Kirche - Medien · renz als Nr. 10 in der Reihe „Gemeinsame Texte“ und veröffentlicht am 30....

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1 Chancen und Risiken der Mediengesellschaft - Gemeinsame Erklä- rung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), herausgegeben vom Kir- chenamt der EKD und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe- renz als Nr. 10 in der Reihe „Gemeinsame Texte“ und veröffentlicht am 30. April 1997. Kirche - Medien Vorwort 2 Einleitung 4 1 Entwicklung der Medien 7 1.1 Tendenzen der Medienentwicklung 7 1.1.1 Medientechnik 7 1.1.2 Medienpolitik 8 1.1.3 Medienökonomie und -organisation 8 1.1.4 Medieninhalte 9 1.2 Folgen der Medienentwicklung 10 1.2.1 Wirtschaft und Arbeit 10 1.2.2 Wissenschaft und Bildung 12 1.2.3 Kunst und Unterhaltung 14 1.2.4 Familie und soziale Beziehungen 17 1.2.5 Öffentlichkeit und politische Prozesse 20 1.2.6 Kirche und Gemeinde 22 2 Medien im Spannungsfeld von Werten und Zielen 25 2.1 Technische Machbarkeit und Sozialverträglichkeit 25 2.2 Selbstentfaltung und Entfremdung 27 2.2.1 Vielfalt und Desorientierung 27 2.2.2 Identität und Entfremdung 29 2.3 Freiheit und Verantwortung 29 2.3.1 Freiheit und gesellschaftliche Kontrolle 29 2.3.2 Autonomie und Fremdbestimmung 31 2.4 Gewinn und Gemeinwohl 32 2.4.1 Qualität und Rentabilität 33 3 Medien und Kommunikation in anthropologischer Perspektive 35 3.1 Kommunikation und Lebensdeutung 38 3.2 Kommunikation als geistiges Geschehen 40 3.3 Kommunikation und Vertrauen 41 3.4 Kommunikation als Schnittpunkt von Individualität und Sozialität 42 3.5 Kommunikation und kulturelle Herkunft 44 4 Handlungsempfehlungen 45 4.1 Ethische Orientierungen 45 4.2 Bildung 48 4.3 Journalismus und andere Medienberufe 50 4.4 Gesellschaftliche Selbstregulierung 51 4.5 Ordnungspolitische Regulierung 52 4.6 Rundfunkorganisation 54 4.7 Schutzrechte 56 4.8 Entwicklungspolitik 58 4.9 Kirche 59

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Chancen und Risiken der Mediengesellschaft - Gemeinsame Erklä-rung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates derEvangelischen Kirche in Deutschland (EKD), herausgegeben vom Kir-chenamt der EKD und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonfe-renz als Nr. 10 in der Reihe „Gemeinsame Texte“ und veröffentlichtam 30. April 1997.

Kirche - MedienVorwort 2

Einleitung 4

1 Entwicklung der Medien 7

1.1 Tendenzen der Medienentwicklung 7

1.1.1 Medientechnik 71.1.2 Medienpolitik 81.1.3 Medienökonomie und -organisation 81.1.4 Medieninhalte 9

1.2 Folgen der Medienentwicklung 10

1.2.1 Wirtschaft und Arbeit 101.2.2 Wissenschaft und Bildung 121.2.3 Kunst und Unterhaltung 141.2.4 Familie und soziale Beziehungen 171.2.5 Öffentlichkeit und politische Prozesse 201.2.6 Kirche und Gemeinde 22

2 Medien im Spannungsfeld von Werten und Zielen 25

2.1 Technische Machbarkeit und Sozialverträglichkeit 25

2.2 Selbstentfaltung und Entfremdung 27

2.2.1 Vielfalt und Desorientierung 272.2.2 Identität und Entfremdung 29

2.3 Freiheit und Verantwortung 29

2.3.1 Freiheit und gesellschaftliche Kontrolle 292.3.2 Autonomie und Fremdbestimmung 31

2.4 Gewinn und Gemeinwohl 32

2.4.1 Qualität und Rentabilität 33

3 Medien und Kommunikation in anthropologischer Perspektive 35

3.1 Kommunikation und Lebensdeutung 38

3.2 Kommunikation als geistiges Geschehen 40

3.3 Kommunikation und Vertrauen 41

3.4 Kommunikation als Schnittpunkt von Individualität und Sozialität 42

3.5 Kommunikation und kulturelle Herkunft 44

4 Handlungsempfehlungen 45

4.1 Ethische Orientierungen 45

4.2 Bildung 48

4.3 Journalismus und andere Medienberufe 50

4.4 Gesellschaftliche Selbstregulierung 51

4.5 Ordnungspolitische Regulierung 52

4.6 Rundfunkorganisation 54

4.7 Schutzrechte 56

4.8 Entwicklungspolitik 58

4.9 Kirche 59

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Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland unddie katholische Deutsche Bischofskonferenz:

Chancen und Risikender Mediengesellschaft

Gemeinsame Erklärung, April 1997.Herausgegeben vom Kirchenamt der EKD, Hannover, und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskon-ferenz, Bonn. (Der Text ist als Nr. 10 in der Reihe „Gemeinsame Texte“ erschienen.)

VORWORT

Viele Menschen sind fasziniert, andere beunruhigt von der Entwicklungder Medien: digitales Fernsehen mit Hunderten von Programmen, dieeinfache und schnelle Kommunikation im Internet rund um den Globus,das Zusammenwachsen von bisher getrennten Medien durch Multime-dia-Techniken, neue Kommunikationsnetze, neue Techniken bei derHerstellung auch der gedruckten Medien. Wir erleben einen Umbruchin der sozialen Kommunikation, der in seinen Folgen von manchen oftmit der Erfindung der Buchdruckerkunst verglichen wird. Die Möglich-keiten der Kommunikation werden zu einem Wachstumsmotor derWirtschaft. Sie verändern die Arbeitswelt. Sie bieten Chancen für dieVerständigung der Menschen, ihre Beteiligung am öffentlichen Ge-spräch in der Gesellschaft und eine vielfach veränderte und gesteigerteVermittlung von Wissen. Nicht zufällig spricht man von der Informa-tions- und Mediengesellschaft.

Dieser Prozeß vollzieht sich mit hoher Geschwindigkeit und schwerkalkulierbaren sozialen Folgen. Es mehren sich Befürchtungen, daßsich die Risiken und Gefahren der Mediennutzung in allen Lebensberei-chen auswirken. Dabei haben die Medien die Aufgabe, Menschen mit-einander in Verbindung zu bringen, ihnen Information und Unterhal-tung zu bieten, so daß sie sich in ihrem Lebensalltag besser zurechtfin-den, Orientierung und eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Le-ben erleichtert werden.

Auch die gedruckten Medien verändern sich rasch. Durch neue Techni-ken der Herstellung und Verbreitung können die Interessen und Bedürf-nisse immer kleinerer Zielgruppen besser bedient werden. Nach wie vorbehalten bei allen Wandlungen jedoch Zeitungen und Bücher, das Le-sen und die Wortkultur eine wichtige Bedeutung. Die gravierendenVeränderungen gehen von den elektronischen Medien, den digitalenÜbertragungstechniken und den neuen Kommunikationsnetzen aus, die

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gewiß Chancen, aber auch ernsthafte Risiken in sich bergen. Aus die-sem Grund liegt das Schwergewicht dieser gemeinsamen Erklärung beiden Entwicklungen in den elektronischen Medien.

Angesichts der Bedeutung von Kommunikation und Medien für dasZusammenleben in Kirche und Gesellschaft haben sich die beiden Kir-chen darauf verständigt, zu den Herausforderungen eine Orientierungzu geben. Wir wollen damit dem öffentlichen Gespräch über die Ge-staltung der Mediengesellschaft einen Anstoß geben und besonders dieFragen der ethischen Verantwortung ansprechen. Diese gemeinsameErklärung richtet sich sowohl an die Mitglieder unserer Kirchen und analle interessierten und betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die sich andieser öffentlichen Debatte beteiligen wollen, wie auch an alle, die inden Medien selbst und in der Medienpolitik Verantwortung tragen odersich in der medienpädagogischen Arbeit engagieren.

Die Medienwelt ist in großer Beschleunigung begriffen. Darum ist auchjede Prognose für den weiteren Verlauf schwierig. So kann diese Stel-lungnahme, vor allen in ihren empfehlenden Passagen, nur ein Wort zuraktuellen Lage sein. Wir danken darum der gemeinsamen Kommissionsehr herzlich für die geleistete Arbeit.

Die Erklärung „Chancen und Risiken der Mediengesellschaft“ möchtedazu beitragen, daß die freie Kommunikation mündiger Menschen ineiner verantwortlichen Gesellschaft nicht nur Idee oder gar Utopiebleibt, sondern wenigstens fragmentarisch und Schritt für Schritt immermehr Wirklichkeit wird. Darum müssen immer wieder Wege für einewirklich lebensdienliche Gestaltung und Nutzung gesucht werden.

Hannover/Bonn, am 15. April 1997

Landesbischof BischofDr. Klaus Engelhardt Dr. Karl LehmannVorsitzender des Rates der Vorsitzender derEvangelischen Kirche Deutschenin Deutschland Bischofskonferenz

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EINLEITUNG

Anliegen der Kirchen:Gelingen von Kommunikation

Die Pflege von Kultur und Kommunikation ist wegen ihrer Bedeutung fürdie individuelle Wahrnehmung und für den Aufbau von Lebens-orientierungen und Weltbildern immer ein wichtiges Anliegen der Kirchengewesen. Dazu gehört heute die Auseinandersetzung mit den Kommunika-tionstechniken, die in Form neuer Medienangebote die Lebensführung derMenschen beeinflussen.Auch in den Kirchen wurden in den letzten Jahren Sorgen über die Me-dienentwicklung laut. Es ist der Eindruck entstanden, als ob die schnelleVeränderung eines zentralen Bereichs der Kultur nur noch von technischenund ökonomischen Interessen vorangetrieben wird.

Digitalisierung undDatenkompression verändern dieMedienlandschaft

Im Multimedia- und Telekommunikationsmarkt wird das größte und pro-fitabelste Geschäft des 21. Jahrhunderts vermutet. Digitalisierung undDatenkompression bewirken einen revolutionären Umbruch sowohl in denMedien als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen mit weitreichen-den Folgen für die Kultur der Kommunikation, für Gesellschaft, Wirt-schaft und Politik, für jeden einzelnen Menschen. In die Entwicklung derMedien und der Kommunikationstechnik werden vielfach große Hoffnun-gen gesetzt. Dem stehen aber auch Befürchtungen über mögliche negativeFolgen dieser Entwicklung gegenüber.

Vorteile für Zielgruppen -Nachteile durch Informations-fülle

Die absehbare Entwicklung ist ambivalent. Sie kann dem einzelnen einenZugewinn an Information, an Auswahlmöglichkeiten und individuellemZugriff bringen. Andererseits sind die Folgen für die individuelle Medien-nutzung und das Zusammenleben in der Gesellschaft ungeklärt. Die Aus-differenzierung der Angebote für kleine Zielgruppen kann zu einer weite-ren Segmentierung der Gesellschaft führen, in der trotz der Fülle an In-formationen die Orientierung schwieriger wird, und Menschen trotz nahe-zu unbegrenzter Möglichkeiten der Kommunikation vereinsamen.

Kulturtechniken erweiternund verändern Wahrnehmung

Auswirkungen für Primär-und Sekundärerfahrungen

Judentum und Christentum haben maßgeblich dazu beigetragen, daßSchreiben und Lesen zu zentralen Kulturtechniken wurden. An diesenKulturtechniken läßt sich exemplarisch studieren, wie tief sie Wahrneh-mungsformen und damit das Selbst- und Weltverständnis prägen. In einerKultur, in der die Schrift eine zentrale Rolle spielt, wird es z.B. möglich,Vergangenheit sehr viel präziser präsent zu halten und kritische Reflexionzu fördern als auf der Basis nur mündlicher Überlieferungen. Dieses Bei-spiel illustriert: Durch Medien wird unsere zeitliche und räumliche Vor-stellung geprägt; zeitliche und räumliche Differenzerfahrungen werdenaufgelöst bis hin zur scheinbaren Gegenwärtigkeit von allem. Alles kannnach eigenem Wunsch in das Jetzt geholt werden. Der Eindruck totalerVerfügbarkeit wird erzeugt.

Offen ist, wie zukünftig das Verhältnis von Primär- und Sekundärerfah-rungen zu bestimmen sein wird. Immer häufiger erhalten medial vermit-telte Inhalte und Begegnungen die Bedeutung von Primärerfahrungen.Sicher ist nur, daß sich die Formen der Selbst- und Weltwahrnehmungtiefgreifend verändern werden. Es handelt sich um einen Prozeß, der mittechnischen und ökonomischen Kriterien allein nicht zureichend erfaßtwerden kann.

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Kirchen für weltweiten Gedan-kenaustausch durch Medien

Die evangelische Kirche und die katholische Kirche haben aufgrund ihrerVerantwortung für das Leben und das Zusammenleben von Menschenschon in der Vergangenheit den Prozeß der Entwicklung der Massenmedi-en mit Stellungnahmen und Gutachten begleitet. So nennt das grundlegen-de katholische Dokument „Communio et Progressio“ eine wichtige Funk-tion und Aufgabe der Massenmedien: Der durch die Medien „vermittelteFluß der Nachrichten und Meinungen bewirkt in der Tat, daß alle Men-schen auf dem ganzen Erdkreis wechselseitig Anteil nehmen an den Sorgenund Problemen, von denen die einzelnen und die ganze Menschheit betrof-fen sind. Das sind notwendige Voraussetzungen für das Verstehen und dieRücksichtnahme untereinander und letztlich für den Fortschritt aller“ (Nr.19). Und in der EKD-Studie ”Die neuen Informations- und Kommunika-tionstechniken” heißt es zum Verhältnis von Technik und Kultur:”Technik darf nicht dazu führen, daß das kulturelle Erbe zerstört undgegenwärtiges menschliches Leben den Gesetzen der wissenschaftlich-technischen Entwicklung völlig unterworfen wird. Vielmehr soll sie in denDienst einer verantwortlichen Sozialkultur gestellt werden, in welcher derReichtum des Lebens in kreativen, ganzheitlichen und solidarischen Le-bensformen Ausdruck gewinnen kann” (Nr. 31).

Medien prägen Leben undGesellschaft

Vor diesem Hintergrund erinnern die katholische Kirche und die evangeli-sche Kirche daran, daß der Ausgestaltung des Mediensystems wegen sei-ner prägenden Kraft für kollektive Deutungsmuster, an denen die Men-schen ihr Verständnis vom Leben und ihre Orientierung im Handeln aus-richten, eine gesellschaftliche Schlüsselstellung zukommt, die verantwort-lich wahrgenommen werden muß. Mit dieser gemeinsamen Erklärungwollen beide Kirchen zur gesellschaftlichen Diskussion beitragen und dieChancen und Risiken der Mediengesellschaft abwägen.

Nur Tendenzen könnenbeschrieben werden

Angesichts der technischen und ökonomischen Dynamik läßt sich diekünftige Entwicklung der Mediengesellschaft nur in Tendenzen beschrei-ben. Sie ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren, von den Strategiender Medienunternehmen, von der Akzeptanz der Mediennutzerinnen undMediennutzer, von medienpolitischen Entscheidungen, von der technischenund wirtschaftlichen Entwicklung und nicht zuletzt von gesellschaftlichenTrends. In dem ersten Kapitel werden erkennbare Tendenzen sowie mögli-che Folgen für einzelne gesellschaftliche Bereiche dargestellt. Da sie sichnicht eindeutig beschreiben lassen, sollen deshalb Fragen nach Optionen inder Mediengesellschaft und nach den Entscheidungen aufgeworfen werden,die notwendig sind, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu begren-zen.

Ambivalenzen erfordernPräferenzen

Chancen und Risiken sind nicht eindeutig zu beurteilen, sondern abhängigvom Standort des Betrachtenden und richten sich nach den zugrundelie-genden Wertorientierungen. Oft werden dabei gesellschaftspolitischeSpannungsfelder sichtbar, in denen einzelne grundlegende Werte, wie z.B.die Freiheit und die zu ihrer Wahrnehmung notwendige gesellschaftlicheKontrolle, gegeneinanderstehen und abgewogen werden müssen. Die Am-bivalenz der Medienentwicklung tritt hier in einer veränderten Form aufund wird im zweiten Kapitel dargestellt.

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Medien müssen der Entfaltungdes Menschen dienen

Die Kirchen beurteilen die Medienentwicklung von einer eigenen Grund-position her. Die Medien sind ”Instrumente sozialer Kommunikation”, undihre Möglichkeiten wie auch ihre Aufgaben für die einzelnen und die Ge-sellschaft sind von daher zu bestimmen. Zugleich sind die Medien auchAusdruck menschlicher Kommunikation, in der sich das Selbstverständnisdes einzelnen und der Gesellschaft widerspiegeln. Für die Kirchen ist ent-scheidend, ob die Medien und Kommunikationstechniken dem Menschen,der Entfaltung von Lebensmöglichkeiten, seiner kritischen Verantwortungund dem Zusammenleben in der (Welt-) Gesellschaft dienen oder die Ge-meinschaft beeinträchtigen.

Das abschließende Kapitel zieht Schlußfolgerungen für eine Fort-entwicklung des Mediensystems und nennt politische Rahmenbedingungensowie Steuerungsinstrumente für eine sozial verantwortliche Ausgestal-tung. Dabei sind die weiterhin beachtliche Verbreitung und Nutzung vonTageszeitungen, Zeitschriften, Fachzeitschriften und Anzeigenblättern, dieBedeutung von Buchhandel, Buchverlags- und Büchereiwesen sowie dieVeränderungen, die in diesen Bereichen stattfinden, sehr wohl im Blick.Der Schwerpunkt liegt jedoch bei den elektronischen Medien, da die Ent-wicklung in diesem Bereich zur Zeit besonders gravierend ist (z.B. Inter-net).

Angesprochen sind alle:Macher, Nutzer, Politiker

Diese gemeinsame Erklärung von evangelischer und katholischer Kirchemöchte einen Beitrag zur verantwortlichen Gestaltung des Medienbereichsleisten. Sie wendet sich deshalb an die Medienpolitikerinnen und Medien-politiker in den Parteien und Verbänden, an die Medienveranstalter undProgrammacher, an Journalistinnen und Journalisten, an Redakteure, andas Publikum und seine Vertreterinnen und Vertreter sowie an alle, die inder Erziehung Verantwortung tragen.

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1 ENTWICKLUNG DER MEDIEN1.1 Tendenzen der Medienentwicklung

Die Dynamik der Medienentwicklung ist vor allem eine Folge neuer Medi-en- und Kommunikationstechniken. Daneben spielen Veränderungen inden Bereichen Medienpolitik, Medienökonomie und Medienorganisationsowie bei den Medieninhalten eine bedeutende Rolle.

1.1.1 Medientechnik

Digitalisierung verändertAngebot und Nutzung

Durch technische Entwicklungen, die mit den Stichworten Digitalisierungund Datenkompression zu kennzeichnen sind, werden alle wichtigen tech-nischen Faktoren bei der Produktion, Speicherung und Verbreitung insbe-sondere der audiovisuellen Medien (Kanal-breite, Fassungsvermögen,Übertragungsgeschwindigkeit, Zugriffsmöglichkeit) erheblich erweitertbzw. beschleunigt. Dadurch können z.B. auf den Breitbandkabel- undSatellitenkanälen einige hundert TV-Programme (oder andere Dienste) undnoch weit mehr Radioprogramme angeboten oder über Rückkanäle abge-rufen werden. Auch die Kapazität bisheriger schmalbandiger Telekom-munikationsnetze wird wesentlich erweitert. Digitalisierung verändertnicht nur das Angebot und die Nutzung von Radio und Fernsehen, sondernauch die Produktionsprozesse und Vertriebswege der Druckmedien unddamit die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten.

Sprunghafte Entwicklungs-fortschritte

Informations- und Kommunikationstechniken, die sich bisher weitgehendgetrennt entwickelten (Rundfunk, Unterhaltungselektronik, Telekommuni-kation und Datenverarbeitung), werden zusammengeführt. SprunghafteEntwicklungsfortschritte bei herkömmlichen Anwendungen und eine Viel-zahl neuer Anwendungen und Dienste („neue Medien“) werden möglich.Beispiele sind die Integration von Computer und TV-Gerät zum fernsehfä-higen Computer und zum computerisierten Fernseher oder die Integrationvon Telekommunikation und Computer für die Nutzung von Online-Diensten und Internet. Die Entwicklungstendenz findet ihren Ausdruck inder zusammenfassenden Bezeichnung „IuK“ (für Information und Kom-munikation, z.B. in der Wortverbindung „IuK-Techniken“).

Neue TechnologieInternet

Von besonderer Bedeutung ist das Internet, das sich mit großer Geschwin-digkeit von einem Kommunikationsnetz von Wissenschaftlern zu einemallgemeinen Kommunikationsmedium entwickelt. Durch die Möglichkeitendes Internets verändern sich auch die Rahmenbedingungen, die bisher fürdie klassischen Medien galten. Das Internet bietet jedem Nutzer die Mög-lichkeit, selbst zum Anbieter zu werden und Inhalte zu erstellen, die dannweltweit verfügbar sind. Schließlich ”gehört” das Internet bisher nicht wieandere Medien einem Unternehmen, sondern es ist ein Netzwerk von Com-puternetzwerken. Damit wird auch die Frage der Verantwortlichkeit fürdie Inhalte zu einer neuen Aufgabe.

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1.1.2 Medienpolitik

Vorrang der Ökonomievor der Kultur

Die Medienpolitik der Nachkriegszeit orientierte sich Jahrzehnte lang ankultur- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen wie z.B. Informations-und Meinungsfreiheit, Bildung und Aufklärung, gesellschaftliche Integra-tion und kulturelle Identität. Seit gut einem Jahrzehnt gerät Medienpolitikzunehmend in den Dienst von Technologie- und Standortpolitik. IuK wirdals neue ”Schlüsselindustrie“ bewertet und Massenmedien wie Rundfunkals „Dienstleistung“ eingeordnet (so etwa von der Europäischen Kommis-sion und in den GATT-Abkommen); auch bei der Anwendung des deut-schen Medienrechts, insbesondere bei der Lizenzvergabe im privatenRundfunk, stehen häufig regionale Wirtschaftsinteressen der Bundesländerim Vordergrund. Darin zeigt sich ein Perspektivenwechsel.

