“) bezeichnet die Abwanderung hochqualifi-zierter Arbeitskräfte. Häufige Routen sind vom Osten oder Süden Europas in reichere EU-Länder oder von Europa in die Vereinigten Staaten. Hervorragende Wissen schaftlerInnen, SportlerInnen oder Wirtschafts-treibende sind auf den internationalen Arbeitsmärkten höchst willkommen, Aufenthalts- und Arbeitsberech-tigungen werden den hochqualifizierten MigrantIn-nen häufig gewährt. Aus Sicht des Ziel landes wird der Vorgang als „Brain Gain“ (wörtl. „Zugewinn von Verstand“) bezeichnet.

Die Globalisierung fördert auch die Migration der Eliten: Industrieländer, vor allem die USA, bieten herausragenden WissenschaftlerInnen Anreize zur Einwanderung. Stellenangebote für gut ausgebildete Fachleute sind international geworden, und weltweit herrscht ein Ringen um hoch-qualifizierte MigrantInnen. Der internationale Arbeitsmarkt stellt damit neue Anforderungen an die Arbeitskräfte: Bereitschaft zur Mobilität und ein hohes Maß an Flexibilität werden immer wichtigere Voraussetzungen für eine (internationale) Karriere.

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Zerstörung traditioneller Lebensformen

Umweltflucht Wassermangel und Wüstenbildung, Rodung der Regen-wälder sowie Folgen von Bergbau und Industrieansied-lungen vertreiben Millionen von Menschen aus ihren ursprünglichen Lebensräumen. „Umweltflüchtlinge“ werden aus ökologischen Gründen zur Abwanderung gezwungen. Häufig sind unangemessene Rohstoff-Ausbeutung und eine Überbeanspruchung natürlicher Ressourcen für die Umweltschäden verantwortlich.

Auch Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Wirbelstürme oder Erdbeben vertreiben Menschen aus ihren traditionellen Wohngebieten. Durch die Erwär-mung der Erdatmosphäre und das Steigen des Meeres-spiegels könnte es in Zukunft zu einem starken Anstieg von Umweltflucht kommen. Da es sich um ein relativ neues Phänomen handelt, lassen sich die Konsequen-zen von Umweltkrisen noch nicht absehen.

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2.2. Migration in österreich

österreich ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Einwanderungsland geworden. Dies geschah allerdings nicht freiwillig aus einer humanitären Grundhaltung heraus, sondern als Folge einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg und eines stabilen, demo­kratischen Systems. österreich war, und das zeigt auch ein kurzer Blick in die jüngere Vergangen­heit, sowohl Ein­ als auch Auswanderungsland und darüber hinaus des öfteren Durchzugsland für MigrantInnen bzw. Flüchtlinge.

Bis ins 19. Jahrhundert war das deutschsprachige Kernland der Habsburgermonarchie von unter-schiedlich motivierten Migrationsströmen bestimmt: die politisch und religiös motivierte Zwangsaussiedlung von ProtestantInnen, die wirtschaftlich bestimmte Saisonwanderung aus den Alpen- in die Agrargebiete des Alpenvorlandes und Ungarns und schließlich die Zuwande-rung politischer und wirtschaftlicher Eliten aus dem Ausland nach Wien. Zwischen 1900 und 1910 wurde die Habsburgermonarchie zu einem Auswanderungsland ersten Ranges. Allein aus dem Gebiet des heutigen Burgenlandes emigrierten 30.000 Personen in die USA. Ab dem Einmarsch Hitlers und dem Anschluss an Deutschland begann die Massenflucht bzw. -abwanderung von JüdInnen und anderen Menschen, die verfolgt wurden. Rund 125.000 österreichischen JüdInnen gelang die Flucht, ca. 45.000 wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Seit 1945 sind einige weitere quantitativ bedeutende Flüchtlingsbewegungen zu verzeichnen: Kurz nach Kriegsende gelangte eine Million Volksdeutsche aus Osteuropa nach Österreich (die Hälfte ließ sich auf Dauer nieder), 1956/57 wurden rund 180.000 Menschen aus Ungarn aufgenommen und der „Prager Frühling“ ließ 160.000 Menschen nach Österreich flüchten (al-lerdings stellten nur 12.000 Tschechen und Slowaken tatsächlich einen Asylantrag). 1981/82 kamen vorübergehend 120.000 Menschen aus Polen nach Österreich, als in ihrem Heimatland das Kriegsrecht ausgerufen wurde. Zwischen 1991–1996 gelangten viele Flüchtlinge und vertrie-bene Menschen aus der Balkan- und Kaukasusregion in Folge der Bürgerkriege beim Zerfall der alten staatlichen Ordnung (Jugoslawien, Sowjetunion) nach Österreich. Von 1992 bis 1995 kamen rund 90.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich. Und von März 1998 bis Mai 1999 flüchteten 795.000 Menschen aus dem Kosovo, davon 665.000 in die unmittel-baren Nachbarländer. Österreich nahm schließlich rund 5.000 Flüchtlinge auf.

Die Nachfrage nach Arbeitskräften in den entwickelten westeuropäischen Industriestaaten setz-te Anfang der 1960er Jahre ein. Ab diesem Zeitpunkt wurden gezielt MigrantInnen für den öster-reichischen Arbeitsmarkt angeworben. Österreich benötigte zusätzliche Arbeitskräfte für einen befristeten Zeitraum, die ArbeiterInnen wollten in kurzer Zeit möglichst viel Geld verdienen und sparen, um damit ihre Familien im Heimatland zu unterstützen. Gingen „GastarbeiterInnen“ und „Gastland“ ursprünglich von einer vorübergehenden Situation aus, wurde die Rückkehr der aus-ländischen Arbeitskräfte häufig verschoben. Schließlich ließen sich viele von ihnen dauerhaft in Österreich nieder und holten später ihre Familienangehörigen nach.

Vom Beginn der „Gastarbeit“ an lassen sich drei Zuwanderungsperioden unterscheiden, die im Folgenden mit den wichtigsten Fakten und Daten dargestellt werden sollen: 6

6 Die Einteilung der Zuwanderungsperioden stammt aus dem 2. Österreichischen Migrations- und Integrationsbericht: vgl. Fassmann (Hg.) 2007, S. 166 f. Die chronologische Darstellung der Ereignisse orientiert sich an dem Ausstellungskatalog „Gastarbajteri“: vgl. Hakan Gürses/Cornelia Kogoj/Sylvia Mattl (Hg.): Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration, S. 30–45

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2.2.1. Erste Migrationsperiode: Anwerbung der „Gastarbeiter“

Im Sommer des Jahres 1961 fanden erste Anwerbungen von sogenannten „FremdarbeiterIn-nen“ für die Bauwirtschaft statt. Dabei handelte es sich um etwa 1800 Personen, die zum Teil aus Italien stammten. Diese Art der Arbeitsmigration resultierte aus einer staatlich geregelten Anwerbungspolitik.

