Knütter, Hans Helmut - Die Faschismus-Keule

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Transcript of Knütter, Hans Helmut - Die Faschismus-Keule

  • Hans-Helmuth Kntter

    Die Faschismus-Keule Das letzte Aufgebot der deutschen Linken

    Ullstein

  • Ullstein Report Ullstein Buch Nr. 36618 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin

    Originalausgabe

    1993 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin Alle Rechte vorbehalten Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann Herstellung: Ditmar Bernhardt Gesamtherstellung: Ebner Ulm ISBN 3 548 36618 X

    Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff

    Die Deutsche Bibliothek -CI P-Einheitsaufnahme Kntter, Hans-Helmuth: Die Faschismus-Keule: das letzte Aufgebot der deutschen Linken / Hans-Helmuth Kntter. - Orig.-Ausg. - Frankfurt/M; Berlin: Ullstein, 1993

    (Ullstein-Buch; Nr. 36618; Ullstein-Report) ISBN3-548-36618-X

    NE:GT

  • Inhalt

    Vorwort 7

    Faschismus und Antifaschismus 13

    Nach dem Ende der DDR 24

    Die extreme Linke und Antifa 41

    Deutsche Einheit und Antifaschismus 55

    Antifaschismus und Intellektuelle 61

    Rechtsextremismus und Deutschfeindlichkeit in der DDR 74

    Antifaschismus in der SBZ und in der DDR 1945-1952 94

    Antifaschismus in der Innen- und Auenpolitik 1952-1989 110

    Eine gesamtdeutsche Klammer 131

    Grenzen des Antifaschismus - Chancen des Antitotalitarismus 150

    Anmerkungen 161

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  • Dokumente 175

    Dokument 1 Tips und Trix fr Antifas 177

    Dokument 2 Flugblatt: Wer Nazis nachgibt... 194

    Dokument 3 Flugblatt: Die Brandstifter sitzen in Bonn 195

    Dokument 4 Flugblatt: Entlarvt die Wegbereiter des Faschismus 197

    Abkrzungsverzeichnis 198

    Literaturverzeichnis 200

    Personenregister 204

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  • Vorwort

    Die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Sozia-lismus 1989 bis 1991 wurden von der Linken als Niederlage empfunden. Die Gewiheit, in bereinstimmung mit den hi-storischen Gesetzmigkeiten zu handeln, wurde durch diese Ereignisse erschttert. Durch die Thematisierung der kom-munistischen Verbrechen bestand zudem die Mglichkeit, da die Annherung, die das politische Establishment der Bundesrepublik und groe Teile der Medien lange Zeit mit den Linksauen-Krften praktizierten, aufgehoben wrde.

    Es gab Hoffnungszeichen dafr, da die der CDU, FDP und SPD nahestehenden Meinungsfhrer in Wissenschaft und Politik, die ber Jahre hinweg den real existierenden Sozia-lismus anerkannt und sich an ihn angenhert hatten, nun verstrkt auf Distanz zur extremen Linken gingen. Die An-erkennung der Realitten war nun auf einmal nicht mehr zeitgem. Die Einheitsfront der fortschrittlichen Krfte, die in den Kampagnen gegen Berufsverbote und Nachr-stung ihre Wirksamkeit so berzeugend bewiesen hatte, schien gefhrdet. In dieser Situation kamen die Wahlerfolge rechter und rechtsextremer Parteien und die Anschlge ge-gen Auslnder fr Teile der Linken wie gerufen. Man besann sich auf eine alte, aber sehr wirksame Bndnis- und Propa-gandastrategie, nmlich den Antifaschismus.

    Der Antifaschismus hat gegenber frheren Jahrzehnten an theoretischem Gehalt verloren. Faschismustheorien spie-len seit 1989/90 im Linksextremismus keine Rolle mehr. Eine Verengung auf antifaschistische Schlagworte (Antiras-sismus, Antisexismus, Gegnerschaft gegen Auslnderfeind-lichkeit) ist zu beobachten. Die aktionistische Komponente

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  • hat im gleichen Ma zugenommen wie die theoretische an Bedeutung verloren hat. Ungeistigkeit und Aktionismus ge-hen insofern Hand in Hand, als Aktionismus Bedenkenlosig-keit voraussetzt. Je primitiver, desto hemmungsloser. Intel-lektualitt schafft Bedenken.

    Diese Einschtzung mu notwendigerweise zu der Folge-rung fhren, da ein aktionistisch-anarchistischer Antifa-schismus wegen seiner Primitivitt doch eigentlich unge-fhrlich sei. Dies war richtig - der Antifaschismus wird keinen Erfolg haben, wohl aber Wirkung zeitigen. Seine Be-deutung gewinnt er durch die Werteunsicherheit seiner Geg-ner, deren Schwche und Opportunismus dem Antifaschis-mus eine Bedeutung verschaffen, die ihm von der Substanz her nicht zukommt.

    Besonders betrblich ist der Opportunismus der etablier-ten politischen Krfte, die immer wieder behaupten, den Ex-tremismus von links und rechts gleichermaen zu bekmp-fen. Zwar hat der Rechtsextremismus seit 1989/90 an Bedeutung zugenommen, aber nicht, weil er in politischer, organisatorischer und ideologischer Hinsicht strker gewor-den wre, sondern weil der Linksextremismus an Gewicht und Einflu zunchst verloren hatte. Nach wie vor ist der Rechtsextremismus konzeptionell schwach und gesellschaft-lich gechtet. Insbesondere in Kreisen der Medien-Intellek-tuellen, die mit dem Anspruch der Meinungsfhrerschaft auftreten. Anders verhlt es sich mit dem Linksextremismus. Trotz der Pleite von 1989/91 ist er besser organisiert, in mei-nungsfhrenden Teilen der Gesellschaft anerkannt. Vor allem dann, wenn er hedonistisch, antistaatlich und antifa-schistisch auftritt, ideologisch durch den Antifaschismus ge-gen Kritik immunisiert. Das Netzwerk der Sympathisanten reicht bis in die etablierten Parteien und Medien, Schulen und Universitten hinein. So gesehen ist der Linksextremis-

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  • mus trotz des schweren Rckschlages, den er 1989/91 erlit-ten hat, nach wie vor gefhrlicher. Es ist kurzsichtig, den Blick ausschlielich auf den (relativen) Anstieg des Rechts-extremismus seit 1990 zu richten. Er verdankt nicht ihm seine Strke, sondern der Schwchung seiner Feinde. Wenn es zutrifft, da die Zahl rechtsextremer Gewalttaten die der linken bersteigt, darf doch nicht bersehen werden, da vor 1989 die Linksextremen mindestens zwei Jahrzehnte lang das Monopol auf dem Gebiet der politischen Kriminalitt hatten. Jene, die bei der Bewltigung der nationalsozialisti-schen Vergangenheit gerne von Verdrngung reden, ver-drngen diese Tatsache selbst.

    Der Opportunismus der CDU/CSU ist fr diese Situation mitverantwortlich. Gebannt starrt die Union auf die rechte Konkurrenz, die ihr weitere Whler abwerben knnte. Des-halb bekmpft sie voller Konkurrenzangst alle rechten und rechtsextremen Parteien, was zustzlich noch den Nebenef-fekt hat, Angriffen auf die CDU/CSU wegen eigener Rechts-tendenzen entgegentreten zu knnen. Die Linksextremen stellen fr die CDU/CSU keine Konkurrenz um Whlerstim-men dar. So fordert man zwar das Verbot der kurdischen PKK, unternimmt aber nichts. Deren Anhnger drfen ohne-hin nicht whlen. Auf diese Weise werden bestenfalls kurz-fristige taktische Erfolge erzielt. Zugleich aber wird der Linksextremismus verharmlost und erscheint als weniger ge-fhrlich, ja sogar als akzeptabel. Politik wird durch Taktik ersetzt. Kurzfristiges opportunistisches Denken von Wahl zu Wahl tritt an die Stelle langfristiger strategischer Konzepte zur Sicherung der streitbaren Demokratie. Whrend nach 1945 fr ungefhr zwei Jahrzehnte die Gemeinsamkeit der Demokraten auf der Grundlage eines antitotalitren Grund-konsenses bestand, wird nunmehr dieser Grundkonsens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zugunsten einer

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  • antifaschistisch-volksdemokratischen Grundordnung abge-lst.

    Die Weimarer Republik ist nicht an der Strke ihrer Geg-ner, sondern an der Schwche und Konzeptionslosigkeit derjenigen zugrunde gegangen, die sie eigentlich htten sttzen sollen. Es mangelt der heutigen deutschen politi-schen Kultur an einer strategischen, nicht nur an den Au-genblick gebundenen Konzeption. Deswegen gibt es gegen-ber dem politischen Extremismus, insbesondere dem lin-ken, keine Prvention, sondern immer nur Reaktion auf aktuelle Ereignisse.

    Die Sensibilitt fr die Gefhrlichkeit des Linksextremis-mus wird abgebaut, er wird durch Verschweigen verharm-lost oder erscheint wenigstens als das kleinere bel. Der antitotalitre Grundkonsens zerfllt, und der Linksextremis-mus kann sich etablieren.

    Angesichts dieser Schwche deutscher politischer Kultur ist eine Besinnung auf die antitotalitre Tradition berle-benswichtig fr unsere Demokratie. Der Antifaschismus ist ein Versuch desorientierter Linker, die eigene Existenz zu rechtfertigen. Es gilt, diesen Anspruch als pseudomoralisch zu demaskieren und die Lsungsvorschlge als gefhrli-chen Irrweg aufzuzeigen.

    Ideologen, Dogmatiker und opportunistische Interessen-vertreter werden indes durch Aufklrung nicht erreicht. Ge-rade angesichts vielfltiger historischer Vorbelastungen der Demokratie in Deutschland, einer weit verbreiteten Werte-unsicherheit und Mastablosigkeit ist es aber einen Ver-such wert, der Fehlentwicklung entgegenzutreten.

    Dieses Buch htte ohne die Untersttzung meiner Mitarbei-terinnen nicht entstehen knnen. Mein Dank gilt deswegen Christiane Florin, Monika John und Gabriela Kntter M. A.

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    \

  • Besonders danke ich dem Cheflektor des Ullstein-Verla-ges, Herrn Dr. Rainer Zitelmann, auf dessen Anregung das Buch zurckgeht.

    Bonn, im September 1993 H.-H. Kntter

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  • Faschismus und Antifaschismus

    Der Antifaschismus ist eine Fundamentalnorm1 der politi-schen Kultur Deutschlands seit 1945. Diese Norm entfaltet durch die Art ihrer Anwendung zunehmend negative Wir-kung. Statt zu reinigen, vergiftet sie das politische Klima, so wie ein im berma eingenommenes Heilmittel krank machen kann. Neben dem Antifaschismus gibt es weitere Fundamentalnormen: Demokratie-, Rechts- und Sozial-staatsprinzip. Whrend diese aber verfassungsrechtlich fi-xiert sind, handelt es sich beim Antifaschismus um eine geistig-moralische Fundamentalnorm, deren zweifelhafter Wert in der Verdrngung der anderen Grundlagen der poli-tischen Ordnung, nmlich der Gemeinsamkeit der Demo-kraten; des Antikommunismus und des Antitotalitarismus besteht.

    Antifaschistische Vorstellungen haben sich nach 1945 nicht ohne Rckschlge durchgesetzt. In den Jahren 1945 bis 1948 gab es einen antifaschistischen Grundkonsens. Diese Zeit stand unter dem Eindruck des Zusammenbruchs, der Enthllung nationalsozialistischer Untaten, der Entnazi-fizierung und der Kriegsverbrecherprozesse. Mit der Wh-rungsreform und der Kulmination des Kalten Krieges nach der kommunistischen Machtergreifung in der Tschechoslo-wakei und der Berliner Blockade nderte sich das Mei-nungsklima. Die Jahre zwischen 1948 und 1951 waren eine bergangszeit. Die Whrungsreform leitete das Wirt-schaftswunder ein, der Ost-West-Konflikt verlieh West-deutschland hohe Bedeutung fr die ehemaligen Feind-mchte. Zwischen 1951 und 1961 spielten antifaschistische Vorstellungen in der ffentlichkeit kaum eine Rolle. Der

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  • zehnte Jahrestag des Kriegsendes 1955 fand nur wenig Be-achtung, was auch fr die folgenden Jubilen dieser Art gilt.