Staat zieht sich aus der Regulie-rung zurück

In Europa und weltweit hat sich das Prinzip der medienpolitischen Dere-gulierung durchgesetzt. Der Staat zieht sich aus der unmittelbaren Me-dienkontrolle zurück und beschränkt sich auf die Vorgabe von rechtlichenRahmenordnungen, auch weil nationales Medienrecht für internationaleEntwicklungen zunehmend unwirksam wird. Außerdem werden durch dieÖkonomisierung die Zielvorgaben der Medien- und Kommunikationspoli-tik verändert; öffentliche Einrichtungen (wie die Telekom) oder Kommuni-kationsnetze werden privatisiert, Konzentrationsvorschriften gelockertoder nicht beachtet, die Entwicklung und Nutzung neuer Techniken wirdprivaten Unternehmen überlassen. Eine der letzten Bastionen medienpoliti-scher Regulierung ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Ende der nationalenMedienpolitik

Durch internationale Abkommen werden medienrechtliche Ordnungen undtechnische Normen zunehmend auf europäischer oder globaler Ebene ver-einbart oder harmonisiert. Beispiele dafür sind etwa die weitgehend glo-bale Kompatibilität der Signal-, Netz- und Endgerätetechniken, die Fre-quenzvereinbarungen der internationalen Funkverwaltungskonferenzen, dieEuropäische Fernsehrichtlinie, das Europäische Fernsehübereinkommendes Europarats sowie verschiedene Vereinbarungen im Rahmen vonUNESCO, KSZE/OSZE und GATT.

1.1.3 Medienökonomie und -organisation

Hohe Investitionen fürneue IuK-Techniken

Die Entwicklung und Einführung neuer IuK-Techniken und -Dienste istteuer. Die Investitionen amortisieren sich oft erst nach vielen Jahren. Umden Mitteleinsatz und die „Anlaufverluste“ in vertretbarer Zeit aus-gleichen zu können, müssen die Medien ein extensives Marketing ein-setzen. Dies führt zu verstärkter Werbung, deren Eindringen selbst in re-daktionelle Inhalte zumindest in Europa ungewohnt ist. Neben legalenWerbeformen wie Sponsoring, Promotion und Cross-Promotion von Me-dien in Medien werden bereits seit längerem auch illegale Werbeformenwie das Product Placement genutzt und die Kennzeichnungspflicht fürWerbung mißachtet. Die Medienbranche selbst ist einer der größten Auf-traggeber für Werbung in Massenmedien.

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Internationalisierung derKommunikationsunternehmen

Die hohen Investitionen können um so eher amortisiert werden, je größerder Markt für neue IuK-Techniken und -Dienste ist. Daher streben vieleUnternehmen eine Internationalisierung oder Globalisierung ihrer Tätigkeitan, d.h. sie versuchen ihre Angebote auf möglichst vielen Auslands-märkten zu plazieren. Tendenzen der Medienpolitik - Deregulierung undinternationale Abkommen - begünstigen dies bzw. unterstützen gezielt dieGlobalisierung. Neben dem Export von Produkten gibt es eine Reihe ande-rer Erscheinungsformen der Globalisierung, z.B. Lizenzierung, Export vonKonzepten (z.B. für Zeitschriften), internationale Kooperation und Kopro-duktion, Jointventures, Firmenbeteiligungen und -verflechtungen. Glo-balisierung dient auch der Risikominderung und -verteilung.

Konzentration als Problem Hohe Investitionen und „Anlaufverluste“, extensives Marketing und Inter-nationalisierung können sich vor allem große Medienunternehmen und -konglomerate leisten. Deren Marktmacht wird gestärkt, die Konzentrationnimmt zu. Dazu trägt auch bei, daß IuK-Software kostengünstig trans-feriert und mehrfach verwertet werden kann und oft keinem Wertverlustdurch Alterung unterliegt. So können z.B. Filme und Fernsehserien, Mu-siktitel, Zeitschrifteninhalte auf verschiedenen Vertriebskanälen zeitlichversetzt und weltweit identisch oder mit geringfügiger Adaption eingesetztwerden. Schon heute wird der private Fernsehmarkt in Deutschland vonzwei Gruppen dominiert; den Markt der Publikumszeitschriften be-herrschen vier bis fünf Verlage, die zugleich eine starke oder vor-herrschende Stellung in vielen Ländern Europas, besonders Osteuropaseinnehmen; weltweit dominieren einige „Global Players“ den Markt derMassenkommunikation und Unterhaltungselektronik (wie auch andereIuK-Märkte). Unter den international tätigen Konzernen haben in derletzten Zeit einige „Elefantenhochzeiten“ stattgefunden. Diese wenigenmächtigen Medienmultis versuchen, nicht nur durch horizontale Konzen-tration einen möglichst hohen Marktanteil zu erzielen, sondern auch durchvertikale Konzentration möglichst viele Elemente der Wertschöpfungskettezu beherrschen. Die „Global Players“ bestimmen nicht nur die Richtungder medientechnischen Entwicklung, sie können sich auch politischen Kon-trollversuchen weitgehend entziehen. Eine politische, am Gemeinwohl ori-entierte Steuerung der Medienentwicklung wird dadurch zusätzlich be-grenzt.

1.1.4 Medieninhalte

Informationsvolumenexplodiert

Die öffentlich zugängliche Information und Kommunikation hat innerhalbder letzten Dekade explosionsartig zugenommen und wächst weiter inhohem Tempo. Besonders auffällig wird dies an der um den Faktor zehnbis zwanzig vermehrten Anzahl von Radio- und Fernsehprogrammen.Erhebliches Wachstum gab es aber auch bei anderen Medien, vor allembei der Zahl der Publikumszeitschriften, bei Videos und Tonträgern, beimNachrichtenangebot über Agenturen und Dienste, beim Informati-onsangebot über das Internet, Datenbanken, Mailboxen und Online-Dienste, bei Computer-Software und -Spielen.

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Fort vom Massenpublikum -hin zu Zielgruppen

Mit dem Wachstum des Angebots geht dessen inhaltliche Diversifizierungeinher. Nur ein Teil der zusätzlich angebotenen Medien und Medieninhalteist für ein inhomogenes Massenpublikum bestimmt. Ein großer (undwachsender) Teil richtet sich an - zunehmend kleinere und homogenere -Publikumssegmente und Zielgruppen (Beispiele: Formatradios, TV-Spartenkanäle, Special-Interest-Zeitschriften). Dies ist einerseits Folge derverschärften Konkurrenz unter den Anbietern und der begrenzten Auf-nahmefähigkeit des Publikums; zudem wird dieser Trend aus den Gesetzendes Medienmarketings abgeleitet: Genauer auf die Interessen von Ziel-gruppen zugeschnittene Medien(-inhalte) verbessern deren Absatz- bzw.Nutzungschancen und deren Eignung als Werbeträger, da sie eine hoheZielgruppenaffinität und gute Kontaktqualität bieten, d.h. von klar einge-grenzten Zielgruppen ohne größere Streuverluste und mit Interesse genutztwerden.

1.2 Folgen der Medienentwicklung

Medien verändernGesellschaft

Kommunikation gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und isteine notwendige Voraussetzung wie auch eine Folge des gesellschaftlichenZusammenlebens. In dem Maße, in dem kommunikative Bedürfnisse me-dial befriedigt werden und soziale Kommunikation von Medien geprägtwird, beeinflussen die Kommunikationsmedien das gesellschaftliche Lebenund das Leben der einzelnen. Wenn sich die Medien verändern, betrifftdies auch die einzelnen und die Gesellschaft. Die Möglichkeiten der Ent-wicklung sollen für wichtige Lebensbereiche aufgezeigt werden. Inwieweitdie Chancen genutzt und die Risiken begrenzt werden können, ist wesent-lich eine Frage des gesellschaftspolitischen Handelns.

1.2.1 Wirtschaft und Arbeit

Wichtiger Produktions-faktor: Information

Neue Medien und Techniken tragen nicht nur in steigendem Maße zurWirtschaftsleistung bei, sie führen darüber hinaus zu erheblichen Verände-rungen in Wirtschaft und Arbeit. Dem Produktionsfaktor Informationkommt gegenüber den herkömmlichen Produktionsfaktoren (Materie undEnergie, Arbeit und Kapital) sogar überragende Bedeutung zu. Etikettie-rungen wie „Mediengesellschaft“ und „Informationsgesellschaft“ verwei-sen auf gesamtwirtschaftliche Folgen der Entwicklung. Die industrielleProduktion verliert weiter an Bedeutung für den wirtschaftlichen Wohl-stand zugunsten des zunehmend informatisierten Dienstleistungssektors,insbesondere zugunsten der Medien- und Kommunikationswirtschaft (Te-lekommunikation, Massenmedien, Unterhaltungselektronik und Informati-onsdienstleistungen wie Werbung, PR, Markt- und Meinungsforschung).

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Rationalisierung verstärktArbeitslosigkeit

Risiken

Skeptiker warnen vor überzogenen Erwartungen in bezug auf die positivenwirtschaftlichen Folgen der Informatisierung, da es durch die Informationnur zu einer Verschiebung von Leistungen und Wertschöpfungen aus ei-nem Sektor in einen anderen komme. IuK-Techniken vergrößern zwar dieRationalisierungsmöglichkeiten und können somit produktivitätssteigerndwirken. In der Regel führt dies aber auch zur Beseitigung von Arbeitsplät-zen und zu dauerhaft steigender Arbeitslosigkeit, von der immer mehrMenschen betroffen sind. Die Veränderung beruflicher Anforderungendurch IuK-Techniken erschwert insbesondere älteren Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern die Wiederbeschäftigung bei Arbeitslosigkeit. Nega-tive Beschäftigungseffekte werden u.a. auch dadurch erwartet, daß „men-tale Dienstleistungen“ wie Informieren und Ausbilden personalsparend inForm von Auskunfts- und Teachware auf Videocassetten, Disketten oderCDs industriell vervielfältigt werden. Ein weiterer Negativeffekt entstehtdurch die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, sofern die Arbeits-aufträge und -ergebnisse über weltumspannende Datennetze transportiertwerden können (z.B. Programmierung und Datenverarbeitung in den soge-nannten Entwicklungsländern).

Teleshopping verführt,Telearbeit isoliert

Schon gegenwärtig lassen sich der Abbau von Arbeitsplätzen und die Ein-schränkung von Dienstleistungen gut verfolgen. Teleshopping am Fernse-her, Telebanking über einen Online-Dienst, der interaktive Sprachkurs amComputer führen zu Kostensenkungen bei den Diensteanbietern und zumehr Bequemlichkeit bei den Nutzerinnen und Nutzern, machen aber auchVerkäuferinnen und Verkäufer, Bankangestellte und Sprachlehrerinnenund Sprachlehrer arbeitslos. Teleshopping begünstigt unüberlegte Impuls-käufe und die Verschuldung einkommensschwacher Bevölkerungskreise.Telearbeit birgt das Risiko der sozialen Isolierung, der Ausbeutung min-derqualifizierter und unorganisierter Arbeitskräfte und der besonderen Be-lastung von Frauen mit Kindern (z.B. durch Teilzeit-Telearbeit neben denfamiliären Aufgaben).

Gefahr des gläsernenKunden

Die neuen Medien und Techniken schaffen elektronische Steuerungs- undKontrollmöglichkeiten, die Datenschutzprobleme aufwerfen und elementa-re Persönlichkeitsrechte - vor allem die informationelle Selbstbestimmung- einschränken können. Zugriffe auf die Kommunikationsendgeräte in denHaushalten (z.B. bei der Nutzung von Pay-TV, Video-On-Demand, Te-leshopping, Telebanking) lassen sich zentral registrieren und in Nutzerpro-file umsetzen, die für Marketingzwecke (im Prinzip auch für eine polizeili-che Überwachung) eingesetzt werden können. Die komplett gespeichertenTelefonbucheintragungen der Bundesbevölkerung auf einer einzigen CD-ROM lassen sich schon in dieser Weise nutzen.

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Dynamischer Wachstumsmarkt

Chancen

Der Medienbericht '94 der Bundesregierung weist für den Mediensektor -einschließlich Unterhaltungselektronik - eine Bruttowertschöpfung von55,45 Mrd. DM im Jahr 1992 aus, das entspricht 1,83 Prozent des Brutto-sozialprodukts. Eindrucksvoller ist die dort mitgeteilte Wachstumsrate von+63,2 Prozent von 1982 bis 1990, die deutlich über dem Wachstum derGesamtwirtschaft liegt. Noch weit positiver hebt sich die Zunahme derBeschäftigtenzahl im Mediensektor von der Gesamtentwicklung ab. DerBericht der Bundesregierung betrachtet in diesem Teil nur die kon-ventionellen Massenmedien, er berücksichtigt noch nicht die wirtschaftli-che Bedeutung neuer Medien und IuK-Techniken.

Information begünstigtEuropa

Vielfach wird in der Kommunikationswirtschaft die neue „Schlüs-selindustrie“ gesehen. Die Europäische-Kommission erwartet von denIuK-Techniken eine beträchtliche Steigerung der Produktivität und eineerhebliche Verbesserung der Qualität und Leistungsfähigkeit von Dien-sten. Sie entwickelte die Vision eines „gemeinsamen Informationsraums“Europa und legte eine Reihe von Förderprogrammen auf, um die techni-sche Weiterentwicklung und Einführung von Kommunikationstechnikenvoranzutreiben. Ähnlich positiv wird die Entwicklung von den Regierun-gen auf nationaler Ebene gesehen. Länder und Städte in der Bundesrepu-blik bemühen sich verstärkt um die Entwicklung der Kommunikationsin-frastruktur und um die Ansiedlung von Medienunternehmen in der Erwar-tung, dadurch die Wirtschaftskraft und das Angebot an qualifizierten Ar-beitsplätzen zu verbessern.

Neue Technik gleichtStandortnachteile aus

Die neuen Techniken und Dienste wie E-Mail, Internet, „Informa-tionSuperhighways“, Mobilfunk, Bildtelefon, Telekonferenz, Telebanking,Teleshopping und elektronische Verkehrsleitsysteme verbessern die Kom-munikationsinfrastruktur für die Wirtschaft, machen den Transport vonGütern und das Reisen von Menschen teilweise überflüssig oder optimie-ren sie soweit, daß Zeit und Kosten gespart, Standortnachteile ausgegli-chen und Umweltbelastungen vermindert werden. Durch Telearbeit wirddezentrale Berufstätigkeit in häuslicher Umgebung möglich, so daß geradeauch Frauen Familie und Berufstätigkeit leichter miteinander verbindenkönnen. Telekooperation schafft die Voraussetzungen für dezentrale Zu-sammenarbeit, Telemedizin ermöglicht die ärztliche Diagnose und The-rapie über große Entfernungen.

1.2.2 Wissenschaft und Bildung

Technologische Innovationen und deren Anwendung hängen eng mit demNiveau von Bildung und Wissenschaft zusammen. Sie sind Folge der fort-geschrittenen Entwicklung von Bildung und Wissenschaft im ausgehenden20. Jahrhundert und stimulieren wiederum deren Weiterentwicklung. Dasgilt in besonderem Maße für die Informations- und Kommunikationstech-niken.

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Risiken

Auf dem Weg zur neuenKlassengesellschaft

Die in der Entwicklung von Wissenschaft und technologischer Innovationangelegte Tendenz zur gegenseitigen Verstärkung vergrößert vorhandeneWissensklüfte und Bildungsgefälle. Entwickelte Länder mit guter Bil-dungs- und Wissenschaftsinfrastruktur profitieren weit mehr vom Fort-schritt der IuK-Techniken als unterentwickelte Länder, reiche und angese-hene Universitäten mehr als arme und unbedeutende, Fächer mit einer„natürlichen“ Nähe zum Computer (Natur- und empirische Sozialwissen-schaften) mehr als andere (Geisteswissenschaften). Ebenso können Perso-nen, die bereits gut vorgebildet sind und eine entsprechende Medienkompe-tenz besitzen, die Möglichkeiten neuer Medien und Techniken besser nut-zen als die in dieser Hinsicht Unterprivilegierten. Wer mit den neuen Kul-turtechniken nicht umzugehen lernt, bleibt „Analphabit“ - eine moderneForm des Analphabetismus.

Informationsauswahlwird unverzichtbar

Der durch die IuK-Techniken erheblich gesteigerte Zuwachs des Wissensführt zu Unübersichtlichkeit und Informationsüberlastung. Die Informati-onsfülle macht es immer schwieriger, das Wichtige und Relevante vomUnwichtigen und Irrelevanten zu unterscheiden. Die Frage der Datenerfas-sung ist vor allem ein technisches Problem und als solches sicher lösbar.Die notwendige Datenselektion hingegen hängt von der kognitiven Kom-petenz des einzelnen Menschen (d.h. des individuellen PC-Nutzers oderdes individuellen Fernsehzuschauers) ab und ist bisher noch kaum bedachtworden. Wenn auch die absolute Wissensfülle weltweit zunimmt, ist nochnichts darüber entschieden, ob gleichzeitig auch der relative Wissensstanddes einzelnen erweitert wird. Mit der Beschleunigung des Wissens-zuwachses verkürzt sich auch die Zeit, in der Wissen veraltet. Einmalangeeignetes Wissen wird schnell überflüssig oder inaktuell. Die Informa-tionssuche und die Übernahme und Beherrschung immer neuer Generatio-nen von Hard- und Software kosten Zeit und Geld. Es müssen neue Medi-en und Dienste eingeführt werden, um die Informationsflut übersichtlichund zugriffsfähig zu machen. Dadurch entstehen soziale Kosten, die In-formationsflut schwillt durch „Hypermedien“ (Medien über Medien) wei-ter an.

Primärkommunikation bedroht Die IuK-Techniken begünstigen individualisierte und zugleich auch sozialisolierte Bildung. Das geht auf Kosten von spontaner Kommunikation, ge-genseitiger Beobachtung, Anregung und sozialer Kontrolle und auf Kostenvon anspornendem Wettbewerb unter Lernenden. Technisierung und In-formatisierung von Unterricht und Wissenschaft verdrängen Wertorientie-rungen und ethische Grundsätze, die überwiegend informell in der her-kömmlichen Lehrer-Schüler-Interaktion vermittelt werden, aus dem Bil-dungs- und Wissenschaftsprozeß. Es besteht die Gefahr, daß Bildung undAusbildung auf ihre instrumentelle Funktion reduziert, daß wichtige Funk-tionen der Sozialisation und gesellschaftlichen Integration zurückgedrängtwerden.

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Chancen

In den entwickelten Ländern gehört der Umgang mit Telefon, Computer,Fernseher und Fernbedienung, Videotext, Online-Diensten, Videorecorder,CD und CD-ROM usw. mehr und mehr zu den selbstverständlichen undallgemein verbreiteten Kommunikationstechniken. Hardware und Software- vor allem für Textverarbeitung, Businessgraphik, Datenbanken und On-line-Recherche - sind kostengünstig verfügbar und werden immer leichterhandhabbar.

Informations- und Bildungsange-bote leicht zugänglich

Mit der Expansion der Medien nehmen absolut auch die Bildungs- undpopulärwissenschaftlichen Angebote beträchtlich zu. Dazu gehören z.B.pädagogische Kindersendungen, dokumentarische und populärwissen-schaftliche Sendungen bzw. Spartenkanäle im Fernsehen, Schulfunk undTelekollegs, populärwissenschaftliche und Fachzeitschriften, (weiter-)bildende Kassetten, Videos, Disketten und CDs (Teachware). Besondersdeutlich ist die Angebotserweiterung des Wissens durch Datenbanken,Online-Dienste und Internet.

Der Einsatz von Medien in Schulen und Hochschulen macht den Unter-richt anschaulicher und für die Lernenden interessanter, stärkt die Lern-motivation und erhöht den Lernerfolg. Komplizierte Wissensmaterien las-sen sich durch geschickten Einsatz der Darstellungsmöglichkeiten audiovi-sueller Medien - Infographik, Film, Video, Computeranimation und -simulation - didaktisch aufbereiten. Mit Hilfe interaktiver Teachware kanndas Lernpensum den individuellen Lernmöglichkeiten und der jeweiligenLernmotivation angepaßt werden. Beim Sprachenlernen werden dieseVorteile bereits auf breiter Basis genutzt.

Zum Nutzen vonWissenschaft und Forschung

Neue elektronische Speichersysteme, Datennetze, insbesondere das Inter-net und Online-Dienste machen sehr große Wissensbestände wie Lexika,Bibliographien, Bibliothekskataloge, Fachbücher, Datenbanken und dieWort-, Bild- und Tonbestände einer Vielzahl publizistischer Medien rela-tiv leicht und kostengünstig zugänglich sowie effektiv auswertbar.

Leistungsfähige Datennetze ermöglichen den weltweiten wissen-schaftlichen Datentransfer. Globale Kommunikation über E-Mail undelektronisches Publizieren im Internet erleichtern den notwendigen Aus-tausch unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, beschleunigendie Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und kompensieren Stand-ortnachteile in entlegeneren oder ärmeren Ländern und an kleineren Uni-versitäten.

1.2.3 Kunst und Unterhaltung

Kommunikationstechnik dient seit jeher auch der Zerstreuung und demZeitvertreib, der ästhetischen Erbauung und Anregung; sie wird zur Er-weiterung der Ausdrucksmöglichkeiten wie auch zur Kommerzialisierungvon Kunst und Populärkultur eingesetzt. Neue Medien und Technikensteigern diese Möglichkeiten beträchtlich. Sie kommen elementaren Be-dürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entgegen und finden daher Akzep-tanz in allen Bevölkerungskreisen, wenn auch in unterschiedlichem Maßeund mit unterschiedlichen Angeboten.

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Risiken

Gefahr kultureller Aufsplitterung Die zunehmende Differenziertheit kultureller Angebote in den Mas-senmedien birgt die Gefahr der kulturellen Aufsplitterung in sich. DieVielfalt unterschiedlicher Medien konstituiert gleichsam ”esoterische”Zirkel, immer enger definierte Milieus und Subkulturen mit jeweils sehrunterschiedlichen Interessen, Erfahrungen und ästhetischen Kriterien. Eswird schwieriger, eine gemeinsame kulturelle Identität größerer Bevölke-rungsgruppen zu bewahren. Dieses Risiko erhöht sich durch den ge-sellschaftlichen Trend zur Individualisierung, der die Wertorientierung undSinnfindung als Aufgabe der einzelnen definiert und die dazu unverzicht-bare Rolle gesellschaftlicher Institutionen wie Familie, Kirche oder Staatübersieht oder herunterspielt.

Anspruchslose Unterhaltungerhöht Werbeeinnahmen

Das immer umfangreichere Angebot an oft trivialer Unterhaltung überla-gert und verdrängt die anspruchsvolleren kulturellen Angebote in den Me-dien. Da anspruchslose Unterhaltung leichter konsumierbar ist, wird sieweit mehr genutzt, findet ein weit größeres Publikum, eignet sich viel bes-ser als Werbeumfeld und hat daher weitaus größere finanzielle Ressourcenzur Verfügung als Darbietungen der Kunst und „Hochkultur“. DerMensch wird mehr und mehr dazu angeleitet, sich etwas vorsetzen zu las-sen; darunter kann die zur Selbstentfaltung notwendige Eigenaktivitätleiden.