1961 gab es unter den 7.074.000 EinwohnerInnen Österreichs etwa 102.000 ausländische Staatsangehörige. Den größten Anteil stellten deutsche Staatsangehörige dar. 1962 nahm die Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte in der Bundes-wirtschaftskammer ihre Tätigkeit auf. Die gängige Bezeichnung für die ausländischen Arbeits-kräfte war zu dieser Zeit und in den folgenden Jahren „FremdarbeiterInnen“.

Das Anwerbeabkommen mit Spanien im selben Jahr zeigte keine Anwerbeerfolge. Nachdem 1964 das Anwerbeabkommen mit der Türkei vereinbart worden war, wurde die Anwerbestelle in Istanbul offiziell eröffnet. Das Anwerbeabkommen mit Jugoslawien mit der Gründung der Anwerbekommission in Belgrad folgte zwei Jahre später. Bis zum Jahr 1973 spielten die Anwerbe-stellen allerdings eine geringe Rolle – die meisten Arbeitskräfte reisten zunächst als TouristIn-nen nach Österreich. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis wurden im Nachhinein gewährt.

Ende der 1960er-Jahre kamen nicht nur ArbeitsmigrantInnen nach Österreich: Nach der Nieder-schlagung des Prager Frühlings 1968 befanden sich rund 160.000 tschechische und slowaki-sche Flüchtlinge in Österreich.

Die Bezeichnung „FremdarbeiterInnen“ wurde in der Öffentlichkeit zunehmend durch den Begriff „GastarbeiterInnen“ ersetzt. Die Arbei-terInnen-Kontingente des Jahres 1970 umfass-ten fast 100.000 Personen. Die Volkszählung ergab ein Jahr später, dass von den 7.492.000 EinwohnerInnen Österreichs etwa 212.000 ausländische Staatsangehörige waren. Jugos-lawische Staatsangehörige bildeten die größte Gruppe. 605.500 EinwohnerInnen waren nicht in Österreich geboren.

Um der beginnenden Fremdenfeindlichkeit gegen Gast-arbeiterInnen in der Zeit der ersten Ölkrise entgegen- zu wirken, wurden 1973 in Österreich – im Rahmen einer privaten Kampagne – Plakate produziert, die einen Bub in der Lederhose zeigen, der zu einem offenkundig südlän-dischen Menschen aufblickt. Das Plakat thematisiert den Umstand, dass auch „AltösterreicherInnen“ mit slawi-scher Herkunft aus der Zeit der Donaumonarchie ihre kürzlich zugewanderten MitbürgerInnen abwertend als „Tschuschen“ bezeichneten.

Für das Jahr 1974 wurden von den Sozialpartnern Kontingente von 162.789 Personen verein-bart. Der Integration der „GastarbeiterInnen“ in die österreichische Gesellschaft wurde – wie auch in anderen zentraleuropäischen Ländern – allerdings zu wenig Augenmerk geschenkt.

Quelle: I haaß Kolaric; Agentur LINTAS, im Auftrag der Aktion Mitmensch der Werbewirtschaft Österreichs, 1973 (Mit freundlicher Genehmigung der Initiative Minderheiten)

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2.2.2. Zweite Migrationsperiode: Anwerbestopp, Niederlassung, Familiennachzug

Im Jahr 1974 wurde die Wiedereinreise von ausländischen Arbeitskräften, die zwischenzeitlich ausgereist waren, eingeschränkt und die Toleranz für die Beschäftigung von „TouristInnen“ war zu Ende. Neue ArbeitnehmerInnen sollten nur mehr beschäftigt werden, wenn sie in ihrem Herkunftsland angeworben wurden. Zur gleichen Zeit begann der Familiennachzug. Aufgrund der guten Wirtschaftslage blieben viele „GastarbeiterInnen“ in Österreich. Auch die Arbeit-geberInnen wollten die mittlerweile angelernten Arbeitskräfte oft nicht wieder wegschicken.

Das „Ausländerbeschäftigungsgesetz“ bestimmte, dass ausländische ArbeitnehmerInnen nur so lange in Österreich bleiben sollten, wie sie gebraucht wurden. Bis 1978 wurden nach Angaben des türkischen Arbeitsamtes etwa 38.000 ArbeitnehmerInnen – vorwiegend Männer – nach Österreich vermittelt.

Die Bezeichnung „GastarbeiterInnen“ wurde in der Alltagssprache durch „AusländerInnen“ ersetzt.

1991 begann der Krieg in Jugoslawien. In diesem Jahr waren von 7.796.000 EinwohnerInnen Österreichs ca. 518.000 ausländische Staatsangehörige, von denen 301.000 berufstätig waren. Die größte Gruppe bildeten jugoslawische Staatsangehörige.

2.2.3. Dritte Migrationsperiode: Reglementierung der Zuwanderung

Die dritte Migrationsperiode ist durch eine deutliche Einschränkung der Zuwanderung und durch Veränderungen der Asylgesetze gekennzeichnet. Wie viele andere westeuropäische Staaten änderte auch Österreich den Kurs seiner Migrationspolitik und verschärfte die Asyl-gesetze, um die Zuwanderung stärker zu reglementieren.

1995 trat Österreich der EU bei. 1998 trat das Schengener Abkommen in Österreich in Kraft, ebenso das neue Fremdengesetz. Im Jahr 2001 waren von 8.033.000 EinwohnerInnen Öster-reichs etwa 711.000 ausländische Staatsangehörige. Die häufigste Staatsangehörigkeit war Serbien-Montenegro. Eine Million EinwohnerInnen war im Ausland geboren.

2002 beschloss die Regierung nach dem Motto „Integration vor Neuzuwanderung“ die „Inte-grationsvereinbarung“: Diese verlangte von ZuwanderInnen verpflichtende Kurse in Deutsch, Staatsbürgerkunde und „europäischen Werten“. Bei Nichterfüllung wurden zunächst Geld-strafen verhängt, nach vier Jahren bestand die Möglichkeit einer Abschiebung.