    Die Jahre zwischen 1955 und 1961 leiteten zu einer neuen antifaschistischen Welle ber. 1955 erbrachte Konrad Ade-nauers Moskau-Besuch die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen. Gegen einige der Freigelassenen began-nen die ersten NS-Prozesse, die ab 1957 vor deutschen Ge-richten gefhrt wurden. Das Verfahren gegen Adolf Eich-mann in Israel (1961) machte die Weltffentlichkeit auf die fortdauernde Bewltigung der nationalsozialistischen Ver-gangenheit aufmerksam. In die Phase der Stagnation, die ab 1961 den Jahren der Stabilitt folgte, fallen zunehmende An-griffe gegen frhere NSDAP-Angehrige im ffentlichen Dienst. Die Vergangenheitsbewltigung wurde durch eine Diskussion um die Verjhrung nationalsozialistischer Ver-brechen forciert. 1965 wurde die Grenze auf das Jahr 1969 festgelegt, da die Zwanzigjahresfrist nicht mit dem Kriegs-ende, sondern mit der Grndung der Bundesrepublik einset-zen sollte. 1969 schlo sich eine zweite Verjhrungsdebatte an, 1979 wurde schlielich die Verjhrung fr Mord ber-haupt aufgehoben. Eine weitere Strkung erfuhr der Antifa-schismus in Zusammenhang mit der sozialliberalen Koali-tion und dem Antritt der, wie es nun hie, Rechtsregierung 1982.

    Wenige Bezeichnungen haben eine Erklrung ntiger als das (Tot-)Schlagwort Antifaschismus, das im tagespoliti-schen Streit bis zur Beliebigkeit verunklart wird. Die ver-wandten und doch gegenstzlichen Begriffe Totalitaris-mus und Faschismus haben einen Doppelcharakter: Einerseits handelt es sich um Kampfbegriffe, die als Propa-gandaschlagworte denunziatorisch wirken sollen, anderer-seits um Begriffe von analytischer Bedeutung, die in den So-

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  • zialwissenschaften unverzichtbar geworden sind. Wie ver-hlt es sich in dieser Hinsicht mit dem Antifaschismus? Weil es sich hierbei um eine Feindvorstellung handelt, mu zunchst einmal geklrt werden, worauf sie denn eigentlich reagiert, was also unter Faschismus zu verstehen ist.

    Die Bezeichnung Faschismus wurde allgemein be-kannt, als die von Benito Mussolini im Mrz 1919 gegrnde-ten fasci di combattimento (Kampfbnde) 1922 in Italien die Regierungsgewalt bernahmen. Der Begriff taucht indes bereits Ende des 19. Jahrhunderts als Bezeichnung fr sozia-listische Arbeiterorganisationen auf. Auch Mussolini kam aus der sozialistischen Bewegung, mit der er whrend des Ersten Weltkrieges brach. Seither versteht man unter Fa-schismus eine antiliberale, antiparlamentarische (also anti-demokratische) Bewegung mit nationalistischer, imperiali-stischer, zum Teil kapitalismuskritischer Tendenz, die straffe Staatsdisziplin fordert. Die Auffassung von der Gleichheit der Menschen wird abgelehnt. Da der Faschis-mus als totalitr bezeichnet wird, ist in der Selbsteinscht-zung der italienischen Faschisten begrndet, die ihren Staat als totalen Staat beschrieben, der alle Lebensbereiche bis in die Privatsphre hinein reglementieren und kontrollieren sollte.

    Der Faschismus entwickelte sich zur Massenbewegung, die nicht nur in Italien unter dem Anspruch auftrat, die Na-tion zu einen und die Klassenspaltung zu berwinden. Die faschistische Bewegung integrierte neben brgerlichen auch buerliche und proletarische Schichten. Deswegen ber-rascht es nicht, da sich gerade Marxisten schon frh mit dem Faschismus beschftigten, der ihnen massiv Konkur-renz machte und auch durchaus attraktiv fr Arbeiter war. Seither gilt die Bezeichnung Faschismus zunchst fr das italienische System und seine Ideenbestandteile (1922-

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  • 1943/45), zum anderen als Kennzeichnung hnlicher, jedoch in vielen Einzelheiten andersartiger europischer Herr-schaftssysteme und ihrer ideologischen Grundlagen.

    Die Ausweitung als Gattungsbegriff entspricht nicht dem Selbstverstndnis der Faschisten, sondern lediglich einem marxistischen Verstndnis. Der Faschismus gilt den Marxisten als Krisenerscheinung von Gesellschaften, in denen es private Verfgungsgewalt ber Produktionsmittel gibt. In kritischen Situationen neigen demzufolge die Eigentmer der Produktionsmittel, die Kapitalisten dazu, sich eine Schutztruppe gegen die sozialistische Bewegung zu halten. Deshalb sei die Gefahr des Faschismus erst gebannt, wenn die private Verfgungsgewalt ber Produktionsmittel in einer sozialistischen Gesellschaft aufgehoben ist. Alle Ge-sellschaftsordnungen, in denen das nicht der Fall ist, seien potentiell faschistisch.

    Seit den zwanziger Jahren hat der Faschismus-Begriff zwei Funktionen: Zum einen handelt es sich um ein tagespolitisches Schlagwort, das hufig der Diffamierung des politischen Gegners dient. Besonders seit dem Ende der faschistischen Systeme hat dieses Schlagwort im Rahmen der Vergangenheitsbewltigung als innen- und auenpolitisches Kampf- und Diffamierungsmittel Karriere gemacht. Zum anderen ist der Faschismus-Begriff ein Mittel sozial-wissenschaftlicher Analyse. Hier bestimmt er eine neue Form ideologisch legitimierter, totaler Herrschaft. In engem Zusammenhang mit den Totalitarismus-Theorien ist in den zwanziger Jahren eine Flle von Faschismus-Theorien ent-standen. Diese lassen sich in vier Klassen unterteilen.2

    Nach der sogenannten Agententheorie ist der Faschismus eine Reaktion der sich bedroht fhlenden herrschenden Schichten. Diese Theorie entstand bereits kurz nach dem Re-

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  • gierungsantritt Mussolinis. Klassisch ist die Definition, die Georgi Dimitroff im Dezember 1933 auf dem XIII. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gab: Faschismus ist die offene terroristische Diktatur der re-aktionrsten, am meisten chauvinistischen, am meisten im-perialistischen Elemente des Finanzkapitals. Diese undiffe-renzierte Faschismus-Theorie bercksichtigt weder natio-nale Unterschiede noch unterband sie propagandistische Mibruche. Bereits vor Dimitroffs Festlegung wurde von den Kommunisten die Sozialfaschismustheorie propa-giert. Die wahre Agentur des Kapitals ist hiernach die Sozial-demokratie, der gegenber die eigentlichen faschistischen Organisationen harmloser seien.

    Eine differenziertere Auffassung vertrat der kommunisti-sche Dissident August Thalheimer (1930): Der Faschismus sei nur eine mgliche Form der offenen Diktatur der Bour-geoisie. Der Staat sei nicht bloe Agentur der Bourgeoisie. Der sterreichische Sozialdemokrat Otto Bauer erkannte 1936, da der Faschismus zwar im Solde des Kapitals be-ginnt, sich aber von seinen Auftraggebern emanzipiert und zum Herrn auch ber den Kapitalismus wird.

    Kritiker wenden gegen einen generalisierenden Faschis-mus-Begriff ein, da im Italien Mussolinis und im Deut-schen Reich Hitlers kein Primat des konomischen, sondern des Politischen bestand. Der Nationalsozialismus und der Faschismus seien nicht mehr und nicht weniger Ergebnis des Kapitalismus als jede andere moderne Bewegung (Liberalis-mus, Sozialismus) auch. Auerdem vernachlssige die typo-logisierende Betrachtung nationale Unterschiede und knne nicht erklren, warum die Krise des Kapitalismus in Deutschland zwar zum Nationalsozialismus, in den USA aber zum New Deal Roosevelts gefhrt habe.

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  • Ernst Nolte versteht den Faschismus als zeitlich begrenzte (1922-1945) Epochenerscheinung, die mit den geistigen und moralischen Traditionen Europas gebrochen hat. Die Krise des liberalen Systems und seine Herausforderung durch den Marxismus sind eine Grundvoraussetzung fr das Entstehen und den zeitweiligen Erfolg des Faschismus. Die Kritik an dieser Auffassung bezweifelt, da die verschiedenen histori-schen Erscheinungen des Faschismus berhaupt auf einen generalisierenden Nenner gebracht werden knnen. Von marxistischer Seite wird kritisiert, da der Faschismus nicht als berepochal und damit als nicht mehr virulent betrachtet wird.

    Drittens wird der Faschismus von Historikern als eigenstn-dige Erscheinung gedeutet, die in bergangsgesellschaften eintritt. So hat es im Deutschen Reich des 19. und 20. Jahr-hunderts eine Spannung zwischen der Bourgeoisie als ko-nomisch und dem Adel und der Brokratie als politisch herr-schenden Schichten gegeben. Seine Stokraft gewann der Faschismus wegen des Widerstandes residualer Eliten ge-gen egalisierende Tendenzen der Industriegesellschaft.

    Eng mit der vorstehenden Richtung verbunden ist viertens die Auffassung des Faschismus als einer Modernisierungs-bewegung. Obwohl der Nationalsozialismus wie der Fa-schismus gegen die Aufklrung kmpften, setzten beide eine berwindung traditioneller Denkweisen und sozialer Struk-turen in Gang. Sie haben also zumindest objektiv egalisie-rend und modernisierend gewirkt.

    Die Faschismus-Theorien bieten ein verwirrendes Bild. Vor allem Marxisten bedienen sich des generalisierenden Fa-schismus-Begriffes in antikapitalistischer Absicht, whrend

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  • nichtmarxistische Faschismus-Theoretiker historisch-klassi-fizierend, jedoch ohne gesellschaftsverndernde Tendenz daran festhalten. Kritiker der generalisierenden Verwendung des Faschismus-Begriffes wollen die Bezeichnung auf das italienische Beispiel beschrnken, da der inflationre Gebrauch entweder zur Dmonisierung jeder Diktatur oder zur Bagatellisierung von Gewalt und von Vernichtungsregimen fhre.

    Zwar gibt es zahlreiche Faschismus-Theorien, jedoch keine Antifaschismus-Theorie. Deswegen werde ich hier versuchen, diese Antibezeichnung positiv zu umschreiben. Sie gewinnt propagandistische Schlagkraft und integrative Wirkung gerade durch die Negation. Die Antifaschisten wissen, was sie nicht wollen, was sie ablehnen, bekmpfen, was sie als das absolut Bse betrachten, gegen das alle Krfte mobilisiert werden mssen. Nahezu jedes Mittel ist gerechtfertigt, wenn der Feind absolut verwerflich ist. Das gilt auch dann, wenn man bercksichtigt, da es Antifaschisten gibt, die Gewalt ablehnen.

    Wenn ich behaupte, beim Antifaschismus handele es sich um eine Fundamentalnorm, mu nach seinem konstruktiven Gehalt gefragt werden. Die Rechtfertigung einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung durch Anti-faschismus betreffend, ist seit 1989/90 ein Wandel zu beob-achten. Den desorientierten Mitgliedern und Anhngern sozialistischer Parteien und nahestehenden Intellektuellen geht es darum, frheres Verhalten zu rechtfertigen und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus von ihrer Ideologie zu retten, was zu retten ist. Dafr wird der moralische Gehalt des Antifaschismus genutzt. Gerade wegen des manipu-lativen Gebrauchs des Antifaschismus-Begriffes bedurfte es schon fter neuer Definitionen.3 Der Versuch, diese Antivor-stellung positiv zu fassen, fhrt zu folgenden 14 Merkmalen,

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  • Eigenschaften und Verhaltensweisen: Der Anhnger des Antifaschismus betrachtet sich als - humanitr; - liberal; - demokratisch (im weitesten Sinne des Begriffs); - aufklrerisch; - rational; - revolutionr (nach dem Geist der Franzsischen Revolution

    von 1789); - radikal (das heit aufklrerisch, nicht etwa subversiv); - individualistisch; - den Menschenrechten verpflichtet; - der Freiheit der Person verschrieben; - den Idealen der Gleichheit und Gleichberechtigung ver-

    bunden; - Gegner des Antikommunismus (da dieser konstitutives

    Merkmal des Faschismus sei); - friedliebend (wobei der Antifaschist annimmt, da Frie-

    den nur im Sozialismus mglich ist, weil die Kriege aus Klassenspannungen entstehen).

    Bis zum Herbst 1989 war die Sympathie fr die Errungen-schaften des Sozialismus, die verteidigt werden sollten, eine Grundlage des Antifaschismus. Der Kommunismus so-wjetischer Prgung wurde als unerlliche Sttze des Antifa-schismus eingeschtzt. Seither hat sich die Sympathie der Antifaschisten einem idealen Sozialismus zugewendet, der sich vom sogenannten Stalinismus absetzt. Ein Argument gegen den Stalinismus ist, da dieser den Antifaschismus etwa durch den Hitler-Stalin-Pakt, aber auch durch die Anwendung harter Repressionsstrategien verraten habe. Auf jeden Fall gehrt zum noch unscharfen neuen, idealen Sozialismus eine antikapitalistische Grundeinstellung.

