Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das...

76
eigentümlich frei Erinnerungen an Roland Baader Über Geld, Gold, Gottspieler – und einen Menschen Zukunft der FDP Die unterschätzte Bedeutung der Basis Erst erfasst, dann beraubt? Schusswaffenregistrierung nach EU-Richtlinie Die totgeschwiegene Revolte Forconi: Steuerzahler in Italien machen mobil Treibstoff wie geschmiert Klüngel und Korruption bei der E10-Einführung März 2012 15. Jg. Nr. 120 EUR 8,50 ISSN 1617-5336 www.ef-magazin.de Kino: Die vierte Macht Stil: Langsame Lektüre ef 120: Roland Baader. Erst Waffenregister, dann Raub? E10 und Korruption. Zukunft der FDP. Revolte in Italien. 4 195473 508507 2 0

Transcript of Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das...

Page 1: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

1ef März 2012

eigentümlich frei

Erinnerungen an Roland BaaderÜber Geld, Gold, Gottspieler – und einen Menschen

Zukunft der FDPDie unterschätzte Bedeutung der Basis

Erst erfasst, dann beraubt?Schusswaffenregistrierung nach EU-Richtlinie

Die totgeschwiegene RevolteForconi: Steuerzahler in Italien machen mobil

Treibstoff wie geschmiertKlüngel und Korruption bei der E10-Einführung

März 2012 15. Jg. Nr. 120EUR 8,50 ISSN 1617-5336www.ef-magazin.de

Kino: Die vierte Macht

Stil: Langsame Lektüre

ef 1

20:

Ro

lan

d B

aad

er.

Ers

t W

aff

en

reg

iste

r, d

an

n R

au

b?

E10

un

d K

orr

up

tio

n.

Zu

ku

nft

der

FD

P.

Revo

lte i

n I

tali

en

.

4 1 9 5 4 7 3 5 0 8 5 0 7

2 0

Page 2: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

2 eigentümlich frei Nr. 120

LICHTSCHLAGLICHTSCHLAGLICHTSCHLAGLICHTSCHLAGLICHTSCHLAG

David Schah: Ayn RandDieses Buch bietet einen anregenden

Einblick in den spannenden Lebens-lauf der Philosophin Ayn Rand. 180Seiten, 19,90 Euro.

Vorbote einer neuen Epoche

BUCHVERLAG

präsentiert:

Page 3: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

3ef März 2012

Editorialvon André F. Lichtschlag

Keiner in Deutschland hat mehr für dieIdeenwelt getan, der auch diese Zeit-schrift verpflichtet ist. Roland Baaderwar der wichtigste Freiheitsautor inDeutschland. Am 8. Januar ist er mit71 Jahren nach langer, schwerer Krank-heit verstorben. Zehntausenden,vielleicht Hunderttausend Menschen hater die Augen geöffnet, hat lange undunermüdlich vor der Wirtschafts- undFinanzkrise gewarnt, die gerade erstbegonnen hat. Nur wenigen seiner oftbegeisterten Leser war es vergönnt,Roland Baader auch persönlich kennen-zulernen. Die, die wie ich dieses Glückhatten, waren sich immer einig in ihremUrteil, dass man diesen bescheidenen,nachdenklichen und doch lebensfrohenMenschen nur lieben kann. Wer vomAutor Baader spricht, kann vom Men-schen Roland gar nicht schweigen.

Er war von Beginn an ein beson-derer Freund und Förderer dieser Zeit-schrift. Keinen Hinweis über die vielen,oft verschlungenen Wege zu ef habenwir häufiger gehört als: „Ich bin durchRoland Baaders Bücher auf Sie auf-merksam geworden.“ Bereits in der al-lerersten Ausgabe im Frühjahr 1998wies unser späterer Redaktionsbeiratdarauf hin, wie wichtig eine christlich-konservative Erdung für libertäre Frei-heitsträume ist. Auch für die weitereEntwicklung dieser seiner Lieblingszeit-schrift erwies sich Roland Baader da-mit als „Prophet“.

Mit der vor Ihnen liegenden Aus-gabe nehmen wir Abschied von einemTitanen. Nervös wie zuletzt 120 Heftezuvor ist mir bewusst, dass wir RolandBaader doch allenfalls im Ansatz gerechtwerden können. Schauen wir auf dieStationen seines Lebens: Zunächst dieKindheit in Kirrlach und Westfalen, dieJugend und das Studium bei FriedrichAugust von Hayek in Freiburg. Rolandgilt als verwegener „Draufgänger“. Inden 60er Jahren, die seine 20er sind, lernter seine Frau kennen und wechselt inden elterlichen Betrieb, den er späterübernimmt. Drei Kinder ziehen Uta

und Roland groß. Ende der 80er mussdas Unternehmen abgewickelt werden.Roland kann sich nun ganz seiner schrift-stellerischen Passion widmen. Dannwird Uta schwer krank. Kurz nach demTod der über alles geliebten Ehefrauergreift der Krebs auch ihn. Er schreibtin den letzten 13, zeitweise von Schmer-zen und Chemotherapien geprägten,Jahren noch zehn Bücher und unzähli-ge Aufsätze. Aus dem wilden Jimmyund später dem von Uta kultiviertenUnternehmer war am Ende der „Re-voluzzer in Hosenträgern“ geworden,der schwer kranke und doch immer hei-tere Sultan des Swings von Kirrlach.

Möglich wurde dieses Heft durchdie Unterstützung von vielen Verwand-ten und Freunden. Insbesondere seineKinder halfen auch in Details. So erin-nerte sich Sohn Rio an den Lieblings-film seines Vaters, den wir für die Kri-tik auswählten. Und selbst die letzte Seitedieses Heftes haben wir einem Ab-schiedsgruß von Roland Baader zu ver-danken, der seinem Sohn Daniel mit aufden Weg gab, „André Lichtschlag vor-zuschlagen, doch einmal die hübscheKolumnistin des ‚Schweizer Monats’um Antworten für den ef-Fragebogenzu bitten“.

Aufgrund des außerordentlichenSchwerpunkts fallen in diesem Monateinige Kolumnen aus. Dafür bitte ichauch jene Leser um Verständnis, die aufden ersten Blick wenig mit Roland Baa-der anfangen können. Ich hoffe, dasswir gerade sie mit dem tieferen Einblickin ein ungewöhnliches Menschenlebenneugierig machen können.

Am Ende bleibt uns allen BaadersSchaffen, vor allem die Bücher imResch-Verlag. Viele Autoren verweisenauf Baaders Spätwerk, insbesondereauf die Titel „Geld, Gold und Gott-spieler“ sowie „Geldsozialismus“. Be-reist 1987 hatte Baader die Leser seinesheute längst vergriffenen Erstlingswerks„Anlage 2000“ auf die Bedeutung vonHayeks Idee der „Entnationalisierungdes Geldes“ hingewiesen und geraten,„wo immer es möglich ist zur Verbrei-tung und politischen Durchsetzung die-ser Idee beizutragen. Eine bessere oderauch nur andere zum Erhalt unserer frei-heitlichen Ordnung kenne ich nicht.“

Diese frühe Erkenntnis nahm in denletzten Jahren seines Lebens einenimmer größeren Stellenwert ein. Einerseiner letzten Aphorismen lautete: „Dasgrößte Unglück in der Menschheitsge-schichte? Das Staatsmonopol für dasGeldangebot. Alle anderen Desastersind Folgen davon.“

In ef Nr. 2 beantwortete ich vor14 Jahren einmal selbst den hauseige-nen Fragebogen und nannte meinenLieblingsautor: Roland Baader. Er ist esbis heute geblieben. Deshalb sei mir dieAnmerkung erlaubt: Wer einen breiteraufgestellten, optimistischeren, humor-vollen Roland Baader lesen möchte,dem seien seine frühen Bücher empfoh-len: „Kreide für den Wolf“ und „Fau-ler Zauber“ schrieb Roland in einem an-deren Haus, einer anderen Bibliothek,gesund, zu einer Zeit, als seine Frau Utanoch lebte. Man spürt das.

Deutlich „schwerer“ klingt sein letz-tes Interview, das wir ebenfalls in die-sem Heft exklusiv publizieren dürfen,weil der eigentliche Auftraggeber „die-se Apokalypse“ lieber nicht druckenwollte. Im Internet sind noch zwei ganzbesondere Fundstücke aufgetaucht; einälteres sechsteiliges Radiointerview –„Streiflichter des Lebens“ – sowie aufYoutube ein neueres Video mit demvon Krankheit schon schwer gezeich-neten Roland Baader unter dem Titel„Schlussendlich werden sie alle fallen“.Und schließlich: Wir selbst arbeiten mitHochdruck an einer erweiterten Neu-auflage des Aphorismenbandes „Frei-heitsfunken“, das auch ein kurz vor sei-nem Tod eigens vom Autor selbst zu-sammengestelltes Gesamtwerkverzeich-nis enthalten soll. Mehr hierzu hoffentlichbereits in der nächsten Ausgabe.

Bis dahin, Sie wissen schon ...

R.I.P.: Roland Baader (1940-2012)

Page 4: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

4 eigentümlich frei Nr. 120

EFFefF I ef-AKTUELL3 Editorial

André F. Lichtschlag

4 Inhalt

6 Das ef-Tagebuch: ÜbergeschnapptAndré F. Lichtschlag

7 Vorbörse: Das erste Opfer im Krieg ist die WahrheitKarikatur von Götz Wiedenroth

8 Make love not law: Roland Baader und die SpracheCarlos A. Gebauer

10 Sonderkorrespondenz: DeutschlandBriefBruno Bandulet

12 Konkret: KorrekturRedaktion ef

13 Forconi: Die totgeschwiegene RevolteJörg Janssen

16 Zukunft des politischen Liberalismus: Die Basis ist allesGérard Bökenkamp

18 Das Beispiel der E10-Einführung: Treibstoff wie geschmiertHenning Lindhoff

22 Aus dem Bundestag: Christen und LiberaleFrank Schäffler

22 Impressum

TIef I ef-SCHWERPUNKT23 ef-Schwerpunkt, Heft 120: Roland Baader

Redaktion ef

24 Roland Baader und die Wissenschaft: Die Poesie des SchwertsRobert Nef

27 „Übersetzer“ Baader: Der liberale LutherGerd Habermann

28 Roland Baaders Glaube: Die Botschaft Jesu als Weg zur FreiheitIngo Resch

32 Der Humor von Roland Baader: Pointe auf UmwegenRio Baader

36 Roland Baader und das Gold: Materialisierte FreiheitPeter Boehringer

38 Roland und die russische Realität: Geldsozialismus im PraxistestChristopher Beyer

42 Rotwein mit Roland: Lacht kaputt, was euch kaputt machtHans-Hermann Hoppe

Inhalt

Schwerpunkt

Roland Baader

Baaders Freund: Redaktionsbeirat

Gerard Radnitzky (1921-2006)

Page 5: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

5ef März 2012

efFEKT I ef-DISKUSSION67 Veranstaltungen

67 Leserbriefe

LESefREUDE I ef-BÜCHERSCHAU69 Sackgasse Sozialstaat

Rezension von Luis Pazos

69 Frauenquoten – QuotenfrauenRezension von Andreas Tögel

69 Der Euro plündert DeutschlandRezension von Luis Pazos

70 Jesus war kein VegetarierRezension von Luis Pazos

70 Geld, Gold und GottspielerRezension von Andreas Tögel

Cover-Fotos (2 mal Baader): Privat

Cover-Abbildung (ef 61) links: ef

5

43 Roland Baader und die Schweiz: Der Zufall führte uns zusammenJohannes Müller

44 Lehrer Baader: Einer, der junge Menschen begeisterteGregor Hochreiter

48 Baader, der Verhandlungspartner: Wertvollster FreundFredo Lange

49 Aus dem Nähkästchen: Mäxchen und die MühleGabriele Baader-Hoffmann

56 Baader, Kumpel aus Kirrlach: Revoluzzer mit HosenträgernJürgen Dicker

57 Roland, der Kirrlacher Kneipengast: Sultan des SwingsAnita Strakl

58 Baader, der Familienunternehmer: Eine InstitutionSiegfried Baader

59 Letzte Worte: Frieden und persönliche FreiheitInterview mit Roland Baader

TRefFER I ef-MEDIENKRITIK63 Aus der Welt von Werbung und Medien: Aufgeschnappt

Richard P. Statler

RELIef I ef-KULTUR64 Die vierte Macht: Panzer, Politik und Prekäres in Moskau

Ulrich Wille

66 Schusswaffenregistrierung: Erst erfasst, dann beraubt?Andreas Tögel

CHefSACHE I ef-LIFESTYLE71 Joschka und Herr Fischer: Frieden

Martin Lichtmesz

71 White Nights: FreiheitUlrich Wille

72 Bürgerliches Leben: Lob des LehnsesselsBenno Ohm

73 Eilige Falschmeldungen: Aus dem ef-TickerPierre Durbance

73 Christlich fundiert: Die Narzissmus-FallePeter Ruch

74 Fragebogen: Bio-Lachs in Uggs auf der Wall StreetXenia Tchoumitcheva

Page 6: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

6 eigentümlich frei Nr. 120

Das ef-Tagebuch

ÜbergeschnapptDer monatliche Überblick

von André F. Lichtschlag

Böser Wulff

Berlin, 19.01.2012: Die Abwahlkampagne der Mediengegen Bundespräsident Christian Wulff geht in die sechsteWoche. Immer noch verweigert dieser den von nahezu al-len Journalisten geforderten Rücktritt.

Lichtschlag: Die herrschenden Klassen der Welt amü-sieren sich gerade fürstlich über Deutschland. In diesen Krei-sen lachen bereits jene, die Milliarden erbeuteten, über diekleineren Strolche, die nur Millionen aus den Ämtern mit-nahmen. Man schaue sich um in Paris, Peking, Rom, Mos-kau, Washington, von der Dritten Welt ganz zu schweigen.Und nun mokieren sich deutsche Journalisten über einenBundespräsi, der sich ein Handy spendieren lässt. Oder derein paar Cent Zinsen mit einem privaten Kredit für ein Haussparen will, das andere Staatsoberhäupter nicht einmal alsPension für ihre Maitressen „geschenkt“ nehmen würden.

Prophet Diekmann

Berlin, 20.01.2012: „Bild“-Chef Kai Diekmann vergießtKrokodilstränen darüber, wie „unser Staat“ vom Präsiden-ten „nachhaltig beschädigt“ wird.

Lichtschlag: Diekmann hatte kunstfertig-genüsslich dieWeihnachtstage und den Jahreswechsel abgewartet, und erstdann gelangte der berüchtigte Wulff-Anruf auf seinemHandy „wie durch ein Wunder“ in die Redaktionsstubenvon Kollegen. Niederträchtig unter normalen Menschen. VonDiekmann aber hat niemand auch nur etwas anderes er-wartet. Journalisten stehen nicht ganz ohne Grund auf dernach unten offenen Beliebtheitsskala weit abgeschlagen hin-ter den Gebrauchtwagenverkäufern und selbst noch unterden von ihnen hochgeschriebenen oder niedergemachtenPolitikern. Der Treppenwitz unter der Empore von SchlossBellevue ist, dass Vorgänger Host Köhler ging, weil „diePresse den nötigen Respekt gegenüber ihm und dem Amtvermissen ließ“. Keiner hat das damals verstanden. Ist Köhleram Ende einfach ein Komiker mit Hellseherfähigkeiten?

Luzifer Orban

Budapest, 21.01.2012: Von den deutschen Medien weit-gehend totgeschwiegen, demonstrieren eine halbe MillionUngarn in der Hauptstadt für ihren Regierungschef ViktorOrban und gegen die Einmischung der EU und westlicherMedien in die inneren Angelegenheiten des Landes.

Lichtschlag: Es ist vermutlich die erste Großdemons-tration in der Geschichte Europas, die sich im Kern nicht

für oder gegen eine bestimmt Politik, sondern gegen dieLügen der Medien richtet. „No Media Lies!“. Und: „Schlussmit den Medienlügen!“ So lauten immer wieder die Parolenauf Laken und Pappkartons in Budapest – geschrieben auchund gerade in englischer und deutscher Sprache. Seit Mo-naten waren Orban und seine Regierung die Hassobjekteder Medien. Demonstrationen von ein paar Hundert Men-schen gegen ihn landeten stets in der Tagesschau, die größteKundgebung des Landes nach dem Fall des Kommunis-mus aber wird systematisch totgeschwiegen. 400.000 Demo-Teilnehmer im kleinen Ungarn, hochgerechnet auf die deut-sche Bevölkerungszahl wären das hierzulande 3,2 MillionenDemonstranten. Da wird selbst der Aufstand der Anstän-digen neidisch. Wie schnell kann bei solchen Zahlen einKartell aus Politik und Medien kippen? Der Aufruhr gegendie Macht der linken Mainstreammedien wäre nicht die ers-te europäische Revolution, die von Ungarn ausgeht.

Wahrsager aus Deutschland

Paris, 23.01.2012: Wer in Frankreich den Völkermordder Türken an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhun-derts anzweifelt, landet zukünftig aufgrund unbotmäßigerGeschichtsauffassung für ein Jahr im Gefängnis.

Lichtschlag: „Vorbild“ sind die Gesetze gegen „Holo-caustleugnung“ in Deutschland. In einigen osteuropäischenStaaten ist jüngst die Infragestellung kommunistischer Ver-brechen unter Strafe gestellt worden. Die Dominosteinefallen. Und mit ihnen das Recht auf Irrtum, auf freie Mei-nungsäußerung und ungehinderte Geschichtsforschung. Eswaren mal wieder deutsche Politiker und Juristen, die denAnfang machten.

Heiliges Klima

Hamburg, 10.02.2012: Im „Spiegel“ und anderen Leit-medien wird erstmals der „teure Kult um die Solarenergie“scharf kritisiert und kurz darauf die These von der men-schengemachten Erderwärmung, Grundlage der noch mil-liardenschwereren Weltklimapolitik, infragegestellt. Perest-roika und Glasnost im Anbeginn des Ökototalitarismus?

Lichtschlag: Erst wenn die letzte Glühbirne verloschenist, stirbt die Hoffnung auf Vernunft.

Sündenbock Sauerland

Duisburg, 12.02.2012: Nach mehr als einem Jahr inten-siver Medienkampagne wird Duisburgs Oberbürgermeis-

Page 7: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

7ef März 2012

Vorbörse

Das erste Opfer im Krieg ist die WahrheitAktuelle Karikatur

von Götz Wiedenroth

ter Adolf Sauerland per Volksabstimmung abgewählt, nach-dem die rot-grüne Minderheitsregierung im Land eigensdafür ein Gesetz geschaffen hatte.

Lichtschlag: Ein Sündenbock für die Katastrophe beider Love Parade wurde gesucht, gefunden und nunauftragsgemäß abgeschossen. Dabei war es nicht AdolfSauerland, der mit Drogen vollgepumpt in einer Horde vonMenschen johlend immer weiter gegen die Absperrungdrängte und damit die Opfer in den ersten Reihen zer-quetschte und tottrampeln ließ. Das waren andere. Überdie keiner spricht. Egal, der „Spiegel“ zum Beispiel ist’s zu-frieden: „Duisburg wählt sich frei!“ Ach ja: Einer der ers-ten, die im Rudel der Medien gegen Sündenbock Sauerlandaufheulten, war der damals frisch gewählte Bundespräsi-dent Christian Wulff. „Ganz unabhängig von konkreter per-sönlicher Schuld“ legte der Präsident des Landes dem ers-ten Bürger der Stadt den Rücktritt nahe.

Hexe Mahler

Köln, 13.02.2012: Ein Ausschuss des Kölner Stadtratsverurteilt die Hexenprozesse der Stadt vor 400 Jahren. Ein-stimmig regt man eine offizielle Erklärung des Stadtrats an,in der sich dieser vom Unrecht der Hexenverfolgung im15. und 16. Jahrhundert nachträglich distanzieren soll. InDeutschland haben bereits 13 Kommunen die Opfer vonHexenprozessen „rehabilitiert“.

Lichtschlag: Die Ketzer vergangener Zeiten sind dieHeiligen von morgen. Wahrscheinlich wird eines Tages HorstMahler von Stadträten und Ausschüssen rehabilitiert. Wennes schlechter läuft, womöglich auch dessen großes Vorbild.

Clowns in der CDU

Berlin, 14.02.2012: Eine Gruppe jüngerer CDU-Bun-destagsabgeordneter plant eine Strafsteuer für Kinderlose.

Lichtschlag: Sie hätten auch einen Steuernachlass fürFamilien mit Kindern fordern können. Dass sie dies nichttun, zeigt, um wen und was sie sich wirklich sorgen.

Feuerteufel in Athen

Athen, 15.02.2012: Seit drei Nächten brennt die Haupt-stadt Griechenlands. Der Grund: Ihr Staat muss alleine indiesem Jahr nach EU-Vorgaben 3,3 Milliarden Euro durchHaushaltskürzungen einsparen.

Lichtschlag: Und zwar, um mit vor allem deutschenSteuergeldern alleine am 20. März eine griechische Staatsan-leihe in Höhe von 14 Milliarden Euro zurückzahlen zu kön-nen. Bis zum 14. März soll ein neues EU-Hilfsprogramm inHöhe von insgesamt 130 Milliarden Euro an Griechenlandfreigegeben werden. Könnte es also sein, dass die 3,3 Milli-arden Euro Haushaltskürzungen, die nun fast zum Bürger-krieg führen, nicht mehr als der traurige Benzintropfen aufdem akropolisgroßen, brennend heißen Pflasterstein sind?

Page 8: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

8 eigentümlich frei Nr. 120

Make love not law

Roland Baader und die SpracheFreiheit oder Marketing?

von Carlos A. Gebauer

Der Autor, Jg. 1964, ist Rechtsanwalt in Duisburg. Seine Homepage: www.make-love-not-law.com. An dieser Stelle schreibt Carlos A. Gebauer jeden Monat überLiebe und Gesetze.Foto (Bücher) von Kristof Berking

Das erste Buch, das ich von RolandBaader las, fiel mir 2003 ungeplant indie Hände. Michael Wey von der Ärz-teinitiative „Frischer Wind“ hatte esgekauft und nach Berlin geschickt, woer sich für sein Projekt eines freiheitli-chen Gesundheitswesens Unterstüt-zung von der Stiftung Liberales Netz-werk erhoffte. Von dort war es – un-gelesen und originalverschweißt – zumir weitergeleitet worden, da ich, soder Begleitzettel, doch tief im Gesund-heitsthema steckte.

Originalverschweißt legte ich es inmeinem Büro, wie stets ordentlich ein-gereiht, zu anderen Unterlagen auf denBoden, dorthin, wo üblicherweiseUnerledigtes ohne Dringlichkeitsstatuswarten muss, wenn Vorrangiges aufSchreibtisch oder Fensterbank zurschnelleren Bearbeitung mahnt. Wo-chen, wenn nicht Monate, gingen soins Land. Erste Andeutungen einerStaubschicht legten sich schon auf dieFolie, als ich endlich eine Gelegenheitnahm, das Buch zu ergreifen und dieHülle zu öffnen. Die seit Wochenschlechtgelaunt aus dem Buchdeckelvom Boden zu mir aufblickendenMenschen hatten mich bei einigenAnläufen mehrfach veranlasst, zuerstnoch Anderweitiges zu betrachten.Nun aber war es schließlich soweit.Ich begann die Lektüre.

In der Einführung las ich, dass beider heute erwachsenen Generation inwirtschafts- und gesellschaftspoliti-schen Fragen „Hopfen und Malz ver-loren“ seien und das erste Kapitel hoban mit der These, niemand sage dieWahrheit. Es dauerte mindestens drei-ßig Seiten weiteren Lesens, bis ich denGedanken verwarf, die Lektüre jener

finsteren Einsichten vielleicht dochwieder einstellen zu sollen. Spätestensaber als ich den Abschnitt über dieKinderarbeit erreicht hatte, wusste ich:Hier wird mir offenbar tatsächlich einganz neuer Horizont eröffnet. Dennwoher wusste dieser Roland Baader,was in meinen Schulbüchern zu die-sem Thema gestanden hatte? Sollte amEnde auch ich Adressat ideologischerBearbeitung geworden sein, ohne esbemerkt zu haben?

An meinen Randnotizen in demBüchlein kann ich bis heute erkennen,wie mich die Aneinanderreihung vonFakten und der ArgumentationsgangBaaders beeindruckten. Am Ende warklar: Es mussten mehr Bücher diesesAutors her! Ich bestellte eins nach demanderen und las und las und las. DerGewinn war natürlich beträchtlich. Wieungezählten Lesern zuvor wurde erauch mir in vielerlei Hinsicht jener„Augenöffner“, als der er immerwieder beschrieben wird. Über seineVerweise und Zitate fand ich zur Ös-terreichischen Schule der Nationalö-konomie, zu Mises und Hayek, zuRothbard, Hoppe, Habermann undHülsmann – und natürlich auch zuAndré Lichtschlag. In wenigen Mona-ten änderte sich mein Bildinsbesondere von der Wirtschaft. Dietypische (und auch akademischdurchaus anerzogene) Überheblichkeitder Juristen und Philosophen gegen dieWirtschaftswissenschaften wich zügigdem Respekt vor dieser Disziplin,zumal sie offenbar durchaus intellek-tueller und weitgreifender verstandenwerden konnte als uns dies an derUniversität von keynesianischen Ne-benfachlehrern mit ihren notorischen

Kurvenzeichnereien suggeriert wordenwar.

Nachdem ich Baaders 2002erWerk „Totgedacht“ durchgearbeitethatte, nahm ich im April 2004 persön-lich Kontakt zu ihm auf. In den dar-auffolgenden Monaten versorgten wiruns wechselseitig mit diversen Hinwei-sen auf dieses und jenes Lesens- undWissenswerte. Im Dezember schrieber mir anlässlich eines Weihnachtsgru-ßes sehr Freundliches über meine Texteund endete mit der Hoffnung, dassimmer mehr Menschen so liberalschrieben, „dann wäre der Kampf fürdie Freiheit nicht ganz so aussichtslos“.

Indem ich nun in diesen Tagen,anlässlich seines Todes, die seinerzeiti-ge Korrespondenz wieder zur Handnahm, wurde mir klar, dass eines un-serer anschließend häufigsten Ge-sprächsthemen damit schon feststand:Die Frage nämlich, wie der aufkläre-rische Streit für die individuelle Frei-heit und für mehr Respekt des Staatesvor dem Einzelnen rhetorisch beschaf-fen sein muss, um der machtvoll ob-waltenden Propaganda mit Aussichtauf Erfolg entgegengehalten werdenzu können.

Es ist für Baader-Kenner keinGeheimnis, dass er immer wieder be-tonte, der Kampf gegen Leviathan seinicht zu gewinnen. Zu mächtig erschie-nen in seiner Darstellung die organi-sierten Kräfte der staatlichen Durch-setzungsinteressen. Die wahren undkonsequenten Freunde der Freiheitwähnte er dort in aussichtsloser Un-terzahl. Das Gehirnwäschepotentialder staatlichen Medien und die Indok-trinationen ab frühester Schulkinder-zeit stimmten ihn hoffungslos. Und

Page 9: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

9ef März 2012

weil er die all dies rücksichtslos be-treibende Politik als rundweg unmo-ralisch erkannte, schrie er bisweilenimmer wieder mit bulliger Wucht undin robustesten Tönen gegen jenes Trei-ben an.

Bei aller Skepsis im Hinblick aufden möglichen eigenen Erfolg und beialler Empörung über das ruchloseVorgehen der Staatsgläubigen dürfeaber, so hielt ich ihm entgegen, derReiz zur Beschäftigung mit der Frei-heit nicht auf der Strecke bleiben.Genau diese Gefahr sah (und sehe) ichaber immer, wenn das publizistischeEintreten für das Individuum und denBürger in Tönen geführt wird, die demLeser nicht einmal mehr die Chanceauf ein Wohlgefühl und auf Freudevermitteln.

Muss nicht, fragte ich Roland Baa-der, der Titel eines Buches dem mög-lichen Leser zumindest die Aussichteröffnen, aus seiner Lektüre emotio-nal als Gewinner hervorzugehen?Nicht ohne Grund zieren doch auchdie Bilder dezidiert ansehnlicher Men-schen die Titelblätter einschlägigerMagazine, statt durch die Abbildungdes unerfreulich Vorhandenen abzu-schrecken. Auflagenstarke Bücher undZeitschriften kommen nicht mitschlechtgelaunten und mürrischenGesichtern auf Seite eins daher. Unterden lebensbedrohlichen Rettungsschir-men der atomaren Supermächte amKulminationspunkt der sogenanntenNachrüstungsdebatte blühte doch ge-gen den NATO-Doppelbeschluss justeine Buchpflanze am stärksten, die hieß„Friede ist möglich“.

Ich habe nicht die leiseste Vorstel-lung davon, welchen Einfluss diese Er-

örterungen auf Roland Baa-ders spätere Buchtitel gehabthaben. Der „Faule Zauber“und die „Wohlfahrtsdiktatur“waren – ebenso wie das „Tot-gedacht“ und die mürrischen Men-schen auf der „Belogenen Generation“– längst in der Welt. „Geld, Gold undGottspieler“ hatte schon etwas mildergeklungen, der Einworttitel „Geldso-zialismus“ kam schließlich ganz ohneexpliziten Vorwurf aus. Wer aberkönnte sagen, wie viele Leser RolandBaader bis heute schon mehr gefun-den hätten, würde er seinen Büchernoptimistischer klingende Namen ge-geben haben? Ein definitiv greifbaresErgebnis unserer Diskussionen zueben diesem Thema war jedenfalls,dass ich meinem eigenen Büchlein zumallgemeinen Reichseinkönnen Ende2007 ganz bewusst seinen zwar sper-rigen, aber doch bewusst Hoffnungverheißenden Titel gab.

So hat uns Roland Baader amEnde in Gestalt seiner Schriften eineVielzahl von intellektuellen Schatzkis-ten hinterlassen, deren innerer Reich-tum sich aus ihrer Verpackung nichtsogleich erschließt. Seine Fähigkeit zurtreffenden Prophezeihung resultiertenicht aus geheimnisvoll esoterischenQuellen, sondern schlicht aus der kon-sequenten Bereitschaft, die Welt illusi-onslos zu betrachten. Seine Genialitätbestand darin, die jahrhundertelangeArbeit am Projekt der Aufklärung inallem Ernst und aller Emsigkeit zuerfassen, sie fortzuführen und sie inallgemeinverständliche, aber dann ebenbisweilen auch traurige und wenighoffnungsfrohe Worte zu kleiden. Zuseiner Persönlichkeit, der jede Effekt-

hascherei fremd war und die vielmehrdurch konsequente Bescheidenheitgekennzeichnet war, passten eben kei-ne PR-optimierten Buchtitel oder einAnprangern der Unmoralität in allzudiplomatischen Tönen.

Es ist nun folglich an uns, die wirdie Fackel der Aufklärung weiter bren-nen lassen wollen, die Inhalte der Ar-beit Roland Baaders zu verbreiten.Und ich denke, wir sollten es mit derinneren Haltung tun, der Welt etwasPositives und Hoffnungsvolles weiter-zureichen. Denn wir werden RolandBaader am ehesten gerecht, wenn wirseinen Satz widerlegen, der Kampf fürdie Freiheit sei aussichtslos. Tief in sei-nem Herzen hat er genau das näm-lich, davon bin ich überzeugt, auchnicht wirklich geglaubt. Hätte er sichsonst über all die langen Jahre denMühen unterzogen, seinem schwächerwerdenden Körper dieses Opus ab-zuringen?

Mit Zuversicht, Beharrlichkeit undKonsequenz können die Kräfte derindividuellen Freiheit und des Respek-tes vor dem anderen, mithin die En-ergien eines richtig verstandenen pu-ristischen Liberalismus, die Unmora-lität des Herrschenwollens besiegen.Bei meinem letzten Telefonat mit Ro-land Baader waren wir uns einig: Wersich bei alledem stets streng an dieWahrheit hält, der hat in ihr die mäch-tigste Verbündete für sein Tun. Des-wegen kann er – bei aller Bescheiden-heit – auch gar nicht verlieren.

Sprachgewaltig: Roland Baaders Werk

Page 10: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

10 eigentümlich frei Nr. 120

Sonderkorrespondenz

DeutschlandBriefDer monatliche Hintergrunddienst

von Bruno Bandulet

Der Verleger, Journalist und Buchautor Bruno Bandulet war unter anderem Chef vom Dienst bei der „Welt“ und Mitglied der Chefredaktion der „Quick“.Er ist Herausgeber des Informationsdienstes „Gold & Money Intelligence (G&M)“. Von 1995 bis Ende 2008 war er Herausgeber des Hintergrunddienstes„DeutschlandBrief“, der seit Anfang 2009 als Kolumne in eigentümlich frei weitergeführt wird.

Wie Roland Baader den Euro auseinandernahm, als

er noch ECU hieß und warum er die Währungsunion

schon 1993 für eine Lastengemeinschaft hielt

Dass ich den Tod von Roland Baader als großen Ver-

lust empfinde, hat auch damit zu tun, dass es in unserer

publizistischen Tätigkeit zwei wichtige Berührungspunkte

gab: das Gold und den Euro. Zum ersten Kontakt kam es

in den 80er Jahren. Ich gab damals den Branchendienst

„Gold & Money Intelligence“ in der Schweiz heraus, und

ebenfalls in einem Schweizer Verlag erschien 1988 Baaders

Buch: „Gold – letzte Rettung oder Katastrophe?“, in dem

er Gold als Metall der Freiheit porträtierte. Er war Abon-

nent von „G&M“, so lange ich zurückdenken kann, und hat

den Dienst auch seinen Lesern empfohlen – ein Lob, das

ich besonders schätzte, weil es von ihm kam. Meines Wis-

sens hat er nicht aktiv mit Gold gehandelt, ebenso wenig

mit Aktien. In seinem Goldbuch findet sich der Satz: „Wer

spekulativ ans Gold herangeht, handelt im streng puristisch-

moralischen Sinne unmoralisch und wird deshalb auf Dau-

er verlieren.“

Das andere gemeinsame Interesse ergab sich aus dem

Beschluss der europäischen Regierungschefs in Maastricht

im Dezember 1991, eine gemeinsame Währung einzufüh-

ren. Um das Einheitsgeld zu verhindern, gründete sich der

Bund Freier Bürger als politische Partei. Baader begleitete

unsere Aktivitäten mit viel Sympathie, er trat aber nicht bei.

Was sich als vernünftig herausstellte, denn der BFB scheiter-

te bei den Wahlen. Baader zog es vor, eine intellektuelle Ge-

meinde um sich zu scharen, ein philosophisches Gebäude

gegen den Zeitgeist zu errichten, eine Denkschule zu grün-

den.

1993 erschien von ihm „Die Euro-Katastrophe“. Ge-

meint war nicht die Währung als solche, denn die sollte

damals noch ECU heißen. Gemeint war das zentralistische,

gleichgeschaltete, freiheitsfeindliche Europa der Funktionä-

re, dem er die Krise vorhersagte, in der es heute steckt.

Aber das Buch behandelte auch die in Maastricht ausge-

heckte Einheitswährung, nannte die Aufgabe der D-Mark

einen „stillen Staatsstreich“ und stellte fest, dass eine Wäh-

rungsgemeinschaft zugleich eine Lastengemeinschaft sei. Wie

wahr das ist, können wir heute fast täglich aus der Zeitung

erfahren, wenn die Achse Paris-Rom-IWF penetrant for-

dert, den Euro-Rettungsschirm von 500 auf 1.000 Milliar-

den aufzustocken.

Kenner des gescheiterten Euro-Experiments wissen, dass

wir es keineswegs nur mit einer Staatsschuldenkrise, son-

dern ebenso mit einem Zahlungsbilanzproblem zu tun ha-

ben. Denn hinter dem Leistungsbilanzüberschuss Deutsch-

lands verbirgt sich auch der Umstand, dass die Bundesre-

publik in den maroden Teil der Eurozone Waren ausführt

und gleich noch die Kredite mitliefert, mit denen sie bezahlt

werden. So findet ein realer Gütertransfer aus Deutschland

heraus statt. Dass zum Beispiel Irland und Spanien auf eine

Katastrophe zusteuerten, ließ sich lange Zeit nicht aus der

Staatsverschuldung herauslesen, die war erheblich geringer

als die deutsche, sondern aus der defizitären Außenbilanz

dieser Länder.

Baader war einer der ersten, die diesen Zusammenhang

erkannten. In der „Euro-Katastrophe“ schrieb er, dass es in

einer Währungsunion keine länderspezifischen Zahlungsbi-

lanzen und keine nationalen Währungsreserven mehr gebe,

„welche als Indikatoren für krasse Ungleichgewichte und

Fehlentwicklungen dienen können“. So kam es, dass

Deutschland um die Früchte langjähriger Exporterfolge

betrogen wurde und dass die fremden Schulden – jedenfalls

zu einem Teil – de facto zu seinen eigenen wurden.

Sehr oft hat sich Roland Baader später zum Euro nicht

mehr geäußert. Er sah in ihm zurecht nur einen Bestandteil

des ungedeckten staatlichen Papiergeldsystems, vor dem er

nicht müde wurde zu warnen – so in seinem wohl reifsten

und eindrücklichsten Buch, dem 2004 erschienenen „Geld,

Gold und Gottspieler – Am Vorabend der neuen Welt-

wirtschaftskrise“. 2007 brach die Krise in den USA aus, 2010

setzte sie sich in der Eurozone fort.

Bleibt zu erwähnen, dass Roland Baader, der als Natio-

nalökonom die Österreichische Schule vielen seiner Leser

überhaupt erst näher brachte, immer auch ein politischer

Mensch war und sich mit Lust und Vergnügen dem Zeit-

geist entgegenstellte. Zu meinem 60. Geburtstag brachte er

ein Messingschild mit, das seitdem den Eingang zu meinem

10 eigentümlich frei Nr. 120

Page 11: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

11ef März 2012

Kenner des gescheiterten Euro-Experiments wissen, dass wir es

keineswegs nur mit einer Staatsschuldenkrise, sondern ebenso mit

einem Zahlungsbilanzproblem zu tun haben.

Büro ziert. Darauf steht: CHECKPOINT BRUNO /

WARNUNG! / BEI EINTRITT VERLASSEN SIE DIE

POLITISCH KORREKTE ZONE.

Von Pommern nach Ammerland: Erinnerung an

Regina Freifrau von Schrenck-Notzing

Am Dreikönigstag verstarb drei Jahre nach dem Tod

ihres Mannes Regina Freifrau von Schrenck-Notzing, nach-

dem sie Weihnachten noch zu Hause in Ammerland am

Starnberger See hatte feiern können. Sie engagierte sich beim

Aufbau von „Criticón“, der damals führenden konservati-

ven Zeitschrift in Deutschland. In den 90er Jahren stieß sie

zum Bund Freier Bürger und kämpfte gegen die Einfüh-

rung des Euro. Und sie gründete und leitete die Münchner

Winterakademie, auf der die besten Köpfe des konservati-

ven und liberalen Deutschlands – immer vor überfülltem

Saal – referierten, unter ihnen auch Roland Baader. Sie war

eine kluge, energische und furchtlose Frau. Aufgewachsen

auf Gütern in Pommern und Schlesien, floh sie als Kind

mit der Familie vor der anrückenden Roten Armee in das

Vogtland und später von dort in den freien Westen, zunächst

nach Aachen, wo sie sich als Sekretärin durchschlug. Es folgte

eine Anstellung am Max-Planck-Institut in München, wo sie

Caspar von Schrenck-Notzing kennenlernte. „Freiheit

braucht Mut“ war der Titel eines von ihr herausgegebenen

Buches. Ein Motto, nach dem sie gelebt hat.