Das Fremdenrechtspaket 2005 wurde mit parlamentarischer Mehrheit beschlossen und hatte eine stärker reglementierte Zuwanderung zum Ziel. Am 1. April des Jahres 2009 trat eine Novellierung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes in Kraft. Diese sieht eine weitere Verschärfung vor.

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2.3. Migration und EU

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Europa ein Auswanderungskontinent. Zahlreiche EuropäerInnen verließen ihre Heimat in der Hoffnung auf eine bessere Lebens­ und Arbeits­situation – ein Großteil hatte die USA als Ziel. Das änderte sich nach 1945, dem Ende des Zwei­ten Weltkrieges: Aufgrund der politischen Stabilität und des wirtschaftlichen Aufschwungs kehrten sich in vielen europäischen Staaten die Migrationsströme um. Europa wurde zum Einwanderungsgebiet.

Migration in und nach EuropaQuelle: derStandard, „Es kommen die, denen man es nicht verbieten kann“; Printausgabe 22.3.2010

2.3.1. Migrations­ und Asylpolitik in der EU

Jährlich kommen bis zu eine Million ZuwanderInnen in die Europäische Union. Es gibt jedoch keine EU-weit einheitliche Einwanderungspolitik – ihre Gestaltung obliegt den einzelnen Mit-gliedstaaten.

EU-BürgerInnen können sich im ganzen EU-Raum niederlassen und sind auf dem Arbeitsmarkt den inländischen Arbeitskräften gleichgestellt. Übergangsregelungen gelten für die BürgerIn-nen der 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten (Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und Slowakei – mit Ausnahme von Malta und Zypern) in den meisten europäischen Staaten. 7

Die Mehrheit der ZuwanderInnen besteht aus ArbeitsmigrantInnen und ihren Familien-angehörigen. Im Gegensatz zu den damals sogenannten „GastarbeiterInnen“ der 1960er- und 1970er-Jahre handelt es sich bei den heutigen ArbeitsmigrantInnen um spezielle Gruppen, deren Arbeitskraft äußerst gefragt ist: z. B. hochqualifizierte Fachkräfte in den Bereichen der Wissenschaft und Technik, aber auch SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft.

7 Weiterführende Informationen zu den Übergangsregelungen unter: www.eu-info.de/arbeiten-europa/erweiterung/Uebergangsregelungen-EU

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K 2 | 118 Nuscheler 2004, S. 186

„Ihr solltet wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich.

Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal?

Wie kann ein Mensch illegal sein?“Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger und ehemaliger Auschwitz-Häftling

Während die Grenzen innerhalb der EU geöffnet wurden, verstärkte man die Absicherung der Außengrenzen. Wegen der strikten Überprüfung von Personen an Grenzen zu Staaten außer-halb der EU und der strengen Zugangsbestimmungen (Visum, Aufenthaltserlaubnis etc.) wird die EU oft als „Festung Europa“ bezeichnet.

Aus demografischen und ökonomischen Gründen strebt die EU eine kontrollierte Einwande-rung an. Aufgrund der verschärften Zuwanderungsbestimmungen in vielen EU-Ländern gibt es jedoch immer mehr Menschen, die auf rechtlich nicht erlaubtem Weg in EU-Staaten gelan-gen. Für Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland ist es schwierig, ihre Küstengebiete zu kontrollieren. Flüchtlinge kommen in Booten aus Afrika und Asien, gehen an Land und reisen in andere EU-Länder weiter. Professionelle Schlepperorganisationen bringen Menschen für hohe Geldsummen nach Europa und verdienen an deren Notlage.

Neue Ansätze zur Verhinderung ungewollter Zuwanderung konzentrieren sich weniger auf weitere Abgrenzung oder Überwachung, sondern auf die Vorsorge: Die Herausforderungen der Zukunft liegen in der Eindämmung der Ursachen von Flucht und irregulärer Migration. Die EU müsse ihre weltpolitische Rolle hier noch finden, meint Franz Nuscheler: „Ihre Zukunft liegt nicht hinter den Gräben und Mauern einer ,Festung Europa‘.“ 8

2.3.2. „Festung Europa“?

Auf der einen Seite braucht Europa ZuwanderInnen, auf der anderen Seite wird vor allem die illegale Zuwanderung von Staaten außerhalb der EU gefürchtet. Zum Symbol für die Abgren-zung Europas gegenüber diesen sogenannten „Drittstaaten“ ist das „Schengener Abkommen“ geworden.

1985 trafen sich PolitikerInnen aus Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten im kleinen Ort Schengen in Luxemburg, um die Grenzkontrollen zwischen den europäischen Ländern abzubauen und zugleich die Kontrollen entlang den Außengrenzen zu verstärken. Der schrittweise Abbau der Grenzkontrollen im Personenverkehr wurde beschlossen. 1995 fielen die Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen von Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten weg. Weitere Länder kamen hinzu: Österreich trat dem „Schengener Abkommen“ 1995 bei, die Grenzkontrollen wurden 1997 eingestellt.

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2.4. Medien und LinksFür SchülerInnen

Literatur

KONKRET. Flucht und Asyl. Nr. 4/2007Ein kompakter Überblick zum Thema Flucht und Asyl mit Arbeitsimpulsen für die Schule und Jugendgruppe. www.jugendrotkreuz.at/konkret

Wagner, Helmut (Hg.): Segmente. Wirtschafts- und sozialgeographische Themenhefte. Migration – Integration. Wien: Ed. Hölzel 2005In dem Heft werden globale Migrationsprozesse, die europäische Migrationspolitik und die Rolle Österreichs anschaulich und schülergerecht aufbereitet. Ergänzendes Lehrmaterial zum Unterricht im Fach Geografie und Wirtschaftskunde.

Welsh, Renate: … und raus bist du. Innsbruck/Wien: Obelisk Verlag 2008 Ein Roman zum Thema Migration für Kinder ab 12 Jahren, erzählt am Beispiel zweier Geschwister und ihrer Mutter, die aus einem vom Krieg zerstörten Land flüchten.