    Der Antifaschismus ist eine Integrationsideologie, auf de-

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  • ren Basis sich sehr gegenstzliche politische Krfte treffen knnen, und zwar um so leichter, je diffuser, verwaschener, undogmatischer die Vorstellungen von dem sind, was als antifaschistisch gilt. Sozialisten und NichtSozialisten, Atheisten und Christen, Brgerliche verschiedener Richtung und Kommunisten, uneinig ber grundstzliche politische Fragen, sehen im Faschismus ein Feindbild, dessen Be-drohlichkeit die Notwendigkeit des Zusammenhaltens sug-geriert und jede Abweichung als Begnstigung des absolut Bsen moralisch ins Zwielicht rckt. Die moralische Kom-ponente des Antifaschismus fungiert seit 1989/90 als Vor-wand zur* Rettung des diskreditierten Sozialismus.

    Da die Annherung an den Sozialismus konstitutives Merkmal des Antifaschismus ist, wird jeder Gegner des To-talitarismus den einseitigen Antifaschismus ablehnen. Der Antitotalitarismus schliet eine antifaschistische Haltung ein, will darber hinaus aber den Pluralismus der Weltan-schauungen und Ideen frdern, den freien Zugang zu allen Informationen gewhrleisten und das Mehrparteiensystem erhalten (Mglichkeit des freien Wechsels zwischen Regie-rung und Opposition).

    Der Streit um Faschismus und Antifaschismus ist Aus-druck der in Deutschland verbreiteten Neigung, Politik als Kampf unterschiedlicher Weltanschauungen zu betreiben. Der Totalitarismus-Begriff ist vom Standpunkt einer frei-heitlichen Demokratie geeignet, den Weltanschauungs-kampf in der Politik zu berwinden, soweit er mehr ist als ein bloer Kampfbegriff des Kalten Krieges. Der Totalitaris-mus-Begriff ist der Aufklrung, also der Rationalitt ver-pflichtet. Sein Gesellschaftsbild ist das der offenen Gesell-schaft, seine geistige Grundlage die des Kritischen Rationa-lismus. Eine Ursache fr die Wirkkraft des Antifaschismus im Nachkriegsdeutschland liegt auch in der Enttuschung

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  • ber die gescheiterten Utopien von 1945. Die Mentalitt und die Einstellung der Intellektuellen etwa, die sich in der Gruppe 47 zusammenschlssen, wird von ihrem Wortfhrer Hans-Werner Richter so geschildert: Oh, dieses Deutsch-land, wo die edlen Absichten keine Grenzen kennen, wo im-mer wieder, Regenbgen vergleichbar, die herrlichsten Vi-sionen verheiungsvoll aufscheinen, ehe sie von den grauen Wolken der Realitt verdeckt werden. Wir Deutschen: Ein Volk hochherziger Aufbrche - in die Weiten des Nichts. Natrlich wurde nicht alles anders. Die traumhaft-schne umfassende Erneuerung blieb aus. Entsprechend bertrieben sah man sich stattdessen in Dsteres versetzt. Man war mit einer hassenswerten Restauration konfrontiert, ja sah sich einem neuen Faschismus gegenber. Widerstand war erfor-derlich (blieb fr viele bis heute).4

    Antifaschismus heit in einem solchen Zusammenhang: Man fhlt sich in der neuen Ordnung frustriert, da nebuls etwas Anderes, Schneres erwartet wurde. Weil keine nde-rung eingetreten ist, sieht man die Kontinuitt zum Frheren, zur verfemten Brgerlichkeit des Kaiserreiches und der Wei-marer Republik, des nationalsozialistischen Systems, zu Ka-pitalismus, Imperialismus, Krieg, Militr - alles wird zum Gegenbild, zum Objekt des Mibehagens. Das Unbehagen wird artikuliert und in ein Schlagwort gepackt, und das Schlagwort heit Antifaschismus. Fr die politische Of-fensive ist der Antifaschismus wie alle Antihaltungen beson-ders gut geeignet, da bloes Dagegensein einfach ist. Vor-aussetzung ist die schlagworthafte Verkrzung. Alles Kon-struktive mu abgewogen und im Detail begrndet sein. Detailgenauigkeit fhrt aber zu differenziertem, abwgen-dem Argumentieren.

    Das Antifaschismus-Bild hat, wenn wir unsere Betrach-tung auf das westliche Nachkriegsdeutschland beschrnken,

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  • seit 1945 nicht nur geschichtliche Wandlungen durchge-macht. Auch in systematischer Hinsicht haben wir es mit zwei nur teilweise bereinstimmenden Auffassungen zu tun. Es gibt zum einen das mehrdimensionale Antifaschismus-Verstndnis des Sozialismus. Mehrdimensional deswegen, weil es sowohl eine moralische Komponente hat als auch eine sozio-konomische. Dieses Antifaschismus-Verstnd-nis ist insofern radikal, als es den Faschismus nicht nur aus moralischen Grnden ablehnt, sondern auch seine sozio-konomischen Wurzeln beseitigen will. Als unerlliche Voraussetzung gilt die Aufhebung der privaten Verfgungs-gewalt ber Produktionsmittel. Nur auf diese Weise knne verhindert werden, da diejenigen, die diese Verfgungsge-walt haben - die Kapitalisten - sich der Faschisten als Prtorianergarde bedienen, um in politischen und konomi-schen Krisensituationen die Bedrohung, die von den Soziali-sten oder den Massen ausgeht, mit brachialer Gewalt zu bekmpfen. Das politische Ziel der Anhnger dieses Antifa-schismus-Verstndnisses ist eine sozialistische Gesell-schaftsordnung.

    Auf der anderen Seite gibt es ein brgerlich-liberales und christliches Antifaschismus-Verstndnis, das eindimensio-nal ist, weil es nur die moralische Komponente umfat, die sozio-konomische Analyse hingegen vernachlssigt. Es er-folgt allenfalls eine zeitgeschichtliche Aufarbeitung des Fa-schismus und des Nationalsozialismus, jedoch werden damit keine radikalen, gesellschaftsverndernden Ziele verbunden. Diese Auffassung wird von ethischen Rigoristen vor allem aus dem religisen Bereich vertreten, aber auch von den nichtsozialistischen Eliten, die Angriffe von sozialistischer Seite abwehren wollen.

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  • Nach dem Ende der DDR

    Mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialis-mus 1989/91 schien auch der Antifaschismus unterzuge-hen. Hatte er doch nach innen als Systemlegitimierung, nach auen als Kampfmittel fungiert. Allerdings zeigte sich bald, da der Antifaschismus, wenngleich stark verunsichert, wei-terhin bestehen sollte. Seit dem Herbst 1989 sind die Argu-mente und Prsentationsformen der Antifaschisten vielflti-ger, widersprchlicher, weniger rational, strker emotional und auf jeden Fall schwcher theoretisch, das heit marxi-stisch fundiert, aber dafr strker aktionistisch. So entstand eine antifaschistische Subkultur, etwa ein antifaschisti-sches Cafe als Kommunikationszentrum, Informations-tauschbrse, Zentrum zur Vermittlung eines Gemeinschafts-gefhls.5

    Das Abrcken von der marxistischen Faschismus-Inter-pretation bietet den Vorteil, bisher ausgegrenzte Kreise in den antifaschistischen Widerstand einbeziehen zu knnen. Whrend in der Zeit der SED-Herrschaft die KPD als strkste Kraft des antifaschistischen Widerstands vor 1945 galt, brgerliche Kreise dagegen entweder gar nicht oder nur am Rande, werden jetzt auch brgerliche Widerstandskmpfer unter ausdrcklicher Kritik an der gegenteiligen Haltung der SED anerkannt. Im Neuen Deutschland wurde Carl Goerde-ler als Antifaschist gewrdigt und beklagt, da ihm nach 1945 diese Anerkennung lange versagt blieb, weil er kein Kommunist war.6 Die Potsdamer PDS rhmte in einem Ge-denkartikel zum 20. Juli 1944 zahlreiche adelige hohe Offi-ziere, die dort stationiert waren, und folgert fr die Gegen-wart: Viele der Genannten sind im Kampf gegen das

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  • Nazi-Regime gefallen. Ihr Vermchtnis kann nur lauten: An-tifaschismus als Grundkonsens, dem sich alle deutschen Par-teien und politischen Bewegungen verpflichtet fhlen soll-ten.7

    Mit der Wrdigung bisher abgelehnter brgerlicher Wi-derstandskmpfer, die nun auch als Antifaschisten gelten, kann sich die PDS zwar auf im Westen hochgeschtzte Ange-hrige des Widerstands berufen. Zugleich wendet sie sich aber von einem theoretisch fundierten Antifaschismus-Ver-stndnis ab. Denn wenn Antifaschismus gleichzusetzen ist mit Antikapitalismus und echter Antifaschismus Aufhebung der privaten Verfgungsgewalt ber Produktionsmittel be-deutet, so kann in der Tat nur der kommunistische Wider-stand als genuin antifaschistisch betrachtet werden. Brgerli-che Widerstandskmpfer wie Goerdeler gelten in diesem Sinne auf keinen Fall als Antifaschisten, da ihnen nichts fer-ner lag als eine sozialistische oder kommunistische Neuord-nung.

    Ein Musterbeispiel fr die gewandelte Einstellung zum Antifaschismus ist die Behandlung eines anderen Opfers des Nationalsozialismus: Ernst Thlmann. Bis zur Wende galt er als das Vorbild des antifaschistischen Widerstands-kmpfers, in dem die moralische und die sozio-strukturelle Komponente des Antifaschismus zusammentreffen. Seit-dem die Kritik an dem DDR-offiziellen und offenbar wenig berzeugenden Antifaschismus zugenommen hat, wurde auch Ernst Thlmann kritisiert, weil er die KPD stalinisiert habe. Whrend es bis 1928/29 noch Alternativen zu einer stalinistisch strukturierten und zunehmend von Moskau ge-steuerten KPD gegeben habe, sei unter seiner Mitwirkung eine verhngnisvolle Entwicklung eingetreten, die verhee-rende Folgen fr den Kampf gegen den Hitlerfaschismus gehabt habe. Das bedeutende antifaschistische Potential

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  • der KPD sei geschwcht und Bndnispartner seien abge-schreckt worden. So wird Thlmann nunmehr als eine tragi-sche Gestalt betrachtet, die in der SED-Zeit zum Mythos wurde, aus dem nachfolgende Parteifhrungen ihre Legiti-mation ableiteten.8

    Die Appelle liefen 1989/90 darauf hinaus, die historische Kraft des Antifaschismus lebendig zu erhalten, um der aufkeimenden Gromannssucht und Deutschtmelei das positive Bild von einem antifaschistischen Deutschland ent-gegenzusetzen.9 Dieses ausgeweitete Verstndnis von Anti-faschismus, in das alle, auch nichtsozialistische Wider-standsangehrige einbezogen werden, dient nicht nur der Legitimation der verunsicherten Sozialisten. Es soll auch einer Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen durch die Aufdeckung sowjetischer Konzentrationslager ent-gegenwirken. Nicht nur ehemals nationalsozialistische Kon-zentrationslager wie Buchenwald sind nach 1945 von den so-wjetischen Befreiern und spter von ihren SED-Helfern weiterbetrieben worden; es waren auch andere Lager ent-standen, in denen ehemalige Nationalsozialisten und Kriegsverbrecher saen, aber auch alle diejenigen, die der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED unbequem wur-den. Die zunehmende Thematisierung solcher Tatsachen hatte einen starken Rechtfertigungsdruck zur Folge.10

    Von den stalinistischen Verbrechen distanzierte man sich. Der gleichzeitige Hinweis auf die nationalsozialisti-schen (faschistischen) Verbrechen bezweckte aber eine Aufrechnung und Relativierung. Immerhin ist die vor 1989 bliche Rechtfertigung des Stalinismus, er sei wenigstens antifaschistisch gewesen und die harten Manahmen sollten die faschistische Gefahr bannen, aufgegeben worden oder zumindest in den Hintergrund getreten.