Martin Schulz: Der neue König von Europa und sein

surreales Parlament

Laut Bild.de vom 17. Januar haben wir einen „neuen

König von Europa“, und der heißt Martin Schulz. Er sitzt

seit 1994 im Europäischen Parlament, wurde im Januar zu

dessen Präsident gewählt, fühlt sich aber zu noch Höherem

berufen. Angesprochen auf den Chef der Brüsseler Kom-

mission, den Portugiesen Barroso, meinte er einmal: „Den

Job könnte ich auch.“

Vorerst aber steht er einem Parlament von 736 Abge-

ordneten aus 27 Ländern vor, von denen niemand genau

weiß, wen sie eigentlich vertreten. Angeblich und laut EU-

Recht: die „Unionsbürger“. Nur existiert leider kein euro-

päisches Volk und keine europäische Öffentlichkeit. Und

so kommt es, dass dieses mit außerordentlichen Privilegien

ausgestattete und ständig zwischen Straßburg und Brüssel

pendelnde Hohe Haus etwas Surreales an sich hat. Dort

spielte Schulz bisher die Rolle des hässlichen Deutschen. Als

er Silvio Berlusconi beleidigte, schlug ihn dieser für die Rol-

le des Kapo in einem KZ vor. Ein britischer Abgeordneter

unterbrach seine Suada einmal mit dem unschönen Ruf „Ein

Volk, ein Reich, ein Führer“. Schulz wiederum fiel damit

auf, dass er einen niederländischen Parlamentarier als „Fa-

schisten“ beschimpfte und Václav Klaus, den tschechischen

Euroskeptiker, als „unsäglichen Staatspräsidenten“.

Hinter dem lautsprecherischen Gehabe verbirgt sich eine

sehr konsequente Europapolitik der SPD, die zwar keine

Mehrheit im deutschen Volk hat, was aber ohne Belang ist,

wenn es um europäische Dinge geht: um Eurobonds, um

die Vergemeinschaftung der Staatsschulden, um die Gleich-

schaltung (pardon: Harmonisierung) der Steuern und Sozi-

alleistungen in der EU. Genau das ist es, was der Berufseu-

ropäer Schulz und mehrheitlich seine SPD beharrlich an-

streben. Auch Sigmar Gabriel will, wie er mitteilte, ein „an-

deres Europa“, nämlich ein „soziales Europa“. Wenn es

darum geht, den Untertanen in die Tasche zu langen und

Geld zu verteilen, fühlen sie sich richtig wohl. Über die

Homepage von Martin Schulz kann man sich detailliert über

EU-Förderprogramme informieren und nachlesen, wie man

am besten an wie viele Subventionen kommt. In den 50er

Jahren startete die europäische Einigung in Gestalt der EWG

als idealistisches und marktwirtschaftliches Projekt, von dem

alle profitierten. Inzwischen ist sie als EU zu einer sozialisti-

schen Veranstaltung degeneriert, und jetzt kann sich die SPD

– noch vor der CDU – als wahre Europapartei verkaufen.

Vizekanzler in spe: Jetzt hofieren die

Wirtschaftsbosse auch schon Jürgen Trittin

Lange ist es her, dass der frühere Bundeswirtschaftsmi-

nister Michael Glos Jürgen Trittin einen „Öko-Stalinisten“

nannte oder dass der damalige CSU-Generalsekretär Söder

ihn als „Salon-Bolschewisten“ titulierte. Jetzt gilt er als etab-

liert, gar als potenzieller Vizekanzler, und wird gerne und

häufig von den Spitzen der deutschen Wirtschaft zu Vorträ-

gen eingeladen. Fragt sich nur, was sie von ihm lernen kön-

nen. Die Herren hängen eben ihr Fähnchen in den Wind.

Nur RWE-Chef Jürgen Großmann wagte es kürzlich, ihn

einen „Wolf im Schafspelz“ zu nennen, nachdem er einen

Trittin-Vortrag genossen hatte. Ein früheres Mitglied des

Kommunistischen Bundes, hat Trittin längst Kreide gefres-

sen und die Energieplanwirtschaft, die er als Bundesminis-

ter auf den Weg bringen durfte, als Ersatz für den diskredi-

tierten Steinzeitsozialismus entdeckt. Einen klaren Bruch mit

seiner ideologischen Vergangenheit hat Trittin nie vollzo-

gen. Er hat sich als hochbegabter Taktiker aber sehr wohl

11ef März 2012

Page 12: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

12 eigentümlich frei Nr. 120

den Erfordernissen des politischen Machtbetriebes ange-

passt.

Biokraftstoff verbraucht mehr Energie, als er liefert

Zum letzten DeutschlandBrief: ef-Leser B. glaubt nicht,

dass die Herstellung von Biosprit mehr Energie verbraucht,

als bei der Verbrennung im Motor wieder herauskommt.

Antwort: Genau das haben Forscher der Cornell University

in Ithaca im Staat New York nachgewiesen. Beispiel Mais:

Die Produktion eines Liters Ethanol einschließlich Anbau

auf dem Feld verschlingt 7.474 Kilokalorien an Energie.

Der so produzierte Liter Ethanol enthält aber nur 5.130

Kilokalorien. Bei Diesel aus Soja resultiert sogar ein Minus

in der Energiebilanz von 63 Prozent, bei Raps ein solches

von 58 Prozent und selbst bei Palmöl noch ein Minus von

acht Prozent. Eine Art von Kapitalvernichtung also – ty-

pisch für Regierungseingriffe in die Marktwirtschaft und

auch für die von Trittin angestoßene Energieplanwirtschaft

in Deutschland.

Ein anderes Beispiel für energiepolitischen Irrsinn: Dank

der sogenannten Energiewende sind die Versorgungssicher-

heit und die Stabilität des deutschen Stromnetzes derart ge-

fährdet, dass energieintensive Betriebe wie Aluminiumhüt-

ten mit Zwangsabschaltungen rechnen müssen. Dafür sol-

len sie laut einer neuen „Abschaltverordnung“ des Bundes-

wirtschaftsministeriums finanziell entschädigt werden. Mit

anderen Worten: Strom wird nicht nur zugeteilt, die Regie-

rung zahlt auch noch für eine Verringerung des Sozialpro-

dukts! So weit ging nicht einmal die Planwirtschaft in der

Sowjetunion.

Zyklen, Gold und Schulden: Die Welt nach François

Mouté

Er ist seit 35 Jahren im Geschäft, hat den Großteil sei-

ner Karriere in den USA verbracht und gilt als einer der

erfolgreichsten Investmentmanager der westlichen Welt: der

Franzose François Mouté. Wie sieht er die Welt der Finan-

zen heute? Zunächst einmal identifiziert Mouté die großen

Zyklen: die Aktienhausse von 1944 bis 1966, die vom Wie-

deraufbau nach dem Krieg angetrieben wurde; die frustrie-

rende Übergangsperiode von 1966 bis 1982; und dann die

Hausse von 1982 bis 2000, die er „ungesund“ nennt, weil

sie von einer beispiellosen Kreditexpansion genährt wurde,

„für die wir jetzt den Preis bezahlen müssen“. Er meint, es

brauche vielleicht vier weitere Jahre, bis die gegenwärtige

Übergangsperiode endet und der Zyklus abgeschlossen ist.

Konsequenz: Mouté setzt auf Gold und auch auf Erdöl.

„Das einzige, was die Goldhausse beenden könnte, wäre

eine Rückkehr zu positiven Realzinsen.“ Und die seien noch

lange nicht in Sicht. Zum Euro meint er: „Ich denke, dass es

extrem schwierig sein wird, seinen Zusammenbruch zu ver-

meiden, aber ich hoffe, dass ich mich irre.“

Konkret

KorrekturUnd Richtigstellung

von Redaktion ef

Cover-Abbildung (Konkret) von „konkret Nr. 1/2011“

In der Ausgabe eigentümlich frei Nr. 118 (Dez. 2011) haben

wir in dem Beitrag „Zuerst Cicero, dann Compact, aber

konkret“ über die Monatszeitschrift „konkret“ beziehungs-

weise Hermann L. Gremliza berichtet. Dazu erklären wir:

1. Die Behauptung, das Magazin „konkret“ sei mindestens

bis 1989 mit Geldern aus Ostberlin finanziert worden, wird

widerrufen.

2. Es wird des weiteren richtiggestellt, dass die Darstellung,

Hermann L. Gremliza werde heute von Auslandsgeheim-

diensten aus Tel Aviv unterstützt, ausschließlich auf frag-

würdigen Gerüchten („böse Zungen“) beruht, die auch der

Verlag Lichtschlag Medien und Werbung KG und der Au-

tor André F. Lichtschlag als haltlos einschätzen.

12

Page 13: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

13ef März 2012

Forconi

Die totgeschwiegene RevolteDer italienische Steuerzahler begehrt auf, und keiner guckt hin

von Jörg Janssen

Der ef-Redakteur, Jahrgang 1966, ist Chemiker und lebt seit einigen Jahren glücklich im inneren Exil.Foto (Demonstration) von Movimento dei Forconi

„Castelli, geh mir nicht auf die Eier!“ Endgültig hat dersardische Arbeiter die Geduld mit Roberto Castelli verlo-ren. Der so angesprochene, der im Studio der Sendung„Servizio Pubblico“ sitzt, ist nicht irgendjemand: Derzeitim italienischen Senat führender Vertreter der Lega Nord,leitete Castelli einst unter Silvio Berlusconi das Justizministe-rium und verantwortete später als Vizeminister die Infra-struktur. Was hat es mit dem Ausbruch des Arbeiters, derzusammen mit anderen Sarden durch einen Reporter desPrivatsenders „La7“ zugeschaltet wurde, auf sich?

Die italienische Politik hat sich ihren Platz unter denPIIGS redlich verdient: Sie gibt etwa die Hälfte des Brutto-inlandsprodukts (BIP) aus und häufte Staatsschulden in Höhevon 120 Prozent des BIP an. Das ist, nebenbei, doppelt soviel wie nach dem europäischen Stabilitätspakt erlaubt. Dievon italienischen Politikern über Jahre geliehene Summe –1,9 Billionen Euro – ist größer als die kombinierten Schul-den ihrer griechischen, spanischen, portugiesischen und iri-schen Kollegen. Gehalten werden solche Schulden haupt-sächlich durch italienische Banken, Versicherungen und Pen-sionsfonds und auch durch ausländische Banken wie die fran-zösische BNP Paribas. Sobald die italienische Politik dieseDarlehen nicht mehr bedienen kann, müssen diese Institutedie Papiere im Wert berichtigen. Was harmlos klingt, würdefür einige den Bankrott bedeuten. Die offiziellen Schuldenbilden zudem nur die Spitze eines noch gewaltigeren Eis-bergs; unter der Oberfläche lauern künftige Zahlungsver-pflichtungen beispielsweise für Beamtenpensionen, Sozial-ausgaben oder Bürgschaften in Billionenhöhe: Auf 360 Pro-zent des BIP schätzt das amerikanische National Center ForPolicy Analysis die Summe aller Zahlungsverpflichtungen,welche die Politik künftigen italienischen Steuerzahlern auf-bürdet – wenn diese zahlungsfähig blieben.

Politik dort oben

Anfang November letzten Jahres spitzte sich die Krisezu: Auf sieben Prozent kletterten die Zinsen für italienischePfandbriefe. Damit erreichten sie die Grenze, ab der einKreditausfall droht. Kaum war Ministerpräsident SilvioBerlusconi unter dem Druck seiner Kollegen zurückgetre-ten, stellte Italiens kommunistischer Staatspräsident Gior-gio Napolitano am gleichen Tag Mario Monti als neuen Re-

gierungschef vor. Napolitano kennt ihn als ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar und Goldman-Sachs-Beiratsmit-glied aus gemeinsamen Brüsseler Tagen. Zwei Stunden nachMontis Ernennung erklärten EU-Ratspräsident Herman VanRompuy und EU-Kommissionspräsident José Manuel Bar-roso dies für ein „ermutigendes Signal zur Krisenüberwin-dung“. Sie machten aber auch deutlich, dass die ErnennungMontis nichts an der vereinbarten wirtschaftspolitischenÜberwachung Italiens durch die Europäische Union ände-re. Kurz darauf wurde Monti vom Abgeordnetenhaus mit90 Prozent und vom Senat mit 92 Prozent der Stimmenbestätigt. Als eine seiner ersten Amtshandlungen stellte derneue Ministerpräsident Ende November sein Spar- undWachstumsprogramm der EU-Kommission in Brüssel vor.

Schlagzeilen machte das Programm beispielsweise durchdie Abschaffung von Gildenprivilegien für Apotheker, Ta-xifahrer, Notare und Tankstellenpächter. Deren hohe Preisesind vielen Italienern schon lange ein Dorn im Auge. DieBetroffenen jedoch fürchten gar nicht den Wettbewerb, son-dern den Steuereintreiber: „Bei einer Rechnung von 6.000Euro sind lediglich 1.600 Euro Honorarkosten, der Restsind Steuern“, bemerkt Notarin Giovannella Condò gegen-über der „Welt“. Ähnlich sehen es die Tankstellenpächter:Sie wenden sich nicht gegen die Liberalisierung, sonderngegen die ungebrochene Gier der Politik. „Bei einer Tank-füllung von 50 Euro wandern mehr als 30 Euro in die Ta-schen des Fiskus“, so ein Pächter aus Mailand. Der Kernder Reformen, mit denen die italienische Politik unter Mon-ti in Brüssel um Hilfe bei der Refinanzierung ihrer Schuldenwirbt, sind nicht solche Liberalisierungen. „Sparen“ heißtauch für Italiens Politik eine Erhöhung der Einnahmen. DieAusgaben werden dagegen kaum angetastet. Zwar ist vonKürzungen in Höhe von 20 Milliarden Euro die Rede; gleich-zeitig soll jedoch ein schuldenfinanziertes Konjunkturpaketin Höhe von 10 Milliarden Euro die Wirtschaft ankurbeln.Die Neuverschuldung wird auch in diesem Jahr ummindestens zwei Prozent steigen.

Und so öffnet sich in Italien die Schere zwischen politi-scher und produktiver Klasse immer weiter: Ein Stenographim italienischen Senat, so errechnete der „Corriere Della Ser-ra“, konnte im vergangenen Jahr auf ein Bruttogehalt vonknapp 290.000 Euro kommen. Wer vor 1998 in den Staats-

Page 14: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

14 eigentümlich frei Nr. 120

dienst eintrat, kann sich mit 53 Jahren in den Ruhestand ver-abschieden – mit bis zu 85 Prozent des letzten Gehalts. Dieübrige Bevölkerung sieht in den höheren Mehrwert-, Im-mobilien- und Treibstoff-Steuern eine einseitige Belastung.Doch an ihren Zahlungen hängt die Solidität der Gläubigerder italienischen Politik – und in einigen Fällen deren Über-leben.

Revolte dort unten

Am 15. Januar zeigt sich der Himmel über Sizilien be-deckt. Irgendwo bellen Hunde, als Onofrio Carruba Tos-cano sich mit einer Heugabel in der Hand vor die Kameraneben die Felder stellt. Der 51jährige Landwirt gehört zujenen Kleinunternehmern der Insel, die mit ihren Betriebengerade noch ihre Kosten decken konnten. Jetzt droht Rom,sie durch die Erhöhung der Benzinpreise und der Auto-bahngebühren endgültig zugrundezurichten. Nachdem ersich vorgestellt hat, kündigt Toscano an, dass ab dem nächstenTag, dem 16. Januar 2012, in Sizilien „Ereignisse stattfin-den“ würden.

Und „Ereignisse“ finden statt: eine tagelange Blockadeder Insel durch protestierende Landwirte, Fischer, Hirtenund Spediteure. Autobahnen, Brücken und Fähren aufs Fest-land werden gesperrt. Transporte mit Nahrung kommennicht mehr auf das Eiland. Treibstoff wird knapp. Wo esnoch Benzin gibt, steigt der Preis auf bis zu drei Euro proLiter. Die Anzahl der aktiv Beteiligten wird später mit biszu 150.000 Menschen angegeben. Sie nennen sich die „For-

coni“, die Heugabeln. Es sind keine staatlichen Hilfen, diesie fordern: Martino Morsello, ihr Anführer, stellt klar, dasssolche Hilfen in der Vergangenheit ohnehin nur in die Ta-schen der Politik flossen. Ihre Forderungen lauten, die Pro-vinzbürokratie aus dem Weg zu räumen, die Zahl, Besol-dung und Privilegien der Abgeordneten zu verringern undihre Amtszeiten zu verkürzen – und korrupte Politiker zuverhaften.

Die Revolte breitet sich innerhalb von Tagen aus: DemBeispiel der Sizilianer folgen in der gleichen Woche sardi-sche Landwirte, Fischer und Fernfahrer. Nachdem die Me-dien zunächst kaum darüber berichten, entschließt sich „La7“,die Revolte der Forconi zum Thema einer Sendung zu ma-chen. Als Gast kommt Ex-Minister und Senator Castelli insStudio. Schon während der Zuschaltung der sizilianischenForconi wird es zwischen protestierenden Bürgern und demPolitiker laut: „Es ist Sizilien, das zu viel ausgibt“, wirft Cas-telli den von der Bürokratie Gebeutelten entgegen. „Sie ha-ben 23.000 Beamte, während es in der Lombardei nur drei-tausend gibt.“ Dann wird Sardinien zugeschaltet. Der Re-porter bemerkt, dass sich auf der Insel niemals zuvor soviele verschiedene Berufsgruppen zusammengetan hätten.Die wirtschaftliche Situation beträfe sie alle, erwidern dieEinheimischen: Bauern, denen von der Steuerbehörde dieHöfe beschlagnahmt würden ebenso wie Schäfer, Obst-und Gemüsebauern et cetera. „Bevor wir Steuern bezahlen,obwohl wir nichts verdienen, müssen wir erst unsere Fami-lien ernähren“, beschwert sich ein Arbeiter. „Jegliche Indus-trie, die wenigstens ein paar Menschen noch Arbeit auf derInsel bot, musste in den letzten Jahren die Pforten schlie-ßen. Und da kommt der Staat und haut uns innerhalb voneinem Jahr 100 Prozent Strafe drauf, wenn wir die Steuernauf unsere Grundstücke und Ländereien nicht bezahlen kön-nen.“ Castelli versucht, den Zorn der Anwesenden alleinauf den neuen Ministerpräsidenten zu lenken. Doch das gehtnach hinten los: „Die Steuereinnahmebehörde habt ihr ge-schaffen, nicht Monti“, erzürnt sich der Arbeiter. Und dannder Ausspruch, der ihn für kurze Zeit in Italien sehr bekanntmacht: Castelli solle ihm mit seinem Unsinn nicht mehr aufdie E... gehen. Der Lega-Politiker steht auf und verlässt dasStudio.

Am Tag der Sendung ist die Revolte längst auf demFestland angelangt: Ab Montag legen Fernfahrer den Ver-kehr in großen Teilen des Landes lahm – und überraschendamit die Fernfahrerverbände, deren Funktionäre offenbarkeine Ahnung hatten, was in ihren angeblichen Klienten vor-geht. Viele Tankstellen bleiben infolge der Blockaden ohneBenzin, der Autokonzern Fiat verkündet die Einstellung der

Von deutschen Medien verschwiegen: Der

Steuerprotest der Heugabel-Bewegung in Italien

Auch in Italien sind es die Kleinunternehmer, Mittelständler und deren

Beschäftigte, die den größten Anteil dessen erarbeiten, was sich die

Politik als Steuern holt oder als Staatsschulden verpfändet.

Page 15: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

15ef März 2012

Arbeit an vier Produktionsstätten. Mittwochs demonstrie-ren in Rom Fischer aus ganz Italien, welche die Steuererhö-hung auf Treibstoff in den Ruin zu treiben droht. Es kommtzu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Inmehreren italienischen Städten kommt es zu Panikkäufen,die Versorgung mit Obst und Gemüse funktioniert bald sogut wie nicht mehr. Der italienische Landwirtschaftsverbandmeldet Preissteigerungen um bis zu 200 Prozent – wenn esnoch etwas gebe. Der Lebensmittelverband Coldiretti gibtan, den Händlern sei ein Schaden von 100 Millionen Euroentstanden.

Politische Reflexe

Auch in Italien sind es die Kleinunternehmer, Mittel-ständler und deren Beschäftigte, die den größten Anteil des-sen erarbeiten, was sich die Politik als Steuern holt oder alsStaatsschulden verpfändet. Nur solange sie zahlen, kann dieitalienische Politik ihre Zahlungsunfähigkeit verhindern – unddamit den Bankrott zahlreicher italienischer aber auch aus-ländischer Finanzinstitute. Hunderttausende von Kleinunter-nehmern und Mittelständlern sehen ihre Existenz bedrohtund rufen laut nach Erleichterung ihrer Last. Und endlich,kurz vor dem angekündigten Ende der Proteste Ende Ja-nuar nimmt die italienische Politik Notiz von ihren Steuer-zahlern. Beispielsweise die italienische Innenministerin An-namaria Cancellieri: Diese erklärt, dass man in Sizilien „dieAnwesenheit verschiedener Mitglieder des organisierten Ver-brechens“ festgestellt habe. Sie sehe allerdings „keine realeGefahr von Terrorismus“, beruhigte sie die Bürger in ei-nem Fernsehinterview „sondern nur die Möglichkeit, dassein Einzelgänger sich einschleusen und Dinge außer Kon-trolle bringen könnte.“

Wenn das Verhältnis von Zinszahlungen zu Steuerein-nahmen zu hoch wird, hat eine Regierung drei Alternativen:Entweder sie kürzt spürbar ihre Ausgaben. Oder sie be-raubt ihre Kreditoren durch Zahlungsausfall. Oder sie ent-eignet Sparer, Lohnverdiener und Rentner – sei es durchInflation oder durch Steuern. Derzeit bekommt die italieni-sche Mittelschicht zu spüren, dass die Politik an diesem Punktangelangt ist und sich für letztere Option entschieden hat.Einigen raubt man dabei die Existenzgrundlage – zweiWochen lang breitet sich ihre weitgehend friedliche Revolteüber das Land aus. Was können sie nun vorzeigen? Die ita-lienische Politik behandelt sie nach dem Prinzip, das der eins-tige US-Verteidigungsminister Alexander Haig aussprach, alseinmal Hunderttausende nach New York zur „No-Nukes-Demonstration“ kamen: „Sollen sie marschieren so viel siewollen, solange sie ihre Steuern zahlen.“

FFFFFriedrich A. vonriedrich A. vonriedrich A. vonriedrich A. vonriedrich A. von

Hayek-Hayek-Hayek-Hayek-Hayek-Gesellschaft e.VGesellschaft e.VGesellschaft e.VGesellschaft e.VGesellschaft e.V.....

in Vin Vin Vin Vin Verbindung mit dererbindung mit dererbindung mit dererbindung mit dererbindung mit der

FFFFFriedrich Ariedrich Ariedrich Ariedrich Ariedrich August von Hayek-Stiftungugust von Hayek-Stiftungugust von Hayek-Stiftungugust von Hayek-Stiftungugust von Hayek-Stiftung

für eine freie Gesellschaftfür eine freie Gesellschaftfür eine freie Gesellschaftfür eine freie Gesellschaftfür eine freie Gesellschaft

wwwwwwwwwwwwwww.hayek.de.hayek.de.hayek.de.hayek.de.hayek.de

Die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaftist eine Vereinigung zur Förderung von Ideenim Sinne von Hayeks. Im Mittelpunkt stehtdie Idee einer „Verfassung der Freiheit“.

In den Hayek-Einrichtungen wird im beson-deren die Tradition der ÖsterreichischenSchule und eines entschiedenen Liberalismusweitergeführt. Wir

...geben (mit dem Walter-Eucken-Institut)

...die Werke des Meisters heraus,

...veranstalten die Hayek-Tage (nächster

...Termin: Sommer 2012),

...verleihen die Hayek-Medaille,

...veranstalten einen Essay-Wettbewerb an

...deutschen Universitäten,

...bauen ein Netz von freiheitsbewußten

... jüngeren Leuten in bisher vier Junioren

...kreisen (Wirtschaft, Publizistik, Politik,

...Wissenschaft) auf,

...veranstalten Gesprächsabende in bisher

...zwanzig regionalen Hayek-Clubs,

...geben eine Brevierreihe „Meisterdenker

...der Freiheitsphilosophie“ heraus,

...stellen die Verbindung zur Mont-Pélerin-

...Society und anderen internationalen

...Freiheitsorganisationen her.

Schneller Kontakt zuuns über

www.hayek.deoder nochschneller:[email protected]

Page 16: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

16 eigentümlich frei Nr. 120

Zukunft des politischen Liberalismus

Die Basis ist allesLehren aus der Krise der FDP nach 2009

von Gérard Bökenkamp

Der Autor, Jahrgang 1980, ist Historiker und Referent für Grundsatz und Forschung am Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Das Leitbild in Deutschland ist nach wievor die Kanzlerdemokratie KonradAdenauers: ein alter, lebenskluger Pa-triarch, der per Richtlinienkompetenzdas Land auf die richtige Schiene setzt.Das Ideal ist eine Koalition, die ein ge-meinsames politisches Projekt mit ei-nem gemeinsamen ideologischen Über-bau besitzt.

Dennoch wird auch immer wiedergesagt, Koalitionen seien keine Liebes-heiraten. Eher entsprächen sie einer ArtEhe auf Zeit, in der man sich zwar ge-genseitig auf die Nerven geht, aberdoch aneinander gebunden fühlt unddarauf achtet, dass nicht einer der Ko-alitionspartner über die Klippe springt.Ein Bruch der Koalition ist demnachwie eine Scheidung eine sehr ernste,politisch sogar gefährliche Angelegen-heit. Ein solches Denken setzt voraus,dass es eine gewisse Loyalität unter denVerantwortlichen gibt, etwa wie zwi-schen Brandt und Scheel oder Kohl undGenscher. Und dass die Parteien einestabile, überschaubare und quasi natür-liche Basis haben: Katholiken wählenCDU, säkulares Bürgertum FDP, Ar-beiter SPD. Es setzt außerdem voraus,dass das Parteiensystem überschaubarist und jeweils zwei Koalitionspartnerzusammenfinden. Wo es viele Parteiengibt, die Wählerbindung nachlässt undein gemeinsames weltanschauliches Pro-jekt nicht mehr formulierbar ist, lässtsich dieser Anspruch nicht aufrechter-halten.

Koalitionen sind keine Ehen

Die Regierungszeiten werden kür-zer. Nach 16 Jahren Kohl folgten mitAch und Krach sieben Jahre rotgrüneKoalition und dann vier Jahre GroßeKoalition. Und so wie es derzeit aus-sieht, wird es sehr schwer für dieschwarzgelbe Regierung, ihre Koalition

über die nächste Legislaturperiode fort-zusetzen. Es spricht also einiges dafür,dass die Zeit der langen Regierungszei-ten einer Koalition von mehr als einemJahrzehnt vorbei ist. Die Parteien inDeutschland orientieren sich dessenungeachtet immer noch sehr stark ander Regierungsbeteiligung. In anderenparlamentarischen Systemen, in denenRegierungen schneller wechseln, ist diesnicht der Fall. Man tritt dort in eineRegierung ein, und wenn man sich nichteinigen kann, dann eben auch wiederaus. Wenn Politiker wissen, dass sie ineine Regierung nur aus pragmatischenGründen eintreten und dass es mit derKooperation auch vorbei sein kann, wirdjeder der Partner darauf achten, sei-nen Markenkern zu wahren. Die Kon-servativen werden darauf achten, dasssie von ihren Anhängern als Konserva-tive wahrgenommen werden, die Sozi-alisten als Sozialisten und die Liberalenals Liberale.

Die FDP ohne Exit-Option

Für das Dilemma, in das die FDPgeraten ist, spielen die unterschiedlichenPerspektiven eine Rolle. Die FDP hatdie Regierung wie eine Art Wiederauf-nahme der alten Kohl-Genscher-Koa-lition gesehen. Das heißt, als eine Eheauf Zeit. Bei Kohl war aber immer klar,dass er mit der FDP und mit keineranderen Partei koalieren wollte. Nachder letzten Wahl ist die FDP jedoch aneine Kanzlerin geraten, der es im Prin-zip egal ist, ob sie mit der FDP, der SPDoder den Grünen koaliert. Darüber hi-naus hat Angela Merkel die unschöneEigenschaft, den jeweiligen Koalitions-partner nicht zu erhalten wie der alteKohl, sondern ihn zu kannibalisieren.Wenn die Koalition mit der Kanzlerinalso eine Ehe ist, dann ist es die miteiner Schwarzen Witwe.

Aus Schaden sollte man klug wer-den. Die Bundesrepublik ist nicht mehrdie alte. Koalitionen sind in der Berli-ner Republik keine Hochzeiten mehr –weder Liebesheiraten noch Vernunft-ehen. Am Ende kämpft jeder für sichallein. Das heißt, jede Partei braucht eineExit-Option, um zu überleben. DasProblem der FDP nach den Wahlen2009: Weil sie sich in der Regierungnicht durchsetzen kann, ist die Basisunzufrieden und die Umfragen fallenins Bodenlose: Weil die Umfragen ge-fallen sind, kann die FDP sich in zen-tralen Fragen nicht gegen den Koaliti-onspartner durchsetzen. Denn sie kannnicht glaubhaft mit einem Verlassen derKoalition drohen. Die Exit-Option istihr verlorengegangen.

Linke oder liberale Politik

In vielen kritischen Artikeln undKommentaren ist die Frage zu lesen,ob man „die FDP noch braucht“. Überdas Wort „brauchen“ muss man einmalnachdenken. Kein Linker „braucht“ eineliberale Partei. Das repräsentative Sys-tem zielt darauf ab: Wenn es zehn Pro-zent Linkssozialisten in einem Land gibt,dann ist es auch kein Skandal, wenndiese entsprechend ihres Wähleranteilsim Parlament vertreten sind. Wer dasModell der repräsentativen Demokra-tie ernst nimmt, darf sich darüber nichtbeschweren.

Repräsention oder Konsens

Unsere Form von Demokratie gehtvon folgender Idee aus: Die Gesellschaftist kein großes homogenes Ganzes, siebesteht aus vielen Gruppen und Strö-mungen. Diese sollen möglichst „reprä-sentativ“, also etwa ihrer Größe ent-sprechend, im Parlament vertreten sein.Eine repräsentative Konsensdemokra-

Page 17: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

17ef März 2012

tie ist im Grunde ein Widerspruch insich. Die Konsensdemokratie passt zurdirekten Demokratie wie in der Schweiz,weil hier die Entscheidungen vom Volkbestimmt oder die Abstimmungen auchschon im Konsens vorweggenommenwerden. Wenn in einer repräsentativenDemokratie in den zentralen Fragen einKonsens aller Parteien herrscht, dannist das eine Warentheke, auf der nurein Produkt angeboten wird. Parteienrepräsentieren Teile der Gesellschaft,und weil diese Teile sehr unterschiedli-che Sichtweisen haben, sollten auch dieParteien diese vertreten. Der Ausdruck„Partei“ sagt bereits, es gehe um einenTeil der Gesellschaft und nicht um dasGanze. Parteien, die das „Ganze“ oder„die Wahrheit“ repräsentieren, gibt esnur in Volksrepubliken, nicht aber inrepräsentativen demokratischen Syste-men. Der große Vorteil kleiner Partei-en besteht darin, dass sie sich einemMehrheitskonsens unterwerfen müssen.So wie die Marktposition von Klassik-Radio nicht dadurch bedroht wird, dasses mehr Hörer von Rock, Pop undSchlager gibt.

Wählerbasis und Medienkritik

Viele, vor allem linke Kommenta-toren, mögen auf die „neoliberale“Ausrichtung der FDP schimpfen. Aberes gibt eben zehn bis 15 Prozent derBürger, die eine solche Politik wollen.Das hat die Bundestagswahl 2009 ge-zeigt. Das Problem der FDP ist eigent-lich nicht, dass sie von „Spiegel“, „Stern“und öffentlich-rechtlichen Medien ein-geseift wird. Solange genug Leute dieseMedien konsumieren, können sie dieWelt eben beschreiben, wie sie sie se-hen. Das Problem der liberalen Parteiist, dass sie nicht mehr in Übereinstim-mung mit den Wählern steht, die ihr2009 ihre Stimme gegeben haben. Wärediese Verbundenheit noch vorhanden,könnte der Partei die Kritik der ande-ren herzlich egal sein. Ein Fleischerei-betrieb muss sich über die Schelte vonVeganern kaum Sorgen machen. Wennden Fleischfreunden aber ihr Steak fade

schmeckt, dann schon. Die Macht derMedien resultiert aus der strukturellenSchwäche der Parteien, ihre Basis zuidentifizieren, mit ihnen zu kommuni-zieren und ihre Politik mit dieser Basisabzustimmen. Gerade wenn eine Par-tei viele Medien nicht auf ihrer Seitehat, dann muss sie Himmel und Höllein Bewegung setzen, um auf direkter,persönlicher Tuchfühlung mit ihrenWählern zu bleiben.

Bindung statt Beteiligung

Wenn eine Volkspartei ihre Basisvergrault, dann hat sie miese Wahler-gebnisse. Wenn eine kleine Partei dieswagt, bedroht das ihre Existenz.Zumindest unter der Bedingung der inder Bundesrepublik vorherrschendenFünfprozenthürde. Die FDP muss des-halb mehr als jede andere Partei ihrePolitik und ihre Struktur auf ihre Wäh-lerbasis hin ausrichten. Am politischenMarkt ist das wie im Geschäftsleben:Wer seinen Kundenstamm nicht hält,geht pleite.

Eine Partei hingegen, die ihre Basisauf ihrer Seite hat, bleibt unabhängigund politisch wirksam: In der Opposi-tion kann sie attackieren, in der Regie-rung kann sie Druck auf Kanzler undKoalitionspartner ausüben. Eine Parteiin Übereinstimmung mit ihrer Wähler-basis kann in eine Regierung eintretenund sie kann aus der Regierung wiederaustreten, weil sie Neuwahlen nicht zufürchten braucht.

Eine wesentliche Lehre der Ereig-nisse seit der Bundestagswahl 2009 ist,dass es für eine kleine Partei lebensge-fährlich ist, in eine Koalition hineinzu-gehen, ohne sich die realistische Opti-on offen zu halten, im Konfliktfall die-se wieder zu verlassen. Ohne diesesDrohpotential erscheint man als zahn-loser Tiger. Es ist daher besser, eineKoalition aufs Spiel zu setzen als dieUnterstützung der Wählerschaft zu ris-kieren. Die feste Verankerung in ihrerWählerschaft muss für eine kleine Par-tei am Beginn all ihrer weiteren Über-legungen stehen.

Die Marktposition von Klassik-Radio wird nicht

dadurch bedroht, dass es mehr Hörer von

Rock, Pop und Schlager gibt.

Page 18: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

18 eigentümlich frei Nr. 120

Das Beispiel der E10-Einführung

Treibstoff wie geschmiertÜber Eliten, Planwirtschaft und falsche Flaggen

von Henning Lindhoff

Der Autor, Jahrgang 1982, M.A. „Counselling and Social Advocacy“, lebt in Köln und ist von Beruf Sonderpädagoge.Foto (Göring-Eckardt) von Thomas Kretschel

Am 25. Juni 2009 trat die EU-Richtlinie 2009/28/EG inKraft. In diesem Plan verlangen die Räte aus Brüssel vonden Mitgliedsstaaten, den Anteil von sogenannten erneuer-baren Energien am gesamten Energieverbrauch aufmindestens 20 Prozent, im Verkehrssektor auf mindestenszehn Prozent zu erhöhen. Wäre eine solche Richtlinie vor 30Jahren in Moskau erlassen worden, hätte man im Westennoch von einer planwirtschaftlichen Maßnahme gesprochen.

Widerstand in Österreich und Deutschland

Der österreichische Umweltminister Nikolaus Berlako-vich (ÖVP) möchte ab Herbst 2012 die Verbreitung dessogenannten Biosprits E10 verstärken. Doch eine rebelli-sche Vereinigung aus Wien widersetzt sich den Plänen derEurokraten. Mit dem Slogan „Tanke Mais um keinen Preis“wirbt der österreichische Automobilclub ARBÖ derzeit fürseine Unterschriftenaktion gegen den Lebensmitteltreibstoff.Eine plausible Begründung für das Votum gegen E10 lie-fert dabei die Generalsekretärin des ARBÖ, Lydia Ninz.Sie stellt fest, dass der Energieverbrauch im österreichischenVerkehr aktuell schon zu neun Prozent mittels Biokraftstoffgedeckt wird. Bis zum Jahr 2020 könne der letzte Prozent-punkt auch ohne die Subventionierung von E10 gewonnenwerden. Zusätzlich warnt die ARBÖ vor technischen Pro-blemen und Unverträglichkeiten, die in Deutschland bei Au-tos aus Baujahren vor 2000 bekannt wurden. Zudem warntdie ARBÖ vor einer Preiserhöhung für Benzin um bis zuvier Cent. Diese Preiserhöhung würde gleichzeitig zu einerSteigerung der staatlichen Einnahmen durch die Mehrwert-steuer in Höhe von 16,8 Millionen Euro führen.

In Deutschland tankte bis zum Sommer 2011 nur jedervierte Fahrer eines Benzinfahrzeugs den E10-Sprit. Vor al-lem die Unverträglichkeiten älterer Baujahre scheinen fürdie extrem geringe Nachfrage der deutschen Autofahrer ver-antwortlich zu sein.

Überwachung durch Zollamt Cottbus

Trotz aller Bedenken und Ressentiments der Kundenwerden die Tankstellenbetreiber angehalten, die vorgeschrie-benen Quoten zu erfüllen. Dies übernimmt bundesweit dasZollamt aus Cottbus, das cirka 200 „Quotenpflichtige“ über-prüft. Die Strafabgaben lagen in jedem der letzten Jahre beietwa einer Million Euro. Die Tankstellenbetreiber müssen

ihren Kunden also finanzielle Anreize geben, um die Abga-bequoten zu erfüllen und Strafzahlungen zu vermeiden, alsoE10 günstiger und die anderen Treibstoffe etwas teurerverkaufen. Ein freier Markt sähe anders aus.

Der Kunde ist deshalb am Ende mal wieder der Dum-me. Entweder er tankt höhere Mengen eines ineffizienten,günstigeren Sprits oder er tankt die üblichen Mengen einesbesseren Stoffs zu willkürlich erhöhten und damit nichtmarktgerechten Preisen.

Neue Subventionswege

Im Jahr 2008 beschloss die EU, Agrarsubventionen nichtmehr an die Bedingung zu knüpfen, dass zehn Prozent derAckerfläche brach zu liegen haben. Dies nutzen nun die land-wirtschaftlichen Betriebe Europas, um ihre Brachflächenerneut in blühende Landschaften zu verwandeln. Unabhän-gig von der Nutzpflanze erhalten sie seit 2008 durchschnitt-lich 315 Euro pro Hektar. Je mehr Fläche sie bewirtschaf-ten, desto höher die pauschalen Vergütungen aus dem Sub-ventionstopf. Die erzwungene Einführung des Biospritserleichtert den Bauern dann auch die Wahl der angebautenNutzpflanze – Zuckerrübe und Weizen für das Bioethanol,Raps für den Biodiesel. Der Anteil der sogenannten Ener-giepflanzen an der gesamten deutschen Agrarfläche stieg biszum Jahr 2010 sprunghaft auf 18 Prozent. Und so hat sichauch auf diesem Wirtschaftssektor ein starkes Monopolgebildet.