Überzogene Stargagen Der Kunst- und Unterhaltungsbetrieb muß zunehmend Marktgesetzengehorchen. Der Wettbewerb um Werbebudgets und passende Zielgruppentreibt die Gagen von Starinterpreten, -schauspielern und -regisseuren indie Höhe. Vor allem in der Unterhaltungsindustrie und im „Unterhaltungs-sport“ (Tennis, Autorennen, Fußball, Boxen) führt die Medienkonkurrenzzu sich ständig übersteigernden Gagen und Honoraren. Die größten undkapitalkräftigsten Veranstalter - vor allem private Fernsehsender - sichernsich exklusiv die zugkräftigsten Namen und Ereignisse. Sie verbesserndamit weiter ihre Position beim Publikum und auf dem Werbemarkt.

Es besteht ein geschäftliches Interesse, Medienangebote direkt vom Nutzerüber Entgelt finanzieren zu lassen, weil sich so die enormen Investitionen(z.B. in die Sportübertragungsrechte) besonders gut refinanzieren lassen.Die derzeitige Diskussion über das Pay-TV bietet dafür ein gutes Beispiel.Da die Ausgaben der privaten Haushalte für Medien in der Vergangenheitnur innerhalb des allgemeinen Wirtschaftswachstums gestiegen sind, mußdie Expansion der Medien bisher vor allem durch mehr Werbung finan-ziert werden.

Erhöhte Reizintensitätsichert Marktanteil

Zu den fragwürdigen Begleiterscheinungen dieser Entwicklung gehört, daßEntscheidungen über die Einführung von neuen Techniken und Diensten inerster Linie unter Gesichtspunkten der breiten Publikumsakzeptanz undder Finanzierung durch Werbung getroffen werden, daß der Wettbewerbum Publikumsakzeptanz zu Qualitätseinbußen im Journalismus und beimedialen Unterhaltungsangeboten führt. Die Anbieter müssen ständig dieReizintensität der Medieninhalte erhöhen, um sich in der zunehmendenKonkurrenz durchsetzen zu können. Das geschieht häufig durch die Dar-stellung von Gewalt und Sexualität, durch sensationelle und tabuverlet-zende Themen. Der harte Kampf um Werbebudgets führt zu einer Miß-achtung von Geboten, die dem Schutz der persönlichen Ehre, dem Jugend-schutz, dem Datenschutz und Verbraucherschutz dienen.

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Gefahren für Heranwachsende Von diesen Risiken sind Kinder und Jugendliche besonders betroffen. Ge-fährdet sind vor allem Kinder und Jugendliche in Familien und sozialenMilieus, die nicht intakt sind. Bei diesen ist auch das Risiko relativ groß,daß sie Fernsehen, Videos, Video- und Computerspiele exzessiv nutzenund daß dadurch psychische und psychosoziale Vorschädigungen verstärktwerden (u.a. Entwicklungsdefizite in bezug auf abstraktes Denken, Spra-che, Empathie, soziale Kontaktfähigkeit und Integration).

Chancen

Neues Hörerlebnis Die moderne Audiotechnik ermöglicht den individuellen Zugriff auf dieverschiedensten Musikgenres und Produktionen, macht Spitzenleistungender Interpretation für alle, zu jeder Zeit und kostengünstig verfügbar. DieAuswahl - auch an historischen Aufnahmen - nimmt ständig zu. Die Ent-wicklung von der Schellack- und Vinyl-Schallplatte über Tonband undToncassetten zur CD hat den Musikinteressenten technisch immer bessere,kostengünstigere und leichter zu handhabende Tonträger beschert. DieErweiterung der CD zur Video-CD, die Verbesserung der Tonqualität her-kömmlicher Videorecorder und der Verbund zwischen Hi-Fi-Anlage undFernseher bzw. Videorecorder verbinden das Hörerlebnis mit visuellenEindrücken. TV-Musiksender bieten bereits seit längerem stark visuali-sierte Formen der Musikdarbietung. Ihre Videoclips haben auf die Fernse-hästhetik eingewirkt.

Neue Medien stimulieren Durch die Entwicklung der audiovisuellen Medien wird die Diffe-renzierung und Individualisierung der Angebote begünstigt, so daß immerspeziellere Geschmacksrichtungen und Zielgruppen bedient werden kön-nen. Das gilt ebenso für die Entwicklung der Printmedien: Das Angebot anLiteratur, Sachbüchern, Unterhaltungs- und Special-Interest-Zeitschriftenwird breiter und differenzierter. Die Befürchtung, die audiovisuellen Me-dien würden die Druckmedien verdrängen, bestätigt sich nicht. Eher dasGegenteil ist der Fall: Neue Medien stimulieren immer auch die Entwick-lung der alten Medien (wenn auch in unterschiedlichem Maße bei denverschiedenen Medien und Angeboten).

Neue Medien schaffen neue Ausdrucks- und Darstellungsformen (wie z.B.Foto- und Filmkunst, Hörspiel und Fernsehspiel, elektronische Musik unddas Jugendgenre „Techno“, Videokunst und Videoclips). Nicht zuletztergeben sich durch die Medienexpansion zusätzliche Publikations-, Dar-bietungs- und auch Verdienstmöglichkeiten für mehr Autoren, Kompo-nisten, Darsteller, Interpreten. Auch sehr ungewöhnliche, esoterische,avantgardistische, selbst tabuisierte Sujets und Künstler finden ihr Publi-kum. Das Internet sorgt beispielsweise für eine weltweite und ko-stengünstige Distribution der Werke.

Größere Nachfrage nach Unter-haltung

Vor allem aber erweitern neue Medien und Techniken die Breite und Dif-ferenziertheit der Unterhaltungsangebote. Weil die Nachfrage nach Unter-haltung in einer Gesellschaft mit viel Freizeit und relativ großem Wohl-stand sehr hoch ist, lassen sich Unterhaltungsangebote auch am ehestenfinanzieren. Die Möglichkeiten, sich je nach Stimmung, Geschmack, An-spruchsniveau, einsetzbarem Geld- und Zeitaufwand unterhalten, anregenund zerstreuen zu lassen, nehmen weiter zu.

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Mehr Angebote für jung und alt Menschen mit viel frei verfügbarer Zeit wird durch die große Zahl derMedienangebote ihren jeweiligen Interessen entsprechende Unterhaltungund Anregung geboten. Kinder und Jugendliche finden spezielle Musikfar-ben im Radio, Kinder- und Video-Kanäle im Fernsehen, Video- und Com-puterspiele auf Kassetten bzw. Datenträgern und in Datennetzen. DieseAngebote kommen ihrem Bedürfnis entgegen, kognitive Fähigkeiten zuerproben und zu entwickeln, ihre persönliche Identität zu finden, eineneigenen Lebensstil, eine „Jugend- und Szenekultur“ zu definieren.

1.2.4 Familie und soziale Beziehungen

Kein Haushalt ohne Fernseher Kommunikationstechnik gehört heute zur selbstverständlichen Grundaus-stattung praktisch aller Haushalte. In der Bundesrepublik Deutschlandhaben nahezu alle Hauhalte mindestens ein Fernsehgerät, mehr als einViertel sogar zwei oder mehr Geräte. Ähnlich verbreitet sind Radiogeräte,auch in drei von vier Autos ist ein Radiogerät installiert. Einen Telefonan-schluß haben 91 Prozent der Haushalte, einen Videorecorder haben knapp62 Prozent der Haushalte, einen CD-Spieler 58 Prozent, einen Perso-nalcomputer 21 Prozent (Daten für 1996).

Risiken

Die Nutzung neuer Medien und Kommunikationsdienste kostet Geld undvor allem viel Zeit. Mit der Nutzung herkömmlicher Massenmedien ver-bringen Bundesbürger ab 14 Jahren schon jetzt im Durchschnitt rundsechseinhalb Stunden pro Tag. Der größte Anteil davon entfällt mit dreiStunden auf das Fernsehen. Für das Zeitunglesen wird demgegenüber nuretwa eine halbe Stunde erübrigt. Während der Zeitaufwand für das Lesenleicht rückläufig ist, nimmt die Nutzung audiovisueller Medien stetig zu.

Verbraucher zahlen dieProduktwerbung

Die finanziellen Aufwendungen der Familien für Massenmedien steigen,wenngleich nur mäßig. Sie lagen Anfang der siebziger Jahre bei einemAnteil von etwas über drei Prozent am Haushaltsnettoeinkommen undnähern sich inzwischen der vier-Prozent-Marke (Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen in den alten Bundeslän-dern). Der größte Teil der Aufwendungen für Massenkommunikation wirdvon den Haushalten jedoch indirekt über die Werbeaufwendungen für dievon ihnen gekauften Produkte finanziert.

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Primärerfahrungen verkümmern Die Mehrfachausstattung der Haushalte mit Medien und Kommuni-kationsgeräten fördert die individualisierte und zugleich isolierte Nutzungdurch die Familienmitglieder. Primärerfahrung und unmittelbare Erlebnis-se werden zunehmend ersetzt durch Sekundärerfahrung, durch künstlicheMedienwelten. Diese bieten sich als immer verfügbare Fluchtmöglichkeitaus einer als frustrierend empfundenen Wirklichkeit in den Erlebnisparkeiner virtuellen Realität an. Die Medienwelten von Radio, Fernsehen,Computerspielen und Internet, denen sich Kinder zuwenden, lassen sichimmer weniger von Eltern, Schulen und anderen Bildungseinrichtungenkontrollieren. Deren Erziehungsbemühungen können ins Leere laufen oderkonterkariert werden. Schon in sehr jungem Alter haben Kinder über ihreeigenen Geräte Zugang zu allen Bereichen der Erwachsenenwelt und zuMedieninhalten, auf deren Verarbeitung sie nicht vorbereitet sind und diedaher Angst und Streß auslösen. Da die vielfältigen Medienwelten keineeindeutigen Maßstäbe oder Wertorientierungen bereithalten, bieten sieauch keinen Ersatz für den zurückgedrängten Einfluß von Eltern und Fa-milie.

Erschwerte Selbstfindung Mit der Kommerzialisierung der Medien hat auch ihr Einfluß auf Kinderund Jugendliche als Konsumenten und Werbezielgruppe stark zugenom-men. Das Streben der Heranwachsenden nach Selbstfindung wird von denMedien im Verbund mit der Mode- und Musikbranche gesteuert und pro-fitabel gemacht. Das Programm der Musiksender im Fernsehen bestehtpraktisch nur aus Werbung für die Musik und die Produkte der Jugend-kultur. Allgemein erhöht die Medienentwicklung, die auf geschickt gestal-tete und plazierte Werbung angewiesen ist und ganz neue Marketing-formen z.B. über CD, im Fernsehen (Teleshoppingkanäle) und im Internetermöglicht, den Konsumdruck auf die Haushalte und speziell auf Kinder.Die Werbung setzt Kinder zunehmend als Entscheider und „Agenten“ imfamiliären Konsumverhalten ein.

Chancen

Medien in häuslicher Sphäre Die gute Ausstattung der meisten Haushalte mit Medien und Kom-munikationstechnik ermöglicht es vielen Menschen, mediale Kom-munikation entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen und Interessenzu nutzen. In größeren Familien beugt dies Konflikten in der Freizeit vor.In Ein-Personen-Haushalten wirkt es der sozialen Isolierung entgegen.Dieser Vorteil kommt besonders Personen entgegen, die an das Haus ge-bunden sind wie Mütter oder Väter mit Kindern, ältere Menschen, Kranke,Behinderte. Diesen Personen eröffnen neue Medien auch Möglichkeitenberuflicher Betätigung von zu Hause aus. Aber auch andere können dankder Medientechnik ihre Berufstätigkeit ganz oder teilweise nach Hauseverlagern, so daß sich die Trennung von beruflicher und häuslicher Sphä-re, die erst das industrielle Zeitalter hervorbrachte, wieder aufheben läßt.

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Informationen erleichtern denAlltag

In der alltäglichen Nutzung dienen Kommunikationsmedien nicht nur zurInformation und Unterhaltung, sondern häufig auch zur Erleichterunghäuslicher Verrichtungen (z.B. Radiohören oder Fernsehen bei eintönigerHausarbeit) und zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen (z.B. Tele-banking, Teleshopping). Eine große praktische Bedeutung haben die Ser-viceangebote der Massenmedien, von der Werbung über Verkehrs- undWettermeldungen bis hin zu praktischen Tips für Reise, Gesundheit, Le-bensführung usw. Die Angebote in diesem Bereich nehmen ständig zu, siewerden immer besser verfügbar und auf individuelle Bedürfnisse zuge-schnitten.

Informationen bereichern gesel-lige Aktivitäten

Mediendarbietungen und technische Kommunikation verweben sich zu-nehmend mit Alltags- und Festtagserlebnissen. Große Sportereignisse,besondere Filme, Fernsehserien, die Samstagabend-Fernsehshow, Karne-valssitzungen, Rockkonzerte usw. sind Anlässe für das Zusammensein inder Familie, für das Zusammentreffen mit Freunden und Verwandten. Siebieten Gesprächsthemen, den Anlaß für soziale Kontakte und fördern dieseauch. Die Vermutung, die Medienentwicklung führe zu sozialer Isolierungund zum Rückgang von Geselligkeit, hat sich bisher so nicht bestätigt -eher im Gegenteil: gesellige Aktivitäten können durch Massenmedien an-gereichert und angeregt werden.

Informationen trainieren geistigeKräfte

Anregung geht speziell vom Computer aus, der eine aktive Nutzung vonMedienangeboten ermöglicht und oft verlangt. Vor allem der textbasierteUmgang mit vielen Internet-Diensten (z.B. Newsgroups) begünstigt dieAnwendung der traditionellen Kulturtechniken Schreiben und Lesen. VieleComputerspiele, aber auch speziell für Heranwachsende konzipierte Fern-sehsendungen, sind geeignet, die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten vonKindern und Jugendlichen zu fördern. Ebenso können Medienangebote fürältere Menschen helfen, deren geistige Leistungsfähigkeit zu trainieren undzu erhalten.

1.2.5 Öffentlichkeit und politische Prozesse

Politische Willensbildung durchMedien

Das politische Leben in demokratischen Staaten ist weitgehend auf einvielfältiges Mediensystem und eine effektive Nachrichtenübermittlungangewiesen. Die Medien liefern den Bürgerinnen und Bürgern und denVerantwortlichen in der Politik die für ihre Entscheidungen notwendigenInformationen und konstituieren eine politische Öffentlichkeit. Sie bietenein Forum zur Auseinandersetzung über die politischen Prioritäten, schaf-fen damit die Voraussetzung für die politische Meinungs- und Willensbil-dung, für politischen Konsens und gesellschaftliche Integration. Die Medi-en wirken selbst mit an der Meinungsbildung und ergänzen als „vierteGewalt“ - durch Kontrolle und Kritik mächtiger Personen und In-stitutionen - die politischen Funktionen der drei klassischen Gewalten.

Risiken

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Selektionsdruck und Werbungverzerren Nachrichten

Die Verbesserung der Nachrichtentechnik im professionellen wie auch imprivaten Bereich läßt das Informationsangebot weiter erheblich ansteigen.Die Medien können aus der Fülle der von Agenturen und Diensten, vonInformanten und eigenen Korrespondenten stammenden Nachrichten nureinen winzigen Bruchteil auswählen. Der hohe Selektionsdruck verweistauf die kritische Rolle der Nachrichtenwert-Kriterien, nach denen Journa-listinnen und Journalisten über die Wichtigkeit der Meldungen entschei-den. Kriterien wie vor allem Neuigkeit, Überraschung, Dramatik, Negati-vismus (Konflikt, Kontroverse, Schaden) und Betroffenheit prägen die„Medienrealität“. Mit der Erhöhung des Selektionsdrucks steigt auch dasRisiko von Verzerrungen im Nachrichtenangebot. Der gesteigerte publizi-stische Wettbewerb durch neue Medien bringt es mit sich, daß häufiger alsbisher Persönlichkeitsrechte durch die Medien verletzt und Gebote derpublizistischen Ethik mißachtet werden. Durch den zunehmenden Wettbe-werbsdruck geraten die Medien in die Gefahr, Sensation und vordergrün-dige Aktualität der sorgfältig recherchierten Nachricht vorzuziehen, unsi-chere Nachrichtenquellen zu benutzen oder sogar auf Fälscher hereinzu-fallen.

Das wirklich Wichtigenur schwer zu erkennen

Die Menge und Vielfalt der Angebote ist auch von den Mediennutzern nurnoch schwer beherrschbar. Es macht zunehmend Mühe, in der Fülle derInformationen die wirklich wichtigen und nützlichen zu erkennen, zumalvieles nur der Befriedigung von Neugier, Sensationslust und Voyeurismusdient. Um die Möglichkeiten adäquat zu nutzen, die das ständig erweiterteAngebot bietet, wäre ein enormer Zeit- und Geldeinsatz notwendig. DasGefühl der Informationsüberlastung nimmt zu. Die vielfach kritische, denKonfliktaspekt von Politik, Gewalt und Verbrechen betonende Berichter-stattung ist der politischen Bildung nicht förderlich, begünstigt womöglichPolitikverdrossenheit und eine negative Weltsicht. Das liegt auch an denBesonderheiten der menschlichen Informationsverarbeitung, die - zumin-dest in der alltäglichen Situation der Mediennutzung - nicht auf Lernenund kognitive Differenzierung angelegt sind.

Aus Überforderung in dieUnterhaltung ausweichen

Mit der Erweiterung des Informationsangebots vergrößert sich die Kluftzwischen den gut informierten und den schlecht informierten Bürgerinnenund Bürgern. Menschen, die eine gute Ausbildung und hohe Medienkom-petenz besitzen, politisch interessiert und vorgebildet sind, können daserweiterte Medienangebot am besten nutzen. Ihr Wissen und ihr politi-sches Interesse nehmen weiter zu, ihr Engagement wächst. Menschen, diedagegen durch das vermehrte Informationsangebot überfordert sind, nut-zen eher die umfangreicheren Unterhaltungsmöglichkeiten durch neueMedien und bleiben politisch abstinent.

Die Vielzahl der Medien und Angebote und eine entsprechende Segmentie-rung der Nutzergruppen spalten die Öffentlichkeit in viele Teil- und Unter-foren auf. Tendenzen der Individualisierung und sozialen Differenzierung,der Pluralisierung der Lebensstile werden dadurch gefördert, gesellschaft-liche Integration erschwert.

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Fiktion statt Wirklichkeit Neue Medien verbessern die Möglichkeiten, auf künstliche Weise reali-tätsgetreue Eindrücke und eine synthetische Wirklichkeit zu erzeugen.Davon wird zunehmend auch im Journalismus Gebrauch gemacht, z.B.mit der Bearbeitung digitalisierter Fotos, Computeranimation, Bluebox-und Paintbox-Techniken im Fernsehen. Die Unterscheidung zwischenWirklichkeit und Fiktion, zwischen Wahrheit und Täuschung wird da-durch schwieriger. Zunehmende Aktivitäten der öffentlichen Beeinflussungund des Themenmanagements sind darauf gerichtet, Ereignisse zu in-szenieren und die Medien zu instrumentalisieren. Die Gefahr, daß politischweitreichende Entscheidungen auf der Grundlage von inszenierter Wirk-lichkeit und einer manipulierten Öffentlichkeit gefällt werden, nimmt zu.

Chancen

Techniken verbessernNachrichtenangebot

Verbesserungen der Nachrichtentechnik kommen seit jeher zu allererst denNachrichtenagenturen und Informationsmedien zugute. Satellitenkommu-nikation, Faxgeräte, Mobilfunk, miniaturisierte Bild- und Tonaufzeich-nungsgeräte, Datenbanken, Notebook-Computer und Bilddigitalisierungsind dafür aktuelle Beispiele. Sie steigern erheblich die Leistungsfähigkeitdes Journalismus und tragen dazu bei, daß die Bürgerinnen und Bürgerhöchst aktuell von allen wichtigen Schauplätzen unterrichtet werden. DieMöglichkeiten der Teilhabe am lokalen, nationalen und weltweiten Ge-schehen werden durch neue Informationsangebote - z.B. durch weitereSpartenkanäle und politische Informationen in Online-Diensten - erweitert.

Aber auch im privaten Bereich verbessert sich mit der Verbreitung neuerIuK-Techniken wie Kabel- und Satellitenrundfunk, Online-Dienste, Vi-deotext, Videorecorder, Multimedia-Endgeräte, mobile Radio- und Fern-sehgeräte der Zugang zu öffentlich relevanten Informationen. Menschenkönnen sich immer unabhängiger von zeitlichen und räumlichen Beschrän-kungen und immer mehr auch ihren individuellen Interessen entsprechendinformieren.

Vielfalt erschwertIndoktrination

Mit der Erweiterung des Mediensystems und der Verbreiterung medialerAngebote erhöht sich die Vielfalt der Themen und Meinungen in der öf-fentlichen Diskussion. Politiker und Interessenvertreter haben mehr undunterschiedlichere Sprachrohre und Podien zur Verfügung. Auch für nichtetablierte Parteien, kleine Minderheiten und Gruppen mit Sonderinteressenverbessern sich die Chancen, im öffentlichen Diskurs zur Geltung zukommen. Die Wahlmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger unter vielenverschiedenartigen Informationsquellen nimmt zu. So werden Manipulati-on und Indoktrination durch einseitige Information erschwert. Allerdingsmuß man realistisch in Rechnung stellen, daß diese prinzipiell erweiterteKontroll- und Schutzmöglichkeit bald an ihre Grenzen stößt. Denn ge-wöhnlich findet ein Mediennutzer nur die Zeit, eine Nachrichtensendungoder ein Nachrichtenmagazin zu verfolgen.

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Wettlauf um größteAktualität

Es verschärft sich der Wettbewerb unter den Medien allgemein, dabeispeziell der publizistische Wettbewerb um die aktuellsten Ereignisse, umdie attraktivsten Themen und die kompetentesten Interviewpartner, umbesonders schnelle Übermittlung, um aufklärende Recherche und enthül-lende Hintergrundberichte. Mehr Medien beschäftigen mehr Journalistin-nen und Journalisten, die ihre Karrierechancen durch die Profilierung iminvestigativen und kritischen Journalismus zu verbessern suchen. Dieskann die Wahrnehmung der Kritik- und Kontrollfunktion der Medien för-dern, ebenso ihre Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung.

1.2.6 Kirche und Gemeinde

Herausforderung fürkirchliche Medienarbeit

Die Arbeit der Kirchen ist von der jeweiligen Medienentwicklung sowohlauf den Gebieten der Erziehung, Wissenschaft und Bildung als auch inVerkündigung und Seelsorge, Caritas und Diakonie betroffen, besondersaber in ihrer eigenen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit: So ändert sichnicht nur das Vorkommen von Religion und Kirche in nichtkirchlichenMedien. Auch die konfessionell orientierte bzw. kircheneigene Publizistikund die Medienarbeit müssen sich einem gewandelten Nutzungsverhaltenstellen; das gilt gleichermaßen für die Bundesebene wie für die Ebenen derDiözesen, der Landeskirchen und der einzelnen Gemeinden. Die Öffent-lichkeitsarbeit der Kirchen, die sowohl die Dimension der Binnen- als auchder Außenkommunikation umfaßt, ist von den Veränderungen ebenso be-troffen wie die medienpolitischen Optionen der Kirchen.