Medien

Online­Spiel der UNHCR: „Last Exit Flucht“www.lastexitflucht.org In diesem Spiel können Jugendliche (13–16 Jahre) den Weg eines jungen Menschen nachvollziehen, der vor der Unterdrückung in seinem Heimatland flüchten und in einem anderen Land neu anfangen muss.

persepolis. Animationsfilm. Frankreich 2007www.sonyclassics.com/persepolis Die erfolgreiche Verfilmung des autobiografischen Comicromans von Marjane Satrapi über ihr Leben im Iran während der Revolution und im Exil in Wien.

Links

Humanitäres Völkerrechtwww.hvr-entdecken.info Die Website zum humanitären Völkerrecht. In verständlicher Form aufbereitet, bietet sie SchülerInnen, StudentenInnen und LehrerInnen in vorwiegend deutscher Sprache zusätzliche Infos, Referats- und Rechercheunterlagen sowie FAQs, Links, Comics, Fachartikel und Buchtipps zur Vertiefung (u. a. zu den Themen Flucht und Asyl, Flüchtlinge im Krieg).

UNHCRwww.unhcr.atDie Website des UN-Flüchtlingshochkommissariats beinhaltet neben Informationen auch umfangreiche Unterrichtsmaterialien zum Thema.

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Für LehrerInnen

Literatur

Fassmann, Heinz (Hg.): 2. österreichischer Migrations­ und Integrationsbericht 2001–2006. Klagenfurt: Drava 2007 – Das Nachschlagewerk zum Thema Migration und Integration: Verschiedene ExpertInnen informieren umfassend und wissenschaftlich fundiert über rechtliche Rahmenbedingungen, demografische Entwick-lungen und sozioökonomische Strukturen.

Gürses, Hakan/Kogoj, Cornelia/Mattl, Sylvia (Hg.): Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration. Wien: Mandelbaum Verlag 2004 – Der Katalog zur Ausstellung „Gastarbajteri“ bietet weiterführende Informationen und Texte zu dieser besonderen Form der Migration im Nachkriegseuropa.

Hirsch, Helga: Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema. Hamburg: Edition Körber-Stiftung 2004 – Die Autorin thematisiert das Schicksal von Menschen der zweiten Generation von Vertriebenen und beschreibt deren Suche nach ihren Wurzeln und die Belastungen durch den Heimatverlust.

Milborn, Corinna: Gestürmte Festung Europa. Frankfurt: Fischer 2008 – Das Buch beleuchtet Brennpunkte der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik. Ein Zustandsbericht über Menschen am Rand der europäischen Gesellschaft.

Nuscheler, Franz: Internationale Migration. Flucht und Asyl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004 – Standardwerk zum Thema Migration, Flucht und Asyl.

Schumacher, Sebastian: Gesetzessammlung Fremdenrecht. Fremdenrechtspaket 2005; Gesetzessammlung zu Migration, Ausländerbeschäftigung, Asyl und Verwaltungsverfahren. Wien: Schumacher Eigenverlag – Pichler Medienvertrieb 2006 – Die Neuauflage des Ratgebers des Fremdenrechts-experten Sebastian Schumacher bringt Licht in den Dschungel des Fremdenrechts.

Treibel, Annette: Migration in modernen Gesellschaften. Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht. Weinheim/München: Juventa Verlag 2008 – Anhand exemplarischer Wanderungsereignisse untersucht die Autorin die individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Migration.

Links

Ausstellung „Gastarbajteri“ onlinewww.gastarbajteri.atAusstellung zur Geschichte der Arbeitsmigration in Österreich seit den 1960er-Jahren der Initiative Minderheiten und des Wien Museums.

österreichischer Integrationsfondswww.integrationsfonds.at

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Arbeitsmaterialien zu Kapitel 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

A) Hier will ich sein.Hinweise für LehrerInnen

Lernziele

Migration als weltweites Phänomen begreifen Über die Unterschiedlichkeit von Lebensbedingungen Bescheid wissen Soziale, politische und ökonomische Einflüsse auf das Leben Einzelner kennen Einflüsse von Migrationsbewegungen auf die eigene Familie kennen Die Begriffe Migration, Emigration, Immigration, Flucht und Asyl verstehen

Für Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund ist es meist selbstverständlich, da „zu Hause“ zu sein, wo sie leben. Dieses Zuhause endgültig zu verlassen – vielleicht sogar verlassen zu müssen – ist für sie unvorstellbar. Was Migration für den Einzelnen bedeutet, ist deshalb für nicht Betroffene nur schwer vermittelbar. Außerdem weckt die Erkenntnis, dass es möglich ist, keine Lebensgrundlage zu haben oder gar an Leben und Gesundheit bedroht zu sein, unter Umständen tiefe Ängste.

Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund fehlt dagegen oft das Empfinden, „daheim“ zu sein, selbstverständlich dahin zu gehören, wo sie sind. Abhängig von ihrer individuellen Geschichte sind sie vielleicht traumatisiert, wenig verwurzelt oder haben ein geringes Selbst-wertgefühl.

Die Entwicklung von Empathie, sozialem Verantwortungsbewusstsein und Respekt ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig – und manchmal schwierig. Sich in einen anderen Menschen einzufühlen gelingt umso leichter, je besser man seine Erfahrungen, Emotionen und Befind-lichkeiten nachvollziehen kann – was umso eher der Fall ist, je ähnlicher die zugrunde liegenden Erfahrungen sind. Gerade das ist aber hier nicht der Fall.

Die folgenden Materialien versuchen, diesen Prozess zu unterstützen.

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A1: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Ein platz zum LebenFür manche Menschen ist es das Selbstverständlichste auf der Welt, für manche Menschen ist es ein unerfüllter Wunschtraum: ein Zuhause.

Das ist mehr als ein Platz zum Schlafen, auch mehr als eine Adresse, an die Post zugestellt wird. Das ist etwas, wo man ganz sicher weiß: Da gehöre ich hin. Da will ich gerne sein. Das muss nicht unbedingt der Ort sein, an dem man geboren oder aufgewachsen ist. Es kann aber kein Ort sein, an dem man sich nicht sicher fühlen kann oder an dem es keine ausreichenden Lebensgrundlagen gibt.

Wer ein Zuhause hat, verreist vielleicht gerne – kommt aber auch gerne wieder zurück. Wer kein Zuhause hat, der sucht einen Platz, wo er sich eines schaffen kann.

Migration heißt Wanderung. Immer schon sind Menschen gewandert – auf der Suche nach einem guten Platz zum Leben.