Das Netzwerk der Verbio AG

Die Verbio AG aus Zörbig in Sachsen-Anhalt gilt alseinziger großindustrieller Produzent von Bioethanol unddamit als bedeutendster Lieferant der Ölkonzerne in Sa-chen E10. In Kooperation mit den lokalen Landwirtschafts-betrieben stellt das Unternehmen Bioethanol in europaweitführenden Mengen her und muss demnach als besondererNutznießer der E10-Einführung durch die Eurokraten gel-ten.

Alexander von Witzleben, Jahrgang 1963, ist Aufsichts-ratsvorsitzender der Verbio AG. Früher war er in der Fi-nanzbranche und bei der Jenoptik AG tätig. Er verfügt überenge geschäftliche Beziehungen zu Goldman Sachs und fa-miliäre Kontakte zu JP Morgan. Witzleben engagiert sichunter anderem in der Internationalen Martin-Luther-Stiftung,

Page 19: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

19ef März 2012

Page 20: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

20 eigentümlich frei Nr. 120

die „sich zum Ziel setzt, die Grundimpulse der Reformati-on in einen ergebnisorientierten Dialog von Kirche, Wirt-schaft, Wissenschaft und Politik zu übersetzen“. Der Aristo-krat aus einem Thüringer Adelsgeschlecht trifft sich also ineinem religiösen Klüngelclub mit Vertretern aus Politik undWirtschaft. Wie weitere Recherchen ergeben, unterhält erüber diese Stiftung Kontakte zur Atlantik-Brücke sowie zumRat für Innovation und Wachstum, der die Kanzlerin direktin planwirtschaftlichen Fragen berät. Schauen wir uns beideInstitutionen genauer an.

Atlantik-Brücke e.V.

Katrin Göring-Eckardt, Mitglied der Grünen, sitzt ge-meinsam mit Alexander von Witzleben im Kuratoriums-vorstand der Internationalen Martin-Luther-Stiftung. Sie istberuflich tätig als Vizepräsidentin des Bundestages und prä-sentiert sich seit 2009 vor allem als Präses der Synode derEvangelischen Kirche in Deutschland, damit als gestaltendePersönlichkeit der Kirchenlandschaft. Vor allem als ehema-liges Vorstandsmitglied der Atlantik-Brücke besitzt sie bes-te Kontakte zur obersten Kaste der globalen Bankenelite.

John Kornblum, ehemaliger hochrangiger US-Diplo-mat und Investmentbanker, ist ebenfalls im Vorstand derLuther-Stiftung aktiv. Auch er erfreut sich eines engen Kon-taktes zur Atlantik-Brücke, wo er unter anderem im März2009 als Redner sowie einige Male als Publizist in den mo-natlichen Rundschreiben des Vereins auftrat.

Vor allem Frau Göring-Eckardt scheint einen besonde-ren Reiz auf den jungen Aristokraten von Witzleben auszu-üben. Beide trafen sich bereits im Jahr 2005 gemeinsam mitJoschka Fischer, diskutierten auf einer Podiumsveranstal-tung der Grünen über „kluges Wirtschaften“, tauschten sichüber die betriebsinterne Förderung weiblicher Mitarbeiter-innen durch den Aufbau von „Super-Kindergärten“ aus undmachten sich gemeinsam für „Dorfschließungen“ als Ant-wort auf die demographischen Fragen stark.

Es kam nun nicht von ungefähr, dass Frau Göring-Eck-ardt auf ihrer Sommertour „Grüne Energie für Ostdeutsch-land“ im August 2011 pressewirksam die Raffinerien derVerbio AG besuchte und als bedeutsamen Wirtschaftsfak-tor mit grünem Gewissen bewarb. Eher ist ihr Besuch alsRevanche zu werten für das offensichtliche und recht plum-pe Werben Alexander von Witzlebens für eine schwarz-grüneRegierung in Thüringen. Regierungschef sollte damals Die-ter Althaus werden, als grüne Stellvertreterin wurde Gö-ring-Eckardt gehandelt. „Dieter, mach das! Die Göring-Eckardt ist okay, mit der kommst du klar. Die ist übrigenschristlich, das ist schon mal wichtig. Male dir aus: Ihr wür-det ein Traumpaar abgeben, sie und du. Und dann bist du

vor allem eines: bundesweit erster! Thüringen lebt dann dasSchwarz-Grün-Modell allen voran vor.“ Mit diesen Wortenwurde von Witzleben 2004 zitiert. Damals galt er als einerder engsten Berater von Dieter Althaus, der kurz davor stand,die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene zu for-men. Nur wenige Stimmen, die damals den Grünen zumEinzug in den Landtag fehlten, ließen das Projekt scheitern.

Der Kreis der religionsnahen Öko-Clique innerhalb derInternationalen Martin-Luther-Stiftung wird komplettiert voneinem weiteren Aristokraten: Constantin Prinz von Sach-sen-Weimar-Eisenach arbeitet seit dem Jahr 2010 als Ge-schäftsführer der Belvedere Energy Group, die sich auf er-neuerbare Energien und Solarparks spezialisiert hat. Er sitztneben Kornblum im Stiftungsvorstand.

Über den Aufsichtsratsvorsitzenden von Witzleben be-sitzt die Verbio AG somit einen exzellenten Kontakt zuweiteren Ökolobbyisten und vor allem zur Atlantik-Brü-cke, einem der wichtigsten transatlantischen Klüngelvereine.Über diesen Kontakt EU-Richtlinien zu forcieren, wenn nichtsogar vorzuschlagen, sollte kein allzu problematisches Un-terfangen darstellen. Doch zur Bundeskanzlerin kann vonWitzleben auch ganz andere Verbindungen herstellen.

Rat für Innovation und Wachstum

Nicola Leibinger-Kammüller ist ebenfalls Kuratoriums-mitglied der Internationalen Martin-Luther-Stiftung. Sie saßim Oktober 2006 im Beirat der Landesbank Baden-Württemberg, als diese entscheidend an der Emission derVerbio-Aktie beteiligt war. Frau Leibinger-Kammüller en-gagiert sich auch im Rat für Innovation und Wachstum, derdie Kanzlerin bereits seit Mai 2006 vor allem bezüglich fol-gender Frage berät: „Wo kann politisches Handeln den Hebelansetzen, um innerhalb der Wertschöpfungskette die Ab-läufe zu optimieren?“ Die Umschreibung verschleiert, dassin diesem elitären Rat Politiker und Wirtschaftsbosse zu-sammentreffen, um Monopole zu schmieden. Um diesedann auf politischem Wege vor dem freien Markt zu schüt-zen.

Argumentative Blendgranaten

Die monopolistische Ausschlachtung des Kraftstoff-marktes muss dem Bürger und Kunden natürlich auch ver-kauft werden. Um eine demokratische Debatte über dasThema E10 zu simulieren, werden also Blendgranaten ge-zündet, die das Projekt nur unzureichend durchleuchten. Alswichtigstes Argument gegen die Einführung von E10 wirdin den Mainstreammedien die Angst vor steigenden Lebens-mittelpreisen angeführt. Hier beteiligen sich gerne auch dieFrontorganisationen der grünen Propaganda.

Über den Aufsichtsratsvorsitzenden von Witzleben besitzt die Verbio AG

einen exzellenten Kontakt zu weiteren Ökolobbyisten und zur Atlantik-

Brücke, einem der wichtigsten transatlantischen Klüngelvereine.

Page 21: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

21ef März 2012

Ein Jahr nach der Einführung in Deutschland kannallerdings keine Erhöhung des Weltmarktpreises für Wei-zen, dem wichtigsten Grundstoff für Bioethanol, nachge-wiesen werden. Den Konsumenten wird also ein falschesArgument gegen E10 in die Hand gegeben. Es wird dasBild von hungernden Menschen in Afrika als moralischeKeule präsentiert. Ein recht emotionales Argument, das denkritischen Verbraucher aufs Glatteis führt. Was, wenn nunin Kürze die Mängel dieses Arguments in den Medien auf-gezeigt werden, um damit dann auch die letzten argumen-tativen Hindernisse für das Öko-Kartell auf dem Weg zurHerrschaft über den Kraftstoffmarkt aus dem Weg zu räu-men? Das stichhaltigste Gegenargument, die Kartellisierungund planwirtschaftliche Kontrolle des Marktes, bleibt so oderso vor der Aufmerksamkeit der Bürger geschützt.

Falsche Flagge ADAC

Selbst der ADAC ist mittlerweile auf den Klimagas-Zug aufgesprungen und wirbt für E10. So proklamiertADAC-Präsident Peter Meyer: „Biokraftstoffe sind einewichtige Option, den Kraftstoffmix zu diversifizieren undTreibhausgase zu reduzieren, wenn sie nachhaltig hergestelltwerden und technisch verträglich sind.“

Merkwürdig, dass der ADAC nun nicht mehr die Inte-ressen seiner Mitglieder vertritt, die aufgrund des geringe-ren Energieanteils in E10 und trotz aller Subventionen fürden Biokraftstoff im Endeffekt nahezu genausoviel zahlenmüssen wie für Kraftstoffe mit einem Oktanwert von 95.Dass somit die aus Steuertöpfen bezahlten Subventionenlediglich den Herstellern und nicht den tankenden Kundenzugute kommen, bleibt vom ADAC unerwähnt.

Könnte dies damit zusammenhängen, dass auch hier dieVerbio AG ihre Finger im Spiel hat? Die filigrane PR-Ar-beit für den Einsatz von E10 wird koordiniert durch dieDeutsche Energie-Agentur (dena), die im Jahr 2000 vonder Bundesregierung in Kooperation mit der Kreditanstaltfür Wiederaufbau, der Allianz und der Deutschen Bank ge-gründet wurde. Ihr Ziel: „Die dena entwickelt Märkte für

Energieeffizienz und erneuerbare Energien und kooperiertdafür mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.“

Da die Verbio AG als gewichtiger Produzent des fürE10 benötigten Bioethanols genau diesen Markt bedient,treffen sich ihre Vertreter unter dem Schirm der dena mitweiteren Akteuren der nutznießenden Industrie und desADAC. Im Rahmen dieser Treffen wurden unter anderemdie Initiative Erdgasmobilität geschmiedet und Workshopszum Thema der Quotenerfüllung im Rahmen der beschrie-benen EU-Richtlinie veranstaltet. Somit wurde auch in Sa-chen PR gleich ein Klüngelclub gegründet. Der ADAC wurdegekapert und operiert nun unter falscher Flagge im Auftragdes öko-industriellen Komplexes. Die österreichischen Kol-legen des ARBÖ wurden offenbar noch nicht entsprechendmit eingebunden.

Was bleibt? Was kommt?

Dem Kunden wird an der Zapfsäule ein Kraftstoff an-gedreht, der auf einem freien Markt aufgrund seiner man-gelnden Effizienz wahrscheinlich rasch verschwinden wür-de. Der ursprünglich freie Markt allerdings wird vernichtetdurch eine Richtlinie nichtgewählter EU-Bürokraten, nachder Verbrauchsquoten im Bereich der Energieträger zu er-füllen sind. Damit werden Abgabemengen durch planwirt-schaftliche Methoden festgelegt. Um die Quoten zu erfül-len, werden die Marktpreise durch Subventionen und Misch-kalkulationen manipuliert.

Politiker aller Couleur beteuern stets, dass dem KundenE10 nicht aufgezwungen werde. Dies mag auf den erstenBlick stimmen. Jedoch werden die Tankstellenbetreiber überdie oben genannte Quotenvorgabe an den Planvorgabenbeteiligt. Und wie kann ein Verkäufer aufgezwungene Ab-gabequoten erfüllen? Einzig und allein über den Preis. Erwird manipuliert und somit seiner Funktion als Indikatorfür Effizienz, Ressourcenverbrauch und Nachfrage beraubt.Der Kunde wird auf der einen Seite also durch einen mani-pulierten Preis getäuscht. Auf der anderen Seite wird ver-sucht, ihm jeglichen kritischen Verstand zu rauben. Mangel-hafte Argumente gegen E10 werden ihm schmackhaft ge-macht und ihm vormals zugeneigte Organisationen über-nehmen die PR der Gegenseite. Auf diesem Weg wird jeg-licher Aufruhr im Keim erstickt. Eine Maßnahme, die be-kannt erscheint – aus verschiedenen Handbüchern der Mili-tärs zur Aufstandsbekämpfung.

Der Dreiklang aus elitärer Monopolbildung, planwirt-schaftlichen Methoden und Operationen unter falscher Flag-ge erklingt somit als Ouvertüre zur Planübernahme einesehemals recht freien Kraftstoffmarkts. Soll nur keiner mehrsagen, Instrumente und Mitspieler seien unbekannt.

Katrin Göring-Eckardt: Unschuld vom Lande?

Page 22: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

22 eigentümlich frei Nr. 120

eigentümlich frei

ISSN 1617-5336 www.ef-magazin.de

erscheint 10 mal pro Jahr (monatlich – bei zwei Doppelausgaben proJahr) Einzelpreis Inland: 8,50 EUR inkl. Porto/Vp., Bezugs-preise für ein Jahr (10 Hefte): Inland: 81,00 EUR inkl. Por-to/Vp., Europa: 98,00 EUR inkl. Porto/Vp., Übersee:112,00 EUR inkl. Porto/Vp. Schüler, Studenten oder Zwangs-dienstleistende, die Probleme haben, ein Abonnement zu finanzierenund die selbst keinen Sponsor finden, erhalten ein gesponsertes Abon-nement zu 51,00 EUR inkl. Porto/Vp. Das Abonnement verlän-gert sich automatisch um ein Jahr, wenn es nicht bis 3 Monate vorAblauf des laufenden Abonnements schriftlich gekündigt wird.Herausgeber und Chefredakteur: André F. Lichtschlag,M.A. Email: [email protected]: Dr. Bruno Bandulet, Dirk Friedrich, RobertGrözinger, Luis Pazos und David Schah.Redaktionsbeirat: Dr. habil. Stefan Blankertz, Dr. habil.Hardy Bouillon, Dr. Detmar Doering, Prof. Dr. GerdHabermann, Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe, Prof. Dr.Guido Hülsmann, Robert Nef, lic. iur., Prof. Dr. ErichWeede.Karikaturen: Götz Wiedenroth (wiedenroth-karikatur.de).Graphik: André F. Lichtschlag (Layout und Titellayout).Korrektorat: Ulrich Wille.

Bildquellen: Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben,stammen aus dem Archiv der Lichtschlag Medien und Wer-bung KG sowie aus den privaten Archiven der Autoren.Verlag: Lichtschlag Medien und Werbung KG. Schanzen-straße 94. 40549 Düsseldorf.Tel. 0 211 - 171 868 81. Fax 0 21 82 - 570 40 41.Anzeigen: Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 10.Bankverbindung: Lichtschlag Medien und Werbung KG,Raiffeisenbank Grevenbroich e.G. (BLZ 370 693 06) Kto.-Nr. 6 704 288 016, Internationale Bankverbindung: BICCODE / SWIFT: GENO DE D1 GRB, IBAN: DE 083706 9306 6704 2880 16, Steuer-Nummer: 114/5712/1105.Namentlich gekennzeichnete Beiträge werden von den Autoren selbstverantwortet und geben nicht in jedem Fall die Meinung des Heraus-gebers wieder.Druck: IDEE Druckhaus GmbH, Otto-Hahn-Str. 14,50181 Bedburg, Tel. 0 22 72 / 9 99 90.

ImpressumAus dem Bundestag

Christen und LiberaleBaaders Vermächtnis

von Frank Schäffler

Der ef-Kolumnist ist FDP-Bundestagsabgeordneter.

22

Roland Baader warnte seit 1987, einsam wie einst der Pro-phet Jeremia, vor der mittlerweile eingetretenen Geld-, Fi-nanz- und Moralkrise der westlichen Gesellschaften. Alsgläubiger Katholik besaß er die innere Freiheit, liberale Ein-sichten lautstark öffentlich und gegen den Geist der Zeit zuverkünden. Denn sein Glaube bewahrte ihn davor, ein Kindseiner Zeit sein zu müssen.

Baader war mit seinen Überzeugungen sowohl dempolitisch organisierten Liberalismus als auch der sozialde-mokratisch angekränkelten römisch-katholischen Amtskir-che in Deutschland ein Dorn im Auge, von den protestan-tischen Landeskirchen ganz zu schweigen. „Die meisten Li-beralen“ und man muss hinzufügen: auch die meistenAmtsträger in den Kirchen „der westlichen Welt vertretendie Exklusionsthese, welche besagt, dass im Liberalismusals einer säkularen Weltanschauung kein Platz sei für pro-grammatische Aussagen religiöser Natur. Religion sei Pri-vatsache und stehe in keinem notwendigen Zusammenhangmit der Freiheitsidee des klassischen Liberalismus. Das magfür den Liberalen als Einzelperson eine mögliche Optionsein, für den Liberalismus als angestrebte gesellschaftlicheOrdnung ist es das nicht. Die fundamentalen Axiome undPrinzipien des Liberalismus wie Individualismus, Gleich-heit vor dem Recht, Vertragstreue und Eigentum sowieseine elementaren Forderungen haben ihre Wurzeln undFundamente (nicht ausschließlich, aber schwergewichtig) inder christlichen Lehre. Und das bedeutet auch, dass derLiberalismus auf diese religiöse Grundlage angewiesenbleibt“, so Roland Baader in der allerersten Ausgabe dieserZeitschrift 1998.

Die Realität lehre uns oft besser als die abstrakte Theo-rie, so Baader weiter, dass Christentum und Liberalismusaufeinander bezogen und aufeinander angewiesen seien,indem sie entweder miteinander bestehen oder miteinanderuntergehen. Es sei eben kein Zufall, dass im Verlauf des20. Jahrhunderts in allen totalitären und sozialistischenZwangsstaaten zugleich mit der Freiheit auch die göttlicheBotschaft ausgelöscht wurde. Und es sei auch kein Zufall,dass in den halbsozialistischen Wohlfahrtsstaaten Europasdie Kirchen leer geworden und persönliches Mitleid undprivate Karitas dem sozial-kleptokratischen Umverteilungs-befehl des Staates gewichen sind.

Page 23: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

23ef März 2012

ef-Schwerpunkt, Heft 120

Roland BaaderFoto (Grabstätte) von privat

„Ich träume von einem vollbesetzten Bundestag. Plötzlich erhebt

sich einer der Abgeordneten, allen anderen als aufrechtes Mannsbild

bekannt, und tritt ans Mikrofon: Meine Damen und Herren, ich

bekenne mich zur freiheitlichen, individualistischen und christlichen

Kultur, Tradition und Zivilisation des Abendlandes. Genau aus

diesem Grund sage ich allen hier versammelten Volksvertretern,

allen Parteien, Politikern und Regierungsmitgliedern: Ich brauche

eure Subventionen und Transferzahlungen nicht; ich will nicht euer

Kinder-, Mutterschafts- und Sterbegeld, nicht eure tausend Almosen

und milden Gaben, die ihr mir vorher aus der Tasche gezogen habt –

und mir und meinen Kindern noch in fünfzig Jahren aus der Tasche

ziehen werdet. Ich brauche keine subventionierte Butter, kein

Quoten-Rindfleisch und keine preisgarantierte Milch, keine

Planwirtschafts-Erbsen und keine ministergelisteten Medikamente; ich brauche

keinen Schwerbeschädigten-Ausweis für meine Plattfüße und keinen Almosen-

Freibetrag für meine pflegebedürftige Großmutter, auch keine Kilometerpauschale

und keinen Kantinen-Essensbon. All eure Wahlfang-Scheine könnt ihr euch an den

Hut stecken. Aber: Lasst mich dafür auch in Frieden. Ich bin nicht euer Buchhalter,

Statistiker und Belegsammler, der die Hälfte seiner Lebenszeit damit zubringt, eure

Schnüffel-Bürokratie zu befriedigen, der von einem Paragraphenknäuel zum anderen

taumelt und sich wie eine gehetzte Ratte durch alle Kanalwindungen eurer kranken

Steuergehirne windet. Schickt euer Millionenheer von Faulärschen und parasitären

Umverteilern nach Hause, eure Vor- und Nachdenker moderner Wegelagerei, eure

Bataillone von Steuerfilz-Produzenten, Labyrinth-Pfadfindern und Paragraphen-

Desperados, eure Funktionärs-Brigaden von Verordnungs-Guerilleros und

Stempelfuchsern, all die nutzlosen Formularzähler und Arbeitsverhinderungs-

Fürsten. Lasst mich einen festen und ein für alle mal fixierten Steuersatz zahlen, und

bezahlt damit eine angemessene Verteidigungsarmee und ein verlässliches

Rechtswesen, aber haltet euch ansonsten heraus aus meinem Leben. Dies ist mein

Leben; ich habe nur eines, und dieses eine soll mir gehören. Ich bin niemandes

Sklave, niemandes Kriecher und niemandes Liebediener. Ich bin ein freier Mann, der

für sein Schicksal selbst und allein verantwortlich ist, der sich in die Gemeinschaft

einfügt und die Rechte anderer genauso respektiert wie er seinen eigenen Pflichten

nachkommt, der aber keine selbsternannten Ammen und scheinheiligen Guten

Onkels, keine ausbeuterischen Wohltäter und von mir bezahlte Paradiesverkünder

braucht. Was ich brauche, das sind: Freunde, Familie und rechtschaffene

Christenmenschen, in guten und in schlechten Zeiten; und ich bin Freund,

Familienglied und Christ, auch dann, wenn es anderen schlecht geht; aber dazu

brauche ich keine Funktionäre und Schmarotzer, keine bezahlten Schergen und

staatsversorgte Wohltäter. Dazu brauche ich nur die mir Nahestehenden und den

Herrgott. Hier stehe ich. Gott helfe mir! Ich kann nicht anders!“

Roland Baader

Page 24: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

24 eigentümlich frei Nr. 120

Roland Baader und die Wissenschaft

Die Poesie des SchwertsÜber einen, dem zu Lebzeiten die Ehrung verweigert wurde

von Robert Nef

Der Autor und ef-Redaktionsbeirat war langjähriger Leiter des Liberalen Instituts Zürich und ist derzeit Stiftungsratspräsident.Foto (Klavier) von privat; Foto (Bibliothek) von privat

Roland Baader ist in seinem engeren Freundeskreis schonfrüh als herausragender Freiheitsdenker und als aktiverKämpfer gegen freiheitsfeindliche Vorurteile und Irrtümererkannt worden. Im akademischen Umfeld haben ihn diefreiheitsfreundlich eingestellten Fachkollegen als „Autorpopulärwissenschaftlicher Werke“ zwar durchaus wohlwol-lend wahrgenommen, aber letztlich nicht als adäquaten Ge-sprächspartner akzeptiert. Die linken Intellektuellen, die erin fast jedem Text offen attackierte, haben ihn entweder garnicht beachtet oder sie haben auf eine differenzierte Ausei-nandersetzung verzichtet. Roland Baaders publizistischesWerk hat zwar eine größere und auch begeisterte Leser-schaft gefunden und zahlreiche zustimmende Rezensionenausgelöst, aber es hat ihm keine akademischen Ehrungenbeschert. Als potenzieller Preisträger ist er zwar immer wiedernominiert, aber letztlich doch nie gewählt worden. „Zupolemisch“, „zu staatsskeptisch“, „zu wenig differenziert“,„zu wirklichkeitsfremd“ lauteten die Argumente, die ich inzahlreichen Diskussionen selbst miterlebt habe, und die ichohne Erfolg immer wieder zu entkräften versuchte.

Wer heute im Internet die positive Würdigung verfolgt,mit der eine vorwiegend jüngere Leserschaft auf seinen Todreagierte, gelangt, wenigstens was die Tugend der Differen-ziertheit betrifft, zu einem anderen Urteil. „Wer gar zuvielbedenkt, wird wenig leisten“, sagt Tell bei Schiller. Vielleichtsind viele liberale Publikationen heute gerade zu wenig an-griffslustig, zu wenig kompromisslos und zu wenig staats-skeptisch, als dass sie eine jüngere Leserschaft noch zu über-zeugen vermöchten. Zuviel „Sowohl-als-auch“, zu wenig„Entweder-oder“, zuviel Liberalismus mit Adjektiven undzu wenig Liberalismus als radikale Zwangs-, Fremdherr-schafts- und Machtkritik.

Roland Baader lebt in seinen Schriften weiter, undmöglicherweise wird das, was man zu seinen Lebzeiten alsSchwäche bezeichnet hat, zur eigentlichen Stärke. Er ist mitzunehmendem Alter nicht milder geworden, und er hat –um eine Metapher aus einem seiner plakativen Buchtitel zuverwenden – als liberaler Wolf keine Kreide gefressen, umsozialverträglicher, parteitauglicher und preiswürdiger zuwerden und mehr Anhänger zu gewinnen. Ihm waren we-nige echte Freunde lieber als eine große Zahl von Schulter-klopfern und Händeschüttlern. Lobreden waren ihm ver-hasst, und ich vergesse nie, wie dankbar er auf Kritik rea-

gierte, wenn man ihn auf gelegentliche Schwachstellen sei-ner Argumentation aufmerksam machte.

Wer nach Gründen für seine doch recht selektive undeinseitige Rezeption sucht, findet sie zunächst in seinem Tem-perament und in seinem Stil. Ich habe Roland Baaderverschiedentlich als Referent zu Veranstaltungen vor durchausliberalem Publikum eingeladen, und musste nachher immerwieder die Kritik anhören, da sei wieder einmal maßlosübertrieben worden, und so schlimm sei doch das alles garnicht. Man dürfe den Staat nicht derart einseitig an den Pran-ger stellen, und ein vernünftiger Liberalismus sei doch letztlichauf einen starken Staat angewiesen. Wer den Markt nicht alsspontanen Prozess, sondern als eine „Veranstaltung des Staa-tes“ deutet (das tun viele Ordoliberale, aber ich widerspre-che ihnen), kann mit Roland Baaders Staatsschelte weniganfangen. Schweizer Freiheitsfreunde haben zudem eine his-torisch verankerte positive Einstellung zum Staat. Er wirdvon vielen immer noch als direktdemokratisch verfassteEidgenossenschaft erlebt und nicht als Herrschaftsapparat,in dem eine Obrigkeit den Untertanen immer mehr Vor-schriften macht, einen immer größeren Anteil des Verdiens-tes wegsteuert und – auf Pump – Renten verteilt.

Roland Baader ging es nicht um wissenschaftliche An-erkennung, sondern um jene Glaubwürdigkeit, die nach derBeseitigung von ideologischen Scheuklappen, von allgemei-nen Vorurteilen und tonangebenden Irrlehren übrigbleibt.Baader sah sich als „Rufer in der Wüste“, in der bei einerMehrheit der blinde Glaube an den Staat als Garant derGerechtigkeit und als Quelle des Wohlstandes vorherrscht.Dagegen hat er angekämpft und dabei nicht locker gelas-sen.

Am liebsten diskutierte Baader im kleinen Kreis, bei ei-nem Glas Wein und – wenn möglich – bis in die Morgen-stunden hinein. Dann verschob sich die politische Diskussi-on oft auf die philosophische Ebene, etwa auf die Grund-frage, ob Freiheitsfreunde eher ein pessimistisches oder einoptimistisches Welt- und Menschenbild hätten. Mit dem vonmir in die Diskussion geworfenen Fontane-Zitat „Was wirin Welt und Menschen lesen, ist nur der eigene Widerschein“,forderten wir uns einmal gegenseitig zu persönlichen Stel-lungsnahmen heraus. Die bequeme Antwort „Sowohl alsauch“ blieb ausgeklammert. Roland Baader sah aus deut-scher Sicht viele Gründe zu einem abgrundtiefen Pessimis-

Page 25: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

25ef März 2012

mus. „Früher oder später knallt das alles an die Wand“ –meinte er. Als eher realitätsbezogener Schweizer Non-Zen-tralist entgegnete ich, es sollte doch möglich sein, in vielenkleinen Schritten die Vorzüge von „Mehr Freiheit – weni-ger Staat“ erlebbar zu machen und daraus kollektive Lern-prozesse zu entwickeln. Den „geordneten Rückzug aus Fehl-strukturen“ nenne ich die strategische Operation, die ehervom Geist der Evolution als vom Geist der Revolutioninspiriert ist. Meinen Glauben an eine schrittweise Sanierungs-möglichkeit falscher Politik nannte Roland Baader naiv, wäh-rend ich seine Hoffnung, nach einem „großen Knall“ wür-de man die konsequenten Freiheitsfreunde als Staatsabschaf-fer ans Ruder lassen, ebenfalls naiv nannte. War er ein Apo-kalyptiker, der die „große Pleite“ vorausahnte? Oder sindseine Appelle eher als Warnungen zu verstehen, die eine „gro-ße Pleite“ noch vermeidbar machen?

Sicher ist, dass Roland Baader als engagierter Verteidi-ger eines marktwirtschaftlichen Kapitalismus mit dem realexistierenden Kapitalismus in den USA wenig am Hut hat-te. Dieser Kapitalismus dient zwar den Kapitalismuskriti-kern aller Parteien als Feindbild, er liefert aber bei nähererBetrachtungsweise keine Argumente gegen eine auf Frei-handel, friedlichem Tausch und freier Kommunikation be-ruhende globale Zivilgesellschaft. Die USA sind das Opfereiner komplexen Verstrickung von Big Business mit BigGovernment und dem militärisch-industriellen Komplex,und sie leiden unter dem Monetarismus, den Roland Baa-der in seinen letzten Schriften konsequent als „Geldsozialis-mus“ bezeichnet hat.

Einig waren wir uns mit Hayek, dass die Evolution ausvielen kleinen Revolutionen besteht, aus einer ständigenNeukombination von Entdeckungen und neuen Erfindun-gen. Darum werden Revolutionen am besten in politischenKleinexperimenten getestet. Die Gefahr eines Umkippensin einen neuen kollektiven Irrtum kann so verringert wer-den. Wie optimistisch ein Freiheitsfreund als Idealist seindarf und wie pessimistisch er als Realist sein muss, blieb indiesem Gespräch offen.

Wie so oft kamen wir nach den philosophischen aufdie dahinter stehenden religiösen Fragen. Ist die Geschichteder Menschheit letztlich eine unendliche Kriminalgeschichtemit notwendigerweise tragischem Ausgang? Oder ist sie eineHeilsgeschichte, die im Paradies mit einer Harmonie vonGott, Mensch und Natur beginnt und die durch den Sün-denfall menschlicher Anmaßung einen Riss bekommt? Wieglaubwürdig ist eine Heilung dieses Risses durch den Glau-ben an Kreuzigung und Auferstehung? Kann eine letztlichdoch auf Gewalt und Zwang basierende politische Ord-nung schrittweise durch eine auf Tausch und Sympathie ba-

sierende spontane Ordnung abge-löst werden?

Und wie steht es mit dem„Jüngsten Gericht“, das als großeAbrechnung mit der real existieren-den Menschheit in Aussicht gestelltwird? Pessimisten halten ihr tägliches„jüngstes Gericht“ nach eigenenNormen und eigenen Maßstäben ab.Optimisten sehen die Entwicklungals spontane Ordnung, in der eine„unsichtbare Hand“ wirkt, für gläubige Christen die HandGottes. In der biblischen Betrachtungsweise ist die Mensch-heitsgeschichte ein Prozess, der nicht in einem Desaster derSelbstvernichtung endet. Der Mensch wird zwar nach derErzählung des ersten Buchs der Bibel aus eigener Schuldaus dem Paradies der Harmonie mit der Natur vertrieben.Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes,wird ihm aber eine „neue Heimstätte“ verheißen: eine leuch-tende Stadt als Zentrum der Kultur. In der uns heute schwerzugänglichen, bilderreichen Sprache der Bibel ist von einerStadt die Rede „in der es keinen Tempel gibt, weil Gottselbst dort wohnt“ und in der die Straßen „aus reinem Gold,klar und durchsichtig wie Glas“ gebaut sind. Diese Stadt istaus christlicher Sicht das Ziel der Heilsgeschichte: Straßenals Kommunikationswege aus reinem Gold – ganz im Sin-ne von Baaders Vorliebe für Gold als Basis einer gesundenWährung. Also doch: Grund zum langfristigen Optimismus!

Von Wilhelm Busch stammt die lapidare Kurzfassungeiner kritisch-rationalen Erkenntnistheorie. „Nur was wirglauben, wissen wir gewiss.“ Sie gibt sowohl den Wissen-den, die zu wissen glauben, als auch den Glaubenden, dieden Glauben für ein Wissen halten, zu denken. Roland Baa-der war ein gläubiger Katholik, ich bin ein bekennenderProtestant im ursprünglichsten Sinn. Das war für uns keinGrund, das Religiöse aus Diskussionen auszuklammern. EinGlaubender, der den Mut nicht hat, auch sich selbst religi-ons- und konfessionskritische Fragen zu stellen, wird zumDogmatiker.

Roland Baader hat sich stets als Schüler von FriedrichAugust von Hayek bezeichnet, sein Lieblingsökonom undsein großes Vorbild war aber Ludwig von Mises, übrigensein bekennender Agnostiker. In dem von ihm herausgege-benen Ludwig-von-Mises-Brevier mit dem Titel „Logik derFreiheit“ schließt Baader sein Vorwort mit einer ganz per-sönlichen Empfehlung. „Wer in seinem Leben nur ein einzi-ges Buch über Freiheit, Markt und Liberalismus lesen kannoder will, der möge dafür das Mises-Werk von 1927 ‚Libe-ralismus’ wählen.“

Sittich Gigi lauscht:

Holzhammer oder

doch eher Feingeist?

Ist die Geschichte der Menschheit letztlich eine unendliche

Kriminalgeschichte mit notwendigerweise tragischem

Ausgang? Oder ist sie eine Heilsgeschichte?

Page 26: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

26 eigentümlich frei Nr. 120

Im gleichen Vorwort dankt Baader al-len, die sich dafür verwenden, „dass dieseStimme im ordnungspolitisch verwahrlos-ten Deutschland wieder vernehmbar ge-worden ist, in einem Deutschland, das trotzdes weltweiten Scheiterns sämtlicher Vari-anten des Sozialismus einem sozialpolitischverbrämten Dreiviertel-Sozialismus an-hängt.“ Das Vorwort beginnt mit einemSatz, der wie ein Grabspruch tönt: „Sein ganzes Leben standLudwig von Mises als Fels wider die Brandung des Zeit-geistes.“ Bestimmt schwingt da auch eine gewisse Identifi-kation des Brevier-Herausgebers mit dem von ihm bewun-derten Autor mit.

Die konsequente Berufung auf die Österreichische Schuleder Nationalökonomie ist ein weiterer Grund für die Au-ßenseiterrolle, die Baader als einer ihrer prominenten Ver-treter und Popularisierer in der aktuellen wirtschaftstheore-tischen und wirtschaftspolitischen Diskussion gespielt hat.

Ein zentrales Anliegen dieser ökonomischen Denkschuleist inzwischen zum Allgemeingut geworden. Die sowohlvon Adam Smith als auch von Karl Marx vertretene Ar-beitswertlehre gilt allgemein als falsifiziert und überholt, unddie von der Österreichischen Schule vertretene subjektiveWertlehre hat sich außerhalb eines kleineren Kreises vonkonsequent planwirtschaftsgläubigen sozialistischen Dogma-tikern allgemein durchgesetzt. Ob daraus immer die richti-gen Konsequenzen gezogen werden, bleibe dahingestellt. DieVorstellung von streng wissenschaftlich und voraussetzungs-los objektivierbaren ökonomischen Werten und damit auchvon wissenschaftlich berechenbaren und gerechten Preisen,spukt immer noch in vielen Köpfen herum.

Die „Österreichische Schule“ begründet aus meiner Sichtgar nicht primär eine ökonomische Theorie, sie vertritt ei-nen allgemeinen erkenntnistheoretischen Ansatz, der zu größ-ter intellektueller Bescheidenheit zwingt: zum Sokratischen„Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Mit Bescheidenheit aberlassen sich auf dem Markt der wissenschaftlichen Eitelkei-ten wenig Meriten verdienen und auf dem Markt der pro-fessionellen Wirtschafts- und Politikberatung erst recht nicht.Was dort gefragt ist, ist die Anmaßung von Wissen und vorallem von Vorauswissen, koste es was es wolle.

Die heutige Sozialwissenschaft hat sich weitgehend vonder Erkenntnistheorie verabschiedet, betreibt empirische For-schungen und entwickelt nach dem „Wenn-dann-Schema“mathematische Modelle. Mehr oder weniger bewusst knüpftman dabei an das „emanzipatorische Wissenschaftsverständ-nis“ der Frankfurter Schule an, das auf der Hoffnung ba-siert, mit dem Fortschritt der Analyse des Seins könne man

auch erkennen, welches Sollen daraus ab-zuleiten sei. Auf den materialistischen Aus-gangspunkt des 19. Jahrhunderts gebrachtbedeutet dies: Das Sein bestimmt das Be-wusstsein. Das nennen die Kritiker zurechtden „naturalistischen Fehlschluss“, dem manzwar theoretisch mit einer hypothetischenWenn-dann-Argumentation entgehen kann,der aber in der populären Wahrnehmung

trotzdem zu einer Verwechslung von plausibel verfochte-nen Hypothesen mit gefestigtem Wissen verleitet, selbst wennder Hinweis „nach derzeitigem Stand“ nicht fehlt.

Die Gegenposition, dass die Entwicklung durch einenniemals abzuschließenden Wettbewerb um die Entlarvungpopulärer Irrtümer und um die Beseitigung tief verwurzel-ter Vorurteile gesteuert wird, und dass dadurch effektiv derjeweils besten und nützlichsten Idee zum Durchbruch ver-holfen werden kann, ist im 20. Jahrhundert in verschiede-nen sozialwissenschaftlichen Disziplinen parallel entwickeltworden. Offenheit, Vielfalt und Freiwilligkeit und ein nichtvon äußeren Zwängen bestimmter Tausch sind die Voraus-setzungen einer friedlichen, prosperierenden Zivilgesellschaft.

Leider haben sich die Bannerträger der Achtundsechzi-ger-Bewegung auf den schon damals veralteten „emanzi-patorischen Wissenschaftsbegriff“ versteift, und das eigent-liche Gegenmodell, das unter anderem von der „Österreich-ischen Schule“ vertreten wird, harrt noch der allgemeinenAnerkennung. Roland Baader hat wie kein anderer die „Ös-terreichische Schule“ allgemeinverständlich in den Zusam-menhang mit den aktuellen Herausforderungen unserer Zeitgebracht. Er braucht eine aktive und kritische Leserschaft,die weiterdenkt und die den Mut hat, als Fels in der Bran-dung des jeweils vorherrschenden Zeitgeistes zu stehen.

Auf dem Sockel des Heine-Denkmals in Hamburg wirdein Ausschnitt aus Heines „Reisebildern“ zitiert. Er hat sie20 Jahre vor seinem Tod formuliert. Ich weiß nicht, obRoland Baader Heine gelesen und geschätzt hat, aber ichzögere nicht, diesen persönlichen Nachruf auf einen Freundmit dem folgenden Zitat abzuschließen. Was Heine zu sei-ner Poesie sagt, gilt analog für die stets angriffslustige undmutige Baadersche Prosa: „Ich weiß wirklich nicht, ob iches verdiene, dass man mir einst mit einem Lorbeerkranzeden Sarg verziere. Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte,war mir immer nur heiliges Spielzeug oder geweihtes Mittelfür himmlische Zwecke. Ich habe nie großen Wert gelegtauf Dichterruhm, und ob man meine Lieder preiset odertadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt ihrmir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat imBefreiungskriege der Menschheit.“

Wo die ersten Bücher

entstanden: Bibliothek

Die Österreichische Schule begründet nicht primär eine ökonomische

Theorie, sie vertritt einen Ansatz, der zu größter Bescheidenheit zwingt:

zum Sokratischen „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.