Die Auswirkungen der Medienentwicklung auf die kirchliche Arbeit sindebenso ambivalent wie die Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft; esbestehen sowohl Chancen als auch Anzeichen für eine problematischeEntwicklung.

Risiken

Rundfunk: Einbußen bei wach-sendem Angebot

Besonders bei den elektronischen Medien wird - bei Beibehaltung des ge-genwärtigen kirchlichen Engagements - die Ausweitung der Programman-gebote dazu führen, daß im Verhältnis zum Gesamtangebot die Zahlkirchlicher Beiträge zurückgeht (Verdrängung durch Angebotsmenge). DieAusweitung der Programme hat bereits in den vergangenen Jahren zu teil-weise erheblichen Einschaltquotenverlusten bei Sendungen mit religiös-kirchlichen Themen geführt, da diese mit massenattraktiven Programmenkonkurrieren müssen. Das bedeutet auch, daß es in vielen Programmenzunehmend schwieriger wird, Menschen über den engeren Kreis der kirch-lich Interessierten hinaus zu erreichen. Diese Entwicklung kann sich fort-setzen.

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Kirchliche Spartenprogramme?

Vorsicht bei Entscheidungen

Neu hinzukommende Programmangebote werden überwiegend Sparten-programme sein, die sich an jeweils eine bestimmte Zielgruppe wenden.Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wie die Kirchen ihrumfassendes Lebens-Deutungs-Angebot zu den Menschen und in das ge-sellschaftliche Gespräch bringen können. Es gibt unterschiedliche Mei-nungen darüber, ob dies weiterhin vorrangig mit dem Anspruch auf Pro-grammbeteiligungen (kirchliche Sendungen in der bisherigen Form bei denöffentlich-rechtlichen und den privaten Vollprogrammanbietern) oder auchmit dem Angebot eigener Spartenprogramme, die jedoch das Risiko einerArt Rückzug ins Ghetto in sich bergen, geschehen kann bzw. geschehensoll. Entscheidungen müssen behutsam getroffen werden, weil die Kirchenangesichts der wirtschaftlichen und programmlichen Kräfteverhältnisse imelektronischen Markt und im Hinblick auf die begrenzten eigenen Res-sourcen auf Verhältnismäßigkeit zu achten haben.

Kommerzialisierung verdrängtdie kulturelle Bedeutung derMedien

Durch die weitere Kommerzialisierung von Information und Kom-munikation können die gemeinschafts- und meinungsbildenden Funktionenvon Kommunikation und ihre kulturelle Bedeutung, die für die Gesell-schaft von elementarem Wert sind, immer mehr in den Hintergrund ge-drängt werden.

Mediale Kommunikationverdrängt Gemeinde

Außerdem kann durch die Dominanz einer einseitig medialen Kommuni-kation in religiösen und kirchlichen Handlungsfeldern, wie z.B. im Internetabrufbare Predigten und ”Beichtprogramme”, Katechese über CD-ROMetc., der unaufhebbare Zusammenhang zwischen persönlichem Kontaktund Glaubensweitergabe in der Gemeinde vernachlässigt und dadurchSeelsorge eher erschwert werden.

Chancen

Verkündigung präsentiertsich neu

Die Medien bieten den Christen und den Kirchen die Chance, öffentlichzum Glauben einzuladen, auf die Vielfalt christlichen Lebens aufmerksamzu machen und zu einer christlichen Lebensführung zu ermutigen. In denMedien und mit ihren eigenen Publikationen bringen die Kirchen die ver-söhnende Kraft des Evangeliums in die Öffentlichkeit.Die neuen Medienanwendungen bieten den Kirchen vielfältige Möglich-keiten, in einem kreativen Prozeß die kirchliche Verkündigung des christli-chen Glaubens in neuen (auch unterhaltsamen) Formen zu präsentieren. Esergeben sich zusätzliche Formen der Interaktion mit den Mediennutzern.Die Ausweitung der Übertragungswege und der Programmangebote bietetden Kirchen auch die Möglichkeit, Inhalte für einzelne Zielgruppen spezi-ell aufzuarbeiten und zu präsentieren, möglicherweise in Kooperation mitanderen Anbietern, z.B. in den Bereichen Bildung und Beratung.

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Kontaktmöglichkeitenwerden erweitert

Die Medienentwicklung hält gerade für dialogisch orientierte Angebotevielfältige Möglichkeiten bereit. Die breite Etablierung interaktiver Dien-ste regt neue Formen der Kommunikation an. So können Menschen z.B.über unterschiedliche Diskussionsforen in den Online-Diensten und Mail-Boxen unabhängig von Entfernungen miteinander in Kontakt treten. DerKontakt mit kirchlichen Einrichtungen und Gruppen kann erleichtert wer-den: Anfragen und Informationssuche können ohne psychische Hemm-schwelle gestartet werden. Es entsteht zunächst ein unverbindlicher Kon-takt, der für den Informationssuchenden wichtige Hinweise enthalten undzu weiteren Kontakten auf anderen Ebenen führen kann. Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter der Kirchen können die neuen Formen der elektronischenKommunikation für einen effektiven und schnellen Informationsaustauschnutzen.

Gemeinden können lokaleMedien nutzen

Bei der weiteren Etablierung von lokalen elektronischen Medien könnensich die Kirchengemeinden vor Ort mit in das Mediengeschehen hineinbe-geben. Dabei können sie sowohl am weiteren Aufbau eines Netzes sozialerKommunikation im Nahraum mitwirken, als auch die Öffentlichkeitsarbeitfür die Aktivitäten der Gemeinde nutzen sowie Menschen und Programmeder Gemeinde bekannter machen.

Durch die Vervielfältigung der Medienangebote wird das einzelne medialeEreignis entwertet. Gegenüber einer beliebig gewordenen Mediennutzunggewinnt die einzelne unmittelbare Erfahrung an Wert. Für die Arbeit in derGemeinde und in anderen kirchlichen Arbeitsfeldern wird es deshalb ver-stärkt darauf ankommen, Möglichkeiten direkter zwischenmenschlicherBegegnung und religiöser (Primär-)Erfahrung zu schaffen.

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2 MEDIEN IM SPANNUNGSFELD VONWERTEN UND ZIELEN

Maßstab Menschenbild Weder Technik noch Ökonomie beantworten selbst die Frage, für welcheZiele sie eingesetzt werden sollen und wie ihre Wirkungen zu bewertensind. Die Bewertung und die ethische Entscheidung bleiben immer eineAufgabe des Menschen. Das Handeln und Urteilen ist dabei nie nur aneiner Zielvorstellung ausgerichtet, sondern es spielen verschiedene Ziel-vorstellungen und Wertorientierungen eine Rolle, die gegeneinanderstehenkönnen und bei denen eine Güterabwägung vorgenommen werden muß.Diese Wertorientierungen stehen in engem Zusammenhang mit dem Bilddes Menschen und der menschlichen Gesellschaft. Sie sind teilweise recht-lich durch das Grundgesetz verbrieft (für den Bereich der Kommunikationinsbesondere durch Art.5 GG mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung,Informationsfreiheit, Presse- und Rundfunkfreiheit sowie mit dem Zensur-verbot) und entstammen der christlichen Anthropologie und Ethik sowieanderen Quellen und Traditionen. Auch über die Medien selbst werdengrundlegende individuelle und soziale Werte geprägt und verändert.

Zielkonflikte undunerwünschte Folgen

Zwischen verschiedenen Zielvorstellungen bestehen nicht selten Spannun-gen. Zudem kann die Verwirklichung von positiv zu bewertenden medien-politischen Zielvorstellungen in Teilbereichen auch zu unerwünschtenFolgen führen. Es ergeben sich daraus Zielkonflikte, die sich in der ethi-schen Entscheidungsfindung nicht einfach zugunsten einer Seite auflösenlassen, sondern Zielvorstellungen, Wertorientierungen und mögliche Fol-gen müssen gegeneinander abgewogen werden. Aus diesem komplexen Ge-flecht werden im folgenden einige Konflikte typisiert. Die Aufzählung istweder erschöpfend, noch stellt die Reihenfolge eine Rangfolge dar.

2.1 Technische Machbarkeit und Sozialverträglichkeit

Technologische Dynamik undsoziale Norm

Ein grundlegender Konflikt bei der Beurteilung der Medienentwicklungbesteht zwischen den Zielen der technischen Machbarkeit und der Sozial-verträglichkeit. Nicht alles, was technisch und ökonomisch möglich ist,fördert das Zusammenleben der Menschen. Den Möglichkeiten des tech-nisch Machbaren steht die Frage ihrer sozialen Wünschbarkeit und ihrerSozialverträglichkeit gegenüber. Dieser Konflikt ist keineswegs auf denBereich der Kommunikationsmedien beschränkt, sondern ist für hochtech-nisierte, fortgeschrittene Industriegesellschaften typisch und läßt sich aneiner Reihe anderer Sachverhalte ebenfalls darstellen.

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Güterabwägung nicht einfachmöglich

Die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung ist hoch; dagegen ent-wickeln sich die Fähigkeiten und technischen Fertigkeiten vieler Menschensowie die Lernprozesse in der Gesellschaft im Umgang mit neuen Techni-ken erst langsam. Die Frage lautet, ob es in Zukunft gelingt, einen Gleich-klang zwischen technischer Entwicklung und menschlicher sowie gesell-schaftlicher Entwicklung zu erreichen. Keinesfalls darf es dazu kommen,daß die technische Entwicklung im Eiltempo verläuft, der Mensch aberunter dem beschleunigten Anpassungsdruck nicht mehr Schritt halten kannund am Ende zum Verlierer eines von ihm selbst inszenierten Wettlaufswird. Gesellschaftlich findet durch die neuen Kommunikationsmedien eineweitere soziale Differenzierung statt. Für einen Teil der Bevölkerung brin-gen die neuen Kommunikationsmedien einen Zugewinn an Möglichkeiten,andere werden durch das Tempo der Entwicklung abgehängt. So läßt sichzwar vorab nicht eindeutig festlegen, was sozialverträglich ist, es lassensich aber ethische Orientierungen formulieren, an denen die Sozialverträg-lichkeit neuer Medientechniken zu prüfen ist.

Folgenabschätzung isterforderlich

Neben dem Kriterium der Sozialverträglichkeit sind zwei weitere Kriterienfür die Beurteilung einer Technik notwendig: Humanverträglichkeit undVerträglichkeit in internationalen Zusammenhängen.Durch die Humanverträglichkeit soll sichergestellt werden, daß derMensch in seiner Würde und Freiheit geachtet wird, seine eigenen Schöp-fungen sich nicht gegen ihn kehren und auch die Chancen zukünftiger Ge-nerationen berücksichtigt werden.Die Überprüfung auf ”internationale Verträglichkeit” soll verhindern, daßden ärmeren und unterentwickelten Ländern weitere Nachteile entstehen,weil sie sich die neuen Technologien nicht leisten können und deshalb imWettbewerb noch weiter zurückfallen.

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2.2 Selbstentfaltung und Entfremdung

2.2.1 Vielfalt und Desorientierung

Lob der Vielfalt

Vielzahl allein garantiert keineVielfalt

Vielfalt ist ein zentraler Wert der demokratischen kommunikations-politischen Ordnung. Ein vielfältiges Medienangebot dient der Integrationdes einzelnen Menschen in die Gesellschaft, es eröffnet ihm die Chance, amöffentlichen Leben teilzunehmen und vermittelt ihm soziale Normen. Einvielfältiges Medienangebot entspricht der demokratischen Gesellschaft, weildie unterschiedlichen Meinungen zur Geltung kommen und die Vielfalt derMeinungen sich auch in den Medien widerspiegelt. Durch diesen Pluralis-mus soll der Mißbrauch von Macht verhindert werden. Damit sind dieMedien Voraussetzung und Mittel der Partizipation. Sie schaffen zudemeinen Vorrat von Themen, die alle Bürgerinnen und Bürger mehr oderminder gemeinsam betreffen, und prägen damit auch die Primärkommuni-kation.

Im letzten Jahrzehnt hat sich das Medienangebot in Deutschland ex-plosionsartig vermehrt. Dieser Prozeß wird sich weiter fortsetzen. Damit istdie Chance einer größeren Angebotsvielfalt gewachsen. Umstritten ist, obund in welchem Maße durch die Vermehrung der Angebote eine größereVielfalt tatsächlich bereits eingetreten und auch weiterhin zu erwarten ist.Es lassen sich einerseits Anzeichen für einen Trend zur Standardisierunggewisser (Fernseh-)Programme nicht übersehen. Andererseits gibt es einenZusammenhang zwischen der Vielzahl der Angebote und den Wahlmöglich-keiten für das Publikum.Ebenso umstritten bleibt die Frage, wie Vielfalt definiert werden soll. Wirdsie auf Medien und Mediengattungen, auf Darstellungsformen, (Programm-) Inhalte und Themen oder auf Informationen und Meinungen bezogen?Zudem kann selbst hinter einer offensichtlichen Angebotsvielfalt ein An-bietermonopol stehen. Die Menge der Medienangebote allein schließt alsoeine mögliche Manipulierbarkeit der Mediennutzerinnen und -nutzer durchdie Medien nicht aus.

Orientierungsverlustim Überangebot

Die Steigerung der Vielzahl und der Vielfalt der Angebote bringt die Ge-fahr mit sich, daß die Orientierung des einzelnen in seiner Lebenswelt er-heblich erschwert wird und er im Überfluß des Medienangebots die Orien-tierung verlieren kann. Durch Desorientierung erhöht sich wiederum diemögliche Manipulierbarkeit durch die Medien. Gerade die Medien sollenden Menschen jedoch Hilfen zur Orientierung in der Welt bieten. Es istmöglich, daß für die Mediennutzenden in Zukunft eine gezielte Auswahlaus der Vielfalt schwieriger sein wird oder daß die Vielfalt für einen besse-ren Überblick wieder künstlich reduziert werden muß. Auch dadurch kön-nen eine umfassende Realitätswahrnehmung beeinträchtigt und damit zu-gleich Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.

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Spartenkanäle spezialisieren unddesintegrieren

Die Expansion der Massenmedien fördert seit langem die gesellschaftlicheDifferenzierung, in deren Folge es wiederum zu einer stärkeren Spezialisie-rung der Medien kam. In der Vergangenheit sind zunehmend Publikationenund Programme entstanden, die ganz bestimmte Themen behandeln undsich damit nur an Teilsegmente der Gesellschaft wenden. Dies gilt insbe-sondere für die Fachpresse, aber auch für Periodika, die man heute als„special interest“-Blätter bezeichnet. In den sich neuerdings etablierendenSpartenkanälen zeigt sich etwas Ähnliches auch im Fernsehen. Das Inter-net wird man als ein großes Netzwerk von Spezialangeboten für jedes nurmögliche Interesse bezeichnen können.

Aufsplitterung erschwertgesellschaftlichen Konsens

Aus dieser Entwicklung wird die Gefahr einer gesellschaftlichen Desinte-gration abgeleitet. Sie kann sich durch die neuen Techniken verstärken,und zwar durch Individualisierung des Medienkonsums, durch eine Frag-mentierung und Polarisierung des Publikums bis hin zur Vereinsamung desMediennutzers. Erschwert wird dadurch eine gesellschaftliche Konsensbil-dung, so daß Verfahren zur Stärkung der gesellschaftlichen Integrationund zur Beteiligung vieler an den politischen Prozessen gefunden werdenmüssen.

Seit jeher können Mediendesintegrieren

Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Medien auch bisher schon desinte-grierende Wirkungen hatten (z.B. durch die Betonung von Konflikten unddie Darstellung von Normverletzungen). Mit der Betonung des Wertes dergesellschaftlichen Integration durch Medien wird zuweilen lediglich derStatus quo oder sogar der frühere Zustand des bundesdeutschen Me-diensystems verteidigt. Ein Ergebnis der gesellschaftlichen Desintegrationist freilich auch die Autonomie von Einzelnen und von Gruppen. Es istdaher schwer auszumachen, von welchem Punkt an zunehmende Individua-lisierung und Differenzierung tatsächlich zu einer den einzelnen und dasGesellschaftssystem bedrohenden Desintegration führen.

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2.2.2 Identität und Entfremdung

Der Beitrag der Medien für dieIdentitätsbildung

Chancen und Risikenvirtueller Realität

Wahrung der kulturellen Identität

Voraussetzung für die Herausbildung der eigenen Persönlichkeit einesMenschen ist die Erfahrung von Realität innerhalb der eigenen unmittelba-ren Lebenssphäre wie auch in Hinsicht auf seine weitere Umwelt. Dazukönnen die Medien einen entscheidenden Beitrag leisten, indem sie über dieeigene Lebenswelt und die größeren Zusammenhänge, wie auch über ande-re Kulturen und Wertsysteme informieren. Es droht aber eine Entfremdungvon der eigenen Lebenswelt, wenn der einzelne laufend durch internatio-nale Medienangebote mit fremden Wertsystemen und Wirklichkeiten kon-frontiert wird. Realitätsverlust droht, wenn die Mediennutzung nicht ineinen sinnvollen Zusammenhang mit primären sozialen Erfahrungen ge-bracht werden kann oder wenn (Unterhaltungs- ) Medien zur Flucht ausder Wirklichkeit genutzt werden, um über Defizite und Frustrationen dersozialen Umgebung hinwegzukommen.Neue Möglichkeiten für solchen Eskapismus scheint künftig die virtuelleRealität zu bieten. So unzweifelhaft sich hierin den Menschen neue Erleb-niswelten eröffnen, die neue Kreativität und Phantasie ermöglichen, sokontrovers bleibt die Einschätzung ihrer psychischen und sozialen Folgen.

Die Frage nach der Identität stellt sich auch in der Forderung nach Be-wahrung nationaler oder kultureller Identität, wie sie vor allem von Vertre-terinnen und Vertretern der Dritten Welt in der Debatte um eine neue Wel-tinformationsordnung und um den westlichen „Kulturimperialismus“ er-hoben wurde. In der Dominanz westlicher Nachrichtenangebote und vorallem US-amerikanischer Film- und Fernsehprogramme wird die Gefahrder Selbstentfremdung, eines Verlusts eigener kultureller Werte und Tra-ditionen gesehen. Ganz ähnlich ist in jüngerer Zeit auch auf europäischerSeite argumentiert worden, um die Übernahme amerikanischer Produk-tionen auf dem eigenen Markt einzudämmen. Dies steht im Widerspruchzu einem anderen Grundwert liberal-demokratischer Kommunikationsord-nungen, zum Prinzip des freien Informationsflusses. Dieses Prinzip soll diefreie Meinungsbildung und die freie Mediennutzung in allen Ländern si-chern helfen und ist damit ein Fundament einer demokratischen Gesell-schaft. Der freie Informationsfluß, der Austausch von Informationen undMedienangeboten findet allerdings aus unterschiedlichen Gründen derzeitnur sehr einseitig statt; nach wie vor werden Medienangebote und der In-formationsfluß von den reichen Industrienationen dominiert.

2.3 Freiheit und Verantwortung

2.3.1 Freiheit und gesellschaftliche Kontrolle

Grenzen der Medienfreiheit Freiheit ist nach Verfassung und Rechtsprechung der BundesrepublikDeutschland und nach den Prinzipien einer liberalen Demokratie eingrundlegender Wert unserer Kommunikationsordnung. Es ist das Ziel, diefreie Entfaltung des einzelnen in der Herstellung, Verbreitung und Nutzungvon Medienangeboten zu sichern. Eine Grenze findet die Freiheit dann,wenn grundlegende Rechte anderer berührt oder beeinträchtigt werden.

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Gesellschaftliche Kontrolle imöffentlich-rechtlichen Rundfunk

In den Medien sind Zensur und staatliche Kontrolle aufgrund des Grund-rechts auf freie Meinungsäußerung nicht zulässig. Dennoch sind Formeneiner gesellschaftlichen Kontrolle notwendig. Sie ist in der Form der beste-henden Rundfunkräte die Grundlage für den öffentlich-rechtlichen Rund-funk und - vermittelt durch die Medienanstalt des jeweiligen Bundeslandes- auch für den privaten Rundfunk. Im Rundfunk bieten solche Formen ge-sellschaftlicher Kontrolle am ehesten die Gewähr, daß er nicht Einzel-interessen ausgeliefert wird, sondern der gesamten Gesellschaft und demGemeinwohl verpflichtet bleibt.

Gesellschaftliche Kontrolle auchbei privaten Anbietern

Auch für den privaten Rundfunk sind Kontrollmechanismen unverzichtbar.Selbst wenn die Übertragungswege (ob Frequenzen, Kabel oder Satellit)eine beliebige, unkoordinierte Nutzung zuließen, müßte eine Form vonKontrolle über die Zulassungsbedingungen gewährleistet sein. Darüberhinaus sind von den privaten Rundfunkanbietern inhaltliche Vorgaben(„Grundstandard“) einzuhalten. Diese sind von den Landesmedienanstaltenebenso zu kontrollieren wie bestimmte markt- und unternehmensspezifi-sche Vorkehrungen. Ob die Kontrolleinrichtungen für den privaten Rund-funk ihre Befugnisse hinreichend wahrnehmen und ob die Maßgaben dafürzweckmäßig und hinreichend sind, ist umstritten.

Begrenzter Einfluß freiwilligerSelbstkontrolle

Kontrolle durch die Öffentlich-keit

Mit der Einrichtung von Formen der freiwilligen Selbstkontrolle [wie z.B.dem Deutschen Presserat, der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirt-schaft (FSK), der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF)] versuchenprivate Anbieter einer möglichen Fremdkontrolle zuvorzukommen. ImInteresse einer freiheitlichen Medienordnung sind Instrumente der Selbst-kontrolle zu begrüßen, ihre Wirksamkeit darf aber nicht überbewertet wer-den. Ihnen fehlen in der Regel die Einflußmöglichkeiten auf die Programmeoder die Sanktionskraft, wie sie gesetzlichen Regelungen eigen ist, dieallerdings ihrerseits leicht mit dem Zensurverbot der Verfassung in Wider-streit geraten können.

Eine weitere Möglichkeit der gesellschaftlichen Kontrolle sind Formen, beidenen die Öffentlichkeit selbst für gewisse Kontrollaufgaben eingesetztwird: z.B. indem durch gesetzliche Vorschriften die Transparenz von Me-dienunternehmen gesichert wird, oder durch die Einrichtung eines auch vonden Kirchen vorgeschlagenen unabhängigen Medienrates beim Bundesprä-sidenten.