    Von besonderer Bedeutung fr die moralische und tages-

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  • politische Funktion des Antifaschismus war die antifaschi-stische Kampfdemonstration der SED-PDS am 3. Januar 1990 am sowjetischen Ehrenmal in Treptow. Das Ehrenmal war am 28. Dezember 1989 mit Parolen beschmiert worden, die von der SED als neofaschistisch bezeichnet und zum Anla fr eine Solidarisierungsaktion genommen wurden. Ebenfalls am 28. Dezember hatte das FDJ-Organ Junge Welt einen Artikel ber Ursachen des Entstehens, des politischen Wesens und der Ausbreitung rechtsradikaler, neonazistischer Organisationen in der DDR von 1986 bis zum Oktober 1989 verffentlicht. Der Autor berichtete, da in der Zeit vor der Wende die politische Fhrung der DDR nicht an einer offenen Errterung interessiert gewesen sei. Nun warnte aber nicht nur der in Ost-Berlin tagende Runde Tisch vor neofaschistischen Tendenzen in der DDR. Zahlreiche Organisationen schlssen sich der SED-PDS an, so das Komitee der antifaschistischen Widerstandskmpfer, die Gesellschaft fr Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die ehemaligen Blockparteien mit Ausnahme der CDU, der FDGB, die FDJ, eine neu gegrndete linke Gruppe: die Nelken, ferner spartakistische und trotzkistische Gruppen, die SEWundSDAJ.11

    Besonders hervorzuheben ist die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands, deutsche Sektion des internationalen trotzki-stischen Dachverbandes International Communist League (New York). Diese Splittergruppe behauptete, die groe De-monstration am 3. Januar 1990 initiiert zu haben. An dieser Groveranstaltung nahmen zwischen 100000 und 250000 Demonstranten teil, darunter der damals amtierende Vorsit-zende des Staatsrats, Manfred Gerlach, Auenminister Oskar Fischer, der Ost-Berliner Oberbrgermeister Erhard Krack und der sowjetische Botschafter Kotschemassow. Es wurden Parolen skandiert wie zum Beispiel: Nazis raus -

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  • kein Viertes Reich, Rotfront gegen rechts, Schnhuber mit seiner braunen Pest hat bei uns keine Chance, Pere-stroika ja - Nazis nein. Die Sudeleien am Ehrenmal belei-digten und verhhnten die gefallenen sowjetischen Soldaten, die Vlker der Sowjetunion sowie alle Antifaschisten. Die engen Bande der Freundschaft drften durch solche Provo-kationen nicht zerrissen werden. In der Rede Gregor Gysis hie es: Unser Land ist in Gefahr, und zwar von rechts. Wir mssen diese Gefahr bannen, sonst brauchen wir ber demo-kratischen Meinungsstreit und anderes gar nicht erst zu dis-kutieren. Wie wollen wir denn demokratisch whlen, wenn hier die Neonazis alle Freirume besetzen.12

    Diese spektakulre Kundgebung hatte fr die Veranstalter ungeahnte und unbeabsichtigte Folgen. Zunchst fiel auf, da die angeblichen neofaschistischen Schmierereien nie zitiert oder im Bild gezeigt wurden. Sie lauteten: Besatzer raus, Vlkergemeinschaft statt Klassenkampf und Na-tionalismus fr ein Europa freier Vlker.13 Vom Tatbestand der Sachbeschdigung abgesehen, rechtfertigten die Parolen weder die antifaschistische Polemik noch die Behauptung, die sowjetischen Befreier seien beleidigt worden. Auch kamen bald Vermutungen auf, bei dem ganzen Vorgang habe es sich um eine Manipulation der SED-PDS gehandelt, die sich auf diese Weise moralisch legitimieren wollte und berdies mit Blick auf die Volkskammerwahlen agiere, die damals noch fr den 6. Mai 1990 geplant waren. Schon wh-rend der Kundgebung kam bei zahlreichen Teilnehmern das Gefhl auf, fr die Zwecke der SED-PDS mibraucht zu wer-den.14 Die SED-PDS glaubte offenbar zu diesem Zeitpunkt, Whler fr sich einnehmen zu knnen, wenn sie gegen fa-schistische Tendenzen auftrat.

    Auch bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig Anfang Dezember wurde vielfach gegen Rechtsextremismus und

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  • Wiedervereinigung agitiert.15 Als die Demonstration in Treptow zeigte, da die SED-PDS mit ihren antifaschisti-schen Appellen durchaus Eindruck machte, setzte eine Ge-genbewegung ein, die die Wirkung gegen die Urheber der Kundgebung kehren konnte. In der alternativen tageszeitung wurde der SED vorgeworfen, durch die Art ihres Vorgehens unter DDR-Parteien und -Gruppen einen Konsens geradezu zu verhindern. Die Terminologie - Kampfdemonstration, Einheitsfront gegen rechts - sei die Sprache von gestern. Der Verdacht liege nahe, da ein Spiel mit der Angst getrie-ben wird. Antifaschismus sei als Legitimation des realso-zialistischen Staates obsolet geworden. Er habe sogar die Auseinandersetzung mit rechten Tendenzen unterbunden. Antifaschismus als wahlkampftaktisches Argument ma-che die SED nicht glaubwrdiger, dafr aber den Antifaschis-mus unglaubwrdiger: Da die Partei nach wie vor ratlos den Scheiterhaufen ihrer stalinistischen Vergangenheit anstarrt, ist der Weg gewi verfhrerisch, sich um einen sicheren Kern einer unveruerlichen Identitt zu scharen. Antifa-schismus als Wagenburgmentalitt und Wahlkampf als Ab-wehrkampf, das wre der bequemste und fatalste Ausweg aus der unbewltigten Vergangenheit der Partei.16 Schon bald mutmate man, ehemalige Angehrige des Staatssi-cherheitsdienstes htten die Parolen geschmiert. Die ganze Aktion wurde als Betrugsmanver und schwerer taktischer Fehler der neuen SED-Spitze bezeichnet.17

    Da die manipulative Absicht der SED-PDS so deutlich ans Licht trat, hat der Plan, eine antifaschistische Volksfront zu schaffen, letztlich nur seinen Urhebern geschadet. Der Mierfolg der Aktion vom 3. Januar 1990 kam auch daher, da die Verbindungen zum gerade berwundenen Honek-ker-Sozialismus unverkennbar waren. Im Anschlu an die Demonstration richtete die FDJ-Zeitung Junge Welt eine

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  • antifaschistische Seite ein, die vom 4. Januar 1990 an jede Woche Plattform einer breiten antifaschistischen Abwehr-front gegen alle Formen von Neonazismus werden sollte. In der ersten Ausgabe sprach man sich ausdrcklich gegen den Versuch aus, statt von Antifaschismus von Antinational-sozialismus zu sprechen, da dieser letztlich antisozialistisch sein werde. In Anlehnung an Heinrich Mann hie es: Der neue Humanismus wird sozialistisch sein.18 In der gleichen Ausgabe wird ausgerechnet das Ministerium fr Staatssi-cherheit gerhmt, weil es neben den vielen negativen Sa-chen, die ber dieses Ministerium ans Tageslicht gekommen sind, gerade bei der Abwehr der Nazis gute Arbeit gelei-stet habe. Deshalb solle jener Teil des Ministeriums fortbe-stehen, der fr dieses Gebiet verantwortlich gewesen ist. Denn im frheren MfS habe es auch viele gute, ehrliche Leute gegeben und nicht nur solche Verbrecher wie Mielke und Konsorten.19 Kein Wunder, da den Mitdemonstranten der SED-PDS angesichts solcher uerungen Bedenken ka-men.

    Der Versuch der SED-PDS, mit Hilfe antifaschistischer Bndnisse verlorenes Terrain wiederzugewinnen, Macht, Einflu und Positionen zu sichern, mobilisierte in einem so erheblichem Umfang Gegenkrfte, da ab Januar 1990 die Entmachtung und Auflsung des Staatssicherheitsdienstes, die Beseitigung personeller SED-Verflechtungen und das Einheitsstreben verstrkt wurden. Die Aktion der SED-PDS richtete sich gegen sie selbst. Wenn der Antifaschismus dennoch weiter propagiert wurde, beweist das nur den ideo-logischen Zusammenbruch der SED-Herrschaft, deren An-hngern nur noch der Antifaschismus als kleinster gemeinsa-mer Nenner blieb.

    Das kann man dem Aufruf zur Grndung einer Organisa-tion der Antifaschisten der DDR vom Mrz 1990 entneh-

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  • men: Heute stehen wir gemeinsam in der groen Verant-wortung, die antifaschistischen Werte unserer Gesellschaft entschlossen zu verteidigen und zugleich in den begonnenen Proze zur Herstellung der Einheit Deutschlands einen le-bendigen und erneuerten Antifaschismus, getragen von einer breiten demokratischen Basis, als aktives Element einzubrin-gen. Mit tiefer Sorge sehen wir aber auch die Gefahren, die sich in unserem Land zunehmend fr den Antifaschismus, Humanismus und die Demokratie auftun und die sich derzeit vor allem in rechtsextremen, antisemitischen, revanchisti-schen, auslnderfeindlichen Erscheinungen, in Verletzungen der Menschenwrde und Intoleranz zeigen. Der Aufruf tritt auch fr die Rehabilitierung aller Opfer des Stalinismus ein und erstrebt unabhngig von politischer Ordnung, Kon-fession, Nationalitt und Hautfarbe ein antifaschistisches Vaterland. Abschlieend heit es: Lat uns im breitesten antifaschistischen Konsens zusammengehen fr die deutsche Volkssouvernitt, fr uneingeschrnkte Menschenrechte und demokratische Freiheiten, fr die Rechte der Jugend und der Frauen, fr eine antifaschistisch-demokratische und hu-manistische Bildungsarbeit, fr soziale Gerechtigkeit, fr die Gleichberechtigung unserer auslndischen Mitbrger, fr eine Welt ohne Waffen, fr ein friedliches Europisches Haus und eine umweltfreundliche, auf den Wohlstand ge-richtete Zukunft der Menschen.20

    Dieser Grndungsaufruf ist in einer bezeichnend defensi-ven Sprache gehalten, enthlt keinerlei direkten Bezug zu so-zialistischen Vorstellungen, ist aber gleichwohl von mobili-sierender Kraft, vor allem wegen der eindringlichen War-nung vor akuten neonazistischen Gefahren. Jedem Kundi-gen aber mte klar sein, da antifaschistisch-demokra-tisch ein Synonym fr sozialistisch ist. Die Bedeutung des Antifaschismus hat auch deshalb abgenommen, weil

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  • die DDR-Opposition vor 1989 sich dieses Schlagwortes be-diente, um sich glaubwrdig zu machen und um Gegenaktio-nen der noch an der Macht befindlichen SED zu unterlaufen, die sich ja nicht gut gegen den von ihr selbst propagierten Antifaschismus wenden konnte.

    Ein besonderes Kunststck im manipulativen Gebrauch des Antifaschismus brachte Manfred Gerlach zustande. Ger-lach, mageblicher Reprsentant des alten Systems, Vorsit-zender der LDPD, zeitweiliger DDR-Justizminister, Mitglied und nach der Wende amtierender Vorsitzender des Staatsra-tes, benutzte den Antifaschismus dazu, die Blockbindung seiner Partei an die SED zu begrnden. Zugleich aber sollte er Selbstndigkeitsbestrebungen der Anti-SED-Opposition legitimieren. In einer Rede zum 40. Jahrestag der DDR stellte Gerlach fest: Antifaschistische Politik war und ist ihrer Be-stimmung nach demokratische Politik, beruht sie doch auf Lebensinteressen aller Klassen und Schichten . . . erinnert sei in dieser Stunde an die Orientierung auf die Antifaschisti-sche Umwlzung in Deutschland, die die demokratischen Energien, den Erneuerungswillen und die Bereitschaft zur historischen Wende, die nach der Befreiung vom Faschismus berall im Lande zu verspren waren und die auch die LDPD auf ihre Weise artikulierte, gleichsam bndelte, ihnen Ziel und Richtung gab.21

    Darber hinaus mahnte Gerlach mit dem Antifaschismus-Argument die SED zur Toleranz. In einer Rede zum 100. Ge-burtstag von Carl von Ossietzky heit es: Was Ossietzky qulte, war die schreckliche Vorstellung, die Republik knne an der gegenseitigen Unduldsamkeit der Antifaschisten un-terschiedlicher Weltansicht zugrunde gehen. Was Liberalde-mokraten heute mit Sorge erfllt, ist, da sich die politische Wachsamkeit auch gegen Brger zu kehren beginnt, die sich, in ihrem demokratischen Verstndnis von Humanismus, von

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  • Da-sein fr Mitmenschen folgend, kooperativ an der Gestal-tung des Sozialismus beteiligen wollen, aber Gefahr laufen, als Quertreiber ausgegrenzt zu werden. In diesen Fllen mel-den wir uns zu Wort und sagen: Da wird guter Wille mideu-tet, da werden kritische Gedanken als Ausflu brgerlicher Ideologie in die antisozialistische Ecke gestellt, da werden zuweilen Tatbereitschaft und Engagement, nur weil sie sich nicht an gewohnte Regeln halten, als oppositioneller Ver-such zurckgewiesen, und da wird die Frage, ob Militrpara-den genauso wie frher ihren Sinn htten, kurzerhand mit Relegation von der erweiterten Oberschule geahndet, die obendrein den Namen Carl von Ossietzky trgt.22 Hier wird der Antifaschismus benutzt, um Meinungsfreiheit fr die sich im September 1989 formierende DDR-Opposition zu beanspruchen und zu adeln.