Page 27: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

27ef März 2012

„Übersetzer“ Baader

Der liberale LutherDer dem Volk aufs Maul schaute

von Gerd Habermann

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung und ef-Redaktionsbeirat.

Ich lernte Roland Baader in den 80erJahren in Prien am Chiemsee auf derTagung einer längst vergessenen frei-heitlichen Gesellschaft kennen. Ich hat-te dort einen pointierten Vortrag überHayeks freiheitliche Botschaft zu hal-ten und merkte, wie begeistert er mei-nen Worten folgte. Dann saßen wirwährend einer Bootsfahrt auf demSee zusammen, auch seine Frau Utawar dabei, eine temperamentvolleFrau alemannischen Typs. Er stellte sichals gewesener Unternehmer vor, derjetzt sein Leben der politischen Schrift-stellerei widmen wolle, um die Lehreder Mises und Hayeks aus den akade-mischen Zirkeln in das Volk zu brin-gen. Ich freute mich über diese Am-bition, nicht ohne Skepsis, denn es istein seltener Glücksfall, wenn unterneh-merische Begabung mit theoretischerBildung und schriftstellerischem Ver-mögen zusammentreffen.

Roland Baader verstand sichschriftstellerisch etwa wie Luther, derdem Volk „aufs Maul schaute“ undmit seiner kraftvollen, bilderreichenSprache alle Schichten erreichen konn-te, einen feinsinnigen Mann wie Eras-mus von Rotterdam allerdings eherirritierte. Die Erfolgsvoraussetzungenfür dieses Vorhaben waren indessennicht schlecht: Als unabhängiger Pri-vatier konnte Baader ohne jede Rück-sichtnahme formulieren. Weder war erauf die Gunst eines staatlichen oderprivaten Arbeitgebers noch auf dieGunst der Märkte angewiesen, denner musste nicht vom Ertrag seiner Fe-der leben. Ein „man of independentmeans“ – niemandem untertan als sei-nem Gewissen, seinem Genius und,wie er zu sagen pflegte, seinem „Herr-gott“. Welcher Schriftsteller träumtnicht davon? Nicht einmal Goethe

war in dieser Lage, auch FriedrichNietzsche nicht. Montaigne – ja, daswar auch so ein Glückspilz in seinemberühmten Turm oder Arthur Scho-penhauer in Frankfurt.

Und es ging Baader ja um dieimmer besonders riskante politischeSchriftstellerei, nicht um Dichtungoder theoretische Philosophie. Wie ofthaben sich berühmte politische Schrift-steller verbiegen und den jeweiligenMachthabern ihre Reverenz erweisenmüssen – und auch heute können wirhäufig erleben, wie der Druck „poli-tisch korrekter“ Einheitsmeinungenden Mut lähmt und die Sprache ver-wässert.

Und so widmete sich Roland Baa-der ganz und ausschließlich der Schrift-stellerei, stürzte sich in die Lektüre derliberalen Theoretiker und Philosophen,baute sich eine wohlgeordnete, sehrgroße Bibliothek auf. Er lebte in ei-ner modernen Landvilla in Kirrlach,dann in einem noch schöneren Anwe-sen, führte einen guten Weinkeller undTisch und war der großherzigste Gast-freund, den man sich denken konnte.Die Künste, vor allem Malerei, brach-te seine Frau Uta ein, das Muster einerinnigen Ehe. Und hier, in seiner ge-lehrten Klause, schrieb er nun Buch aufBuch, auch und gerade während sei-ner schweren Erkrankung. Die intel-lektuelle Welt wurde bald auf ihn auf-merksam, er wurde Mitglied der MontPelerin Society, gründete 1998 dieHayek-Gesellschaft mit. Er wandeltesich dann langsam von eher klassisch-liberalen zu eher radikal-libertären Ide-alen, ganz und bedingungslos konver-tierte er aber nicht.

Der Stil seiner Schriften ist voneinem lutherisch oder altprophetischenZorn geprägt, der sich in drastischen

Bildern entlädt. Er wollte durchausnicht „fein“ schreiben und entfrem-dete sich so von etlichen sensiblen The-oretikern, namentlich staatlich beam-teten Ökonomen, für die er kaum eingutes Wort fand. Zur vorherrschen-den Ökonomie schrieb er etwa: „Vonder Moralphilosophie zur Prostituti-onswissenschaft“. Begeisterte Leserfand Baader besonders in den USA,namentlich in Hans F. Sennholz – auchein ehemaliger deutscher Kampfflie-ger wie unser gemeinsamer Freundund Mitstreiter Gerard Radnitzky. Oft,vielleicht allzuoft, schrieb und sprachBaader in Bildern einer drohendenApokalypse. Gleichwohl focht er mu-tig und tapfer für das, worauf es fürihn ankam, wenn wir Freiheit undKultur bewahren wollen: Eigentum,Privatheit, intakte Familien, Anstandund Treue, friedlichen Markttausch,gutes Geld, Wohlstand, Nächstenlie-be statt Zwangs-Umverteilung, Mo-ral statt Terror, christlicher Glaube.

Es ist erstaunlich, dass die Linkenaller Parteien ihn bisher nicht zu einemErzfeind erklären und aggressiv be-kämpfen. Dies liegt wohl daran, dassbisher die Breitenwirkung seinerSchriften ausgeblieben ist. „Das Volk“liest ihn eben doch noch nicht – manvergleiche die Wirkung von Sarrazinsbekannter Schrift –, nur eine wachsen-de Sympathisantengemeinde. Es liegtdies wohl auch an der apodiktischenSchroffheit seines Stils und der Unge-wöhnlichkeit vieler seiner Positionen,die eben an den Grund der Dinge rüh-ren. Da verschlägt es manchem Lin-ken einfach die Sprache.

Gern zitierte Roland Baader einenSatz von Rabelais: „Kinder sind keineFässer, die gefüllt, sondern Feuer, dieentfacht werden müssen.“ Und, sofuhr er fort, „da die meisten Menschenhinsichtlich ökonomischer und sozial-philosophischer Kenntnisse Kindersind“, versuche er „nicht anders als beidiesen Kindern die Feuer der Freiheitzu entfachen“. Möge dieses „sacrefeu“ viele erfassen und helfen, den de-moralisierenden „samtpfotigen Sozi-alsozialismus“ zurückzudrängen, auchposthum.

27ef März 2012

Page 28: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

28 eigentümlich frei Nr. 120

Roland Baaders Glaube

Die Botschaft Jesu als Weg zur Freiheit„Christus ist die einzige Partei, die ich wählen würde“

von Ingo Resch

Der Autor, Jahrgang 1939, promoviert, ist Verleger. In seinem Verlag erschienen alle großen Werke Roland Baaders von „Fauler Zauber“ 1997 bis „Geldsozialismus“ 2010.Foto (Geld, Gold und Gottspieler) von Torben Niehr / Centerfold in ef 54 (August 2005)

„Für den Freiheitsanspruch und die Menschenwürde gibtes letztlich nur eine einzige unwiderlegbare Rechtfertigung,und das ist die Gottesgeschöpflichkeit des Menschen“, soRoland Baader in einem Interview im Jahre 2009 in derchristlichen Zeitschrift „Factum“. Baader war vielen bekanntdafür, dass er sich für einen liberalen Staat einsetzte undgegen den Sozialismus wendete. Dieses Bekenntnis entstandaber nicht allein aus ökonomischen Rückschlüssen. Wer diePleite des Sozialismus kennenlernte und die florierende, weilteilweise freie, westliche Welt dagegen stellte, musste zu ei-nem solchen Schluss kommen. Doch Baaders Überzeugunggründete tiefer. Er sah den Menschen. Er sah ihn so, wieGott ihn geschaffen hatte. Nicht als homogenen Teil einesKollektivs, sondern als Individuum. Jeder Mensch ist anders.Und in dieser Andersartigkeit bedingen, ja benötigen sichdie Menschen. Doch der Mensch muss frei entscheidenkönnen, welche Leistungen er anderen anbietet, um dann inder Lage zu sein, frei zu entscheiden, welche Leistungen vonanderen er erwerben möchte. Er muss frei sein zu entschei-den, wieviel er sparen möchte, und nicht über die Geldent-wertung zu Gunsten des Staates zwangssparen müssen. Dasist Freiheit im ökonomischen Sinn. Roland Baader wussteallerdings auch, dass der christliche Freiheitsbegriff weitergeht: Er macht uns frei von unseren Begierden, er machtuns frei davon, immer mehr Güter anhäufen zu müssen,immer mehr Macht auszuüben, nach immer mehr Aner-kennung zu schielen und immer mehr das Leben im egois-tischen Sinne auszuschöpfen. „Zur Freiheit hat euch Chris-tus befreit“, schrieb der Apostel Paulus an die Gemeinde inKorinth. Er meinte damit auch die Freiheit von den unsselbst belastenden Trieben. In dem auf die Person bezoge-nen Freiheitsbegriff sah Roland Baader immer den einzel-nen Menschen in Bezug und damit Verantwortung gegenü-ber Gott und dem Nächsten. Deshalb waren wir uns einigim Ablehnen der alle Maßstäbe verlassenden astronomischenVorstandsbezüge.

Die christliche Botschaft hat Baader als eine Lehre vomGeben verstanden, und nicht als ein Zwangssystem vomTeilen. Für Baader stellt die Bibel geradezu eine Fundgrubevon Grundsatzaussagen für eine liberale gegen eine sozialis-tische Gesellschaftsordnung dar. In der ihm eigenen, tref-

fenden Art zu schreiben, zitiert er die bekannte Geschichtedes barmherzigen Samariters. Wäre jenem, so schrieb Baa-der, befohlen worden, den Überfallenen zu versorgen undGeld zu geben, „so hätte diese Figur sicherlich keine bibli-sche Berühmtheit erlangt“. Es lässt sich im Sinne Baadersder Gedanke weiterspinnen. Würden in den Vereinigten Staa-ten im Wege eines steuerlichen Zwangssystems die Milliar-däre so erleichtert werden, wie es Bill Gates freiwillig tut, sowürde wahrscheinlich nicht nur dieser längst seinen Firmen-sitz auf den Bahamas registrieren lassen.

Weil es im Neuen Testament keine Ethik des verordne-ten Teilens, sondern des freiwilligen Gebens gibt, so Baa-der, setzt dies eine Wirtschaftsordnung voraus, die Eigen-tum ermöglicht. Kollektiveigentum bedeutet das Ende al-len Schenkens und Gebens. Zusätzlich sinken die Bereitschaftund damit die Moral, dem Schwachen zu helfen, wenn die-se Funktion der Staat durch ein hohes Abschöpfen der Ein-kommen selbst besorgen will. Baader warnt davor, dies-seits des Himmels, also „hier auf Erden eine Art göttlicheAllgerechtigkeit anstreben zu wollen“. Dabei nimmt er den„ominösen“ Begriff der sozialen Gerechtigkeit aufs Korn.Er meint, dieser Ausdruck sei eine „Perversion des Gerech-tigkeitsbegriffes“. So spricht Baader von „Chancenfreiheit“und nicht von Chancengleichheit, weil die Menschen unter-schiedlich von Gott geschaffen wurden. Weil nur so dieMenschen einander brauchen und nicht isoliert nebeneinan-der leben. Denn Gott ging es um Leben, also Beziehung,die nur bei Unterschiedlichkeit möglich ist. So funktionierteine Wirtschaft auch nur, wenn Anbieter und Nachfragerunterschiedlich sind, und eben nicht gleich. Ein zwangswei-ses Gleichmachen würde jedes menschliche Zusammenwir-ken ersticken oder erübrigen. „Gleichheit im Sinne von Nicht-verschiedenheit wäre der sofortige Tod allen Lebens, dassofortige Ende der gesamten Schöpfung. Das Gebot derFreiheit hingegen ist die rechtliche Gleichbehandlung desnotwendigerweise immer Ungleichen.“ Der Ergebnisge-rechtigkeit, wie von Karl Marx vertreten, stellt Baader dieRegelgerechtigkeit gegenüber, die Gleichheit aller Menschenvor dem Recht. Recht kann nur dann den Anspruch derGerechtigkeit erheben, wenn es gleiche Spielregeln für alleerlässt. Wenn nicht, so wird der Raum des Rechts verlassen.

Page 29: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

29ef März 2012

Und Baader weist darauf hin, dass „Unrecht niemals mo-ralisch sein kann“. Es ist, wie er in dem Magazin „Factum“2009 aussagte, „die Kombination aus Macht und Hyper-moral geradezu satanisch“.

Baader bekannte sich als katholischer Christ, und ernahm die christlichen Gebote ernst. Er sah die christlicheBotschaft als Quelle des Rechts, der Gerechtigkeit und derMoral. Er konnte belegen, dass mit dem vom Recht ge-schützten Eigentum kein Widerspruch zur Bibel besteht. Dassdie Bibel von manchen Weltverbesserern oder „Politpfaf-fen“, wie Baader sich ausdrückte, als eigentumsfeindlich, alsoantikapitalistisch beschrieben wird, ist eindeutig „ein üblesGerücht, dass sich um so penetranter am Leben hält als dieKirchendiener selbst diesen Unsinn nachplappern“. Baaderbedauerte, dass es bei uns, anders als in den USA, unter denTheologen selten oder nie einen Ökonomen gibt. Jedenfallssah er die Zehn Gebote, vor allem die, die das menschlicheMiteinander regeln, eindeutig auf der Seite einer freien Ge-

sellschaftsordnung. Denn die Gebote „Du sollst nicht steh-len“ und „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Habund Gut“ setzen das Eigentum des anderen voraus. Selbstdas Gebot „Du sollst nicht töten“ beinhaltet, keine Gewaltgegenüber anderen auszuüben, was unter der Herrschaftsozialistischer Beglückungsideen allerdings erforderlich wäre,um die angestrebte Gleichheit zu erzielen. Auch bei demGebot „Du sollst nicht ehebrechen“ zitiert er Gary North,der die „historische Verknüpfung zwischen den biblischenGedanken bindender Versprechen und der westlichen Ideebindender Verträge knüpft. Während es sich die Sowjetuni-on sogar als Ruhm anrechnete, von den zahllosen Verträgenkeinen einzigen jemals nicht gebrochen zu haben“. Undschließlich beginnen die Zehn Gebote mit dem Satz: „Ichbin der Herr dein Gott, der dich aus der Knechtschaft be-freit hat“. So stehen die das menschliche Miteinander re-gelnden Gebote auf dem Willen Gottes, den Menschen ausder Knechtschaft durch andere Menschen zu befreien.

In der biblischen Botschaft sieht Baader den Fundus, auf dem eine freie

Gesellschaftsordnung gedeihen kann. Wer jedoch das Christentum

zerstöre, das sind „die Herren in den schwarzen Talaren selber“.

Aufgenommen für ef im Jahr 2005: Am Vorabend der nächsten Weltwirtschaftskrise

Page 30: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

30 eigentümlich frei Nr. 120

In der biblischen Botschaft sieht Baader den Fundus,auf dem eine freie Gesellschaftsordnung gedeihen kann. Werjedoch das Christentum besonders wirksam zerstöre, dassind „die Herren in den schwarzen Talaren selber“. Als evan-gelischer Christ fällt mir auf, dass schwarze Talare nicht diekatholischen Pfarrer tragen. Wie Baader es auch immer ge-meint haben mag, es ist leider so, dass insbesondere in derlutherischen Kirche linke Gedankenausflüge häufig anzutref-fen sind. Nicht so in der offiziellen römischen, durch dasLehramt mehr gefestigten Kirche, von Ausnahmen abgese-hen.

In dem bereits erwähnten Interview weist Roland Baa-der darauf hin, dass Verantwortung immer privat und andie Person gebunden ist. Kollektive Verantwortung gibt esnicht. Dies ist ein Gedanke, den er auch in dem bemerkens-werten Buch „totgedacht: Warum Intellektuelle unsere Weltzerstören“ aufgreift. Es sind gerade diese heilsversprechen-den Intellektuellen, welche die Verantwortung des Einzel-nen für sein materielles Wohlergehen leugnen und ein kol-lektives Zwangssystem predigen.

Baader ging es immer um das christlich geprägte Men-schenbild. Und daraus folgt, dass der Mensch entsprechendKonsequenzen, die sich aus Handeln oder Nichthandeln er-geben, auch zu tragen hat. Nimmt man diese Konsequen-zen weg, legt sie auf andere Schultern, geht die menschlicheFreiheit verloren. Verantwortung tragen kann nur der Freie.Mit diesen Aussagen steht die biblische Botschaft diametralgegen religiöse Vorstellungen, wie sie die sozialistischen Ide-ologien vertreten, aber letztendlich auch der Islam (das Kis-

Als ich selbst von einer schweren Krankheit getroffen war, haben wir oft

telefoniert. Einmal habe ich ein Gebet gesprochen. Baader sagte mir

danach, dies sei das schönste Telefongespräch seines Lebens gewesen.

Besuchen Siedie Website des

Liberalen Instituts,Zürich.

Unter www.libinst.ch findenSie mehr Infos über:

LiberalismusMarktwirtschaft

Non-Zentralismus

Wir füllendie Idee der Freiheit

mit Leben.

Das Liberale Institutder Friedrich-Naumann-Stiftung.

Anzeigen

met ist bestimmt von dem in seiner Allmacht unbegrenztenAllah) und schließlich auch die Glaubenslehren, die das Ver-halten des Menschen auf Sternkonstellationen bei der Ge-burt zurückführen oder auf das Vorleben eines Menschen,als dessen Reinkarnation sich der einzelne begreifen will(Karma).

Ich hatte das Privileg, mich darüber mit Roland Baaderaustauschen zu können. Er vertrat nicht nur einen stringen-ten Liberalismus, sondern ebenso ein stringentes Christen-tum. Er hat die christliche Botschaft in ihrer inneren Logikbegriffen und nicht eigene Heilsvorstellungen hineingemengt.

In seinem ersten bedeutenden Buch „Kreide für denWolf“ (1991) zitierte er den Leitspruch, den ein reicher Mannin den First seines Hauses eingravieren ließ: „Wir sind sofremde Gäste, und bauen hier so feste; und wo wir sollenewig sein, da bringen wir so wenig ein“. Er sah das über-mäßige Ansammeln materieller Dinge, so wie er es bei Chris-ta Meves gelesen hatte, als eine Verdrängung des Todes.

Roland Baader hat dem Tod während seiner langenKrankheit ins Auge geblickt, aber wohl niemals seinen Glau-ben infragegestellt. Als ich im letzten Jahr selbst von einerschweren Krankheit getroffen war und selbst am Randedes Todes stand, haben wir oft telefoniert. Bei einem Tele-fongespräch habe ich ein Gebet gesprochen, ich habe fürihn und seine Gesundheit gebetet. Baader sagte mir danach,dies sei das schönste Telefongespräch seines Lebens gewe-sen.

Es wurde ihm entgegen so mancher Erwartung nochein halbes Jahr geschenkt.

Page 31: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

31ef März 2012

Page 32: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

32 eigentümlich frei Nr. 120

Der Humor von Roland Baader

Pointe auf UmwegenJüdischer Witz und chinesische Volksweisheiten

von Rio Baader

Der Autor, Jahrgang 1972, ist der ältere Sohn Roland Baaders und arbeitet als Sprecher und Radioredakteur.Foto (Rio, Maria, Roland) von privat; Foto (Karneval) von privat

Bei aller kryptischen Ernsthaftigkeit und fachlichen Strengemeines Vaters bezüglich seiner ökonomisch freiheitlichenGedanken war er privat ganz anders. Papa war nicht nurein sehr einfühlsamer und sanftmütiger sowie zuvorkom-mender, großzügiger Mensch, sondern auch ein sehr fröhli-cher, der für sein Leben gern lachte. Mitunter minutenlangrecht hemmungslos, bis ihm die Tränen gekommen sind.

Und da mein Vater zwar des Öfteren zum Rotweinho-len, aber keinesfalls zum Lachen in den Keller gegangen ist,war er auch ein entsprechend geselliger Mann. Wenn er malnichts schreiben oder lesen musste (eher selten), mal etwasZeit war abseits all der geschäftlich organisatorischen Din-ge, die ihn beschäftigt haben (eher viel), er nicht gerade ei-nen Tatort schauen wollte (eher immer sonntags), hat Papa,Dad, Vater (Vadder im Badischen), Paps (für meine Frau)oder Opa Roland (für unsere Kleine) am liebsten genau die,die ihn so genannt haben, um sich gehabt.

Dann vom Früher zu erzählen, das Jetzt zu erklären, dieZukunft greifbar zu machen – das war einem Roland Baa-der als Vater, Paps und Opa sehr wichtig. Gekonnt hat erdas wie kein Zweiter. Dafür hat er sich auch immer Zeitgenommen, egal, ob er gerade welche gehabt hat oder nicht.

Bei anderer Gelegenheit dagegen hat mein Vater sichmit seinen Ausführungen deutlich mehr Zeit gelassen, alsdem Zuhörer recht war: beim Witzeerzählen! Witze hat ernämlich geliebt!

Keine schmutzigen, keine platten, sondern die mit sub-tilem Humor. Und lang mussten sie sein! …seeehhr lang!Und wenn ein Witz nicht lang genug war, hat Papa ihn haltlang gemacht. …seeehr lang! Entsprechend hat er am liebs-ten die Witze erzählt, bei denen dieses Dehnen und Aus-schmücken gut möglich war. Beim Erzählen hat Vadder dannoft kleine Pausen einlegen müssen, weil es ihm vor lauterFeixen und Kichern nicht möglich war, weiter zu sprechen.

Ein Beispiel so eines humoristischen Martyriums, dasPapas „Witze-Opfer“ durchgemacht haben, kann ich Ihnennicht liefern. Erstens, weil ich die Fertigkeit, den Zuhörerderart auf die Folter zu spannen und das Verzögern derPointe auf die Spitze zu treiben, nicht so beherrsche wie er.Und zweitens, weil schon der Versuch den Umfang dieserAusgabe sprengen würde.

Aber damit Sie eine Vorstellung davon bekommen: Mei-nem Onkel Fritz (später trotzdem einer seiner allerbesten

Freunde) hat er mal einen seiner Lieblingswitze erzählt, alsdie beiden gerade in der Kennenlernphase waren. Das Endevom Lied geschlagene zwei Stunden später: Tränen vorLachen bei meinem Vater, ungläubiges Schmunzeln undverblüffte Fragezeichen bei Onkel Fritz.

Welche Geschichte derart auszuschmücken meinemVater da so einen Spaß gemacht hat, will ich Ihnen (als einsvon wenigen Beispielen für die Lieblingswitze meines Va-ters) in gesitteter Kurzfassung erzählen: Es handelt sich dabeium einen jüdischen Witz – keinesfalls zu verwechseln miteinem verächtlichen „Judenwitz“, der von Nicht-Judenstammt, und den unser Vater nicht geduldet hat. Vom jüdi-schen Witz dagegen, der in der Weltliteratur eine Sonder-stellung einnimmt, war er ein großer Fan. Smarte Dingehaben Dad halt fasziniert. Wie es in einer Zusammenfas-sung der Arbeiten von S. Landmann, C. Bloch, H. Hakelund H. Frankl über jüdische Witze treffend heißt, ist derjüdische Witz „tiefer, bitterer, schärfer, vollendeter, dichter,und man kann sagen, dichterischer als der Witz andererVölker. Ein jüdischer Witz ist niemals Witz um des Witzeswillen, immer enthält er eine religiöse, politische, soziale oderphilosophische Kritik. Er ist faszinierend, denn er ist Volks-und Bildungswitz zugleich, jedem verständlich und doch volltiefer Weisheit.“

Genauso hätte Roland Baader das auch gesehen. Dabeihatte er bei folgendem Witz auch noch die Fähigkeit, ihnmit charmantem, kauzigem deutsch-jiddischem Akzent zuerzählen. Das denken Sie sich beim Lesen bitte dazu – inschriftlicher Form wirkt das diffamierend.

Ibrahim und Jakob sind alte Freunde. Sie treffen sich regelmäßig,um sich über die Geschicke Ihrer Familien, Geschäfte und anderealltägliche Dinge auszutauschen. Eines Tages hat Ibrahim bei dieserGelegenheit ein kleines Paket dabei.

„Was ist in dem Paket, Ibrahim?“ – „Nur ein Stein, Jakob.“ –„Ein Stein???“ – „…ein Stein, ja.“ – „Ja aber, was willst du dennmit einem Stein, Ibrahim? Ibrahim: „Och, nichts Bestimmtes. Ichhabe ihn halt bei einem Steinmetz gesehen und gedacht, vielleicht brauchstdu ja mal so einen Stein. Außerdem ist der Stein sehr hübsch undhandwerklich hervorragend gefertigt. Da habe ich ihn eben gekauft.“

„Gekauft?! Was hast du denn dafür bezahlt?“ – „Och, nichtviel. Ich habe dem Steinmetz einen Zehner dafür gegeben.“

„Einen Zehner! – für einen Stein?“ – „Ja. Wie gesagt, er ist sehrhübsch und handwerklich einwandfrei.“

Page 33: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

33ef März 2012

Wieder zuhause ist Jakob innerlich völlig aufgewühlt. Wenn seinbester, kaufmännisch hochversierter Freund einen Zehner für einenStein bezahlt, dann muss doch etwas dran sein, an dem Stein …undwenn er noch so hübsch und handwerklich gut gefertigt ist. Beim nächs-ten Treffen muss Jakob seiner Seele Luft verschaffen: „Ibrahim, erin-nerst du dich an das Päckchen mit dem Stein, das du bei unsererletzten Begegnung dabei gehabt hast?“

„Stein? …ach der Stein! Ja, ja, sehr hübsch und handwerklicheinwandfrei. Warum fragst du?“ – „Ich würde ihn dir gerne abkau-fen.“

„Abkaufen? Einen Stein? Aber Jakob, wofür um Himmels Willenbrauchst du denn meinen Stein?“

Jakob: „Och, für nichts Bestimmtes, Ibrahim. Aber, da er ja sohübsch ist, kann man ihn vielleicht ja mal brauchen. Außerdem ist erdoch handwerklich einwandfrei, wie du sagst.“

Ibrahim: „Ja, schon, aber ich habe immerhin einen Zehner fürden Stein bezahlt und…“

Nach einigem Hin und Her jedenfalls verkauft Ibrahim seinemalten Freund Jakob den Stein für einen Zwanziger. Ibrahim gehtnach Hause, und dabei lässt ihm ein Gedanke keine Ruhe: Wenn seinalter und gewiefter Freund Jakob einen Zwanziger für diesen Steinbezahlt, dann muss etwas dran sein, an dem Stein …abgesehen davon,dass man so einen hübschen und handwerklich gut gefertigten Steinsicherlich irgendwann mal brauchen kann. Kurzum: Beim nächstenTreffen kauft Ibrahim seinem alten Freund Jakob nach langer Dis-kussion und endlosem Feilschen den Stein für einen Fünfziger wiederab.

Das geht viele Jahre so… Und irgendwann – Jakob hat sichnach tagelangem innerlichen Kampf schweren Herzens dazu durchge-rungen, Ibrahim den Stein gegen den nächsten Millionenbetrag abzu-kaufen – eröffnet Ibrahim seinem alten Freund, dass er den Steinnicht mehr hat. Jakob: „Du hast ihn verkauft???“ – „Ja, hat sichhalt so ergeben.“

„Aber Ibrahim, du kannst doch nicht so einfach unseren Steinverkaufen!“ – „Wieso nicht? War doch nur ein Stein.“

Jakob: „Ja sicher, aber dieser Stein hat uns jahrelang ernährt!“Abgesehen davon, dass mein Vater großen Spaß daran

gehabt hat, dass viele an der Stelle – oder zumindest wenigspäter – garantiert kurz drüber nachdenken, ob das so wirk-lich funktioniert hätte, ist dieser Witz geradezu prädestiniert,ihn unendlich in die Länge zu ziehen.

Jakob und Ibrahim haben sich in der Version meinesVaters natürlich auch den Rat anderer befreundeter Exper-ten eingeholt. Sie haben sich über ihren Stein beim Essenden Kopf zerbrechen können, wobei Papa nicht ausgelas-sen hätte, was auf dem Tisch steht. Auch den Streit, den dieEhefrauen der beiden Männer vom Zaun gebrochen ha-ben, weil sich ihr ganzes Leben nur noch um einen blödenStein dreht, hätten Sie brühwarm erzählt bekommen. Und,und, und…

Noch schlimmer war das bei der unsäglichen Geschichtemit den Schildkröten, die aus irgendeinem Grund die Wüs-te zu durchqueren hatten. Nach einer endlosen Wegbeschrei-bung meines Vaters kommen die an ein Wasserloch, sindzwar durstig, wollen aber – weil sie gesittete Schildkrötensind – nicht ohne Becher trinken. Die haben sie nämlichvergessen, und eine von ihnen soll zurück, um Becher zuholen.

Eigentlich alles schnell erzählt, aber mein Vater würdean diesem Punkt beginnen, Ihnen die Diskussion unter denSchildkröten darüber zu schildern, welches dieser armenGeschöpfe jetzt damit beauftragt werden soll, den weitenWeg zurück zu gehen. All diese Abschweifungen in Details,die – wie man ja erst später weiß …seehhr viel später – fürWitz und Pointe völlig unwichtig sind, hat mein Vaterdurchaus verstanden, recht interessant zu gestalten. Was aber

Mit viel Humor: Roland Baader, sein ältester Sohn Rio und dessen Tochter Maria Uta, die einzige Enkelin, die

er noch kennenlernen durfte. Marias Bruder Aaron kam drei Tage nach Roland Baaders Tod zur Welt.

Page 34: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

34 eigentümlich frei Nr. 120

nur der geschickten Verblendung des Zuhörers gedient hat,der ja weder stutzig werden, noch teilerlöst werden sollte,indem der Erzähler ihm gestattet, gedanklich abzuschwei-fen. Warum das Papa so diebische Freude bereitet hat, weißich nicht. Aber es war so!

Jedenfalls hat das Los die jüngste Schildkröte getrof-fen. Und der unendliche Prozess von Diskussionen, wie eineSchildkröte ausgelost werden soll, wie die Auslosungschließlich vonstatten geht, wie danach über das Ergebnisgestritten wird, wäre dem natürlich voraus gegangen.Spätestens jetzt wären Sie übrigens von meinem Vater be-eindruckt. Nicht wegen der Geschichte an sich (der Witz istja bedeutungslos – das wissen Sie halt nur noch nicht). Aberwährend all der Zeit …seeehr viel Zeit, hätten Sie gedacht:„Unglaublich, was der Mann alles über Schildkröten weiß!“

Die Art und Weise, wie mein Vater Ihnen dann beschrie-ben hätte, wie die hoffnungsvollen Schildkröten, die amWasserloch zurückbleiben – seeehr lange – darüber speku-lieren, wo sich die Jüngste auf ihrer Rückreise wohl geradebefinden müsste, hätte Ihnen mehr über die geographischeBeschaffenheit jener Wüste eröffnet, als Sie in Ihrer Schul-zeit je gelernt haben.

Auch das war typisch Roland Baader: Selbst wenn wirhier nur über Witze sprechen, hätte mein Vater sich niemalsüber ein Thema derart ausgelassen, ohne firm darin zu sein.Wenn er über Schildkröten, Wüsten, Wasserlöcher, Auslo-sungen und ihre juristische Anfechtbarkeit oder den vorbe-haltlosen Gebrauch von Trinkgefäßen nicht genau Bescheidgewusst hätte, wäre ihm zu diesen Themen nicht mehr überdie Lippen gekommen als „ich weiß es nicht“. Ein State-ment, das er – frei von jeglicher intellektueller Eitelkeit –stets unbekümmert benutzt hat, wenn dem so war.

Ansonsten gipfelt dieses Witze-Verbrechen hier in demTatbestand, dass die jüngste Schildkröte, nachdem die an-deren sich nach einem Vierteljahrhundert Wartezeit danndoch dazu entschlossen haben, auch ohne Becher zu trin-ken, hinter einem Stein beim Wasserloch hervorspringt undruft: „Wenn ihr jetzt schon anfangt zu bescheißen, gehe ichgar nicht erst los.“

Nun ja… dieses emotionale Kopf-Vakuum, das sichbeim Zuhörer dann breit zu machten pflegte, ist sicherlichgrößer als nach der Geschichte mit Jakob und Ibrahim, dieimmerhin etwas Weises mit Stein zu bieten hat. Aber selbstfür potenziell brauchbare Beschwerden wäre Papa zu demZeitpunkt wenig empfänglich gewesen … so – sagen wirmal – knappe fünf Minuten Halb-Totlachen muss ja wohlschon drin sein…

Wieder etwas smarter dagegen fällt der nächste Witzaus, den mein Vater seinen absoluten Lieblingswitz genannt

hat (auch hier in seeehr stark verkürzter Form). Und zwar…den mit den Tieren des Waldes.

Ein Lkw verliert ein Whisky-Fass, das in einen Wald rollt.Dort versammeln sich die Tiere des Waldes um dieses seltsame Holz-gebilde und trinken von dem betäubenden Getränk. Als am Abendder Bär, der Chef der Tiere des Waldes, auf den Versammlungsplatzkommt, sind alle Tiere des Waldes betrunken: die Hirsche, die Rehe,die Wildschweine, die Eichhörnchen, der Fuchs und das Kaninchen.

Der Bär ist verärgert und sagt: „Heute will ich das nochmaldurchgehen lassen, aber ein weiteres Mal nicht. Wir Tiere des Waldestrinken nicht.“

Am nächsten Abend kommt der Bär wieder auf den Versamm-lungsplatz. Alle Tiere sind nüchtern, nur das Kaninchen ist sturzbe-trunken und hängt über einem Ast. Der Bär schnappt das Kaninchenund sagt: „Ich habe euch gesagt: Wir Tiere des Waldes trinken nicht.Das ist deine letzte Chance. Wenn ich dich nochmal betrunken sehe,fresse ich dich.“

Am nächsten Abend kommt der Bär wieder auf die Lichtung.Alle Tiere sind versammelt und nüchtern. Aber das Kaninchen fehlt.Der Bär fragt, wo das Kaninchen sei. Niemand weiß es. Daraufhindurchsucht der Bär das ganze Revier. Als er an einen Teich kommt,sieht er dort ein Bambusröhrchen kerzengerade aus dem Wasser ra-gen. Er watet in den Teich und greift mit seiner Pranke hinunter andas andere Ende des Röhrchens. Und tatsächlich: Er holt das völligbesoffene Kaninchen hervor, das mit dem Bambusröhrchen geatmethat. Der Bär sagt: „So, Kamerad, jetzt bist du dran. Ich habe dirgesagt, wir Tiere des Waldes trinken nicht, und du hast dich zumzweiten Mal nicht daran gehalten.“

Das Kaninchen hält lallend dagegen: „Wir Fische gehören abernicht zu den Tieren des Waldes.“

Wie Sie inzwischen wissen, war jeder, der sich von mei-nem Vater zu viele Witze hat erzählen lassen, in der Gefahr,alt zu werden, ohne viel erlebt zu haben. Und Sie könnensich wahrscheinlich schon denken, dass in diesem Fall nichteinfach ein Fass mit Whisky in den Wald gerollt wäre… DieUmstände dieses am Ende so fatalen Zwischenfalls für dieTiere des Waldes hätten Sie natürlich erfahren.

Selbstverständlich hätte in Papas Version auch der Bärviel längere und ergreifendere Ansprachen an die Tiere desWaldes gehalten. Zweifelsohne hätte das Kaninchen vor sei-nem Total-Absturz und der Pointe noch ein paar Mal ver-geblich versucht, seinen Rausch vor dem Bären zu verber-gen und der hätte es viele weitere Male ermahnt. Die Suchenach dem Kaninchen hätte hochaufwendig unter den Tie-ren des Waldes organisiert werden müssen, und auch derBär hätte weder das Kaninchen so schnell gefunden, nochwäre er sofort auf den Trichter gekommen, dass er amEnde des Bambusrohrs seinen Alkoholsünder zu suchen hat.Besonders zelebriert hat Papa bei diesem Witz immer die

Spätestens jetzt wären Sie beeindruckt. Nicht wegen der Geschichte an

sich (der Witz ist ja bedeutungslos – das wissen Sie nur noch nicht). Aber

Sie hätten gedacht: „Unglaublich, was der Mann über Schildkröten weiß!“

Page 35: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

35ef März 2012

Bezeichnung „Tiere des Waldes“. Diesmal allerdings nicht,um die Geschichte zu verlängern, sondern damit die Pointemit dem „Kaninchen als Fisch“ beim Zuhörer am Endeoptimal funktioniert.

Einen letzten Lieblingswitz von Roland Baader möchteich Ihnen noch mitgeben, weil er gänzlich aus der Rolle fällt.Erstens hat mein Vater ihn immer ohne jegliche Umschwei-fe erzählt. Und zweitens ist der Witz ein wenig derber, waser wie eingangs erwähnt eigentlich „nicht schön“ fand.

Wahrscheinlich war genau das auch der Grund, warumer in diesem Fall auf seine üblichen Ausschmückungen kom-plett verzichtet hat. Erzählt hat er ihn aber liebend gern.Denn auch wenn der Witz „nicht schön“ ist, wie mein Vatersolche Witze genannt hat, so hielt er ihn doch für „höllischgut“. Ich erinnere mich noch genau, wie Papa brüllend Trä-nen gelacht hat, als ich diesen Witz eines Abends mal auseiner Kneipe mitgebracht hatte:

Ein Mann kommt in eine ebensolche Kneipe und bestellt ein Mi-neralwasser. „Hoppla“, sagt der Wirt. „Solche Kundschaft, die wederBier noch Wein noch Schnaps will, habe ich selten.“

„Ach, das ist wegen meiner Frau“, sagt der Mann. „Wenn ichbetrunken nach Hause gehe, muss ich mich manchmal übergeben undversaue mir die Kleider. Dann kriege ich immer furchtbaren Ärger –mit schrecklicher Schimpfe, Schlägen mit dem Besenstiel und tagelangdicker Luft im Haus.“

„Das ist natürlich schlimm“, entgegnet der Wirt verständnisvoll.„Aber wissen Sie, da gibt es einen hervorragenden Trick: Immerwenn Sie befürchten, dass ein Abend zu feucht-fröhlich gerät, steckenSie sich vorher einfach – gut sichtbar – einen 50-Euro-Schein in dieBrusttasche Ihrer Jacke – und alles wird gut.“

„Ach ja? Und was soll das bringen?“ fragt der Gast, der lang-sam Hoffnung schöpft, doch noch zu ein paar Drinks zu kommen.

„Na, wenn Ihre Frau Sie an der Türe in so einem Zustandempfängt, sagen Sie einfach gleich: ‚Halt, halt. Ich kann nichts dafür.Da unten an der Straßenecke war so ein besoffenes Schwein, das mirüber den Anzug gekotzt hat. Aber er hat sich wenigstens entschuldigtund mir den 50-Euro-Schein für die Reinigung in die Tasche gesteckt.’Was will Ihre Frau dann noch sagen? Und zudem glaubt sie, dieHaushaltskasse wäre ganz unverhofft um 50 Euro reicher.“

Der Gast ist hellauf begeistert und setzt den Plan gleich um,indem er sich den 50-Euro-Schein sofort – gut sichtbar – in dieBrusttasche seiner Jacke steckt. Später, wenn er mal sturzbetrunkenist, vergisst er es ja vielleicht.