Jede Form der Kontrolle, die dazu dient, Freiheitsrechte zu sichern, kannaber selbst zur Einschränkung von Freiheitsrechten führen. Auch beigrundsätzlicher Akzeptanz der Form gesellschaftlicher Kontrolle durchGremien von Vertreterinnen und Vertretern gesellschaftlich relevanterGruppen, müssen doch die Kontrollmechanismen immer wieder auf ihreZweckmäßigkeit hin befragt werden, also ob durch sie tatsächlich eineKontrolle durch die Gesellschaft ermöglicht wird.

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Freizügigkeit darf die Würde desMenschen nicht verletzen

Die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Kontrolle wird besonders beider Darstellung von Gewalt und Sexualität in den Medien gesehen. Wirddie in der Kommunikationsordnung gesicherte Freiheit als grenzenlos aus-gelegt, gerät sie in Konflikt mit ethischen Grundsätzen, die einem christli-chen Menschenbild eigen sind. Die Einhaltung sittlicher Grundmaximen istaber unerläßlich für die Wahrung der Würde der menschlichen Person unddes gesellschaftlichen Zusammenhalts. Gerade bei der Darstellung vonSexualität und Gewalt scheint es kaum mehr möglich zu sein, in der plura-listischen Gesellschaft verbindliche Normen vorzugeben. GrundsätzlicheEinigkeit besteht allenfalls noch in den Fragen des Jugendschutzes. Einesallerdings ist sicher: Die Gesellschaft kann sich die wahrnehmbare Aus-höhlung sittlicher Werte der individuellen und sozialen Existenz nicht lei-sten. Insofern verdienen auch Glaube und Religion Schutz vor öffentlicherVerächtlichmachung.

Das Ethos der Journalisten undder Medien

Der Stellenwert einer journalistischen Berufsethik ist mit der Expansionder Medien höher geworden, gleich ob man sie als Individualethik oderOrganisationsethik begreift. Dabei geht es sowohl um die Methoden derRecherche und der journalistischen Aufmachung als auch darum, wieJournalistinnen und Journalisten mit den Akteuren in ihrer Berichterstat-tung umgehen, wie sie ihre Rolle gegenüber dem Publikum auffassen undwie sie die Folgen ihres Tuns verantworten.

2.3.2 Autonomie und Fremdbestimmung

Einschaltquoten beein-flussen Entscheidungen

Die Freiheit des Menschen verwirklicht sich in einer möglichst weit-gehenden Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Der Konflikt zwi-schen Autonomieinteressen und Fremdbestimmung taucht im Medienbe-reich in verschiedenen Varianten auf.

Einerseits gibt es die Abhängigkeit des Publikums von Journalistinnen undJournalisten sowie anderen Medienschaffenden. Nur das, was ihre Aus-wahl überwindet und in das Medienangebot eingeht, kann auch vom Publi-kum wahrgenommen werden. Andererseits gibt es eine „Souveränität“ desPublikums, frei nach eigenen Wünschen und Bedürfnissen aus diesemAngebot auszuwählen. Zudem existiert der Druck der Einschaltquoten, derals ”Jagd nach dem Massengeschmack” beklagt oder als Mittel, das An-gebot an die Nachfrage rückzubinden und den Einfluß der Konsumentenzu stärken, betrachtet werden kann. Offen bleibt die Frage, wie es dann umdie Einflußmöglichkeiten kleinerer Zuschauergruppen bestellt ist.

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Wichtiges Ziel:Innere Pressefreiheit

Nicht neu ist das Problem der Abhängigkeit der Journalisten und Pro-grammacher von den Eigentümern der Medien, das vor allem die Diskussi-on um die innere Pressefreiheit beherrscht hat. Abhängigkeiten gibt esauch im Verhältnis zwischen Journalisten und Politikern. Einerseits sindJournalisten auf Politiker nicht nur als Informanten angewiesen; denn mit-unter haben sie - besonders im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - ihre Po-sition ihrer Parteizugehörigkeit zu verdanken. Andererseits sind Politikervon Journalisten abhängig, weil die politische Tagesordnung nicht seltendurch die Medienthemen bestimmt wird. Dies bedeutet einen Autonomie-verlust des politischen Systems und einen Machtzuwachs der Mas-senmedien. Eine Folge davon ist die Vermehrung „symbolischer“, bloß aufMedienwirksamkeit zielender Politik. Ähnliche Wechselbeziehungen undAbhängigkeiten bestehen in der Wirtschaftspublizistik zwischen Journali-sten und Managern.

Grenzen von Journalismusund Public Relations ver-schwimmen

Allgemein besteht die Gefahr einer zunehmenden Abhängigkeit der Jour-nalisten von Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations (PR). Wer dieRolle der Medien im Sinne eines reinen Informationstransfers versteht,wird dies nicht beklagen und PR eher als unentbehrliche Ressource anse-hen. Wer aber die Aufgabe der Medien auf dem Hintergrund eines journa-listischen Selbstverständnisses als Faktor der öffentlichen Kontrolle sieht,dem erscheint eine solche Abhängigkeit als Beeinträchtigung dieser Auf-gabe.

2.4 Gewinn und Gemeinwohl

Regulierung des Prinzips”Eigennutz”

Eine freie Wirtschaftsordnung fußt auf der förderlichen Kraft des Eigen-nutzes und sieht in ihm eine nicht nur legitime, sondern notwendige Trieb-feder des allgemeinen Wohlstands. Schädlichen Nebenwirkungen undAuswüchsen soll durch eine soziale Ausrichtung der Marktwirtschaft ent-gegengewirkt werden. Aus ethischer Perspektive hat der Eigennutz solangeseine Berechtigung, solange er eine größere Leistung für die Gesellschafterbringt.

Besonders im Bereich der Medien und der Kommunikation kann das Prin-zip des Eigennutzes wegen ihrer individuellen und sozialen Bedeutungnicht uneingeschränkt gelten. Um ihres Zusammenhalts willen kann dieGesellschaft auf die Orientierung am Gemeinwohl und an der Würde desMenschen keineswegs verzichten, und sie darf diese Orientierung auchnicht aufgeben.

Dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen, war stets Bestandteil der liberalenTheorie der Pressefreiheit, der zufolge es dem allgemeinen Besten dient,wenn sich alle Stimmen ungehindert öffentlich äußern können.

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Auftrag der Grundversorgung In der Medienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland haben vor allemdie öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Aufgabe, dem Gemein-wohl und der gesamten Gesellschaft zu dienen. Dieser Auftrag konkreti-siert sich in einigen grundlegenden und gesetzlich verankerten Prinzipiendes öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Staatsfreiheit, Pluralismusgebot,Ausgewogenheits-Verpflichtung und in den einschlägigen Kontrollmecha-nismen, die ihm vorgegeben sind. Das Bundesverfassungsgericht hat mitder Formel vom „Grundversorgungsauftrag“ des öffentlich-rechtlichenRundfunks dessen Verpflichtung zum Gemeinwohl nachdrücklich unter-strichen. Wegen der besonderen Wertigkeit und Eigenart der elektroni-schen Medien kann dieser Grundversorgungsauftrag nicht von privatenVeranstaltern übernommen werden. Die Wahrnehmung der Grund-versorgung in allen wichtigen Programmbereichen durch die öffentlich-rechtlichen Veranstalter bietet auch die Voraussetzung für eine größereprogrammliche Bewegungsfreiheit privater Rundfunkveranstalter. Den-noch gewährleistet die Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunksnicht von sich aus schon das Gemeinwohl, sondern es bedarf einer stetenErinnerung an diese Grundaufgabe und der Überprüfung, ob die Organi-sationsform ihr auch entspricht.

2.4.1 Qualität und Rentabilität

Private Medien zwischenKommerz und Kultur

Besonders vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird ein qualitativ hoch-wertiges Programmangebot in allen Bereichen von der Unterhaltung überbildende Angebote bis hin zur Hintergrundinformation erwartet. Dadurchfindet der öffentlich-rechtliche Rundfunk und sein am Prinzip der Solidar-gemeinschaft ausgerichtetes Finanzierungssystem seine besondere Legiti-mation. Programmqualität muß aber auch von den privaten Medienunter-nehmen erwartet werden. Es wird zwar häufig eine Unvereinbarkeit oderSchwerverträglichkeit zwischen den Regeln der Ökonomie und normativenAnsprüchen, zwischen Geld und Geist, Ware und öffentlicher Dienstlei-stung (Public Service), Kommerz und Kultur unterstellt. In privat-wirtschaftlichen Verhältnissen - so das Argument - könne im Grunde nurdas produziert werden, was auf eine breite Nachfrage stößt und dem„Massengeschmack“ entspreche.

Schwächt oder stärkt Konkurrenzdie Qualität?

Es fragt sich jedoch, ob die Annahme gerechtfertigt ist, daß privatwirt-schaftliche Medienorganisation zwangsläufig nur zu Angeboten führt, diean Massenabsatz und Verkäuflichkeit ausgerichtet sind. Konkurrenz vonProgrammen und Wettbewerb um die Zuschauer können und müßten -auch wenn dies bislang nur selten zu beobachten ist - neue Spielräume fürQualität eröffnen. Veränderte Ansprüche werden auch veränderte Ange-bote notwendig machen. Auch wenn sich Qualität in einem freiheitlichenMediensystem nicht verordnen läßt, wird man gleichwohl Bedingungenund Strukturen schaffen können, die ein Qualitätsangebot fördern undermöglichen. Man muß sich keineswegs auf die Ansicht zurückziehen,Qualität zu definieren sei eine gänzlich subjektive Angelegenheit. Es istdurchaus möglich, dafür Indikatoren (wie z.B. technischer Standard,handwerkliches Vermögen, schauspielerische Leistung, Stringenz derHandlung, ethische Dimension der Erzählung etc.) zu benennen und dieseauch zu beschreiben.

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Ökonomische Konzentrationmindert publizistische Vielfalt

Der Wettbewerb unterschiedlicher Medienunternehmen ist eine förderndeKraft für publizistische Vielfalt und Pluralismus im Mediensystem. ImWettbewerb manifestiert sich die ökonomische Seite der Pressefreiheit.Doch nicht jede Form des Wettbewerbs ist erwünscht. Vor allem im Wett-bewerb von Rundfunkprogrammen um Zuschauergunst und Werbung siehtman eine Aufforderung einerseits zur Angleichung der Angebote (Konver-genz), andererseits zur wechselseitigen Übertrumpfung (insbesondere z.B.bei der Ausschlachtung von Katastrophen, Mißständen oder Skandalen).Es wird befürchtet, daß sich in solchen Zusammenhängen das Gewinn-interesse privater Unternehmen auf Kosten der inhaltlichen Qualität derProgramme durchsetzt. Dies hat dann zur Folge, daß regulierende Aufla-gen zur Orientierung des Wettbewerbs an bestimmten auch inhaltlichenKriterien verlangt werden. Die Betreiber sollen nicht nur die attraktivenund lukrativen Angebote und Dienstleistungen erbringen, sondern aucheine Versorgung nach sozialen und ethischen Gesichtspunkten sicherstel-len.

Gerade im Medienbereich ist in den vergangenen Jahren ein immer schär-ferer Wettbewerb festzustellen, der zu einer deutlichen Konzentration derpublizistischen Macht auf immer weniger große Medienunternehmen ge-führt hat. Die Ursachen der Konzentration im Mediensystem liegen dabeiauch in den Bedingungen einer hochindustrialisierten, kapitalintensivenWirtschaftsstruktur. Fernseh-Vollprogramme und Breitbanddienste lassensich heute kaum mehr in Form mittelständischer Unternehmen organisierenund finanzieren, insbesondere in einem zunehmend internationalen Wett-bewerb mit großen, weltweit operierenden Medienunternehmen. Diese Ent-wicklung führt zu einer Verringerung der Vielfalt, äußerstenfalls sogarzum Meinungsmonopol. Eine solche Entwicklung ist letztlich aber miteinem demokratischen System, das auf konkurrierende Meinungsbildungangewiesen ist, unvereinbar. Insofern ist die Stärkung von Wettbewerbpublizistisch und politisch erwünscht und muß gefördert werden.

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3 MEDIEN UND KOMMUNIKATION INANTHROPOLOGISCHER PERSPEKTIVE

Gestaltung der Mediengesell-schaft als ethische Aufgabe

Die neuen Medien entwickeln sich im Spannungsfeld zwischen technischerMachbarkeit und ökonomischen Notwendigkeiten, rechtlichen Rahmenbe-dingungen und ethischen Maximen. Die dargestellten Wertekollisionenzeigen, um welch komplexe Wirklichkeit es geht. Die ethische Aufgabebesteht darin, die Chancen und Risiken zu gewichten und mit den anthro-pologischen Voraussetzungen eines christlichen Menschenbildes sowie mitden Zielen eines sozialen Gemeinwesens zu verbinden.

Christliches Menschenbild: Frei-heit, Würde, Selbstbestimmung

Das Bild vom Menschen ist dadurch bestimmt, daß er zu freier Entschei-dung fähig und zu verantwortlicher Selbstbestimmung herausgefordert ist.Dieses Menschenbild, das für unser politisches, ökonomisches und rechtli-ches System grundlegend ist, hat seine Wurzeln in der Herkunftsge-schichte der europäischen Kultur. Zwar können aus dem christlichen Men-schenbild nicht direkt ökonomische, technische oder politische Handlungs-anweisungen abgeleitet werden. Es hat aber eine Schutzfunktion, weil esdurch die Begriffe der Freiheit, der Würde und der Selbstbestimmungeinen ethischen Mindeststandard aufzeigt, der in jedem Falle gewahrt blei-ben muß, bevor über konkrete Einzelentscheidungen und Handlungsstrate-gien diskutiert wird.

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Menschen leben in Beziehungen

Kommunikation bautBeziehungen auf

Nach christlichem Verständnis hängt das, was der Mensch ist und werdenkann, entscheidend von den Beziehungen ab, in denen er lebt. Diese an-thropologische Grundaussage begegnet erstmals im biblischen Schöp-fungsbericht, in dem die Gottebenbildlichkeit als jenes entscheidendeMerkmal genannt wird, das den Menschen erst zum Menschen macht (Gen1,26 f.). Die Gottebenbildlichkeit des Menschen beruht aber nicht auf derAusstattung mit bestimmten Fähigkeiten wie der Vernunft, der Spracheoder der Geistbegabung, sondern unabhängig davon in der konstitutivenBeziehung zu Gott. Sie bildet die vertikale Beziehungslinie, die für dieIdentität des Menschen grundlegend ist. Der Mensch muß darauf vertrau-en können, daß er von Gott selbst in dieser Welt gewollt ist und ein fun-damentales Lebensrecht hat. Freilich ist, wie die Erzäahlungen vom Sün-denfall und der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 2ff) zeigen, die Bezie-hung des Menschen zu seinem Ursprung gestört. Die Zuversicht, daß ervon Gott gewollt wird, kommt dem Menschen immer wieder abhanden. Erist angewiesen auf die jeweils neue Vergewisserung, wie sie in der Zueig-nung des Christusgeschehens wirksam wird.

Die menschliche Identität wird jedoch auch durch die menschlichen Bezie-hungen herangebildet. Die zweite Beziehungslinie verläuft deshalb hori-zontal. Auf ihr ereignen sich alle Formen der Kommunikation, die derMensch zu seinen Mitmenschen, zur Natur, zur Gesellschaft - also zurWelt - unterhält. Kurz: Der Mensch ist ein Wesen, das in Beziehungen lebtund Verantwortung erlernt. Das bedeutet: Die Richtung und das Ziel derPersönlichkeitsentwicklung entscheiden sich an den Werten, an denen einMensch sich orientiert; ebenso an den Vorbildern, mit denen er sich identi-fiziert und denen er nacheifert. Dieses dynamische Beziehungselement, indem auch Gruppen, Institutionen und Organisationen ihren Platz haben,stellt auch den Kern dessen dar, was heute als ”Kommunikation” bezeich-net wird. Durch Kommunikation - von der persönlichen, zwischenmensch-lichen Begegnung bis hin zu den über technische Medien vermitteltenFormen - werden Beziehungen und Verbindungen aufgebaut und kommenProzesse in Gang, die auf die Beteiligten wieder zurückwirken. Person-werdung und Kommunikation sind unauflöslich verknüpft. Vor diesemHintergrund wurde auf der vierten Vollversammlung des „ÖkumenischenRates der Kirchen“ in Uppsala (1968) erklärt: „Kommunikation ist dieSubstanz des Lebens. Durch sie werden wir, was wir sind, in unseremkörperlichen wie in unserem geistigen Leben. Kommunikation ist auch dieArt, in der Gott sich dem Menschen zu erkennen gibt, und in der derMensch antwortet“ (414). In dem Medienpastoralschreiben ”Communio etProgressio” heißt es: ”Ihrer ganzen Natur nach zielt die soziale Kommu-nikation darauf ab, daß die Menschen durch die Vielfalt ihrer Beziehungeneinen tieferen Sinn für Gemeinschaft entwickeln. ... Nach christlicherGlaubensauffassung ist die Verbundenheit und die Gemeinschaft der Men-schen - das oberste Ziel jeder Kommunikation - ursprünglich verwurzeltund gleichsam vorgebildet im höchsten Geheimnis der ewigen Gemein-schaft in Gott zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, dieein einziges göttliches Leben haben” (Nr. 8).

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Beziehungen müssen gestaltetwerden

Persönlichkeitsbildung durchneue Kommunikationsmöglich-keiten

Die Bedeutung der Kommunikation ergibt sich aus der Grundverfassungdes Menschseins. Der Mensch ist mehr als nur ein Naturwesen. Das Be-ziehungsgeflecht, in dem jeder Mensch sein Leben führen muß, ist uns nurin geringem Maße von Natur aus vorgegeben. Jedes Kind hat Vater undMutter, ein bestimmtes Geschlecht; jeder muß Nahrung aufnehmen. Aberschon diese elementarsten Beziehungen müssen gestaltet werden. Die Tat-sache, daß jeder Vater und Mutter hat, führt noch nicht automatisch zueiner bestimmten Gestalt der Beziehung zu ihnen. Ebensowenig gibt dasVorhandensein der Sexualität schon automatisch vor, wie diese gelebt undgestaltet wird. Neben den Beziehungen zur Umwelt muß jeder Mensch im-mer in eine Beziehung zu sich selbst treten, d.h. jene vielfältigen Bezie-hungen, die das Leben ausmachen, gestalten.

Mit der Vermehrung der Kommunikationsmöglichkeiten steigen die Chan-cen aber auch die Risiken zu umfassender Persönlichkeitsbildung und zurEntwicklung ethischer Grundüberzeugungen, die den Anforderungen einerglobaler werdenden Kultur standhalten.Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten können den Informati-onshorizont des einzelnen in bisher noch nicht dagewesener Weise erwei-tern und so die Urteilsbildung im ethischen und politischen Bereich auf einbreiteres Fundament stellen.Die Möglichkeit, visuell oder auditiv verfügbare Vorbildgestalten, Mei-nungen und Ideen jederzeit abrufen und per Knopfdruck oder Mausklickaustauschen zu können, kann die Bildung fester Grundüberzeugungen aberauch beeinträchtigen. Die Kommunikationsstruktur künstlicher Welten istvon anderer Art als die herkömmlichen Kommunikationsformen im perso-nalen Bereich. Sie kann die Vorläufigkeit, die jederzeitige Widerrufbarkeitund damit im letzten die Unverbindlichkeit klarer Positionen zu ethischen,weltanschaulichen und religiösen Fragen suggerieren.Auch in diesem Phänomen zeigen sich die Ambivalenzen der Medi-engesellschaft und die Notwendigkeit einer verantwortlichen und an derZielvorstellung einer menschenwürdigen Kommunikation ausgerichtetenGestaltung der neuen Informations- und Kommunikationstechniken.

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3.1 Kommunikation und Lebensdeutung

Selbst- und Weltverständnis alsProzeß von Deutung und Gestal-tung

Wer verantwortlich handeln will, muß sich um die Voraussetzungen undBedingungen seines Handelns Gedanken machen. Deshalb begleitet denMenschen ständig die Notwendigkeit, sich selbst, seine Herkunft und dieWelt, in der er sich vorfindet, zu interpretieren. Mit dem Selbst- undWeltverständnis, das sich in diesem Deutungsprozeß herausbildet, werdendie Weichen gestellt für die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben füh-ren. Menschliches Wahrnehmungsvermögen, die Möglichkeiten, sich zuseiner Umgebung, zu Personen und Dingen in Beziehung zu setzen, sindvielfältig. Jeder muß wählen, entscheiden, einordnen. Der menschlicheGeist ist prinzipiell offen für alles. Deshalb muß er sich in einer funda-mentalen Option auf die Zielperspektive eines umfassend gelingenden Le-bens ausrichten. Diese Interpretations- und Gestaltungsaufgabe ist nieabschließbar. Sie braucht Vergebung und Ermutigung zum Neuanfang.Diese nicht auflösbare Spannung von Forderung und Scheitern, Verge-bung und Neuanfang ist die innere Spannung, die das Leben in Bewegungerhält. Lebensdeutung und Lebensgestaltung sind aufs engste verschränkt.Den Selbst- und Weltbildern, die im Prozeß der Bildung entwickelt werdenmüssen, kommt eine mindestens ebenso große Bedeutung zu wie der Tat-sache, daß auch der menschliche Körper Bedürfnisse hat. Altern läßt sichzum Beispiel als biologischer Prozeß beschreiben. Damit ist aber nochkeine Orientierung dafür gegeben, wie jemand mit dieser Tatsache um-gehen soll. Der Prozeß des Alterns kann gedeutet werden als Nachlassenwichtiger Lebenskräfte, als Nutzloswerden oder als Prozeß des Reifens anErfahrung und Urteilskraft. Je nachdem, mit welchen Leitvorstellungen ineiner Kultur die Bilder vom alten Menschen inhaltlich gefüllt werden, ent-wickeln sich Bewertungsmuster und Handlungsmaximen.

Die christliche Tradition war und ist ein Medium solcher Lebensin-terpretation und -gestaltung. In ihrer Sprache, ihren Bildern, Symbolenund Riten werden die elementaren Sachverhalte des Lebens dargestellt, ineinen Gesamthorizont eingeordnet und so eine bestimmte Orientierung inder zunächst chaotisch erscheinenden Mannigfaltigkeit des Lebens ange-bahnt.

Der Mensch ist ein geistigesWesen

In der Sprache der christlichen Tradition wurde die beschriebene Grund-struktur menschlichen Lebens unter den Leitbegriffen Geist, Person undGlauben entfaltet. Der Mensch findet durch seine Natur noch nicht auto-matisch den Weg vorgezeichnet, auf dem sein Leben gelingen kann. Dieskommt zum Ausdruck in der alten Lehre, daß der Mensch nicht nur Naturist, sondern immer auch ein geistiges Wesen, offen für Sinndimensionen,die über die materielle und sichtbare Welt hinausreichen. Nach christli-chem Verständnis bildet und definiert sich das Menschsein dadurch, daßder Mensch aus mehr lebt als nur aus der Beziehung auf die vorhandene,sinnlich wahrnehmbare Welt aus Personen und Dingen. Deswegen kann erauch eine Unabhängigkeit und Freiheit gegenüber dieser Welt entwickeln,von der her er sein Leben ganz anders gestalten kann als andere Le-bewesen, die in ihre Umwelt eingebunden sind.