    Gerlachs unausgesprochenes Angebot an die SED lautet: Wir sind doch alle Antifaschisten. Verratet nicht den hu-manistischen Geist des Antifaschismus, indem ihr repres-sive, also faschistische Methoden anwendet. In hnlicher Weise bedienten sich oppositionelle Krfte antinationalso-zialistischer und antifaschistischer Vorstellungen, offen-bar um die SED an Aktionen gegen die Opposition zu hin-dern. In Leipzig wurde vor Beginn einer regimekritischen Demonstration am 4. September 1989 des berfalls deut-scher Truppen auf Polen und des namenlosen Leids, das da-mit ber unser Nachbarvolk hereinbrach, gedacht.23 Dage-gen konnte die SED nicht gut vorgehen.

    In einem vom Demokratischen Aufbruch im Oktober 1989 in Ost-Berlin anllich einer Demonstration verteilten Flug-blatt wird die Verwirklichung aller in der Verfassung garan-tierten Menschenrechte gefordert, so das Recht auf Freiz-gigkeit und auf Meinungsfreiheit, mit der ausdrcklichen Einschrnkung: auer wenn damit faschistisches, chauvini-

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  • stisches und militrisches Gedankengut propagiert wird.24 Der DDR-Schriftsteller Rolf Schneider wandte sich gegen die Versuche der SED-PDS vom Januar 1990, den Antifa-schismus zu instrumentalisieren. Neonazis in der DDR, so Schneider, seien Fleisch vom Fleisch der alten SED. Viele junge Neonazis kmen aus kommunistischen Funktionrsfa-milien. Die SED-PDS sollte die Schuldfrage zuallererst sich selber stellen. Stattdessen ruft sie pathetisch nach einer Ein-heitsfront gegen rechts und will das Land nicht zur Heim-statt von Faschisten werden lassen. Sie wirke darin so glaubwrdig wie der Hitler-Stalin-Pakt. Antifaschismus sei einer von den wenigen Begriffen, auf die sich in der DDR fast alle Leute einigen lieen; er lade darum frmlich ein zur Demagogie.25

    Die SED-PDS sah sich jetzt hufiger Angriffen ausgesetzt, in denen sie und ihre Methoden mit nationalsozialistischen Vorgehensweisen verglichen wurden. Selbst wenn es sich hier nur um polemische Angriffe handelt, war sie doch in eine grundstzliche Defensivposition geraten, um so mehr, wenn beispielsweise die Konzentrationslager vor und nach 1945 verglichen wurden.26 Auf diese Kritik reagieren die SED-PDS und vor allem die ihr anhngenden Intellektuellen mit Unsicherheit, teils aggressiv, teils defensiv, aber immer mit tagespolitischen, nie mit theoretisch vertieften Argumen-ten.

    So wird die Kritik am Antifaschismus selbst oft als ten-denziell faschistisch denunziert. Die Kritik am Antifa-schismus beabsichtige, das antifaschistische Engage-ment gegen die Neofaschisten, insbesondere gegen die Republikaner zu schwchen. Eine andere Reaktion ist die selbstkritische Distanzierung vom ritualisierten SED-Antifaschismus. Die Schwierigkeiten, die mit dem Anti-faschismus nach der Wende entstanden seien, lgen darin

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  • begrndet, da er zu den ehernen Prinzipien einer in Verruf gekommenen Staatspolitik gehrt habe. Die Zunahme des Rechtsextremismus seit Herbst 1989 lege die Frage nach der Wirksamkeit antifaschistischer Erziehung nahe. Die Chance, den Antifaschismus zum Fundament einer politi-schen Kultur nach 1945 zu machen, sei nicht genutzt worden. Andersdenkende, das heit NichtSozialisten, seien ausge-grenzt worden. Faschismus und Stalinismus wrden zwar von ihrer Herkunft und Zielsetzung nicht bereinstimmen, schienen aber in einigen Formen der Herrschaftsstrukturen identisch zu sein. Die Berichte ber die Verfolgung von Wal-ter Janka27 enthllten faschistische Strategien. Antifa-schistische Ideale seien mit falschem Inhalt besetzt worden, so da man jetzt vor einem Scherbenhaufen stehe.

    Andererseits aber sei nicht zu bersehen, da der Antifa-schismus Eingang in die Programmatik der meisten politi-schen Bewegungen und Parteien nach dem Oktober 1989 ge-funden habe. Dieses Bekenntnis sei durch die antifaschisti-sche Identitt der DDR verursacht. Angesichts zunehmen-der rechtsradikaler und neofaschistischer Erscheinungen bestehe indessen akuter Handlungsbedarf. Allerdings sei es schwierig, einen Konsens fr die Arbeit zu finden, die (anti-faschistische) Gemeinsamkeiten hher stellt und ermg-licht.28 Zur Selbstkritik am ritualisierten Antifaschismus gehrt die unzutreffende These, man habe sich in der DDR vor der Wende vom Oktober/November 1989 mit dem Fa-schismus nicht wissenschaftlich auseinandergesetzt.29

    Einer der seltenen Versuche, das Versagen des staatsoffi-ziellen Antifaschismus analytisch zu klren, argumentiert, da die DDR-Gesellschaft undifferenziert harmonisch darge-stellt worden sei. Das verkrzte und einseitige Geschichts-bild habe eine echte Auseinandersetzung mit dem Faschis-mus unter dem Aspekt der individuellen Schuld verhindert

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  • und die offene Auseinandersetzung mit neofaschistischen Tendenzen verhindert. Die DDR-Geschichte sei zu undiffe-renziert als konfliktfreier stetiger Weg zum Besseren und nicht als widersprchlicher, opferreicher Entscheidungspro-ze dargestellt worden.30 So lautet schlielich das Ergebnis, da der Antifaschismus an sich zwar gut war, da aber die Verwalter des antifaschistisch-demokratischen Erbes sich als unfhig erwiesen haben.31

    Der Antifaschismus hat auch nach den Erschtterungen durch die Wende seine emotionale Mobilisierungskraft behalten, gerade weil er weniger rational und strker emotio-nal auftritt. Die Angst vor dem Faschismus wird geschrt, weil mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus Unsi-cherheit und Desorientierung zugenommen haben. Fr die PDS ist der Antifaschismus eine Art Lebensversicherung, gibt diese Partei doch vor, gegen den Faschismus zu kmp-fen und das Erbe seiner Opfer zu wahren.32

    Die PDS und die extreme Linke

    Offiziell distanziert sich die PDS vom Realsozialismus. In-tern aber ist sie in dieser Frage durchaus gespalten. In Fragen der politischen Theorie ist sie zersplittert und orientierungs-los. Um so grere Bedeutung hat ein moralisch argumentie-render Antifaschismus, auf den sich die gegenstzlichen Strmungen innerhalb der Partei einigen knnen. Nach au-en dient der antifaschistische Mythos der moralischen Rechtfertigung, die der diskreditierte marxistische Sozialis-mus nicht gewhrleisten konnte. Zugleich ermglicht der Antifaschismus die Integration linksextremer Gruppen und Personen, die dem real existierenden Sozialismus op-poniert hatten. Zwei Bundestagsabgeordnete der PDS, An-

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  • drea Lederer und Ulla Jelpke, kommen aus dem maoisti-schen Kommunistischen Bund, der in Gegensatz zur SED ge-standen hat. Mit der PDS dagegen ist eine enge Zusammenar-beit mglich geworden.

    Durch zunehmende rechtsextreme Aktivitten seit der Wiedervereinigung fhlen sich die PDS und das sonstige linksextreme Spektrum in der Meinung besttigt, da Kapi-talismus und Faschismus zusammengehren. Antifa-schismus bedeutet fr die Linksextremen immer auch Klas-senkampf, also Kampf gegen Marktwirtschaft und liberale Demokratie. Der Zusammenbruch der DDR entzog den an der Sowjetunion und der DDR orientierten Kommunisten in Deutschland mit einem Schlag den Boden. Aber auch die an-archistischen Linken gerieten zunehmend in Schwierigkei-ten. So diskutieren traditionelle Kommunisten und neue Linke ber knftige politische Linien, Strategien und Takti-ken, ungeachtet der hergebrachten Abgrenzungen.

    Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten hat ihre fhrende Rolle in der antifaschi-stischen Bewegung eingebt. Sie blieb zwar die mitglie-derstrkste alt-kommunistische Bndnisorganisation; ohne die Zahlungen der SED stellt die VVN jedoch nicht mehr viel auf die Beine. In landesweiten, regionalen und rtlichen an-tifaschistischen Bndnissen ist sie aber immer noch aktiv. Nicht zu unterschtzen sind die politischen Erfahrungen, die die VVN in die neuen Bndnisse einbringen kann.33 Die VVN Westdeutschlands existiert weiter.

    Bezeichnend ist die Art der Vergangenheitsbewlti-gung bei der VVN. Am 9./10. Juni 1990 beschlo der VVN-Bundeskongre das Weiterbestehen der schwer erschtterten Organisation. Ein (selbst-)kritischer Betrachter stellte fest:

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  • 38

    Mit den Inhalten antifaschistischer Politik hat (man) sich al-lerdings nicht befat. . . Die Mehrheit des Bundeskongresses wollte erklrtermaen keine theoretischem Diskussionen, erst recht keine >rckwrtsgewandtenselbstzerfleischenden< oder >lhmenden< Diskussionen, wie der Ruf nach Reflexion vergangener Fehler und Blindstellen genannt wurde. Die Mehrheit war nicht bereit, ber die eigene Vergangenheit, aber auch nicht ber Inhalte und Politik zu debattieren. Gleichzeitig wurden sehr schnell und oft die Ungereimtheiten und Fehler der alten Politik mit den >Sachzwngen des Kalten Krieges< begrndet und entschuldigt. . . Doch weil ber die Inhalte der Politik, die mit Hilfe dieser Organisation betrieben werden soll, nicht diskutiert wurde (alle Antrge blieben un-behandelt!), droht eine Politik ohne Inhalte. Dabei war es doch nicht nur die totale Abhngigkeit der alten VVN von den Finanzen aus der DDR, die zum Fiasko fhrte, als diese Fi-nanzen ausblieben. Zum Zusammenbruch trug ja wohl auch vor allem jene Politik bei, die eine solche finanzielle und po-litische Abhngigkeit zum Inhalt hatte und die wegen ihrer autoritren Strukturen die Wirksamkeit antifaschistischer Be-mhungen minderte, wenn nicht gar aufhob. Die Tatsache, da in der DDR, also dort, wo jahrzehntelang ein von oben verordneter Antifaschismus an der Tagesordnung war, der je-doch mit einem autoritr strukturierten Regime einherging, heute nationalistische, fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen stark hervortreten, weist eindringlich darauf hin, da solche Art von Antifaschismus, der mit antiemanzipatori-schen Herrschafts- und Denkstrukturen verbunden ist, Natio-nalismus und Neofaschismus nicht verhindert.

    Das wirft zugleich die Frage auf, ob die Verkrzung, (nur) Kapitalismus fhrt zum (Neo-)Faschismus

  • derholungen eines autoritr strukturierten Antifaschismus (der ein Widerspruch in sich und deshalb letztlich unwirk-sam ist) entgegenzuwirken.34

    In der Nachfolge des Komitees der antifaschistischen Wider-standskmpfer der DDR ist am 30. Oktober 1990 der Interes-senverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebe-ner (IVVdN) entstanden.35 Auerdem gibt es noch einen Bund der antifaschistischen Widerstandskmpfer (BdA), be-reits am 12./13. Mai 1990 in der ehemaligen FDJ-Hoch-schule am Bogensee gegrndet. Beide Organisationen sind selbstndig, jedoch durch ihre Ttigkeit verbunden. Der BdA sammelt die Jngeren, der IVVdN die Alten, also die tat-schlich Verfolgten des NS-Systems. Beide kooperieren mit der westdeutschen VVN-BdA. Aus der organisatorischen Konfusion soll wohl eine Fusion werden. Zustzlich gibt es noch in (West-)Berlin sozusagen als Rest der SED-Dreistaa-tentheorie eine VVN-Vereinigung der Antifaschisten, ein ko-operatives Mitglied des BdA.