Nach Stunden dann kommt der Mann voll wie eine Haubitzeund – wie befürchtet – mit übel zugerichtetem Anzug nach Hause.Und wie mit dem Wirt besprochen, beteuert er seiner Frau an derTüre sofort seine Unschuld, die sich tatsächlich beschwichtigen lässt.

„Na so eine Schweinerei. Aber wenigstens scheint das eineinigermaßen anständiger Saufbold gewesen zu sein“.

Und sowie im umnebelten Hirn ihres Man-nes ankommt, dass der Trick mit dem erfunde-nen Übeltäter zu funktionieren scheint, fügt erhinzu: „…und in die Hose geschi…n hat ermir auch noch!“

Ts, ts, ts – zum Thema Lieblingswit-ze von Roland Baader soll’s das dannaber auch gewesen sein. Nur von einerganz anderen typischen Eigenart meinesVaters in Bezug auf seinen Humor möch-te ich Ihnen noch erzählen. Das warennämlich seine „chinesischen Volksweishei-ten“, mit denen er gerne bei jeder Gele-genheit um sich geschmissen hat.

Eins vorweg: Vadders „chinesische Volksweisheiten“waren alles, aber keine chinesischen Volksweisheiten. Undzwar weder, was ihre Herkunft anbelangt, noch was ihreempirische Entstehung betrifft. Und weise waren diese selbsterfundenen Sprüche meines Vaters schon gar nicht. Viel-mehr handelt es sich dabei – ganz gezielt – um größtmög-lichen Humbug.

Und zwar in Form von Reimen ohne Poesie, belanglo-sen Inhalten ohne brauchbare Botschaft, Beschreibungenohne Erklärung – kurz: Meines Vaters „alte, chinesischenVolksweisheiten“ waren schlicht und einfach keine Hilfe.

Diese Tatsache war ihm auch völlig klar. Nur genau dasGroteske daran, so etwas als althergebrachten Wissensreich-tum einer hoch entwickelten fernöstlichen Kultur zu bezeich-nen, hat ihm dabei diesen riesigen Spaß bereitet. Auch, wenner gerade dabei war, sich so einen Unfug auszudenken, hatman das immer daran gemerkt, dass er in sich hinein ge-gluckst und gekichert hat.

Am häufigsten hat man folgende drei dieser Sprüchevon meinem Vater gehört – unter welchen Umständen, er-klärt sich dabei von selbst:

„Kaum ist der Vino eingetroffen, ist er auch schon leergesoffen.“

„Füllst du mit Suppe dir die Blase, läuft – oh Wunder –auch die Nase.“

Und: „Der Morgenschiss, der kommt gewiss, auch wennes erst am Abend ist.“

Darauf folgte stets mit gespieltem Ernst und erhobe-nem Zeigefinger: „Alte chinesische Volksweisheit!“

Bei der Gelegenheit hat meine Mutter mal entgegnet:„Das müssen ja ganz schöne A….löcher gewesen sein, die-se alten Chinesen.“

Unser Vater hat gern und viel gelacht. Aber so orgias-tisch wie nach diesem trockenen Einwurf meiner Mutterhabe ich es vorher nie und danach nicht wieder erlebt.

Olé 1967: Roland

und Uta Baader

Page 36: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

36 eigentümlich frei Nr. 120

Roland Baader und das Gold

Materialisierte FreiheitDer Schlüssel zur Lösung des Problems

von Peter Boehringer

Der Autor ist Gründungsvorstand der Deutschen Edelmetall-Gesellschaft e.V. und Vermögensberater in München. Er ist Verfasser zahlreicher Fachaufsätze zu Edelmetallen undRohstoffen sowie zu Makrothemen und betreibt unter goldseitenblog.com/peter_boehringer einen viel beachteten Wirtschaftsblog.Foto (Boehringer und Baader) von Peter Boehringer

Roland Baader bezeichnete in seinen Schriften Gold als dasnatürliche Geld, was es aus unverrückbaren physikalischen,historischen und psychologischen Gründen auch ist. Zwarwar das tote Metall für einen Denker wie ihn nie Endziel,aber doch das einzige Mittel, den Leviathan Staat dauerhaftauf Diät zu setzen und so wirkungsvoll seine Macht zu be-schränken.

Die enorm hohe gesellschaftliche Bedeutung, die Goldaus dieser völlig richtigen Grundannahme heraus für Baa-der hatte, lässt sich an vielen Stellen und Fremdzitaten inseinen weitsichtigen Werken ablesen. So zitiert er etwa HansSennholz in „Geld, Gold und Gottspieler“: „Die Vorstel-lung, dass ein wachsendes Geldvolumen wirtschaftlich undgesellschaftlich wohltätig und wünschenswert wäre, ist ei-ner der größten Irrtümer unserer Zeit. Dieser Irrtum hältsich seit Jahrhunderten. Er hat zahllose Währungen ruiniert,unbeschreibliches Leid über die Völker gebracht und ge-sellschaftliche und politische Umbrüche erzeugt.“

Baader selbst sagt: „Goldgeld ist der einzig wirksameSchutzzaun gegen Ausbeutung und Versklavung. Wichtigerals geschriebene Verfassungen, die gebrochen werden kön-nen wie alle auf Papier gedruckten Versprechungen.“ Und:„Das Aufgeben des staatlichen Papiergeldstandards ist eineFrage des Überlebens unserer freiheitlichen Gesellschafts-

ordnung. Der Absturz ist programmiert –und mit ihm unsägliches Leid der Völker.“Schließlich zitiert Baader auch Ferdinand Lipsin „Geldsozialismus“: „Das Aufgeben vonGold als Geld ist der wichtigste oder einzigeGrund dafür, warum unsere Welt ein gefähr-licher Ort geworden ist. Meiner Meinung nachist es die größte Tragödie in der Geschichteder Welt.“

Baaders Letztwerk „Geldsozialismus“ istin Gänze schlechtem Geld als Ursache der ak-tuellen Finanzkrise und privatem Goldgeld alsRettungsmittel gewidmet. Das Timing diesernachdrücklichen Mahnung Baaders in Buch-form im Jahr 2010 ist kein Zufall, dennspätestens seit Mai 2010 machen sich nun auchdie bürgerlichen Mittelschichten angesichts des„Rettungssozialismus“ (EFSF) zugunsten derBanken Sorgen um unsere Marktwirtschaft, un-

seren Rechtsstaat und um die Geldwertstabilität.„Wer den Markt verhöhnt, der verachtet damit die Men-

schen.“ Baader hätte diesen „Freiheitsfunken“ auch andersformulieren können: „Wer Gold als freies Marktgeld mani-puliert, verachtet und verarmt damit auch die Menschen.“

Die Forderungen aus dieser Analyse heraus sind darumunmissverständlich: Man muss zwar kein aktiver Kämpferfür einen – gar staatlich verfügten – Goldgeldstandard sein.Gold als Geld hat seit 5.000 Jahren keinerlei institutionelleFörderung benötigt. Dekrete für „gesetzliches Goldgeld“wären nicht nur überflüssig, sondern sogar schädlich. Derzu führende Kampf ist jedoch unbedingt der gegen allebevormundenden Monopolgesetze zum Schutz des staatli-chen Zwangsgelds. Gold als Geld ist zwar nicht perfekt.Aber ein Geschöpf, das der freie Markt immer hervor-bringt – wenn man ihn denn lässt. Falls ein künftiger freierGeldmarkt andere freiwillig akzeptierte Währungen hervor-bringen würde, dann wäre es Baader auch recht gewesen.

Roland Baader war wie so oft auch bei der Goldfragepragmatischer Aktivist: Der Weg hin zu privatem Goldgeldmusste einfach gegen alle Widerstände irgendwo begonnenwerden: „Von entscheidender Bedeutung ist, dass ein ersterStein aus der Mauer des staatlichen Geldmonopols heraus-gebrochen wird, dass der intellektuelle Angriff auf das zer-

Besuch in Baaders „heiliger Halle“: Peter Boehringer im März 2011

Page 37: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

37ef März 2012

störerische ‚fiat money’ irgendwo beginnt. Alle Anstrengun-gen sollten sich darauf richten, die rechtliche Verankerungdes staatlichen Papiergeldes als einzig zulässigem gesetzli-chen Zahlungsmittel aufzuweichen.“

Gold ist das einzige machtfreie Geld, da als „totes Me-tall“ per Definition völlig ambitionslos, absichtslos undunbestechlich. Dies gilt, auch wenn manche Schreiber etwasanderes behaupten, indem sie illegitimerweise dem Tausch-mittel Gold die bösen Absichten der Mächtigen zuschrei-ben. Machtpotentaten waren in der Geschichte aber niewegen Gold, sondern immer trotz Gold böse. Sprüche vom„Gewaltmetall Gold“ belegen eine fatale Verwechslung vonUrsache und Wirkung und eine völlig falsche Geschichts-deutung, der etwa auch der Autor Paul C. Martin erliegt.Der machtarme Minimalstaat jedenfalls ist nur über macht-loses und knappes Goldgeld zu schaffen und zu erhalten.Dass Gold von Potentaten missbraucht und der Goldstan-dard zum stetigen Nachteil der Menschen immer mal wiederin der Geschichte abgeschafft werden konnte, belegtkeinesfalls das Gegenteil.

Macht erfordert zwingend Geld, weil man sich damitentweder Soldaten kaufen (totalitäre Variante) oder Abge-ordnete und Claqueure bestechen kann (parlaments-demo-kratische Variante). Zu Geld aber kommt man nach Baaderauf drei Wegen: arbeiten, betteln oder rauben. Der Staatwählt immer den dritten Weg, wobei der „Raub“ per Be-steuerung im Minimalstaat noch eine gewisse Rechtfertigunghat. Beraubung per Inflation aber niemals, denn sie trifftimmer die Schwächsten jeder Gesellschaft überproportio-nal. Gold als Geld verhindert diesen kriminellen Raub.

Neben dem Papiergeld selbst ist auch das Bruchteilsre-serve-Banking Betrug: Wenn viele Einleger ihre Einlage ge-gen das ihnen zustehende echte Warengeld einlösen wollen,kann eine Bank im Bruchteilreserven-System ihre Verpflich-tungen nicht mehr erfüllen. Zudem verlangt und verein-nahmt eine solche Bank auf die heutzutage zu über 95 Pro-zent unhinterlegten Kreditsummen reale Zinsen. Nicht exis-tentes oder virtuell aus dem Nichts kreiertes Geld berei-chert ganz real. Das ist der größte Betrugsteil des heutigenSystems. Ein zu 100 Prozent goldgedecktes Geldsystemwürde auch diesen Betrug erheblich erschweren, denn eineillegal „fractional banking“ betreibende Bank wäre sehrschnell insolvent und würde zusammenbrechen.

Der Transfer dieser Erkenntnis auf die ganze Volks-wirtschaft war für den Nationalökonomen Baader dannnatürlich ein Selbstläufer: „Wenn früher böse Buben Frö-sche aufgeblasen und zum Platzen gebracht haben, nannteman das Tierquälerei. Wenn heute Zentralbanken und Re-gierungen dasselbe mit ganzen Volkswirtschaften machen,nennt man das moderne Geld- und Konjunkturpolitik.“

Gold schützt ehrlich erworbenes Eigentum. Also das-jenige, das durch Arbeit und Minderkonsum angespartwurde – und eben nicht die ohne marktfähige Gegenleis-tung von Banken aus dem Nichts erlangte illegitime „Seig-niorage“. Ehrlich erworbenes Kapital kann und darf legiti-merweise individuell verwahrt und natürlich auch investiertwerden. Der Mensch will und muss für sein Überleben inAlter, Not, ungeplanter Einsamkeit, Winter, Krankheit vor-sorgen. Das ist ein Menschenrecht – und zugleich eine Über-lebensvoraussetzung nicht nur des Einzelnen, sondern auchganzer Gemeinschaften. Diese Trivialität geriet erst seit denopulenten und durch das Betrugsgeld materiell und geistigverzerrten Zeiten des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit.

Fazit: Roland Baader hat sich bei der Analyse von Pro-blemursachen immer wieder konsequent auf das Geldsys-tem bezogen. Selbst der erste und nach eigener Aussageeinzige Internet-Kommentar seines Lebens (im Goldseiten-blog) hatte eben diesen Tenor: „Faules Geld ist schuld.“

Baader hatte trotz eigener Internet-Abstinenz nicht zu-fällig auf Angeboten wie Goldseiten.de viele Fans. Hierbeispielhaft und abschließend nur zwei Netzkommentare:„Roland Baader hat mich vor der Klapse bewahrt. Hätteich seine Bücher früher kennengelernt, hätte ich mir zweiTherapien sparen können. Von Sozialstaats-Fanatikern um-geben dachte ich, ich sei ‚nicht richtig‘. Roland Baader hatschlicht und ergreifend meine Wahrnehmung und meineRealität bestätigt und mich dadurch vor dem Verrücktwer-den bewahrt. Für mich ist Roland Baader darum mehr alsein Freiheitskämpfer. Er ist mein Lebensretter.“ Und: „Esgibt einen Buchautor, dem ich einen zweiten ‚Geburtstag’zu verdanken habe. Das ist Roland Baader. Er hat mir einevöllig neue, klare Sicht auf die Welt ermöglicht und einetiefe persönliche Verunsicherung aufgelöst. Die Verunsiche-rung darüber, dass das, was man so las, hörte und (fern-)sah, sich im krassen Widerspruch zum eigenen Empfindenund Erfahren, zur eigenen Realität, befand.“

Page 38: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

38 eigentümlich frei Nr. 120

Roland und die russische Realität

Geldsozialismus im PraxistestMiterleben, wie der Rubel rollte

von Christopher Beyer

Der Autor, Jahrgang 1962, ist evangelischer Theologe und Investmentberater.

Prospekt Kosygina, St. Petersburg, 9. Januar 2012. Es istweit nach Mitternacht. Ich habe meinen Laptop hochgefah-ren, um einen Blick auf meine Mails zu werfen. Alle schla-fen schon. Ich hatte einen anregenden Abend mit dem deut-schen Journalisten Lothar Deeg, der schon seit 20 Jahren inSt. Petersburg lebt und arbeitet. Er weiß von manchem zuberichten, was vor sich geht im großen ehemaligen Sowjet-reich. Jedes Gespräch mit ihm ist ein Gewinn. Im Irish Pub„Mollies“, der bereits 1994 eröffnet wurde und eine derersten westlichen Kneipen in St. Petersburg war, haben wirbei Bier, Whiskey, Knoblauchbrot und Zigaretten über dieEntwicklung des Landes gesprochen und sind in alten Er-innerungen versunken. Mit Lothar habe ich im April 1998die russische Republik Komi besucht, wo uns in der Haupt-stadt Syktywkar der Präsident der Republik eine Audienzunter sechs Augen gewährt hatte; so wenige Ausländer gabes damals dort. Zwei Tage später standen wir in Workutabei minus 30 Grad und einem beißenden Wind vor denGräbern von Strafgefangenen, die sich in den sozialistischenArbeitslagern zu Tode schuften mussten. Wenige Monatenach dieser Reise durfte ich in St. Petersburg Zeuge dergroßen Russland-Krise werden, die im August 1998 be-gann und mich zu einem echten Währungsgewinner wer-den ließ.

Mein Mail-Eingang ist offen, und ich sehe die Über-schrift einer Mitteilung: „Roland Baader verstorben“. Ja, eswar absehbar. Und dennoch trifft es mich mit einer Wucht,die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich kann das Schrei-ben von Daniel Baader erst nicht öffnen. Ich stehe auf, bli-cke aus dem Fester im neunten Stock auf die Tristesse dersozialistischen Plattenbauten. Ich nehme ein Glas, schenkemir Wodka ein und trinke auf diesen großen und wahrhaf-tigen Menschen. Erst danach kann ich die Mail öffnen, lesedie wenigen Zeilen und schäme mich meiner Tränen nicht.

Mit Roland Baader haben wir viel über Russland unddie tagtäglichen Erscheinungsbilder des Sozialismus und desGeldes im Sozialismus gesprochen. Ich habe neun Jahre inRussland gearbeitet. Durch meine beruflichen Tätigkeitenfiel mein Blick sowohl auf die Armut als auch auf denbisweilen schier unfasslichen Reichtum der heutigen Ober-schicht. Roland liebte besonders die russischen Zigaretten,die ich ihm immer mitbrachte: „Solotaja Jawa Klassika“.

Der normale Russe war zu Sowjetzeiten und bis weit indie 90er Jahre hinein dem Auf und Ab der PapierwährungRubel voll ausgesetzt. An den Besitz von Devisen war unterden roten Zaren nicht zu denken. Gold konnte der Durch-schnittsbürger nirgendwo auftreiben. Nach dem Umbruchin den Perestroika-Jahren kam die erste Hyperinflation imJahr 1991. Mein Schwiegervater wusste zu berichten, dassder Wert eines Sparvertrags, den er für die Ausbildung sei-ner ersten Enkelin abgeschlossen hatte und in den er 13 Jah-re eingezahlt hatte, innerhalb weniger Wochen auf den Werteines Laibs Brot zusammengeschmolzen war.

In den ganzen 90er Jahren war es der Traum eines je-den Russen, für eine westliche Firma zu arbeiten, denn diesbedeutete regelmäßige Bezahlung in einer sicheren Währung.In der Petrikirche auf dem Newski-Prospekt in St. Peters-burg erhielten die Mitarbeiter 100 DM, die monatlich um-gerechnet in Rubel ausgezahlt wurden. An einem August-morgen 1998 kam ich nach einem geschäftlichen Termin aneiner der damals an jeder Ecke stehenden unvermeidlichenWechselstuben vorbei. Der Kurs lag bei einer DM gleichsechs Rubel. Dies erstaunte mich, und ich nahm einen Aus-zeichnungsfehler an, denn der Rubelkurs zur Mark war imletzten Jahr doch recht stabil bei einem Verhältnis von dreizu eins geblieben. In dieser kurzen Phase träumte jeder vonStabilität und war froh, dass es war, wie es war. Nach demMittagessen ging ich für einige Besorgungen auf die Straßeund sah nun einen Kurs von rund neun zu eins; und dieserKurs war an mehreren Wechselstuben ausgezeichnet. An einefalsche Beschriftung war also nicht mehr zu denken.

Die Abläufe sind bekannt: Der Rubel fiel zu einer deut-schen Mark bis auf 5.000 Rubel. Als wohlstandsverwöhn-ter Westler wurde mir zum ersten Mal der Wert einerhalbwegs stabilen Währung bewusst. Ich wurde zum Kri-sengewinnler: Im Mollies bezahlte ich für ein großes GlasGuiness-Bier nun noch etwa 50 Pfennig. Vorher musste ichrund zehn Mark auf den Tisch legen, und ich gönnte mirdiesen Luxus nur zu ganz besonderen Anlässen.

Für meine Mitarbeiter habe ich damals etliche Flaschendes beliebten italienischen Martinis und französischen Co-gnacs gekauft. Für mich selbst habe ich fünf Schweizer Ta-schenmesser erworben, die ich heute natürlich alle bereitswieder verlegt habe. All diese Dinge waren Luxusgüter ge-

Page 39: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

39ef März 2012

Page 40: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

40 eigentümlich frei Nr. 120

wesen, die etwa dreimal soviel wie im Westen gekostet hat-ten – und die man nun für Spottpreise bekam.

Meine Mitmenschen hatten allerdings nicht diese Mög-lichkeiten. Die wenigen bescheidenen Ersparnisse warenschon wieder weg; zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre.Noch heute, wenn es um die Frage geht, wo Russland heutesteht und was die Menschen über das derzeitige Regimedenken, sagt jeder Russe: „Egal was passiert, aber so etwaswie in den 90er Jahren brauchen wir auf keinen Fallnochmals!“ Denn vor allen Dingen war dies eine Zeit desstetigen Geldverfalls.

Auf die Werke Roland Baaders war ich aufmerksamgeworden durch eine Buchbesprechung in der „FAZ“. VonGeldtheorie oder vom Wesen des Geldes hatte ich bis zudiesem Tag nie etwas gehört oder gelesen. So erschien esmir beim Lesen der Rezension nicht unbedingt notwendig,mir ein Buch zu diesem Thema zu kaufen. Allein der letzteSatz des Autors ließ mich aufhorchen, denn er wusste zuberichten, dass derjenige, der dieses Buch nicht gelesen habe,nicht verstehen könne, was in absehbarer Zeit auf uns allezukommen werde. Also bestellte ich mir „Geld, Gold undGottspieler“ eher zögerlich und lustlos mit dem Gefühl,eine langweilige, aber eben notwendige Lektüre erwerbenzu müssen. Ich begann mit dem Lesen dieses Werkes imFlugzeug nach St. Petersburg. Es war eigenartig, aber Ro-land Baader und Russland hingen in meinem Leben immerirgendwie zusammen.

Schon die Anfangssätze der Lektüre versetzten mich inhöchste Anspannung. Ich konnte mich kaum von diesen

Zeilen lösen. Schon das Essen im Flieger erschien mir alsZeitverschwendung.

In St. Petersburg war ich zu einer Hochzeit eingeladen.Wie in Russland weitgehend üblich, wird alles selbst vorbe-reitet. So musste der Lesegenuss leider warten. Nach derHochzeit, als so gut wie alle schwer angetrunken, wenn nichtgar ordentlich betrunken waren, lag auch ich in meinem Bettund wusste, der folgende Tag würde etwas härter werden.Dennoch habe ich noch zwei Stunden weitergelesen; solcheine Kraft hatte dieses Buch, und solch eine Wendung gabes meinem Leben später.

Ich hatte erlebt, wie Geldsozialismus in der Praxis aus-sieht. Ich musste mit ansehen, was es bedeutet, wenn alleGespräche sich darum drehen, ob das Papier im Geldbeu-tel morgen noch einen Wert hat und ob man das dringendbenötigte Brot noch damit kaufen kann. Auch wenn mirdamals Verständnis und Theorie fehlten, so spürte ich doch,dass da etwas ordentlich schief lief. Ich sah die angerichte-ten Verheerungen im Leben der Menschen.

Roland Baader hat mir die Augen geöffnet, und dafürbin ich ihm zutiefst dankbar. Der Leser mag über mich lä-cheln, aber für mich war er eine Art Heiliger unserer Tage.Seine Qualitäten als Entlarver und Demaskierer der heuti-gen riesenhaften Betrügereien sind das eine, dazu geselltensich aber ein tiefer Glaube und ein Charakter von besonde-rer Schönheit, Aufrichtigkeit und Bescheidenheit.

Wie sagen die Russen an den Gräbern großer Men-schen: „Takich usche njet!“ Solche Menschen gibt es nichtmehr!

Ich musste mit ansehen, was es bedeutet, wenn alle Gespräche sich

darum drehen, ob das Papier im Geldbeutel morgen noch einen Wert hat

und ob man das dringend benötigte Brot noch damit kaufen kann.

Page 41: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

41ef März 2012

Page 42: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

42 eigentümlich frei Nr. 120

Rotwein mit Roland

Lacht kaputt, was euch kaputt machtWenn zwei Radikale zusammenfinden

von Hans-Hermann Hoppe

Der Autor, Jahrgang 1949, war von 1986 bis 2008 Professor für Volkswirtschaftslehre an der University of Nevada in Las Vegas und ist Distinguished Fellow des Ludwig von MisesInstitute in Auburn/Alabama. Er gründete 2006 die Property and Freedom Society, der auch Roland Baader angehörte.Foto (Cannes) von privat; Foto (Hoppe) von privat

Roland Baader und ich hatten schon ein paar Mal miteinanderkorrespondiert, ehe wir uns 1994 auch persönlich kennen-lernten. Anlass war eine Tagung der Mont Pelerin Society inCannes. Roland kam als MPS-Mitglied, ich war als Gast-redner eingeladen. Schon am ersten Abend trafen wir unsund wurden auf Anhieb gute Freunde. Bei mehreren Fla-schen Rotwein, vielen Bieren und ungezählten Zigarettenstellten wir schnell fest, dass wir die Welt ganz und gar ähn-lich sahen und beurteilten. Wir hatten dieselben Vorliebenund Abneigungen, achteten und verachteten dieselben Per-sonen und konnten uns über dieselben Sachen kaputtlachen.Am nächsten Abend ging es so weiter, wie es am erstenbegonnen hatte.

Im folgenden Jahr, 1995, anlässlich einer Vortragsreisedurch Deutschland, besuchte ich Roland zu Hause und lerntedabei auch seine Frau Uta und ihre drei gemeinsamen Kin-der Daniel, Rio und Miriam kennen. Ich bewunderte denschönen Garten und begutachtete Rolands prächtige Bibli-othek. Wir speisten gemeinsam Spargel und tranken dabeiausnahmsweise Weißwein.

1997 trafen wir uns erneut. Diesmal in Barcelona undwieder anlässlich einer MPS-Tagung. Wieder war ich Gast-redner und Roland kam als Vereinsmitglied, diesmal zusam-men mit Uta. Auch in Barcelona verbrachten wir die Aben-de gemeinsam, bei Rotwein und spanischer Küche. DochUta war zu diesem Zeitpunkt bereits krank, und ihr beiderAufenthalt fiel darum kürzer aus als erwartet.

2004, erneut anlässlich einer Vortragsreise, traf ich Ro-land dann zum letzten Mal. Wieder bei ihm zu Hause, diesmalin seinem neuen, kleineren Domizil in Waghäusel-Kirrlach,in das er nach Utas Tod umgezogen war. Viel Gesprächs-stoff hatte sich inzwischen angestaut, und so ging es diesmalbei Strömen sardischen Rotweins und überfüllten Aschen-bechern die ganze Nacht durch, bis zum Morgengrauen,ehe wir erschöpft wenigstens für ein paar Stunden in dieBetten fielen.

Roland war ein Schüler Friedrich August von Hayeks,und immer wieder tauchten Hayeksche Themen in seinenSchriften auf. Doch im Verlauf der Jahre war Roland zu-nehmend radikaler geworden. Hayeks Zugeständnisse anden Wohlfahrtsstaat gingen ihm entschieden zu weit. Und

Tagung der Mont Pelerin Society 1994: Die locker

philosophierenden ef-Redaktionsbeiräte (v.l.n.r.)

Hardy Bouillon, Hans-Hermann Hoppe, Roland

Baader und Gerard Radnitzky.

Page 43: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

43ef März 2012

angesichts meiner Einschätzung Hayeks als eines rechtenSozialdemokraten seufzte er nur zustimmend. In seinerimmer kompromissloseren Ablehnung des Wohlfahrtsstaa-tes und seinem Plädoyer für einen nachtwächterlichen Mini-malstaat folgte Roland stattdessen Ludwig von Mises. Undauf die noch radikalere Version des Anarcho-Kapitalismusangesprochen, wie sie von Murray Rothbard entwickeltworden war, gestand er, dem habe er argumentativ nichtsentgegenzusetzen.

Doch Roland wollte diese Dinge in seinen Schriften nichtzum Thema machen. Auch hielt er den modischen Falsifi-kationismus Karl Poppers, wie er von unserem gemeinsa-men Freund Gerard Radnitzky vertreten wurde, für unzu-treffend, jedenfalls was die Ökonomie angeht. Roland neigtestattdessen der Auffassung Mises’ von der Ökonomie alseiner „aprioristischen Wissenschaft“ – als einer „Praxeolo-gie“ – zu. Aber auch über dieses Thema wollte er ganzbewusst nicht schreiben.

Die Welt der deutschen Intellektuellen und die Estab-lishment-Medien haben Roland und sein Werk weitgehendignoriert. Das ist vielleicht nicht verwunderlich, hatte er dochfür sie kaum mehr als Verachtung übrig. Auch schrieb Ro-

land zu flüssig, zu klar, zu kämpferisch und zu polemisch,das geziemt sich unter „zünftigen“ Intellektuellen nicht. Aberauch seine „Vereinsfreunde“ würdigten ihn nicht. Obwohlein direkter Schüler Hayeks und langjähriges Mitglied derMPS, lud diese ihn doch nie als Redner ein, selbst nicht zuTagungen in Deutschland oder im direkt benachbarten Aus-land. Und auch die Hayek-Gesellschaft, deren Gründungs-mitglied er war und deren Anfangskapitalisierung er maß-geblich vermittelt hatte, verwehrte ihm jede Ehrung.

Dennoch – oder gerade deswegen – gelang es RolandBaader mit seinen Büchern, einen stetig wachsenden Leser-und Anhängerkreis zu schaffen und zum bekanntestendeutschsprachigen Freiheitsdenker und -kämpfer der Ge-genwart aufzusteigen. Zehntausende wurden durch seinWerk dazu inspiriert, sich wieder mit der in Deutschlandund Österreich fast schon vergessenen Österreichischen Schu-le der Ökonomie und Sozialphilosophie zu befassen.

Mir wird Roland Baader in unvergesslicher Erinnerungbleiben. Und vielleicht, hoffentlich, wenn Gott will, treffenwir uns ja noch einmal wieder bei einem Glas himmlischenRotweins, um uns dann angesichts des andauernden irdi-schen Irrsinns gemeinsam kaputtzulachen.

Auf der Couch bei Roland Baader 1995: Hans-Hermann Hoppe und Olga, der Königspudel von Gerard Radnitzky

Page 44: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

44 eigentümlich frei Nr. 120

Roland Baader und die Schweiz

Der Zufall führte uns zusammenUnd das Maß des Menschlichen

von Johannes Müller

Der Autor ist Unternehmer in Bern und Verleger von Fachliteratur zum Thema Geldwirtschaft. Im Verlag Johannes Müller ist unter anderem die englischsprachige Übersetzung desBuches „Geldsozialismus“ von Roland Baader erschienen.Foto (Tor und Fahne) von privat

Was für ein Zufall: Auf der Suche nach Antworten auf meinevielen Fragen, die sich über einen langen Zeitraum aufge-staut hatten, ist mir irgendwann ein Magazin in die Händegefallen: eigentümlich frei. Wie ein halbverdursteter Wüsten-wanderer erfreute ich mich an dieser Substanz-Oase undganz besonders damals an einem Artikel. Der Autor: Ro-land Baader. Ich las diesen Beitrag mehrfach, war begeis-tert, beglückt und zutiefst befriedigt: Die Erkenntnis, nein:der Beweis, dass ein Mitmensch als Gelehrter existiert, dersich für Frieden und Freiheit einsetzt, seine wertvolle Le-benszeit der Allgemeinheit in Form von Wissen zur Verfü-gung stellt, uneigennützig, kompromisslos, absolut unabhän-gig ist – dies hat mich motiviert, nun mehr zu erfahren überLiberalismus und Ökonomie.

„Geld, Gold und Gottspieler“, ein Augenöffner mitLangzeitwirkung, und viele weitere Werke von Roland Baa-der habe ich in der Folge richtiggehend verschlungen. Dievon ihm verwendeten Argumente sind so stark, seine Ge-

danken so klar und sein Schreibstil so kompri-miert, scharf und direkt – einfach wunderbar.Heute wissen wir, dass Roland Baader seitBeginn seiner publizistischen Arbeit nicht nurdie heutige Finanzkrise exakt vorausgesagt hat,sondern – viel wertvoller – auch die Ursacheglasklar erkannt und aufgezeigt hat.

Wie muss er sich eigentlich vor 25 Jahrengefühlt haben, bedrängt von all diesen Geis-terfahrer-Ökonomen, ganz alleine auf der ver-meintlich falschen Spur geortet, verleumdet undgeächtet? Diesen Schmerz, diese Ohnmachtauszuhalten? Oder die Nazikeule, die von bös-dummen Journalisten oder Möchtegern-Dik-tatoren stets schlagbereit für deren Argumen-tations-Schwächeanfälle bereitgehalten wurde?Oder der blinde Glaube der Mitbürger anScheinwohlstand, an Rentenversprechen, anPolitiker? Das Verleugnen der Tatsache, dassNationalsozialismus und Kommunismus sichauf derselben Seite der Medaille nur durch dieAnzahl von Mordopfern unterscheiden? Oderdie immerwährende Verleumdung des Kapi-talismus, der freien Marktwirtschaft? Einer sol-

chen Welt immer und immer wieder die besseren Argu-mente entgegenzuhalten, braucht Kraft, Überzeugung undin seinem Fall wohl auch einen tiefen Glauben. Eine fastunmenschliche Aufgabe, die Roland Baader sich ausgesuchtund der er sich verschrieben hatte.

Ich durfte ihn schließlich auch persönlich kennenlernen.Und erfuhr dabei: Roland Baader bewunderte die Schweiz.Er empfand sie als Insel der Freiheit, die sich trotzig supra-nationalen wie auch imperialen Größenwahnprojekten zuwidersetzen suchte. Oft ist er mit seiner geliebten Frau Utain „seine“ Schweiz gereist. Die beiden haben es genossen,sich immer sehr wohl gefühlt. Die Stadt Bern soll ihnenspeziell gefallen haben, versicherte Roland Baader mir mehr-fach. Die kleine, überschaubare, proportionierte, maßvolle,natürlich gewachsene und gepflegte Stadt Bern: Der Windvon Wilhelm Röpke – das Maß des Menschlichen – wehtdurch ihre Altstadtgassen. Seine und auch meine Stadt: eingemeinsamer Nenner. Was für ein Zufall.

Zeichen setzen: Die Schweizer Fahne wehte für alle Besucher sofort

sichtbar gleich hinter dem Eingangstor mit den Initialen „RB“ auf

der Oberdorfstraße in Waghäusel-Kirrlach

44 eigentümlich frei Nr. 120

Page 45: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

45ef März 2012

Lehrer Baader

Einer, der junge Menschen begeisterteMit Wahrheit und Größe gegen den Schein der Welt

von Gregor Hochreiter

Der Autor, Jahrgang 1977, ist Ökonom. Er schrieb das Buch „Krankes Geld, kranke Welt“, zu dem Roland Baader das Vorwort verfasste.Foto (2 Jahre) von privat; Foto (7 Jahre) von privat; Foto (Bibliothek) von privat

Ungläubig wie der Apostel Thomas lese ich immer undimmer wieder das Email meines Verlegers Dr. Resch, dassoeben in mein elektronisches Postkasterl geflattert ist. Ro-land Baader, so steht es schwarz auf weiß geschrieben, habesich bereit erklärt, das Vorwort zu meinem Buch zu verfas-sen. Jener Roland Baader, zu dem ich seit meinem intellek-tuellen Erstkontakt mit dem Buch „Die Euro-Katastrophe“ehrfurchtsvoll hinaufgeschaut hatte. Welch große Ehre wirdmir da jetzt zuteil!

Als ich „Die Euro-Katastrophe“ in kürzester Zeit ver-schlang, weilte ich erst seit kurzem wieder in Österreich. 15Monate hatte ich in Brüssel verbracht und mich in dieserZeit angesichts der zahlreichen Erfahrungen vor Ort voneinem EU-Befürworter zu einem Skeptiker gewandelt. „DieEuro-Katastrophe“ lieferte mir das lange gesuchte ökono-mische, politische und philosophische Unterfutter. MeinGefühl der Ablehnung wandelte sich in ein sachlich begrün-detes Argument. Roland Baaders umfangreiches Wissen,seine stringente Argumentation und sein unerschrockenesEintreten für ein „Europa der Vielfalt“ beeindruckten michvon Beginn an.

Auf den Geschmack gekommen, gehörte das ansehnli-che Oeuvre Roland Baaders von nun an zum unverzichtba-ren Bestandteil meiner Lektüre. Geistige Nahrung vom Feins-ten, die immer mehr war als bloß eine Kritik am Status quo.Sie wollte den Leser für die Sache begeistern, speziell „diebelogene Generation“ zum selbständigen Denken anregenund diese Jugend für den mühsamen und aufreibendenKampf der Ideen gewinnen.

Roland Baader war immer bewusst, dass die intellektu-elle Auseinandersetzung nicht von heute auf morgen zu ge-winnen war. Der Einfluss der Sozialisten aller Couleur, de-ren kreideweiche Stimmen so viele Bürger eingelullt haben,war nicht nur ungebrochen, er nahm im vergangenen Jahr-zehnt sogar merklich zu. Höchst erfolgreich haben sie denMarsch durch die Institutionen abgeschlossen und nicht nurdie hochdotierten Posten eingenommen, sondern, viel pro-blematischer, als Wölfe in Schafspelzen die Deutungs- undMeinungshoheit, die Lehrstühle sowie die politische Gestal-tungsmacht in ihren Händen monopolisiert. Gegen diesemassierte Phalanx von gesellschaftszerstörenden und totali-tären Kräften kann selbst der mutigste, tapferste und hel-

denhafteste Einzelkämpfer nichts ausrichten. Roland Baa-der war klar, dass selbst der eine oder andere Sieg im Kampfder Ideen nichts an der grundsätzlichen Malaise geänderthätte. Mehr noch: Solche Siege sind die trügerischsten. Schnellverfällt man der Illusion, den geistigen Zustand zu optimis-tisch einzuschätzen.

Dieser Illusion verfiel Roland Baader nicht. Seine Weit-sichtigkeit und sein tiefes Vertrauen in die menschliche Ver-nunft bewogen ihn, das Hauptaugenmerk seines Schaffensauf die Ausbildung der jungen Generation und jener Men-schen zu richten, die dem faulen Zauber des Sozialstaatsnoch nicht gänzlich erlegen waren. Wie zu seiner Zeit CarlMenger, der Gründer der Österreichischen Schule der Na-tionalökonomie, der Roland Baader immer verbunden war,widmete er sich der Aufbereitung des intellektuellen Hu-mus, aus dem sich im Laufe der Zeit – und gut Ding brauchtWeile – eine Heerschar an intellektuell sattelfesten, moralischtugendhaften und daher unkorrumpierbaren Advokaten derFreiheit – die geistigen Enkel Roland Baaders – herausbil-den wird, die in den unterschiedlichsten Positionen nach undnach die zermürbenden Kämpfe für sich entscheiden unddie Gesundung der Gesellschaft vorantreiben würden. Dasssein Wirken erste Früchte hervorbrachte, durfte Baaderschon zu Lebzeiten erleben. Legendär ist der Auftritt desdamals noch aktiven Torwarts des FC Bayern München,Oliver Kahn, in der Talkshow „Kerner“, als dieser in derihm zugestandenen Kürze „Geld, Gott und Gottspieler“erwähnte und vor laufender Kamera dem staunenden Gast-geber Nachricht gab, dass er nach der Lektüre dieses Bu-ches alle seine Aktien verkauft habe, denn wir würden uns„am Vorabend der nächsten Weltwirtschaftskrise“ befinden.Oliver Kahn ist beileibe nicht der Einzige, der die Schulevon Roland Baader besuchte und in dieser geistig gewan-delt wurde.

Was zeichnet einen guten Lehrer aus? Zunächst einmalder eigene unstillbare Drang nach Wahrheit, die Wissbegier,das Verlangen, Schein von Sein zu trennen, der Wunsch, denDingen auf den Grund zu gehen. Ein speziell in der heuti-gen Zeit der scheintoleranten Gleich-Gültigkeit schwierigesUnterfangen. Zum zweiten die Bereitschaft, das erworbeneWissen lernwilligen Schülern weiterzugeben. Dies bedarf desWillens, den Adressaten seiner Botschaft ernst zu nehmen

Page 46: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

46 eigentümlich frei Nr. 120

und seine tiefsten Sehnsüchte zu kennen, damit die Botschaftnicht ungehört verhallt. Mitunter heißt das aber auch, denan den Universitäten und von der veröffentlichten Meinungin intellektuelle Lethargie Versetzten mit wortgewaltigenFormulierungen aus seinem Dämmerschlaf zu wecken. Undzu guter Letzt: Geduld, viel Geduld. Der Lehrer kann sei-nen Schüler beim Aufdecken des Verborgenen, bei der Su-che nach der Wahrheit unterstützen. Die Augen öffnen mussder Schüler selber, ebenso muss er selber die Konsequen-zen seines Erkenntnisgewinnes ziehen.