Bei manchen Völkern war und ist das Wandern die eigentliche Lebensweise: Nomaden zum Beispiel gingen immer schon dorthin, wo ihr Vieh genug Wasser und Futter fand und sie selbst etwas zum Leben sowie einen möglichst sicheren Platz zum Lagern hatten. Dort schlugen sie ihre Zelte auf, bauten ganze Dörfer auf Zeit. Gab es für die Tiere nichts mehr zu fressen, zogen sie weiter. Ihr Zuhause war der Stamm bzw. die Sippe, unabhängig davon, wo sie gerade waren.

Auch wenn die Menschen sesshaft geworden sind – sie brauchen immer noch zumindest Wasser und Nahrung zum Leben und ein Dach über dem Kopf an einem Ort, an dem sie sich sicher fühlen. In vielen Ländern ist das für die überwiegende Mehrheit der Menschen erreicht: Es gibt sauberes Wasser, genügend Nahrungsmittel und sozialen Wohnbau, und die Staaten sorgen dafür, dass möglichst alle in Sicherheit sind. Wo das nicht so ist, gehen Menschen wieder auf Wanderung.

Es gibt aber auch viele, die ein schönes und sicheres Zuhause haben – und trotzdem lieber anderswo leben wollen. Beispielsweise kommen nicht nur viele nach Österreich, um hier zu leben – es gehen auch viele ÖsterreicherInnen in andere Länder, um eine Zeit lang oder auch für immer dort zu bleiben.

➔Kennst du so jemanden?➔Könntest du dir vorstellen, für immer anderswo zu leben?

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A2: Hinweise für LehrerInnen

Wer bin ich?Dauer:ca. 20 Minuten

Ziele: Auseinandersetzung mit und Aufbrechen von kulturellen und nationalspezifischen Stereotypen

Material und Vorbereitung: Post-Its Kugelschreiber

Ablauf:Die TeilnehmerInnen stellen sich im Kreis auf. Jede/r bekommt ein Post-It, auf das er/sie eine Nationalität seiner/ihrer Wahl schreibt, z. B. amerikanisch, ungarisch etc. Die TeilnehmerInnen kleben nun jeweils ihr Post-it dem-/derjenigen, der/die rechts von ihnen steht, auf den Rücken. Anschließend bewegen sich die MitspielerInnen frei im Raum und versuchen, ihre eigene Nationalität mittels Entscheidungsfragen (die Antwort muss „Ja“ oder „Nein“ lauten) an die anderen zu erraten. Wenn alle ihre eigene Nationalität herausgefunden haben, wird die Gruppe wieder zur Nachbesprechung zusammengebracht.

Mögliche Diskussionsfragen: Welche Nationalitäten hatten die TeilnehmerInnen? Welche Fragen hast du gestellt, um die eigene Nationalität in Erfahrung zu bringen (Fragen hinsichtlich Geografie, Sprache, Kultur ...)?

Welche dieser Fragekategorien haben sich als besonders hilfreich erwiesen? Was wird als typisch für gewisse Nationalitäten erachtet und warum? Sind diese Zuschreibungen berechtigt?

Woher kennst du vermeintlich typische nationale Eigenschaften – aus eigener Erfahrung, aus dem Fernsehen ...?

Worin bestehen positive und negative Funktionen von Verallgemeinerungen dieser Art?

(Quelle: „Wir sind Vielfalt! Methodenvorschläge für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen“, Österreichische Kinder und Jugendvertretung; in Anlehnung an „Who am I?“ aus dem irischen Methodenpaket von „alle anders – alle gleich“)

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A3: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 1Menschen sind keine Bäume. Deshalb können sie ...1.  selbst bestimmen, wo sie leben wollen und 2.  dorthin gehen, wo sie sein wollen.Und das lebenslang.

Sie tun das auch. Manche heiraten und ziehen in einen anderen Ort. Manche finden einen weit entfernten Arbeitsplatz und wollen dann auch in dessen Nähe wohnen. Manche sind ein-fach neugierig und wollen wissen, wie es anderswo ist. Ein paar Generationen später sind ihre Nachkommen dann oft der Meinung, dass die Familie „immer schon“ da war.

Wie ist das in deiner Familie? Haben deine Eltern, Großeltern und Urgroßeltern immer schon da gelebt, wo Sie jetzt daheim sind? Haben alle dieselbe Sprache gesprochen wie Du? Oder haben Sie vielleicht „Wurzeln“ ganz woanders? Sind vielleicht Teile deiner Familie in ein anderes Land gegangen und dort geblieben?

➔Werde zum/r FamilienforscherIn! Befrage deine Eltern, Großeltern, Onkeln, Tanten – oder wer immer dir Auskunft geben kann! Sammle alles, was du erfahren kannst – die folgende Tabelle unterstützt dich dabei:

Frage Befragte person/Antwort

Wo hast du als Kind gewohnt?

Wie lauten die Geburtsnamen* deiner Eltern?

Woher sind sie gekommen?

Welche Sprache/welchen Dialekt haben deine Großeltern gesprochen?

Sind deine Eltern oder Groß- eltern aus einem anderen Bundesland gekommen?

Sind deine Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land ein- gewandert? Woher? Warum?

Ist jemand aus deiner Familie anderswohin ausgewandert? Wohin? Warum?

Hast du schon einmal daran gedacht, anderswo zu leben?

* Familiennamen vor einer evtl. Namensänderung bei Heirat

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Übung A4: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 2Du kommst eines Tages von der Schule nach Hause und deine Eltern überraschen dich mit der Nachricht, dass alle für ein paar Jahre in einem anderen Land leben werden, weil deine Eltern dort eine interessante und sehr gut bezahlte Arbeitsstelle bekommen haben.

➔Was möchtest du über das Zielland wissen? ➔Wohin würdest du dir wünschen zu gehen?➔Wohin würdest du nur sehr ungern gehen?

Sammle die Informationen, die dich interessieren würden, über die folgenden Länder*:Deutschland, Polen, USA, Türkei, Serbien und Schweden. Nutze das Internet, je nach Interesse eventuell auch Sachbücher oder Reiseführer oder frage – wenn du die Möglichkeit dazu hast – Personen, die eines der Länder kennen.

*Wenn du dich für andere Länder interessierst, kannst du die Liste selbstverständlich erweitern oder verändern.

➔Stell dir vor, dass du keine Urlaubsreise planen, sondern in diesem Land leben sollst! Was macht den Unterschied? Was ist für TouristInnen wichtig – was für das Leben im Alltag?