    Ein Beweis fr die Vernetzung der verschiedenen Antifa-Organisationen ist die korporative Mitgliedschaft der VVN-BdA in der frher sowjetisch gesteuerten, aber noch beste-henden Federation Internationale des Resistants (FIR). Deren korporative Mitglieder sind auch die Lagergemeinschaf-ten von ehemaligen KZ-Hftlingen, die ihrerseits mit dem IVVdN und der VVN-BdA verbunden sind. Es gibt je eine fr Ravensbrck, Sachsenhausen, Buchenwald und Auschwitz. Auch sie haben einen internationalen berbau, das Interna-tionale Auschwitz-Komitee.

    Die Bereitschaft zur vollstndigen Aufarbeitung der Ver-gangenheit ist auch in den neuen Organisationen des BdA gering. Auf dem Grndungskongre kam es zu einer Diskus-

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  • sion ber den Stalinismus mit dem bezeichnenden Ergebnis, es drfe kein Gleichzeichen zwischen Faschismus und Stalinismus gesetzt werden. Darum konnte auch der Auf-fassung von einzelnen Teilnehmern, den Bund der Antifa-schisten auch mit dem Zusatz Bund der Opfer des Stalinismus zu versehen, nicht entsprochen werden. Kontrovers wurde auch diskutiert zu der Fragestellung, ob eine >bertrie- I bene< Auseinandersetzung mit dem Stalinismus nicht die Gefahr in sich birgt, den Widerstand gegen Neonazismus, Auslnderfeindlichkeit, Antisemitismus zu belasten und zu lhmen.36

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  • Die extreme Linke und Antifa

    Anfang der siebziger Jahre entstanden im Westen zahlreiche revolutionr-marxistische Zirkel, rote Zellen und Kleinstpar-teien. Sie orientierten sich ideologisch berwiegend am Mar-xismus. Aber fr alle Spielarten des Kommunismus, so zer-stritten sie auch sein konnten, stand fest, da der Kapitalis-mus aus konomischer Gesetzmigkeit zum Faschismus fhrt. Bei einigen mitgliederstarken Gruppen stand und steht der Kampf gegen imperialistische Tendenzen der BRD im Vordergrund, zum Beispiel fr die 1982 gegrndete Marxi-stisch-Leninistische Partei Deutschlands, die etwa 1500 Mit-glieder hat. Sie beruft sich auf Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse-tung und ist besonders wegen ihres Fhrungs-anspruchs im linksextremen Lager kaum bndnisfhig. Die Marxistische Gruppe, die zuletzt rund 10000 Anhnger zhlte und Merkmale einer Sekte aufwies, stand Bndnissen ebenfalls ablehnend gegenber.37 Zum Teil betrieben MG-Mitglieder eigene Unternehmen oder Firmenketten, in denen fast ausschlielich Genossen beschftigt werden.38 Am 21. Mai 1991 lste sich die Marxistische Gruppe selbst auf.

    Fr den Kommunistischen Bund, gegrndet 1971, war der Kampf gegen die angeblich zunehmenden faschistischen Tendenzen ein zentraler Orientierungspunkt. Das Brgertum habe, so der KB, aus einer Position der Strke eine schritt-weise Faschisierung betrieben. Daher sah der KB seine Auf-gabe in der Strkung der Gegenkrfte. Er verfgte ber einen streng konspirativen Organisationsaufbau. Nach dem Um-bruch in der DDR geriet der KB in eine Krise und spaltete sich. Der eine Flgel arbeitete fhrend beim Aufbau der PDS/ Linke Liste mit. Somit ist ein Teil des aggressiv antifaschi-

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  • stischen Spektrums Westdeutschlands in der PDS aufgegan-gen. Der KB-Funktionr Heinrich Eckhoff gehrte zu den mageblichen westdeutschen Initiatoren des Wahlbndnis-ses. Dieses Engagement zahlte sich aus. Zwei Bundestagsab-geordnete der PDS/Linke Liste gehren dem KB an.39

    Der andere Flgel hatte mageblichen Anteil an dem Pro-jekt Formierung der radikalen Linken. In dem Grundla-genpapier dieser Gruppierung hie es: Die radikale Linke ist sehr dafr, die Faschisten auf's Maul zu hauen . . . Der Aufstieg des parteipolitischen Rechtsextremismus (ge-meint sind die Republikaner) sei logische Folge des gesell-schaftlichen Umbruchs der letzten anderthalb Jahrzehnte, der politisch von der CDU/CSU, SPD und FDP zu verantwor-ten ist.40 Die Linke msse den Ha auf das eigene Vaterland schren und dieses bekmpfen. Das erklrte Ziel ist die Zer-strung des deutschen Staates und die Auflsung des deut-schen Volkes in eine multikulturelle Gesellschaft. Im Mo-natsblatt konkret (Auflage 30000-40000), das als Sprach-rohr von KB-Funktionren genutzt wird, pflichtet der Verle-ger diesen antinationalen Ausfllen bei: Die Deutschen seien ein schlimmes Gesindel, besonders die Einwohner der fnf neuen Lnder htten mit ihren Montagsdemonstrationen gezeigt, da sie ihre westlichen Brder und Schwestern noch an Dummheit, Feigheit, Raffgier, Fremdenha und Chauvi-nismus bertrfen.41 So erklrt sich auch, da die beiden aus dem KB kommenden Bundestagsabgeordneten der PDS/ LL, Andrea Lederer und Ulla Jelpke, die meisten parlamenta-rischen und auerparlamentarischen antifaschistischen Stel-lungnahmen abgeben.42 Die Politik der Bundesregierung, aber auch der SPD begnstige den Rechtsextremismus und sei rassistisch. Auch hier erweist sich der Antifaschismus als Bindemittel zwischen gegenstzlichen und sonst uneinigen linken Gruppen.

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  • Der 1980 durch Abspaltung vom maoistischen Kommuni-stischen Bund Westdeutschlands entstandene Bund West-deutscher Kommunisten nderte seine Haltung nach dem Umbruch nicht. Fr die Bndnispolitik bedient sich der BWK einer klassischen Vorfeldorganisation, der 1980 von der KPD/ML gegrndeten Volksfront gegen Reaktion, Faschis-mus und Krieg. Der BWK erklrt, verschiedene Ansatz-punkte des Antifaschismus-Kampfes zu respektieren. Er ar-beitet an der Errichtung einer gemeinsamen Front gegen Reaktion und Faschismus. Ein Schwerpunkt des BWK be-steht in publizistischen Aktivitten. So verlegt er neben dem BWK-Zentralorgan Politische Berichte und den Antifaschi-stischen Nachrichten der Volksfront acht Nachrichten-Bltter zu berufs- und fachspezifischen Fragen sowie rund 30 rtliche Publikationen (Lokalberichte).

    Auf Abnehmer in der deutschen Terrorszene zielte das von Angehrigen der politischen Gefangenen der BRD herausgegebene Angehrigeninfo und die Reihe Dokumenta-tion zur Zeitgeschichte, in der Texte auslndischer terroristi-scher Organisationen verbreitet werden. Nach dem Aufkom-men der Republikaner behauptete die Volksfront, Faschisten und Reaktionren sei es nunmehr gelungen, ein faschisti-sches Programm zu erarbeiten, das den heutigen Verhltnis-sen der BRD entsprechend Konservatismus und Faschismus verschmelze. Die Antifaschisten mten neue Anstren-gungen unternehmen, um die Ziele der Republikaner als ak-tuelles Programm faschistischer Durchsetzung der Inter-essen des BRD-Imperialismus zu entlarven.

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  • Antifaschismus-Arbeit von Autonomen und Anarchisten

    Organisatorisch ungebundene antifaschistische Aktivi-sten, die sich selbst als Autonome bezeichnen, sehen seit eh und je im Antifaschismus eine Mglichkeit, ihre lockeren Strukturen zu festigen und ihren subversiven Zielen nher zu kommen. So schrieben Autonome aus Gttingen in einem Diskussionspapier zur autonomen Organisierung (August 1991): Autonome sollten sich unter dem Vorzeichen >An-tifa< organisieren von den Stdten und Gemeinden bis zu bundesweiten Treffen. Die Strke des autonomen Antifa-schismus liege in dessen groer Mobilisierungsfhigkeit. ber die antifaschistische Selbsthilfe werde militante Praxis in den eigenen Reihen verankert und von anderen Menschen als legitim akzeptiert. Die Auseinandersetzung mit Nazis fhrte zwangslufig zur Auseinandersetzung mit der Staats-macht, den Bullen, damit erreicht der Kampf neue Dimensio-nen.43

    Autonome Gruppierungen hatten in den letzten Jahren vermehrt Zulauf. Das Bundesamt fr Verfassungsschutz gibt die Zahl von 2300 Autonomen plus ein mobilisierungsf-higes Umfeld von mehreren tausend Personen mit Gewaltbe-reitschaft an.44 Nach letzten Meldungen sollen es etwa 5000 sein (1993). Diese gewaltbereite Gruppierung hat kein ein-heitliches ideologisches Konzept; sie definiert sich ber ein gemeinsames Lebensgefhl. So verbindet die verschiedenen autonomen Strmungen der Ha gegen Staat und Gesell-schaft, auch militante AntiStaatlichkeit genannt. Das ganze System msse beseitigt werden. Die Autonomen hal-ten Gewalt fr unerllich. Der Wille zum Widerstand msse sich praktisch in militanten Angriffen ausdrcken.

    Diese Antifa-Gruppen erklren in Flugschriften und

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  • Szeneblttern, zwischen brgerlicher und faschistischer Ideologie gebe es keine wesentlichen Unterschiede. Teil-weise greift man auf Faschismus-Thesen der Marxisten-Leninisten zurck. Der brgerliche Staat dulde oder veran-lasse faschistischen Terror, um Vorwnde fr reaktionre Manahmen gegen Linke zu finden. Fr die Autonomen sei es wichtig, die Faschos von der Strae zu verdrngen, um persnliche Bedrohung auszuschalten und zu verhindern, da sich faschistische Propaganda ausbreiten knne. An-hnger autonomer Gruppierungen recherchieren und verf-fentlichen wiederholt steckbriefhnliche Informationen ber Anhnger rechtsextremer Organisationen und befrworten gezielte Angriffe auf solche Personen. Der Parole Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft setzen Autonome im Ruhr-gebiet die Empfehlung hinzu: Trefft die Faschisten, wenn ihr sie schlagt.

    Linksextreme Autonome haben in Berlin mit berregiona-lem Anspruch eine Antifa-Jugendfront aufgebaut, die An-fang 1992 bereits 25 Ortsgruppen umfate. In einer Bro-schre Tips und Trix fr Antifas (50 Seiten) werden diese Gewaltaktionen als antifaschistischer Widerstand propa-giert. Da die Aktionen illegal seien, mten sie sehr gut vor-bereitet werden. Um Bullenknppel abzuhalten, knnten Stangen an Transparenten eingezogen werden. Zum antifa-schistischen Selbstschutz empfehle sich geeignetes Werk-zeug wie Trnengas, Holz und hnliches. Vor Demos und Kundgebungen werde oft gefilzt. Falls trotzdem Waffen be-ntigt wrden, msse man sich genau berlegen, wie man sie reinkriege. Knppel und anderes Handwerkszeug htten nur dann einen Sinn, wenn man sie beherrsche. Training sei not-wendig.

    Neben allgemeinen praktischen Hinweisen ber Vorberei-tungen von Aktionen sowie Plakatieren und Sprhen gibt die

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  • Broschre auch einen Eindruck ber den ideologischen Hin-tergrund der Antifa-Jugendfront. Dort wie auch in der Zei-tung Antifaschistisches Info (erscheint vier- bis sechsmal jhrlich) und dem Antifa-Jugendinfo wird der Staat mit fa-schistischen Tendenzen in Verbindung gebracht. Faschi-stische Gruppen arbeiteten im Interesse von Grokapital und staatlichen Institutionen. Ganz im Stil des SED-Antifa-schismus werden alte Phrasen gedroschen. Der Polizeiap-parat schtze die Faschisten und gehe einseitig gegen Antifaschisten vor. Deshalb werden in der Broschre Tips und Trix fr Antifas den Themen Festnahmen, Prozesse und Knast sowie Observationen durch staatliche Institutionen ei-gene Kapitel gewidmet. Man handelt nach dem Motto: Kampf dem Faschismus und dem System, das ihn schtzt! Gemeinsam die antifaschistische Selbsthilfe organisie-ren!45

    Antifas und Gewalt

    Die Gewaltbereitschaft hat bei antifaschistischen Aktivi-tten im gleichen Mae zugenommen, wie der theoretische Gehalt mit dem Zusammenbruch des Realsozialismus abge-nommen hat. Die BWK-beeinflute Volksfront arbeitet re-gelmig mit den rtlichen autonomen Gruppen zusammen. Wenn diese Organisation hier als Beispiel gewhlt wird, darf nicht auer acht bleiben, da praktisch das gesamte linksex-treme Spektrum in Bndnissen mit Autonomen auftritt. Nichtsdestoweniger wird die Gewaltfrage in den eigenen Reihen diskutiert, weil man auch auerhalb der gewalttti-gen Gruppen bndnisfhig sein mchte. In Diskussionsbei-trgen in der Verbandszeitschrift Volksecho hie es unter an-derem, wer es engagierten Volksfrontlern untersagen wolle,

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  • den Faschisten Paroli zu bieten, wolle aus der Volksfront eine gewaltfreie Jammerorganisation machen. Die Parole Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft msse auch in der Volksfront Berechtigung haben. Deren Mitglieder seien keine Pazifisten, sondern revolutionre Antifaschisten. Gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Faschisten und meistens auch mit der sie untersttzenden Polizei seien unumgnglich und notwendig.