In geduldiger Darlegung der gewichtigsten Irrtümer derGegenwart, die angesichts der jahrelangen Krebserkrankungumso bemerkenswerter ist, versuchte Roland Baader dasUnmögliche möglich zu machen. Eine kritische Masse derBevölkerung vor der drohenden wirtschaftlichen Katastro-phe und vor der Verfestigung der totalitär-zentralistischenTendenzen, die im Namen der Freiheit den Menschen schwe-re Fesseln anlegen, zu warnen. Behilflich in diesem Unter-fangen, die Feinde der Freiheit an den Pranger zu stellen,war ihm die „heilige Halle“ jedes Intellektuellen, seine reichbestückte Bibliothek. Diese legt beredtes Zeugnis von derVerinnerlichung des Bonmots seines Lehrers Friedrich Au-gust von Hayek ab: „Wer nur ein Ökonom ist, kann keinguter Ökonom sein.“ In der tiefen Überzeugung, dass nurein Leben in und aus der Wahrheit ein Leben in Frieden undWohlstand garantieren könne, sah es Roland Baader als sei-ne Pflicht an, gegen die unzähligen Denkverbote der Ge-genwart vorzugehen. Ein Leben wider die Wahrheit kannniemals ein gelungenes Leben sein.

Die schriftlichen Freiheitsfunken, die Ausgabe für Aus-gabe dieses Magazin bereicherten, haben schon an einigenOrten ein sich selbst tragendes Feuer entfacht. In der sichweiter verdunkelnden Nacht, die nicht nur über Deutsch-land hereinbricht, bieten diese Feuer der Hoffnung Orien-tierung, Wärme und Gemeinschaft. Es ist kein Strohfeuer,das diese Funken entfachten. Gut getrocknete deutsche Ei-che glimmt vor sich hin, der nicht mehr ohne weiteres derGaraus gemacht werden kann und die bereit steht, weitereScheite zu entflammen.

In seiner meisterhaften literarischen Verarbeitung desalttestamentarischen Stoffes des Propheten Jeremia lässtFranz Werfel einen Journalisten, der die Vision von der Le-bens- und Leidensgeschichte Jeremias erhält, am Schluss desRomans „Höret die Stimme“ erkennen, „dass es Größenur gegen die Welt gibt und niemals mit der Welt, dass dieewig Besiegten die ewigen Sieger sind und dass die Stimmewirklicher ist als der Lärm.“ Die Stimme Roland Baaderswird uns im dröhnenden Lärm der Gegenwart fehlen.Schüler Roland: Sieben Jahre jung

Seine Freiheitsfunken haben schon

an einigen Orten ein sich selbst

tragendes Feuer entfacht.

Starker Freiheitsdrang: Selbst noch ein Baaderle

Page 47: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

47ef März 2012

Roland Baader 1997 in seiner Bibliothek im Haus auf der Gartenstraße in Waghäusel-Kirrlach: Links oben ein

Foto seines Freundes und Mitstreiters Gerard Radnitzky

Page 48: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

48 eigentümlich frei Nr. 120

Baader, der Verhandlungspartner

Wertvollster FreundNach Flucht und Verzweiflung

von Fredo Lange

Der Autor, Jahrgang 1952, ist Zahnarzt in Roland Baaders Heimatstadt Waghäusel.Fotos (2 mal Familie) von privat

Im Sommer 1984 antwortete ich auf eine Annonce für dieÜbernahme einer Zahnarztpraxis. Ein gewisser Roland Baa-der verhandelte im Namen seiner Schwiegermutter, dieschwer erkrankt war. Seine freundliche und äußerst faireArt haben mich sofort für ihn eingenommen. Diese Eigen-schaften lernte ich dann auch bei seiner Frau Uta, derenSchwester Gabi und ihrem Mann Fritz sowie später bei Ro-lands Kindern kennen. Als wir – meine damalige Frau, un-ser damals dreijähriger Sohn und ich – dann im Dezember1984 nach Waghäusel zogen, standen uns die Genanntenmit Rat und Tat zur Seite, um uns das Einleben in der frem-den Stadt zu erleichtern. Ich konnte damals noch nicht ab-schätzen, welch großartigen Mann ich da kennengelernt hatte.Was mir nur sofort auffiel, war das ehrliche Interesse Ro-land Baaders an meiner Vergangenheit in der DDR.Besonders interessierten ihn die Umstände meiner Fluchtim Januar 1977 mit Hilfe einer Fluchthelfergruppe, die Fluchtmeiner damaligen Verlobten und die Flucht meiner Schwes-ter. Beide landeten im Gefängnis, die eine in Prag, die ande-re in Bautzen. Ich habe das alles ausführlich 2001 in eigentüm-lich frei Nr. 15 beschrieben.

In der Zeit von meiner Flucht bis zum KennenlernenRoland Baaders hatte ich jede politische Heimat verloren.Mein Traum von der Freiheit war verflogen. Als ich in Gie-ßen einen Studienplatz bekam, um mein Studium der Zahn-medizin zu beenden, fragte ich viel nach Politik, Kultur, ge-sellschaftlichem Leben, weil mich alles interessierte, es warja für mich eine völlig neue Welt. Die Antworten kamenwiderwillig, jedes Gespräch wurde sofort auf die wichti-gen Dinge im Leben gelenkt, wie zum Beispiel: WelchesAuto hat mehr PS? Oder: Wo sind die schönsten Strändedieser Welt? Halbwegs hingehört wurde noch, wenn ichDetails meiner Flucht im Kofferraum beschrieb. Redete ichvon Löwenthal im ZDF, wollte keiner mehr zuhören. Mei-ne geistige Hungersnot hielt an.

Ich hielt mich deshalb immer mehr an Presse und Fern-sehen. Und bekam zunehmend Zweifel, hier wahrheitsge-mäß informiert zu werden. War ich schon wieder in derDDR gelandet? Alles war natürlich subtiler. Und deshalbumso gefährlicher.

Dann kam der Sommer 1984. Roland Baader und ichhatten zunächst eine rein geschäftliche Beziehung. Erst 1985

lud uns Roland zu einem Grillabend ein. Wir gerieten inPanik. Die letzte Grillparty hatten wir bei ersten „gesell-schaftlichen Kontakten“ im „Westen“. Wir waren damals inJeans und gut gelaunt dorthin gegangen. Als wir in denGarten kamen, standen die Damen im Abendkleid und dieHerren im Anzug da. Wir und insbesondere ich als der HerrDoktor waren bei der Schickeria unten durch. Nun also dieEinladung von Roland, dem damaligen Unternehmer. Geldhatten wir nicht, um entsprechende Garderobe noch schnellzu kaufen. Also zogen wir uns halbwegs ordentlich an undgingen los. Roland Baader öffnete und stand in Jeans, T-Shirt und Grillgabel in der Hand vor uns. Uta begrüßte unsmit einer Schürze bekleidet und rührte gerade den Wurstsa-lat um. Der Tisch sah aus, wie ein Grilltisch aussehen muss:selbstgemachte Salate, Teller, Besteck, alles trotzdem mitNiveau. Wir fühlten uns sofort sehr wohl. Kein zur Schaugestellter Reichtum, kein gekünsteltes Benehmen, kein be-tont intelligentes Gequassel. Nur Menschen, natürlich, offenund intelligent. So war Roland. So ist seine Familie.

Wir verbrachten viele Samstagnachmittage bei Rolandund seiner Frau Uta. Das Bewundernswerteste an ihm warfür mich seine Fähigkeit, mich nie unwissend zu dünken.Ich konnte stundenlang mit ihm diskutieren, und er gab mirnie das Gefühl, etwas Dummes gesagt zu haben. Ich binheute davon überzeugt, eine Menge Dummes gesagt zuhaben. Ich fragte ihn eines Tages, ob er mir nicht Literaturnennen könne. Als erstes empfahl er mir die Zeitschrift ei-gentümlich frei. Dann kamen die Bücher. Je mehr ich las, des-to interessanter wurden die Gespräche mit Roland.

In der letzten Zeit war ich alle 14 Tage mittwochs mit-tags für eine Stunde bei ihm. Trotz seiner schweren Krank-heit hat er nie seinen Humor verloren. Wenn ich ihm vomletzten Stammtisch der Zahnärzte erzählte und berichtete,was da mitten in der Krise an „Problemen“ gewälzt wurde,haben wir herzhaft gelacht.

Dann las ich auf der Webseite von eigentümlich frei fol-genden Satz von ihm: „Warum braucht man Mut, um fürdie Freiheit einzutreten? Weil man in einem weitgehend ver-ständnislosen und desinteressierten Umfeld systematisch ver-einsamt – und manchmal sogar seine Freunde verliert.“

Roland, ich danke Dir für die vielen wertvollen Stun-den, die ich mit Dir verbringen durfte.

Uta und die drei Kinder: Der Familienmensch

48 eigentümlich frei Nr. 120

Page 49: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

49ef März 2012

Aus dem Nähkästchen

Mäxchen und die MühleJimmy zwischen Esel und Stier, Heinkel-Roller und Alfa-Romeo

von Gabriele Baader-Hoffmann

Die Autorin, geborene Hufschmid, kennt Roland Baader als Schwägerin und Nachbarin aus nächster Nähe.Fotos und Zeichnungen (8 mal Familiengeschichte) von privat

Aus Rolands Erzählungen von „vor meiner Zeit“

Nachdem Roland im Alter von 16 Jahren mit Tanteund Onkel von Schwelm nach Mannheim umgezogen war,kam er irgendwann in die sogenannte „Pälzer Klass“. Wasauch immer hinter diesem „Prädikat“ steckt, „die PfälzerKlasse“ hatte als Klassenlehrer einen ehemaligen Profibo-xer. Hier waren wohl alle besonders wenig Angepassten unddie Unbeugsamen beisammen. Viel mehr erzählte er leidernicht, aber wenn, dann immer schmunzelnd. Und geradeso viel, dass man ahnte, dass er sich seinen Platz in dieserKlasse verdient hatte.

Außerdem schwärmte Roland noch Jahrzehnte später,wann immer man ihn fragte, mit leuchtenden Augen vonseinem Heinkel-Roller, den er damals schon hatte. Es warwohl der Mercedes unter den Motorrollern. Ich vermute,

dass er diesen von seinen Eltern unbewusst als „Wiedergut-machung“ für seine nicht gerade „schnuckelige“ Jugendbekommen hatte, denn seine Tante entsprach weiß Gottnicht seinem Idealbild einer Frau. Das war sicherlich auchausschlaggebend für seine spätere Einstellung Frauen ge-genüber, die ihm emotional gefährlich nahekamen. Diemussten erst mal „buckeln“, was ja eigentlich sehr unge-wöhnlich ist für einen Mann. Aber für Roland muss die Artund Weise, wie seine Tante mit ihrem Ehemann umgegan-gen ist – ein Kettenhund hat’s fürstlich dagegen – ein war-nendes Beispiel gewesen sein. Nach dem Motto: „Mit mirnicht, niemals!“, oder besser noch: „Wehret den Anfängen!“Ich habe sie noch kennengelernt, die Tante. Und weiß des-halb, warum seine Heinkel für ihn einen solch hohen Stel-lenwert hatte.

Jimmy halbstark: „In üblicher Umgebung“, wie Roland Baader selbst auf der Rückseite des Fotos notierte

Page 50: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

50 eigentümlich frei Nr. 120

Die Studentenzeit

Ende 1966 kam ich nach Freiburg, um die Kranken-gymnastikschule zu besuchen. Meine vier Jahre ältere Schwes-ter Uta lebte bereits seit einiger Zeit dort, Französisch undLatein studierend. Uta hatte zuhause schon von einem ge-wissen „Jimmy“ erzählt, anfänglich eher beiläufig, im Ne-bensatz, später dann auffallend oft, so dass unsere Muttersehr schnell eine gewisse Ahnung hatte. Spätestens als dieserJimmy dann für ein Jahr nach München ging, war klar, dasses sehr ernst war. Denn meine Schwester, in Freiburg blei-bend, hatte ein Riesen-Elend. Für mich war das völlig neuan ihr, denn in unserer Schulzeit hatten eher die Jungs einElend, weil sie in sie verknallt waren, aber nie landen konn-ten. Bei Jimmy war das alles anders.

Jimmy war für meine Begriffe weder attraktiv nochsonstwas, es war ja nichtmal sein richtiger Name. Er hießnämlich Roland. Eines merkte ich allerdings schnell: Er warder Chef im Ring, und ich begriff, dass es sich bei diesemExemplar um den sogenannten „Macho“ handelt, den dieWeiber wohl brauchen, um sich sicher zu sein: „Ja, das istder Richtige“ für die spätere Aufzucht der „Jungen“, ent-sprechend den Erkenntnissen aus dem Tierreich, die mirinteressehalber sehr vertraut waren. Doch dass meine in heu-tigen Worten so coole Schwester sich plötzlich zaghaft an

den Kochtopf wagte und – wir zwei haben nie mit Pup-pen, sondern immer mit Stofftieren gespielt – irgendwannanfing, auf jede Papierserviette, auf jeden Fetzen Papier Ka-rikaturen von kleinen zukünftigen „Baaderle“ anzufertigen,das empfand ich fast als Verrat – und als Verirrung, nachdem Motto: „Die spinnen, die Römer!“

Rolands Clique war, denke ich, ein ganz normaler Hau-fen von Studenten, der für meine Begriffe zu viel soff undvor allem zu viel rauchte. Man hörte immer sehr schnell,wenn sie in der Nähe waren, denn, so sagte mal jemand:„Roland lacht wie ein volles Kino.“ Sein Lachen und seineStimme waren schon irre! Es wurde natürlich viel politisiert– mein Interesse galt mehr der Medizin –, und ich weißnur, dass Roland schon in frühen Jahren jeden Pfennig, dener von seiner elterlichen Studentenapanage übrig hatte, sparteund in „Sachen“ anlegte, die ihm „sicher“ erschienen. Auchseine Freiheit und Entscheidungshoheit über gewisse Dingewaren ihm überaus wichtig, was es für meine SchwesterUta nicht gerade leichter machte, denn sie „wollte“ diesenMann und musste eben nun erst mal die „Buckeltour“ ma-chen. Irgendwann hat dann selbst Roland gemerkt: Der De-ckel passt!

Fairerweise muss man sagen – ich hoffe, Roland nimmtes mir nicht übel, aber selbst seine Kinder sehen das so –,

Geplante Kleinfamilie: Miriam sollte unter anderem auch einen poliploiden Familiendeppen zum Bruder haben

Dass meine in heutigen Worten so coole Schwester sich plötzlich zaghaft

an den Kochtopf wagte und anfing, auf jeden Fetzen Papier Karikaturen

von kleinen „Baaderle“ anzufertigen, das empfand ich fast als Verrat.

Page 51: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

51ef März 2012

dass Uta Roland den letzten noch notwendigen Schliff inSachen Kultur verpasst hat. Dazu zählt auch die Liebe zuItalien, zu dessen Natur- und Kulturschätzen und zur itali-enischen Lebensart. Ich kann mich erinnern, dass Uta ziemlichBauchweh hatte, als der erste Besuch bei unseren Eltern inSingen am Hohentwiel anstand. Da Roland sich ungern ir-gendwelchen Zwängen unterwarf, bestand natürlich die Ge-fahr, dass er nicht so gut bei uns zuhause ankam. Aberunsere Eltern, beide liberal in der Wolle gefärbt, waren sofortbegeistert von diesem jungen Mann mit dem klaren Ver-stand, seiner für diese Zeit bei den jungen Leuten unge-wöhnlichen Einstellung, und achteten nicht mehr darauf,ob er nun die Stoffserviette – ohne die er sich später keinEssen hätte vorstellen können – benutzte oder nicht.

Roland war „hispanophil“, er liebte das Land und vorallem die Musik, die spanische Gitarre, den Flamenco undvermutlich auch den Stierkampf, aber seine diesbezüglicheAfición behielt er im Beisein von uns Hufschmid-Schwes-tern wohl lieber für sich. Er hatte die Vision, irgendwannnach dem Studium auf einem Esel die spanische Halbinselzu umrunden, um dann – wahrscheinlich mit dem größten„Wolf“ aller Zeiten – wieder nach Hause zu kommen, umdas zu machen, was man von einem Mann erwartet, näm-lich eine Familie mit einem Haufen dieser herzigen kleinen

und bereits karikierten „Baaderle“ zu gründen. Was Ro-land von Monat zu Monat offenbar immer erstrebenswer-ter fand, denn es wurden immer mehr, und ich kam ausdem Staunen nicht mehr raus. Hätte er aber seinen Traumin die Tat umgesetzt, also den mit dem Esel, wäre garan-tiert gar nichts aus dem Kinderwunsch geworden. So sindes heute immerhin drei.

Nach der Studentenzeit

Ich bin immer noch da! Ich hatte mich nämlich wäh-rend der Studentenzeit in den jüngsten Bruder von Rolandverknallt. Für den dritten, den mittleren Bruder (Siegfried)hatten wir leider keine Schwester mehr, Uta und ich warennur zu zweit.

Die große Liebe, die nie verging: Roland und Uta, geborene Hufschmid im Juni 1969

Wohl erzogen: Die „Baaderle“, vorgezeichnet von Uta

Page 52: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

52 eigentümlich frei Nr. 120

1969 heirateten wir vier in Singen, Utas und meinerHeimatstadt, und wir brachten es fertig, bei einer Doppel-hochzeit inklusive der jeweiligen Eltern – das waren ja dannschon acht Personen – auf insgesamt 13 Gäste zu kom-men. Das Ganze fand an einem Freitag, dem 13. statt, undich behaupte mal, es war die schönste und stressfreiesteHochzeit, die es je gegeben hat. Wir haben uns über unsselber halb totgelacht, unsere Männer in Fräcken wie diePinguine und wir im weißen langen Kleid – ein bisschenwie Fasching, nach dem Motto: „Als was gehst du?“

Kleine Geschichten zwischen damals und heute

Roland war jetzt (seit 1968) im elterlichen Betrieb (Joba)und wohnte knapp 200 Meter entfernt vom Verwaltungs-gebäude, wo sich sein Büro befand, in einem Penthouse.Sein ganzer Stolz war ein dunkelblauer Alfa-Romeo GTJunior mit cognacfarbener Lederausstattung. Da in der Be-triebsanleitung oder sonst wo stand, man müsse den Mo-tor vor der Fahrt zehn Minuten warm laufen lassen, hat erdoch tatsächlich jeden Morgen sein geliebtes Auto ange-schmissen, saß zehn Minuten in der Karre mit laufendemMotor, um dann in weniger alszwei Minuten in seinem Bürozu sein.

Roland „drohte“ unsimmer wieder damit, dass er –da das hispanische Abenteuereben in der Kürze der verblei-benden Zeit nach dem Studiumausfallen musste – sich irgend-wann noch einen Esel zulegenwürde, mit dem er dann, ihn anden Ohren packend als Lenk-hilfe, in die Firma reiten würde.Die Höhe wäre auch praktisch,man käme zur Not mit den Fü-ßen auf den Boden. Das ersteKind bekam dann ein Reit-Pony: Sahib.

Nur kurz zum besseren Ver-ständnis sei erwähnt, dass ichinzwischen geschieden war –ohne Krach – und wieder ge-heiratet hatte, und zwar einenSchornsteinfeger, der damalsauch mein Reitlehrer war, Fried-rich Hoffmann, genannt Fritz,der für Roland auch in schwie-

rigen Zeiten ein ganz wichtiger Freund wurde. Roland standnun kurz vor seinem 40. Geburtstag. Und er sollte tatsäch-lich seinen Esel bekommen. Ein paar Tage zuvor warenwir vier, Roland und Uta, Fritz und ich, bei Freunden ein-geladen, die natürlich unseren Plan kannten. Es wurde ge-lacht und rumgeblödelt, und Roland fing wieder von sei-nem Esel an. Wir krümmten uns vor Lachen. Er dachtewohl, weil er so amüsant und komisch sei und setzte immernoch einen drauf. Er hatte keine Ahnung, was ihn bald er-warten sollte. Roland wurden dann an seinem Geburtstagdie Augen verbunden. Den Esel, „Mäxchen“ mit Namen,hatten wir vorher in ein ebenerdiges Firmengebäude ge-bracht, was nicht ganz leicht war. Roland musste ihn ertas-ten. Er dachte wohl wirklich: „Ich glaub, mich tritt ein –Esel!“ Mäxchen wurde später der allerbeste Freund vonSahib, der ihn sogar beschützte, wenn ihm unsere anderenPferde auf der Koppel zu nahekamen.

Roland und die Gesundheit

Roland liebte Hausmannskost und nach der Studien-zeit das Essen seiner Mutter. Irgendwann fing er dann an,

Der Hayekianer während der Studentenzeit: Die bessere Hälfte bereits im Arm

Es gab einen wunden Punkt in Rolands Leben; seine Bibliothek. Das war

„seins“. Und da war Schluss mit lustig. Alle wussten das, selbst der Hund

hatte Ehrfurcht vor diesem Raum.

Page 53: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

53ef März 2012

sich für gesunde Ernährung zu interessieren. Warum? KeineAhnung. Er kaufte also eine unheimlich tolle, recht professi-onell aussehende und bestimmt nicht billige Getreidemühlesowie diverse Pakete verschiedenster ganzer Körner undstellte alles in die Küche meiner Schwester, seiner Frau Uta.Die war wie angedeutet harmoniebedürftig, tauchte ab undließ den ganzen Kram einfach stehen. So stand die Mühle,nachdem Roland die Funktion des Geräts getestet hatte, vieleMonde. Und sie würde sicherlich heute noch stehen, wennin der Zwischenzeit die Körner nicht zum Leben erwachtwären.

Da Roland auch später immer sehr gut wusste, wasgesund für ihn wäre, blieb es nicht bei dieser einen Mühle.Doppelgänger folgten. Alle teilten das gleiche Schicksal.

Seine Bibliothek, die Bücher und die Zeitungen

Es gab einen wunden Punkt in Rolands Leben; seinedamals quadratmetermäßig noch recht bescheidene Biblio-thek in seiner Penthouse-Wohnung. Das war „seins“. Undda war Schluss mit lustig. Alle wussten das, selbst der Hundhatte Ehrfurcht vor diesem Raum. Er wurde abgeschlossen

und man hätte meinen können, Roland hätte dort eine Lei-che vergraben. Hier befand sich seine „querencia“ – einBegriff aus dem Stierkampf, der den bevorzugten Rück-zugsort des Tieres bezeichnet. Auf die verrückte Idee, sichein Buch oder eine Schallplatte von Roland auszuleihen,konnte nur einer kommen, der nichts über ihn wusste.Freundlich wie er war, hat er es niemandem abschlagen kön-nen. Aber wenn möglich, hat er sofort das Buch neu ge-

kauft, um dann dennoch weiterzu leiden, dass sein Buch infremden Händen ist. Gut dassbeide, Roland und Uta, so ver-rückt nach Büchern waren. Man-che andere Frau hätte gesagt:„Die Bücher oder ich!“

Zeitungen mochte Rolandauch. Nur ganz anders. Er lassie nicht mit den Augen, son-dern jeden Abend mit der Sche-re. Als wichtig erachtete Artikelwurden ausgeschnitten. Übrigblieb nur ein Papierskelett. Werdie entsprechende Zeitung auchlesen wollte, sollte dies vor Ro-land gemacht haben.

La querencia 2.0

Nach Utas Tod im Septem-ber 1998 beschloss der Restunserer beiden Familien, unsereHäuser zu verkaufen und ge-meinsam in eine alte Tabakfab-rik zu ziehen, die aus dem Fa-milienbesitz von Rolands Mut-ter stammte. Der erforderlicheTrallala und Hopsassa: Marketing bei Joba mit Tochter Miriam und Tony Marshall

Sahibs bester Freund: Mäxchen

Page 54: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

54 eigentümlich frei Nr. 120

umfangreiche Umbau wurde von uns in nur zwei Jahrendurchgezogen. Roland konnte sein altes Haus dann schnel-ler verkaufen als uns lieb war, und so waren, als es an denUmzug ging, noch alle Handwerker da. Alle Bücher, inklu-sive der von Uta und den Kindern, viele tausend an derZahl, standen verpackt in der Mitte seiner zukünftigen circa70 Quadratmeter großen Bibliothek. Die Wände musstenfrei bleiben, denn da sollten ja die alten und neuen Bücher-regale eingebaut werden. Mein Fritz – der einzige praktischDenkende im Rudel und daher Alphatier „Abteilung ange-wandte Praxis“ – bekam nun Bedenken, ob das alte Ge-mäuer diese in der Mitte konzentrierte Last lange aushaltenwürde. Also wurde die Kellerdecke mit Balken abgestützt.Als die Bibliothek fertig war, schaffte Roland Tag und Nacht,um seine Bücher nach seinen Wünschen – nach Sachgebie-ten – zu platzieren. Sein Traum von einer „querencia“ warWirklichkeit geworden, und mit leuchtenden Augen sah erseine Sehnsucht nach eben diesem Rückzugsort, in dem sich’sweiß Gott aushalten ließ, erfüllt. Da die Bibliothek zweiEingangstüren hat, bekam er dann zum Fünfundsechzigs-ten von uns zwei wunderschöne Messingtäfelchen mit „laquerencia“ eingraviert, die ihm Fritz an passender Stelle an-brachte. Nicht groß, nicht protzig, sondern klein, fein undbescheiden – wie er eben selbst war – und nicht erkennbarfür jedes Auge.

Rolands inoffizielle Anschrift

Zu seinem Siebzigsten bekam er ein weiteres Geschenkvon uns allen: Wir haben bei unserer umgebauten Tabakfa-brik einen abgeschlossenen Innenhof, wo die Autos sicheruntergebracht sind und auch nicht jeder gleich vor der Haus-tür steht. Dort ist an der Schmalseite eine exponierte Wand.Wir ließen aus gelbem Sandstein eine Platte anfertigen – an-

gelehnt an die Wandtafeln in Italien, die, meist aus Marmor,auf die Namen der Straßen oder Plätze hinweisen – mitder Aufschrift (natürlich auf Italienisch): „Piazza della Li-bertà – Friedrich August von Hayek (1899-1992)“.

Zwei Dankeschön zum Schluss

Zwei Dinge, eine Person und ein Umstand, sind miram Ende noch wichtig für ein großes Dankeschön. Dr.Henning Weymann, ehemaliger Chefarzt der Urologie inBruchsal, war lange Zeit Rolands behandelnder Arzt. Esblieb nicht aus, dass außer über seine Krankheit auch überdie anderen Themen gesprochen wurde, und so verbanddie beiden Männer bald eine tiefe Freundschaft. Leider ginger dann in Ruhestand, aber er blieb trotzdem für uns alleder Anker im Sturm. Es war rührend, wie er regelmäßigRoland zuhause besuchte, obwohl er nicht in unserem Ortwohnt. Als Roland kurz vor seinem Tod ins Krankenhausnach Bruchsal musste, also sozusagen an die alte Wirkungs-stätte seines Freundes, scheute sich dieser nicht, ihn fast täg-lich zu besuchen – und wenn’s nachts um zwölf war.

Zum zweiten Dankeschön: Beim Planen der „gemein-samen“ alten Tabakfabrik hatten wir ausgemacht, das nöti-ge gemeinsame Gästezimmer in unserem Teil des Gebäu-des, bei Fritz und mir, einzurichten. Und so kam es, dassalle, die Roland von weit her besuchen wollten – und vielewollten und kamen –, die Möglichkeit hatten, bei uns zuübernachten, um dann mit Roland den Rest des Tages, meistbis in die Puppen, zu verbringen. Aufstehen war für Roland„später“, „Frühstück“ (um die Mittagszeit) hieß für ihn erstmal eine rauchen, und das war in meinen Augen keine „art-gerechte“ Bewirtung seiner Gäste. Unser Part war also „Hotelgarni“, ich wollte nur verschont bleiben von den apokalyp-tischen Prophezeiungen zum Frühstück und überhaupt demganzen theoretischen Kram, den ich mir eh nicht merkenkonnte, da ich weder politisch noch intellektuell bin, son-dern eher praktisch, quadratisch und emotional. Nun zumWesentlichen: Roland hatte keinen Doktor- oder Professo-ren-Titel, der war ihm einfach nicht wichtig. Es ging ihmum die Sache und um deren Verbreitung. Man könnte nunmeinen, seine Bescheidenheit wäre Ausdruck seiner Titello-sigkeit gewesen. Durch unser „Hotel garni“ hatten wir vielKontakt mit beeindruckenden Leuten, sowohl ohne als auchgleich mit mehreren Titeln. Sie waren aber alle – mit einerAusnahme – so was von liebenswert, bescheiden, dankbar,wohlerzogen, weder arrogant noch überheblich. Es war ein-fach wunderbar, mit ihnen zu frühstücken und zu plaudern.Dafür möchten wir uns bei Roland nachträglich bedankenund bei all denen, die wir durch ihn kennenlernen durften.Die andere Adresse: Roland Baaders Domizil

Roland Baader hatte keinen Doktor- oder Professoren-Titel, der war ihm

einfach nicht wichtig. Es ging ihm um die Sache und um deren

Verbreitung.

Page 55: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

55ef März 2012

Page 56: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

56 eigentümlich frei Nr. 120

Baader, Kumpel aus Kirrlach

Revoluzzer mit HosenträgernAbschied von einem brüderlichen Freund

von Jürgen Dicker

Der Autor verbrachte in den letzten Jahren viele unvergessliche Tage und Abende mit Roland Baader im gemeinsamen Heimatort Kirrlach.Fotos (Scheuer 1 und 2) von Anita Strakl

Der Name Baader war mir schon von Kindesbeinen an einBegriff. In dem riesigen Bekleidungshaus kaufte ich auch,gerade volljährig geworden, ganz eigenständig meinen ers-ten Anzug. Persönlich kennengelernt haben wir uns erst etli-che Jahre später, an einem Freitagabend in einer Kneipe inKirrlach. Roland saß zufällig neben mir an der Theke undlas einen Artikel: „Kaufmann und Christentum“. Als er ir-gendwann die losen Blätter vor sich legte, sprach ich ihn an:„Scheint ein interessanter Artikel zu sein, hab’ zufällig dieÜberschrift gelesen.“ So kamen wir ins Gespräch, über diehalbe Nacht lang. Jeder Satz steigerte die Spannung in die-ser Welt der Gedanken und Worte und alles um mich her-um schien vergessen, wie ausgeblendet. Selbst die hübscheBlondine, die da neben mir saß.

Aber es war ja auch so leicht, sich mit Roland zu verste-hen und zu amüsieren. Das hätte jeder gekonnt. Es lag inseinem Wesen, die Menschen zu respektieren und zu mö-gen. In der Sache, im Thema, war er unerbittlich und kon-sequent, im Geiste und im Herzen aber immer ein Freund.

Im vergangenen Sommer noch saßen wir gemütlich undzufrieden auf der Terrasse des „Café am Kreuz“. Umge-ben von bunten Blumenbeeten und verführt durch das Plät-schern im Brunnen fühlten wir das Leben in einem Hauchmediterranen Zaubers pulsieren und genossen die wärmen-den Sonnenstrahlen. Am Tisch neben uns saßen ein paarältere Frauen vergnügt bei Kaffee und Kuchen. Walter kamgut gelaunt dazu und spielte auf seinem Bandoneon ein paar

alte Volkslieder. Und alle sangen mit. Den späten Abendverbrachten wir öfter bei Anita in der „Alten Scheuer“. Weinund Wasser befeuerten hochgeistige Inspiration bis hin zuallergrößten Albernheiten. Und manchmal amüsierten wiruns wie zwei kleine Lausbuben über Gott und die Welt „sim-pelnd“, bis zum Krampfe lachend, in die frühen Morgen-stunden hinein. Herz und Humor sind zwei brüderlicheGesellen, und sie müssen nahe Verwandte von Roland ge-wesen sein.

Legendär waren seine Witze. Aber manchmal, wenn ersprach, verstummte alles Gerede und Geplapper und ur-plötzlich war es ganz still. Es schien, als würden selbst Stuhlund Tisch seinen Worten lauschen. Seine tiefe, sonore Stim-me fesselte jedes Ohr. Sogar die liebe Helene ließ für einenMoment lang die Pfanne und den Kochtopf ruhen undkam neugierig aus ihrer Küche.

Roland war ein Mann in dunkelbraunen Hosen, die mitHosenträgern – wohl aus der Gründerzeit – am Fallen ge-hindert wurden. Und einem Bauch, der durch ein blau ka-riertes Flanellhemd veredelt war. Das war alles. Er war ei-ner von uns, er war wie wir. Fast, denn da war doch einbisschen mehr, uns allen ganz offensichtlich in Wissen undBildung überlegen. Ein ganz ungehobelter Geselle behaup-tete einmal frech, der Roland sei doch ein „Revoluzzer“.

Seinen letzten Geburtstag verbrachte er abends in derAlten Scheuer im munteren Kreise seiner Freunde. Buntgemischt, Jung und Alt, Arm und Reich; da war sein besterFreund Heinz, den er schon aus der Sandkastenzeit kannte,da war Alfredo, der den Abend mit seinem nahezu virtuo-sen Gitarrenspiel begleitete. Und da war Walter, heute malohne sein Bandoneon. Als Roland aber dessen Geschenkauspackte und diese schönen, edlen Hosenträger sah, warer ganz ergriffen. Wir alle wussten: Diese noblen Hosenträ-ger würde er niemals tragen. Und doch würde er sie immertragen, in seinem Herzen.

Roland liebte es, Freunde zu sich nach Hause einzula-den und für sie zu kochen. Er liebte die uralten Rezepteseiner Mutter und Großmutter. So verbrachten wir beideeinmal Heiligabend bei einem wunderbaren Linseneintopf– mit wahrscheinlich ein ganz klein wenig zu viel Essig drin– und Roland erzählte Geschichten aus seiner Kindheit.

Wir erlebten auch schwere, gefühlt schicksalsträchtigeStunden miteinander. So am 1. August 2008, dem ersten

Libertäre Runde: Jürgen Dicker (vorne) erklärt`s

Page 57: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

57ef März 2012

Tag in der badischen Geschichte ohne das geistig beleben-de Element, die innenarchitektonische Ingredienz des Rau-ches und Qualmes in den Kneipen und Restaurants. Es warein recht kühler Sommerabend und wir saßen draußen vorder Tür auf der Terrasse des Cafés, ganz zusammengekau-ert ärgerten wir uns maßlos: „Die erzählen uns was vonwegen Klimaerwärmung und wir sitzen da und frieren unsden Allerwertesten ab.“ Gerhard saß derweil ganz entspanntam Tresen und beobachtete uns Raucher durchs Fenster,mit einem Grinsen bis über beide Ohren. Harte Zeiten, vondiesem Tage an. Der Freiheit beraubt und Freundschaftenfür immer und ewig unwiderruflich zerstört?

Roland führte seinen Kampf weiter, wohlwollend undinspirierend, in Wort und Tat; in seinen Schriften und in denzwischenmenschlichen Beziehungen. So wie sich ein Gärt-ner um die Saat im Boden kümmert, verstand er es, denguten Samen in anderen zu erkennen, ihn zu hegen und zupflegen. Liebevoll und freudig begleitete er seine Freunde,unser aller Dasein beseelend. Auch morgen noch.

Nach dem schmerzvollen Abschied von seiner über al-les geliebten Uta und nachdem seine Kinder allmählich ihreeigenen Wege gingen, fand er einen schmalen Pfad aus sei-ner Einsamkeit heraus, in eine neue, immer größer werden-de „Familie“ hinein. Und so verbrachte er die letzten Jahrein dem Ort seiner Wiege mit uns.

Es gab sogar eine ganz kleine liberale – besser: libertäre– Runde, die wir so gerne noch erweitert hätten. Rolandliebte den Wein. Wenngleich nicht mal der Papst vermag,Wein heilig zu sprechen, Roland hätte es gekonnt. Und auchim Genuss der vergorenen Trauben zeigte er all seine Grö-ße und weltmännische Erfahrung, standhaft und erhaben.

Selbst dann noch, als ihm die Freiheit im körperlichenGebrechen genommen war, lebte und liebte er sie. Für an-dere erspürbar in seiner Ausstrahlung, voller Würde undHerzlichkeit. Und voller Freude. Und trotz aller Schmerzenlag ein öffnendes freundliches Lächeln in seinem Gesichtund ein liebevolles Strahlen in seinen blauen Augen. DieContenance hat er nie verloren. Sie war vielleicht ein letzterBeleg eines freiheitlichen Bewusstseins und Lebens und auchder Dankbarkeit.

Danke, Roland. Ein gewaltiges Feuer der Freiheit undLiebe brannte in Dir. Möge doch ein Funke nur übersprin-gen.

Roland, der Kirrlacher Kneipengast

Sultan des SwingsAdieu dem väterlichen Freund

von Anita Strakl

Die Autorin ist Wirtin der „Alten Scheuer“ in Waghäusel-Kirrlach, wo Roland Baaderviele Abende seiner letzten Jahre verbrachte.Foto (Scheuer 3) von Anita Strakl

Roland Baader war unser väterlicher Freund, unser Lehrer,unser Licht. Er war unser Ratgeber, unser fürsorglicher undliebenswerter Aufpasser.

Wir hatten das Privileg, Roland von seiner ganz persön-lichen Seite kennenzulernen. Unsere erste Begegnung in der„Alten Scheuer“ in den ersten Januartagen 2007 war äu-ßerst verrückt. Er kam spät abends rein. Wir alle warensehr ausgelassen und besprühten uns mit einer weißen Weih-nachtsspraydose. Wir haben sehr viel gelacht und ich dach-te: Oje, dieser Mann wird nie mehr reinkommen. Tags draufwar er wieder da. Ich habe mein erstes Buch von ihm ge-schenkt bekommen.

Roland Baader war nicht nur ein Gast, er war was ganzBesonderes. Das haben wir sofort gespürt, in dem Mo-ment, als die Tür aufging und er hereinkam. Mit seinemansteckenden Lachen hat er uns mitgerissen. Roland hatteaber auch seine lieb gewonnenen Angewohnheiten. Er muss-te unbedingt „Wer wird Millionär“ anschauen und hat biszur letzten Frage mitgehalten. Aber wenn dann sein Liedvon den Dire Straits „Sultans of swing“ erschallte, war allesvergessen und unwichtig. Bei dem Gitarrensolo von MarkKnopfler hat er sich wie ein kleines Kind mit leuchtendenAugen an die Musikanlage geschlichen und voll aufgedreht.Es war stets der einzige Moment, wo er laute Musik liebte.

Lieber Roland, was Du uns immer als Abschiedsgrußmitgegeben hast, wünschen wir jetzt Dir: Mögen Dich dieSchwingen der Nacht wohlbehütet nach Hause tragen.

Die Wirtin und ihr liebster Gast: Anita Strakl

Ein Freund, ein guter Freund: Gerhard

57

Page 58: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

58 eigentümlich frei Nr. 120

Baader, der Familienunternehmer

Eine InstitutionDas Werk des Vaters Josef Baader

von Siegfried Baader

Der Autor ist ehemaliger Unternehmer und ein Bruder von Roland Baader.Fotos (3 mal Familiengeschichte) von privat

Unser Vater, Josef Baader, wurde am 7. April 1908 als Sohn von David undJosefine Baader in Kirrlach, heute Waghäusel, geboren. Nach dem Schulabschlussmachte er eine Schneiderlehre bei seinem Onkel und ging – wie damals üblich –auf Wanderschaft quer durch Deutschland, von einer Schneiderei zur anderen.Ein reicher Schatz an Fachwissen war das Ergebnis und dann wohl auch Aus-gangspunkt für spätere Ideen zur Massenfertigung von Herrenoberbekleidung.