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Menschliches Leben wird von derGottesbeziehung her interpretiert

Die Rede von der Würde des Menschen bezeichnet die Tatsache, daß derMensch im Vorhandenen nicht aufgeht, in keiner innerweltlichen Bezie-hung sein Wert umfassend definiert werden kann. Der Wert eines Men-schen kann weder durch seine Eigenschaften noch durch seine Taten be-gründet werden. Seine unverlierbare Würde gewinnt der Mensch aus derfreien Zuwendung Gottes. Die Fähigkeit zum Überschreiten der vor Augenliegenden innerweltlichen Zusammenhänge findet für Christen ihren Aus-druck in der auch im Versagen tragenden Gottesbeziehung. Von dieser inChristus begründeten Beziehung her soll das menschliche Leben interpre-tiert und verstanden werden. Für die menschliche Freiheit kann aus dieserBeziehung ein Maß für eine ihr entsprechende Lebensform gewonnen wer-den. Glauben läßt sich in dieser Perspektive verstehen als eine Form undKraft der Stellungnahme zu den Grunddimensionen unseres Lebens, diesich am Willen Gottes als dem Inbegriff des Guten und des gelingendenLebens orientiert.Für die ethische Orientierung bedeutet dies: Zwar können Christen vonkeinem menschlichen Handeln die umfassende Verwirklichung des Guten,die Schaffung eines neuen Menschen erwarten. Aber sie sind schon durchden Schöpfungsauftrag Gottes dazu berufen, ihrerseits schöpferisch tätigzu werden, d.h. alles Handeln, alle Techniken und alle Formen des Zu-sammenlebens und der Kommunikation zu stärken, durch die ein gelingen-des Leben für alle Geschöpfe befördert werden kann.

Orientierende Bilder für gelin-gendes Leben

Auf dem Weg, auf dem Menschen die ihnen gegebene Freiheit gestalten,spielen die Deutungsbilder des Menschlichen eine große Rolle: wie derMensch ist und wie er sein sollte. Sie stellen die Weichen dafür, zu wel-chen Lebensformen und zu welchem Handeln sich Menschen entschließen.Wo Lebensorientierung einseitig durch Bilder erfolgt, in denen die dreifa-che Verwiesenheit auf die Lebenswelt, auf die Transzendenz, auf Gott,und auf den Mitmenschen entweder ausgeblendet oder verkürzt dargestelltwird, ist solches gelingendes Leben gefährdet. Weder ist der Mensch einWesen, das ausschließlich geistige, hochkulturelle Bedürfnisse hat, nochsind Aggression und Sexualität allein die lebensbestimmenden Faktoren.Weder ausschließlich Schönheit und Freude, noch allein Leiden undSchmerz machen das Leben aus. Die Kraft, es zu führen, erwächst aus derVielgestaltigkeit der Lebensbezüge. Vom christlichen Menschenver-ständnis aus ergibt sich deshalb das Interesse daran, daß die orientierendenBilder für das Leben dessen spannungs- und konfliktreiche Vieldimensio-nalität nicht reduktionistisch darstellen.

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3.2 Kommunikation als geistiges Geschehen

Ambivalenz menschlichenLebens

In der Tradition der Philosophie wie auch der Theologie wurden die Phä-nomene, die heute unter dem Stichwort Kommunikation angesprochenwerden, lange unter dem Begriff des Geistes behandelt. ”Geist” bezeichnetjene über die materielle Welt hinausgehende Dimension, in der der Menschdie Vielfalt der Beziehungen, in denen er lebt, wahrnimmt, deutet, zu ihnenStellung nimmt und die Kraft finden muß, seinem Leben eine eigene Ge-stalt zu geben. Die Würde und zugleich die Gefährdung des menschlichenLebens liegen nach christlichem Verständnis in eben jener Struktur be-schlossen. Der Mensch ist in seiner Gottebenbildlichkeit dazu berufen, inFreiheit sein Leben selbst zu gestalten und seinen Lebensweg selbst zu be-stimmen. Darum kann menschliches Leben nicht nur gelingen, sondernauch mißlingen. Menschen können ihre Freiheit zur Gestaltung eines hu-manen Zusammenlebens gebrauchen. Sie sind aber auch dazu fähig, mitihrer Vernunft und ihrem Können Lebensmöglichkeiten zu zerstören. DieVerwirklichung der gegensätzlichen Möglichkeiten, die auch die Medien-und Kommunikationstechniken bieten, ist wiederum eingebunden in einenkomplexen Zusammenhang von Technik, Recht, ökonomischen Struktu-ren, Bildung und politischem Willen. Das Wissen um diese Ambivalenzmenschlicher Existenz gehört zum Erfahrungsschatz christlicher Lebens-interpretation und Lebensführung.

Freiheit und Verantwortung Mit der Erweiterung von Freiheitsräumen und Gestaltungsmöglichkeitensteigt zugleich die Anforderung zum verantwortlichen Gebrauch der Frei-heit. Die rasche Veränderung der Medien stellt eine enorme Erweiterungder Spielräume für menschliches Handeln dar. Sie eröffnet deshalb auchbisher unbekannte Möglichkeiten des Mißbrauchs und radikalisiert so dasVerantwortungsproblem.

Als verantwortlich läßt sich jener Gebrauch der Freiheit bezeichnen, derdie Voraussetzungen eines Lebens in Freiheit für alle Menschen nicht zer-stört, sondern stärkt und zudem die eigenen Begabungen entfaltet sowie imProzeß der Kommunikation die Würde des anderen wahrt.Solch ein verantwortlicher Gebrauch der Freiheit ist ebenfalls nicht natur-gegeben. Er stellt zum einen eine permanente Bildungsaufgabe dar, zumanderen müssen politisch und rechtlich die Voraussetzungen für ein Me-diensystem geschaffen werden, in dem ein solcher Gebrauch der Freiheitverwirklicht werden kann. Dabei sind solche Gestaltungsformen zu bevor-zugen, die selbst dem Charakter der Freiheit und Würde entsprechen. Diesgeschieht, wenn mit der Fähigkeit des Menschen zu vernünftiger Selbstbe-stimmung und damit zur Selbstverpflichtung aus Einsicht gerechnet wird,wie sie in der christlichen Tradition mit der Vorstellung ausgelegt wurde,daß der Mensch Ebenbild Gottes ist.

Die Aussage, daß die Beziehungen über das Zentrum des Personseinsentscheiden, in denen Menschen ihr Leben deuten und gestalten, läßt sichauch so formulieren: Kommunikation ist diejenige Dimension des Geistes,in der wir uns über die biologische Verfassung und Naturgebundenheitunseres Lebens herausheben. Sie hat eine grundlegende Funktion für dieEntwicklung unseres Selbst- und Weltverständnisses.

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3.3 Kommunikation und Vertrauen

Identität braucht Kommuni-kation

Kommunikation in allen ihren Formen ist der Austausch, in dem Men-schen Anerkennung oder Widerspruch erfahren. In solchen Prozessen wirddie persönliche Identität bestätigt oder in Frage gestellt. Das Gefühl vonWert und Bedeutung der eigenen Existenz entwickelt sich in und durchdiesen kommunikativen Austausch.Je mehr es dabei um Lebensthemen geht, desto schärfer zeigt sich: AlleKommunikation setzt - wenn auch in unterschiedlichen Graden - Vertrau-en voraus. Ein Mensch wird nur dann in eine Beziehung zu einem anderentreten, sich innerlich öffnen, wenn er das Gefühl hat, das Gegenübernimmt ihn ernst, mißbraucht das Mitgeteilte nicht. Umgekehrt gilt: Miß-brauchtes Vertrauen zerstört Kommunikation. Wer ständig nicht richtiginformiert, dem wird kein Glauben mehr geschenkt. Über Kommunikati-onsprozesse können Vertrauen und Lebensgewißheit bestärkt oder zerstörtwerden. Wer z.B. glaubt, daß durch bestimmte Kommunikationsformensein eigenes Leben Schaden nimmt, wird sich ihnen im Normalfall nichtmehr anvertrauen. In ihrer Gesamtheit benötigen Kommunikationsstruk-turen das Vertrauen, daß die Teilhabe an ihnen zumindest nicht schadet.

Vertrauen in die Systeme derMassenkommunikation

Vertrauen spielt dabei nicht nur in direkten zwischenmenschlichen Bezie-hungen eine Rolle. Je mehr Menschen in ihrer individuellen Lebensführungabhängig werden von Systemen, die sie durch eigenes Handeln kaum nochbeeinflussen können, um so mehr müssen sie darauf vertrauen, daß dasGanze des Systems in Ordnung ist. Das gilt z.B. von der Nahrungsmittel-versorgung, von medizinischen Einrichtungen, aber auch von den Syste-men der Massenkommunikation. Wir können keines dieser Systeme mehrselbst steuern oder auf ihre Verläßlichkeit überprüfen. Wir verlassen unsdarauf, daß unsere Angewiesenheit auf sie unserem Leben nützt und ihmnicht schadet. Solches Vertrauen, daß das Ganze im großen und ganzenverläßlich ist, ist eine Voraussetzung für die Akzeptanz und Funkti-onsfähigkeit eines Systems. Die Akteure in einem solchen System müssendeshalb ein Interesse daran haben, durch ihr eigenes Handeln mit dazubeizutragen, daß das Ganze des Systems vertrauenswürdig bleibt, weildies eine Grundlage für die eigenen Arbeitsmöglichkeiten bildet.

Sensibilität für Manipulier-barkeit

Die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit wird durch die neuen Medienverschärft. Alle über Medien vermittelten Darstellungen sind das Ergebniseines Prozesses, in dem aus einer Vielzahl von Aspekten ausgewählt wur-de. Die Grenze zwischen Täuschung und Perspektivität ist nicht leicht zuziehen. Die neuen Techniken eröffnen in bisher unbekannter Weise Mani-pulationsmöglichkeiten und ermöglichen das Verwischen der Grenzenzwischen Fiktion und Realität. Deshalb ist eine ausgeprägte Sensibilitätfür die damit verbundenen Gefahren besonders bei den Medienschaffendenaber auch bei den Mediennutzenden notwendig.

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Das ethische Urteil wird um so schwieriger, je geringer die Chancen deseinzelnen sind, sich über die prägende Wirkung von Kommunikation klarzu werden, wenn er sich z.B. medialen Kommunikationsvorgängen gleich-sam ”blind” ausgesetzt sieht. Es entspricht der Achtung der Würde desMenschen, solche ”blinde Abhängigkeit” soweit wie möglich zu verringerndurch Aufklärung, Information und Offenlegung über Arbeits- und Wir-kungsweise von Medien. Eine verantwortliche Gestaltung von Kommuni-kationsverhältnissen wird diese ”inneren” Wirkungen mit in den Blicknehmen.

3.4 Kommunikation als Schnittpunkt vonIndividualität und Sozialität

Eigenverantwortung des Indivi-duums stärken

Über Kommunikationsstrukturen werden Interpretations- und Ge-staltungsmöglichkeiten für menschliches Leben erschlossen oder ver-schlossen. Deshalb wurde in der christlichen Tradition sehr aufmerksamwahrgenommen, in welchen Kommunikationsverhältnissen der Menschsteht bzw. was seine lebensentscheidenden Selbst- und Weltbilder prägt.Dabei wurde ein Akzent auf die eigene Verantwortung für die Gestaltungder Beziehungen, in denen Menschen leben, gelegt. Der Selbstachtung dereigenen Würde entspricht es, solchen persönlichen und gesellschaftlichenProblemlösungsstrategien einen hohen Stellenwert einzuräumen, die mitder Eigenverantwortung des Individuums rechnen. Solche Kompetenz mußaber erst erlernt werden. Es ist ein ethisches Anliegen, die Vorausset-zungen zu schaffen, die das Individuum in den Stand versetzen, ei-genverantwortlich sein Leben zu gestalten.

Auch wenn niemand die Aufgabe der Lebensdeutung an andere delegierenkann, so gilt andererseits auch: Kein Mensch lebt für sich allein. Niemandist in der Lage, die Muster für seine Lebensdeutung völlig allein zu ent-wickeln. Sie werden geprägt von der Gemeinschaft und der Kultur, indenen Menschen leben, von den Traditionen, in denen sie stehen, und denZukunftsvisionen, die Menschen miteinander teilen. Sie sind das Ergebnisvon Bildungsprozessen, die ihre Wurzeln in der jeweiligen kulturellenHerkunftsgeschichte haben.

Geschöpflichkeit als Grundlageder Menschenwürde

Auf diese beiden Pole von Individualität und Sozialität ist auch die christ-liche Sicht des Menschen gerichtet: Einerseits ist jeder Mensch ein unver-wechselbares, einzigartiges Individuum mit eigener Würde. In der christli-chen Sprachtradition formuliert: Die Würde des Menschen liegt in seinemCharakter als Geschöpf. Er ist wesentlich definiert durch die Beziehung zuGott. Er wird angesprochen als Gottes Ebenbild. Freiheit und Würde ver-danken sich nach diesem Verständnis nicht einem staatlichen Hoheitsaktoder einer politischen Entscheidung. Sie sind vielmehr die Voraussetzungallen menschlichen Handelns.

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Gleichrangigkeit aller Menschen Diese in der Schöpfung begründete Gottesbeziehung ist nach christlichemVerständnis andererseits für alle Menschen konstitutiv. Sie reserviert keineSonderstellung für den Christen, sondern kommt allen Menschen unter-schiedslos zu. Mit dem Gedanken der Würde ist die Vorstellung von derGleichrangigkeit der Menschen verbunden. So sehr die Individualität jedeseinzelnen Menschen geachtet werden soll, so sehr wird der Mensch gleich-zeitig als ein soziales Wesen gesehen, das dazu bestimmt ist, in der Ge-meinschaft der Menschen sein Leben zu führen. Es ist deshalb einGrundanliegen der christlichen Tradition, die Teilhabe aller Menschen anden lebenswichtigen Gütern zu fördern. Da die Kommunikationsmöglich-keiten heute über die Qualität von Leben mitentscheiden, ist es notwendig,eine Kommunikationsordnung anzustreben, die solche Teilhabe aller er-möglicht.

Freiheit, Würde, Recht In den Leitbegriffen der christlichen Soziallehre ”Freiheit” und”Sozialität” kommt diese zweipolige Orientierung ebenso zum Ausdruckwie im Verständnis von Freiheit als ”kommunikativer Freiheit”, wie es imZentrum der neueren sozialethischen Debatten steht. Das Verständnis vonFreiheit und Würde, wie es für die abendländische Kultur grundlegendgeworden ist, hat sich in einem historischen Prozeß herausgebildet, in demdie Bedeutung dieses Grundwertes vor allem mit Hilfe des Rechts immerweiter entfaltet wurde. Die Institution des Rechts dient der Sicherung undStärkung individueller Freiheiten.

Das Freiheitsideal wurde konkretisiert als Recht auf Selbstbestimmung.Das umfaßt zwei Aspekte: die Abwehr von Fremdbestimmung (Abwehr-rechte) und das Recht auf Anteilhabe und Mitbestimmung (Anspruchs-rechte). Der Leitbegriff der Freiheit findet seine Konkretion im Gedankenvon der Würde des Menschen wie er in Art. 1 GG als Grundrecht formu-liert ist. Das ethische Gebot, das aus diesem Zuspruch der Würde resul-tiert, lautet: Der Mensch soll seine Kultur, die Verhältnisse und die Insti-tutionen, in denen er lebt, so gestalten, daß blinde Abhängigkeit vermindertund die Chancen einer freien Selbstbestimmung aller gestärkt werden. DieFreiheitsverwirklichung des einen findet ihre Grenze dort, wo sie die Frei-heit des anderen verletzt.

Diese freiheitsschützenden Rechtsgarantien konnten bisher weitgehend nurim Rahmen nationalstaatlicher Rechtssysteme durchgesetzt werden. Diemodernen Massenmedien überschreiten nationale Grenzen. Eine wirksameDurchsetzung dieser Rechte ist aus diesem Grund mit nationalstaatlicherPolitik nur sehr begrenzt möglich. Die Medienentwicklung wird so zueiner Herausforderung für die Entwicklung eines international wirksamenRechts zum Schutz dieser individuellen Freiheitsrechte, also zum Schutzder Würde des Menschen.

Mit diesen Grundüberlegungen wird keine konkrete Einzelentscheidungvorweggenommen. Sie dienen vielmehr dazu, Grenzlinien zu markieren,die nicht überschritten werden dürfen, wenn das christliche Menschenbildin seinem Kernbestand nicht gefährdet und der Weg der mit ihm verbun-denen Freiheits- und Emanzipationsgeschichte nicht verlassen werden soll.

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3.5 Kommunikation und kulturelle Herkunft

Individuum, Gemeinschaft,Kultur

So individuell menschliche Selbst- und Weltbilder einerseits sind, so sehrsind sie doch zugleich Ausdruck der Gemeinschaft und Kultur. An allenMedien läßt sich diese Zweipoligkeit von Individuum und Gemeinschaftfeststellen. Auch wenn Menschen sich in gemeinsamer Sprache ver-ständigen, so verwendet und hört doch jeder dasselbe Wort individuell.Jedes Bild, auch wenn es etwas auf ganz eigensinnige Weise zum Aus-druck bringt, lebt immer auch aus einem gemeinschaftlich geteilten Motiv-zusammenhang. Die Pflege der gemeinsamen Kultur und die Förderungindividueller Lebensmöglichkeiten sind deshalb eng verschränkt. Kommu-nikation ist immer in eine Herkunftsgeschichte und in eine Kultur ver-woben.

Jede Form öffentlicher Kommunikation kann deshalb daraufhin befragtwerden, ob sie dazu beiträgt, die sie ermöglichenden Voraussetzungen zuerhalten und zu fördern, oder ob sie sie untergräbt und zerstört. Das gilt inbesonderer Weise für die Freiheitsrechte, die in einem mühsamen Kampfum das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit erstrittenwurden. Sie bilden heute die Grundlage für die modernen Medien.

Demokratie setzt freie Meinungs-bildung voraus

Diese Voraussetzungen für eine offene Kommunikation im Geist der Frei-heit und unter Achtung der Würde eines jeden Menschen ermöglichtenwesentlich den Aufbau der parlamentarischen Demokratie. Diese Staats-form ist in ihrer Existenz angewiesen auf vielseitig informierte Bürgerin-nen und Bürger und auf eine freie Meinungsbildung. Stärke und Entwick-lungskraft der parlamentarischen Demokratie ergeben sich auch daraus,daß eine Vielzahl von konkurrierenden Überzeugungen öffentlich mitge-teilt werden kann. Deshalb haben die Massenmedien eine hohe Bedeutungfür den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft. Die Sicherung von Viel-falt und differenziertem Informationsstand bei möglichst vielen Bürge-rinnen und Bürgern ist aus dieser Perspektive ein wichtiges ethisches Ziel.

Medienethik und Markt-wirtschaft

Trotz der Zwänge, die sich aus der Steuerung des Medienbereichs überMarktmechanismen ergeben, gilt diese ethische Zielvorstellung nach wievor und darf nicht anderen Interessen geopfert werden. Die Medien sinddaraufhin zu befragen, inwieweit sie zum Erhalt ihrer eigenen Vorausset-zung beitragen. Dynamische Marktwirtschaften fordern nicht nur stabilepolitische Rahmenbedingungen, sondern auch ein hohes Maß an Reflexitätund Flexibilität der auf den Märkten Handelnden. Marktwirtschaften be-nötigen geeignete Bildungsangebote, die möglichst viele Menschen mitdiesen Veränderungen vertraut machen. Die Aufklärungs- und Bildungs-funktion von Medien steht daher in einer Langzeitperspektive nicht im Ge-gensatz zu ihrer Marktorientierung. Die Marktwirtschaft bedarf der soli-den, verläßlichen Information und der urteilsfähigen Bürgerinnen undBürger. Dazu sind Institutionen notwendig, die sich der Pflege der langfri-stigen und übergreifenden Ziele annehmen, die über eine aktuelle Bedürf-nislage hinausgehen.

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Zentrale Frage:Dienen Mediendem Zusammenleben?

Das vorrangige Interesse der Kirche an der Gestaltung der Medien-entwicklung gilt nicht in erster Linie den technischen, politischen und fi-nanziellen Fragen der Medien. Der Zugang zu diesen Aspekten erfolgtvielmehr von der Dimension der Wahrnehmungskultur und der Verant-wortung aus: In welcher Weise prägen die Medien unser Selbst- undWeltverständnis? Fördern oder hemmen sie die Möglichkeiten zur Ent-wicklung von Lebensformen, in denen das Menschsein in all seinen Di-mensionen ernstgenommen wird und verwirklicht werden kann? Dienen sieder Kommunikation von Menschen und dem gesellschaftlichen Zusam-menleben? Von diesen Fragestellungen her werden dann aber ganz kon-krete technische und politische, finanzielle und rechtliche Fragen relevant.

4 HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN4.1 Ethische Orientierungen

Menschenwürde als Maßstab

Dienende Aufgabe der Technik

Die Orientierung der Ethik an der Würde des Menschen bleibt abstrakt,wenn sie nicht umgesetzt wird in die konkreten Handlungsfelder. EineEthik der Medien setzt bei den handelnden Menschen ein. Das sind sowohldie Mediennutzerinnen und Mediennutzer als auch die Medienschaffendenund die politisch und unternehmerisch Verantwortlichen. In die anthropo-logische Perspektive müssen die Lebensformen und Institutionen, in denengehandelt wird, einbezogen werden. Eine realistische Medienethik mußdaher auch Strukturfragen der Medienorganisation in Betracht ziehen.

Jede Technik hat eine dem Menschen und der Gemeinschaft dienende Auf-gabe. Bei den Medien- und Kommunikationstechniken ist dies in besonde-rer Weise der Fall, weil sie durch eine Veränderung der Realitätswahr-nehmung das Bild des Menschen von sich selbst und von seiner Umweltnachhaltig beeinflussen. Nicht nur für die eigene Lebensorientierung, son-dern auch für das Zusammenleben in der Gesellschaft und unter den Völ-kern haben die Medien- und Kommunikationstechniken eine entscheidendeBedeutung. Aus diesem Grund muß ihre Gestaltung so weiterentwickeltwerden, daß die Chancen dieser Technologien für den einzelnen und dieGesellschaft genutzt werden können. Im folgenden werden ethische Ori-entierungspunkte genannt, die sich an der Frage nach der Bewahrung derWürde des Menschen im Prozeß der medialen Kommunikation ausrichten.