    Die Antifa-Jugendfront rechtfertigt die Gewaltanwendung so: >Gewalt erzeugt Gegengewalt.< Diesen Spruch bekom-men wir oft an den Kopf geworfen, wenn wir gegen Nazis militant vorgehen. Eine Feststellung, die wohl besagen will, irgendwo hat irgendwer irgendwen auf's Maul gehauen, und seitdem gibt es halt Gewalt. Wie bei zwei Jugendgangs, die grund- und sinnlos in einer nichtendenden Gewaltspirale je-desmal meinen, sich aneinander rchen zu mssen. Leute, die meinen, mit solchen Weisheiten beispielsweise erklren zu knnen, warum es Nazis und Antifas gibt, haben offen-sichtlich von den realen Gegebenheiten auf der Strae keine Ahnung.46

    Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung ist in Kreisen der antifaschistischen Widerstandskmpfer deutlich ge-sunken, und zwar keineswegs als Reaktion auf rechtsextreme Gewalt. In einer undatierten Broschre Die antifaschistische Selbsthilfe organisieren fordern autonome Antifaschisten zu Angriffen auf Rechtsextremisten auf. Ein erster Schritt sei es, Bilder und Adressen von Faschisten zu verffentli-chen; damit wrden diese erkennbar, beobachtbar und an-greifbar. Es sei wichtig, ihre Verbindungen, Treffpunkte, Wohnungen, Druckereien, Autos und so weiter zu kennen; dadurch knne ihnen die Ruhe genommen werden. Fa-schistische Organisierung sei ohne Gewalt letztlich nicht zu verhindern. Die Bundesrepublik Deutschland, so heit es

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  • weiter, sei zwar kein faschistischer Staat, der bergang dazu sei aber schon heute angelegt. Daraus ergebe sich die Frage: Warum das bel nicht an der Wurzel packen? Dies bedeute, das System und die Verantwortlichen anzu-greifen.

    Die Zahl militanter Aktionen gegen wirkliche oder ver-meintliche Rechtsextremisten ist seit 1989/90 gestiegen. Zum Beispiel verbte am 11. Oktober 1991 eine antifa-schistische Zelle einen Brandanschlag auf das Anwesen eines Reprsentanten der Deutschen Volksunion (DVU). In einer Selbstbezichtigung wurden Namen und Anschriften weiterer Mitglieder der DVU, der Nationalistischen Front und der Republikaner publiziert. Zwei von ihnen wurden Opfer von Anschlgen mit Sachbeschdigung. Am 26. Ok-tober 1991 berfielen etwa 60 Vermummte das Haus des sterreichischen Rechtsextremisten Karl Polacek (Landes-vorsitzender der Freiheitlichen Arbeiterpartei) in Macken-rode/Gttingen. Die Angreifer, die sich selber autonome Antifaschisten und Antifaschistinnen nannten, warfen mit Steinen und schssen mit Stahlkrampen. In einer Bekenner-schrift bezeichnen sie den berfall als erfolgreich, wrt-lich: Die Nazis hatten 15 Verletzte zu beklagen, wir kei-nen einzigen. Das Schreiben endet mit der Drohung: Fr die militante Initiative - die Antifaschistische Selbsthilfe organisieren - Nazis auf's Maul - Wir kommen wieder.

    In Berlin berfielen autonome antifaschistische Akti-vistinnen den Neonazi Oliver Schweigert (Vorsitzender der Nationalen Alternative in Berlin). Im autonomen Sze-nenblatt Interim vom 31. Oktober 1991 schrieben sie dazu: Man habe Schweigert whrend eines Interviews fr das franzsische Fernsehen erwischt, in einen Hauseingang ge-trieben und dort verprgelt. Wrtlich: Wir hoffen, da die Verletzungen so schwer sind, da dieses Oberschwein da

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  • lange Probleme mit hat. Den Reporterrschen, die den Nazis gegen Geld Werbeauftritte verschaffen, habe man die Aufnahmen entwendet. Das Bekennerschreiben endet mit den Worten: Verschrfte Gre an die Genossinnen, die in Gttingen Karl Polaceks Haus angegriffen haben!! !47 Die Mobilisierung von auslndischen Jugendbanden ist ein weiteres Anzeichen fr die Bedrohung des Rechtsstaates. Im Herbst 1990 erstach der vorbestrafte Ayhan ztrk den Republikaner Rene Grubert in der Berliner S-Bahn und ver-letzte zwei weitere Deutsche schwer. Der Tter wurde wegen Notwehr freigesprochen. Im selben Jahr brachten Angeh-rige auslndischer Jugendbanden auf dem Berliner Alexan-derplatz einen jungen Mann aus Dresden mit einem Base-ballschlger um. Die Tter befinden sich mit Bewhrungs-und Geldstrafen auf freiem Fu. In der Nacht vom 3. zum 4. April 1992 erstach eine Gruppe von Auslndern den 47j hri-gen Elektroingenieur Gerhard Kaindl aus Berlin-Schne-berg. Der Hintergrund des Attentats: Ein Gast des Kreuzber-ger Chinarestaurants, in dem die Bluttat geschah, erkannte die siebenkpfige Gruppe, unter der sich Kaindl befand, als Republikaner. In der Tat hatte Kaindl bis September letzten Jahres dieser Partei angehrt. Die Tter stieen ihm ohne Vorwarnung ein Messer in den Rcken. Eine weitere Person wurde ebenfalls durch Messerstiche schwer verletzt. Der Wirt des Restaurants verhinderte mit seiner Gaspistole wei-tere Bluttaten. Die Berliner Zeitung gab linksextremen Ge-waltttern aus der Kreuzberger Szene die Gelegenheit, den Mord ideologisch zu rechtfertigen. Insbesondere von auto-nomen Gruppen werden auslndische Banden gezielt fr po-litische Gewalttaten benutzt. Bezeichnend fr die Einerseits-Andererseits-Haltung ist die Reaktion der PDS-Zeitung Neues Deutschland: Die Mordtaten werden abgelehnt, aber staatliche Manahmen gegen den kriminellen Antifa-

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  • schismus gelten als Versuch der Kriminalisierung und erscheinen in negativem Licht.48

    Neben dem Antiimperialismus nimmt der Antifaschis-mus bei den verschiedenen terroristischen Gruppen eine wichtige Stellung ein. Insbesondere die Rote Armee Fraktion rechtfertigte ihre Aktionen als Widerstand gegen die faschi-stische BRD. Wie bedeutend der Faschismusvorwurf fr die RAF auch fr ihren praktischen Kampf ist, lt sich daran ablesen, da ein Groteil der neurekrutierten Mitglieder der Kommandoebene nun schon seit Jahren aus sogenannten Antifaschistischen Gruppen kommt. Aus diesen Gruppen er-wuchs auch die seit 1985 festzustellende neue Entwicklung, Anschlge durch militante Untersttzer ausfhren zu las-sen.49 Der Antifaschismus dient auch hier als wichtiges Bindemittel zwischen terroristischem Untergrund der lega-len Linken und der autonomen Szene.

    Im terroristischen Umfeld geht es nicht nur um Angriffe auf den Staat; ein Schwerpunkt liegt auch in der Antifa-Arbeit. So heit es jedenfalls in dem Untergrundblatt Radi-kal, Nr. 140 vom Juni 199050, zur virulent sich entwickeln-den Antifa-Kampagne. Unter dem Motto Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft! Wir scheien auf Grodeutsch-land! Wir scheien auf das Vaterland! wird ausgefhrt: Seit dem 9. November laufen die Entwicklungen im Rake-tentempo ab. Die Wiedervereinigung steht vor der Haustr -das BRD-Kapital strmt geifernd in den Osten . . . Die erste Antwort einer linksradikalen Bewegung auf die laufende Wiedervereinigung mu sich zuerst und vor allem darin orientieren, den Faschos, die sich mit ihren rassistischen und sexistischen Parolen auf der Strae fettmachen, eine entspre-chende militante Gegenwehr in den Weg zu stellen. Gegen-wehr sind Patrouillengnge, die Fascho-Gruppen ausfindig machen, sind organisierte Frauenbanden, die denen auflau-

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  • em und die Fresse einhauen. Gegenwehr sind Telefonketten, die ausgelst werden, wenn Flchtlingslager angegriffen werden. Man drfe nicht warten, bis die Faschos vor der Tr stehen, sondern msse sie von sich aus angreifen und illegale Strukturen hier und jetzt aufbauen. Es gelte . . . undeutsch zu sein bis ins letzte Fuzzelchen des Alltags: Klauen, Rauben, Einbrechen, Besetzen, Solidarisieren! Diesen Ausfhrungen sind Listen von Aktivisten der FAP und DVU beigefgt.

    Weiterhin erfhrt man in Radikal auch etwas ber die Zu-sammenarbeit mit auslndischen Jugendbanden. So wird ein fnfseitiges Interview mit einem trkischen Genossen abge-druckt, in dem ausfhrlich auf die Perspektive der weiteren Mobilisierung auslndischer Jugendbanden fr linksextre-mistische Kampagnen und die Mglichkeit gemeinsamen Agierens mit militanten Autonomen eingegangen wird. Bei den damaligen (1990) gewaltttigen Auseinandersetzungen mit den Polizeikrften war die Prsenz dieser Jugendgangs strker als jemals zuvor. Dazu heit es unter anderem: .. . unter den Umstnden der auf uns zukommenden Wie-dervereinigung, der nazistischen berflle und der Ausln-dergesetze werden die Jugendlichen sicher mehr Banden bil-den. Nicht nur in Westberlin, sondern auch in Westdeutsch-land werden Jugendbanden entstehen. Demnchst werden diese Banden nicht mehr Jugendbanden genannt, sondern politische Banden.

    Praktische Tips drfen ebenfalls nicht fehlen. Die ge-nannte Ausgabe von Radikal enthlt eine obligatorische Ba-stelanleitung fr Komponenten von Brand- und Sprengst-zen. Die autonomen Techniker stellen nun die Bauanleitung fr einen lnger programmierbaren, nach dem Verstrker-prinzip arbeitenden Zeitznder vor, der sehr klein, ex-trem zuverlssig und damit sicherer ausfalle. Den in der

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  • Anleitung angefhrten Bausatz knne jeder absolute An-fnger bauen. Genauigkeit ist auch bei den Autonomen angesagt, denn bei vielen Aktionen ist es angebracht, nicht nur einen Mollie wo reinzuknallen und dann zu trmen, son-dern in Ruhe was abzulegen und in Ruhe wieder weggehen zu knnen, heit es in der Anleitung. Die Revolutionren Zellen bekannten sich am 30. Juni 1992 zu zwei Sprengstoff-anschlgen gegen rechts. In der taz vom 2. Juli 1992 kam unter der berschrift Jetzt reicht's mit dem braunen Dreck eine Rechtfertigung. Dem Mnchener Anzeiger und der PR-Agentur Althans wurden faschistische und rassistische Pro-paganda vorgeworfen. Vor den Husern des Anzeigers und der Agentur waren sprengstoffgefllte Rohre entdeckt wor-den.

    ber terroristische Verbindungen liest man in der Hanno-verschen Allgemeinen Zeitung (7. Februar 1992) und der Po-lizeizeitung Kriminalistik (Mrz 1992): Charakteristisch fr die zunehmende Gewaltbereitschaft ist eine im Oktober 1987 bundesweit verbreitete Tatbekennung zu einer militan-ten >Antifa

  • tremisten mit immer mehr Verletzten und Schwerverletzten, der Schulterschlu mit trkischen >Jugend-Gangs< wie in Berlin und Stuttgart oder bereits mehrere Angriffe militanter >Antifas
  • briggebliebenen Linksextremisten erlangt. Stark angestie-gen ist die Gewaltbereitschaft. Der Organisationsgrad der Autonomen hat erheblich zugenommen. Dies ist sicher-lich auch eine Reaktion auf die Erfolge rechter Parteien. Hinzu kommt, da linksextreme Antifaschisten mit der PDS eine finanzstarke Partei an ihrer Seite haben.