Zurückgekehrt nach Kirrlach setzte Josef Baader diese Idee in die Tat um. Erbot Frauen in Kirrlach, die eine Nähmaschine zu Hause hatten, an, gegen EntgeltEinzelteile zu nähen, um diese dann von besonders erfahrenen Näherinnen zumEndprodukt fertigen zu lassen. Nach wenigen Monaten stellte er die Näherinnenin einer angemieteten Fabrikhalle fest an.

1950 wurde die erste eigene Fabrik in Kirrlach gebaut. Dort fanden circa 80Beschäftigte ihren Arbeitsplatz. Der nach dem Krieg vorhandene Bedarf an Her-renoberbekleidung war groß, und so stark wie die Nachfrage wuchs, so schnellwurden die Fertigungskapazitäten ausgebaut.

Der Firmengründer bot – immer noch als Einzelunternehmer – anderenSchneidermeistern und Tuchhändlern Herrenoberbekleidung als Kommissions-ware an, mit der Maßgabe, diese erst nach deren Verkauf bezahlen zu müssen.Dieses System erwies sich als gutes Vertriebskonzept, und so entstanden in weni-gen Jahren etwa 110 „Auslieferungslager“. Die Fertigung wurde angepasst, undein großes Werk mit 400 Mitarbeitern wurde 1957 errichtet.

Von der Volks- zur Betriebswirtschaft und zurück

Roland kam nach seinem Studium 1968 nach Hause und unterstützte seinenVater. Nachdem dieser im April 1979 verstarb, führte Roland das Unternehmenalleinverantwortlich weiter. Die Verhältnisse im Textil- und Bekleidungssektor hattensich zu dieser Zeit dramatisch verändert. Die Fertigung in Deutschland war zukostenintensiv geworden, und der größte Teil dieser Industrie wanderte in Billig-lohnländer ab.

Die Zeit, die Roland blieb, um Strukturveränderungen vorzunehmen, warviel zu kurz. Das bis Mitte der 80er Jahre auf circa 1.000 Mitarbeiter angewach-sene Gesamtunternehmen (Rowin als Handelskette für Damen- und Kinderbe-kleidung sowie Joba) konnte nicht mehr in der erforderlichen Geschwindigkeitumgebaut werden. Der Kampf gegen den Markt wurde 1988 verloren.

Roland stellte sich jedoch der Verantwortung. Bis zur letzten Arbeitsstundewurden alle Löhne bezahlt. Ein erheblicher Teil unseres Privatvermögens gingdabei verloren. Die Gewissheit, als Unternehmer anständig und in christlicherVerantwortung aufgehört zu haben, war sicher auch Ansporn für die danachbeginnende Zeit als freier Schriftsteller. Den Kampf um Freiheit, Verantwortungund Selbstbestimmung hatte Roland Baader selbst erlebt und durchgestanden, sodass er wissenschaftliche Überlegungen dazu mit aller Wucht in die Welt tragenkonnte.

Vater: Josef Baader (1908-1979)

Wo Joba begann: Oberdorfstraße

Frühe 60er: Näherei in Kirrlach

58 eigentümlich frei Nr. 120

Page 59: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

59ef März 2012

Letzte Worte

Frieden und persönliche FreiheitDer Chefredakteur war schockiert

Interview mit Roland Baader

Interview für ef von Tobias Herter.Foto (Baader) von Roland Baader

Im Dezember gab Roland Baader dem Redakteur ei-

ner deutschen regionalen Tageszeitung ein Interview.

Es war sein letztes. Und ein in jeder Beziehung typi-

scher Abschluss seines reichhaltigen publizistischen

Schaffens: Denn eine Veröffentlichung wurde vom

Chefredakteur abgelehnt, da „das alles viel zu radi-

kal“ sei und er „so etwas“ seinen Lesern nicht „zu-

muten“ könne. Der vom Interview zutiefst beeindruck-

te junge Redakteur unter dem Pseudonym „Tobias

Herter“ stellt dankenswerterweise diese letzten Wor-

te Roland Baaders als jetzt exklusives eigentümlich-

frei-Gespräch für die Nachwelt bereit.

ef: Wie lange haben wir den Euro noch?Baader: Zwischen fünf Wochen und fünf Jahren. Es

kommt darauf an, wie lange sich die Bürger noch belü-gen lassen.

ef: War der Euro von Anfang an zum Scheitern verurteilt?Baader: Ja. Viele Jahre vor der Einführung des Euro, näm-

lich 1993, mit Beginn der Diskussion über den Euro-Plan, habe ich ein Buch herausgebracht mit dem Titel„Die Euro-Katastrophe“. Darin habe ich das kommen-de Elend bei Einführung des Euro präzise vorherge-sagt. Jeder vernünftige und nicht vom Keynesianismusverblendete Ökonom konnte sich die Folgen ausmalen.„Der Euro“, hat der bekannte und erfolgreiche Fonds-manager Dr. Jens Ehrhardt geschrieben, „ist das unnö-tigste und gefährlichste Experiment der Geschichte.“

ef: Warum scheitern Papierwährungen immer wieder?Baader: Weil sie beliebig vermehrbar sind. Mit einem Fe-

derstrich der Banken oder des Finanzministers. AlleBürger wollen mehr Sozialleistungen oder Subventio-nen. Die Parteien treten in einen Wettstreit um die höchs-ten Staatsausgaben zum Zweck des Wählerfangs. Brotund Spiele, ein uralter Trick. Das geht mit echtem Geldnicht. Also führt man das beliebig vermehrbare Papier-geld ohne Deckung ein. Geldvermehrung aber bedeu-tet Inflation und Verschuldung. Auch die D-Mark hattebei Einführung des Euro nur noch eine Kaufkraft vonfünf Pfennigen. Der Sozialstaat ist wie Krieg. Wederder Erste noch der Zweite Weltkrieg hätten mit echtem

Geld – Gold – geführt werden können. Also haben diepolitischen Lenker der Kriegsstaaten 1913 und 1914 dieGoldwährung abgeschafft. Und den Sozialstaat mit sei-nen astronomischen Kosten kann man ebenfalls nur mitpapierenem Falschgeld aufrechterhalten; jedenfalls biszum Zusammenbruch der Währung.

ef: Aber den Dollar und den Schweizer Franken gibt esdoch heute noch!

Baader: Ja, aber der Dollar von 1970 ist in Kaufkraft ge-messen heute noch fünf Cents wert. Das ist ähnlich sobeim Schweizer Franken und es war auch so bei derabgeschafften D-Mark. Nur der echte Golddollar hat-te 1900 noch dieselbe Kaufkraft wie 1800, also hundertJahre zuvor.

ef: Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa – hat dieKanzlerin gesagt. Hat sie damit recht?

Baader: In gewissem Sinne ja, weil es viele tausend Milliar-den kostet und nicht ohne Streit zwischen den europä-ischen Ländern abgeht. Das müsste aber nicht so sein,wenn die Politik vernünftig wäre. Was sie aus Macht-gründen niemals ist. Wenn sie einfach Parallelgeld zulie-ße, eine oder mehrere auf dem freien Markt entstehen-de private Geldarten. Außerdem müsste jedes Land anseinen Grenzen Freiheit für Menschen, Waren, Diensteund Kapital zulassen. Dazu bedarf es keiner Einheits-währung und keiner politischen Unionierung. Jede Artvon Zentralisierung zerstört den Wettbewerb und da-mit Freiheit und Wohlstand. Genau besehen kann Euro-pa, also die europäischen Vaterländer, wieder aufatmen,wenn der Euro scheitert. Mit der Währungsunion woll-ten die politischen Kasten die politische Union einleiten.Man hat das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt. Esgilt also das Gegenteil des Merkel-Wortes: Europa schei-tert am Euro.

ef: Würde es Sinn machen, den Euro in einen Nord- undSüdeuro aufzuspalten?

Baader: Das wäre nicht ideal, aber besser als das jetzigeSystem. Allerdings würde es auch hierbei schweren Streitzwischen den Nationen geben. Der Euro ist kein Frie-densgeld, sondern eine Kriegswährung. Mit ihm wirddas eigentlich Undenkbare wieder möglich: Krieg in

Page 60: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

60 eigentümlich frei Nr. 120

Europa, auch Bürgerkriege. Außerdem wird die astro-nomische Verschuldung mit der Spaltung nicht besei-tigt; allenfalls die weitere Aufschuldung verlangsamt.

ef: Können wir zurück zur D-Mark?Baader: Ja, aber auch das wäre unendlich teuer und streit-

trächtig. Noch teurer aber wird der finale Crash, mitdem sich der Markt letztlich vom Euro befreien wird.Also sollten wir lieber jetzt die Kosten in Kauf nehmen.Mit dem Euro sind wir Deutschen vom Jahr 2000 bisheute im Lebensstandard von Platz drei auf Platz elfder Weltrangliste abgesackt. Besser als die D-Mark wäredie genannte Parallelwährung.

ef: Deutschland ist so hoch verschuldet, dass die Schuldennie wieder zurückgezahlt werden können. Trotzdemerhält Deutschland als eines der wenigen Länder Best-noten von den Ratingagenturen. Dann ist doch alles garnicht so schlimm, oder?

Baader: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Aberauch das wird nicht mehr lange so sein. Und wenn unsdie Politik in einen Bundesstaat mit zentralem Haushaltoder zentraler Haushaltskontrolle führt wie von Merkelund Schäuble vorgeschlagen, dann wird Europa nochzentralistischer, totalitärer, diktatorischer und rechtloserals es ohnehin schon ist. Die EU ist organisatorisch undrechtlich so angelegt wie einst die Sowjetunion, eineRäterepublik mit allmächtiger Polizei und ohne Gewal-tenteilung. Schon jetzt bestehen große Teile der europä-ischen Legislative aus den Vertretern der nationalenExekutiven, siehe die Europäische Kommission. Tau-send Jahre Ringen um die Bürgerrechte sind damit zumTeufel. Und das künstliche Hochraten Deutschlandsbedeutet, den Gelbsüchtigen weiß anzustreichen. DieWahrheit, die uns bald einholt, wird furchtbar werden.

ef: Sie sprechen in ihren Publikationen davon, dass wir garnicht in einem kapitalistischen System leben. Worin le-ben wir dann?

Baader: In einem Dreiviertel-Sozialismus. Große Sektorender Volkswirtschaft wie beispielsweise das Gesundheits-wesen, das Bildungswesen und das Rentenwesen sindweit überwiegend staatlich. Die Staatsquote – also derAnteil der staatlichen Ausgaben an der gesamten volks-wirtschaftlichen Leistung – liegt bei 50 Prozent. Dasbedeutet, dass die Hälfte des Sozialprodukts durch staat-liche Hände fließt. Noch schlimmer ist, dass das Geldals einziges gesetzliches Zahlungsmittel ein staatsmono-polistisches Zwangsgeld und also sozialistisch ist. Ebensodas planwirtschaftlich dirigierte Zinssystem. Damit ist

der gesamte Blutkreislauf der Volkswirtschaft, beste-hend aus Geld und Zins, sozialistisch. Ein solches Sys-tem kann nur zusammenbrechen. Die Frage ist nichtob, sondern nur wann. Wir sehen derzeit keine Krisedes Kapitalismus, sondern eine Krise des Sozialismus –wie überall und immer, wo der Sozialismus eingeführtwurde.

ef: Also wäre die wirtschaftliche richtige Antwort auf dieBankenkrise nicht die staatliche Bankenrettung, sonderndie Bankeninsolvenz gewesen?

Baader: Ja, aber bei gleichzeitiger Einführung echten Gel-des. Sonst würde das ganze Elend von vorn losgehen.Nur mit dem Falschgeld aus ungedecktem Papier kön-nen die Billionen-Unsummen entstehen, die dann denFinanzsektor aufblähen und Tausende von Geldmana-gern schaffen, die sich selbst bereichern. Die Banker sindnicht von Natur aus Verbrecher, sondern werden durchdie Billionen-Ströme des papierenen Falschgeldes erstzu Giga-Abzockern. Staat und Finanzindustrie bildeneinen verhängnisvollen Filz, der in Zusammenbruch undDiktatur endet.

ef: Viele Leute hätten bei einer Insolvenz der Banken je-doch Geld verloren, besonders die Kleinanleger!

Baader: Wenn ein Eigentümer-Unternehmer Fehler machtund überschuldet ist, muss er mit seinem gesamten Pri-vatvermögen haften. Haftung ist die Rückseite dermarktwirtschaftlichen Gewinnchance. Das gilt auch fürAnleger. Allerdings lässt das jetzige Papiergeldsystem denLeuten gar keine Wahl. Das hat in den 1960er Jahrenschon der Zentralbankchef Alan Greenspan geschrie-ben, nämlich dass es ohne Goldwährung für die Bürgerkeine Möglichkeit gibt, ihre Ersparnisse zu retten. Da-mit hatte er recht. Deshalb wäre es auch folgerichtig, ingroßen Krisen des Falschgeldsystems die Sparer zu ret-ten und nicht die Banken. Anschließend – und mit ech-tem Geld – müsste jeder wieder für sich selber haften.Ausnahmslos.

ef: Herr Baader, ich bin 27 Jahre alt. Wie viele Währungs-umstellungen werde ich noch erleben?

Baader: Wahrscheinlich zwei oder drei. Leider wird die Zahlder Leute, welche die zwei Währungsreformen imDeutschland des 20. Jahrhunderts erlebt haben, immerkleiner. Also erkennen die wenigsten Bürger die herauf-ziehende Gefahr. Auch die seit Jahren fortschreitendeInflation wird nicht ernst genommen. Sie wird steigen;dramatisch steigen. Die politischen Machtzirkel hoffen,den deflatorischen Horror-Crash, der sie ihre Posten

Wahrscheinlich kommen Bürgerkriege oder ein großer Ablenkungskrieg

sowie eine Explosion der Kriminalität, Aufstände und totalitäre

Maßnahmen, Enteignungen, marodierende Banden, ein Gefängnisstaat.

Page 61: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

61ef März 2012

kosten würde, durch Hyperinflationhinausschieben oder verhindern zukönnen. Doch je mehr die Bereini-gung hinausgeschoben wird, destogigantischer und katastrophaler musssie ausfallen.

ef: Es gibt Umfragen in Deutschland, dieaussagen, dass sich die Bürger ehermehr statt weniger Steuern wünschen.Woher kommt diese Lust der Bür-ger darauf, ihr halbes Arbeitslebenfür den Staat zu arbeiten?

Baader: Die Staatsgläubigkeit ist ein ur-altes Phänomen. Ebenso der Neidund die Trägheit. Rund Dreiviertelder Bevölkerung ist in irgendeinerWeise direkt oder indirekt vomWohlfahrtsstaat abhängig. Sie wissenoder ahnen, dass Steuerkürzungenoder sinkende Staatsverschuldungihre Privilegien und Almosen gefähr-den. Also sind sie dagegen. Außer-dem hoffen sie, dass die Umvertei-lung von oben nach unten bei hohenSteuern besser funktioniert als beiniedrigen. Hinzu kommt, dass nurganz wenige Bürger verstehen, wieMarkt und Kapitalismus ihr Lebenverbessert und sie vor dem Hunger-tod und der Knechtschaft bewahrt haben. Die meistenverstehen nicht, dass die Volkswirtschaft ein biologischesSystem ist und kein mechanisches. Also halten sie allesfür machbar und wollen, dass die politischen Macherdas notwendige Geld dafür bekommen. Ein schreckli-cher Irrtum. Der Staat kann kein Problem dauerhaftlösen, er ist das Problem.

ef: Sie haben die amerikanische Bankenkrise vorausgese-hen. Nun sehen Sie auch Europa vor einem Wirtschafts-crash. Gibt es keine Rettung mehr?

Baader: Nein. Der „point of no return“, der Zeitpunkt, andem noch eine Umkehr möglich war, ist schon langeüberschritten. Nur mit der genannten Parallelwährungkönnte wenigstens das Schlimmste gemildert werden,sofern es sich um echte private Marktwährungen han-deln würde, am besten auf Basis von Gold und Silber– und voller Haftung der Emittenten.

ef: Abschließend: Was kommt nach dem großen Crash?

Baader: Eine Währungsreform zu Lasten der Bürger. Je-der sogenannte „Staatsbankrott“ ist in Wahrheit ein Bür-gerbankrott, denn der Staat hat kein eigenes Geld. Wahr-scheinlich kommen auch Bürgerkriege oder ein großerAblenkungskrieg sowie eine Explosion der Kriminali-tät, große Aufstände und totalitäre Maßnahmen, Ent-eignungen großen Stils, marodierende Banden, der Auf-stieg von diktatorischen Radikalinskis und ein Gefäng-nisstaat mit Polizei und Militär als Schergen der politi-schen Zampanos. Ganz zu schweigen von Hungersnö-ten, Lebensmittelkarten und jahrelangem Dahinsiechender Volkswirtschaften. Die einzig mögliche Rettungwäre: Den Markt alles bereinigen lassen, eine großeDepression durchstehen, und dann die Marktwirtschaftwieder ungestört von Politik ihre Arbeit machen zu las-sen. Denn nur Marktwirtschaft ist gleichbedeutend mitFreiwilligkeit und Frieden, mit gesichertem Eigentumund Wohlstand – also mit persönlicher Freiheit.

Dieses Foto schickte er dem Redakteur: Baader am Ende seiner Kräfte

Page 62: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

62 eigentümlich frei Nr. 120

Page 63: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

63ef März 2012

Aus der Welt von Werbung und Medien

AufgeschnapptDie monatliche Aufschau

von Richard P. Statler

Der Autor, geboren 1963 in Nürnberg, lebt als Unternehmensberater in Amsterdam.

Rosa oder Rost

Das mit dem Spielen ist eine ernste Sache, damit ist nichtzu spaßen. Erst recht gilt dies für Spielzeugproduzenten undihr Marketing. Da muss alles politisch korrekt zugehen. KeineDiskriminierung bitte, nirgends! Schließlich sollen die liebenKleinen bereits im Sandkasten merken, in was für eine Weltsie hineinwachsen: In eine Welt – und jetzt tatsächlich malSpaß beiseite – voller Sprech-, Rollenspiel- und Denkver-bote. Der bunte Bastelsteinhersteller Lego bekommt diesauf groteske Weise zu spüren. In den USA hat Lego imvergangenen Herbst die Produktlinie „Friends“ auf denMarkt gebracht. Zielgruppe: Mädchen. Die Werbung zeigtedementsprechend eher Rosa als Rost, eher Rüschen als Ra-keten und eher Figuren als Fabriken. Was folgte, war eineheftige Diskussion über „Gender Marketing“, angezetteltvon Verbänden, die für Gleichstellung trommeln. Lego be-diene mit den mädchenorientierten Produkten Geschlech-terstereotype, lautet der Vorwurf. Oder eher die Vorwür-fin?

Puppe oder Porsche

Im März will Lego seine „Friends“-Produkte auch inDeutschland einführen. Eine Gender-Spielzeugdebatte wiein den USA erwartet das Unternehmen hier nicht, sagt einMarketing-Verantwortlicher. Aber nicht, weil die deutschenGeschlechternivellierer weniger verbissen wären als die an-derer Länder – sondern weil Lego bußfertig die Werbunggeändert hat. Außerdem konnten Kunden und Kritiker dasThema bereits auf der US-Webseite von Lego ausdiskutie-ren. Und in Deutschland werden die Mädchenprodukte„deutlich realitätsnäher präsentiert“, so das Unternehmen.Mal sehen, ob bald neben jeder Puppe, die beworben undverkauft wird, ein Spielzeugauto mit in der Werbeanzeigeprangt und im Karton liegt.

Blond oder brünett

eigentümlich frei appelliert an Wirtschaft und Politik, dasThema noch viel größer zu denken: Ist nicht die gesamteZielgruppenpraxis im kapitalistischen Marketing eine einzi-ge große Diskriminierung? Wenn der Henkel-Konzern zumBeispiel ein Anti-Haarausfall-Shampoo für Herren über 40Jahre vermarktet: Werden Männer damit nicht auf ein kör-

perliches Handicap reduziert? Auf Äußerlichkeiten? Festigteine solche Werbung nicht Geschlechterstereotype? Ist daszugleich nicht eine Diskriminierung Älterer? Und haben nichtauch Frauen das Recht, Zielgruppe zu sein? Von welcherSeite man auch schaut, es ist und bleibt: Diskriminierung.Kein Wunder, schließlich ist Werbung immer nur ein Ab-bild der Gesellschaft – und die basiert auf Diskriminierung:Wer schlanke dunkelhaarige Frauen als Partnerinnen bevor-zugt, diskriminiert kräftige Blondinen; wer seine Mahlzeitbeim Italiener einnimmt, diskriminiert den Türken nebenan.Es gibt noch viel zu tun für die globalen Gleichsteller inihrem Kampf für eine objektive – nach ihren Maßstäbendefinierte – Gerechtigkeit in Werbung und Leben.

Rauch oder Rausch

Eingriffe in die Konsum-, Meinungs- und Werbefrei-heit sind bei Gender-Themen noch recht kompliziert zuvermitteln – meistens begeistern sich nur staatlich besoldeteGroßstadt-Intellektuelle dafür. Leichter erklärbar ist Regu-lierung bei Produkten, deren übertriebene Nutzung schäd-lich ist. Motto: Wenn 95 Leute damit vernünftig umgehenund fünf Personen aber nicht, dann muss man es allen 100verbieten! Bei Tabak und Alkohol ist die Spirale schon sehrweit geschraubt; so ist Zigarettenwerbung bereits seit Jah-ren EU-weit in fast allen Medien verboten. Die letzten Lü-cken der Liberté sind Plakat und Kino. Warum? KurzerRückblick: Weil die EU nicht für Gesundheitsthemen zu-ständig ist, wurden Brüssels Eingriffe in die Staatsautono-mien hier übers Wettbewerbsrecht begründet. Damit Ta-bakkonzerne und Medien in allen EU-Ländern gleiche Be-dingungen vorfinden, wurden alle potenziell grenzüber-schreitenden Medien auf dem strengsten Verbotsnennervereinheitlicht. Und weil Plakate und Kinospots nun wirk-lich keine Grenzen überschreiten können, sind sie bisher nocherlaubt. Doch jedem Connaisseur politischer Strangulierungist klar: Nicht mehr lange! Ausgerechnet eine FDP-Politike-rin zündelt am letzten Strohhalm der Tabakwerbefreiheit:Mechthild Dyckmans, die Drogenbeauftragte der Bundes-regierung, unterstützt Verbraucherschutzministerin Ilse Aig-ner (CSU) bei deren Forderung nach einem Verbot vonPlakat- und Kinowerbung für Zigaretten. Na klar, wegender Kinder. Also Verbot für alle.

63ef März 2012

Page 64: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

64 eigentümlich frei Nr. 120

Die vierte Macht, ab 8. März im Kino

Panzer, Politik und Prekäres in MoskauWeil Berlin in bester Ordnung ist ...

von Ulrich Wille

Foto (Jensen) von UFA Cinema; Foto (Katja) UFA Cinema

Liest er auch ef ? Paul Jensen alias Moritz Bleibtreu

Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) ist ein Berliner „Szenejourna-list“. Er schreibt über Partys, Promis, Populäres. Sein Vaterwar auch Journalist, aber von der anderen Fraktion, also ein„Engagierter“. Er schrieb über Panzer, Politik, Prekäres. Alsüberzeugter Kommunist arbeitete er in Moskau für dieZeitschrift „Moscow Match“. Fünf Jahre nach seinem tra-gischen Tod flieht sein Sohn Paul vor einer Lebens- undBeziehungskrise von Berlin nach Moskau, um bei eben demBlatt seines Vaters anzuheuern, das sich inzwischen zum Sze-neblatt gewandelt hat. Verleger Onjegin (Rade Serbedzija),ein alter Freund seines Vaters, erwartet von Paul, dass er dieZeitschrift wieder hochbringt. Dank seines Hangs zur Weltder Reichen und Schönen und der Unterstützung durch denFotografen Dima (Max Riemelt) gelingt ihm dies mühelos.Aber die Welt des Partykorrespondenten wird erschüttert,als er zufällig aus nächster Nähe die Ermordung eines re-gimekritischen Journalisten miterlebt. Vor allem aber, als er

kurz darauf die attraktive Journalistin Katja (Kasia Smutni-ak) kennenlernt, der zuliebe er dafür sorgt, dass ein Nach-ruf auf den Ermordeten in „Moscow Match“ erscheint.Die beiden verlieben sich ineinander, und Paul wird durchKatja „politisiert“: Sie nimmt ihn zu Demos mit und machtihn mit Oppositionellen bekannt. Eines Abends, als die bei-den gerade eine U-Bahn-Station betreten wollen, explodiertdort eine Bombe. Paul verliert das Bewusstsein. Als er wiedererwacht, erfährt er zu seinem Schrecken, dass seine geliebteKatja erstens tot und zweitens die Attentäterin gewesen sei.Der Sprengsatz war in ihrem Rucksack, und da auch Pauldiesen Rucksack zeitweilig getragen hat, steht auch er unterTerrorismusverdacht und landet im Russenknast. Nachdemer dort wochenlang die Hölle auf Erden erlebt hat, kannsein Verleger Onjegin schließlich seine Auslieferung nachDeutschland erreichen. Paul wähnt sich in Sicherheit. Aberda hat er sich schwer geirrt…

Wer gute Schauspielkunst schätzt, kann am neuesten Werkvon „Mr. PC“ Dennis Gansel („Die Welle“) durchaus seineFreude haben, denn die Rollen sind mit bekannten (MoritzBleibtreu) oder eher unbekannten (Kasia Smutniak, RadeSerbedzija) Darstellern durch die Bank gut besetzt. Man darfsich zwar darüber wundern, dass einige russische Rollendurch nichtrussische Darsteller wie die in Italien lebende PolinKasia Smutniak oder den Deutschen Max Riemelt besetztsind, deren großes schauspielerisches Können sorgt aberdafür, dass dies nicht negativ auffällt. Selbst wer der Über-zeugung ist, ein Film solle in erster Linie spannend sein, könn-te auf seine Kosten kommen, wenn er nicht gerade Sir Al-fred als Messlatte anlegt. Gansels Film wartet mit ein paarunerwarteten Wendungen auf, und das Ende ist zwar naiv,aber nicht gerade konventionell. Alles in allem also ein net-ter Thriller, nicht mehr und nicht weniger, würde der Strei-fen nicht mit dem Anspruch daherkommen, intelligent, kri-tisch und politisch zu sein. Daran hindert ihn aber die naiveWeltsicht des Regisseurs und Drehbuchautors: Hier im Wes-ten ist alles in Ordnung, die Demokratie „funktioniert“, soäußert sich Gansel in Interviews. Diktatur und Bespitzelunggebe es nur in Russland. Auch der Plot tut so, als sei erraffiniert, ist es aber nicht. Die lächerliche Spurensuche auf-grund von versteckten Hinweisen, die Vater Jensen vor sei-nem Tod für seinen Sohn platziert hat (woher wusste der

Page 65: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

65ef März 2012

Rätsel: Ist Katja (Kasia Smutniak) eine Terroristin?

eigentlich, dass Paul nach Moskau kommen und dort in sei-ner alten Wohnung wohnen würde) könnte gut in einen Kin-derkrimi wie „Die Fünf Freunde“ passen, wenn sie etwasgründlicher ausgearbeitet wäre. An einigen Stellen kannDrehbuchautor Gansel die Handlung nur durch Logiklö-cher vorantreiben. Beispiel: Der als Terrorist gesuchte Paulmöchte mit Katja in seine Wohnung. Unrealistischerweisevor dieser eingetroffen, stellt er fest, oh Überraschung, dasssie von Polizei und Geheimdienst überwacht wird. Und nun?Ganz einfach: „Gehen wir hintenrum!“ Gesagt, getan… AlsPaul später Verleger Onjegin einen Besuch in dessen ebenfallsüberwachter Villa abstatten will, wird solch eine „Erklä-rung“ erst gar nicht mehr geliefert. Da steht unser Held plötz-

lich in der Diele, was vom Hausherrn mit: „Bist du ver-rückt? Die Polizei steht draußen!“ kommentiert wird. Werdie größte Peinlichkeit des Films erleben will, muss allerdingsbis zum Abspann warten. Liebe Schriftdesigner (oder wieimmer diese Leute sich nennen): Nur weil ein Film oder einTheaterstück oder eine Musikgruppe etwas mit Russland zutun hat, muss man nicht auf Plakaten und Titeln und Ab-spännen irgendwelche lateinischen Buchstaben um 180 Graddrehen, damit sie kyrillisch aussehen, obwohl sie es nichtsind! Auch bei russischen Namen nicht! Gerade bei denennicht.

Fazit: Das Hirn ein bisschen runterschalten und die Schau-spieler bewundern.

Page 66: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

66 eigentümlich frei Nr. 120

Schusswaffenregistrierung

Erst erfasst, dann beraubt?„Polit-Business as usual“, Entwaffnung in Raten

von Andreas Tögel

Der ef-Redakteur, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

Für alle Statistiken gilt: Man muss dieDaten so lange foltern, bis sie gestehen.Die Liebhaber staatlicher Monopolewissen das. Und so stellen sie die selt-samsten Korrelationen her, um zumBeispiel die angebliche Gefährlichkeitvon Feuerwaffen in privater Hand an-zuprangern und den Bürgern die Mög-lichkeit streitig zu machen, sich auf ge-setzeskonforme Weise zu bewaffnen.So musste zuletzt der in einer öster-reichischen Studie festgestellte Zusam-menhang zwischen Waffenbesitz undSelbstmordrate als Vehikel für denKampf gegen privaten Waffenbesitzherhalten. Leider wurde vor lauter Fu-ror darauf verzichtet, den Blick überden Tellerrand zu erheben, um zumBeispiel festzustellen, dass Selbstmord-weltrekorde seit Jahrzehnten in Japanaufgestellt werden – in einem Land, indem der private Schusswaffenbesitzvollständig untersagt ist.

Die Bilanzen staatlicher Verbote, dieauf der unerhörten Anmaßung grün-den, erwachsene Menschen wie unmün-dige Kinder zu behandeln und vor sichselbst zu beschützen, sind durchgehendnegativ. Ob Alkoholprohibition, Verbo-te anderer Drogen oder der Bann vonPrivatwaffen – am Ende gibt es nurwenige Gewinner: Diejenigen, die ausder Befriedigung der Nachfrage ein il-legales Geschäft machen, die sogenann-ten „Dealer“. Und den Staat, der – umdie von ihm erlassenen Vorschriftendurchzusetzen – seine Befugnisse aus-dehnt. Bürgerliche Freiheiten, die demStaatswachstum im Wege stehen, habenkein Gewicht, am allerwenigsten inWohlfahrtsdemokratien, die dabeiimmer mehr zu totalitären Überwa-chungsstaaten entarten.

Um wirksam gegen die Bürger vor-gehen zu können, bedarf es lückenlo-ser Informationen über die Verhältnis-

se, in denen diese leben. Privater Waf-fenbesitz erweckt neben Vermögen,Einkommen und Reiseaktivitäten dasganz besondere Interesse von „Big Brot-her“, wie die nun anstehende Umset-zung einer EU-Richtlinie aus dem Jahr2008 zeigt: Alle in privater Hand be-findlichen Waffen – auch solche, vondenen die Behörden bislang keineKenntnis hatten – sind bis spätestensEnde 2014 ordentlich zu melden.

Tatsächlich wird rund die Hälfte al-ler Bluttaten mit Messern verübt. Würdejemand behaupten wollen, diese Verbre-chen mit einer Messerregistrierung ver-hindern zu können? Dazu kommt:Waffen illegal zu beschaffen dürfteungefähr so schwer sein, wie an „Gras“zu kommen. Und Berufskriminellewerden davon absehen, ihre Tatwerk-zeuge zu melden. Rechtschaffene Bür-ger werden es sich – eingedenk der pre-kären Frage der Rechtssicherheit (einerotgrüne Volksfrontregierung reicht, undder gemeldete Bestand ist futsch) –zweimal überlegen, ihr Eigentum zu ge-fährden, indem sie dem Fiskus mit des-sen Registrierung die Möglichkeit zurBeschlagnahme verschaffen. Und ganzdavon abgesehen: Viele Waffenbesitz-er werden die EU-Richtlinie schlichtnicht kennen und alleine deshalb nunzu „Illegalen“ werden.

Niccolò Machiavelli schrieb anno1513 in seinem „Principe“: „Wer an-fängt, das Volk zu entwaffnen, belei-digt es.“ Das gilt auch 500 Jahre späternoch. Vorerst blüht Sportschützen oderJägern indes noch keine vollständigeEntwaffnung. Bei der lückenlosen Re-gistrierung geht es um eine Einleitungs-handlung. Die Enteignung ist später zuerwarten – mittels ruinöser, auf denWaffenbesitz erhobener Steuern. Oderim Zuge einer entschädigungslosen Ent-eignung.

66 eigentümlich frei Nr. 120

Page 67: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

67ef März 2012

LeserbriefeVeranstaltungen

Göttingen, 24. Februar: Finanzwirtschaftlicher

Vortrag (19 Uhr), Veranstaltung der Frei-heitsfreunde mit Frank Schäffler. Es folgteine Podiumsdiskussion mit anschließen-dem gemütlichen Beisammensein. Ort sie-he freiheitsfreunde.net.

Berlin, 28. Februar: „Uncollege“, mit Dale Ste-phens, einem der Fellows, die vom ameri-kanischen Unternehmer Peter Thiel100.000 Dollar bekommen haben, um dieUniversität zu verlassen und ein Unterneh-men zu gründen. Alle Details werden un-ter freiheitsfreunde.net bekanntgegeben.

Zürich, 29. Februar: Welche Zukunft für Eu-

ropa? (18 Uhr), Konferenz des LiberalenInstituts. EU-Regierungen suchen Aus-flucht im Zentralismus. Welche Rolle spie-len künftig noch Wettbewerb, Eigenver-antwortung und Vernunft? Mit Roland Vau-bel, Michael von Prollius, Reiner Eichen-berger. Anmeldung erforderlich.

Berlin, 1. März: Betrachtungen zur Staats-

schuldenkrise und zum Euro (19 Uhr),Hayek-Gesprächskreis, Referent: MatthiasWarnecke, Ort: Club-Büro der Hayek-Stif-tung, Chausseestraße 15.

Gent (Belgien), 1. März: Safe Capital Confe-

rence (9 Uhr), mit Brecht Arnaert, PhilippBagus, Claudio Grass. Thema: Der Zusam-menbruch des Euro und wie man sichschützen kann. Ort: Gent Marriott Hotel,Korenlei 10. Kostenbeitrag: 325 Euro.

Berlin, 6. März: Liberalismus, die unersetz-

bare Idee (18.30 Uhr), Chancen und Her-ausforderungen für liberale Politik. Veran-staltung der Naumann-Stiftung. Referent:Prof. Dr. Gerd Habermann. Ort: RatskellerReinickendorf, Eichborndamm 215-239.

Nürnberg, 7. März: Wittgenstein über Religi-

on und die Folgen – Perspektiven und

Kritik (19.30 Uhr), Veranstaltung der Fried-rich-Naumann-Stiftung mit Prof. HaraldSeubert. Ort: Nachbarschaftshaus Gosten-hof, Raum 212, Adam-Klein-Str. 6. Eintrittfrei, keine Anmeldung erforderlich.

Berlin, 13. März: Liberalismus und Musik (19

Uhr), Mit Matthias Warnecke. Club-Büroder Hayek-Stiftung, Chausseestraße 15.

Wien, 13. März: Sklaverei (19.45 Uhr), Philo-sophicum des Instituts für Wertewirtschaft.Mit Buffet. Ort: Döblinger Hauptstraße 17/4/12. Kostenbeitrag: 10 Euro in Silber oder12 Euro in Papier.

Flensburg, 29. März: Liberalismus, die uner-

setzbare Idee (19 Uhr), siehe oben. Ort:Logenhaus Flensburg, Nordergraben 23.

eigentümlich frei veröffentlicht eine Auswahl vonVeranstaltungshinweisen, bei der die Re-daktion ein Interesse ihrer Leserschaftvermutet. Hinweise von Lesern sind immerwillkommen. Einfach per Email an:

[email protected] ef-Redaktion garantiert weder Vollständig-

keit noch Richtigkeit der Angaben. Wirempfehlen Interessierten, die Angaben wieOrt, Zeit und Teilnahmebedingungenrechtzeitig bei den Veranstaltern zu über-prüfen.

Katholisches Kirchenverständnis

Betr. Artikel „Schnäppsken statt Feuerzangen-bowle“ von André F. Lichtschlag in ef 119:Bei aller Sympathie für das Sankt-Theresien-Gymnasium muss man doch klar feststellen, dassdiese Schule und seine Betreiber nicht katho-lisch sind, sondern eine Gratwanderung zwi-schen Volkskatholizismus und Sektierertumunternehmen. Es hat in der Geschichte derKirche schon viele Gruppen gegeben, die sichvon der Kirche getrennt haben und gleichzei-tig ihre Katholizität beteuerten, ich nenne nurdie Altkatholiken, die sich nach dem ersten Va-tikanum abspalteten und bis heute getrennt exis-tieren, und die Lutheraner, die ja auch jahr-zehntelang beteuert haben, nur „reformieren“zu wollen und die bis heute die Katholizität imnizänischen Glaubensbekenntnis stehen haben.Tatsächlich katholisch sind alle diese Gruppennicht, denn katholisch kann man nur in Einheitmit dem aktuellen und dem Lehramt aller Zei-ten sein. Im Falle der Piusbruderschaft ist dieAngelegenheit besondern unschön, da ja diegesamte Gruppierung nach außen hin den Papstund sämtliche Ämter der Kirche anerkennt, nachinnen aber bis in die letzten Details hinein be-hauptet, die Lehre des Papstes und seiner Bi-schöfe sei häretisch und man wisse alles, aberauch alles viel, viel besser. Daraus entsteht einschizophrenes Papst- und Kirchenverständnis.Darunter leiden die irregeleiteten Gläubigen,darunter müssen aber vor allem auch die Kin-der dieser Gläubigen leiden, die teils in demvon Ihnen besuchten Internat untergebrachtund dort einem erheblichen Konformitätsdruckausgesetzt sind, einem Druck, der schwerwie-gendere Auswirkungen haben dürfte als der all-gemein übliche Konformitätsdruck an kommu-nalen Schulen.

Martin Möller

Berlin

Kriminelle Machenschaften

Betr. Artikel „Von Amerika lernen...“ von Cor-nelius Hackett in ef 119:Schön, dass einige der Freiheit verpflichtetenPodcasts Erwähnung finden. Jedoch fehlt ausmeiner Sicht in der amerikanischen Sektion derexzellente radikal-freiheitliche Philosophie-Pod-cast von Stefan Molyneux auf der Seitefreedomainradio.com, der eine beachtliche in-ternationale Popularität erreicht hat. Weiterhinenttäuscht mich die negative, zynische Darstel-lung von Infokrieg.tv, das in der Tat sehr wohlauf die geistige Mündigkeit seiner Zuschauersetzt. Der Betreiber Alexander Benesch ist einhart arbeitender, libertärer, äußerst gebildeterund intelligenter Mann, der zudem regelmäßigunlogische und nicht faktenbasierte Verschwö-rungstheorien widerlegt. Er setzt dort an, wosich andere nicht herantrauen, wie beispielsweisean das Aufdecken von kriminellen Machenschaf-ten aktueller Regierungen oder deren Hinter-männern. Anstatt lediglich von einer besserenund freiheitlicheren Welt zu träumen, setzt sichInfokrieg.tv aktiv für deren Verwirklichung ein.In diese mutige Richtung sollte sich ef auch einwenig weiter wagen. Zumindest aber ist es ge-

halten, von einer Verunglimpfung solcher Be-strebungen abzusehen.