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Ethische Orientierungen • Die den Menschen dienende Funktion der Medien und der öffentlichenKommunikation wird geschwächt, wo die Medien nicht zur Orientie-rung und Identitätsbildung verhelfen, sondern Ansätze von Desintegra-tion und Desorientierung verstärken. Dementsprechend müssen jene In-strumente der medialen Kommunikation gefördert und ausgebaut wer-den, die der Orientierung, der Aufklärung, der Selbstvergewisserungund Verständigung der Menschen dienen. Angesichts der größer wer-denden Menge von Informationen und der globalen Ausweitung desWahrnehmungshorizonts gewinnt die journalistische Arbeit an Bedeu-tung, welche die Fülle der Informationen für den Einzelnen in seinemLebensbereich strukturiert, verstehbar macht und so verantwortlichesHandeln erst ermöglicht.

Selbständigkeit und Eigenverant-wortung stärken

• Die den Menschen dienende Funktion der Medien und der öffentlichenKommunikation ist in Gefahr, wo Menschen nicht mehr selbstbe-stimmt, sondern außengeleitet und fremdbestimmt handeln. Demgegen-über müssen Wege gefunden und Formen entwickelt werden, auf demimmer komplexer werdenden Feld der Kommunikation Selbständigkeitund Eigenverantwortung sowie die Kompetenzen im Umgang mit denMedien zu stärken.

Privilegien abbauen und Zu-gangsgerechtigkeit schaffen

• Medien und öffentliche Kommunikation verlieren ihre den Menschendienende Funktion, wo Einzelinteressen dominieren und Machtoligo-pole entstehen. Demgegenüber geht es darum, Transparenz und Be-grenzung von Medienmacht zu sichern, Privilegierungen abzubauenund Zugangsgerechtigkeit zu schaffen. Die Medien- und Kommunika-tionssysteme dürfen nicht so gestaltet werden, daß sie einer Monopol-bildung von wirtschaftlicher und politischer Macht, von Informationund Technologie Vorschub leisten.

Ethische Normierung und recht-liche Steuerung ermöglichen

• Die den Menschen dienende Funktion der Medien und der öffentlichenKommunikation gerät in Gefahr, wo die Mediensysteme eine schwersteuerbare Eigendynamik entwickeln. Wenn z.B. globale Kommunika-tionsnetze mit einem anarchischen Freiheitspotential entstehen, sollteein doppeltes Ziel erreicht werden: Es muß der freie Zugang für einemöglichst große Zahl von Menschen und ihre eigenverantwortlicheTeilnahme gesichert werden; die Vernetzung dieser Systeme darf ande-rerseits nicht so gestaltet werden, daß in ihnen nicht mehr verantwort-lich gehandelt werden kann und sie sich einer ethischen Normierungund rechtlichen Steuerung entziehen.

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Würde und Intimität respektieren • Die Medien und die öffentliche Kommunikation verlieren ihre lebens-dienliche Funktion, wo Menschen zum Objekt eines öffentlichenVoyeurismus gemacht werden, wo bei der Darstellung von Gewalt dieLeiden des Opfers ausgeblendet , aber die Lust an der Tat und die Per-spektive des Täters dominieren. Demgegenüber gilt es, die Würde undIntimität der Menschen zu respektieren, sie in ihrer Verletzlichkeit zuschützen und ein realistisches Bild vom Zusammenleben zu vermitteln,das zur Verständigung und zu einer Reduktion von Gewalt führt.

Internationale Kommunikations-gerechtigkeit

• Die lebensdienliche Funktion der Medien und der öffentlichen Kom-munikation ist gefährdet, wo die Medien nur im Interesse der industria-lisierten Welt weiterentwickelt werden und die Länder der Zwei-Drittel-Welt ihre Rechte und Chancen auf eine eigenständige öffentlicheKommunikation nicht nutzen können. Es müssen Wege und Instru-mente gefunden werden, die Möglichkeiten der Medien- und Kommu-nikationstechniken für die Entwicklung einer internationalen Kommu-nikationsgerechtigkeit und für die Verständigung unter den Völkern zunutzen.

Die Gestaltung der Medien- und Kommunikationstechniken ist wegen ihrergroßen Bedeutung für die politische und soziale Kultur einer Gesellschafteine Gemeinschaftsaufgabe, an der sich möglichst viele Gruppen und ein-zelne Bürgerinnen und Bürger beteiligen sollten.

An diesen ethischen Orientierungspunkten richten sich die nachfolgendenHandlungsempfehlungen aus. Dabei lassen sich die beschriebenen Ambi-valenzen der Medienentwicklung nicht mit einfachen Rezepten auflösen.Von der Grundorientierung der Kirchen her, die Medien als ”Instrumenteder sozialen Kommunikation” im Dienst der Menschen, ihrer Würde undihres Zusammenlebens zu verstehen, müssen Möglichkeiten gefunden wer-den, die Chancen für die Entwicklung der öffentlichen Kommunikation zunutzen, die Risiken dagegen zu begrenzen.

Herausforderung für die Bil-dungsarbeit

Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten sind zunächst eine Her-ausforderung für die Bildungsarbeit. Menschen müssen die Möglichkeiterhalten, Kompetenzen im Umgang mit den Medienangeboten zu erwer-ben, damit sie daraus für ihr Leben einen möglichst hohen Nutzen ziehenkönnen und für ethisch bedenkliche Folgen sensibel werden.

Journalistinnen und Journalisten und andere Medienschaffende haben alsVermittler von Information und Unterhaltung eine besondere Aufgabe undVerantwortung. Sie gestalten die Inhalte der Medien und prägen damit dieVorstellungen, Wertorientierungen und Weltbilder der Menschen mit.

Der Wert von Selbstregulierungund öffentlicher Kontrolle

In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft haben Formen der Selbst-regulierung und der öffentlichen Kontrolle einen hohen Stellenwert; siesollten gestärkt und weiterentwickelt werden. Das Zusammenspiel vonMaßnahmen der Selbstregulierung und der Ordnungspolitik ist für dieOrganisation des Rundfunks sowie für die Sicherung von Schutzrechtenfür jeden einzelnen von zentraler Bedeutung. Die rechtliche Absicherungvon öffentlich-rechtlichen Institutionen, die Transparenz von Strukturenund die Stärkung der individuellen Rechte haben dabei eine besondereFunktion.

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Rechte und Partizipation derEntwicklungsländer

Die politische Gestaltung der Kommunikationsmedien muß in einem glo-balen Zusammenhang gesehen werden, der auch die Rechte und Parti-zipationsmöglichkeiten der Entwicklungsländer einschließt. Gerade hier istdie Wahrnehmung der Chancen, welche die neuen Kommunikationsmedienbieten, abhängig von den rechtlichen, politischen und ökonomischenStrukturen und ist die Gefahr eines weiteren Auseinanderklaffens der Ent-wicklung besonders groß.

Verantwortung der Kirchen Nicht zuletzt sind die Kirchen selbst als Teil der Gesellschaft in ihremHandeln von den Veränderungen der Medien betroffen. Sie sind herausge-fordert, sich sowohl mit Beiträgen an der konkreten Gestaltung der demo-kratischen Medien- und Kommunikationsordnung zu beteiligen, als auchneue technische Möglichkeiten im Rahmen ihrer eigenen Publizistik zunutzen.

Die angesprochenen Bereiche stehen untereinander in einem engen Zu-sammenhang. Die Bürgerinnen und Bürger sowie alle Gruppen in der Ge-sellschaft sollten sich an der Ausgestaltung einer menschengerechten Me-dienordnung beteiligen. Die folgenden Handlungsempfehlungen bietendafür Orientierungen.

4.2 Bildung

Medienkompetenz als Bildungs-aufgabe

Die Massenmedien sind Teil der Lebenswirklichkeit jedes Menschen. Siesind ein wichtiger Sozialisationsfaktor, prägen die Weltwahrnehmung unddas Bewußtsein von Menschen, verschaffen oder verstellen Zugang zuBildung, Information und Kommunikation. Damit wird der kompetenteUmgang mit den vielfältigen Medienangeboten seinerseits zu einer zentra-len Bildungsaufgabe: Es gilt sowohl den technisch-instrumentellen Um-gang mit den Medien und Kommunikationsangeboten als auch die Gesetz-mäßigkeiten und Arbeitsweisen der jeweiligen Medien zu erlernen, um dieeinzelnen Angebote selbst in kritischer und ethisch verantwortbarer Weiseerstellen, beurteilen und nutzen zu können. Diese Aufgabe ist um so wich-tiger, je mehr die Bedeutung anderer Steuerungsmöglichkeiten im Zuge derDeregulierung schwindet.

FolgerungenUmgang mit Medien vomKindergarten an lernen

1. Der Erwerb von Kompetenz im Umgang mit dem Medienangebot wirdzu einer Aufgabe lebenslangen Lernens. Der Umgang mit Medien mußdeshalb zu einem integrierten Teil jeder Bildungsarbeit werden. Es gibt inder Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von Bildungseinrichtungen,darunter einen großen Teil auch in kirchlicher Trägerschaft. Sie alle sindaufgefordert, sich dieser Herausforderung zu stellen. Die kreative Arbeitmit Medien sollte trotz früherer Mißerfolge bereits im Kindergarten anset-zen. Begleitend dazu sind vor allem Hilfs- und Beratungsangebote fürEltern auszubauen und zu qualifizieren. Die Medienarbeit muß fortgeführtwerden in der Schule, in den Einrichtungen der Jugendarbeit, der Erwach-senenbildung und der Seniorenarbeit. Neben der Kompetenz im Umgangmit Medien sollte in den Bildungseinrichtungen die Fülle der menschlichenKommunikationsfähigkeiten entwickelt und gefördert werden.

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Wissenskluft vermeiden 2. In allen Bildungsbereichen müssen Maßnahmen gegen eine sich ab-zeichnende Wissenskluft zwischen Informationsreichen und In-formationsarmen unternommen werden. Die Bildungsarbeit ist auf-gefordert, sich um die Medienkompetenz insbesondere der jungen und altenMenschen in benachteiligten sozialen Milieus zu kümmern.

Umgang mit Texten 3. Neben dem Erlernen eines qualifizierten Umgangs mit visuellen Medi-en bedarf die Förderung der Kulturtechniken des Lesens und des Schrei-bens einer besonderen Pflege. Die Kompetenz im Umgang mit Texten istvon zentraler Bedeutung für den kritischen Umgang auch mit anderenMedienangeboten.

Medienethik zwischen Euphorieund Skepsis

4. Bildungsarbeit und Medienpädagogik sind aufgefordert, auf die ethi-sche Dimension der Medienentwicklung aufmerksam zu machen und Zielewie Methoden ethischer Orientierung zu vermitteln. Die Medienpädagogikmuß über die Einflußmöglichkeiten der Mediennutzerinnen und Me-diennutzer auf die Medienangebote informieren und sie dazu befähigen,diesen Einfluß auch wahrzunehmen. Den häufig allzu emphatisch ange-botenen Medienprodukten gegenüber sollte bei den Verbrauchern einenüchterne Grundskepsis ermöglicht werden. Dies gilt besonders für denUmgang mit inzwischen immer leichter manipulierbaren Bildern.

Pädagogische Konzepte 5. Es bedarf nicht nur einer Ausstattung von Schulen mit multime-diafähigen Geräten und Anschlüssen an die internationalen Kommu-nikationsnetze. Dringlich ist vor allem die Entwicklung pädagogischerKonzepte für den Einsatz der neuen Medien im Bildungsbereich. Ebensomüssen die Pädagoginnen und Pädagogen in diesen Bereichen intensiv aus-und weitergebildet werden.

Medientechniken verbessernBildungsangebot

6. Die neuen Medientechniken sind selbst für die Verbesserung der Bil-dungsarbeit zu nutzen. Sie bieten die Voraussetzung für einen leichterenZugang zu Bildungsangeboten und schaffen die Möglichkeit, die Aufbe-reitung von Lerninhalten didaktisch zu verbessern.

Bezahlbarer Zugang für alle 7. Auf dem expandierenden Medienmarkt muß ein für alle er-schwinglicher Zugang zu den Informationen geschaffen werden, die für dieBewältigung des Alltags, die Wahrnehmung von Grundrechten und dieaktive Teilhabe am öffentlichen Leben unentbehrlich sind. Notwendig sindöffentliche Zugänge zu Informationsnetzen. In öffentlichen Einrichtungensollten allgemein zugängliche Recherchestationen (Terminals) aufgebautwerden, die kostenlos bzw. gegen geringes Entgelt die Angebote elektroni-scher Online-Kommunikation bereitstellen.

4.3 Journalismus und andere Medienberufe

Die Veränderungen der Mediengesellschaft stellen die Berufsgruppe derJournalistinnen und Journalisten und alle anderen in den Medien Tätigenvor neue Herausforderungen. Sie sind sowohl die Träger als auch die Be-troffenen der Veränderungen. Ihre Aufgaben und die Grundsätze ihrerArbeit müssen darum stets neu reflektiert werden.

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FolgerungenPressekodex mußfortgeschrieben werden

1. Durch Auswahl, Gewichtung und Kommentierung von Nachrichtenhaben Journalisten erheblichen Einfluß auf die Meinungsbildung der Bür-gerinnen und Bürger. Die dafür maßgebenden ethischen Normen und Ver-haltensregeln sind in den ”Publizistischen Grundsätzen” (Pressekodex) desDeutschen Presserats sowie in Redaktions-Richtlinien zusammengefaßt.Da die Veränderungen der Medien jedoch stets neue Fragen aufwerfen, istder fortgesetzte berufsethische Dialog in einer möglichst breiten Öffent-lichkeit unerläßlich.

Auch kirchliche Angebote zurAus- und Fortbildung

2. Für den Journalistenberuf gibt es in Deutschland keine allgemeinver-bindlichen Ausbildungsrichtlinien. Es gibt immerhin die Tarifverträge zurVolontärsausbildung, die fortzuschreiben sind. Daher haben die Aus- undFortbildungsangebote der Verlage, der Sendeanstalten, der Berufsverbändesowie universitärer und sonstiger Einrichtungen Bedeutung. Die Kirchenmüssen weiterhin mit eigenen Angeboten der Aus- und Fortbildung ihrenBeitrag leisten und Verantwortungsbewußtsein für die Aufgabe, für dieQualität der Arbeit und insbesondere für die ethischen Fragestellungenfördern.

Innerredaktionelle Selbstkontrolle 3. Zensur steht im Gegensatz zum Grundrecht der Meinungs- und Pres-sefreiheit (Art. 5 GG). Um so wichtiger sind gegenseitige Kritik und Kor-rektur innerhalb der jeweiligen Redaktionen. Wünschenswert sind daherauch institutionalisierte Formen innerredaktioneller Selbstkontrolle.

Kostendruck gefährdet journali-stische Arbeit

4. Durch den Kostendruck und die Einführung von computergestütztenSystemen in Redaktion und Produktion sowie durch ein einseitig am wirt-schaftlichen Erfolg orientiertes Verlegerinteresse übernehmen Journali-stinnen und Journalisten zunehmend technische Aufgaben (z.B. beimGanzseitenumbruch, in Selbstfahrerstudios oder als Videoreporter). Es istzu befürchten, daß auf diese Weise die eigentliche journalistische Arbeit,etwa von Recherche, Aufbereitung des Materials oder Kommentierung,hinter der technischen Arbeit zurückfällt. Alle Beteiligten sollten den be-denklichen Folgen einer solchen Entwicklung zu begegnen versuchen.

Beteiligung am medienethischenDialog

5. Journalistinnen und Journalisten sowie andere Medienschaffende müs-sen selbst Folgen ihres Handelns reflektieren; sie dürfen ihre Verantwor-tung nicht auf die Mediennutzerinnen und -nutzer abwälzen. Sie sind nichtverantwortlich für den Gegenstand ihrer Berichterstattung, wohl abersollten sie die absehbaren Folgen der Art ihrer Darstellung bedenken. Dar-um sind sie aufgefordert, sich an einem medienethischen Dialog in derGesellschaft zu beteiligen.

4.4 Gesellschaftliche Selbstregulierung

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Neue Gegebenheiten erfordernneue Regulierungen

Die verantwortliche Gestaltung gesellschaftlicher Bereiche durch die be-teiligten Gruppen ist ein wesentliches Element der freiheitlich demokrati-schen Ordnung. Dies kommt auch im Bereich der Medien zum Ausdruck.Hier sind die bestehenden Formen der Selbstregulierung und Selbstkon-trolle zu stärken und im Blick auf die Erfordernisse der neuen Medien-techniken auszubauen. Die Abnahme ordnungspolitischer Steuerungsmög-lichkeiten im nationalen Rahmen macht die Einrichtung und Verbesserungsolcher Verfahren der Selbstregulierung um so dringlicher. Es müssenWege gefunden werden, die Verantwortung von Medienschaffenden für dieFolgen ihres Handelns sowie die Einflußmöglichkeiten der Mediennutze-rinnen und -nutzer zu stärken.

FolgerungenInstrumentalisierung von Gewaltund Intimität

1. Die Konkurrenz einer Vielzahl von Medienangeboten um die Gunstder Zuschauer, Hörer und Leser hat zu einer weiteren Instrumentalisierungvon Gewalt und Intimität zu Zwecken der Unterhaltung geführt. Hier istauf eine Selbstverpflichtung der Anbieter und deren Einhaltung zu drän-gen. Gleichermaßen ist die politische Unterstützung für den Schutz derMenschenwürde zu reklamieren.

Medienethik: GesellschaftlicheVerantwortung

2. Die Herausforderungen der Mediengesellschaft können nur bewältigtwerden, wenn ein breiter gesellschaftlicher Dialog über eine Kommunika-tions- und Medienethik in Gang kommt. Medienethik verlangt einen Pro-zeß gegenseitiger kritischer Verständigung über Form, Inhalt und Rezepti-on von Medien. Das Verantwortungsbewußtsein von Nutzern und Medien-schaffenden muß geweckt und gestärkt werden. Im Bereich der Erziehungzur Medienethik kommt auch den Kirchen eine besondere Verantwortungzu.

Externe und interne Selbst-kontrolle verbessern

3. Es ist zu prüfen, ob die bisherigen Formen der Medien-Selbstkontrollehinreichend sind bzw. ob und wie sie verbessert werden können. Dies giltsowohl für die Richtlinien der Selbstkontrolle (z. B. Pressekodex) als auchfür die Verfahrensregeln und für die Verbindlichkeit, mit der sie befolgtwerden. Das Bewußtsein, daß Selbstkontrolle der Fremdkontrolle zuvor-kommen soll, muß weiter geschärft werden. Außer zur externen Selbst-kontrolle, deren Organe zu optimieren sind (Presserat, Freiwillige Selbst-kontrolle bei Film und Fernsehen, erste Ansätze der Selbstkontrolle beideutschen Internet-Providern), sind die Medien auch zur internen Selbst-kontrolle aufgefordert. Denkbar sind hier - trotz aller Rationalisierung -eine stärkere arbeitsteilige Produktion, Schwellen der kollegialen Prüfungund die Trennung funktionaler Rollen.

Kritische Begleitung unentbehr-lich

4. Es ist unentbehrlich, die Entwicklung der Mediengesellschaft kritischzu begleiten. Darum muß Medienkritik in den verschiedenen Medien einenfesten Platz haben. Solche Kritik soll zur Transparenz beitragen und alsKorrektiv dienen. Auch die Rundfunkveranstalter sind aufgefordert, durcheigene Sendungen die Arbeitsweise ihres Mediums den Zuschauern trans-parent zu machen. Hier haben auch die Medieninformationsdienste derKirchen eine wichtige Funktion.

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Forschung zur Abschätzung vonFolgen und Risiken

5. Die individuellen und sozialen Folgen der Entwicklung der Me-diengesellschaft sollen von einer unabhängigen wissenschaftlichen For-schung untersucht werden, um rechtzeitig die Risiken der Entwicklungerkennen zu können. Die Bundesregierung und die Bundesländer werdenaufgefordert, regelmäßig - mindestens alle zwei Jahre - einen Bericht überdie Entwicklung der Mediengesellschaft vorzulegen, der nicht nur Datenzur wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Entwicklung enthält,sondern die Bereiche Sozialverträglichkeit, Meinungsvielfalt und Ver-antwortlichkeit der Medien einbezieht.

4.5 Ordnungspolitische Regulierung

Die Massenmedien sind für die demokratische Gesellschaft von konstituti-ver Bedeutung. Sie ermöglichen den freien Austausch von Informationenund Meinungen der Bürgerinnen und Bürger. Grundlegend dafür sind dieKommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG, die sich am Leitbild eines freienKommunikationsprozesses orientieren. Um die Freiheit der Meinungsbil-dung auch im digitalen Zeitalter und vor dem Hintergrund eines interna-tionalen Medienmarktes zukünftig zu bewahren, müssen ord-nungspolitische Vorkehrungen getroffen werden.

FolgerungenInformation ist mehr als Han-delsware

1. Die Möglichkeit, die Vermittlung von Information zum Gegenstandeines Wirtschaftsunternehmens zu machen und mit den Medien Gewinnezu erzielen, entläßt die verantwortlichen Anbieter nicht aus der sozialenPflicht, der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung zu die-nen.

Medienmacht gefährdet Mei-nungsvielfalt

2. Der deutsche und der europäische Gesetzgeber müssen Vorkehrungenzur Begrenzung von vorherrschender Meinungsmacht finden und weiter-entwickeln, damit eine möglichst große Vielfalt unterschiedlicher Medien-und Informationsangebote entstehen kann. Auch bei Berücksichtigung derinternationalen Wettbewerbsfähigkeit ist die Medienkonzentration nur in-soweit zu akzeptieren, als sie nicht zu einer Gefährdung von Meinungs-vielfalt führt. Die Festlegung von Grenzwerten (wie z.B. von Marktantei-len, Werbemarktanteilen oder Umsatzanteilen) ist ein gangbarer Weg,wirtschaftliche und publizistische Macht zu begrenzen und dennoch denHandlungsspielraum von Anbietern zu gewährleisten. Cross-Ownershipzwischen unterschiedlichen Diensten ist dabei zu berücksichtigen. Von we-sentlicher Bedeutung wird es sein, diese Regeln gegenüber den Wirt-schaftsunternehmen auch durchzusetzen.

Gegen Monopole bei Pro-grammrechten

3. Die Sicherung der Meinungs- und Medienvielfalt ist nicht allein eineFrage der Besitzverhältnisse bei Rundfunksendern. Sie stellt sich bei denProgrammen und Verwertungsrechten ebenso wie bei den Übertra-gungskapazitäten. Auch in diesen Bereichen müssen geeignete Instrumentebereitgestellt werden, damit es zu keiner Monopolbildung kommt.

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Medienmacht muß transparentsein

4. Wer durch Medien- und Kommunikationsangebote Öffentlichkeit kon-stituiert, muß dieser selbst offen begegnen. Dafür sind Regelungen zurHerstellung von Transparenz notwendig. Die Beteiligungsverhältnisse vonMedienunternehmen und ihre Veränderungen müssen uneingeschränktoffengelegt sein. Ebenso muß die Allgemeinheit darüber informiert wer-den, wenn Lizenzen ausgeschrieben und mit welchen Auflagen sie erteiltwerden.