Schritt 1Das möchte ich über die Länder wissen:

Frage 1:

Frage 2:

Frage 3:

Frage 4:

Frage 5:

Schritt 2Das habe ich erfahren über …

… Deutschland:

Zu Frage 1:

Zu Frage 2:

Zu Frage 3:

Zu Frage 4:

Zu Frage 5:

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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… polen:

Zu Frage 1:

Zu Frage 2:

Zu Frage 3:

Zu Frage 4:

Zu Frage 5:

Übung A4: Arbeitsblatt für SchülerInnen

… die USA:

Zu Frage 1:

Zu Frage 2:

Zu Frage 3:

Zu Frage 4:

Zu Frage 5:

… die Türkei:

Zu Frage 1:

Zu Frage 2:

Zu Frage 3:

Zu Frage 4:

Zu Frage 5:

… Serbien:

Zu Frage 1:

Zu Frage 2:

Zu Frage 3:

Zu Frage 4:

Zu Frage 5:

➔Vergleiche die Ergebnisse! ➔In welches dieser Länder würdest du am liebsten gehen?➔Begründe deine Entscheidung!➔Zu welcher Entscheidung sind andere gekommen und mit welcher Begründung?

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A5: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 3Damit Menschen ein gutes Leben haben können, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Du brauchst andere Menschen, mit denen du gerne zusammen bist, auf die du dich verlassen kannst, für die du da sein kannst und von denen du dich verstanden fühlst. Das sind soziale (= gesellschaftliche) Voraussetzungen.

2. Du brauchst eine Umgebung, in der du dich sicher fühlst, deine Lebens-bedingungen frei mitbestimmen kannst, deine Rechte und Pflichten klar geregelt und gewährleistet sind. Das sind politische Voraussetzungen.

3. Du brauchst die Möglichkeit, deinen Lebens- unterhalt ausreichend sicherzustellen, deine Kinder ausbilden zu lassen, sodass auch diese ihren Lebensunterhalt verdienen können, und die Sicherheit, dass du im Notfall Hilfe bekommst. Das sind ökonomische (= wirt schaftliche) Voraussetzungen.

➔Wodurch werden diese Voraussetzungen für dich erfüllt? Nenne drei Beispiele:

➔Wodurch können diese Lebensbedingungen gefährdet werden?➔Wodurch können sie verbessert werden?➔Wer ist für ihren Fortbestand verantwortlich?

1.

2.

3.

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A6: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 4Wenn von Menschen die Rede ist, die ihren Wohnsitz dauerhaft wechseln, kommt es oft zu Begriffsverwirrungen. Da ist die Rede von

Migration, Emigration, Immigration, Flucht und Asyl beziehungsweise von MigrantIn, EmigrantIn, ImmigrantIn, Flüchtling und AsylantIn.

Weißt Du, was die folgenden Begriffe bedeuten?

MIGRATION heißt Wanderung und bedeutet, dass einzelne Menschen oder ganze Gruppen ihr Lebensumfeld auf Dauer wechseln, dass sie von da, wo sie ursprünglich gelebt haben, fortgehen und sich anderswo ansiedeln. Der Begriff sagt nichts über die Gründe aus. Betroffene Personen sind MigrantInnen.

EMIGRATION heißt Auswanderung und bedeutet, dass jemand aus einem Land endgültig fortgeht. Auch dieser Begriff gibt keine Gründe an. Betroffene Personen sind EmigrantInnen. EmigrantIn ist man dort, von wo man weggeht.

IMMIGRATION heißt Einwanderung und bedeutet, dass Menschen endgültig in ein Land kommen und sich niederlassen. Der Begriff sagt nichts über die Gründe aus. Betroffene Personen sind ImmigrantInnen. ImmigrantIn ist man da, wo man hinkommt.

FLUCHT bedeutet, dass Menschen von da, wo sie bisher gelebt haben, fortmüs-sen, weil sie verfolgt oder bedroht werden oder weil in ihrer Heimat Krieg herrscht und es keine Lebensgrundlagen mehr gibt. Flucht ist dann die einzige Möglichkeit, das Leben zu retten. Der Begriff erklärt, warum jemand sein Lebensumfeld verlässt – aber nicht, warum er/sie verfolgt/bedroht wird. Betroffene Personen sind Flüchtlinge. Sie haben ein Recht auf Schutz, das in der Genfer Flüchtlingskonvention festge-schrieben ist.

ASyL ist ein Zufluchtsort, ein Ort, wo man Schutz findet und in Sicherheit ist. Asyl wird von einem Land gewährt, wenn Flüchtlinge, deren Sicher-

heit bedroht ist oder die oft sogar schreckliche Erfahrungen machen mussten, um Schutz bitten. Es bedeutet, dass solche Menschen im Land bleiben dürfen, wo sie vor ihren Verfolgern sicher sind.

ASyLWERBERINNEN Auch der Umgang mit Asyl werberInnen ist in der Genfer Flüchtlings-konvention festgelegt. Wenn sie Asyl bekommen haben (d. h., wenn sie bleiben dürfen), spricht man von anerkannten Flüchtlingen oder Asyl­berechtigten.

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung A6: Arbeitsblatt für SchülerInnen

➔Ordne bitte die folgenden Personen zu – zu welcher Gruppe gehören sie?

A) Herr M. hat in seiner Heimat etwas getan, was bei uns ganz selbstverständlich ist: Er hat in einem Leserbrief an eine Tageszeitung geschrieben, dass er bestimmte Maßnahmen der Regierung für falsch hält. Von diesem Moment an wurde er bedroht, er verlor seinen Job und wurde mehrmals aus heiterem Himmel zur Polizei vorgeladen und verhört. Dabei wurde er öfters verprügelt und man drohte ihm, dass seiner Frau und seinen Kindern etwas passieren würde, wenn er weiterhin Kritik üben sollte. Ein Nachbar berichtete der Polizei, Herr M. hätte über den Regierungschef geschimpft. Zum Glück erfuhr Herr M. rechtzeitig davon. Er konnte nur Dokumente und etwas Bargeld mitnehmen, als er mit seiner Familie überstürzt das Haus verließ – kurz bevor die Polizei ihn festnehmen konnte. Er ist überzeugt, dass weder er noch seine Familie das überlebt hätten – wie viele andere in seinem Land vor ihm.

Herr M. und seine Familie sind .