Tobias Zepf

Pforzheim

Kreuzigung Jesu

Betr. Kolumne „Christlich fundiert“ von PeterRuch allgemein:Die Artikel des Pfarrers Peter Ruch finde ichleider immer wieder problematisch. Es fingbereits mit dem zweiten Satz seines ersten Bei-trags in ef 89 an, in dem es um die KreuzigungJesu ging. Gemäß der Bibel ließ sich Jesus kreu-zigen, um stellvertretend das göttliche Gerichtfür die Schuld der Menschheit zu ertragen.Dabei hat er gesiegt. Ruch dagegen sprach vonJesu „Niederlage am Kreuz“. Im weiteren Ver-lauf seiner Kolumne interpretierte Pfarrer Ruchdann leider oftmals Dinge in Bibeltexte hinein,die diese gar nicht hergeben. Beispielsweisestellte er in ef 118 die Teilung des antiken Isra-els als gottgewollte Dezentralisierung dar. Nunist Dezentralisierung ja ein begrüßenswertesAnliegen. Nur fand die Teilung Israels aufgrunddes dummen Verhaltens von König Rehabeamstatt und führte dazu, dass sich Nordisrael zu-nehmend von Gott abwandte. Die Bibel siehtdaher diese Teilung negativ. Dabei kann mandurchaus Liberales in der Bibel finden. Mandenke nur an die Aussagen des Paulus über dieVersorgung der Witwen (1. Timotheus, 3-16),wo er subsidiäre, private Fürsorge für tatsäch-lich Bedürftige fordert, also das ganze Gegen-teil von „bedingungslosem Grundeinkommen“.Oder an das Gleichnis von den Arbeitern imWeinberg (Matthäus 20, 1-16), in dem unter an-derem das Verfügungsrecht über Eigentum unddie Gültigkeit von Verträgen betont werden unddie Forderung nach gleichem Lohn für gleicheArbeit abgelehnt wird.

Wolfgang Jeltsch

Tallinn, Estland

Kommende Zeiten

Betr. ef allgemein:Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal Dankesagen. Danke für die vielen anregenden Stun-den, Danke für provozierende Denkanstöße,Danke für Licht im Dunkel, und: ja, Danke auchfür gute Unterhaltung. Ich wünsche Ihnen En-ergie in Fülle für die kommenden Zeiten.

Joachim Hauser

Nürnberg

Leserbriefe

Wir freuen uns über Ihre Zuschriften. Die Re-daktion behält sich vor, Kürzungen vorzu-nehmen. Briefe ohne Angabe von Namenund Wohnort werden nicht veröffentlicht.

Schreiben Sie einfach per Email an:[email protected].

Oder: Redaktion eigentümlich frei, Schanzen-straße 94, 40549 Düsseldorf.

Page 68: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

68 eigentümlich frei Nr. 120

Hier werden Sie gesehen!Info:

[email protected]

Jeden Samstag exklusiv auf ef-magazin.de: Athanasios die Glosse

eigentümlich frei

Beispiel: Imperialfeudalistische Adligenpartei

Aber natürlich waren die Nazis rechtsradikal

Die Nazis und links? Aber nicht doch, nur eine „gezielte Provokation“, die Erika Steinbach

zwitscherte, um die Linken „aus ihren Löchern“ bei Twitter zu holen. Wahrscheinlich hatte

sie es in der „Münchner Runde“ aufgeschnappt, bei Arnulf Baring: „Waren die Nazis rechts?

Das halte ich für einen Grundirrtum. Die Nazis waren nicht rechts, die Nazis waren eine

Linkspartei.“ Die Moderatorin wollte dem alten Sozialdemokraten gar nicht erst

widersprechen, sondern bat ihn, er möge „dieses Fass jetzt nicht aufmachen“.

Das beste Fass bleibt dem Massenpublikum besser verschlossen. Eine breite Diskussion lebt von ihrer Ausdehnung auf der

Sendefläche, da fragt man nicht weiter nach. Bekanntlich hatten die Nazis ihrer extrem rechten Partei nur ein linkes Etikett

aufgeklebt, um zu verdecken, dass sie Handlanger des Monopolkapitalismus waren. „NationalSOZIALISTISCHE deutsche

ARBEITERPARTEI“, buchstabiert Erika Steinbach und braucht kaum 140 Zeichen. Die linksradikalen Jakobiner waren

Nationalisten, ihr Ideologe Sieyès beschwor die egalitäre Nation, in der Adlige und Geistliche nichts zu suchen haben. Aber

Rechtsradikale wie Burke oder Maistre schrieben nur gegen die Nation an, um ihren Nationalismus fleckzutarnen. Sozialistisch

waren die Nazis auch nicht, denn sie haben niemanden enteignet, fast niemanden, und sie hatten nur zufällig Lager und einen

totalen EinPARTEIenstaat wie die Sozialisten im Osten.

Zum Glück ließ Herr Musharbash vom „Spiegel“ schnell Gewehrsmänner gegen Erika Steinbach schießen: „Experten sehen das

anders.“ Heinrich August Winkler krähte gegen Erikas Gezwitscher, die NSDAP sei „die rechteste Partei“ gewesen, „die es je

gegeben hat“, sie sei „mindestens so antiliberal gewesen wie sie antimarxistisch war“. Denn die Liberalen waren ja links, und die

Linke ist die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Und wie sagte schon Goebbels: Die NSDAP verkörpert die deutsche L… äh Rechte.

Journalismus mit Charakter.

Heft verpasst? Nachbestellungen online: ef-magazin.de

Page 69: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

69ef März 2012

Sackgasse Sozialstaat

Hoffmann, Christian / Bessard, Pierre (Herausgeber): Sackgasse So-zialstaat. Alternativen zu einem Irrweg, 200 Seiten, 14,90 Euro, Libe-rales Institut 2011.

Der jüngste Sammelband des Liberalen Ins-tituts in Zürich widmet sich mit tatkräftigerUnterstützung zahlreicher ef-Autoren derEntwicklung, Wirkung und möglichen Rück-führung des Sozialstaats. Der Titel knüpftdabei an die auf Justus von Liebig zurück-gehende und von Robert Nef aufgegriffeneUnterscheidung zwischen „Sackgassen“ und„Engpässen“ an, demnach ein „Mehr desAlten“ zur Überwindung letzterer unabding-bar ist, bei ersterer jedoch bloß Ressourcenverschwendet. Die Umsetzung dieser Er-kenntnis bezeichnet Mitherausgeber PierreBessard als „die große Herausforderung derWissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts.“Passend dazu erinnert Christian Hoffmannin seinem Beitrag daran, dass „frühe Sozial-demokraten emanzipatorische Ziele postu-lierten“ und eben keinen paternalistischenVormund wie ihre Enkel in allen Parteien.Konsequenterweise war es dann auch Bis-marck, der den Weg in die staatliche Abhän-gigkeit mit bürokratischer Fürsorge pflaster-te. Der Eiserne Kanzler erwies sich als Sarg-nagel der „freiheitlichen Perspektive“, die das„soziale Königtum“ immerhin noch aus-zeichnete und von dem Gerd Habermannden Bogen zur „sozialen Demokratie“schlägt, wo sie gänzlich verloren gegangenist. Michael von Prollius wendet sich anschlie-ßend dem zyklischen Triumvirat überbor-dender Sozialstaatlichkeit zu: Sozialer Un-friede, Verschuldung und Wirtschaftskrise.In weiteren Beiträgen diskutieren KristianNiemietz die Problematik gängiger Armuts-definitionen, Hans-Hermann Hoppe denVersicherungsbegriff der Sozialbürokratie,Stefan Blankertz die Okkupation individu-eller Verantwortung durch etatistische Netz-werke und James Bartholomew die darausresultierende Entfremdung und Erosion dersozialen Kultur. Besonders hervor sticht derBeitrag des ehemaligen chilenischen Arbeits-und Sozialministers José Pinera über die inseine Dienstzeit fallende Privatisierung dermaroden staatlichen Rentenversicherung.Wohl selten hat man einen Politiker derartüberzeugend wie überzeugt über die suk-zessive Selbstentmachtung berichten hören.(Luis Pazos)

Der Euro plündert

Deutschland

Spethmann, Dieter: Der Euro plündert Deutschland, 48 Seiten, 7,80Euro, August Dreesbach Verlag 2011.

Er gehört seit dem Ende seines Berufsle-bens an der Spitze von Thyssen zu den Kri-tikern des paneuropäischen (Euro-) Projektsder ersten Stunde. Bereits die Euro-Einfüh-rung trachtete Dieter Spethmann vergeblichmit einer Klage zu verhindern. Zehn Jahrespäter reichte er Verfassungsbeschwerde ge-gen den Vertrag von Lissabon ein, 2010schließlich beteiligte er sich an der Klage vordem Bundesverfassungsgericht gegen dieMilliardenkredite im Rahmen der Griechen-landhilfe. „Der Euro plündert Deutschland“fasst die Eckpunkte seiner über eine Dekadewährenden Kritik bündig zusammen. Eridentifiziert das Währungsprojekt dabei alsResultat eines politischen Kuhhandels: Deut-sche Wiedervereinigung gegen europäischeIntegration. Das einzige hierfür bestellte Feldwar seinerzeit die Währungspolitik, am An-fang dieses Geburtsfehlers „standen Verspre-chungen über Versprechungen“, die an des-sen sich abzeichnendem Ende mit EFSFund ESM beerdigt werden. Die beiden „Ret-tungsschirme“ können zudem das Kernpro-blem einer homogenen Währung für einenheterogenen Wirtschaftsraum nicht lösen.Auseinanderdriften, nicht Zusammenfindenwurde durch die einmalig günstigen Ver-schuldungsmöglichkeiten für die ehemaligenWeichwährungsländer zementiert. Die Ver-führung zu einer expansiven Haushaltspo-litik führte zu rapide steigenden Lohnstück-kosten bei gleichzeitig abnehmender Wett-bewerbsfähigkeit und hohen Leistungsbi-lanzdefiziten. Sparauflagen und Steuererhö-hungen verstärken seit dem Platzen der(Staats-) Schuldenblase die Abwärtsspirale.Auch die Mär vom Segen des Euro, die fürjedes Rettungspaket herhalten musste, ent-larvt Spethmann als Mythos, hat doch die„europäische GemeinschaftswährungDeutschland bislang mehr als 2.500 Milliar-den Euro gekostet.“ Zu guter Letzt war esauch die Schaffung eines gigantischen, un-natürlichen Währungsraums, der jene unna-türlich großen Finanzinstitute gebar, die sichnunmehr als „systemisch“ erweisen. DieLösung des Euro-Dilemmas kann daher, soder Autor, nur über die Renationalisierungder Währungen gelingen. (Luis Pazos)

Amendt, Gerhard: Frauenquoten – Quotenfrauen, 75 Seiten, 9,50 Euro,Manuscriptum 2011.

Frauenquoten –

Quotenfrauen

Dass auch ein kleines Büchlein einen beacht-lichen Beitrag zum Erkenntnisgewinn liefernkann, beweist das jüngste Werk des deut-schen Soziologen Gerhard Amendt, erschie-nen im Manuscriptum-Verlag. Eingangsstellt Amendt fest, worauf jede Quotenre-gelung hinsichtlich der Besetzung begehrterArbeitsstellen (für weniger begehrte werdenQuoten niemals diskutiert!) hinausläuft:„Was die einen sich erarbeiten müssen, wirdden anderen geschenkt.“ Wie jede positiveDiskriminierung basiert auch die Frauenquo-te auf einer Benachteiligung der – hier ebenmännlichen – Konkurrenz. Der Autor ar-beitet unter anderem den Umstand heraus,dass die der Quotenideologie zugrundelie-gende Idealisierung der Frauen von „schwer-wiegender Feindseligkeit gegen Männerdurchzogen“ ist. Nicht nur mit am Ge-schlecht orientierten Quoten geht eine neu-erliche, einst mit der Aufklärung überwun-dene, Zementierung eines gesellschaftlichenStatus einher. Individuelle Leistung ist nichtmehr länger entscheidend für den Erfolg,sondern die Zugehörigkeit zu einem Kol-lektiv, dessen Mitglieder meist zu Opfernerklärt werden. Der dem Gedanken der Quo-tenregelung innewohnende Paternalismuswird den wenigsten Zeitgenossen überhauptbewusst. Frauen werden zu im Wettbewerbvon vornherein unterlegenen Geschöpfen er-klärt, denen die helfende Hand des Levia-thans mittels der Quote zu prestige- undeinkommensträchtigen Jobs verhilft. DerTatsache, dass Frauen sich nach wie vor fürandere Branchen und Berufsfelder interes-sieren als Männer, kann mit Quotenregelun-gen nur um den Preis stark sinkender Effizi-enz begegnet werden. Das Phänomen extrafür Quotenfrauen geschaffener Manage-mentpositionen (um der Kritik an einer zugeringen Zahl an Frauen in Führungspositi-onen zu entgehen) ist auf eine in ihrer Kon-sequenz massiv marktfeindliche Quotenpo-litik zurückzuführen. Diesem Zitat aus demBuch ist nichts hinzuzufügen: „Da Frauen-quoten mit biologistischen Unterstellungen‚begründet’ werden, bewegt sich die Debat-te am Rande dessen, was wir als totalitär be-schreiben.“ (Andreas Tögel)

Page 70: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

70 eigentümlich frei Nr. 120

Geld Gold und Gottspieler

Baader, Roland: Geld, Gold und Gottspieler. Am Vorabend der nächs-ten Weltwirtschaftskrise, 342 Seiten, 18,90 Euro, Resch 2004.

Der Untertitel dieses Buches, das im deutsch-sprachigen Raum zum Klassiker der popu-lärwissenschaftlichen Literatur zur Geldthe-orie wurde, verrät die seherischen Qualitätendes Autors „am Vorabend der nächstenWeltwirtschaftskrise“. Erschienen ist dasBuch im Jahr 2004 – also lange, bevor vonSubprimekrise, Schuldendebakeln und dräu-enden Staatsbankrotten die Rede war. Zudieser Zeit schwelgten die meisten Fachpu-blikationen in Vorstellungen von einer Welt,die das Knappheitsproblem endgültig über-wunden habe und die nur noch der „gerech-ten“ Verteilung des Überflusses bedürfe. Ineiner auch für Laien verständlichen Spracheerläutert Baader das zwischen Staatsmacht,Geldqualität, Konjunktur und Eigentums-sicherheit bestehende, sehr sensible Bezie-hungsgeflecht. Er zeigt die seit vielen Jahrenständig größer werdende Diskrepanz zwi-schen Geldmengen- und Wohlstandsent-wicklung und beleuchtet die langfristig ver-heerende Wirkung einer inflationistischenGeldpolitik, die nur einen kleinen Kreis vonGewinnern kennt: den Staat mit seinen Büt-teln und deren willig dienende Vollstreckerim Zentral- und Geschäftsbankensystem.Dass die Kaufkraft des US-Dollars in derZeit von 1971 bis 2004 um 80 Prozent gefal-len ist (mittlerweile sind es mehr als 90 Pro-zent); dass die Güterproduktion in den 30Jahren vor 2004 um den Faktor vier zuge-nommen, die Geldmenge sich aber vervier-zigfacht hat, bleibt nicht ohne Auswirkun-gen auf die Entwicklung der Volkswirtschaf-ten des „kapitalistischen“ Westens. Dassschlechtes Geld – Baader spricht von „Schein-geld“ – die Grundlagen der aktuellen Kriseschaffte, die Rückkehr zu einem soliden Geldden Ausweg und die nachhaltig gesundeBasis für ein stabiles, auf privatem Eigen-tum basierendes Wirtschaftssystem bietet,wird stringent logisch argumentiert. DerSchlusssatz des Werkes beweist die analyti-schen Fähigkeiten des Autors: „Das ökono-mische und politische Chaos, das aus derWährungszerstörung resultiert, führt unver-meidlich zur Tyrannei.“ (Andreas Tögel)

Jesus war kein Vegetarier

Moll, Sebastian: Jesus war kein Vegetarier, 110 Seiten, 19,90 Euro,Berlin University Press 2011, 458 Seiten, 39,90 Euro, Biblio-Verlag1987.

Kritische, mit feiner Ironie gewürzte Selbst-reflexion ist bei evangelischen Theologen inetwa so weit verbreitet wie Euroskepsis un-ter EU-Kommissaren. In dieser Hinsichtgeht Sebastian Moll fraglos als „Ausnahme-gelehrter“ im Kollegenkreis durch. So knöpftsich der wissenschaftliche Mitarbeiter an derEvangelisch-Theologischen Fakultät der Jo-hannes-Gutenberg-Universität in der vorlie-genden Publikation fünf gängige „ideologi-sche Verwirrungen“ vor, zeitgeistkonformeStrömungen, für welche „die evangelischeKirche nun einmal, sagen wir, anfälliger ist“.Mit schon fast diabolisch anmutender Freu-de verreißt Moll das „Glauberger Schuldbe-kenntnis“, einen von 400 Theologen unter-zeichneten Appell, der durch Gleichsetzungvon Tieren mit den „geringsten Brüdern“eine ökologische Ethik radikalen Verzichtspropagiert. Ebenso arbeitet Moll die Stüm-perhaftigkeit heraus, mit der die Evangeli-sche Kirche in Deutschland (EKD) versucht,die Heilige Schrift zur Begründung der ge-schlechtergerechten Frauenordination heran-zuziehen, ganz zu schweigen von der inweitaus entrückteren Sphären behafteten „fe-ministischen Theologie“, welche die Mensch-werdung Gottes in Gestalt eines Mannes alsper se sexistisch verurteilt. In ähnlicher Artund Weise beleuchtet er die Themenkom-plexe Homosexualität und Verhältnis zumJudentum, um schließlich den Ausflug indas Panoptikum theologischer Verrenkun-gen mit einer Kurzanalyse der „Bibel in ge-rechter Sprache“ abzuschließen. Letzterekann wohl als ideologisch verbrämte Syn-these nicht nur der zuvor untersuchten Be-reiche herangezogen werden, propagiert siedoch auf über 2.000 Seiten stromlinienför-mige Gerechtigkeit gegenüber Geschlechtern,Lebenspartnerschaftsmodellen, Lehrsätzenund Predigten – nur eben nicht gegenüberdem Quelltext. Molls Streitschrift gegen dieProjektion tagespolitisch gefärbter Präferen-zen ist ein Plädoyer für die unverzerrte Aus-einandersetzung mit der Heiligen Schrift –für alles andere haben wir schließlich schondie EU. (Luis Pazos)

ef-magazin.de

70

In dieser Ausgabe ef 120 werden

die folgenden Bücher, Film- und Au-

dioaufnahmen vorgestellt. Alle Pro-

dukte können bequem über unseren

Partner Amazon direkt von ef-onli-

ne aus bestellt werden.

Alle unten genannten Produkte

finden Sie mit zeitsparender Bestell-

verlinkung hier:

www.ef-magazin.de/ef/120/stoff

Stoff 120

Buch

Amendt, Gerhard: Frauenquoten -

Quotenfrauen

Baader, Roland: Geld, Gold und

Gottspieler. Am Vorabend der

nächsten Weltwirtschaftskrise

Hoffmann, Christian / Bessard,

Pierre (Herausgeber):

Sackgasse Sozialstaat.

Alternativen zu einem Irrweg

Moll, Sebastian: Jesus war kein

Vegetarier

Spethmann, Dieter: Der Euro

plündert Deutschland

Film

Joschka und Herr Fischer

White Nights

Page 71: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

71ef März 2012 71

Joschka und Herr Fischer

FriedenDokumentarfilm auf DVD

von Martin Lichtmesz

Deutschland 2011, 143 Minuten, Regie: Pepe Danquart.

White Nights

FreiheitSpielfilm auf DVD

von Ulrich Wille

White Nights – Nacht der Entscheidung, USA 1985, 136 Minuten, Regie:

Taylor Hackford, Hauptdarsteller: Mikhail Baryshnikov, Gregory Hines,

Isabella Rossellini, FSK: 12

71

Aufgrund seiner filmischen Qualität kann man Pepe Danquartsüberlanges Porträt kaum empfehlen. In einem Kabinett mit flim-mernden Leinwänden darf der ehemalige grüne Außenministerseine polierte Lebensgeschichte zum Besten geben, deren routi-nierter Glätte Danquart an keinem Punkt widerspricht. Die beige-gebenen „Exkurse“ korrigieren oder hinterfragen Fischers Erzäh-lungen nicht, sondern untermauern sie lediglich. Dabei schrammtder Film knapp an der Grenze zur Heiligsprechung vorbei.Besonders eklig wird es, wenn der Schweizer Journalist Roger deWeck Fischers Eintreten für den völkerrechtswidrigen NATO-Ein-satz im Kosovo mit der staatsmännischen Weisheit de Gaullesvergleicht, der doch auch Algerien in die Unabhängigkeit entließ,obwohl er „Nationalist“ war. Die Darstellung der 68er-Bewegungfolgt üblichen Mustern, inklusive der obligaten Straßenschlacht-Dutschke-Vietnamkrieg-Nazispießer-Rockmusik-Montagen. AuchFischers Zeit in der militanten Hausbesetzer-Szene Frankfurtsscheint nicht mehr als ein actionreiches Heckmeck gewesen zu sein,und es bleibt dem Zuschauer überlassen, sich etwa dunkel an eingewisses Foto zu erinnern, auf dem der gute Joschka zusammenmit dem späteren Terroristen Hans-Joachim Klein auf einen Poli-zisten einprügelt. Wer allerdings immer noch nicht müde ist, dieMentalitätsgeschichte der Bundesrepublik zu ergründen, kann auchaus diesem Film einiges lernen. Ein Schlüssel zum VerständnisFischers ist gewiss seine Kindheit im katholisch-konservativen Ver-triebenenmilieu, dessen Erzählungen für ihn erst durch den Bewäl-tigungsfilm „Mein Kampf“ von Erwin Leiser erschüttert wurden.Auch er ist ein Kind der Kriegstraumata und der US-amerikani-schen Re-Education, wovon ein direkter Weg zu seiner „Deutsch-land von außen einhegen, von innen ausdünnen“-Politik mit „Au-schwitz“ als Zentralgestirn führt. Man kommt aber nicht umhin,ihm eine gewisse Aufrichtigkeit der Überzeugung abzukaufen. Fi-scher gehört zu jener Sorte Deutscher, die wörtlich daran glauben,was die Umerzieher sie gelehrt haben, ohne die dahinterliegendeMachtideologie zu erkennen, und die ganz fassungslos sind, wenndie „good guys“ sich nicht an ihre eigenen Prinzipien halten, wie inVietnam oder im Irak. Als er die „humanitären Einsätze“ gegenSerbien unterstützte, war Fischer offenbar tatsächlich der Meinung,es ginge nun allein darum, einen neuen Hitler zu stoppen und„Menschen vor einem grausamen Schicksal zu retten“. War die his-

torische Parallele der ethnischen Säuberungen Ju-goslawiens aber nicht eher die Vertreibung derOstdeutschen als der „Holocaust“? Glichen dieKosovo-Albaner nicht eher seiner eigenen un-garndeutschen Familie als den Juden? Wer weiß,was hier untergründig vor sich ging – er wärenicht der erste Achtundsechziger, der auf seineWeise versuchte, den verlorenen Krieg der Elterndoch noch zu gewinnen.

Im Jahr 1974 setzte sich der gro-ße russische Ballett-Tänzer Mik-hail Baryshnikov in die USA ab,wo er politisches Asyl erhielt undseine internationale Karrierefortsetzte. Elf Jahre später spiel-te er in „White Nights“ unterder Regie von Taylor Hackfordden russischen, in die USA emi-grierten Ballett-Tänzer Nikolai„Kolja“ Rodchenko, der auf ei-nem Flug von New York nachTokio in Sibirien notlandet unddadurch wieder in die Fänge derSowjetunion gerät. Die dortigenFunktionäre wollen ihn erneutals sowjetischen Ballett-Star auf-bauen und stellen ihm eine glänzende Karriere in seiner alten Hei-matstadt Leningrad in Aussicht. Es wird ihm der unter dem Ein-druck des Vietnamkriegs seinerseits in die Sowjetunion ausgewan-derte amerikanische Stepp-Tänzer Raymond Greenwood (GregoryHines) mit seiner Frau Darja (Isabella Rossellini) als Aufpasser andie Seite gestellt. Aber Rodchenko freundet sich mit seinen Wäch-tern an und plant mit beiden und mit der Hilfe seiner ManagerinGalina Iwanowa (Helen Mirren) die Flucht in die amerikanischeBotschaft…

Es handelt sich bei „White Nights – Nacht der Entscheidung“also um einen Kalter-Krieg-Thriller aus den Achtzigern, zum Glückohne peinlichen Patriotismus. Der Titel rührt daher, dass die Hand-lung zur Zeit der berühmten „Weißen Nächte“ von Sankt Peters-burg spielt, so dass die nächtliche Flucht der Protagonisten im Tag-hellen stattfindet. Was den Film aber zu etwas Besonderem undnach Vermutung seiner Familie zu Roland Baaders Lieblingsfilmmacht, sind die Tanzszenen mit Mikhail Baryshnikov. Dies nichtnur, weil dieser tatsächlich ein großer Tänzer ist, sondern wohl vorallem deshalb, weil er hier quasi seine eigene Geschichte und seineneigenen Drang nach Freiheit spielt und – viel mehr noch – tanzt.Die Szene, die vor allem den Film über Mittelmaß hinaushebt, undderetwegen der Film allein schon sehenswert ist, zeigt den TanzKolja Rodchenkos im leeren Kirow-Theater in St. Petersburg, woer und sein Darsteller Baryshnikov ihre Ausbildung machten undwo ihre Laufbahn begann. Diese Szene sei hier mit den WortenRoland Baaders kommentiert: „Wen dieser Film – und insbesonderediese kurze Szene – bis in die Grundfesten seines Gemütes er-schüttert und bis ins tiefste Herz aufwühlt, der hat verstanden, wasFreiheit bedeutet. Wen diese Szene aber unberührt lässt, der wirdden wahren Inhalt des Wortes ‚Freiheit‘ niemals begreifen kön-nen.“

Page 72: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

72 eigentümlich frei Nr. 120

Bürgerliches Leben

Lob des LehnsesselsDer Lebensstil der langsamen Lektüre

von Benno Ohm

Der Autor wechselte nach 20 Jahren Großstadtleben in der „digitalen Bohème“ freiwillig in ein bürgerliches Leben auf dem katholischen Dorf über. In eigentümlich frei schreibt er

darüber. Foto (Sessel) von Royal Decorations

Wagen wir eine Zeitreise in die Epoche meines Lebens zwi-schen Studium, Berufseinstieg und Karriere in der PR- undWerbebranche, in der Menschen sechzehn Stunden täglicharbeiten und sich ein Dachdecker dennoch fragt, was sie daüberhaupt tun. Ich lebte damals ständig unter Dächern.Zunächst im Wohnheim, dann im Hochhaus, später in Lofts,wie es sich für „Kreative“ gehört. Das Statussymbol mei-ner Welt zwischen New Economy, Millenium und Google-Gesellschaft war weder ein dickes Auto noch eine teure Uhr.Das Statussymbol meiner Welt war der Zeitmangel. Nurwessen Blackberry ständig klingelte, war gefragt. Nur werohne Familie oder Bindung noch um 3:35 Uhr nachts dieentscheidende Idee für die Kampagne in die Runde mailte,galt als besessen genug, dieser Branche würdig zu sein. DieFreizeit verbrachte man unter Kollegen, weswegen Privat-leben und Beruf nebulös miteinander verschwammen. Manarbeitete auf dem ehemaligen Industriehallenboden des ei-genen Lofts an „Claims“, „Slogans“ und Markenkonzep-ten, während man in der Firma miteinander seinen Spaßhatte. Wo Familien nur den Betrieb aufhalten und der Be-trieb somit zur Familie wird, sah jeder zu, dass er mit demNächsten sein kleines Vergnügen bekam.

Wäre mir zu jener Zeit in der Nacht auf dem Heimwegvon einem Umtrunk mit der Grafikabteilung ein seltsamerRiese begegnet, und hätte er mir gesagt, wie ich heute lebe,hätte ich nachgeprüft, ob mir der Chefdesigner nicht dochetwas in den Drink gemischt hat. Der Riese hätte mir einenLehnsessel gezeigt, einen Lehnsessel mit Stehlampe, Fußho-cker und Beistelltisch aus Kirschholz, schräg positioniert voreiner großen Bücherwand voller alter Ausgaben von Tho-mas Mann, Theodor Fontane, Ernest Hemingway und EdgarAllan Poe. „Dein Lieblingsplatz in zehn Jahren“, hätte ergeflüstert. Und ich hätte ihm einen Vogel gezeigt und ge-sagt: „In zehn Jahren lese ich Bücher nur noch auf demeReader.“

Der Riese, der mir nie begegnete, hat recht behalten.Seit ich mich für ein bürgerliches Leben auf dem Land ent-schied, verbringe ich mindestens zwei Stunden des Tages inmeinem Lehnsessel. Er ist ein Zuhause, eine Säule der Ruhe,eine beruhigende Stimme, die sagt: „Du verpasst da draußennichts.“ Denn das ist die größte Angst der Berufsjugendli-chen in den schnellen, erfolgreichen Medienbranchen: Setzeich mich daheim in den Lehnsessel, entgeht mir alles. Dienächste große Chance, die nächste heiße Nacht, der nächstebedeutsame Netzwerkkontakt.

Dabei war der Lebensstil der langsamen Lektüre immerbei mir. In den ersten Semestern meines Studiums der Kom-munikationswissenschaft, Germanistik und BWL nahm ichmir täglich die Zeit, mich eine Stunde lang in einen alten,ausrangierten Sessel zwischen den Bibliotheksregalen zuhocken und ein Buch aus dem Regal zu ziehen, das nichtsmit meinen aktuellen Seminaren zu tun hatte. Und ob nunMarshall McLuhan, Ludwig von Mises oder Morten Me-nigmand – die bedeutsamsten Bildungserlebnisse hatte ichin diesem Sessel.

Kürzlich besuchte ich meine alte Universität das ersteMal, seitdem ich sie für den fünfzehnjährigen Höllenritt durchdie Agenturwelt verlassen hatte. Der Sessel stand immer nochda, ein Student blätterte hektisch in einem Band auf derSuche nach einem Zitat. Als ich den Gang betrat, sprang erauf. „Bleiben Sie sitzen“, sagte ich. „Lehnen Sie sich zurückund lassen Sie sich Zeit.“ Der Student tat, wie ihm geheißen,sah mich aber an, als sei ich sein seltsamer Riese. Ich hoffe,der Sessel bleibt ihm erhalten.

Es muss kein Thron sein: Hauptsache bequem

72 eigentümlich frei Nr. 120

Page 73: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

73ef März 2012

Eilige Falschmeldungen

Aus dem ef-TickerFragmente der Realität

von Pierre Durbance

Christlich fundiert

Die Narzissmus-FalleDas Wort zum Monat

von Peter Ruch

Der Autor ist evangelisch-reformierter Pfarrer und Stiftungsrat des

Liberalen Instituts, Zürich.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ steht an promi-nenten Stellen in der Bibel. Dass die Heilige Schrift die Selbst-liebe gutheißt, steht im Gegensatz zum Postulat der Kirchenach Bescheidenheit und Selbstkasteiung. Auch Martin Lu-ther hatte sein Heil im Kloster gesucht, trat jedoch aus demKloster aus, als er die Unzulänglichkeit des Menschen undden gnädigen Gott entdeckte. Gott kennt uns. Deshalbknüpft sein Liebesgebot an die Selbstliebe an und erklärtdiese zum Maßstab der Nächstenliebe. Die Selbstliebebraucht dieses Korrektiv. Auch die griechische Mythologieweiß davon. Narkissos missachtete die Liebe der NympheEcho, weil er sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt hatte.Der nach ihm benannte Narzissmus ist eine Selbstliebe, dieihr Maß und ihre Mitmenschen verloren hat. Und er istvorwiegend ein visuelles Phänomen. Unsere Kultur liebtdas Visuelle und ist ebenfalls von der Selbstsucht bedroht.Sie bildet sich pausenlos millionenfach ab. Das Fernsehenist überall zuvorderst und löst Veränderungen aus, die demHeisenberg-Effekt ähneln. Der nämlich beschreibt, wie inder Quantenphysik die Beobachtung oder Messung einesEreignisses das Ereignis selber verändert.

Als das Illusionstheater abdankte, begann der Aufstiegder Illusionsinformation: Wir sind bei den Ereignissen dabei.Und wir kennen von weitem die Politiker, die da auftreten.Das hat zur Folge, dass sie den öffentlichen Raum meidenund sich wie Brahmanen und Druiden absondern. WasPolitiker tatsächlich leisten, ist gleichgültig geworden. Mandenke an die unzähligen Euro-Gipfel. Es genügt, dass sieabgebildet werden. Kaum einer fragt, was sie bringen undob die Führungskräfte nicht Wichtigeres zu tun hätten.Konferenzen in dieser Dichte drehensich um sich selbst und hinderndie Verantwortungsträger dar-an, an Problemlösungen zuarbeiten. Deshalb würde ichFrau Merkel zehn Tage Ein-kehr verordnen. Es ist höchsteZeit zum Nachdenken. Einwenig Selbstkasteiung ist ne-ben der Bilderflut ernst-haft vonnöten.

+++ EU-Kommission erwägt Ergänzung eines Zusatz-protokolls zum Lissabon-Vertrag zur Amtsenthebung vonChristian Wulff . +++ Weltklimarat zum Tod von Johan-nes Heesters: „Eine der schwersten individuell-anthropo-genen Herausforderungen für die CO2-Belastung der At-mosphäre hat ein Ende gefunden.“ +++ Verwirrung un-ter Verschwörungstheoretikern: An der Leiche von Muam-mar Gaddafi sollen Fingerabdrücke von Lady Di gefun-den worden sein. +++ Deutscher Städtetag kündigt Min-destlöhne auch für Politessen an. „Knöllchen“ werden massivteurer. +++ Kanzlerin weiter gegen Neuwahl des Bundes-präsidenten: Eigenmächtige Umbenennung von SchlossBellevue durch den Amtsinhaber in „Wulffs Schanze“ nichtüberbewerten. +++ Margot Käßmann mit Informations-material „Brot statt Böller“ in Pjöngjang verhaftet. +++Daniel Bahr (FDP) lässt Änderung des Sozialgesetzbuchesprüfen: Auch Parteien sollen künftig eine Pflegestufe bean-tragen können. +++ Einstweilige Verfügung: Oskar La-fontaine stoppt Biographie „Sahra waagerecht und ich“.+++ Nachfolge geklärt: Für den Fall des Rücktritts vonChristan Wulff (CDU) hat sich Patrick Döring (FDP) be-reiterklärt, binnen Stundenfrist auch dessen Amt vorläufigkommissarisch zu übernehmen. +++ Frankfurt/Main undBrüssel. Überraschende Personalien: Jörg Asmussen wirdChef der Rechtsabteilung in der EZB und Josef Fritzl über-nimmt den Posten des Kinderschutzbeauftragten der EU.+++ Warren Buffet verkauft seine Anteile an Bettina Wulff.+++ Knigge-Akademie empfiehlt, die Formulierung zuunterlassen, Claudia Roth sei ein „optisches Abu Ghraib“.+++ Regierungssprecher in Berlin beruhigt Verbündete:Kathrin Göring-Eckardt mit Sicherheit nicht direkt mitHermann Göring verwandt. +++ Nach dem großen Er-folg von Katharina und Anna Thalbach als „Friedrich II.“:rbb plant Dokumentation über das Leben von Alice Schwar-zer mit Dirk Bach und Otfried Fischer in der Titelrolle.+++ Volkswirtschaftliche Berechnungen zum Verbot vonRaucherpausen am Arbeitsplatz zeigen: Zeitverluste ausPfandflaschenrückführung weit größer. +++ Missverständ-nis: US-Armee bombardiert Sylt nach Berichten über Stra-ßensperrung in Hörnum. +++ Tarifverhandlungen 2012:V-Leute bei der NPD fordern sechs Prozent mehr. +++

Page 74: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

74 eigentümlich frei Nr. 120

Fragebogen

Bio-Lachs in Uggs auf der Wall StreetMit Putin, Rand und der etwas anderen Eisernen Lady

mit Xenia Tchoumitcheva

Xenia Tchoumitcheva, geboren 1987, ist ein international tätiges Fotomodell, Betriebswirtin und Kolumnistin der liberalen Zeitschrift „Schweizer Monat“.

Meine heutige Gemütslage: Nichts ist unmöglich: Wer hart arbeitet, kann Wunder

wahr machen.

Meine größte Schwäche: In Pyjama und Ugg-Stiefeln stundenlang Bücher lesen.

Und ein „flat white“ beim Starbucks.

Meine größte Stärke: Ab und zu bin ich gut im Belohnungsaufschub.

Mein Motto: „Carpe diem.“

Meine Leidenschaft: Echte Beziehungen, Sport und Lächeln.

Mein größtes Vorbild: Meine Großmutter, sie ist eine „Eiserne Lady“.

Meine erste Erinnerung: Viele Erinnerungen aus der UdSSR in Magnitogorsk,

wo ich bis zum Alter von sechs Jahren gewohnt habe.

Meine Vorstellung von Politik: Macht, Entscheidungen, eine schmale Grenze

zwischen wahr und unfair.

Meine Position in zehn Jahren: Eigentümerin eines Unternehmens im Branding-

Bereich.

Mein Lieblingsessen in meinem Lieblingslokal: Französisch im La Petite

Maison in London, Bio-Lachs von Whole Foods. Oder einfach viel Pasta in

einer Trattoria in Mailand.

Mein Lieblingsgetränk zu meinem Lieblingslied: „Diva“ von Beyoncé

trocken.

Mein Lieblingsbuch von meinem Lieblingsautor: Der Ursprung („The

Fountainhead“) von Ayn Rand.

Woran ich glaube: An das Vertrauen in die Menschen und an den freien Markt.

Was ich nicht mag: Unerkannte Opfer.

Worüber ich gerne streite: Ich streite nicht gerne, aber wenn ich muss, dann

über die Wahrheit.

Was ich am ehesten entschuldige: Ich entschuldige mich immer für redliche

Fehler.

Wohin ich per Zeitreise gern düste: Ich wäre gerne ein Börsenhändler in den

goldenen Jahren der Wall Street in den 80ern.

Wen ich einmal kennenlernen möchte: Putin und Bernard Arnault von der

LVMH-Gruppe.

Was ich mit eigentümlich frei verbinde: Nichts.

Wie ich mir Deutschland in zehn Jahren vorstelle: Wohlhabend, verlässlich,

innovativer und hoffentlich immer noch in Europa.

Page 75: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

75ef März 2012

Page 76: Kino: Die vierte Macht eigentümlich frei · Xenia Tchoumitcheva. 6 eigentümlich frei Nr. 120 Das ef-Tagebuch Übergeschnappt Der monatliche Überblick von André F. Lichtschlag

76 eigentümlich frei Nr. 120