    Der Antifaschismus zieht seine Rechtfertigung aus den Wahlerfolgen rechter und rechtsextremer Parteien. Der durch die SED-Politik diskreditierte Antifaschismus hat sich zum Teil erholt, obwohl die Anhngerzahl abgenommen hat. Nach wie vor hilft der Antifaschismus den Extremisten, von demokratischen Gruppen als das kleinere bel bei ge-meinsamen Aktionen wenigstens toleriert zu werden.

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  • Deutsche Einheit und Antifaschismus

    Mit der Auflsung des Ostblocks und der DDR kam es zu einer Krise der systemtragenden Werte. Auch der Antifaschismus, Daseinsraison des DDR-Regimes, konnte davon nicht unbe-einflut bleiben. Weil nach der Wende 1989/90 rechtsex-treme Tendenzen zunahmen und deutlich wurde, da es schon Jahre zuvor hnliche Erscheinungen gegeben hatte, wurde die Wirkungslosigkeit des staatsoffiziellen Antifaschismus be-wut. Das Schlagwort vom verordneten Antifaschismus kam auf. Damit sollte kritisiert werden, da der rechtlich und politisch verbindliche Antifaschismus oberflchlich geblie-ben war und das Bewutsein der Staatsbrger nicht erreicht hat. Dennoch ist die These vom verordneten Antifaschis-mus fragwrdig. Denn wenn man sich auf den Boden der marxistischen Faschismus-Deutung stellt, war die antifaschi-stische Haltung der DDR durchaus konsequent und effektiv.

    Nach marxistischer Auffassung ist der Faschismus eine Funktion des Kapitalismus. Nur solange sie sich sicher fh-len, akzeptieren die Herren des Kapitals demnach Liberalis-mus und Demokratie. Fhlen sie sich bedroht, heuern sie eine faschistische Prtorianergarde an, die antikapitalistische, revolutionre Bewegungen niederhlt. Wahrer Antifa-schist kann also nur sein, wer die private Verfgungsgewalt ber Produktionsmittel aufheben will. Damit wre den Fa-schisten und ihren Frderern die sozio-konomische Basis entzogen.

    Genau dies wurde aber seit 1945/46 in der DDR praktiziert. Alle faschistischen, militaristischen und rassistischen u-erungen wurden mit Hrte unterdrckt. Da sie gelegentlich vorkamen, beweist keine Inkonsequenz in deren Bekmp-

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  • fung, ebensowenig die Tatsache, da zahlreiche ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten standen, wie westliche Propagandabroschren behaupteten und bewiesen. Da den ehemaligen Nationalsozialisten die sozio-konomi-sche Basis entzogen war, konnten sie der marxistischen Theorie zufolge nicht gefhrlich werden. Genau diese Konsequenz erschien bis 1989 vielen westdeutschen Volksfrontapologeten und anderen, die auf eine Verstndigung mit der SED hofften, als vorbildlich. Auch in Westdeutschland wurde das Verbot aller faschistischen und militaristischen Organisationen gefordert. Die marxistische Faschismus-Theorie lie dabei allerdings auer acht, da der sogenannte Faschismus nicht nur sozio-konomische und sozio-struk-turelle, sondern auch sozialpsychologische Grnde hat, die von der Basis, nmlich der sozio-konomischen Struktur unabhngig sind.

    Kritik am verordneten Antifaschismus ist auch deshalb unberechtigt, weil in Westdeutschland der Kampf gegen rechtsextreme Erscheinungen, gegen den sogenannten Fa-schismus oder Neofaschismus ebenfalls verordnet war. Teilweise gab und gibt es verfassungsmige und gesetzliche Regelungen. Die Badische Verfassung von 1947 ist tatschlich - was vom Grundgesetz flschlich behauptet wurde - eine antifaschistische Verfassung. Das Gesetz gegen die sogenannte Auschwitz-Lge und die frheren Entnazifi-zierungsgesetze zhlen zu den in diesem Sinne antifaschi-stischen Verordnungen. Darber hinaus ist aber alles Rechte und Rechtsextreme auch gesellschaftlich, von der herrschenden Meinung, gechtet. In Westdeutschland gibt es mithin einen gesellschaftlich verordneten Antifaschismus. Gesetzliche Regelungen und gesellschaftliche chtung haben jedoch auch hier das Entstehen rechtsextremer Gruppen und Bestrebungen nicht verhindern knnen.

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  • Die Behauptung, der DDR-Antifaschismus sei wirkungs-los gewesen, da von oben verordnet, ist eine linke Bewlti-gungslegende. Deren Aufgabe ist es, die belastete SED-Staatsdoktrin abzulehnen, um auf diese Weise einem besse-ren Antifaschismus Attraktivitt zu verleihen. Wie sollte dieser aussehen?

    Intellektuelle und Knstler in Ost und West versuchten, mit dem Antifaschismus die Eigenart der DDR zu erhalten und die Wiedervereinigung zu verhindern. Diese antinatio-nale Zielsetzung war zugleich eine pro-sozialistische. Unter Ablehnung des verkrzt und verflschend als Stalinismus bezeichneten real existierenden Sozialismus sollte eine sozialistische Erneuerung auf humanitrer Basis erstrebt werden - dies sollte nur bei Aufrechterhaltung der Eigen-staatlichkeit der DDR mglich sein. Die antifaschistisch-demokratische Periode der SBZ beziehungsweise der DDR von 1945 bis 1949 wurde als positiv, als Aufbruch und Auf-bau einer besseren Ordnung romantisiert. Da gerade diese Zeit ein Abschnitt schlimmsten stalinistischen Terrors war, wird verdrngt, verschwiegen und geleugnet. Die Bundesre-publik gilt demgegenber als kapitalistisch, als ein Staat der Bourgeoisie, so da eine Wiedervereinigung in Form eines Anschlusses an die Bundesrepublik das Ende jeglichen Sozialismus bedeuten wrde.

    Mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus hat der Antifaschismus an Bedeutung, Einflu und Gewicht verloren. Grundstzlich hat er aber seine Funktion behalten, indem er sich als Fluchtpunkt fr eine gesellschaftliche Uto-pie darstellt, als eine Art Sozialismusersatz. Er dient heute nicht zuletzt der Aufrichtung verstrter Intellektueller. Die moralische Komponente ermglicht es, ihn gegen alles Fa-schistische einzusetzen - vom bourgeoisen Establishment bis zu den Skinheads. Er hlt auch die Erinnerung an den Na-

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  • tionalsozialismus wach, der sonst angeblich in Vergessen-heit gert oder angesichts der Taten der kommunistischen Regime relativiert werden knnte. In der Tat meinen auch westliche Beobachter, Auschwitz werde keine Bannformel bleiben, bei der die Deutschen in angestrengte Selbstbetrach-tung verfallen, um sich schlielich in der Exklusivitt der Schuld als etwas Besonderes zu erkennen.52

    In der Tagespolitik soll der Antifaschismus gesellschafts-kritischen Einzelkmpfern, aber auch Parteien wie der PDS die moralische Legitimation fr ihren Kampf gegen die eta-blierte Ordnung geben. Zugleich festigt er die eigene Posi-tion, da jeder Gegner gezwungen ist zu beweisen, da er kein Faschist ist. Zahlreiche progressive Intellektuelle distan-zieren sich heute vom real existierenden Sozialismus, da er preuisch, brokratisch, staatsorientiert und asketischen Idealen verpflichtet gewesen sei. Sie wenden sich einem he-donistischen Gefhlssozialismus zu, wobei der Antifaschis-mus wegen seines angeblichen humanitren Eintretens ge-gen Ungleichheit das moralische Argument liefert.

    Gleich nach der Wende wurde versucht, den Zusam-menbruch des Sozialismus als Sieg des Kapitalismus zu deu-ten und vorauszusagen, da dies zur Erneuerung des Rechts-extremismus fhren werde. Der Kapitalismus galt ja als Ursprung des Faschismus. Auch in Zukunft werde der Kapi-talismus den Faschismus frdern, weil sich nicht nur die wirtschaftliche Effektivitt steigere, sondern auch der so-ziale Problemdruck erhht werde. Rechter Fundamentalis-mus werde die Folge sein.53 Ralph Giordano meint, das DDR-Regime habe zwar die konomische Basis des Faschis-mus zerschlagen, aber keinen Raum fr klassische brgerli-che Freiheiten gelassen. Es habe den Antifaschismus verord-net.54 Ganz im Sinne Giordanos vertritt auch Arno Klnne die Auffassung, Antifaschismus lasse sich nicht polizei-

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  • staatlich verordnen. Die freie Debatte sei notwendig - wo-fr? Um das Aufkommen von politischen Gefhlen und Weltbildern, die ihre Verwandtschaft mit dem Faschismus haben, zu vermeiden.55 Gibt es in Westdeutschland keine freie Diskussion? Oder wie erklrt es sich, da auch dort, wo der Antifaschismus nicht polizeistaatlich verordnet war, Rechtsextremismus hervorgetreten ist?

    Frieder O. Wolf kritisierte das antifaschistische Ge-schichtsbild. Der historische Antifaschismus der dreiiger und vierziger Jahre sei widerspruchsvoll gewesen. Durch den Kampf gegen den Sozialfaschismus der Sozialdemo-kraten und die Bolschewisierung und Stalinisierung der KPD sei die Einseitigkeit und Halbherzigkeit des offiziellen An-tifaschismus verborgen geblieben. So zutreffend der sachli-che Gehalt dieser Kritik ist, fragt sich doch, ob offene Dis-kussion unter Historikern den sogenannten Faschismus stoppen kann, denn in der westlichen Welt hat es an offener Diskussion nicht gefehlt.56

    Die Deutung des Antifaschismus hat sich seit 1989/90 qualitativ, nicht quantitativ verndert. Die Zunahme innerer sozialer und politischer Spannungen und das Erstarken eines virulenten Rechtsextremismus scheinen den Skeptikern von 1989 Recht zu geben. Obwohl der Anspruch des Sozialis-mus, Bewegungsgesetze von Geschichte und Gesellschaft kennen und sichere Prognosen liefern zu knnen, gescheitert ist, hat sich besttigt, da die Re-Kapitalisierung der ehe-mals sozialistischen Staaten den Faschismus begnstigt. Da es den Kritikern nicht um Bestandsaufnahme, sondern um theoretisch angeleitete Praxis geht, stellt sich die Frage, welches Ziel sie haben. Sie wollen keinen asketischen Sozia-lismus, der preuische Werte vertritt, sondern einen hedo-nistischen, anarchistisch-libertren Sozialismus, der Anti-kapitalismus und individuelle Freiheit miteinander verbin-

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  • det. Der Sozialismus entwickelt sich von der Wissenschaft zur Utopie zurck.

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  • Antifaschismus und Intellektuelle

    Der Antifaschismus war und ist vor allem eine Ideologie von Intellektuellen. In der Auseinandersetzung um Christa Wolfs Buch Was bleibt hat Ulrich Greiner in der Zeit die Haltung der Intellektuellen zum Sozialismus und Antifaschismus auf den Punkt gebracht: Wir haben die DDR nie so gesehen, wie sie wirklich war, sondern immer nur in den instrumentellen Zusammenhngen der alten Paradigmen Faschismus contra Antifaschismus, Kommunismus contra Antikommunis-mus.57

    Politische Ideen werden von sozialen Gruppen gesttzt -der Liberalismus vom Brgertum, der traditionelle Konser-vatismus von besitzenden, konomisch und politisch herr-schenden Schichten, der Sozialismus von der Arbeiterbewe-gung. Der Antifaschismus ist eine Schpfung von Intellektu-ellen, die besonders auch bei Halbgebildeten und stark emotional gesteuerten und psychisch labilen Menschen auf positive Resonanz stt. Dies gewinnt politische Bedeutung, weil zwischen Politik und Kultur, Macht und Geist in Deutschland von jeher ein Widerspruch besteht. Im Antifa-schismus bndeln sich Rationalismus und Emotionalitt, Herrschafts- und Kapitalismuskritik und hohe moralische Ansprche, so da mit seiner Hilfe intellektuelle Minderhei-ten einen sonst kaum erreichbaren Einflu erlangen konnten.

    Wenn hier von Intellektuellen die Rede ist, so sind Menschen gemeint, die die Macht des gesprochenen und geschriebenen Wortes handhaben (Arnold Gehlen). Zu ih-nen zhlen hauptschlich Geistes- und Sozialwissenschaft-ler, Publizisten und Knstler, nicht jedoch Angehrige der verwaltungstechnischen, juristischen, naturwissenschaftli-

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  • chen und technischen Intell