Zugang für alle Programm-anbieter

5. Die deutsche Gesetzgebung muß für einen gleichberechtigten und dis-kriminierungsfreien Zugang aller lizenzierten Anbieter von Rundfunkpro-grammen zum digitalen Rundfunk sorgen. Jedes Decoder-System sollteeine offene Struktur haben, die jedem Programmanbieter gleiche Konditio-nen bietet. Das für den Pressevertrieb (Pressegrosso) weithin akzeptierteNeutralitätsgebot sollte für die Zufuhr und Einspeisung elektronischerDienste und Programmangebote analog übernommen werden.

Bund, Länder, EuropäischeUnion

6. Die Hoheit für die Rundfunkgesetzgebung liegt nach dem Grundgesetzbei den Bundesländern. Diese Zuständigkeit ist aber durch die technischeEntwicklung (neue Angebote der Telekommunikation wie z.B. Online-Dienste, internationale Vernetzung bzw. grenzüberschreitende Ausstrah-lung von Programmen) zunehmend schwieriger abzugrenzen. Die Fragenach der Regelungskompetenz muß zugunsten der kulturellen Funktiondieser Medien beantwortet werden. Dabei muß ein vernünftiger Interessen-ausgleich zwischen Bund, Ländern und Europäischer Union angestrebtwerden, um die Entwicklung neuer übergreifender Dienste nicht zu behin-dern.

Künstliche Bilder kennzeichnen 7. Die digitale Technik ermöglicht eine für die Zuschauer nicht mehrerkennbare Manipulation von Bildern und Filmen. Die Gesetzgebung istaufgefordert, eine Kennzeichnungspflicht im Informationsbereich für sol-ches Bildmaterial einzuführen, das entweder vollständig künstlich erzeugtist oder das in anderer Weise in seiner Authentizität verändert wurde.

4.6 Rundfunkorganisation

Im Rundfunkbereich sind drei unterschiedliche Formen der Organisationentstanden: Rundfunk in öffentlich-rechtlicher Verantwortung, in privat-rechtlicher Organisation sowie vereinzelt in Offenen Kanälen, Bürgerra-dios und anderen Einrichtungen. Alle drei Bereiche gehören zu einem ent-wickelten Rundfunksystem hinzu und sind weiterzuentwickeln.

Folgerungen

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Öffentlich-rechtlicher Rundfunkfür alle

1. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk spielt für die Meinungsfreiheit undInformationsvielfalt in der bundesdeutschen Gesellschaft eine entscheiden-de Rolle. Der Erhalt dieses im weltweiten Vergleich inzwischen nahezueinzigartigen und für die Gesellschaft der Bundesrepublik bewährten Sy-stems ist unverzichtbar. Im Blick auf die neuen technischen Kommunikati-onsmöglichkeiten muß der öffentlich-rechtliche Rundfunk funktions- undkonkurrenzfähig bleiben. Er ist an den Auftrag der Grundversorgung ge-bunden, alle Programmbereiche abzudecken (Information, Unterhaltung,Bildung) und neue Kommunikationsformen für die Verbraucher zu er-schließen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muß sich den Kommunika-tionsinteressen aller Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sehen. Von ihmwerden erwartet eine Vielfalt der Programme, ein differenziertes und aus-gewogenes Bild der Gesellschaft, das Angebot von massenattraktiven undhochwertigen Programmen, auch wenn diese nur kleinere Nutzerkreiseerreichen, sowie ein sorgsamer Umgang mit den Mitteln aus den Rund-funkgebühren. Ein derartig qualifizierter Anspruch muß in einer medien-und gesellschaftspolitischen Wertschätzung und Förderung Entsprechungfinden.

Besondere Verantwortung fürKinder und Jugendliche

2. Eine besondere Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bestehtin der Profilierung und Sicherung seines eigenen Kinder- und Jugend-kanals, der sich mit qualitativ hochwertigen Sendungen an seine Zielgrup-pe wendet. Darüber hinaus ist bei allen Kinderprogrammen ein hohesQualitätsprofil anzustreben.

Finanzierung des Rundfunks 3. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht für die Erfüllung seinerAufgaben eine angemessene Finanzierung, die sich bislang zum überwie-genden Teil aus Rundfunkgebühren und ergänzend aus Werbeeinnahmenzusammensetzt. Werbefreie Programme bzw. Kanäle werden dem Mandatdes öffentlich-rechtlichen Rundfunks in besonderer Weise gerecht. Sollteseine Finanzierung in der medienpolitischen Diskussion verstärkt in Fragegestellt werden und eine Erhöhung der Rundfunkgebühr politisch nichtdurchsetzbar sein, so ist auch weiterhin für eine Mischfinanzierung zusorgen. Keinesfalls sollte aber die 20 Uhr Grenze für Werbung aufgeho-ben werden. Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk könnte zu-rückgenommen werden, weil hier der Schaden für seine Identität oft größerist als der finanzielle Gewinn (naheliegende Verwechslung mit ”normaler”Werbung).

Rundfunk und Parteipolitik 4. In den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollteder parteipolitische Einfluß verringert werden. Die Anzahl von Vertrete-rinnen und Vertretern aus dem politisch-administrativen Bereich solltereduziert werden.

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Private Anbieter an Grund-standard gebunden

5. Der private Rundfunk ist neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkzu einer tragenden Säule des dualen Rundfunksystems in Deutschlandgeworden. Seine zunehmenden Bemühungen um einen spezifischen Beitragzur Meinungsvielfalt werden anerkannt. Vom privaten Rundfunk ist einMindestmaß an sachgerechter Information und programmlicher Vielfalt zuerwarten (Grundstandard). Die Wahrnehmung der Grundversorgung durchden öffentlich-rechtlichen Rundfunk bietet verfassungsrechtlich die Vor-aussetzung für einen größeren Freiraum bei den Anforderungen an dasProgramm privater Rundfunkveranstalter. Gerade angesichts dieses gro-ßen Freiraums ist ein besonders hohes Maß an Verantwortungsbewußtseinzu fordern. Dementsprechend wird der private Rundfunk auf seine beson-dere Verpflichtung zur Selbstkontrolle hingewiesen.

Offene Kanäle für Meinungs-vielfalt wichtig

6. Neben den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunkanbieternist die Existenz von nichtprofessionellen Programmen zuzulassen undordnungspolitisch abzusichern. Es liegt in der Natur dieser Programme,daß sie nicht aus sich selbst finanziert werden können. Darum müssengeeignete Formen der Finanzierung gefunden werden. Die Länder werdenaufgefordert, die vom Rundfunkstaatsvertrag eröffnete Möglichkeit derFinanzierung nichtkommerziellen Lokalfunks aus der Rundfunkgebühr zunutzen.

Qualität fördern 7. Der Blick für die Qualität von Medieninhalten (Programmen) mußgenerell geschärft werden. Dies sollte auf dem Wege der Prämierung vonaußergewöhnlichen Leistungen und durch stärkere Berücksichtigung derQualitätsfrage in der publizistischen Ausbildung erfolgen. Da die Bemü-hung um Qualität aufwendig ist, sind hierfür von öffentlichen und privatenFörderungseinrichtungen wie auch von den Kirchen Mittel bereitzustellen.

4.7 Schutzrechte

Die individuellen Schutzrechteverstärken

Die Expansion der Medien- und Kommunikationstechniken sowie derzunehmende Wettbewerb der Medien machen die Frage dringlich, wie dieeinzelnen Menschen in ihren Rechten geschützt werden können. Die Medi-enfreiheit hat vorrangig eine dem Menschen und der öffentlichen Mei-nungsbildung dienende Funktion. Es ist darum notwendig, die individuel-len Schutzrechte zu verstärken.

FolgerungenPersönlichkeitsrecht 1. Persönlichkeitsrecht: Trotz fester Verankerung in der deutschen

Rechtsordnung (Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 GG) ist die Durchsetzungdieses Rechts im Medienbereich oft schwierig. Auf dem Medienmarktführte der intensive Wettbewerb vieler Sender um die Zuschauer und Zu-hörer in den vergangenen Jahren immer häufiger zu Tabuverletzungen undNormüberschreitungen besonders im Bereich der Persönlichkeitsrechte.Das Gegendarstellungsrecht sollte vereinfacht und auf die neuen Techni-ken hin fortgeschrieben werden, damit den einzelnen eine wirksame undschnelle Reaktion ermöglicht wird. Neben dem individualrechtlichenSchutz muß auch die Medienordnung so ausgestaltet werden, daß derarti-ge Rechtsverletzungen nicht die Regel werden.

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Datenschutz 2. Datenschutz: Bei der Anwendung der neuen Übertragungs- und Kom-munikationstechniken fällt eine Fülle von personenbezogenen Daten an.Für den Umgang mit diesen Daten müssen klare datenschutzrechtlicheRegelungen gelten. Dabei muß der Grundsatz im Mittelpunkt stehen, daßdie Datenerhebung nur in dem Umfang geschieht, der zur Erfüllungrechtmäßiger Aufgaben notwendig ist. Der Datenschutz bedarf auch dereuropäischen und internationalen Vereinheitlichung, damit im Zeitaltergrenzüberschreitender Netze ein Mindeststandard an Datenschutz ge-währleistet ist. Die Organe zur Sicherung des Datenschutzes müssen denwachsenden Anforderungen angepaßt werden, einschließlich Sanktions-möglichkeiten im Fall von Verstößen. Letztlich müssen die Menschen ent-scheiden können, welche Daten sie von sich in welcher Weise zugänglichmachen. Sie müssen für diese Frage sensibilisiert werden, damit sie selbstbefähigt werden, ihre Privatsphäre zu schützen und dem Mißbrauch vonDaten vorzubeugen.

Jugendschutz 3. Jugendschutz: Kinder und Jugendliche sollen vor Medieninhalten ge-schützt werden, die sich negativ auf ihre geistige, seelische, emotionale,moralische und religiöse Entwicklung auswirken können. Die vorhandenenRegelungen zum Jugendschutz müssen auch den Bedingungen der neuenKommunikationstechniken angepaßt werden. Gewaltverherrlichende, zuRassenhaß aufstachelnde, die Würde des Menschen verletzende, kriegsver-herrlichende oder pornographische Inhalte dürfen auch in Online-Dienstennicht angeboten werden.

In weltweiten Netzen läßt sich nationale Kontrolle nicht mehr ge-währleisten. Im Zusammenspiel mit anderen Ländern sind gemeinsameLösungen anzustreben. Gerade den Eltern kommt im Sinne der Selbstre-gulierung eine noch größere Eigenverantwortung zu. Technische Siche-rungssysteme in Programmen oder Geräten können die Eltern dabei unter-stützen, entlasten aber die Anbieter und Service-Provider nicht von ihrerVerantwortung.

Beachtung verdient ferner die Nutzung von Werbung durch Kinder. BeiSendungen, die überwiegend von Kindern genutzt werden, sollte Werbungnur in einem deutlich beschränkten Maß und mit einer deutlichen, für Kin-der verständlichen Kennung versehen werden, die vermittelt, daß es sichum Werbung handelt. Regelungen sollten werbefreie Zeiten markieren, indenen Kinder besonders viel fernsehen (”Kinderwerbeschutzzeiten”).

Verbraucherschutz 4. Verbraucherschutz: Der Verbraucherschutz muß angesichts der Ent-wicklung von Teleshopping und anderen elektronischen Medien-Dienstleistungen gestärkt werden. Auch bei Online-Diensten muß für dieVerbraucher transparent sein, wann sie rechtlich relevante Handlungen(z.B. Bestellungen) ausführen. Ebenso müssen die Kosten der Nutzung fürdie Nutzer transparent sein, z.B. durch regelmäßige Einblendung der bis-her angefallenen Gebühren.

Der zunehmenden Vermischung von Werbung und Programm muß entge-gengewirkt werden. Die Mediennutzerinnen und Mediennutzer haben einRecht zu erfahren, ob Angebote aus kommerziellem Interesse oder in Er-füllung einer publizistischen Aufgabe vermittelt werden.

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Urheberrecht 5. Urheberrecht: Kreative Arbeit und individuelle wie kollektive geistigeLeistungen müssen auch im Zeitalter allgemeiner Verfügbarkeit und desbeliebigen Transfers von Information und Inhalten urheberrechtlich ge-schützt werden. Das Urheberrecht muß so fortentwickelt werden, daß derBedarf an kreativen Inhalten für die Medien gedeckt werden kann, daß denSchöpfern dieser Angebote aber auch ein fairer Anteil am Erlös zufließt.Eine verstärkte Zusammenarbeit der Verwertungsgesellschaften ist ange-sichts von Multimedia erforderlich.

4.8 Entwicklungspolitik

Die Chancen und Risiken der Mediengesellschaft betreffen nicht nur dieMenschen in den Industriestaaten, sondern auch die Mehrheit der Weltbe-völkerung in den sogenannten Entwicklungsländern. Der gesamte Bereichder Medien- und Informationswirtschaft wird zu einem entscheidendenFaktor für die Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung einer Volkswirt-schaft. Die ohnehin schon bestehende Kluft zwischen Industrieländern undEntwicklungsländern kann sich durch die neuen Kommunikationstechnikennoch vertiefen. Die neuen Techniken können diesen Ländern aber auchhelfen, Zugang zu den weltweit verfügbaren Wissensbeständen zu erlan-gen. Der Gefahr eines weiter wachsenden Nord-Süd-Gefälles gilt es entge-genzuwirken und dagegen die Chancen der Technologien zur Entwick-lungsförderung zu nutzen.

FolgerungenKommunikation als Faktor derEntwicklungspolitik

1. Um die Chancen der Kommunikationstechniken für die Entwick-lungsländer zu nutzen, sind große internationale Anstrengungen notwen-dig, an denen sich auch Deutschland beteiligen muß. Dies ist gerade fürdie Kirchen eine wichtige Aufgabe, für die sie durch ihre weltweiten Ver-bindungen gute Voraussetzungen mitbringen. Die Förderung des Zugangszu neuen Medien- und Kommunikationstechniken muß eine größere Be-deutung in der staatlichen und kirchlichen Entwicklungspolitik erhalten.

Ausbildung fördern 2. Für die informationstechnische Entwicklung ist die Ausstattung mitHard- und Software sowie das zugehörige Know-how von entscheidenderBedeutung. Darum müssen auch der Transfer von Informationstechnologieund die Ausbildung an dieser Technologie eine zentrale Aufgabe von Ent-wicklungspolitik sein. Die bereits vorhandene technologische Abhängigkeitim Hardwarebereich könnte durch die Förderung der Entwicklung eigenerSoftwarefähigkeiten ausgeglichen werden.

Für mehr Kommunikations-gerechtigkeit

3. Medienentwicklungspolitik muß die Medienproduktion im jeweiligenkulturellen Kontext zu fördern versuchen. Die Länder der sog. Zwei-Drittel-Welt brauchen neben den internationalen Angeboten dringend Sen-dungen aus dem eigenen Land. Im Programm der hiesigen Rundfunkan-stalten sollten Produktionen aus diesen Ländern stärker vorkommen.

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Qualifizierte Auslands-korrespondenten

4. Die Berichterstattung über Länder der Dritten Welt ist häufig an Exo-tik und Ethnozentrismus, an Krisen und Katastrophen orientiert. Notwen-dig ist eine Berichterstattung, die Verständnis für Alltag und Lebenssitua-tion in den Entwicklungsländern weckt sowie Hintergründe, Zusammen-hänge und Entwicklungstrends darstellt. Dafür sind gut ausgebildete, mitder Kultur der jeweiligen Länder vertraute Auslandskorrespondentinnenund Auslandskorrespondenten eine Voraussetzung.

Recht auf Kommunikation 5. Für den Bereich der Massenmedien und der neuen Informations- undKommunikationsdienste sind internationale Vereinbarungen notwendig, dieden Ländern der sogenannten Zwei-Drittel-Welt die Wahrnehmung ihresRechts auf Kommunikation ermöglichen.

4.9 Kirche

Verantwortung für Würde undFreiheit

Wegen ihres Auftrags für den Menschen und das Zusammenleben in derGesellschaft müssen sich die Kirchen den Herausforderungen der Medien-gesellschaft in besonderer Verantwortung stellen. In dem gleichen Maße,wie die Kirchen Forderungen an die Gestaltung der Medien richten, sindsie auch selbst von diesen Verpflichtungen betroffen. Von ihnen solltennachhaltige Impulse für die Wahrnehmung der Verantwortung für dieWürde und die Freiheit der Menschen in der Mediengesellschaft ausgehen.Die Massenmedien sind für die Kirche zudem eine wichtige Möglichkeitder Kommunikation mit ihren Mitgliedern wie auch mit der Gesellschaftinsgesamt. Die Kirchen und ihre Einrichtungen müssen ihre eigene Medi-enarbeit verbessern und den technischen Entwicklungen sowie den sozialenAnforderungen anpassen, damit sie die Chancen der Mediengesellschaftnutzen und deren Risiken vermindern können.

FolgerungenQualität erfordert Finanzmittel 1. Kirchliche Publizistik muß sich an den Maßstäben technischer und

publizistischer Professionalität messen lassen. Den Gliedkirchen und Di-özesen wird empfohlen, ihre eigene Medienarbeit in einem publizistischenKonzept auf die Erfordernisse der Mediengesellschaft auszurichten. Ent-sprechend der umfassenden Bedeutung der Massenmedien für die gesell-schaftliche Kommunikation und die Information der einzelnen müssen dieKirchen für ihre Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit die notwendigenfinanziellen Mittel bereitstellen.

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Für eine Orientierung am Ge-meinwohl

2. Die Kirchen leisten als Teil der Gesellschaft ihren Beitrag für denErhalt und die Funktionsfähigkeit der Medien als Faktoren sozialer Kom-munikation: in Aus- und Fortbildung von Journalistinnen und Journalisten,in der Medienpädagogik, in der Programmförderung und einem medienpo-litischen Engagement, das die Gemeinwohlorientierung der Medien zumZiel hat. Diese Aufgaben der Qualifizierung von Medienschaffenden undMediennutzenden, der Förderung von Programmqualität und der Wahr-nehmung anwaltschaftlicher Funktionen in der Medienpolitik werden imÜbergang zur Informationsgesellschaft erheblich an Bedeutung zunehmen.Auch bei knapper werdenden finanziellen Möglichkeiten müssen die Kir-chen einen qualifizierten Beitrag für eine menschengerechte Kommuni-kation in der Gesellschaft leisten.

Printmedien und elektronischeMedien ergänzen sich

3. In der Verantwortung für die Tradition einer ”Buchreligion” sind dieKirchen in besonderer Weise der Wortkultur verpflichtet. Das Verhältnisvon Buchstabe und Geist, von Wort und Bild bedarf angesichts der enor-men Ausweitung der elektronischen Medien einer intensiven Aufmerksam-keit und Pflege. Die Kirchen müssen sowohl Wege finden, ihre Printme-dien so zu organisieren, daß Qualität und Überlebensfähigkeit gesichertwerden, als auch die Möglichkeiten der elektronischen Medien wahrneh-men und nutzen.

Kirche und neueProgrammformen

4. Die Kirchen sollten im Hinblick auf das Entstehen von neuen Pro-grammformen in Hörfunk und Fernsehen (z.B. Spartenprogramme) eigeneAngebote weiterentwickeln und in den Programmen plazieren können.Dies sollte in Abstimmung mit dem Engagement der Kirchen im etablier-ten dualen Rundfunksystem und im Rahmen eines publizistischen Gesamt-konzepts der jeweiligen Kirche geschehen.

Neue Medientechniken nutzen 5. Die kirchliche Medienarbeit muß sich auf eine neue Generation vonMediennutzern einstellen, für die der Umgang mit neuen Medientechnikenganz selbstverständlich sein wird. Die Kirchen werden aufgefordert, auchdie interaktiven Medien für die Aufgabe der ”Kommunikation des Evan-geliums” zu nutzen.

Medieninformation und -kritikverstärken

6. Die bestehenden Angebote von Medieninformation und Medienkritik(Fachinformationsdienste, Fachzeitschriften und Nachschlagewerke etc.)beider Kirchen sollen ausgebaut und verstärkt werden, da sie anerkann-termaßen unabhängige und kritische Informationen liefern, Verflechtungenin der Medienlandschaft transparent machen und konsequent medienethi-sche Positionen vertreten.

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Medienethische Diskussion in derGesellschaft fördern

7. Die Kirchen und ihre Einrichtungen (Akademien und Medien-einrichtungen) sollen sich intensiv an der Diskussion um Herausfor-derungen der Mediengesellschaft beteiligen. Wege zur Begrenzung be-denklicher Folgen (Informationsüberflutung, Wissenskluft, Ori-entierungslosigkeit) sind zu entwickeln, die Chancen der Medienge-sellschaft für die Kommunikation von Menschen sind kreativ zu fördern.Die Kirchen und ihre Einrichtungen haben die Aufgabe, die medienethi-sche Debatte in der Gesellschaft anzustoßen und zu fördern. Auf dieseWeise soll das Verantwortungsbewußtsein bei Medienschaffenden, in derMedienpolitik und bei Mediennutzerinnen und Mediennutzern gestärktwerden.

Die Kirchen erkennen es als eine wichtige Aufgabe, diesen Prozeßweiterhin durch die Bereitschaft zur Diskussion und mit Vorschlägenzur Gestaltung zu begleiten. Gerade wegen der Schnelligkeit der Me-dienentwicklung sehen sie sich herausgefordert, in naher Zukunft diesegemeinsame Erklärung zur Mediengesellschaft fortzuschreiben. Ange-sichts der technischen und ökonomischen Veränderungen bleibt dieAufgabe, die Medien als Instrumente der sozialen Kommunikation inden Dienst der Bürgerinnen und Bürger zu stellen, der Gefahr derSelbstentfremdung der Menschen untereinander und dem Orientie-rungsverlust zu wehren sowie der Einschränkung der Informations-vielfalt und Meinungsfreiheit entgegenzuwirken.

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Zur Vorbereitung der Gemeinsamen Erklärung zur Mediengesellschaft wurde eine Arbeitsgruppe beru-

fen. In ihr haben mitgearbeitet:

Dr. Ernst Emrich, Gilching

Direktor Hans Norbert Janowski, Frankfurt/M.

Dr. Monika Künzel, Köln

Direktor Horst Marquardt, Wetzlar

Weihbischof Friedrich Ostermann, Münster (Vorsitzender)

Peter Schilder, Eschborn

Professor Dr. Winfried Schulz, Nürnberg

P. Dr. Wolfgang Seibel SJ, München

Kirchenpräsident Professor Dr. Peter Steinacker, Darmstadt (Vorsitzender)

Professor Dr. Klaus Tanner, Dresden

Dr. Beatrice von Weizsäcker, Berlin

Professor Dr. Jürgen Wilke, Mainz

Geschäftsführung/Koordination:

Dr. Christoph Bruns, Hannover

Dr. Martina Höhns, Bonn

Dr. Reinhold Jacobi, Bonn

Oberkirchenrat Robert Mehlhose, Hannover