B)Frau D. kommt aus Österreich und hat Meeresbiologie studiert. Jetzt hat sie ein tolles Angebot bekommen: in Mexiko! Sie hat immer gewusst, dass sie ihren Beruf wahrscheinlich nicht in Österreich (grenzt nicht an ein Meer) ausüben wird, und freut sich über die Chance. Sie wird nach Mexiko übersiedeln, sich dort eine Wohnung oder ein Haus suchen, aber natürlich immer wieder auf Besuch in ihre alte Heimat kommen. Bestimmt werden sie ihre Eltern und Geschwister in Mexiko besuchen.

Frau D. ist .

C)Familie S. kommt aus einem Land, in dem es einen Bürgerkrieg gab. Der ist jetzt vorbei – aber die Seite, der die Familie angehört, hat ihn verloren. Die SiegerInnen gehen mit den VerliererInnen nicht zimperlich um, deshalb hat Familie S. das Land verlassen und bittet darum, hierbleiben zu dürfen. Sie fürchten um ihr Leben, wenn sie zurückgehen.

Die Mitglieder der Familie S. sind .

D)Herr G. stammt aus einem asiatischen Land. Er hat eine Österreicherin kennengelernt und sich in sie verliebt. Die beiden wollen heiraten und in Österreich leben. Herr G. hat einen Beruf, der in Österreich gesucht ist. Er hat auch schon einen Arbeitsplatz gefunden und eine Arbeits-erlaubnis bekommen. Sobald das möglich ist, möchte er die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Er will Österreicher werden.

Herr G. ist in Österreich ein .

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Arbeitsmaterialien zu Kapitel 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

B) Wo darf ich sein?Hinweise für LehrerInnen

Lernziele

Migration aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten Fakten über Migration innerhalb der EU kennen Zusammenhänge zwischen der demografischen Entwicklung von Gesellschaften und den Bedingungen von Migration erkennen

Migrationsbewegungen sind nicht nur aus der Perspektive der unmittelbar Betroffenen zu sehen, sondern auch aus jener der abgebenden oder aufnehmenden Gesellschaften. Deren Interessen bestimmen wesentlich die Bedingungen, unter denen insbesondere Emigration und Immigration stehen. So gibt es Länder, deren Wirtschaft wesentlich von den Zuwendungen ihrer EmigrantInnen abhängig ist, ohne die sie nicht funktionieren würde. Andere Länder wiederum sind auf Immigranten angewiesen, um ihren Bedarf an Arbeitskräften zu decken.

Der freie Personenverkehr innerhalb der EU schafft Unterschiede zwischen MigrantInnen: So kann es z.B. keine AsylwerberInnen aus EU-Staaten geben, weil diese alle als sichere Staaten gelten. „Illegale“ Einwanderung ist (abgesehen von einigen auslaufenden Übergangsbestim-mungen) nur von außerhalb der EU möglich.

Es sind im Wesentlichen Fragen der Menschlichkeit einerseits und der Wirtschaft andererseits, die den Umgang mit Migration bestimmen. Beides zu unterscheiden und dennoch entspre-chend zu beachten macht die Qualität dieses Umgangs aus.

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung B1: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 5Mach ein Gedankenspiel:

In einer Gemeinde soll ein Wohnhaus errichtet werden. Es steht eine bestimmte Summe für das nötige Grundstück und den Bau zur Verfügung – sie ist nicht erweiterbar.Es müssen – noch bevor die konkrete Planung beginnen kann – einige grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden:

Soll mit den Wohnungen in erster Linie Geld verdient oder Wohnraum geschaffen werden? Wie viele Wohnungen sollen entstehen? Sollen es teure Wohnungen für Wohlhabende sein oder günstige, die zum Beispiel für junge Familien leistbar sind?

Welche Zusatzeinrichtungen sollen eingeplant werden? (Spielplätze, Gemeinschaftsräume, …)

Sollen die Wohnungen verkauft oder vermietet werden? Sind Anzahl und Qualität der Wohnungen wichtiger als die Lage? Wer soll einziehen – Menschen, die schon in der Gemeinde leben, oder Zuwanderer?

Sobald das Haus steht, sind weitere Entscheidungen nötig. Wenn das Interesse größer ist als die Anzahl der Wohnungen, müssen z.B. folgende Fragen geklärt werden:

Nach welchen Kriterien werden die Wohnungen vergeben? ( junge Familien, Senioren, Alteingesessene, erwünschte/benötigte Berufe, besondere Bedürfnisse, ….)

Welche Auswirkungen auf das Zusammenleben im Haus und auf das Gemeindeleben sind zu erwarten? (Lärmentwicklung, Arbeitsplätze, Gewinn/Kosten für die Gemeinde, …)

Wer hat ein Mitspracherecht bei der Auswahl der zukünftigen BewohnerInnen? Was geht im Zweifelsfall vor: Interessen der Gemeinde oder das Wohlergehen der WohnungswerberInnen? Gibt es dafür immer gültige Grundsätze?

➔Sammelt Argumente! Diskutiert darüber! Bildet zwei Gruppen: 1. Vertreter der Gemeinde, die über die Vergabe der Wohnungen entscheiden 2. WohnungswerberInnen

➔Welche Argumente sind überzeugend, welche nicht? Für wen?

➔Betrachtet Überlegungen und Argumente – was davon ist auf Fragen der Migration übertragbar? Welche Lösungsvorschläge kennst du?

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Übung B2: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 6In jeder Gemeinschaft ist es so: Damit sie auf Dauer funktionieren kann und alle haben, was sie brauchen, müssen die dafür nötigen Aufgaben sinnvoll verteilt sein:

Es müssen die Lebensgrundlagen erwirtschaftet werden – jemand muss also arbeiten und Geld verdienen. Kinder müssen versorgt und ausgebildet werden, Kranke müssen behandelt und Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können, unterstützt werden. Jedes Mitglied der Gemeinschaft bekommt, wenn es alt geworden ist und nicht mehr so viel beitragen kann wie früher, Unterstützung von denen, die es früher großgezogen hat

Es ist ein ununterbrochenes Geben und Nehmen. Wer wann wem wie viel gibt und wer wann von wem wie viel bekommt – das wird immer wieder neu ausgehandelt. Darin besteht eine wichtige Aufgabe der Politik.

Weißt du, was du von der Gemeinschaft bekommst? Wer zahlt für die Schule, die du besuchst? Wer zahlt für den Arzt, das Spital oder die Medikamente, wenn du krank bist? Wer zahlt für die Straßen und die Straßenbeleuchtung?

➔Setze die Liste bitte fort: Was brauchst du im Alltag alles, wofür die Gemeinschaft (der Staat/die Gemeinde/die Sozialversicherung) aufkommt? Frage auch deine Eltern, was und wie viel sie für dich bekommen!

Tipp: Gehe gedanklich einen ganz normalen Tag oder eine Woche durch – dann fällt dir schnell auf, worum es geht! Ergänze die Liste auch mit nicht alltäglichen Situationen (z. B. Krankheit, Unfall etc).

Wofür? Das stellt die Gemeinschaft zur Verfügung:

Schulweg Straße, öffentliche Verkehrsmittel, …

Schule Gebäude, Bücher, …

Sport

Gesundheit

Infrastruktur*

* Darunter versteht man alles, was das Zusammenleben im Alltag organisiert – z. B. Müllentsorgung, Energieversorgung.

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung B3: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 6aDas Geben und Nehmen in einer Gemeinschaft kann nur dann funktionieren, wenn für alle Aufgaben jemand da ist, der sie übernimmt.

Damit du (weitgehend) kostenlose Schulbücher bekommst, muss jemand das Geld, das sie kosten, erarbeiten. Es muss also genug Menschen geben, die Arbeit haben – denn sie bezahlen mit ihren Steuern unter anderem auch deine Bücher (und alles, was du auf der vorigen Liste zusammengestellt hast).

Was passiert wohl in einer Familie, in der die Großeltern, die Eltern und die erwachsenen Kinder Geld verdienen und damit gemeinsam den Lebensunterhalt bestreiten, wenn die Großeltern alt oder krank werden und nicht mehr arbeiten können, ein Elternteil nach einem Unfall arbeitsunfähig wird, der zweite seine Arbeit verliert und einige der erwachsenen Kinder weg-ziehen? Richtig: Es gibt plötzlich viel weniger Geld, wahrscheinlich sogar zu wenig, damit das Leben so weitergehen kann wie bisher. Und wer noch ein Einkommen hat, muss auf einmal viel mehr davon mit den anderen teilen.

Dasselbe passiert in einem Staat: Wenn es

viele Menschen gibt, die nicht (mehr) arbeiten können, weil sie zu alt oder zu krank dazu sind und gleichzeitig nur

wenige, die ein Einkommen haben, weil es nicht genug Menschen im arbeitsfähigen Alter gibt oder weil sie keine gute Ausbildung und/oder keine Arbeit haben,

dann können viele Leistungen der Gemeinschaft nicht mehr erbracht werden, die vorher möglich waren.

Das große Plus KAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

Deshalb geht es Gesellschaften gut, wenn das Verhältnis zwischen Arbeitenden und nicht Arbeitenden ausgewogen ist. In Österreich werden immer weniger Kinder geboren. Es gibt deshalb immer weniger Arbeitende und immer mehr Menschen in Pension. Die „Statistik Austria“ hat das genau errechnet:

„Die Altersstruktur verschiebt sich deutlich hin zu den älteren Menschen. Stehen derzeit 23 % der Bevölkerung im Alter von 60 und mehr Jahren, so werden es mittelfristig (2020) rund 26 % sein, langfristig (ca. ab 2030) sogar mehr als 30 %.“

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Das schaut so aus:

Übung B3: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Die dickste Stelle dieser Darstellung sagt Dir, in welchem Alter die meisten Menschen sind, die Umrisse sagen dir, wann das war bzw. sein wird.

➔ Wo wird die dickste Stelle im Jahr 2030 sein? Wie alt werden die meisten Menschen dann sein? Wie alt wirst du selbst dann sein?

➔Diskutiere: Was bedeutet das für Österreich? Für die Menschen, die schon hier sind – und für jene, die kommen (wollen)? Was bedeutet es für dich und deine KollegInnen?

Quelle: Statistik Austria

80 70 60 50 40 30 20 10 0

Männer FrauenLebensjahre

0

0 10 20 30 40 50 60 70 80Personen in 1.000

10

20

30

40

50

60

70

80

90

2008

2030

2050

Bevölkerungspyramide 2008, 2030 und 2050 (mittlere Variante)

Das große PlusKAPITEL 2: Migration – Hintergründe und Entwicklungen

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Übung B4: Arbeitsblatt für SchülerInnen

Migration – Hintergründe und Entwicklungen 7Weil Menschen, die Arbeit haben, dafür sorgen, dass es allen gut geht, laden manche Staaten, die solche Menschen brauchen, sie zum Kommen ein.

Sie machen es ähnlich wie jemand, der klug einkaufen geht: Zuerst stellen sie fest, was bzw. wen sie brauchen (z. B. BauarbeiterInnen, Pflegepersonal oder TechnikerInnen), und dann sorgen sie dafür, dass sie genau das bzw. diese Personen bekommen. So ist allen geholfen: Die einen bekommen die benötigten ArbeitnehmerInnen, die anderen die Arbeit, die sie suchen.

ArbeitsmigrantInnen/MigrantInnen

Was haben Menschen, die Arbeit suchen, möglicherweise zu bieten? Unter welchen Bedingungen bzw. mit welchen Vorbereitungen würden sie wohl zum Arbeiten in ein fremdes Land gehen?

Was brauchen Menschen, die in ein fremdes Land kommen?

ArbeitgeberInnen

Wovon könnte es abhängen, wer gebraucht wird und eingeladen werden sollte? Was würdest du wohl anbieten, damit Menschen aus anderen Ländern bei dir arbeiten wollen?

➔Sammelt Antworten auf die obigen Fragen:

Relevante Aspekte sind z. B. Ausbildung, Sprachkenntnisse, berufliche Erfahrung, Wohnsituation, Einkommensverhältnisse, Familienverhältnisse, gesundheitsbezogene Bedürfnisse, Arbeitszeiten, Betriebsstrukturen, …)

Aus den gefundenen Möglichkeiten entwirft danach eine Gruppe (A) das Beispiel eines Migranten/einer Migrantin, der/die Arbeit sucht und eine zweite Gruppe (B) das eines Arbeitgebers/einer Arbeitgeberin, der/die MitarbeiterInnen sucht.

Präsentiere deine Ergebnisse. Stelle fest, worin Ihr übereinstimmt und worin Ihr unter-schiedlicher Meinung seid. Lege deine Argumente dar. Könnt Ihr eine Einigung finden?

Was kann nicht gelöst werden?